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Alex, Kyra, Artus, Tyler und Kevin materialisieren am zweiten Ziel ihrer Reise. Erneut landen sie mitten im Chaos. Gleichzeitig bietet sich eine unerwartete Chance. Unterdessen treibt Merlin im Geheimen weiter seinen Plan voran, der die Verteidiger der Zuflucht bis ins Mark erschüttern soll. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018! Das Erbe der Macht erscheint als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.
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Seitenzahl: 154
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Sigilmagie
Was bisher geschah
Prolog
1. Wind über der Steppe
2. Missverständnisse
3. Die Nebel von Avalon
4. Die Ankunft
5. Der gefallene Engel
6. Allein
7. Friedhof im Nebel
8. Die Krypta
9. Die Besucherin
10. Sigilmagie
11. Jessica
12. Mamma Kent
13. Verloren
14. Das infernale Duo
15. Der Weg zum Herzen
16. Das vergossene Blut
17. Der Protego-Bund
18. Der erste aller Bäume
19. Akzeptiere den Schmerz
20. Johannes Fugger
21. Die grausame Wahrheit
22. Der Schutz des Waldes
23. Die letzten Schritte
24. Das Angebot
25. Das verlorene Sigil
26. Lebt wohl
Epilog
Vorschau
Seriennews
Glossar
Impressum
Das Erbe der Macht
Band 28
»Sigilmagie«
von Andreas Suchanek
Der Kampf zwischen dem Anbeginn, Merlin und den Widerständlern der Zuflucht geht weiter.
Die Magier der Zuflucht haben einen sicheren Hafen erreicht. Der mythische Kontinent Talanis bietet ihnen Zeit, Atem zu schöpfen. Sie entdecken die Weiße Krypta, in der die Träger der besonderen Essenzstäbe zu Rittern der Zitadelle geweiht werden. Max, Alana, Nikki und – nach ihrer Rückkehr aus dem Immortalis-Kerker – Annora sind die ersten vier Streiter für die Zuflucht. Nun gilt es, die verbliebenen drei Stäbe zu finden, um den Widerstand gegen Merlin und den Anbeginn weiter zu stabilisieren.
Mit dem Untergang des Immortalis-Kerkers können Johanna und Kleopatra unbeschadet in die Zuflucht zurückkehren. Endlich sind Leonardo, Piero und seine Mutter wieder vereint. Merlin konnte eine weitere Niederlage beigebracht werden. Niemand ahnt jedoch, dass auch er im Verborgenen längst seine Ränke schmiedet.
Gleichzeitig erreichen Alex, Kyra, Artus und Kevin ihr erstes Ziel. Im alten Venedig müssen sie sich gegen Contessa Farnese und Mordred behaupten. Diese haben die Stadt eingeschlossen. Mit der Hilfe von Tyler können die Gegner besiegt und der erste Bewusstseinssplitter von Jen in das Memorium extrahiert werden. Ihre Reise geht weiter. Ty, den nichts mehr in der Vergangenheit hält, schließt sich ihnen an.
Am Anfang war der Himmel.
Nun, ihr alle kennt bereits die Geschichte von !Nariba, der sein Knie verbrannte und aus der Asche den ersten aller Bäume schuf: !Kxare. Mächtig und weit, in seinem Schatten sollte fortan jeder Linderung finden.
Zahlreiche Legenden ranken sich um diesen ersten Baum, der die Gesellschaft der Kuyakunga begründete. Das Hexenholz wurde zu einem der drei magischen Eckpfeiler jedes Artefaktes. Handel und Diplomatie ließen mein Volk erblühen.
Bis die Gier, wie stets, das Schlimmste in den Menschen hervorbrachte. Als !Kxare litt und das Hexenholz versiegte, setzten sich ganze Armeen in Gang. Über Steppen und durch Wälder kamen sie auf den Kontinent und näherten sich unserem Reich, um sich alles zu nehmen.
Doch selbst in größter Not gewährte !Kxare jenen Schutz, die ihn am dringendsten benötigten. Jene, die wie feiner Wüstensand dem Wind ausgeliefert über die Steppe wirbelten.
Dadurch begründete sich eine neue Form unserer Gesellschaft, die weit in die Zukunft getragen wurde. Und so wurden wir Teil eines uralten Mythos, der eines Tages darüber entscheiden wird, ob die große Dunkelheit über uns alle kommt.
