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Ein Dinner im Hause Holt steht an, bei dem Danielle sich von ihrer besten Seite zeigen muss. Auch der Bürgermeister ist anwesend, will ihr Vater doch wichtige Geschäfte besprechen. Der Abend endet allerdings im Chaos, als Bewaffnete das Anwesen stürmen und Danielle und ihre Mutter entführen. Während Mutter und Tochter dem Tod ins Auge blicken, kommt es zu einer lang ersehnten Aussprache. Unterdessen ermitteln Mason, Olivia und Randy - nicht ahnend, dass ihre Freundin sich in Lebensgefahr befindet - weiter im Mordfall Marietta King. Es gilt, die Identität des Kindes aufzudecken, das irgendwo in Barrington Cove leben soll. Dies ist der vierte Roman aus der Serie "Ein MORDs-Team."
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Seitenzahl: 149
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Table of Contents
Ein MORDs-Team
Was bisher geschah
Barrington Cove, 1984
Barrington Cove, Gegenwart
Tarnowski-Haus, Der geheime Raum
Die Villa der Holts,
Innenstadt, Im Laden »BUCHstaben«
Barrington Cove Gazette
Das Anwesen der Familie Holt
Tarnowski-Haus, Im geheimen Raum
Barrington Cove Hospital
Irgendwo auf einem Boot
Seniorenwohnheim »Zur rüstigen Eiche«
Zur gleichen Zeit
Haus der Familie Collister
Irgendwo auf einem Boot
Tarnowski-Haus, Im geheimen Raum
In der Seniorenresidenz »Zur Rüstigen Eiche«
An Bord der QUINTUS
Barrington Cove, der Hafen
Irgendwo
Der Hafen von Barrington Cove
Im Haus der Familie Collister
Epilog I – Das Spiel geht weiter
Epilog II – 1984
Vorschau
Nachwort
Impressum
Band 4
»Gefährliche Spiele«
von Andreas Suchanek
1984: Die fünf Jugendlichen Harrison, Marietta, Jamie, Shannon und Billy brechen in ihre Highschool ein, um die Prüfungsfragen eines landesweiten Tests zu stehlen, der am nächsten Tag stattfinden soll. Der Einbruch gerät zum Fiasko. Harrison, der in der Aula Wache hält, beobachtet einen Unbekannten, der mit einem Super-8-Film das Gebäude verlässt. Gleichzeitig werden Shannon und Jamie in einer Putzkammer eingeschlossen. Es folgt eine Kette aus Ereignissen, an deren Ende Marietta King stirbt. Was geschah in jener Nacht?
Gegenwart: Mason, Olivia, Randy und Danielle finden im Verlauf eines gefährlichen Abenteuers unter dem Haus des verstorbenen Schriftstellers Billy Tarnowski einen geheimen Raum. In ihm sammelte der Schriftsteller Unterlagen zum Fall Marietta King, in den auch er selbst, der Vater von Mason (Jamie) und die Mutter von Danielle (Shannon) verwickelt waren. Gemeinsam wollen die Freunde den Mordfall aufklären.
Die ersten Spuren offenbaren, dass Marietta vor ihrem Tod ein Kind zur Welt gebracht und zur Adoption freigegeben hat. Obgleich dessen Identität unbekannt bleibt, erfahren die vier, dass das Kind in Barrington Cove großgezogen wurde.
»Verdammt, verdammt, verdammt … bitte nicht«, stammelte er und nestelte am Kragen des Poloshirts, das er so sehr liebte.
»Jamie?« Shannon legte ihm ihre Hand auf die Schulter.
»Fass mich nicht an!«, brüllte er, wischte fahrig den Schweiß von seiner Stirn.
Das stoßweise Keuchen, die panisch geweiteten Pupillen, die Schweißflecke auf dem Polo: Was war nur los mit ihm?
»Jamie, um Gottes willen«, rief sie.
Seine Lider flatterten, dann erschlaffte er.
Shannon versuchte, nicht in Panik zu geraten. Die Situation war schon gefährlich genug. Der kurze Ausflug ins Schulhaus – ein Spaziergang, hatten sie gedacht – wurde zu einem Desaster.
