Das Ende eines Traumes - Jorge Baradit - E-Book

Das Ende eines Traumes E-Book

Jorge Baradit

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Beschreibung

Salvador Allende gewann die Präsidentenwahl 1970 Mit dem Parteienbündnis Unidad Popular (UP) regierte er 1970 bis 1973 Schon vor dem Wahlsieg konspirierte die CIA mit der chilenischen Oberschicht gegen die UP-Regierung

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Gruselige Monster und Super Fieslinge Halten mich am Laufen verängstigt laufen

David Bowie

Inhaltsverzeichnis

Dank des Herausgebers

Vorwort

Vorher

Währenddessen

Der Aufstieg Pinochets

Die DINA, Chiles Abfallgrube

Das Vikariat der Solidarität

Neue Wirtschaftsordnung

Operation Rückkehr

Das Erwachen der Menschen

Die nationale Seele

Operation 20. Jahrhundert

Das Ende der absoluten Macht

5. Oktober 1988

Danach

Epilog

Bibliographie

Kurze politische Chronologie Chiles ab 1959

Kurzbiographie von Salvador Allende

Kurzbiographie von Augusto Pinochet

Danksagung

Danke an meine Freunde Martina Herold, die das Lektorat und die Überarbeitung der Deutschen Fassung übernahm sowie an Barbara Claußner und Dietmar Schulz, die einen Großteil der Übersetzungsarbeit leisteten. Dank an zahlreiche Freunde, die mit Ratschlägen geholfen haben, besonders Elfi Koch, Werner Müller und Gerhard Mertschenk.

Gedanken des Herausgebers

Sozialismus ist heute für viele junge Menschen in Deutschland gleichbedeutend mit Stacheldraht und Stasi. Die Idee von größerer sozialer Gerechtigkeit, für die das Wort eigentlich stand, ist in Vergessenheit geraten.

1970, vor über 50 Jahren, trat in Chile der Sozialist Salvador Allende Gossens nach seinem Wahlsieg an, einen Weg zum Sozialismus in voller bürgerlicher Freiheit zu beschreiten. Zu den ersten Maßnahmen der Regierung gehörte die kostenlose Ausgabe eines Liters Milch an arme Kinder. Seine Wähler und viele Linke in der ganzen Welt beobachteten sein Projekt mit Wohlwollen und Staunen. In den USA machten sich Regierung und Wirtschaftskreise, die ihre „Interessen“ bedroht sahen, schon vor der Amtseinführung daran, das Projekt zum Scheitern zu bringen. Es waren wirtschaftlicher Druck wie die widerrechtliche Beschlagnahme von Geld des chilenischen Staates, Finanzierung von Medienkampagnen gegen die Regierung, sowie die oft wiederholte Behauptung, kubanische und russische Truppen ständen zum Einmarsch in das Land bereit, aber auch Beteiligung an der Organisierung eines Militärputsches gegen die legal gewählte Regierung Allendes.

Schon 1967 hatte die US-Regierung eine Befragung unter den chilenischen Militärs in Auftrag gegeben, unter welchen Bedingungen sie möglicherweise bereit wären, „die Regierung zu übernehmen“. Den letzten Ausschlag für ihre Bereitschaft zum Putsch gab letztendlich ein Konzept, das ihnen ein Wirtschaftswunder in Chile versprach. Den geistigen Urheber des Konzeptes vom Neoliberalismus, den US-Ökonomen Milton Friedman, hatte das Magazin Time noch 1969 als einen Giftzwerg bezeichnet, dessen Ideen nicht umsetzbar seien. Mit dem blutigen Militärputsch vom 11. September 1973 in Chile wurde das Land zum „Laboratorium“ des Neoliberalismus, der trotzt seiner enormen negativen Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens auch heute noch das dominierende Wirtschaftskonzept ist.

Im Oktober 2019 war ich in Chile zu Besuch und geriet dort in den Sog des spontanen Protestes einiger weniger Schüler, der sich zu einem nationalen Protest von Millionen Chilenen ausweitete. Hauptziel des Protestes war ein brutales Wirtschaftssystem mit einigen Superreichen an der Spitze und einem Großteil der Bevölkerung am Rande des Existenzminimums. Sie leben mit schlechtem, weil privat finanziertem Gesundheitssystem, Bildungssystem, Altersversicherung, Wasserversorgung, öffentlichem Transport und vielen anderen Unzulänglichkeiten. All dies war in einer Verfassung festgeschrieben, die noch aus der Zeit Pinochets stammte. Danach beteiligten sich viele Chilenen an der Erarbeitung einer neuen, sozialeren Verfassung und hofften auf deren Annahme bei der Volksabstimmung am 4. September 2022. Aufgrund der massiven Medienkampagne stimmten 62% der Wähler gegen die neue Verfassung und damit bleibt die alte in Kraft.

Vorwort

Das Buch „Die Diktatur“ ist keine geheime Geschichte Chiles im engeren Sinne. Bei diesem Wort denken wir Chilenen eher an einen unangenehmen Geist, wie eine große Wunde durch das ganze Land; wir haben eine Reihe von widersprüchlichen Fragmenten und Versionen im Gedächtnis, viele davon allerdings heimlich gelesen.

