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Wird ihr Herz endlich eine Heimat finden? Die große Frauensaga »Die Rosen von Cornwall – Sturmjahre« von Joanna Hines als eBook bei dotbooks. Eine Liebe, so aufgewühlt und unendlich wie die stürmische See … Cornwall, 1630: Während der von Cromwell angeführte Bürgerkrieg das Land in den Abgrund zu stürzen droht, wird die blutjunge Margaret gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet, der nur kalte Pflichterfüllung kennt. Dass eine Berührung auch voller Wärme und Zärtlichkeit sein kann, erfährt Margaret erst, als sie Richard Treveryan begegnet, dem Besitzer des imposanten Trecane Manor, um das sich in der Gegend viele Gerüchte ranken. Mehr und mehr fühlt Margaret sich in dem Netz dieses geheimnisvollen Mannes gefangen: mit ihm erlebt sie gestohlene Momente des Glücks – doch jeder Blick, jeder Kuss zeigt ihr nur umso mehr den goldenen Käfig, in dem sie gefangen ist. Und dann verlangt das Schicksal ihr eine schreckliche Entscheidung ab … An der wildromantischen Küste Cornwalls entspinnt sich über mehrere Generationen hinweg ein Geflecht aus Liebe, Intrigen und Rache – wer die »Poldark«-Reihe liebt, wird sein Herz auch an die Rosen Cornwalls verlieren. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der epische Liebesroman »Die Rosen von Cornwall – Sturmjahre« von Joanna Hines ist der erste Band ihrer Familiensaga, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1041
Über dieses Buch:
Eine Liebe, so aufgewühlt und unendlich wie die stürmische See… Cornwall, 1630: Während der von Cromwell angeführte Bürgerkrieg das Land in den Abgrund zu stürzen droht, wird die blutjunge Margaret gegen ihren Willen mit einem Mann verheiratet, der nur kalte Pflichterfüllung kennt. Dass eine Berührung auch voller Wärme und Zärtlichkeit sein kann, erfährt Margaret erst, als sie Richard Treveryan begegnet, dem Besitzer des imposanten Trecane Manor, um das sich in der Gegend viele Gerüchte ranken. Mehr und mehr fühlt Margaret sich in dem Netz dieses geheimnisvollen Mannes gefangen: mit ihm erlebt sie gestohlene Momente des Glücks – doch jeder Blick, jeder Kuss zeigt ihr nur umso mehr den goldenen Käfig, in dem sie gefangen ist. Und dann verlangt das Schicksal ihr eine schreckliche Entscheidung ab…
Über die Autorin:
Schon in ihrer frühen Jugend begann Joanna Hines, mit Leidenschaft zu schreiben. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie auch Kurzgeschichten und Artikel in »The Guardian« und »The Literary Review«; unter dem Namen Joanna Hodgkin schreibt sie außerdem Biografien. Die Autorin verbrachte viele Jahre mit ihrer Familie in Cornwall; heute lebt und arbeitet sie wieder in ihrer Heimatstadt London.
Bei dotbooks veröffentlichte Joanna Hines ihre Spannungsromane »Das Geheimnis von Chatton Heights«, »Die Frauen von Briarswood Manor«, »Die Schatten von Glory Cottage« und »Das Erbe von Grays Orchard«.
Ebenfalls erschien bei dotbooks ihre historische Familiensaga »Die Rosen von Cornwall« mit den Romanen:
»Sturmjahre – Band 1«
»Schicksalslied – Band 2«
»Sehnsuchtsleuchten – Band 3«
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eBook-Neuausgabe Mai 2021
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1994 unter dem Originaltitel »The Cornish Girl« bei Hodder & Stoughton, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Das Lied der Brandung« bei Droemer Knaur.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1994 by Joanna Hines
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1996 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/freedomnaruk, Vivvi Smak und AdobeStock/Mikhail Guta
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-336-0
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Joanna Hines
Die Rosen von Cornwall – Sturmjahre
Roman
Aus dem Englischen von Ursula Bischoff
dotbooks.
Cui dono lepidum novum libellum?
Für Derrek, wen sonst?
Zu den unzähligen Ereignissen, die dem Klatsch in diesem ersten Herbst nach der Krönung von Charles II. Nahrung gaben, gehörten auch die Gerüchte, die sich um Perdita Treveryan rankten. Als ältester Sproß von Sir Richard Treveryan schien selbst ihr Anspruch auf den Namen des Vaters zweifelhaft. In den nachfolgenden zwanzig Jahren brachte die wachsende Schar königlicher Bastarde die illegitime Geburt beinahe in Mode, doch als Perdita erstmals nach London kam, hing die engstirnige Moral der Cromwellschen Epoche noch wie ein eisiger Luftzug über der Hauptstadt.
Ein unehelich geborenes Kind galt keineswegs als Seltenheit; ungewöhnlich war lediglich Perditas bevorzugte Stellung im Hauswesen ihres Vaters. Wenn sie abgeschirmt von den neugierigen Blicken der Öffentlichkeit im Haus eines gefälligen Pächters und seiner Frau großgezogen worden wäre oder wenn sie in den Gesindeunterkünften die Aufgabe übernommen hätte, für ihre beiden jüngeren Halbbrüder zu sorgen, dann hätte es weniger Anlaß zum Klatsch gegeben. Doch Lady Treveryans leibliches erstgeborenes Kind wäre nicht mit mehr Nachsicht behandelt worden als das dunkeläugige, zarte Mädchen, das sie täglich an die Untreue ihres Gatten erinnerte.
Was die leibliche Mutter anging, so kursierten verschiedene Vermutungen hinsichtlich ihrer Person. Vorrangig war, zumindest bei den Abergläubischen, die Überzeugung, sie sei ein Kind jenes Elfenvolkes, das noch immer in den unerschlossenen Hügeln Cornwalls lebte. Hier wurde Perdita geboren, noch bevor der Lordprotektor Cromwell jeglichen Lustbarkeiten und der Schwarzen Magie im ganzen Land den Kampf ansagte. Die Indizien sprachen für sich: Lady Treveryan, unfruchtbar während ihrer fünfzehnjährigen Ehe, hatte völlig unerwartet zwei Söhnen das Leben geschenkt. Für die Abergläubischen stand außer Frage, daß hier ein Handel getroffen worden war: Perditas Wohlergehen gegen die Geburt von zwei strammen Söhnen.
Die Spötter zogen es vor, ihr Augenmerk auf Sir Richards Rolle in dieser Angelegenheit zu richten. Sie waren zwischen der Empörung, daß er seiner armen Frau den Bankert zugemutet hatte, und Bewunderung über den Gleichmut, mit dem sie über das schändliche Treiben ihres Gatten hinweggegangen war, hin- und hergerissen.
Kitty Treveryan blieb unbeeindruckt von Spott oder Mitleid. Sie besaß einen schier undurchdringlichen Panzer, der sich durch die lebenslange Beschäftigung mit sich selbst ergeben hatte. Sie schenkte den Gerüchten keine Beachtung, denn die Lust am Klatsch erforderte zumindest ein boshaftes Interesse an seinen Mitmenschen, und Lady Treveryan interessierte sich für niemanden außer sich selbst.
Und was ihren Mann betraf, so waren ihm die Gerüchte niemals zu Ohren gekommen. Nur ein tollkühner Mensch oder ein Narr hätte es gewagt, Sir Richard mit solchem Geschwätz zu behelligen. Trotz aller Geschäftigkeiten und Gemütswallungen, die London unmittelbar nach der Rückkehr zur Monarchie kennzeichneten, stand Sir Richard Treveryan über den Dingen, und er blieb, was er war, ein verschlossener, unzugänglicher Mann.
Ein eisiger Wind wehte an diesem Wintertag vom Flußufer herüber, und Perdita zog den Umhang fester um ihre Schultern. Sie saß mit hoch aufgerichtetem Kopf in dem überfüllten Boot und blickte seitwärts, als unterzöge sie den Whitehall-Palast am rechten Themseufer einer eingehenden Musterung. In Wirklichkeit interessierte sie sich nicht im geringsten für den Palast des Königs; ihre Absicht war vielmehr, die Aufmerksamkeit des kräftigen jungen Mannes auf sich zu lenken, der ihr gegenüber am Ruder saß.
Seine Augen waren graugrün und seine Schultern so stark wie ein Baum von der harten körperlichen Arbeit. Perdita ließ ihre Fingerspitzen durch das eisige Wasser gleiten; die Geste brachte, wie sie sehr wohl wußte, die elfenbeinweiße Haut ihres Handgelenks, das aus den Samtstulpen ihres Handschuhs hervorlugte, sehr vorteilhaft zur Geltung.
Am anderen Ende des Bootes trieb Belinda, die alte Dienerin, die Rudermannschaft zur Eile an. »Könnt ihr nicht schneller rudern?« rief sie aufgeregt und tippte dem Schmächtigen der beiden Männer, die ihr den Rücken zuwandten, auf die Schulter. »Wir kommen ja kaum vom Fleck.«
»Die Gezeiten wechseln«, erwiderte er. »Wir geben uns die größte Mühe, die Herrschaften noch vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause zu bringen.«
Belindas Stimme wurde schrill, sie war der Verzweiflung nahe. »Rudert schneller, ihr Schurken! Ihr müßt euch vor meinem Herrn verantworten, wenn wir zu spät kommen.«
Der ältere der beiden Ruderer spuckte in den Fluß, vielleicht rein zufällig, doch der jüngere mit den graugrünen Augen erwiderte ruhig: »Kein Grund, uns die Schuld zu geben, wenn Ihr zu lange auf dem Jahrmarkt geblieben seid.« Er lächelte Perdita zu, und sie nahm sein Lächeln begierig zur Kenntnis, ohne auch nur den Kopf zu wenden und ihn anzusehen.