Zusammen mit Jamie hatte sie nur einen Nachschlüssel aus dem Büro des Hausmeisters holen wollen, doch dann waren die Schritte erklungen. Sie versteckten sich in einer der Putzkammern und wurden von einem Unbekannten eingeschlossen.
Shannon schaute auf ihren bewusstlosen Freund hinab. Sein Gesicht wirkte weich und unschuldig, so friedlich. Es gab kaum einen Moment, in dem er nicht den Macho raushängen ließ. Nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte oder müde war, blitzte sein wahres Ich durch.
Für einen Augenblick vergaß sie die gefährliche Situation, in der sie festsaßen, berührte seine Wange und strich darüber; fuhr sanft über das kleine Grübchen an seinem Kinn, befühlte die Lippen.
Es war Segen und Fluch, mit einem Mädchen wie Marietta King befreundet zu sein. Ihre beste Freundin und Jamie waren ein Paar gewesen, bis Marietta die Sache beendet hatte, weil sie sich jemand anderem zuwenden wollte. Shannon wusste bis heute nicht, wer der geheimnisvolle Unbekannte war, der scharfe Typ, von dem sie ständig schwärmte.
Wieder betrachtete sie versonnen Jamies Gesicht. Sie hatte längst begriffen, dass es umgekehrt nicht so war. Er liebte Marietta noch immer, konnte sie einfach nicht loslassen.
Ich bin das Trostpflaster.
Wenn sie eines von ihrer Mum gelernt hatte, dann, dass Aufgeben nicht infrage kam. Mit wenigen Schritten war Shannon bei der Tür und rüttelte an der Klinke. Keine Chance.
Sie begriff nicht, was hier vorging. Wenn ein Lehrer im Gebäude war, warum hatte er sie dann eingeschlossen? Und wieso hatte Harrison sie nicht gewarnt?
Sie schlug sich gegen die Stirn. Das Walkie-Talkie! Sie sprang zurück zu Jamie, um das Gerät aus seiner Jackentasche zu ziehen. Harrison musste sie hier herausholen.
»Harrison«, sprach sie in das Mikrofon. Nichts. »Herrgott, Harrison!«
Noch immer keine Antwort. Sie sendeten auf Kanal 4, das hätten auch Billy und Marietta hören müssen, doch es kam nichts. Shannon schüttelte das Gerät. Ein leises Klimpern erklang. Irgendwo im Inneren musste sich ein Kontakt gelöst haben.
Sie verdrehte die Augen.
Ihr Blick streifte den Abzugsschacht. Warum war sie nicht früher darauf gekommen? Mit wenigen Schritten war sie an dem langen, breiten Tisch, auf dem allerlei Reinigungsmittel standen, fegte diese einfach herunter, und stieg hinauf. Sie griff nach der Abdeckung. Mit einem Ruck riss sie sie heraus. Die kleinen Schrauben schossen mit einem Ping durch den Raum, knallten irgendwo gegen die Wand.
Shannon zog sich in die Höhe, kroch in den Schacht. Innerhalb von Sekunden waren ihre Haare, die Kleidung und ihr Gesicht mit Staub bedeckt. Ein steter Luftstrom blies ihr entgegen. So schnell sie konnte, robbte sie voran. Endlich erreichte sie den Ausstieg. Mittlerweile sah sie aus wie ein Schneemann aus Staub und Flusen. Ein Tritt, und das Gitter löste sich aus der Fassung. Sie schob zuerst ihre Beine durch die Öffnung. Schließlich baumelte sie nur noch an der Einfassung des Ausstiegs, dann ließ sie sich fallen.
Hustend klopfte Shannon den Staub von ihrer Kleidung und zog sich die Flusen aus dem Haar, während sie gleichzeitig auf die Tür zuging. Der Schlüssel steckte von außen. Wer auch immer sie eingesperrt hatte, er hatte auf Nummer sicher gehen wollen, dass sie den Raum nicht mit einem Nachschlüssel verließen.