Im Allgemeinen wissen wir nicht viel darüber, wie alles geschah, außer drei oder vier beschreibenden Sätzen der einen und der anderen Seite. Auch wissen wir nicht genau, wer verantwortlich war und wie viel von unserem Wissen eigentlich wahr ist.

Was ist wirklich vor dem 11. September passiert?

Wer waren die Köpfe hinter den Hawker Hunter Flugzeugen, mit denen der chilenische Präsidentenpalast, die Moneda, beschossen wurde?

Wie kam es von der Idee eines Staatsstreichs, inspiriert von einer nationalistischen Moral, zu dem Wahnsinn, Leichen in die Luft zu sprengen, um politische Gegner verschwinden zu lassen? Wie konnte die Armee, die von allen Chilenen bezahlt wurde, sich gegen ihr eigenes Volk wenden und es sechzehn Jahre lang mit vorgehaltener Waffe gefangen halten, Entsetzen verbreiten und das Blut ihrer Landsleute vergießen?

Wie ist es möglich, dass einige Bürger ihre Nachbarn und sogar Freunde denunzierten, wohl wissend, dass dies den Betroffenen den Tod bringen könnte?

Was geht durch die Köpfe so vieler Chilenen, die es bis heute in Ordnung finden, Tausende von Landsleuten getötet zu haben und sogar meinen, man hätte noch mehr töten müssen?

Wie konnte die Diktatur ein solches Ausmaß an Psychose auslösen, eine so unmenschliche Brutalität, Verfolgungen, Morde und Grausamkeiten gegenüber Männern, Frauen, sogar an schwangeren Frauen, an älteren Menschen und an Kindern, wie nie zuvor in unserer Geschichte?

War die Diktatur ein notwendiges Übel zur Stabilisierung des Landes nach der entstandenen Unordnung während der Allende-Regierung? Oder war sie ein im Voraus geplanter Putsch der Eliten angesichts der ersten historischen Bedrohung ihrer Macht?

Wie ist es möglich, dass nach dem Grauen, das ein enormer Teil unseres Volkes erlebt hat, ein anderer Teil erwartet, man könne vergessen, die Erinnerung tilgen und weitermachen, "NUR nach vorne blicken"? Kann man verstehen, dass man zu leugnen beginnt, dass all dies geschehen ist?

Diese Katastrophe, ein Einschnitt in unserer Geschichte, war viel mehr als nur eine rechtswidrige Machtdemonstration der Militärs. Es war ein wahrer Klassenkampf, in dem die Elite in unserem Land Terror säte. Sie haben Allende beschuldigt, eine proletarische Diktatur etablieren zu wollen, die Freiheit zu unterdrücken, die Wirtschaft des Landes umzuwandeln, eine einzige Ideologie zu installieren, und zwar mithilfe des bewaffneten Kampfes. Aber schließlich waren sie es, die all dies taten, diejenigen, die am 11. September 1973 mit Gewalt die Macht übernahmen.

General Pinochet beschritt den bewaffneten Weg zum Neoliberalismus, beseitigte bürgerliche Freiheiten und führte eine Diktatur an, die 16 Jahre lang der Ideologie des Terrors folgte.

Wenn sich zwei Gruppen mit so unterschiedlichen Weltanschauungen gegenüberstehen, wenn eine Gruppe auf Kosten der anderen begünstigt wird, resultieren daraus auch unterschiedliche Geschichtsdarstellungen und gegenseitige Vorwürfe, die Geschichte falsch darzustellen.

Meine Chronik basiert auf den Erfahrungen derer, die Angst hatten und besiegt wurden; es ist die Geschichte meiner Familie und vielleicht auch deiner. Es ist eine wahre Geschichte wie jede andere, denn am Ende ist die Geschichte nicht eine einzelne, sondern die Summe von mehreren. Hier gibt es am Nachmittag des 11. September weder Champagner, noch wirtschaftlichen Erfolg oder Vorteile. Es gibt Blut, Feuer und Tränen.

Ich hoffe, dieses Buch ist sowohl ein Beitrag für meine nächsten Angehörigen und Freunde, als auch für diejenigen, die diesen Zusammenbruch nicht erlebt haben. Vielleicht können die Leser durch die Lektüre besser verstehen, was wir auf der anderen Seite erlebt haben; vielleicht können sie sich auf diese Weise in unseren Traum von einem gerechteren Chile einfühlen, der schließlich zu einem Alptraum wurde.

Vielleicht verstehen sie nach all den Jahren, warum es so wichtig ist, immer und immer wieder über diese Geschichte zu sprechen, wie ein traumatisiertes Kind, das sich mit Hilfe der Psychologin an jedes Detail erinnert, erzählt, erklären muss. Denn erst, wenn wir alles verstanden haben, bis in die letzte Einzelheit, ohne etwas zu verbergen, können wir beginnen, den Alptraum zu überwinden, von dem wir noch nicht aufwachen können, weil er so voller Schmerzen, offener Wunden, Leichen und offener Gräber ist.

Viele in diesem Land sind immer noch wie Hamlet, der über den Mord an seinem Vater auch noch nach 45 Jahren weint, und auf dem Thron der Schatten des Usurpators.