Im Boot hinter ihr quengelten ihre beiden Halbbrüder.
»Wir haben Hunger, Belinda«, jammerte Nicolas. »Warum hast du nichts zu essen mitgenommen?«
»Das Boot ist leck und voll Wasser. Wir gehen unter!« kreischte Ralph.
»Das ist alles deine Schuld, Perdita. Warum bist du auch so plötzlich verschwunden; wo hast du dich nur so lange herumgetrieben? Wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir schon vor einer Stunde zu Hause sein können«, schalt Belinda.
Der junge Ruderer blickte Perdita daraufhin eindringlich an. Er bemerkte die nachdenklichen, dunklen Augen in dem schmalen, klugen Gesicht, und um den Mund war ein Hauch von Unrast und mühsam zurückgehaltener Beherrschung zu erkennen. Das Gesicht des jungen Mädchens hatte trotz Samt und Spitze und des kostbaren Geschmeides um den Hals etwas Sehnsuchtsvolles, Hungriges an sich. Er kannte die äußerlichen Anzeichen und spürte sofort, wenn es einem Menschen an Zuwendung mangelte; egal ob auf den hochherrschaftlichen Anwesen in Hampton Court oder in den stinkenden Elendsquartieren an der Fish Lane.
Perdita reagierte gleichmütig auf Belindas Beschwerde. »Es gab so viel zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, daß es schon so spät war.«
Billy, der Page, der auf einem zusammengerollten Tau zu ihren Füßen saß, sah unbeteiligt geradeaus und gab mit keiner Miene zu erkennen, daß er aufmerksam zugehört hatte.
»Wo warst du überhaupt?« fragte Nicolas neugierig.
Sie lächelte gelassen. »Ich habe mir nur die Buden angesehen.« In Wirklichkeit hatte sie vom Jahrmarkt kaum etwas zu Gesicht bekommen; das war auch nicht ihre Absicht gewesen, als sie den kleinen Ausflug in die Wege geleitet hatte. Er bot ihr eine günstige Gelegenheit, dem Pagen Billy einige Auskünfte zu entlocken, die von ungeheuer wichtiger Bedeutung waren.
Sie mußte alsbald feststellen, daß der Bursche den Wert der Kenntnisse, über die er verfügte, sehr wohl kannte, auch wenn er ein ängstliches Gesicht machte. Der erste kandierte Apfel veranlaßte ihn lediglich zu der Bestätigung, daß er in der Tat etwas wisse. Die Aussage, daß ihr Vater sie zu verheiraten plane und bereits entsprechende Verhandlungen führe, kostete sie ein halbes Dutzend Korinthenbrötchen. (Soviel hatte sich Perdita auch selbst schon zusammenreimen können.)
Und wer stand als Bewerber in der engeren Wahl? Billy zögerte. Ihm war bewußt, daß alles im Leben seinen Preis hat. Und davon abgesehen konnte sein geschrumpfter Magen kaum mehr als das süße Gebäck und den kandierten Apfel verkraften. Perdita wurde ärgerlich und drohte ihm mit einer strengen Bestrafung, er aber ließ sich nicht erweichen.
Die Bude des Wahrsagers war ihr zur Hilfe gekommen. Perdita hatte dem Alten die geforderte Summe bezahlt, gestattete Billy indes nicht, sich aus der Hand lesen zu lassen, bis sie sich sicher war, daß er ihr alles gesagt hatte, was er wußte: Oliver Nash war der Auserkorene, ein wohlhabender Waffenschmied aus Coventry, ein Witwer mit drei Kindern, das älteste nur wenige Jahre jünger als Perdita. Sie erinnerte sich nun an den Mann, der dem väterlichen Anwesen eine Woche zuvor einen Besuch abgestattet hatte. Er machte einen freundlichen und umgänglichen Eindruck, obwohl er in ihren Augen ein wenig alt erschien. Vielleicht ein bißchen ungehobelt, aber sie konnte kaum erwarten, daß ein Mann von Stand und Bildung um ihre Hand anhielt. Und die Ehe würde ihr jene Achtbarkeit bringen, die ihr durch die uneheliche Geburt versagt blieb. Die Neuigkeit bekümmerte sie nicht sonderlich. Sie gestattete sich sogar den Anflug eines zufriedenen Lächelns. Und in der Zwischenzeit gab es ja noch den jungen Ruderer mit den graugrünen Augen und den breiten Schultern, unter dessen glatter Haut sich das Spiel der Muskeln abzeichnete.
Eine Barke, die sich mühsam ihren Weg flußaufwärts bahnte, wurde um Haaresbreite von einem Kahn gerammt, der mit einer Schutzplane abgedeckt war und geschwind flußabwärts mit der Strömung trieb. Rufe wurden laut, und ein Tumult brach los. Ihr eigenes Boot schaukelte heftig und geriet gefährlich in Schräglage.
»Herr, rette uns, wir ertrinken!« Belinda schlang angstvoll die Arme um ihren Körper. Die Ruderer riefen einander gutmütige Schimpfworte zu.
»Paßt doch auf, ihr Tölpel!« kreischten Perditas Brüder.
Billy, überfüttert von dem kandierten Apfel und den sechs Korinthenbrötchen, beugte sich über den Bootsrand und opferte den Inhalt seines Magens den Fischen. Nicolas und Ralph beobachteten ihn schweigend und fasziniert.
»Was hat der Junge nur wieder gegessen?« fragte Belinda.
»Seht doch!« Perdita wechselte unvermittelt das Thema. »Vater wartet schon auf uns. Bestimmt ist er wütend.«
Zwischen den Lastträgern und Ruderern, die untätig auf den Stufen der Westminster-Pier saßen, ragte die hochgewachsene, hagere Gestalt von Sir Richard Treveryan heraus, dessen dunkler Umhang im Wind flatterte.
Für einen kurzen Augenblick flackerte Hoffnung in Perdita auf. Er schien auf die kleine Gesellschaft gewartet zu haben, hatte sich vielleicht sogar Sorgen um ihren Verbleib gemacht. Besonders um sie.
Fast zehn Jahre hatte er die Familie nicht mehr auf Saltash besucht, nicht einmal heimlich; so lange hatte er in Frankreich in der Verbannung gelebt. Während seiner Abwesenheit hatte sie in ihrer Phantasie einen Vater erschaffen, der ihr allein gehörte, einen starken, klugen und freundlichen Vater. Einen liebevollen Vater. Aber es war ein Fremder gewesen, der sie vor drei Wochen, nach ihrer Abreise aus Devon, begrüßt hatte, und er war ein Fremder geblieben, kalt und verschlossen – zumindest ihr gegenüber.
Beim Anblick ihres Herrn hatte Belinda es schrecklich eilig. »Schneller, ihr Spitzbuben, schneller!« zeterte sie.
Sir Richard Treveryan stand auf den Stufen, den Kopf leicht nach hinten geneigt: als leidenschaftlicher Falkner waren seine Augen sehr häufig auf den fernen Horizont gerichtet. Er konnte der mürrischen Gesellschaft wenig abgewinnen, die sich ihm nun im Boot näherte.
Ihm wurde bewußt, daß er nur deshalb zum Pier gekommen war, um den Klagen seiner Frau zu entgehen, ihrer üblichen Litanei (zumindest seit ihrer Ankunft in London), daß sie sich unbedingt eine Kutsche zulegen sollten. Aber Treveryan, der jede Form der Einengung haßte, betrachtete Kutschfahrten als eine Tortur, die ihn zu ersticken drohte.
Er senkte den Blick und entdeckte sie. Perdita hob die Hand zum Gruß, aber es war bereits zu spät. Er drehte sich um und verließ mit weit ausholenden Schritten das Flußufer.
»Eure kostbaren Bälger sind wohlbehalten zurückgekehrt«, verkündete er seiner Frau in der ihm eigenen spöttischen Art.
Perditas Träume von einem Vater, der sie an der Bootsanlegestelle erwartete, zerplatzten wie eine Seifenblase. Sie kämpfte gegen ihre Enttäuschung an. Sie würde nicht zulassen, daß er sie so verletzte. Sie mußte lernen, genauso hart und kalt zu sein wie er. Der grüngesichtige Billy zwängte sich an ihr vorbei, um dem schwankenden Boot schnellstmöglich zu entfliehen.
Sie hob trotzig das Kinn und tröstete sich mit dem festen Händedruck des jungen Ruderers, der ihr beim Aussteigen half.
Wie alle eingefleischten Zyniker hatte Sir Richard Treveryan seine Freude daran, die Musterbeispiele männlicher Schwäche und Heuchelei zu beobachten. Als er gegen Ende des Sommers 1660 nach London zurückgekehrt war, herrschte, was dieses Vergnügen anbetraf, daran kein Mangel.
Als er zwei Jahre zuvor in die Hauptstadt des Landes gereist war, in geheimem Auftrag für Charles Stuart, hatte er sich bis zur Unkenntlichkeit maskiert. Hätte irgend jemand, dem er bei dieser Gelegenheit begegnet war, seine wahre Identität erraten, wäre er bei Cromwells Anhängern als Verräter und Spion entlarvt und hingerichtet worden. Aber nun, da der Monarch aus dem Exil zurückgekehrt und die Bande der Königsmörder ihrerseits zum Tode verurteilt worden war, erklärte jeder Londoner feierlich, er sei schon immer ein Royalist von echtem Schrot und Korn gewesen. Sir Richard galt nicht länger als Verräter und Rebell, sondern wurde als Held gefeiert.