Etwas ging katastrophal schief.
Alex spürte, wie der Druck zunahm. Als stemmte sich ihr Ziel dagegen, dass sie durch die Zeit hindurch dort materialisierten. Kevin, der den Zeitring am Finger trug, brüllte auf. Er zuckte, schüttelte sich. Doch er ließ nicht los. Sie bildeten eine Einheit und würden das bis zu ihrem Ziel auch bleiben.
So der Plan.
Im nächsten Augenblick war es Kyra, die schrie. Sie verschwand, als habe ein Magier mit den Fingern geschnippt. Kurz keuchte Artus auf und war ebenfalls fort. Die Dunkelheit schien sie mit gewaltigen Augen zu betrachten, erkannte sie als Eindringlinge, die nicht hier sein sollten. Zeit war kostbar. Niemand durfte ungestraft mit ihr spielen.
Alex’ Finger lösten sich von Kevin.
Er war alleine.
Noch einmal waberte die Schwärze auf, dann flog er auch schon zwischen dichtem Gestrüpp hindurch. Es roch nach feuchtem Laub und Erde, in der Ferne erklang das Rascheln aufgescheuchter Tiere. Über ihm stoben bunte Vögel davon. Mit einem dumpfen Laut schlug Alex auf dem Boden auf.
»War das beim ersten Mal auch so?«, fragte Jen.
Ihr durchscheinender Körper materialisierte neben ihm. Er spürte, wie sich das Memorium um seinen Hals leicht erwärmte. Das magische Artefakt an der Halskette war die Heimat des ersten Geistessplitters von Jen. Endlich konnte er sie wieder sehen, mit ihr reden, ihre Präsenz spüren.
»Nein«, krächzte er. »Eigentlich sollte die Sache deutlich entspannter vonstattengehen.«
Im Reflex tastete er nach seinem Essenzstab, der natürlich nicht am Gürtel hing. Abgesehen von Artus’ Excalibur existierten die magischen Stäbe nur noch in der Vergangenheit. Oder als Noxanith-Varianten bei Merlin und seinen Jüngern. Die Stäbe der Macht gehörten in eine Sonderkategorie.
»Sieht aus wie ein Urwald.« Jen sah sich neugierig um.
»Kannst du eigentlich riechen?«, fragte Alex.
»Alleine nur sehen und hören. Aber wenn du einen Geruch wahrnimmst, erreicht der auch mich.« Sie ging in die Hocke und ließ ihre Handfläche einige Zentimeter über der Erde schweben. »Ich fühle etwas.«
Alex kam wieder in die Höhe. Er ging in Abwehrstellung, dazu bereit, jederzeit einen magischen Schutz aufzubauen. Doch es kam zu keiner Attacke. »Ich sehe schon einen Großwildjäger in Khaki-Uniform auf einem Elefanten heranreiten.«
»Du schaust zu viele Filme.«
»Wir haben 1840, da war das bestimmt gar nicht so unüblich. Je nachdem, wo wir sind.« Zugegeben, er wusste recht wenig über die Geschichte, geschweige denn die magische. »Warum können wir nicht einfach irgendwo ankommen, durchmarschieren und wieder abhauen.«
Er warf einen Blick auf sein Wisperarmband, das bereits die Kontaktsymbole für Artus, Tyler, Kevin und Kyra enthielt. Er fokussierte sich nacheinander auf die Freunde, doch es kam kein telepathischer Kontakt zustande.
Jen schwebte neben einem Baum, der von seiner Form an einen Affenbrotbaum erinnerte, und sah schöner aus denn je. Ihr Gesicht leuchtete, in ihren Augen lag ein energetisches Funkeln, das jeder Amazone zu Ehren gereicht hätte. Er sog ihren Anblick ein, wie ein Verdurstender in der Wüste. Wie gerne hätte er sie jetzt in eine Umarmung gezogen.
»Ich auch.« Sie lächelte.
Für einige Sekunden gab es nur die Geräusche der Tierwelt ringsum.
»Erinnerst du dich daran, wer wir in dieser Inkarnation waren?«, fragte Alex schließlich.