Dieses Buch ist die Geschichte einer Tragödie. Es war nicht einfach, es zu schreiben, es war sehr schmerzhaft. Ich hoffe, es ist ein Beitrag, den Sie wertschätzen können, das Tal der Schatten beschrieben zu haben, durch das viele unserer Landsleute gegangen sind. Ich bin davon überzeugt, dass es keine andere Art und Weise gibt, die Zukunft aufzubauen, als die Vergangenheit fest im Blick zu haben. Andernfalls verurteilen wir unsere Kinder und Enkelkinder dazu, immer wieder die gleichen Fehler zu begehen.

Vorher

Es ist 1969, das ganze Land ist angespannt. Es waren interessante und überraschende Zeiten. Mein Großvater wurde geboren, als es weder Flugzeuge noch Telefone und kaum Autos gab. Er wuchs isoliert vom Rest einer Welt auf, die jenseits seines verschlafenen Dörfchens aufblühte. Plötzlich war alles anders, er bediente Geräte voller Knöpfe und Schalter, schaltete seinen Motorola-Fernseher ein, rief meine Mutter per Telekommunikation an, um sie zu erinnern, dass sie alles bereit haben solle, um die Ankunft des Mannes auf dem Mond zu sehen: eine Rakete hatte in drei Tagen den Weltraum durchquert.

Vor den Menschen dieser Generation sah niemand solch drastische Veränderungen in der Menschheitsgeschichte. Sie kannten Pferdefuhrwerke, Feldwege und den Tod durch eine einfache Erkältung, wie in den letzten Jahrtausenden. Plötzlich gab es ambulante Roboterchirurgie, die Raumfahrt und weltweite Telekommunikation. Die Zukunft war da. Sie hatten gesehen, dass sich alles verbesserte, dass die Technologie immer mehr Menschen rettete und eine bessere Welt entstand. Alles schien sich auf eine beschleunigte Aufwärtskurve des Wohlbefindens zu begeben, und vielleicht würde es zu einer Art perfekter Welt führen; es war nur notwendig, die Dinge ein wenig mehr zu beschleunigen, auch in diesem Land, das teilweise noch in der Zeit der Gutshöfe und des Feudalismus zu leben schien.

Man musste es wagen, wie all jene, die bereits in Kunst, Musik, Wissenschaft und Politik der 1960er Jahre tätig waren. In jenen Jahren dachte niemand daran, alte Moden, Nostalgie und Vintage wiederaufleben zu lassen, weil es zu viel Neues zu tun gab. Im Jahr 1969 schien sich die Welt auf den Weg zu den Sternen aufzumachen. Niemand konnte sich den Abgrund vorstellen, in dem wir uns vier Jahre später befinden würden.

Meine Mutter kam zu Großvaters Haus mit mir in den Armen. Ich war gerade einen Monat alt geworden. Trotzdem sollte ich munter bis zur Morgendämmerung auf ihrem Schoß sitzen und auf die rechteckige beleuchtete Mattscheibe schauen, wo die Zukunft zu sehen war, wo Männer in eigentümlicher Kleidung umherliefen, wie im Jenseits, Gespenstern gleich, fast schwimmend in einer anderen Welt. Oben, an der Wand, links neben dem Fernseher, befand sich ein schwarz lackierter Bilderrahmen, so schlicht wie die Chilenen der Mittelschicht, die sich des Überflusses, des Goldes und leuchtender Farben schämten; Chilenen, die in gleich aussehenden, schmucklosen Einheitshäusern lebten, alle ähnlich. In diesem Rahmen hing ein Foto von Salvador Allende.

Der Beginn der Diktatur, der 11. September 1973, war zweifellos eine Tragödie für viele Chilenen. Die Gründe, die das Land zu diesem Punkt geführt haben, werden noch immer diskutiert. Die Ereignisse sind von Mythen und Missverständnissen durchzogen. Nicht einmal die offizielle Geschichte ist fertig geschrieben und die Geschichte, deren Erben wir sind - wir, die sie erlebt haben - ist oft eine plumpe Manipulation der Geschehnisse. Noch heute ist es schwierig, eine zugängliche Darstellung der Gründe zu finden, die unser Land zu einem solchen Debakel geführt haben.

Vielleicht ist der erste Mythos, den es zu zerstören gilt, derjenige, der besagt, dass das Militär 1973 aufgrund der politischen Instabilität gehandelt habe, hervorgerufen durch das Wahlbündnis von linken chilenischen Parteien und Gruppierungen, der Volkseinheit (Unidad Popular, UP). Die Wahrheit ist, dass es Pläne zur Verhinderung einer Volksregierung gab, bevor Salvador Allende die Wahlen gewann, und deshalb die Unsicherheit größtenteils von den gleichen Leuten verursacht wurde, die später herbeieilten, um uns auf Biegen und Brechen zu retten.

Auch war dies kein Kampf von General Pinochet und der Armee gegen die chilenisch-marxistischen Guerillas. Es war nicht einmal der sich überschneidende Kampf zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, wie in Vietnam, bekannt als Kalter Krieg.