Die Todesgefahr konnte ihn nicht sonderlich schrecken, und so überraschte es wohl kaum, daß er ebenso gleichmütig die Lobeshymnen zur Kenntnis nahm, die man nun plötzlich auf ihn sang. Oliver Nashe vermochte beispielsweise immer noch nicht die Ehre zu fassen, die Tochter eines Helden zu ehelichen, der in der Schlacht bei Worcester verwundet worden war. Einem Gerücht zufolge, das in Abrede zu stellen Sir Richard der Mühe nicht für wert befand, hatte er die Blessur davongetragen, als er den jungen König gegen Cromwells Schergen verteidigte und ihm somit seine aufsehenerregende Flucht ermöglichte. Was würden diese frischgebackenen Royalisten wohl sagen, wenn sie wüßten, daß es Langeweile und nicht die Treue zum Hause Stuart war, die ihn vor neun Jahren nach Worcester getrieben hatte? Wenn jeder Tag genauso öde und eintönig verrann wie der vorhergehende, dann war das Soldatenhandwerk, das Befehligen von Männern, die ihre Mitmenschen im Namen halb verstandener Ideale niedermetzelten, ein ebenso annehmbarer Zeitvertreib wie jeder andere.
Und die Verbannung, die andere Anhänger des Königs als so leidvoll empfanden, erschien ihm wie ein durchaus erträgliches Zwischenspiel. Er hatte stets die grobe Kleidung der einfachen Leute vom Lande den Rüschengewändern des Höflings vorgezogen. Den unerforschlichen Ratschlüssen der Staatsraison folgend, hatte er zuerst im Namen des Königs für Frankreich gegen Spanien gekämpft und war anschließend, mit der gleichen Hingabe und Entschlossenheit, mit den Spaniern gegen Frankreich zu Felde gezogen. Er empfand eine gewisse Befriedigung angesichts der Ausgewogenheit der Feldzüge auf dem europäischen Kontinent.
Jetzt, nach der Rückkehr in seine Heimat, vermißte er sogar in gewissem Maß die Freiheit, die er in der Verbannung genossen hatte. Er hatte in seinen Kleidern unter dem südlichen Sternenhimmel geschlafen und die reichen Jagdgründe in den Pyrenäen durchstreift. Und er hatte seine Frau und seine Kinder zehn Jahre lang nicht zu Gesicht bekommen – was an sich schon ein Segen war.
Treveryan stand am Ufer des Flusses und beobachtete das Skullboot, das sich langsam näherte. Als er hörte, wie seine Frau einen Diener anwies, die Kinder und Dienstboten in Empfang zu nehmen, hatte er sie mit dem Anerbieten überrascht, selbst nach ihnen Ausschau zu halten. Er liebte den Salzgeschmack des Windes und den schlammigen Fluß. Er zählte zu den wenigen Orten in der scheußlichen Stadt, wo er sich nicht auf Schritt und Tritt durch die aufgepfropfte feine Lebensart erdrückt und eingeengt fühlte. Glücklicherweise würde es nicht mehr lange dauern, bis er seinem Gefängnis entfliehen konnte. In zwei Tagen wollte er anläßlich seiner Audienz beim König darum ersuchen, sich nun endlich aufs Land zurückziehen zu dürfen. Seine werte Gemahlin konnte ja mit dem Gesinde und den Kindern folgen, wenn ihr der Sinn danach stand; oder es bleibenlassen.
Trotz der zunehmenden Dunkelheit war er nun imstande, die Reisenden im Boot zu erkennen. Er beauftragte einen Dienstboten, seine Frau von der Ankunft zu unterrichten, und ging seiner Wege.
Das Leiden, das ihn in Spanien während des Sommers ans Krankenlager gefesselt hatte, war einem gelegentlichen Anflug von Mattigkeit und dem wachsenden Bedürfnis nach einem guten Wein und gewissen venezianischen Elixieren mit schmerzstillenden Eigenschaften gewichen. Das Vergessen, der sanfte Dunstschleier, der die messerscharfe Klinge der Erinnerung und Erkenntnis umhüllte, die wohltuende Leere – das war alles, wonach er sich noch sehnte.
Kitty, Lady Treveryan, war verblüfft.
»Wie ist es dir nur gelungen, so viel herauszufinden?«
»Billy«, antwortete Perdita. »Ich habe ihm gestern auf dem Jahrmarkt den Besuch bei einem Wahrsager bezahlt.«
Kitty bedachte den dürren Pagen, der ihnen mit Päckchen beladen auf dem Fuß folgte, mit einem durchdringenden Blick. »Wenn du erst deinem eigenen Hauswesen vorstehst, Perdita, solltest du dir abgewöhnen, deine Dienstboten zu bestechen, sonst werden sie dir nie Achtung und Gehorsam entgegenbringen.«
»Ich beabsichtige, mich über die Vorgänge in meinem Haus auf dem laufenden zu halten, ohne mich derart erniedrigen zu müssen!«
»Hmm. Nun gut.«
Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bevor Kitty scherzhaft bemerkte: »Dann solltest du achtgeben und einen Mann heiraten, der weniger zur Geheimniskrämerei neigt als dein Vater. Mister Nashe scheint mir ein vernünftiger Mann zu sein.«
Bei der Erwähnung ihres Vaters schnaubte Perdita verächtlich. »Dem Himmel sei Dank, daß kein Mann so ist wie er!« brach es aus ihr heraus.
Kitty blieb stehen und rief Billy zu sich. »Trag die Pakete in unsere Unterkunft. Wir werden allein weitergehen. Hier entlang, Perdita. Und mach nicht so ein mürrisches Gesicht. Wenn Mister Nashe sehen könnte, daß du wie ein kleines Kind schmollst, würde er seine Meinung gewiß ändern, und du stirbst als alte Jungfer.«
»Das macht mir nichts aus.«
»Gefällt er dir nicht?«
»Wie kann ich das wissen? Ich habe den Mann schließlich nur ein einziges Mal gesehen.«
»Hmm. Er ist nicht unvermögend, das sieht man schon an seinen Kleidern, auch wenn sie ein wenig aus der Mode sind. Und eine kluge Ehefrau könnte sein Geld dazu verwenden, sein äußeres Erscheinungsbild zu verbessern.«
»Ich hatte gehofft, einen Mann zu finden, den ich liebe.«
»Liebe? Das ist ein schlechter Grund, um zu heiraten.«
Sieh mich an, hätte Kitty hinzufügen können, ich bin das beste Beispiel dafür. Als junges Mädchen war ich genauso darauf erpicht. Sie hatte sich so abgrundtief verliebt in den Fremden, der in ihr beschränktes Leben getreten war, daß sie den gesunden Menschenverstand und alle guten Ratschläge mißachtet und ihn an jenem sternenübersäten Heiligen Abend geheiratet hatte, als das Läuten der Glocken nach Saltash hinüberwehte und die Heiligen Drei Könige der Weihnachtsgeschichte das Sagen hatten. Schau mich an und laß es dir eine Warnung sein. Aber in die Vergangenheit abzuschweifen war nie Lady Treveryans Art gewesen.
»Ich hasse ihn!« Perdita brachte es nicht einmal übers Herz, ihn Vater zu nennen.
»Er ist gemein, grausam und herzlos, und er denkt nur an sich.«
Kitty nickte. »Habe ich dir nicht gesagt, was für ein Mann er ist?«
»Ja, aber ich dachte ... Seine räudigen Köter sind ihm wichtiger als sein eigen Fleisch und Blut! Für ihn zählt nichts anderes als seine eigene Person.«
»Wenn du willst, daß er dir Beachtung schenkt, mußt du ihn zwingen, mit dir zu reden.«
»Könntest du nicht zuerst mit ihm sprechen und ihm vorschlagen, mich anzuhören?«
»Hast du so viel Angst vor ihm?«
»Habe ich nicht. Ich rede noch heute mit ihm.«
»Dann viel Spaß.« Kitty langweilte sich bereits, ihr war der Gesprächsstoff unangenehm. »Ach, Perdita, nicht weit von hier befindet sich ein Laden, der wundervollen Brokat führt. Wenn du heiraten willst, wird es allerhöchste Zeit, den Stoff für einige neue Kleider auszusuchen, die du brauchen wirst.«
»Geh ohne mich. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.«
Kitty schürzte schmollend die Lippen und setzte den Weg allein fort. Nach ihrer Ansicht gab es nichts auf der Welt, was wichtiger sein konnte, als einen neu hereingekommenen Brokat zu begutachten. Doch am Ende der Straße hielt sie inne und drehte sich noch einmal um. Lady Treveryan, eine winzig kleine, zarte Frau, die nie schön gewesen war, beobachtete ihre Tochter einige Augenblicke lang, bevor die hochgewachsene Gestalt des Mädchens in der Menge untertauchte.
Eine vage, schmerzliche Erinnerung weckte in Lady Treveryan einen Anflug von Unbehagen. Sie setzte ihren Weg fort ...