Als sie die Putzkammer wieder betrat, kam Jamie gerade stöhnend zu sich. Gehetzt öffnete er die Augen und fuhr in die Höhe.
»Ganz ruhig«, sagte Shannon. Neben ihm ging sie in die Knie. »Die Tür ist offen. Ich bin durch den Lüftungsschacht nach draußen geklettert.«
Jamie schob ihre Hand beiseite. »Gute Idee.« Er kam in die Höhe und rannte zur Tür. »Kein Wort über meinen Zusammenbruch!«
Sie folgte ihm. »Was tun wir jetzt?«
»Na, was schon? Den Nachschlüssel besorgen.«
»Aber …«
»Jetzt ›aber‹ hier nicht rum, komm.«
»Jemand ist hier!«
»Und?« Jamie zuckte mit den Schultern. »Wenn er bisher nicht den Sheriff alarmiert hat, kriegen wir das noch rechtzeitig hin.«
»Bist du verrückt?!«
Er fuhr herum. »Es war meine Idee, hier einzubrechen, okay. Wenn das zu 'nem Debakel wird, ist mein Ruf erledigt. Harrison wird Witze über mich machen, das willst du doch nicht, oder? Außerdem werden wir dann morgen bei der Prüfung ablosen.«
Shannon hatte ein ganz blödes Gefühl bei der Sache, doch schließlich nickte sie zustimmend. »Von mir aus. Aber wenn noch irgendwas schiefgeht, holen wir die anderen und verschwinden.«
»Versprochen.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Bisher hatten wir halt 'ne Pechsträhne. Aber mal ehrlich: Was soll denn noch passieren?«
Sie rannten in die Dunkelheit.
*
Ein Donnerstag
Pavel saß in der Mitte zwischen Ilja und Mikael und versuchte, sein Zittern zu unterdrücken. Der Boss sah es ungern, wenn das Fußvolk Angst zeigte. Das könnte immerhin ein schlechtes Licht auf ihn werfen; Schwäche vermitteln.
»Ich bin unglücklich«, sagte Oswald Kaminski, wobei sein slawischer Akzent durchkam. Als sei er in Gedanken versunken, spielte er mit einem kostbaren Füllfederhalter, auf dessen Außenseiten kleine Diamanten angebracht waren. »Und ihr wisst, dass ich das gar nicht mag.«
Pavel schluckte. Oh ja, die Wutausbrüche vom Boss waren legendär. Die Wenigsten überlebten es, wenn sie sich in einem solchen Moment in seiner Nähe befanden. »Er hat uns einfach abgehängt. Wir sind ihm zu dem Fest gefolgt, das mit den Drachen …«
Kaminski winkte ab. »Entschuldigungen haben mich noch nie interessiert, Pavelchen. Das solltest du doch mittlerweile wissen.« Er schnaubte, schraubte langsam den Verschluss des Füllfederhalters ab. »Dank meines Paktes mit dem Grafen haben wir in dieser lausigen kleinen Stadt ein paar Freiheiten; die offiziellen Kasinos laufen mittelmäßig, die geheimen geradezu prächtig. Ich habe lange genug auf diesen Moment gewartet.« Wie eine hungrige Giftnatter, die Beute entdeckt hatte, schoss der Füllfederhalter nach vorne, durchstach einen Notizblock und blieb zitternd darin stecken.