Dies war die konzertierte Aktion der Vereinigten Staaten von Amerika und der chilenischen Elite, um die politische Kontrolle über das Land zu behalten. Erstere waren daran interessiert, zu behalten, was sie als ihren Hinterhof betrachteten, frei von Linken. Die Zweiten suchten nach Erhalt ihrer Privilegien, die sie praktisch seit der Kolonialzeit genossen hatten. Die UdSSR war meiner Meinung nach nicht am chilenischen demokratischen Projekt interessiert und unterstützte es nie.

Die Elite und die USA nutzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel: Zwang, Täuschung, Bestechung, Massenpropaganda und ein unerschöpfliches Fass an Geld, um ihre Sache voranzubringen. Als Bestandteil ihrer Strategie griffen sie auf Terrorismus, selektive Morde, Industriesabotage, Lebensmittelverknappung, Hetzpresse, Wirtschaftsblockade, Korruption und alles Widerliche zurück, was du dir nur vorstellen kannst. Sie wurden von einem beeinflussbaren und ängstlichen Mittelstand, von Transportunternehmern, Berufsverbänden, Händlern und all denen unterstützt, die sich der kleinen, aber unglaublich mächtigen chilenischen Elite anschlossen. Die Idee war, ein Projekt zu torpedieren, das gegen ihre historische Herrschaft und gegen das anzugehen versuchte, was sie als "die richtige Art, das Land zu lenken" bezeichneten.

Aber auch ein Teil der Unidad Popular trug zum institutionellen Scheitern bei, insbesondere die Sozialistische Partei, und Gruppen der extremen Linken, die nie in der Regierung vertreten waren und Allendes Projekt ablehnten, wie die Bewegung der Revolutionären Linken (Movimiento de Izquierda Revolucionaria, MIR) oder die bewaffnete Gruppe Organisierte Vorhut des Volkes (Vanguardia Organizada del Pueblo, VOP). Diese Bewegungen waren der Meinung, dass dieses Scheitern nicht nur unvermeidlich, sondern auch wünschenswert war, um zu definieren, wer in Chile regieren würde: die Oberschicht oder das einfache Volk. Zu diesem Zweck wiegelten sie die Presse mit Drohreden auf, riefen zum Ungehorsam gegenüber der Regierung auf sowie dazu, die Aktionen zu radikalisieren. Sie sabotierten Allendes Wunsch, an seinem Programm festzuhalten, und suchten die Rechtsstaatlichkeit durch illegale und gewalttätige Aktionen zu zerstören. Sie forcierten eine Konfrontation, auf die sie selbst nicht vorbereitet waren.

Im Zentrum von allem stand Salvador Allende mit seinem Traum von der Vereinigung der Linken, mit dem Versuch, eine schizophrene Koalition zu regieren. Zu dieser Koalition gehörte einerseits die sehr loyale Kommunistische Partei, die Reformen im Rahmen der bestehenden Gesetze zur Anpassung an das Regierungsprogramm unterstützte, und zum anderen Allendes eigene Partei, die dies ständig sabotierte. Die Absicht, den Staat zu reformieren, um das einfach Volk aus dem jahrhundertealten Elend und der Hoffnungslosigkeit durch eine gewaltfreie Methode zu befreien, wurde weder von der Sowjetunion noch von Kuba unterstützt. Diese waren der Ansicht, dass dieses Experiment im Rahmen der bürgerlichen Verfassung die Aufmerksamkeit und die Kräfte der Arbeiterklasse nur von der wahren Revolution ablenken würde - von der bewaffneten.

Freigegebene Dokumente der Geheimdienste der Vereinigten Staaten bestätigen, dass jenes Land bereits bei den chilenischen Wahlen von 1958 und 1964 interveniert hat, um die Wahl von Allende und sein Projekt des „demokratischen Sozialismus“ zu verhindern.

In den 1960er Jahren haben die US-Amerikaner die Christdemokratische Partei, andere politische Gruppen, Radiosender und Zeitungen finanziert, um Anti-Links-Propaganda zu betreiben. Mindestens zweieinhalb Millionen Dollar gaben sie als Finanzierung für die Wahlkampagne von Eduardo Nicanor Frei Montalva und weitere drei Millionen für die Kampagne gegen Salvador Allende aus. Aber das Land befand sich auf einem unvermeidlichen Weg des Wandels, dem einer Nation, in der Elend, Ungleichheit und die Verwahrlosung der Volksmassen dringende Maßnahmen erforderten. Darüber hinaus hatte das einfache Volk den "Fehler" begangen, sich zu bilden und sich seiner Rechte bewusst zu werden; es war eine politisierte, gebildetere Generation, die in der Lage war, sich zusammenzuschließen, zu diskutieren und diszipliniert Aktionspläne zu verfolgen.

Das Land stimmte 1964 massenhaft für Frei Montalva, wollte aber tiefgreifendere Reformen. Die Nation brauchte eine Revolution und die Umfragen, die Presse und die öffentliche Meinung ließen die chilenische Elite und die Vereinigten Staaten spüren, dass die Möglichkeit, einen sozialistischen Präsidenten zu wählen, keine Utopie mehr war. Wenn die „Straße“ spricht, wenn sich eine halbe Million Menschen in der Alameda versammelt, um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, dann deshalb, weil etwas passiert. Wenn eine halbe Million Menschen demonstrieren, dann deshalb, weil echte Gründe für dringende Bedürfnisse und Träume dahinterstehen.