Die Bandbreite der Gefühle, über die Kitty verfügte, war immer begrenzt gewesen, und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, war ihr fremd. Doch heute, im Gespräch mit Perdita, hatte sie so etwas wie echtes Mitgefühl empfunden. Wenn ihr überhaupt ein Mensch etwas bedeutete, dann war es Perdita, die Tochter, die ihr wie ein Geschenk des Himmels zugefallen war. Das Problem war, daß sie die Gefühlsverwirrung des Mädchens nur allzugut verstand das Gedächtnis war ihr stets zu Diensten, wo die Phantasie versagte. Die Leute kannten Kitty Treveryan als zänkische, reizbare Frau. Aber vor Jahren hatte es eine Schwachstelle in ihrem Wesen gegeben, die sie vor allen zu verbergen trachtete. Vor allem vor ihrem Mann, dem einzigen Menschen auf der Welt, der sie wirklich verletzen konnte. Sie wußte, wie es war, wenn das Herz an den granitenen Mauern von Richard Treveryans Gleichgültigkeit zerschellte.
Doch Kummer und Leid, ja selbst die Erinnerung daran, hatte sie immer tunlichst vermieden. Vielleicht war es nicht notwendig, eine Menge Geld für Perditas Garderobe zu verschwenden – schließlich waren ihre Kleider, eigens für die Reise nach London gefertigt, gut genug für Warwickshire, und Oliver Nashe konnte man kaum als Gentleman von erlesenem Geschmack bezeichnen.
Ein kalter Nieselregen wehte von der Themse herüber, aber Perdita, ganz in ihre eigenen trübseligen Gedanken versunken, nahm nichts davon wahr.
Sir Richard Treveryan arrangierte eine Ehe für sie, die besser war, als sie erwartet hatte, und sie wußte, daß sie eigentlich dankbar sein müßte. Doch alles, woran sie denken konnte, war, daß sie ihn oder ihre Familie nie wiedersehen würde, sobald sie im entlegenen Warwickshire ihrem eigenen Hauswesen vorstand. Ihre Mutter und Brüder würden sie vermissen, doch ihr Vater würde den Verlust eines seiner Lieblingsjagdhunde eher bemerken als den seiner erstgeborenen Tochter. Perdita, die ihr Leben bisher der Kunst gewidmet hatte, die Herzen der Menschen in ihrer Umgebung zu gewinnen, sann über ihre erste Niederlage nach.
Solange sie zurückdenken konnte, hatte ihr einziges Ziel seit frühester Kindheit darin bestanden, mit allen Mitteln die Zuneigung anderer zu erringen.
Ihre Erinnerungen an diese ersten Jahre waren verschwommen. Nach der Niederlage der Royalisten in Worcester hatte Richard Treveryan seine Ländereien und sein Vermögen verwirkt. Während er in Frankreich und Spanien dem Soldatenhandwerk nachging, kehrte seine Frau in das Haus ihres Vaters zurück, und Perdita, damals sieben Jahre alt, sah sich der größten Herausforderung in ihrem jungen Leben gegenüber. Kitty widmete sich der Aufgabe, den Parlamentsausschüssen die Zusage abzuringen, zumindest jene Besitztümer und Liegenschaften behalten zu dürfen, die sie mit in die Ehe gebracht hatte. Perdita war mit gleicher Entschlossenheit bemüht, den alten Herrn für sich zu gewinnen, der verlauten ließ, daß er dieses Kuckucksei niemals als seine Enkeltochter anerkennen werde. Ralph Jordan, Kittys Vater, war dem kleinen Mädchen mit dem schmalen Gesicht, den dunklen Augen und einem Lächeln, das jeden dahinschmelzen ließ, nicht gewachsen. Sie neckte ihn, wenn er vergnügt war, und hörte ihm aufmerksam zu, wenn ihm nach reden zumute schien. Wenn alle Mitglieder des Haushalts aus Angst vor seiner schlechten Laune auf Zehenspitzen umherschlichen, schickte man Perdita zu ihm, um ihn aufzuheitern. Und wenn er krank war, durfte allein Perdita, damals vierzehn Jahre alt, ihn mit ihren geschickten Händen pflegen.
Sie hielt seine Hand, als er starb. Perdita hatte Kummer empfunden, doch insgeheim auch einen Anflug des Triumphs. Der schwerste Kampf ihres bisherigen Lebens war ausgefochten und gewonnen.
Sie war aufgeregt, als ihr die ersten Gerüchte von der möglichen Rückkehr des Königs zu Ohren kamen. Nun würde auch ihr Vater nach Hause kommen. Und wenn der alte Jordan gelernt hatte, sie zu lieben, dann konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bevor sie auch Sir Richard Treveryans Herz im Sturm gewann. Von dem Augenblick an, als er in Blackfriars an Land ging, an jenem windigen, regennassen, rauhen Septembernachmittag, wußte sie, daß hier ein Kampf ganz anderer Art auf sie warten würde. Zum erstenmal in ihren sechzehn Lebensjahren verließ sie der Mut. Seine dunklen Augen schienen sie kaum wahrzunehmen. Sie sollte diese Augen fürchten lernen: Augen, die Geheimnisse verbargen, aber keinerlei Empfindung verrieten, Augen, die stets in die Ferne schweiften, als suchten sie am Horizont nach einem Zeichen, ob seine geliebten Falken vom Flug zurückkehrten.
Im Laufe der Zeit stellte sich in dem kleinen Haushalt, der vorübergehend ein beengtes Quartier in London bezogen hatte, eine Art Zusammenhalt ein. Kitty eröffnete ihm ihre Zukunftspläne betreffs des Anwesens, das sie im Anschluß bewohnen würden. Manchmal hörte er ihr zu. Selbst die Dienstboten hatten das Glück, ihm dann und wann ein Lächeln oder zumindest doch einen Tadel zu entlocken. Nur Perdita schien Luft für ihn zu sein, egal, wie bezaubernd sie ihn auch anlächeln mochte.
Doch warum nur? Während sie sich den Kopf zerbrach, um eine Erklärung für seine Kälte zu finden, kamen ihr nur vereinzelte Bruchstücke von Gerüchten in den Sinn, an die sie sich halbwegs erinnerte, aus dem Geschwätz der Dienstboten, die sich an kalten Winterabenden vor dem Herdfeuer in der Küche versammelten und sich die altüberlieferten Geschichten von Liebenden aus dem Reich der Geister und Dämonen erzählten. Und wenn sie das Kind schlafend wähnten, hatten sie im Flüsterton von Perditas Mutter gesprochen.
Ihre Mutter. Die Frau, die ihr den Namen Perdita gegeben hatte, als sie wußte, daß sie ihr Kind weggeben mußte, daß sie es verlieren würde. Die Dienstboten sprachen von einer Frau, die einen Mann geliebt, ihn verloren und ihr Leben während der Wirren eingebüßt hatte, die dem Bürgerkrieg folgten. Eine Frau, von der man mit ehrfürchtiger Scheu und mehr als einem Anflug von geheimer Furcht sprach. Perdita war zu der Schlußfolgerung gelangt, daß diese Unbekannte, die vor vielen Jahren gestorben war, noch immer die Liebe des Vaters in ihrem Bann hielt. Hexerei? Sie erinnerte sich an die geflüsterten Anschuldigungen, aber auch an Dorcas.
Wie hätte sie jemals die Dienerin vergessen können, die sie wie eine Mutter geliebt hatte? Dorcas hatte gesagt, ihre Mutter sei ein Engel gewesen; sie habe die arme Dorcas vor der Hölle gerettet und sei an gebrochenem Herzen gestorben. Und wenn Dorcas von ihr sprach, wiegte sie ihren Körper weinend hin und her.
Dorcas' Sinne hatten sich schon lange vorher getrübt, und Perdita begann bald, sie wie alle anderen zu hänseln. Doch jetzt vermißte sie die alte Dienerin. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, Dorcas wäre noch am Leben, damit sie ihre Fragen über die Mutter beantworten könnte.
Perdita seufzte. Fragen, nichts als Fragen, aber keine Antwort. Und warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt den Kopf darüber zerbrechen, wo sich ihr ein aufregender neuer Lebensabschnitt eröffnen würde? Sie war im großen und ganzen zufrieden bei dem Gedanken an eine Heirat mit Mister Nashe. Obwohl sie ihn nur flüchtig gesehen hatte, schien er ihr doch ein umgänglicher Mensch zu sein, und sie traute sich zu, ihn binnen sechs Monaten um den kleinen Finger zu wickeln. Und Warwickshire würde ihr die Möglichkeit bieten, noch einmal ganz von vorne anzufangen.
Sie blickte sich suchend um. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie zunächst nicht wußte, wo sie sich befand. Dann erkannte sie die Kirche St. Clement Dane und merkte, daß sie beinahe die ganze Länge des Strands hinuntergeschlendert war. Eilends machte sie sich auf den Rückweg zu den gemieteten Räumen in der King Street. Bevor sie sich in ein neues Leben stürzen konnte, mußten die alten Geheimnisse gelüftet werden. Eine dringliche und unerledigte Aufgabe wartete auf sie – und sie betraf Sir Richard Treveryan.
Perdita glättete ihr Kleid und strich das Haar zurück. Sie zauberte das einnehmendste Lächeln auf ihr Gesicht und holte tief Luft, bevor sie leise an die Tür klopfte und sie, nach einem barschen Herein, öffnete.
»Vater, kann ich Euch sprechen?«
»Ich habe zu tun.« Sir Richard Treveryan blickte nur kurz von dem Stapel Papiere hoch, mit dem er beschäftigt war.