Jen schüttelte den Kopf. »Da ist gar nichts. Wir können nur hoffen, dass wir es überhaupt bis zum Ziel geschafft haben. Könnten die anderen zeitlich abgedriftet sein?«
»Keine Ahnung. Dieser dämliche Zeitring gehört in von Thunebecks Noxanith-Schredder, wenn du mich fragst.« Alex sah sich suchend um und kam zu dem Schluss, dass er von hier unten nicht einmal die Richtung festlegen konnte, in die sie sich schlagen sollten.
Er ließ seinen Finger durch die Luft wandern und erschuf aus bernsteinfarbener Essenz das notwendige magische Symbol. »Gravitate Negum.«
Der Wall würde in wenigen Jahren erschaffen werden, doch bis dahin floss die Essenz ungehemmt. Er nahm auch kein Essenzecho wahr, keinen Geruch. Es war die simple Art der alten Magie in einer rauen, einfachen Zeit.
Der Zauber ließ ihn in die Höhe gleiten, und durch leichtes Austarieren der Richtung landete Alex in den Baumwipfeln. Einen Fuß auf einen stabilen Ast gestellt, stützte er sich gegen den Stamm.
Vor ihm breitete sich das Blätterdach des Dschungels aus. Wie eine Ebene aus Grün, die dazu einlud, über sie zu flanieren. Ein Gefühl der Freiheit durchströmte ihn, als er tief die Luft in die Lunge sog.
In Blickrichtung saß ein Vogel neben einer kelchförmigen Blüte und stieß immer wieder mit dem Schnabel hinein.
»Also, verdursten werden wir schon mal nicht«, sagte Alex.
»Schau, dort vorne.« Jen deutete in Richtung Horizont, wo an einer Stelle etwas Großes im Dschungel gelandet zu sein schien. Äste waren zur Seite gedrückt worden oder abgebrochen.
»Könnte das ein Artus-Komet gewesen sein? Er ist ja ein Trampel, das würde zu ihm passen.«
Jen seufzte. »Schauen wir einfach nach.«
Er wollte sich abstützen und zum Ziel schweben, doch sobald er über die Baumgrenze hinausstieß, legte sich ein Gewicht auf seinen Körper und drückte ihn herab. Es blieb also nur die deutlich langsamere Möglichkeit, sich am Boden fortzubewegen.
Alex glitt hinab. Jen machte weiter auf Schwebemaid und begleitete ihn als durchscheinende Projektion eine Armeslänge über der Erde. Das war tückisch. Denn während sie einfach durch Geäst hindurchschwebte, knallten ihm die Zweige gegen das Gesicht, wenn er nicht achtgab. Was leider oft geschah.
Aus der Baumkrone heraus war die Entfernung überschaubar gewesen, am Boden zog sich das Ganze hin. Er musste über umgefalle Baumstämme klettern, nutzte Schlingpflanzen, um über kleine Abgründe zu gelangen, und wich einer ziemlich großen Schlange aus, die in der Sonne döste.
Nach einer guten Stunde erreichten sie die Lichtung. Sofort wurde deutlich, wie sie entstanden war. Auf dem Boden lag ein grauer, leicht geschuppter Körper.
»Kyra.« Alex ging neben ihr in die Knie. »Kannst du mich hören?«
Er führte einen Agnosco-Zauber aus, um den Grund für ihre Bewusstlosigkeit herauszufinden. Doch da war nichts.
»Wieso ist sie in ihre Ursprungsgestalt gewechselt?«, fragte Jen. »Das ist doch gefährlich. Gerade in der Vergangenheit.«
»Keine Ahnung. Das ergibt so wenig Sinn wie ihre Bewusstlosigkeit.« Er hätte einfach prophylaktisch einen Sanitatem Corpus ausgeführt, doch ohne Essenzstab konnte er nichts tun.
»Wir benötigen Excalibur«, sagte Jen. »Andernfalls kommen wir hier nicht weiter. Wenigstens verschlechtert sich ihr Zustand nicht.«
»Soweit wir wissen.«
»Sie liegt schon länger hier und atmet gleichmäßig«, merkte Jen an. »Ich glaube nicht, dass der Sturz verantwortlich ist. Etwas Magisches hält sie in diesem Zustand.«
Erneut erklangen die Geräusche des Waldes. Doch dieses Mal mischte sich etwas anderes hinzu. Geäst schwang beiseite, Laub raschelte.