Die US-amerikanischen Institutionen lösten Alarm aus. In Chile begann die Elite der Unternehmer, ihre Sorgen und Ängste dem unbedeutendsten und konservativsten Teil unserer Streitkräfte, der Marine, näher zu bringen. Wie die Journalistin Mónica Yolanda del Carmen González Mujica in ihrem Buch "Die Verschwörung" (La Conjura, Santiago 2000) feststellt, begannen die Gespräche angesichts der Möglichkeit einer sozialistischen Regierung bereits 1967 in der "Bruderschaft der Küste". Der US-amerikanische Geheimdienst begann Mitte der 1960er Jahre im chilenischen Militär auszuloten, ob dies bereit wäre, einen möglichen Staatsstreich zu führen. Es wurden Zahlungen an Medien, chilenische Politiker und Parteien vorgenommen, um dem Anwachsen der Linken entgegenzuwirken. Die Journalistin Patricia del Carmen Verdugo Aguirre erzählt, wie die US-Regierung 1967 eine Studie von US-Soziologen unter Chiles hochrangigen Offizieren in Auftrag gab. Eine der Fragen war wortwörtlich: "Unter welchen Umständen, falls es diese geben sollte, glauben Sie, dass das Militär die Kontrolle über die Regierung übernehmen könnte?" Und das drei Jahre vor der Regierungsübernahme durch Allende und sechs Jahre vor dem Putsch.

In diesen Jahren kämpften die beiden großen Blöcke (USA und UdSSR) um die Vorherrschaft in der Welt. In Lateinamerika verließ sich die Sowjetunion auf soziale Bewegungen und bewaffnete Gruppen, während sich die Vereinigten Staaten auf wirtschaftliche Eliten und Armeen stützten. In den 1960er Jahren luden die Vereinigten Staaten Offiziere aus allen Teilen des Kontinents in ihre "School of the Americas" ein. In den Kursen wurden sie in den Bereichen Aufstandsbekämpfung, Verhörtechniken und Folter ausgebildet, erhielten aber im Grunde genommen eine Anti-Links-Indoktrination, falls die Zeit kommen sollte. Und dieser Moment kam nach einigen Jahren. In den 1970er Jahren wurde Lateinamerika fast vollständig von Militärdiktaturen regiert, an deren Regierungen die Offiziere dieser "Schule" beteiligt waren. Unter diesen war auch ein Chilene: Manuel Contreras Valdebenito, der zukünftige Direktor der Direktion des Nationalen Geheimdienstes (Dirección Nacional de Inteligencia, DINA) der schrecklichen chilenischen Geheimpolizei.

Dort wurde der Sinn der Streitkräfte verzerrt und pervertiert. Vom Verteidiger des Volkes und der Grenzen eines Landes wurde sie zu einer Polizei, die ihre Kanonen und Maschinengewehre gegen ihre eigenen Landsleute richtete, um den "inneren Feind", die Linke, zu beseitigen. Nach einer solchen Ausbildung wurde jede Armee zu einer kriminellen politischen Kraft, die die Demokratien zerstörte und aggressive totalitäre und lähmende Regierungen installierte.

Im Jahr 1965 war meine Schwester Marcela gerade erst ein Jahr alt geworden. Meine Mutter hatte sie mit siebzehn Jahren bekommen und später erzählte man mir, dass sie so klein war, dass sie in einen Schuhkarton passte. Mein Mütterchen war ein Fan des Sängers Fuentes Chicken, einer Art lokaler Justin Bieber. Chile war hinsichtlich seiner Mode in den 1950er Jahren stecken geblieben, war immer noch scharf auf Rock & Roll, Plisseeröcke, New Wave und dachte an die Fußball-Weltmeisterschaft von 62, die in Chile stattgefunden hatte.

Die Auswirkungen der Kubanischen Revolution 1959 auf Lateinamerika sind heute schwer zu verstehen. Während in Chile soziale Veränderungen Jahrzehnte und Ungerechtigkeiten Generationen brauchten, um überwunden zu werden, übernahm in Kuba eine Gruppe junger Bärtiger das Land und veränderte es mit Lichtgeschwindigkeit. Freie Bildung, Gesundheit für alle, Ende der Ausbeutung und soziale Sicherheit – all dies wurden mit Waffen erreicht.

Diese Idee verbreitete sich schnell über Amerika.

In Chile sah man nicht die Welle kommen, die mit Gruppen von jungen Leuten herannahte, die Veränderungen forderten und diese jetzt sofort wollten. Die MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria - Bewegung der Revolutionären Linken) wurde in Concepción gegründet und erklärte 1965 ihr Ziel, die kapitalistische Gesellschaft durch einen bewaffneten Volksaufstand zu besiegen. Sie wollten nicht mehr warten und alt werden wie die Patriarchen der Linken, die starben, ohne je Ergebnisse zu sehen.

Sie lehnten die friedliche Suche nach demokratischen Reformen ab, die die linken Parteien vorgezogen hatten. "Als ob die herrschenden Klassen irgendwann in der Geschichte freiwillig die Macht abgegeben hätten", sagten sie in ihrer Grundsatzerklärung. Es ist nicht zu leugnen, dass sie mit dieser Einschätzung Recht hatten, prophetisch, wie einige sagen würden.