»Ich werde mich kurz fassen, Vater.« Nun stand sie unmittelbar vor ihm. Perdita war noch aufgeregter, als sie gedacht hatte. Treveryan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und erwiderte brüsk: »Also gut, wenn es sein muß, aber beeile dich.«
Sie warf einen flüchtigen Blick zu Viney hinüber, den alten Diener, der Treveryan in die Verbannung begleitet hatte. Ein schmächtiger, dunkelhaariger Mann, der ebensowenig Interesse an den übrigen Mitgliedern des Haushalts bekundete wie sein Herr. »Ich möchte mit Euch unter vier Augen sprechen.«
»Aber wir sind ...«, und als er ihren Blick bemerkte, »... oh, Viney. Achte nicht auf ihn, Kind.«
Zu ihrer großen Überraschung kam ihr Viney zur Hilfe. »Ich hatte, mit Verlaub, Sir, ohnehin vor, Eure neuen Schuhe für den morgigen Tag abzuholen.«
»Nun, wenn es sein muß. Aber trödele nicht. Das Gespräch zwischen Perdita und mir wird nicht lange dauern.«
»Sehr wohl, Sir.« Und nach einem flüchtigen Blick auf sie, der sie verblüffte, weil er von einem ermutigenden Lächeln begleitet wurde, nahm Viney ein Paar hohe, lederne Reitstiefel und ging hinaus. »Also? Was hast du auf dem Herzen?«
Die plötzliche Erkenntnis, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben mit ihrem Vater allein war, überwältigte sie. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht, und sie starrte hilflos auf den hochgewachsenen Fremden, der vor ihr saß. Sein dunkles Haar war nun von weißen Fäden durchzogen. Seine Augen sahen sie drohend an. Sie schluckte.
»Es geht um ... um ... die bevorstehende Heirat.«
»Bisher ist noch nichts entschieden. Möchtest du etwas über Mister Oliver Nashe wissen?«
»Ja, Sir, aber nur ...«
Er schnitt ihr das Wort ab. »Nun, wenn es unbedingt sein muß: Die Verhandlungen gehen zufriedenstellend voran.« Treveryan starrte an die Decke und fuhr in gelangweiltem Ton fort: »Ich habe ihn für morgen abend zum Essen gebeten – er ist hoch erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Und wie du weißt, habe ich morgen früh eine Audienz bei Seiner Majestät. Er wird mir vermutlich Ehrungen zuteil werden lassen, die meiner Eitelkeit schmeicheln und ihn gewiß weit weniger kosten als mich der Wiederaufbau von Trecarne. Zweifellos wird Mister Oliver Nashe von meiner erstklassigen Verbindung zum Königshaus gebührend beeindruckt sein, und ich denke, daß sich dadurch der ideelle Wert deiner Mitgift entsprechend erhöht. Er ist wohlhabend und kann es sich leisten, großzügig zu sein und auf materielle Werte zu verzichten.«
Das Mädchen stand stumm vor ihm. »Ist deine Frage damit beantwortet? Ich habe zu arbeiten.«
»Und Ihr haltet große Stücke auf ihn?«
»Natürlich nicht. Aber der Mann ist auf seine Weise beschlagen. Er hat keine augenfälligen Laster, soweit mir bekannt ist, falls es das ist, was du befürchtest.«
»Nein, aber – ich würde gern wissen ...«
»Ich habe dir alles gesagt, was im Augenblick für dich von Belang ist.«
»Ich ... es ... es geht um meine Mutter.«
Treveryan rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. »Deine Mutter? Nun, sie ist unten und probiert einen neuen Hut für morgen an.«
»Nein, meine leibliche Mutter meine ich.«
Es folgte ein langes, abgrundtiefes Schweigen. Dunkelheit breitete sich allmählich im Raum aus, der nur durch ein schmales Fenster erhellt wurde, und Perdita konnte den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters nicht mehr erkennen.
Nach einiger Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, stand Treveryan auf und ging zum Kaminfeuer hinüber. Zwei Holzscheite, noch grün, knisterten in den Flammen.
Endlich sprach er. »Warum fragst du?«
»Ich bin neugierig ... schließlich war sie meine Mutter ...«
»Sie hat dich geboren, das ist alles. Selbst eine räudige Hündin ist dazu imstande. Die einzige Mutter, die du je hattest, ist meine Frau. Du bist undankbar, und das nach allem, was sie für dich getan hat!«
»O nein! Ich verdanke ihr alles, das weiß ich.« Perdita hatte es in der Kunst, mit Würde Dankbarkeit zu zeigen, schon in frühen Jahren zur Meisterschaft gebracht, doch konnte sie den ungeduldigen Gesten ihres Vaters entnehmen, daß jedes weitere Wort Zeitverschwendung wäre, solange er sich in einer solchen Stimmung befand. »Ich habe Geschichten gehört, seltsame Gerüchte ...«
»Kümmere dich nicht darum, Mädchen. Kein Wunder, daß dein Kopf voller Torheiten ist, wenn du dem Geschwätz der Dienstboten Beachtung schenkst.«
»Es waren nicht nur die Dienstboten, Vater. Auch andere haben darüber geredet, wenn sie meinten, ich könnte sie nicht hören. Als ich noch klein war, hat Lady Sutton einmal gesagt, meine Mutter sei eine – Hexe gewesen.«
»Das hat Alice behauptet?«
»Ich habe auch gehört, daß meine Mutter Eure Liebe ihren Hexenkünsten zu verdanken hat und daß es ihr auf die gleiche Weise gelungen ist, Eure Frau zu bewegen, mich in ihrem Haus aufzunehmen. Dafür gebar sie die Jungen, als Teil des Handels.« Sir Richard starrte sie ungläubig an. Sein Gesicht, das nie einnehmend im landläufigen Sinn gewesen war und tiefe Furchen aufwies, die von Langeweile und Verachtung zeugten, wirkte geradezu unheimlich, als im Schein des flackernden, orangefarbenen Feuers Schatten darauf fielen.
»Großer Gott! Es erstaunt mich immer wieder aufs neue, welch unsinnige Gedanken euch Frauen immerzu im Kopf herumschwirren.«
»Dann steckt in diesen Geschichten nicht das geringste Körnchen Wahrheit?«
»Erwartest du, daß ich diese Frage ernst nehme?«
Perditas Wangen glühten, als sie die Verachtung in seiner Stimme wahrnahm. »Und Dorcas hat gesagt, sie sei ein Engel gewesen.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, glaubte Dorcas, daß Kobolde dafür sorgen, daß die Milch sauer wird, und daß in den Bergen Amerikas Menschen mit zwei Köpfen hausen. Ich hoffe nur, daß Mister Nashe imstande ist, dir solche Flausen nach der Hochzeit auszutreiben.«
»Vater, Ihr seid ungerecht! Ihr weigert Euch, mir zu sagen, was ich wissen muß – und es gibt niemanden sonst, den ich fragen könnte. Was für eine Frau war sie? Bin ich ihr ähnlich? Warum hat sie mich verlassen? Und nun wollt Ihr mich auch noch loswerden, indem Ihr mich verheiratet. Ich lasse mich nicht wegschicken wie einen Dienstboten. Ich weigere mich ... ich werde Mister Nashe nicht heiraten, und wenn Ihr Euch auf den Kopf stellt ... Ihr müßt mir erzählen ...«
»Du hast Glück, daß ich dir deine Frechheiten nicht mit einer Tracht Prügel austreibe. Das geht entschieden zu weit ...«
Perdita brach in Tränen aus. Sir Richard blieb ungerührt. »Ein erstklassiges Schauspiel, das du da bietest. Vielleicht habe ich dich verkannt, und deine Zukunft liegt beim Theater. Nun, wenn du meinst, du müßtest unbedingt die Jungfer mit dem gebrochenen Herzen spielen, werde ich den Part des gestrengen Vaters übernehmen.« Er seufzte und ging zum Fenster; sein Profil zeichnete sich schwarz gegen den dämmerigen Himmel ab. »Still, Mädchen. Du erreichst nicht das geringste, wenn du dich so erbärmlich aufführst. Wenn ich mich mit Mister Nashe auf die Einzelheiten verständigt habe, steht der Hochzeit nichts mehr im Wege. Und wage es ja nicht, dich meinen Anordnungen zu widersetzen; es würde dir schlecht bekommen.«
»Ich lasse mich nicht einfach wegschicken.«
»Nein? Hast du etwa einen anderen Bewerber ins Auge gefaßt?«
»Nein.«
»Freut mich zu hören. Heutzutage wird viel Unsinn geredet über Liebe und Ehe. Liebe ist nichts als eine vorübergehende Schwäche, und eine Ehe braucht ein stärkeres Fundament, um die Jahre zu überdauern.«
»Habt Ihr nie geliebt?«
»Jetzt reicht es aber.« Ein warnender Unterton schwang in seiner Stimme mit. »Ich habe weiß Gott genug Geduld mit dir gehabt. Ein anderer als ich hätte seine Tochter schon längst hart bestraft für ihre Unbotmäßigkeit.«
»Manchmal denke ich, daß Ihr mich haßt, und das ihretwegen.«
»Wieder dieses dumme Hexengeschwätz?« Er lachte, trocken und grausam. »Oder ist dir Dorcas' Engel lieber? Nun, du kannst beruhigt sein, was diesen Punkt angeht. Sie war ein ganz gewöhnliches Mädchen. Man könnte sogar sagen, sie war – ein Niemand.«
»Sie hat Euch nichts bedeutet?«
»Wie kann mir ein Niemand etwas bedeuten? Sie war nichts weiter als ein angenehmer Zeitvertreib, dessen ich sehr schnell überdrüssig wurde. So wie ich deiner inzwischen überdrüssig bin.«
In seinen Worten schwang schneidender Hohn mit, und doch drang ein Hoffnungsschimmer durch Perditas abgrundtiefe Verzweiflung. Sein Hohn, der beinahe an Haß grenzte und so lange Zeit fortgelebt hatte, konnte nur von starken, ja leidenschaftlichen Gefühlen ausgelöst worden sein.