Im nächsten Augenblick sprangen Krieger auf die Lichtung. Sie trugen Kleidung aus einfachem Stoff, Stiefeln und geschnürtem Leder. Ihre Muskeln traten dick hervor, die Essenzstäbe glühten.
Ihr grimmiger Gesichtsausdruck deutete darauf hin, dass sie nicht erfreut über den Besuch waren.
Während die kämpferische Geste der erhobenen Stäbe unmissverständlich war, konnte man das für die Worte der Krieger nicht sagen.
Glücklicherweise trugen sie eng anliegende Halsketten, die mit Bernsteinen geschmückt waren. Eine exotische Form der Kontaktsteine?
»Wer hat euch geschickt?!«, herrschte sie ein breitschultriger Mann mit wütend funkelnden Augen an.
Er besaß ein altersloses Gesicht, war schlank mit breiten Schultern. Sein Körper glich einer gespannten Bogensehne, schien ständig zum Kampf bereit. Das schwarze Haar fiel ihm in Rasterlocken bis auf die Schulter, farbige Bänder waren darin eingewoben. Sein weißes Schnürshirt spannte sich über den Muskeln.
»Wir kommen in Frieden«, begann Alex mit dem ungefährlichsten Satz. »Niemand schickt uns. Ich bin Alexander, und das ist Jennifer.«
Der Fremde blickte mit gerunzelter Stirn auf Jen, versuchte wohl einzuschätzen, ob sie eine Gefahr darstellte.
»Ich bin Ki’la«, erklärte er. »Ihr befindet euch unerlaubt auf dem Gebiet der Kuyakunga.«
Alex unterdrückte seine Verblüffung. Von diesem Volk hatte er bereits gehört. Nach ihrer Versöhnung hatte sein Bruder Andeutungen gemacht. Er konnte nicht viel sagen, weil ein magisches Tattoo ihn, Madison und Jason davon abhielt, Details zu offenbaren. Es war ihm lediglich gelungen, ›Kuyakunga‹ und ›Hexenholz‹ zu nuscheln. Danach hatten Kopfschmerzen bei ihm eingesetzt.
Immerhin, dass Alfie und seine Freunde damals lebendig von ihrer Mission zurückgekehrt waren, musste doch als gutes Zeichen gewertet werden.
»Welche Macht schickt euch?!«, forderte Ki’la zu wissen. »Und was habt ihr mit dieser Kreaturen zu schaffen?« Der Kuyakunga nickte in Richtung der schlafenden Kyra.
»Sie ist unsere Freundin«, sagte Jen.
»Ihre Aura ist alt und verdorben, der Odem eines längst vergessenen Zeitalters haftet ihr an.«
»Ja, die Sache mit den Vorurteilen.« Alex stellte sich schützend vor Kyra. »Niemand entscheidet sich dafür, wie er geboren wird. Sie hat bewiesen, dass sie auf unserer Seite steht. Wieso ist sie bewusstlos?«
Ki’las Wangen traten hervor. Doch kurz darauf entspannte sich sein Körper. Er gab den anderen ein Zeichen, sie ließen ihre Essenzstäbe sinken. »Wie unsere Botschafter bereits verkündeten, kämpfen wir mit Problemen. Deshalb wurden viele von ihnen gefoltert oder gar getötet. Wir können momentan kein Hexenholz liefern. Und hier«, dabei deutete er auf Kyra, »seht ihr auch, weshalb.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Jen. »Was hat das mit Kyra zu tun.«
»Es ist ein Rätsel von vielen. !Kxare ruft seinen Schmerz in die Welt, er brennt in unseren Träumen. Doch niemand weiß, warum. Etwas hat das Gleichgewicht zerstört. Und ohne den ersten aller Bäume verwelken auch die übrigen, Magie entartet. Bald wird es kein Hexenholz mehr geben. Verkündet das euren Herren!«
Alex stöhnte genervt auf. »Niemand hat uns geschickt. Wir sind keine Spione oder Krieger.«
»Das glaube ich dir sogar«, sagte Ki’la trocken. »Falls ihr es seid, wird euer Herr euch sicher aufgrund der Unfähigkeit bestrafen. Doch was sucht ihr dann hier?«
»Also, das ist kompliziert«, erwiderte Alex. »Wäre es möglich, an einem gastlicheren Ort darüber zu sprechen. Außerdem bräuchte Kyra Hilfe. Und irgendwo hier müssten noch drei weitere unserer Freunde herumgeistern.«
»Drei«, sagte Ki’la. »Nun, zwei davon sind bereits unsere Gäste.«
Er gab einer Kriegerin einen Wink, die in der eigenen Sprache einen Zauber wirkte. Kyras Körper erhob sich vom Boden. Flankiert von den Kriegern folgte Alex mit Jen Ki’la. Dieser bildete die Spitze und schien keinerlei Angst zu haben, ihnen als Fremden seinen Rücken zuzuwenden. Entweder waren in seinem Hemd spezielle Sicherungen eingebaut, oder sie waren stets im Visier eines möglichen Kraftschlags.