Auch wenn sie immer eine Minderheitsbewegung waren, wurde ihre Stimme doch gehört und ihr Aufruf zum Aufstand elektrisierte die dünne Luft der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Überall tauchten linke Gruppen auf, die dringende soziale Veränderungen forderten; junge Menschen lasen Philosophen und Ideologen. Ihre Reden riefen dazu auf, die Welt mit Blumen, Musik und Waffen zu verändern; die Straßen waren gefüllt von Arbeitern, Fachleuten, Bauern, Maurern; Fahnen und Leinwände forderten Rechte für diejenigen, für die das Land bis dahin nichts getan hatte. All dies staute sich wie Hitze in einem Schnellkochtopf an, denn die historische Macht der chilenischen Oberschicht wurde bis dahin nie genutzt, um Prinzipien wie Gleichheit zu sichern, sondern immer nur, um notwendige Reformen zu blockieren, auch mit militärischer Gewalt.

Die chilenische Oberschicht wurde zur „Mauer“ statt zu einer „Straße“, sie konnte die Krankheiten und Gebrechen der Gesellschaft nicht lösen, und die Symptome nahmen zu, der Druck nahm zu und Forderungen nach Reformen und sozialer Gerechtigkeit führten zur Krise der Regierung von Frei Montalva, die sich als unfähig erwies und schließlich in der Wahl der Regierung Allende mündete. Es stimmt zwar, dass Salvador Allende Gossens 1970 keine absolute Mehrheit hatte, aber es wird vergessen, dass sich das Programm des chilenischen Politikers Radomiro Tomic, eines der führenden Christdemokraten, nicht so sehr von dem der UP unterschied. Die Zeiten erforderten tiefgreifende Veränderungen.

Unterdessen wurden jüngere Offiziere immer mehr mit radikalen Anti-Links-Gedanken indoktriniert. In allen Zweigen der Streitkräfte bildeten sie eine bedeutende kritische Masse. Alles steuerte auf eine Konfrontation hin. Einige wünschten sie herbei, andere versuchten, sie um jeden Preis zu vermeiden. Die Vereinigten Staaten sahen mit Besorgnis auf dieses kleine Land am Ende der Welt, wo große US-amerikanische Bergbauunternehmen die reichsten Kupferlager-stätten der Welt besaßen.

Als die chilenische Gesellschaft auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit "links" wurde und konservative Parteien an Boden verloren, pumpte Washington immer mehr Geld in die rechten und mittleren Parteien. Auf diese Weise begannen die USA, mit den Geschäftsleuten und Soldaten Kontakt aufzunehmen, die sich bereits in Chile organisierten. Eine linke Regierung war in ihrem Hinterhof nicht akzeptabel.

Im Jahr 1969 erreichte die aufgestaute soziale Gärung ein Niveau, das vorher selten zu beobachten war. Die Menschen sprachen auf den Straßen offen und überzeugend über Politik. Jeder wollte teilnehmen, etwas vorantreiben oder stoppen, aber niemand war gleichgültig. Die Bewegung hat die gut informierten Volksorganisationen überrascht, die wie nie zuvor mobilisiert wurden und sich voll engagierten. Alles war synchronisiert worden, und vielleicht würde der Traum endlich wahr werden, den Kandidaten der Ärmsten in den Präsidentenpalast, die Moneda zu bringen, gerade jetzt, als die Welt dafür bereit zu sein schien. Ganze Generationen hatten für diesen Moment gekämpft. Jugendliche hatte sich die Mailosung von 1968 auf die Haut tätowiert: "Seinen wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche."

Es war nicht so klar, wer diesen Prozess anführen, wer der Kandidat sein würde. Die Wahrheit ist, dass Salvador Allende als politische Leiche galt. Nach drei Wahlniederlagen scherzte sogar er, auf seinem Grabstein würde stehen: "Hier liegt der zukünftige Präsident Chiles". Nach einer nicht ganz einfachen Verhandlung, bei der er mit dem KP-Kandidaten Pablo Neruda konkurrierte - ja, Pablo Neruda hätte am 11. September 73 in der Moneda sein können - tauchte Chicho (der Spitzname von Salvador Allende) jedoch wieder als Bannerträger der Schwächsten auf. 1970 sah man zum ersten Mal Losungen an den Wänden mit der Aufschrift "Unidad Popular" und dem klassischen X von "Stimmen Sie für Allende".

Plakate und die Kalender zeigten den Schriftzug: "Allende Präsident". Mein Großvater und mein Vater wollten für ihn stimmen, aber meine Großmütter, fromme Katholiken, sahen ihn mit Misstrauen an. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter mütterlicherseits sich meinem Ohr näherte, um zu sagen: "Allende war ein Freimaurer", so, als würde sie mir ein schreckliches Geheimnis über jemanden mitteilen.