»Ihr lügt«, keuchte sie. »Ihr habt sie doch geliebt!«
»Hinaus mit dir!« brüllte er. »Du törichtes Weibsbild würdest es verdienen, ausgepeitscht zu werden!« Jeder Anschein von Gleichgültigkeit war plötzlich verschwunden. Er eilte mit weit ausholenden Schritten an ihr vorüber, und einen Moment lang dachte Perdita, er werde sie schlagen, aber statt dessen riß er die Tür auf. »Geh, und wage es nie wieder, davon zu sprechen!«
Perdita zitterte. Sie hatte Angst. Und sie triumphierte. Der harte, kalte Panzer, der ihn umgab, hatte Risse bekommen. Nicht viele, aber es reichte aus, um ihr zu zeigen, daß der Mann, der nun drohend vor ihr stand, das Gesicht häßlich und wutverzerrt, einmal imstande gewesen sein mußte, Kummer und Liebe zu empfinden. Sie war froh, als sie an ihm vorbei zur Tür ging. Doch während sie eilends den Raum verließ, erhaschte sie einen Blick auf sein Gesicht und in seine Augen, in denen sich ein so wilder Schmerz spiegelte, der weit tiefer wurzelte als sein Zorn und ihr den Atem verschlug.
Sie wußte nun, als sie sich ihren Weg durch die zunehmend dichteren Schatten des Abends bahnte, daß ihre leibliche Mutter – eine Frau, die seit langem unter der Erde ruhte, die weder eine Hexe noch ein Engel gewesen war, sondern eine ganz gewöhnliche Sterbliche, ein Niemand –, daß diese Frau seit Jahren einen Schatten auf ihr Leben warf und ihren Vater unverändert in ihrem Bann hielt.
Sir Richard Treveryan stand noch immer unbeweglich am Fenster, als Viney zurückkehrte, sich lautlos im Zimmer zu schaffen machte und die Kerzen anzündete. Viney sprach kein Wort; er kannte seinen Herrn lange genug, um zu wissen, daß man besser daran tat, sein dumpfes Schweigen nicht zu unterbrechen.
»Das törichte Mädchen glaubt, daß sie mir völlig gleichgültig ist«, murmelte Treveryan. Er lachte leise. »Wenn sie nur wüßte, wieviel Kraft es mich kostet, mich auf meine Vaterpflichten zu besinnen und gräßliche Stunden mit diesem Einfaltspinsel Nashe zu verbringen. Sie wollte sogar etwas über ihre Mutter wissen.«
Sir Richard seufzte. Er wußte, daß er seine Pflicht gerade eben vernachlässigt hatte; er war zu nachsichtig gewesen. Dieser Fratz hatte ihm die Stirn geboten, und er hätte sie bestrafen sollen. Und doch hatte er es nicht getan. Statt dessen war sein Zorn schnell verraucht. Neid, das war es. Als er seine Tochter anblickte, mit gerötetem Gesicht und ängstlich bei allem Trotz, hatte er sie tatsächlich beneidet. Sie war hitzig und unbeherrscht, aber sie war noch imstande, etwas zu empfinden.
Plötzlich wurde ihm bewußt, wie sehr er die Lust am Leben verloren hatte. Er fühlte sich alt, nicht körperlich, sondern müde und ausgebrannt. Nie mehr würde er sich dazu hinreißen lassen, aus vollem Herzen zu lachen oder zu weinen wie sie. Ein einziger Blick aus den Augen eines stattlichen jungen Mannes vermochte das innere Feuer gewiß stärker in ihr zu entfachen als eine ganze Nacht, die er in den Armen einer in den Liebeskünsten bestens bewanderten Hure verbrachte. Er neidete ihr sogar die Fähigkeit, Trauer zu empfinden.
Ihr Gefühlsausbruch hatte eine Glut geschürt, die er lange erloschen wähnte. Einige falsche Funken, aber keine echte Flamme. Merkwürdig, wie schwach ihr Aufbegehren wirkte. Obwohl er sich niemals eingehender mit dem Charakter seiner Tochter befaßt hatte, war er sicher, daß sie trotz ihrer beherzten Worte nicht den erforderlichen Mut besaß, sich ihm offen zu widersetzen.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter. Ihre Mutter, nach außen hin so pflichtbewußt, die während ihres bewegten Lebens in ihrer kleinen Welt nicht nur einmal, sondern zwei- oder dreimal einen Sturm der Entrüstung entfacht hatte.
Sir Richard erschien es seltsam, daß er sich kaum erinnern konnte, wie Perditas Mutter aussah. Es gab kein Bild von ihr, und die Tochter, die sie zur Welt gebracht hatte, besaß ungeheure Ähnlichkeit mit ihm.
Perdita, die Verlorene. Aber weniger verloren als vielmehr weggeworfen wie ein unnützes Spielzeug, dachte er.
Engel oder Hexe? Er runzelte die Stirn. Die Glut des erkalteten Feuers flackerte einen Augenblick lang auf, um gleich darauf zu erlöschen. Das alles war schließlich so lange her.
Alte Wunden schmerzen bisweilen, wenn die Jahreszeiten wechseln, und so erging es ihm. Wenn der Sommer den immer kürzer werdenden Herbsttagen Platz machte, empfand er manchmal eine unerklärliche Traurigkeit, den fernen Widerhall eines Kummers, der längst der Vergangenheit angehörte. Es war merkwürdig, daß in dieser Jahreszeit, in der die Schatten länger wurden, seine Gedanken besonders häufig nach Cornwall abschweiften. Vor allem im Herbst, dem in diesem Landstrich weder Anmut noch Schönheit anhaftete. Stürme aus dem Westen fegten die Blätter von den Bäumen der Eichenwälder, bevor sie auch nur die Gelegenheit hatten, die Farbe zu wechseln und den feinen Dunstschleier zu sehen, der wie ein weißer Bannfluch vom Meer heraufkroch und Jungen wie Alten gleichermaßen bis ins Mark drang.
Er würde nie wieder dorthin zurückkehren. Trecarne, sein prachtvoller Landsitz, war von einem Anhänger des Parlaments konfisziert worden, und obwohl er in Gegenwart des Königs sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht hatte, war er in Wirklichkeit froh, von dieser Bürde befreit zu sein.
Und doch hörte er in seinen Träumen den Wind in den Wäldern Cornwalls rauschen, und er lauschte der ewigen Melodie der Gezeiten. Und in diesen Augenblicken zwischen Träumen und Wachen vernahm er die Stimme einer Frau, die mit sanftem, gutturalem Tonfall der cornischen Bevölkerung seinen Namen sprach, und er sah ihre großen grauen Augen vor sich, die ihn anblickten und von ewiger Liebe sprachen ... und wenn das Bild vor seinem inneren Auge erlosch und die Gegenwart ihren Anspruch geltend machte, spürte er eine Verzweiflung, wie eine klaffende Wunde, als würde ihm wieder das Herz aus dem Leibe gerissen. Und an solchen Tagen erwachte er, von einem tosenden Schmerz erfüllt.
Engel oder Hexe? Er lachte höhnisch. Ein ganz gewöhnliches Mädchen, ein Niemand. Und doch war sie einige kurze Monate lang sein ein und alles gewesen. Es war wohl eine letzte Ironie des Schicksals, daß sie sich nicht das geringste aus ihm gemacht hatte.
Margaret ...
Die Hecken waren im September durchnäßt vom Tau, als die drei den schmalen Pfad entlangtrotteten, der von ihrem Elternhaus nach Porthew führte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und die Luft war klirrend kalt. Der kleine Tom, der zu früh aus dem Schlaf gerissen worden war, bettelte ununterbrochen um die Erlaubnis, auf dem Pferd reiten zu dürfen.
»Es ist genug Platz für mich«, quengelte er. »Ich kann mich neben die Körbe quetschen.«
»Auf dem Heimweg, Tom. Wenn Juno nicht so schwer bepackt ist. Sie ermüdet zu schnell, wenn sie große Lasten tragen muß.«
»Ich bin müde. Todmüde.« Seine Beschwerde zielte auf Margaret ab, die ältere der beiden Schwestern, die er ganz richtig als die nachgiebigere einschätzte.
»Nein, bist du nicht«, widersprach Lizzie unwirsch, denn auch sie empfand den Fußmarsch nach Porthew als beschwerlich und hielt nicht viel davon, in aller Herrgottsfrühe aufzustehen. »Du bist nur faul.«
Juno folgte in einiger Entfernung und bahnte sich vorsichtig ihren Weg zwischen den spitzen Steinen hindurch, die den Pfad säumten. Die Stute hatte wenig mit der Göttin gemein, deren Namen sie trug. Dürr und unansehnlich, mit großem Kopf und schmächtigen Schultern, ihr Fell fahlgelb, räudig und gefleckt. Doch galt sie als geduldig und arbeitsam, und Margaret liebte sie in gleichem Maß wie alle Tiere, die zum väterlichen Anwesen gehörten. Das Gehöft war vermutlich das einzige in ganz Cornwall, auf dem es von Göttern und Helden der griechischen und römischen Antike wimmelte.
