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Mithilfe der Archivarin wollen die Lichtkämpfer eine Möglichkeit finden, die Verschmelzung der Sigilsplitter zur Allmacht aufzuhalten. Tief in den Katakomben, verborgen in uralten Büchern, könnte sich der Schlüssel dazu verbergen, die Schattenfrau noch aufzuhalten. Doch finden sie ihn noch rechtzeitig? Unterdessen machen sich Jen und Alex daran, Marks Schatulle zu bergen, um endlich die Wahrheit über das wilde Sigil und die Zwillinge zu erfahren. Das Erbe der Macht ... ... Platz 3 als Buchliebling 2016 bei "Was liest du?"! ... Nominiert für den Lovelybooks Lesepreis 2016! ... Nominiert für den Skoutz-Award 2017! ... Nominiert für den Deutschen Phantastrik Preis 2017 in "Beste Serie"! Das Erbe der Macht erscheint monatlich als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.
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Seitenzahl: 191
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Table of Contents
»Zwillingsfluch«
Was bisher geschah
Prolog
1. Unter den Engeln ruht die Wahrheit
2. Nimags, Bier und Kartenspiel
3. Der Hort des Wissens
4. Fragmente, Splitter und Trümmer
5. Familientreffen
6. Eine Hölle namens Jugend
7. Mit Schirm, Charme und Melone
8. Fuchs und Rabe
9. Der goldene Apfel
10. Schmerz aus Indigo
11. Inferno
12. Infernale
13. In Glanz und Glorie
14. Schnell wie ein Pfeil
15. Familienehre
16. Die letzte Pyramide
17. Um jede Sekunde
18. Ms Danvers und ihr Sekretär
19. Die Leiden des jungen Kent
20. Der Bewahrer des Fluchs
21. Geteilt durch Liebe, vereint in Angst
22. Versprich es mir!
23. Im Stundenschlag der Ewigkeit
24. Wo Fuchs und Rabe sich Gute Nacht sagen
25. Ein Rätsel in Gold und Hexenholz
26. Zwillingsfluch
27. In ihrer Verzweiflung
28. Der dritte Zwilling
29. Ich erkenne einen Fluch, wenn ich ihn sehe
30. Das zweite Kryptex
31. Das Wissen der Annora Grant
32. Eine Krone aus Blut
33. Ein Schritt zurück
Vorschau
Seriennews
Glossar
Personen in Band 11
Zauber in Band 11
Diverses
Impressum
Das Erbe der Macht
Band 11
von Andreas Suchanek
Jen, Alex, Nikki, Chris und Chloe erreichen an Bord der Nautilus Antarktika. Hier sollen sie die legendären Silberknochen aufsuchen, um die Traumebene zu erreichen. Doch die Schattenfrau ist ihnen einmal mehr einen Schritt voraus. Sie tötet die Wächterin, nachdem sie ihr deren Erinnerungen über die Zitadelle vom Anbeginn im ewigen Eis entrissen hat. Dort sollen sich die Silberknochen befinden.
Doch die Wächterin kann auf dem Boden von Antarktika nicht sterben und kehrt zurück. Sie führt die Lichtkämpfer zum Ziel, wo Chloe, Jen und Alex auf die Traumebene vordringen. Konfrontiert mit ihren furchtbarsten Ängsten, durchleben sie zahlreiche Albträume.
Schließlich erscheint Jules Verne und verhilft Alex zur Flucht aus seinem Traum. Gemeinsam holen sie Jen, die durch ihre Erlebnisse mittlerweile begriffen hat, wo die geheimnisvolle Schatulle Marks verborgen ist. Alex trifft in einem Opernhaus-Traum, den er anscheinend bereits länger nächtlich durchlebt, auf den letzten Seher. Über den Abgrund der Zeit hinweg sind sie in diesem wichtigen Traum verbunden. Was er jedoch bedeutet, bleibt ungewiss.