Der Illusionierungszauber von Venedig war längst aufgehoben, und Alex trug Jeans, Turnschuhe und Hoodie der Zukunft, was jedoch niemand zu interessieren schien. Auch Jen hatte sich diese Kleidung gewählt, aber vermutlich war ihre Erscheinung variabel. Kyra schwebte im typisch geschlechtslosen Grau ihres Wechselbalg-Körpers zwischen Gestrüpp hindurch.
Bereits nach wenigen Minuten erreichten sie einen schmalen Pfad, der durch das dichte Unterholz führte. Während die Sonne hoch am Himmel stand, herrschte hier unten Dämmerlicht. Der Geruch von feuchter Erde und Fäulnis war allgegenwärtig. Wasser tropfte von Blättern herab zur Erde, Schatten huschten durch das Grün. Das Leben war überall. Ebenso der Verfall.
Schweigend erreichten sie nach einer gefühlten Stunde und mehreren Wechseln zwischen verschiedenen Wegen ihr Ziel. Der letzte Pfad endete abrupt. Vor ihnen lag etwas, das Alex’ Atem stocken ließ.
Die Häuser der Kuyakunga waren in die Wipfel der Bäume gebaut. Hängebrücken verbanden die einzelnen Plattformen. Er sah Kinder, die leichtfüßig auf den Geländern herumtanzten oder sich an Lianen schwangen, ältere Männer und Frauen, die am Rand saßen und Pfeife rauchten oder einfach miteinander plauderten. Hier schien es nirgendwo Armut zu geben, die Gesellschaft wirkte stabil und kraftvoll. Hier und dort erkannte er Bernsteinelemente oder undefinierbare Apparaturen. In magischer Hinsicht waren die Kuyakunga eindeutig eine Hochzivilisation.
Ihr Eintreffen sorgte dafür, dass alle anderen sie mit großen Augen anstarrten. Ein Schatten schien auf das friedliche Idyll herabzusinken. Das Kinderlachen verstummte, Eltern scheuchten ihren Nachwuchs in die Hütten.
Es schmerzte Alex, dass sie dafür verantwortlich waren. Alles, was er wollte, war Jens zweiter Seelensplitter. Dann würden sie verschwinden und die Kuyakunga wieder sich selbst überlassen.
Eine junge, aufgebracht dreinblickende Frau kam herbeigeeilt.
Überhaupt war dies anscheinend das Standardgesicht der Krieger und Kriegerinnen.
»Ro’li«, sagte Ki’la. »Was ist geschehen?«
»Sie sammeln sich. Es ist eine riesige Armee.«
»Wer?«
»Königshäuser Europas«, sagte sie kurz angebunden. »Aber ich habe auch Kriegselefanten aus Indien entdeckt.«
»Eine Allianz.« Ki’las Fassade bröckelte, er wirkte schockiert. »Dem sind wir nicht gewachsen. Nicht ohne die Hilfe !Kxares.«
»Wir sind mitten in einem Krieg gelandet.« Alex realisierte erst kurz darauf, dass er laut gesprochen hatte.