Tom ließ nicht locker. »Sie schaut mich an. Manie«. schmeichelte er. »Sie fühlt sich einsam. Bitte, laßt mich auf ihr reiten. Ich bin doch so klein.«
Margaret lachte. »Klein, sagst du? Ein großer, kräftiger Junge wie du, der heute morgen schon einen halben Laib Brot verschlungen hat? Na komm, ich werde dich bis zur Kuppe des Hügels tragen, und von dort geht es bis Porthew nur noch bergab. Uff, was bist du für ein schwerer Klotz.«
»Er kann laufen, Mattie; du solltest ihn nicht so verziehen.«
»Oh, du bist auch nicht besser.«
Und Tom, der bisher immer geglaubt hatte, Gott, der Allmächtige, und sein eingeborener Sohn Jesus hätten ihm zwei wunderbare große Schwestern geschenkt, die dazu da waren, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, quietschte vor Vergnügen auf seinem luftigen Hochsitz. Margaret war groß und stark, und es machte ihr nichts aus, wenn er auf ihren Schultern saß.
Und dann ging die Sonne auf, und auf Tausenden von Spinnweben zu beiden Seiten des Saumpfades glitzerten Tautropfen, und eine Lerche erhob sich in den blaßblauen Himmel und stimmte ihren Morgengesang an.
Margaret strahlte angesichts des herrlichen Tages. »Hast du jemals einen so schönen Morgen erlebt, Lizzie?«
»Das sagst du jedesmal«, erwiderte die Schwester und strich die neuen Bänder in ihrem Haar glatt; sie war mehr mit ihrer eigenen Schönheit als mit der des Morgens befaßt.
Sie erreichten die Kuppe des Hügels.
»Runter mit dir, Tom. Sieh nur, da unten ist Porthew.«
Die Bucht schimmerte in der Morgensonne, und von Porthew tönte das Läuten der Kirchenglocken zu ihnen herauf. Sie konnten die Kirche sehen und die Boote im Hafen, und Menschen, die grüppchenweise in die kleine Stadt strömten, zu Fuß, zu Pferde oder in holpernden Karren. Heute war der größte Festtag des Jahres, der St.-Ewans-Tag.
Lizzie stieß einen Freudenschrei aus. Margaret dachte mit Genugtuung an den sorgfältig gepackten Tragkorb – an die braunen Eier in ihrem Strohbett, an die Butter, in frische grüne Blätter eingewickelt, an die rotbackigen Äpfel und die Gläser mit dem eingelegten Fenchel. Kein Tag im Jahr ließ sich mit diesem vergleichen.
»Werden wir einen Tanzbären sehen? Kann ich alles essen, was ich möchte? Fahren wir Boot?« fragte Tom aufgeregt.
»Großer Gott, ist dieser Junge lästig«, sagte Lizzie. »Er wird uns den ganzen Tag am Rockzipfel hängen. Wir hätten ihn zu Hause lassen sollen.«
»Keine Sorge«, tröstete sie Margaret. »Wenn wir die Hähne abgeliefert haben, stecken wir ihn in die Kiepe, klappen den Deckel zu und lassen ihn so lange drinnen, bis wir fertig sind.«
Vom Tal her schallte das morgendliche Kikeriki und Hundegebell zu ihnen herüber; Möwen krächzten im Hafen.
»Manie, du hast deinen Kragen vergessen!«
Margaret zog einen sorgsam zusammengelegten Kragen aus weißem Leinen aus ihrem Ärmel und breitete ihn über ihre Schultern aus.
»Zieh deine Haare heraus – so. Du siehst sehr hübsch aus!«
Margarets altes Kleid aus grauer Wolle wirkte mit dem weißen Kragen wie verwandelt. Sie lachte vor Freude über das Kompliment.
»Ich fühle mich wie Frau Gräfin höchstpersönlich.«
Lizzie tastete vorsichtig nach den neuen blauen Haarbändern, die von ihren haselnußbraunen Locken herunterhingen. »Und ich wie eine Königin«, erklärte sie feierlich.
»Kommt, wir müssen uns beeilen. Da ist Ambrose; er hält bereits nach uns Ausschau.«
»Schnell, Juno, lauf, sonst verpassen wir noch den Jahrmarkt.«
»Der Jahrmarkt, der Jahrmarkt!« Und Tom, vor Aufregung ganz aus dem Häuschen, rannte den Hügel schneller hinunter, als ihn seine dicken Beine tragen konnten. Er wäre sicher hingefallen, wenn ihn seine beiden Schwestern nicht an den Armen gepackt und mitgezogen hätten, lachend, keuchend und im Laufschritt, um sich der Landbevölkerung anzuschließen, die am St.-Ewans-Tag nach Porthew strömte.
Ambrose Treloar sah von der Radachse auf, die er gerade ausbesserte, und entdeckte die drei Gestalten, die vom farnbedeckten Hügel auf ihn zuliefen. Er grinste.
Da war Tom, klein und rund und vor Vergnügen jauchzend, und Lizzie, adrett wie immer und eine wahre Augenweide mit ihrem hübschen Gesicht und den kastanienbraunen Locken. Aber es war Margaret, auf der sein Blick haftenblieb: Margaret, hochgewachsen und stark und lebenstüchtig, mit ihrem offenen Lächeln, den grauen Augen und dem Haar, das reifem Getreide glich, Haar, das in diesen keltischen Breiten höchst ungewöhnlich war. Sie hatte es von ihrer Mutter geerbt, soviel er wußte, die von Gott weiß woher stammte.
Ambrose vergaß die Radachse und den Bauer, der neben ihm am Straßenrand wartete.
Manche Leute aus der Gegend begegneten Margaret Pearce wegen ihrer ausländischen Mutter mit Mißtrauen, wie er wußte. Nicht daß er zu denjenigen gehörte, die sich um solche Klatschgeschichten scherten. Ihr Vater war ein Vetter seiner Mutter, und so gehörte sie zumindest väterlicherseits zur Familie. Seine Mutter hätte Lizzie als mögliche Braut für ihn bevorzugt. Lizzie hatte das Glück, von seiten beider Eltern ein echtes cornisches Mädchen zu sein.
Es war noch gar nicht so lange her, daß Margaret und Lizzie, die sich in ihrem Äußeren wenig ähnelten, Schwestern geworden waren, Halbschwestern, genauer gesagt. Lizzies Mutter (frisch verwitwet) hatte Margarets Vater geheiratet (dessen Frau ebenfalls gerade erst verstorben war). Und bald darauf wurde Tom geboren, den beide abgöttisch liebten. Und Mattie und Lizzie waren einander mehr zugetan als alle leiblichen Schwestern, die er kannte.
Ambrose sann über die Probleme der Verwandtschaft und Liebe nach; die Radachse war inzwischen auf dem Amboß erkaltet und mußte ins Feuer zurück. Der Bauer, der draußen wartete, hatte es eilig, seinen Weg fortzusetzen. Noch ein Jahr zuvor hätte er Ambrose zweifelsohne die Leviten gelesen, aber es bedurfte schon eines unerschrockenen Mannes, um Ambrose Treloar heutzutage herauszufordern.
Der Bursche war bereits einen Kopf größer als alle anderen Männer im Umkreis – und es hieß, er besäße Stärke für drei.
Die Alteingesessenen erklärten, Ambrose gleiche zunehmend seinem Großvater, dem hünenhaften Walter Treloar, der einen Bogen spannen konnte, an dem sich jeder andere die Zähne ausbiß. Und jedes Jahr erinnerten sich die Leute erneut daran, wie sich am St.-Ewans-Tag ein wild gewordener Ochse losgerissen und sich brüllend einen Weg durch die Menge gebahnt hatte, wobei Menschen und Tiere schreckerfüllt auseinandergestoben waren. Nur Walter hatte sich nicht ins Bockshorn jagen lassen: Er ging seelenruhig zu dem wutschnaubenden Tier hinüber, stemmte es hoch in die Luft und trug es durch die menschenleere Straße in den Schlachthof zurück. Dort stellte er es auf die Füße und schlug ihm kräftig zwischen die Augen, um ihm die Faxen auszutreiben. Der Ochse, hieß es, war seit jenem Tag lammfromm.
In den vergangenen Monaten hatte Ambrose oft einen heimlichen Groll empfunden, wenn der Name seines Großvaters fiel. Es war an der Zeit für den jungen Treloar, mit einer eigenen Heldentat von sich reden zu machen. Insgeheim hegte er die Hoffnung, daß am heutigen Tag wieder ein wild gewordenes Tier ausbrechen möge. Er zweifelte nicht an seiner Fähigkeit, es mit einem wutschnaubenden Ochsen oder Stier aufzunehmen. Und Margaret wäre sicher tief beeindruckt.
In allen seinen Träumen von Manneskraft und Mutproben war Margaret Zeugin seiner Triumphe. Und in seiner Lieblingsphantasie war es Mattie selbst, die er rettet; ihre großen grauen Augen blickten ihn unverwandt und ergeben an, eine heißersehnte Folge ihrer Dankbarkeit und Liebe.