Im Kampf gegen die Schattenfrau unterliegen Alex und Jen. Die Schattenfrau erbeutet den letzten Splitter. Damit steht nur noch die Verschmelzung der Sigilsplitter zwischen ihr und der Allmacht.
Unterdessen infiltriert Max das Hauptquartier der Schattenkrieger. Er trifft auf den sympathischen Jason, die freche Steinfigur Norden und fügt sich überraschend leicht ein. Schließlich bringt Moriarty ihn zu Leonardo. Max kann ihn befreien und gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. In den Weiten Sibiriens kommt es zu einem Kampf. Moriarty und Dschingis Khan können durch Thomas Edison und den Sprungmagier Cornelius besiegt werden. Die Freunde kehren zurück ins Castillo – und das gerade rechtzeitig.
Patricia Ashwells Coup zur Entmachtung der Unsterblichen wird durch die Offenbarung von Max als Agent im Keim erstickt. Claras Mutter wird aus dem Castillo komplimentiert.
Doch die Freude ist getrübt. Die Schattenfrau steht vor der Machtergreifung, die Schatulle ist unauffindbar und das Rätsel um die Zwillinge und das Wilde Sigil ungelöst.
Unbemerkt von den Lichtkämpfern trainiert Moriarty unterdessen Alfie Kent mithilfe der Artefakte von Agnus Blanc.
Die Ziegel zerbarsten. Tonstaub wirbelte in die Dunkelheit, Splitter prasselten auf den Boden. Der Atem der Vergangenheit wehte ihr ins Gesicht. In diesem Fall stank besagter Atem nach Verwesung und Dreck.
»Ich habe nie verstanden, warum Indiana Jones und Lara Croft derart beliebt sind. Oder einmal sein werden.« Die Schattenfrau schüttelte den Kopf.
Sie trug Stiefel, kurze Hosen, ein ärmelloses Shirt und darüber eine Allzweckjacke, was ihr einen Tomb-Raider-Basislook verpasste und ihre Gedanken unweigerlich zurück auf ihre Kindheit lenkte.
Anuk schaute ratlos zu ihr herüber. Der junge Inka hielt seine Bola fest umklammert, dazu bereit, sie jederzeit auf einen Angreifer zu schleudern. Immerhin verzichtete er darauf, den Lederriemen mit den eingeflochtenen Steinen nach ihr zu werfen. Ihre Magie war ihm bekannt, seit sie seinen Freund eingeäschert hatte. Seither war er handzahm.
»Fiat Lux!«
Eine Leuchtkugel entstand in der Luft. In ihrem blutroten Schein stieg die Schattenfrau über die aufgebrochene Schwelle und betrat den verborgenen Teil des Tempels. Hier hatte der letzte Hohepriester sein Volk beschützt, bis die Spanier mit ihren Explorationsmagiern gekommen waren.
Es knirschte, als Ziegelsplitter und Steinbröckchen unter ihren Stiefelsohlen zerbarsten.
»Ich könnte in einem Whirlpool liegen und Cocktails schlürfen, die noch niemand erfunden hat. Aber nein, stattdessen krieche ich durch diese alte Bruchbude.«
Stein und Ton waren mit Schutzsymbolen gegen magische Sprünge versiegelt. Sie musste den klassischen Weg nehmen. Glücklicherweise hatte sie keine kreischende Blondine dabei wie Indiana Jones. Anuk zitterte lautlos.
Etwas raschelte in der Dunkelheit.
»Potesta!«
Ihre Worte hallten in der Dunkelheit davon wie das Echo einer längst vergangenen Zeit, das durch die Gänge glitt und nun, Jahrhunderte nach seiner Zeit, zurückkehrte.
Der Kraftschlag traf eine Ratte und schleuderte sie davon. Das Tier quiekte, rappelte sich auf und flitzte davon.