Jorge Alessandri wurde zum Kandidaten der Rechten gewählt, um sich diesem entscheidenden Moment zu stellen. Ein schwacher Kandidat, alt und ohne Begeisterung für die Verantwortung, die ihm auf die Schultern gelegt worden war, war er nicht der Gegner, den Allende verdiente. So wurde auf das Übliche zurückgegriffen: die alten Horrorgeschichten. Die UP verbrenne Kirchen, schicke Kinder nach Kuba zur Umerziehung, nehme den Menschen im Viertel der Wohlhabenden die Häuser weg, um sie den Arbeitern zu geben; die sowjetische Armee würde uns besetzen, und wir alle müssten uns so kleiden wie in China, sowie andere Fantasieblasen. Tausende von Kampagnen wurden bezahlt, und vielleicht war eine der am meisten in Erinnerung gebliebenen jene, bei der mehr als zweitausend Wände mit den Worten „EURE WAND“ bemalt wurde, was bedeuten sollte, dass Allende die Gegner dort erschießen würde, sobald er in die Moneda eingezogen wäre.

So schwitzte Washington und finanzierte die Propaganda, als Medizin gegen die Gefahr einer weiteren kubanischen Revolution in Chile.

Allende jedoch lehnte den bewaffneten Weg ab und rief zum Aufbau eines demokratischen Sozialismus auf.

Dem Kreml drehte sich dabei der Magen um.

Die Welt begann, verstohlen auf diesen "dritten Weg" zu schauen. Die Europäer fragten sich begeistert: Was ist da unten in Chile los?

Aber in unserem Land sahen die Umfragen Alessandri als Gewinner mit einer absoluten Mehrheit. Der rechte Flügel gab sich den Luxus, nicht einmal Kundgebungen abzuhalten, unter anderem, um die Schwäche seines Kandidaten nicht zu zeigen; so sicher waren sie sich. "Das Land ist der Linken müde", sagten sie, "das Land will Ruhe und Arbeit", wiederholten sie; "in Chile gewinnen wir immer", dachten sie.

Der 4. September 1970, der Tag der Abstimmung, war ruhig.

Meine Mutter musste am Lyzeum Nr. 2, der Mädchenschule von Valparaíso auf der Avenida Brasil, abstimmen. Die gleiche Schule, von der sie zwei Jahre zuvor abgehen musste, weil sie mit mir schwanger war. Mein Vater, der vierundzwanzig Jahre alt war, wählte an der Oberschule "Eduardo de la Barra", wo Allende selbst die Oberschule besucht hatte und wo er einen anarchistischen Schuhmacher namens Juan Demarchi traf. Dessen Erzählungen beim Schachspiel hatten einen Teil von Chichos politischen Obsessionen geprägt.

Sie alle kehrten nervös nach Hause zurück und warteten auf die Ergebnisse. "Sicher, Allende verliert wieder.", dachte man. Meine Mutter hat mir gestanden, dass sie für Tomic gestimmt hatte. Meine Großmutter hatte ein Problem mit den Kommunisten. Mein Onkel Lalo erzählte mir, dass er stundenlang am Radio gesessen und auf seinen Nägeln gekaut hatte. Ganz Chile hielt den Atem an.

Sollte etwa ein Wunder geschehen?

War es möglich, dass auf diesem Stück Land, das wir Chile nannten, schließlich nicht mehr der Besitzer regierte und eine seit hundert Jahren erträumte Utopie wahr würde?

Erträumt hatten sie die alten Bergleute, die Erschossenen in der Schule von Santa María und die Massakrierten in Salvador, die zu Fuß von Lota kamen, nach Jahren des Staubfressens in der Pampa, des Sterbens unter den Gewehren in Puerto Montt und des Verbranntwerdens in Punta Arenas.

Die Nacht des 4. September konnte man mit einem Messer schneiden. Das Land hielt den Atem an, bis die Dämmerung anbrach und eine Gewissheit zu wachsen begann. Ja, es scheint, dass wir gewinnen; es scheint, dass Allende gewonnen hat! Es kann nicht sein, nein, es muss eine Fehlmeldung sein. Nervöses Lachen erfüllte die Häuser der einfachen Menschen. Wir haben gewonnen? Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir gewonnen?

Die Radiosender fingen an, den Äther mit dieser Nachricht zu füllen.

Es hat sich bewahrheitet, entgegen allen Erwartungen: Salvador Allende hatte sich letztlich als Gewinner der Wahlen durchgesetzt.

Die einfachen Menschen gingen auf Straßen und Gassen, um zu schreien und zu tanzen. Mein Freund, Roberto Abara, sagte mir, dass er einen Freund umarmt habe und sie eine ganze Weile geweint hätten, bevor sie hinausgingen, um die neue Welt zu feiern, die sich für alle eröffnete. Das wunderbare Jahrzehnt hatte es wieder geschafft: nichts war unmöglich, weder den Mond zu erreichen noch einen sozialistischen Präsidenten in einem der konservativsten Länder Lateinamerikas zu wählen.

Es war kein gewöhnlicher Erfolg. Es war viel mehr als die Wahl eines anderen Präsidenten. Das einfache chilenische Volk lebte in absolutem Elend, ohne Zugang zur Macht und historisch unterdrückt mit brutalster Gewalt. Lange Zeit hatte es nicht einmal das Wahlrecht gehabt, um zumindest Vertreter zu wählen, die sich um ihre Not kümmerten. Diese Schicht der Bevölkerung war unsichtbar und ihre Toten waren bedeutungslos. Bergleute, Bauern, Arbeiter, Maurer, Lehrer; deine Großeltern und Urgroßeltern sahen mit Erstaunen, dass einer von ihnen, derer, die bisher übergangen wurden und die die Ausgestoßenen des Landes waren, in die Moneda einzog. Er sollte zum Präsidenten, zu ihrem Präsidenten, dem Genossen Präsidenten ernannt zu werden.