»Der Rat wird euch prüfen«, sagte Ki’la. »Noch bleibt endgültig zu beweisen, dass euer Auftauchen zufällig geschah. Genau jetzt.«
»Spione?« Ro’li warf Alex einen mörderischen Blick zu. »Welche Art der Magie hat sie direkt in das Herz unseres Reiches getragen?!«
»Ein dummer Zufall.« Er dachte gar nicht daran, sich eine weitere Blöße zu geben. »Aber das lässt sich bestimmt aufklären.«
»Falls ihr mit den Armeen zusammenarbeitet, ...«
»Tun wir nicht.«
»... werdet ihr nicht lange genug leben, um euch einen Ausweg zu erlügen.«
Alex seufzte innerlich. Wie sollten sie beweisen, dass sie eben nicht mit den Feinden der Kuyakunga zusammenarbeiteten? Es mussten natürlich auch ausgerechnet europäische Fürstenhäuser sein. Gut, die waren es ja ständig gewesen.
»Ihr bräuchtet einen vernünftigen Schutz, der das alles hier vor der Außenwelt verbirgt«, sagte Alex.
Immerhin, sobald der Wall bestand, würden die Kuyakunga vor Nimags oder irgendwelchen Streitmächten sicher sein. Und das zukünftige Sicherheitskonzept funktionierte bestens.
»Sag uns nicht, was wir zu tun haben!«, blaffte Ro’li.
»Hey. Nicht eure Feinde«, wiederholte er.
Ein Rauschen erklang, nur Sekunden bevor ein wütender Tyler mit ausgebreiteten Essenzschwingen auf sie herabschoss und zum direkten Angriff auf die Krieger der Kuyakunga ansetzte.
So also fühlte es sich an, in einer menschenleeren Stadt auf dem Dach eines Hauses zu sitzen und den Mond zu betrachten.
In der Ferne verschwand soeben die abgebrochene Spitze des Eifelsturms im Nebel. Sie würde nicht zurückkehren. Nichts kehrte jemals zurück.
»Uns läuft die Zeit davon.« Chloe betrachtete machtlos, wie das Gerippe eins wurde mit der grau-weißen Wand.
»Denkst du, sie arbeiten daran, uns zu helfen?« Clara strich sich eine Strähne des dunklen Haares aus der Stirn. In diesem Augenblick wirkte sie wieder wie der Bücherwurm, der sie einst gewesen war.
Längst war sie auch Abenteurerin, Kriegerin, Teil der Schattenfrau und darüber hinaus sowieso eine der besten Magierinnen, die Chloe kannte.
»Vorausgesetzt sie wissen überhaupt, dass hier alles zusammenbricht«, erwiderte sie. »Als Alex über die Brückenverbindung nach Antarktika zurückgekehrt ist und Artus kurz darauf hinterher, gab es hier noch keine Probleme.«
»Sieht man davon ab, dass jede lebende Seele tot am Boden lag«, konterte Clara.
Der Weg in Morganas Splitterreich war eine letzte Möglichkeit gewesen, Antworten zu finden. Hier, unter dem Herrenhaus, lag die Bibliothek von Camelot. Das Überbleibsel des alten Königreichs. Doch jetzt saßen sie hier fest. Ohne Verbindung zu ihren Freunden, den Unsterblichen oder überhaupt irgendwem.
Morgana hatte ihren Geist in Trance versetzt und zumindest herausgefunden, dass die Welt noch existierte. Antarktika allerdings war gefallen. Der Kontinent wurde vom Anbeginn beherrscht und die Zitadelle erschüttert. Die Magie fand neue Strukturen, alte Magie verging. Ein Splitterreich nach dem anderen fiel dem Chaos anheim.
Morganas Kraft und die Macht der Sigile hielt alles hier stabil. Bisher. Seit einigen Tagen breitete sich jedoch der Nebel aus.
»Wie soll man gegen etwas kämpfen, das jeder Magie widerstehen kann«, fragte Clara.
»Höre ich da etwa Trübsinn?«, neckte Chloe.
»Ich erinnere mich da an eine gewisse Magierin, die zur Erinnerung an alte Zeiten unbedingt ein Lagerfeuer entzünden und Marshmallows hineinhalten wollte.«
»War es nicht schön?«
»Sieht man davon ab, dass die Winzlinge es bemerkt haben und schließlich alle rings um uns herum saßen.« Clara schürzte die Lippen. »Am Ende war ein Vorhang angekokelt.«