Verblüfft starrte die Schattenfrau auf das pelzige Wesen. Es hätte tot sein sollen, hatte den Kraftschlag stattdessen jedoch überstanden. Ihre Magie war in den Mauern des Tempels offensichtlich geschwächt.
»Bringen wir diesen Mist hinter uns«, zischte sie.
Ihre Schritte trugen sie durch die Gänge. Den Essenzstab hielt sie erhoben, allzeit bereit, sich zu verteidigen. Doch nichts geschah. Keine Falle, kein Zauber, kein Gegner. Steinstufen führten in die Tiefe, wo eine gewaltige Halle wartete. Sie ließ die Leuchtkugel in die Höhe steigen und enthüllte Skulpturen, Ölbecken, gewebte Teppiche mit Knoten darin und schließlich ... Wandmalereien. Untypisch für die Kultur der Inka.
Sie trat näher heran. »Das ist es.« Ihre Worte waren nicht mehr als ein Flüstern. »Der Zwillingsfluch.«
Die Schattenfrau hatte das Ziel ihrer Suche erreicht. Jahre später setzte sie einen Plan in Gang, der zahlreiche Leben beeinflusste. Und alles, was sie dafür benötigte, war die Verzweiflung einer Frau, die Mutter werden wollte.
»Schön hier.«
Jen verdrehte die Augen. »Hör auf zu versuchen, freundlich zu sein.«
Alex grinste frech. »Wie du magst. Dann bin ich es ab jetzt nicht mehr.« Er wandte sich ab und fand sich Auge in Auge mit einem steinernen Engel wieder. »Waahhh!«
»Kent! Stell dich nicht so an. Es ist nur eine Statue.«
»Das glaubst du vielleicht.« Und sofort begann er wieder von seiner Lieblingsserie zu erzählen, in der es total gefährliche Wesen gab, die sich als steinerne Engel tarnten.
Jen ließ ihn plappern. Es war ja irgendwie goldig.
Ihnen blieb nicht viel Zeit. Im Castillo herrschte Weltuntergangsstimmung. Johanna hatte alle Magier aufgerufen, über die Sprungtore nach Alicante zu wechseln. Ältere, Verletzte und Junge würden in sicheren Häusern untergebracht werden, die von Ordnungsmagiern mit den stärksten existierenden Schutzzaubern versehen wurden. Jeder, der etwas vom Kämpfen verstand, sollte sich der Armee anschließen. Falls sie keine wundersame Lösung fanden, um die Schattenfrau von der Verschmelzung der Sigilsplitter abzuhalten, würde Johanna die Streitmacht nach Iria Kon führen.
Im ausbrechenden Chaos neu eintreffender Magier, einer Tilda, die plötzlich für die doppelte Anzahl kochen musste, und Ordnungsmagiern, die der neuen Masse kaum Herr wurden, hatten sich Alex und Jen davongemacht.
Sie wollten im Garten von Jens Familie nach Marks Schatulle suchen.
»Bist du denn sicher, dass dein Mark-Unterbewusstsein dich nicht hereinlegen wollte?«, fragte Alex. »Vielleicht war er eine Manifestation deiner lustigen Seite, die so selten zum Einsatz kommt, dass sie dich jetzt ärgern will. Als Strafe.« Er kicherte.
»Wenn du so weitermachst, zeige ich dir gleich meine brutale Seite. Die möchte sich, seit ich dich kenne, nämlich überraschend oft manifestieren.«
Alex grinste lausbubenhaft und schwieg.
Er trug einfache Jeans, rote New-Balance-Sneaker und ein eng anliegendes, ebenfalls rotes Shirt, das am Kragen einen hellblauen Streifen hatte. Das dunkelblonde Haar war sauber geschnitten und ein Hauch Aqua di Gio umwehte ihn. Überhaupt legte er momentan großen Wert auf sein Äußeres. Jen stellte verärgert fest, dass sie seit ihrem Traum ebenfalls verstärkt auf sein Äußeres achtete.