Die Schriftstellerin Isabel Allende sagte einmal, dass es wie ein Orgasmus unbeschreiblichen Glücks gewesen sei. Der Vater meines Freundes Alberto erzählte mir, dass er zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass er für sein Land bedeutsam sei, dass seine Existenz einen Wert hatte, dass er Teil einer Nation war, wo er vorher nur eben "leben durfte".

Allendes Anhänger folgten ihm nicht nur: sie liebten ihn, weil sich Allende sein ganzes politisches Leben lang für die Ärmsten engagiert hat. Er war ein ehrbarer Mann aus einer anderen Zeit, er durchlebte eine Art Romanze mit dem chilenischen Volk.

Es war also nicht nur ein Wechsel des Präsidenten. Das Programm der Unidad Popular versuchte, die Struktur des Staates zu verändern, um ein anderes Land aufzubauen. Es war ein Vorhaben, das darauf abzielte, die Macht umzugestalten, so dass sie nie wieder in den Händen einiger weniger zum Nachteil der Mehrheit liegen würde. Seine Umsetzung erforderte eine Mischung aus Schnelligkeit, Entschlossenheit und Unterstützung durch die Bevölkerung für noch nie da gewesene Maßnahmen. Es war ein äußerst ehrgeiziges Programm.

In den frühen Morgenstunden des 5. September ging Allende hinaus, um die Menge zu begrüßen, die in Jubel ausbrach. Aber er war besorgt, er hatte Angst, dass die Provokationen seinen Triumph trüben würden. Er bestand in seiner Rede mehrmals darauf, dass die Massen in Ruhe in ihre Häuser zurückkehrten.

"Ich sage Euch, geht mit der gerechten Freude über den erreichten fairen Sieg nach Hause. Heute Abend, wenn Ihr eure Kinder liebkost, wenn Ihr euch ausruht, denkt an das harte Morgen vor uns, wenn wir mehr Leidenschaft, mehr Zuneigung aufbringen müssen, um Chile immer größer und größer, das Leben in unserer Heimat immer gerechter zu machen…"

Das Undenkbare war geschehen. Die Rechte war fassungslos in einem Spektrum zwischen Wut und Angst. Einige Familien packten ihre Taschen und verließen das Land; sie waren ihrer eigenen Propaganda zum Opfer gefallen. Später kehrten sie zurück, als sie feststellten, dass es weder sowjetische Flugzeugträger in Valparaíso noch kubanische Guerillas im Nationalkongress gab. In dieser ewigen Nacht des 5. September 1970 folgten die Anrufe aufeinander; von den politischen Parteien bis zu Botschaften, von den Regimentern zu den Häusern vornehmer Geschäftsleute. Der chilenische Machtapparat brachte in diesen frühen Morgenstunden die Telefonleitungen zum Glühen. Zum Bespiel erhielt das Wahlkampfteam von Alessandri noch in derselben Nacht einen Anruf von einem hohen Chef der Kriminalpolizei (Policía de Investigaciones de Chile, PDI), um Hilfe bei allen Aktionen anzubieten, die Allende daran hindern könnten, das Kommando zu übernehmen. Es herrschte Angst.

Dazu kam, dass der Kandidat der Unidad Popular nicht mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte und daher auf die Bestätigung durch den Nationalkongress warten musste, wie es üblich war. Es war keine besondere Situation: Zwei Wahlen vorher hatte der rechte Kandidat, Alessandri Rodríguez, mit 32 Prozent der Stimmen gewonnen, 14 Punkte weniger als Allende 1970, und war ohne Aufheben bestätigt worden.

Zwischen dem 5. September und dem 24. Oktober, wenn der Nationalkongress die Entscheidung treffen würde, lebte das Land in einem fiebrigen Zustand voller Spannungen. Es begannen die Schreie und Drohungen der Rechten, die nicht akzeptieren wollten, dass sie die Kontrolle über das Land an einen Sozialisten verloren hatten. Weit weg, in den Vereinigten Staaten von Amerika, trommelte Nixon gegen Wände, schmiss Türen und schrie "dieser Hurensohn", womit er Allende meinte.

Kissinger hingegen erklärte unverfroren: "Ich verstehe nicht, warum wir ruhig bleiben sollten, wenn ein Land durch die Verantwortungslosigkeit seiner Wähler kommunistisch wird". Und dann endete er mit völliger Verachtung: "Was auf dem Spiel steht, ist zu wichtig für die Chilenen, um sie selbst entscheiden zu lassen."

Wenn gesagt wird, dass Allende wegen seiner Amtsausübung gestürzt wurde, dann muss man betonen, dass es der internationalen Rechten egal war, ob Allende gut oder schlecht war; ob seine Reformen funktionierten oder nicht. Nein, sie wollte verhindern, dass er an die Macht kommt. Alles war ihr egal. Sie hatte sich bereits vorher entschieden.

Am 15. September 1970 traf Nixon mit Agustín Edwards, dem Besitzer der Tageszeitung El Mercurio