Kaminskis Blick glitt über ein Schachspiel, das in der Ecke des Raumes auf einem edlen kleinen Holztischchen zwischen zwei Ledersesseln stand. »Er hat also wirklich versucht, euch zu erpressen? Mich zu erpressen?«
Innerlich atmete Pavel auf. Die Wut des Bosses richtete sich nicht gegen ihn und seine Männer, sondern das Bürschchen, das glaubte, die Regeln neu definieren zu können. »Er hat irgendwie ‘ne Kamera reingeschmuggelt und alles gefilmt. Wenn er den Film an den Sheriff übergibt, wird das übel.«
Kaminski lachte quakend auf. Tatsächlich trug der Boss einen flauschigen Kamelhaarmantel mit Halskrause, besaß eine spitz zulaufende Nase und dunkles lichtes Haar, was ihm das Aussehen eines Pinguins verlieh. Direkt in Griffweite lag sein Spazierstock, dessen Knauf irgendeine Schachfigur darstellte. »Der Sheriff ist mir völlig egal. Diese Null hält die Hand auf und schaut brav zur Seite, von dort geht keine Gefahr aus. Aber der Graf wird keineswegs erfreut darüber sein, dass der Blick der Öffentlichkeit auf uns und damit auch ihn fällt. Im schlimmsten Fall wird der Bürgermeister aufmerksam. Ich will, dass ihr kreativ werdet. Löst das Problem, und zwar schnell.«
»In Ordnung, Boss.«
»Und wenn ihr das nächste Mal hier vor mir sitzt«, langsam zog er den Füllfederhalter aus dem Notizblock, »bringt ihr mir besser gute Nachrichten.«
»Verstanden, Boss.«
»Das hoffe ich, Pavelchen. Das hoffe ich sehr.«
*
Ein Freitagmittag
»Mathe!«, fluchte Mason. »Wer braucht schon Mathe!« In seiner Hand hielt er ein Papier, in dessen rechter oberer Ecke ein rotes ›D-‹ prangte. »Mein Dad hat gesagt, es muss mindestens eine Drei werden, von einer Vier minus wird er gar nicht begeistert sein.« Er setzte sich auf die Kante des wuchtigen, voll beladenen Schreibtischs.
Randy machte einen gequälten Eindruck, als er vom Monitor seines Computers aufsah. »Wir haben die letzten zwei Tage fast nur gelernt, wieso warst du so schlecht?«
Mason zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, Mathe liegt mir einfach nicht. Was hast du denn bekommen? Nee, sag’s nicht, dann fühle ich mich noch mieser.«
Randy wurde rot und schwieg.
Olivia schlürfte ihre Dr. Peppers Cola, saß in einem der Sessel und starrte in die Höhe, über die Eingangstür zum geheimen Raum. »Das ist echt genial.«
War der geheime Raum tief unter dem alten Herrenhaus, in dem Billy Tarnowski einst gelebt hatte, zuvor schon ein Mischmasch verschiedener Epochen gewesen, herrschte jetzt ein endgültiges Stil-Chaos. Randy hatte seinen Computer auf den alten Tisch gestellt, der geradezu »Achtziger« schrie. Danielle hatte die Sessel mit einem neuen Überzug versehen, um das grässliche Blümchenmuster aus den Siebzigern zu verbergen, und die alten Poster diverser Boygroups hatten sie einfach abgerissen.
Einzig das Dashboard mit den Bildern, Zeitungsschnipseln und Notizen zum Mordfall Marietta King hatten sie nicht angerührt. Mittlerweile sprachen sie von der Marietta-King-Wand.
Masons Blick erfasste den Zauberwürfel, die Dart-Scheibe und das alte Skateboard. Sein Vater, die Mutter von Danielle, der tote Schriftsteller Billy Tarnowski und der verschwundene Harrison Lebovitz hatten hier gemeinsam jahrelang versucht, den Mord an ihrer besten Freundin aufzuklären. Es war ihnen nie gelungen.
Als er Olivias Blick folgte, konnte er nur zustimmend nicken. Randy hatte einen Monitor über der Eingangstür angebracht, der live die Aufnahme einer Kamera übertrug. Diese hatte er oben an der Seite eines Gemäldes angeklebt. Sie zeigte direkt auf die alte – und absolut hässliche – Standuhr, die den Zugang zur Treppe versteckte, die in den geheimen Raum führte.
Soeben betätigte Danielle den verborgenen Mechanismus und stieg die Treppenstufen hinab. Hinter ihr fuhr die Uhr wieder an ihren Platz.
Augenblicke später betrat die Vierte im Team keuchend den geheimen Raum. Sie hatte rote Flecken im Gesicht. »Tut mir leid, aber Miss Pinski hat Bio überzogen. Diese Frau hat echt kein Privatleben.« Sie warf ihren Rucksack in die Ecke und sank in ihren Lieblingssessel. »Hab ich was verpasst?«
»Nichts Wichtiges«, sagte Olivia.