»Mutter schickt Euch Butter, Mistress Treloar.« Margaret holte vorsichtig die Schätze aus dem Tragkorb. »Und den Käse ... und Euch sind auch die beiden Hähne zugedacht; es sind ganz junge Tiere; sie werden ein Festmahl abgeben.«
Mistress Treloar beobachtete sie aufmerksam. Als sie sich sicher war, daß alle Gaben auf dem Tisch lagen, erwiderte sie: »Richte deiner Mutter meinen Dank aus, Margaret. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, wie es so schön heißt. Ich hoffe, daß es ihr gutgeht.«
»Ja, ich denke, obwohl ihr die Gicht in letzter Zeit arg zu schaffen macht, wie Ihr wißt, und sie nicht mehr viele Arbeiten verrichten kann.«
»Ja, ja, wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Bindet euer Pferd nur neben der Schmiede an, während ihr in die Stadt geht. Und jetzt kommt in die Küche, ich habe einen kleinen Imbiß vorbereitet. Ambrose, du kümmerst dich um die Hähne.«
Margaret zögerte; doch dann hob sie den Deckel des Weidenkorbs und holte zuerst den einen, danach den anderen Hahn hervor, die aufgeregt flatterten, als sie sie Ambrose überreichte. Er nahm sie entgegen und drehte ihnen mit einem einzigen Ruck seiner großen Pranken den Hals um, so daß die Köpfe schlaff herunterhingen.
Es war schnell vorüber, und er hatte saubere Arbeit geleistet, so daß sich Margaret nicht erklären konnte, warum sich ihr der Magen bei diesem Anblick umdrehte. Doch dann gelangte sie zu der Überzeugung, daß es weniger am Töten selbst lag, das unerläßlich war, wie sie wußte, sondern vielmehr an dem genußvollen Lächeln auf dem breiten Gesicht des jungen Schmieds.
Gestärkt nach dem Imbiß, der aus Brot und einem kleinen Krug Bier bestand, gingen Tom und seine Schwestern zur Schmiede neben dem Wohnhaus zurück, um ein paar Worte mit Ambrose zu wechseln, bevor sie die letzte Viertelmeile nach Porthew zurücklegten. Die Schmiede war zur Straße hin offen, und es war ein Vergnügen, dort in der Sonne zu sitzen, die ihre Gesichter wärmte, und die Vorübergehenden zu beobachten, die in kleinen Gruppen dem Markt zustrebten. Beinahe alle zählten zu ihren Freunden, Verwandten oder Bekannten, und sie tauschten lebhaft Grußworte aus.
Ambrose bog gerade einen Eisenstab zu einem Fleischerhaken, und Tom sah ihm gebannt zu, als der Hammer auf das Eisen traf und die Funken in das rußgeschwärzte Dach der Schmiede stoben. Ambrose arbeitete mit langsamen Bewegungen und wünschte sich, es wäre Margaret und nicht Lizzie, die ihren Kopf häufig nach ihm umdrehte, um ihm einen bewundernden Blick zuzuwerfen.
»Ihr dürft heute nachmittag keinesfalls den Ringkampf verpassen«, erinnerte er sie mit seiner dröhnenden Stimme.
»Nimmst du teil?«
»Und ob. Robert Trelyn aus Helston wird erwartet; niemand hat ihn in den letzten sechs Jahren besiegt.«
»Bist du stärker als er, Ambrose?« Lizzie warf ihm ihr betörendstes Lächeln zu.
»Mit Sicherheit. Ich kann jeden bezwingen.« Er nahm den abgekühlten Eisenstab auf und bog ihn mit seinen lederbehandschuhten Händen zurecht.
»Und du mußt dir die Aufführung ansehen«, sagte Lizzie. »Hast du gewußt, daß Mattie eine wichtige Rolle spielt?«
»Nanu?«
»Schweig, Lizzie. Ich bin mir sicher, Ambrose interessieren solche Dinge nicht.«
»Da täuschst du dich aber. Du weißt, Ambrose, daß Sir John Sutton unlängst zum zweitenmal geheiratet hat?«
»Das weiß doch jeder.«
»Nun, Pastor Weaver hielt es für eine gute Idee, ein Lob auf die Ehe in das Spiel einzufügen. Sozusagen eine Rede zu Ehren von Sir John; und weil er ein gebildeter Mann ist, meinte der Pastor, sei es keine schlechte Idee, sie in Latein zu halten. Also kam keine andere als Mattie für die Aufgabe in Frage, denn sie spricht Latein wie eine waschechte Römerin.«
»Latein? Soso«, grollte Ambrose. »Wozu soll das gut sein?«
»Es ist eine Ehrenbezeigung gegenüber Sir John und seiner zweiten Frau.« Margaret erklärte ihm die Gründe geduldig wie immer. Und wie immer wurde Ambrose zunehmend reizbar.
»Ich halte nichts von Latein, nicht das geringste. Das überlasse ich lieber den einfältigen Katholiken, die alles nachäffen müssen.«
»Aber Ambrose, die Römer haben schon Latein gesprochen, lange bevor es den Katholiken auch nur im Traum einfiel.«
»Alles Heiden. Verdammter Heidenkauderwelsch.« Ambrose ließ sich nicht dadurch beschwichtigen, daß Margaret die lateinische Sprache verteidigte. Sie machte sich bestimmt wieder lustig über ihn, wie damals, als sie ihn in der kleinen Schule von Gevatterin Erisey verspottet hatte. Sie war noch ein kleines Mädchen und er ein hoch aufgeschossener, ungeschickter Junge gewesen, der keinen Sinn in den rätselhaften Kritzeleien entdecken konnte, die sie mit spielender Leichtigkeit entzifferte. Und noch heute weckte sie in ihm das Gefühl, ein dummer Schulbub zu sein, obwohl er sie um einiges überragte und imstande gewesen wäre, sie mit einer Hand hoch in die Luft zu stemmen.
Tom, der in der Ferne ein lautes, donnerndes Geräusch vernahm, sprang vom Stuhl hinunter und lief auf die Straße. »Pferde!« schrie er. »Da kommen viele, viele Pferde. Und Reiter!« Margaret, deren Augen gedruckte Seiten bei Kerzenschein besser erkennen konnten als Dinge, die in weiter Ferne geschahen, machte nur eine Staubwolke aus. Doch Lizzie sah die Reiter ganz deutlich.
Die Gesellschaft wurde angeführt von einem lachenden, gutaussehenden jungen Mann, der einen großen Stulpenhut und Kleider aus feinstem Tuch trug. Ungefähr sechs oder sieben Herren und Damen folgten ihm – alle gleichermaßen prächtig anzusehen in ihren eleganten Gewändern, die sie eigens für den Markttag angelegt hatten auf Pferden, die sich von Juno unterschieden wie ein geschmeidiges Windspiel von einem Hofhund. Den Schluß bildete ein halbes Dutzend Bedienstete, die in respektvollem Abstand folgten; manche ritten auf Ponys, andere liefen hinterher, so schnell sie die Füße trugen.
»Da kommen die Suttons!«
Die Mädchen sprangen auf und schickten sich an, einen tiefen Knicks zu machen, wie man es sie gelehrt hatte, denn die Suttons waren Großgrundbesitzer, denen beinahe sämtliche Ländereien und Höfe im weiten Umkreis von Porthew gehörten, das kleine Anwesen ihres Vaters eingeschlossen.
Lizzie verbeugte sich besonders tief vor dem hübschen Sutton, der an der Spitze der Kavalkade ritt, doch er würdigte sie keines Blickes.
»Guten Tag, Treloar«, rief Sir John Sutton, als er vorüberritt, und Mistress Treloar lief aus dem Haus herbei und sank in einen so tiefen Knicks, daß sie nur mit der größten Mühe wieder hochkam.
»Oh, verflixt«, keuchte sie. »Ich habe die neue Lady Sutton überhaupt nicht richtig in Augenschein nehmen können. Das muß sie sein, dort, auf der kastanienbraunen Stute.«
»Ihr werdet sie später auf dem Jahrmarkt noch zu Gesicht bekommen.«
»Aber ich wollte die erste sein.«
Sie sahen der Reiterschar nach, die mit klappernden Hufen die Straße nach Porthew hinuntertrabte. Der Geruch nach geöltem Leder, Pferden und kostbarem Samt hing selbst dann noch in der Luft, als das leise Klirren des Zaumzeugs schon längst verhallt war.
»Ist Nicholas Sutton nicht ein gutaussehender Bursche?« stieß Lizzie atemlos hervor. »Habt ihr schon einmal so einen Hut gesehen? Oh, ich würde alles dafür geben, einmal so kostbare Kleider zu tragen, wie die Frauen sie haben!«
»Er ist gerade erst von der Universität zurückgekehrt«, erklärte Mistress Treloar, »und auch nicht sonderlich erfreut über die Heirat seines Vaters, wie ich gehört habe.«
»Sicher wird er selber bald auf Freiersfüßen wandeln«, warf Ambrose mürrisch ein. Ihm mißfiel die Aufmerksamkeit, die man diesem aufgeputzten Laffen widmete. »Und vermutlich hält er bereits nach einer netten, reichen Frau Ausschau!« Er knuffte Lizzie neckend in die Rippen.
»Ich wüßte nicht, warum er es auf eine Frau mit Vermögen absehen sollte«, entgegnete Lizzie. »Er besitzt doch selber genug. Man sollte ein Gesetz erlassen, das Reiche zwingt, Arme zu heiraten. Dann wäre der Wohlstand gerechter verteilt.«
»So ein Unsinn«, schalt Margaret. »Kommt, laßt uns gehen. Wir müssen noch einige Besuche machen, und ich wollte mit dem Pastor über die Rede sprechen.«
»Werdet Ihr zur Aufführung kommen, Mistress Treloar?« Lizzie war stolz auf ihre gebildete Schwester.
»Sie spricht Latein«, mischte sich Tom ein. Obwohl »Latein« für ihn jede Sprache war, die er nicht verstand, einschließlich eines cornischen Dialekts, der von einigen Familien in den entlegenen Gegenden im Westen des Landes gesprochen wurde.