Mason atmete auf. Anfänglich hatten Olivia und Danielle sich bei nahezu jedem Zusammentreffen angegiftet. Doch obwohl da noch immer eine gewisse Spannung zwischen beiden herrschte, sobald sie sich im gleichen Raum aufhielten, schien sich das Ganze langsam zu bessern.
»Okay, dann also raus damit, was gibt es denn so Bedeutendes?«, fragte Danielle. »Die Nachricht klang ja dringend.«
Sie schwenkte ihr Smartphone durch die Luft.
Mittlerweile hatte Randy seine Chat-App inklusive Verschlüsselungsfunktion fertiggestellt und sie kommunizierten nur noch über diese. Damit war die Gefahr, dass irgendwer sie abhörte, vorerst gebannt.
»Ich habe versucht, weitere Informationen zu Mariettas Kind zu bekommen, aber an der Stelle haben wir echt ein Problem.« Randy fuhr sich wütend durch die Haare, die sowieso stets so wirkten, als habe ein Tornado sein Opfer gefunden. »Da das alles in den frühen Achtzigern passiert ist, sind die meisten Daten nicht digital erfasst.«
»Und wir kennen nicht mal das exakte Geburtsdatum«, sagte Mason. Fragend blickte er zu Danielle.
Die schüttelte den Kopf. »Meine Granny wird mir definitiv nicht mehr verraten, wenn sie überhaupt noch etwas weiß. Vermutlich bereut sie es längst.«
Olivia seufzte frustriert. »Das alles könnte so einfach sein, wenn wir mit deinem Dad«, sie deutete auf Mason, »oder deiner Mum«, dabei warf sie Danielle einen Blick zu, »sprechen könnten.«
»Auf keinen Fall«, sagten Danielle und er gleichzeitig.
Randy, der Streitereien auf den Tod nicht ausstehen konnte, sagte schnell: »Ich fasse einfach mal zusammen, was wir bisher wissen.« Seine Finger flogen über die Tastatur, und Mason konnte nur den Kopf darüber schütteln, wie flink man zwischen Ordnern wechseln und Dateien aufrufen konnte. Auf dem Rechner war ein Betriebssystem installiert, das kaum grafische Elemente enthielt. Alles wurde über eine Eingabekonsole gesteuert.
»Am 1. Oktober 1984 sind Jamie, Shannon, Billy, Harrison und Marietta in die alte Barrington High eingebrochen. Da am nächsten Tag ein landesweiter Test stattfand, wollten sie die Prüfungsfragen stehlen.« Er ließ die Anzeige vor sich langsam über den Monitor wandern, während er sie wiedergab. »Harrison hielt in der Aula Wache, schlief ein und wurde später beinahe von einem geheimnisvollen Mann entdeckt. Der ist mit einem Super-8-Film aus der Schule gegangen. Wir wissen mittlerweile, dass es sich bei dem Unbekannten um Henry Snyder handelte, den damaligen Direktor.«
Randy hielt kurz inne und warf einen Blick in die Runde. Alle nickten, also fuhr er fort. »Snyder starb vor Kurzem an einem Herzinfarkt.« Er schaute zu Mason, dann zu Danielle. »Ihr beiden habt aus seinem Haus einen Super-8-Film gestohlen, aber darauf waren nur Familienaufnahmen. Der echte Film, vermutlich das Überwachungsband aus dem Schulhaus, ist unauffindbar.«
»Damit wäre es durchaus denkbar, dass der alte Direx der Mörder von Marietta war«, warf Olivia ein. »Immerhin besaß er die Aufnahme. An der Stelle sollten wir unbedingt weiterermitteln. Denn falls er es nicht war, hat er den Mörder auf dem Band gesehen.«
»Und es nicht dem Sheriff mitgeteilt?«, sagte Danielle stirnrunzelnd.
»Vielleicht Erpressung«, überlegte Olivia. »Oder er wollte jemand schützen, der ihm nahestand.«
Randys Finger flogen über die Tastatur. »Ich halte das mal fest.« Als er fertig getippt hatte, sprach er weiter: »Dann haben wir durch die Leute vom alten Zirkus auf Angel Island erfahren, dass Marietta schwanger war. Das wurde von Danielles Granny bestätigt. Vermutlich war Shannon die Einzige, die darüber Bescheid wusste, und die hat es ihrer Mutter erzählt, sonst aber scheinbar niemandem. Marietta und ihre Eltern hielten die Schwangerschaft geheim, das Kind wurde zur Adoption freigegeben.«
»Die Alte in der Stadtbibliothek wusste davon auch nichts«, warf Olivia ein. »Mariettas Kind existiert offiziell nicht.«
»Was die Frage aufwirft, wer der Vater war«, sagte Mason. »Und warum das Kind jetzt hier aufwächst, in Barrington Cove. Vielleicht hat er es ja adoptiert. Aber dann war er damals schon älter.«
»Möglicherweise war es ihm sehr, sehr wichtig, das Geheimnis seiner Vaterschaft zu wahren«, sagte Danielle. »Aber so wichtig, dass er dafür einen Mord begeht?«
Wieder war das Klacken der Computertastatur zu hören. »Das sind auf jeden Fall einige Ansätze. Sowohl Henry Snyder ist eine Fährte als auch das Kind. Aber gerade für Letzteres bräuchten wir Zugang zu den Adoptionsunterlagen, und die sind nicht digital vorhanden und obendrein versiegelt. Genau genommen kennen wir nicht einmal die zuständige Adoptionsbehörde. Die Alte in der Stadtbibliothek hat euch ja auf das Krankenhaus gebracht, aber Marietta hat ihr Kind nie und nimmer hier in Barrington Cove zur Welt gebracht, da hätte jemand geplaudert.«
»Nur, wo dann?«, überlegte Danielle. »Um die Adoptionsagentur zu finden, müssen wir den Ort und das Geburtsdatum kennen.«
Schweigen breitete sich aus.
Schließlich sagte Olivia: »Ich habe da eine Idee. Immerhin wissen wir, dass Marietta das Kind 1984 zur Welt brachte, da war sie schon vor den offiziellen Sommerferien für einige Monate ›Auf Bildungsreise in Europa‹. Möglicherweise kann ich einen Kontakt bei der Barrington Cove Gazette dazu überreden, uns zu helfen.«
»Gute Idee«, sagte Mason anerkennend. »Die Pressefuzzis haben da doch ganz andere Möglichkeiten als wir.«
Randy griff in das Glas neben seinem Monitor, zog eine seiner widerlichen Lakritzstangen heraus und begann gedankenverloren darauf herumzukauen. »Erhofft euch da aber nicht zu viel, die müssen auch Gesetze beachten. Wenn es um Adoption geht, ist das alles nicht so einfach. Außerdem darfst du ihn nicht wissen lassen, wofür du die Unterlagen benötigst, Oliv. Ich würde darauf wetten, dass der Graf auch Leute bei der Gazette sitzen hat, gerade dort.«
Sie nickte. »Ich lasse mir was einfallen.«
»Und ich komme mit«, sagte Mason.
»Dann treffen wir uns morgen früh vor dem Pressegebäude.«
»Ist gebongt.«
Wie vom Blitz getroffen, sprang Danielle in die Höhe. »Verdammt, ich muss los. Heute Abend gibt mein Vater ein Dinner, sogar der Bürgermeister ist eingeladen. Wenn ich da zu spät komme, sehe ich die nächsten Monate nur noch mein Zimmer von innen.« Mit wenigen Schritten war sie beim Ausgang. »Sagt mir Bescheid, wie es lief, wir treffen uns dann einfach morgen Mittag.« Ihre Stimme hallte zu ihnen herunter, als wäre sie ein Geist, der kurz davor stand, endgültig zu verschwinden.
Der Monitor über dem Ausgang flackerte und erlosch abrupt.
»Mist«, sagte Randy. »Der spinnt manchmal.«
Sie konnten Danielle nicht mehr sehen.
*
Ein Freitagabend