Blödes Unterbewusstsein.
Für einen Augenblick sah sie wieder die beiden Statuen. Dylan und Alex, die sich gegenüberstanden. Natürlich gab es da gar nichts zu überlegen. Ihre Affäre mit Dylan hatte sich längst zu etwas entwickelt, das man als Beziehung deuten konnte. Sie würde das nicht aufgeben, weil ein kleiner Zweifel am Horizont erschien.
»Jen?« Alex musterte sie besorgt.
»Sorry. Du weißt schon, Erinnerungen.«
Er nickte betreten. »Klar. Bringen wir es schnell hinter uns.«
Die Bruchbude namens Villa ragte in Sichtweite empor. Hier hatte Jen einst die Kontrolle verloren und damit den Tod ihres Vaters, ihrer Mutter und ihrer Schwester Jana ausgelöst. Der Traum, in dem sie vor allem gegen sich selbst gekämpft hatte, war in dieser Hinsicht befreiend gewesen. Sie hatte ihre Schuld akzeptiert, ließ sich von ihr aber nicht länger kontrollieren.
Jen vertrieb alle Gedanken an das Gestern und fokussierte sich auf das Hier und Jetzt. Mark hatte die Schatulle in diesem Garten versteckt. Darin befanden sich die Antworten auf die Frage nach den Zwillingen und dem Wilden Sigil. Angeblich hatte er Jen Hinweise hinterlassen, damit sie die wichtigen Informationen bekam. Doch diese hatten sie nie erreicht.
Die Engel waren über den Garten verteilt, standen mal dicht beieinander, mal einsam im Grün. Ein Unwetter vor zwei Tagen hatte heftig unter ihnen gewütet. Nicht, dass es noch einen großen Unterschied machte – hier war alles verwildert und verwachsen. Einige der Statuen lagen umgekippt am Boden.
»Wie steht es um deine neue Wohnung?«, fragte Jen, während sie ihren Blick schweifen ließ.
Alex’ Augen begannen zu leuchten. »Sie ist toll. Du kommst doch zur Einweihungsparty?«
»Wann ist die?«
»Sobald wir die Schattenfrau erledigt haben und noch leben.«
»Guter Zeitplan.«
Er lachte bitter auf. »Quasi eine neue Zeitrechnung. Was ist mit deiner Galerie?« Er bückte sich und schabte mit seinem Essenzstab Moos von einem der Abbilder.
»Frag nicht. Dylan will sie unbedingt besichtigen. Ich habe Johannas Erlaubnis, eines der Geschäfte umzubauen.«
»Das ist doch gut.«
»Ich habe nur keine Ahnung von Kunst«, fluchte sie. »Muss mich da erst einlesen.«
»Das wird Dylan gar nicht merken.«
Sie lachte auf. »Doch, das wird er. Eines seiner Hobbys ist es nämlich, alle möglichen Museen zu besuchen. Anders gesagt: Im Gegensatz zu uns beiden ist er gebildet.«
»Ist doch mal was anderes als Zaubersprüche und Überlebenskampf.«
Jen richtete eine der umgestürzten Statuen auf und untersuchte sie genau. »Wie steht es denn um dein Wissen? Der Unterricht ist ja nun schon länger ausgefallen.«
Alex schürzte die Lippen. »Ich lese abends in den Büchern zur Kampfmagie, aber das war bisher zu wenig. Ein Teil von Marks Wissen ist weg. Ich habe es gemerkt, als ich einen Zauber für eine multiple Schutzsphäre erschaffen wollte. An einem Tag ging es noch, am nächsten konnte ich mich nicht mehr daran erinnern.«
Das ererbte Wissen musste vertieft werden, sonst verschwand es.
»Sobald wir alles ausgestanden haben, gibt es wieder Vorlesungen, alltägliche Aufträge ... Normalität eben.« Es klang wie ein Mantra, mit dem sie versuchte, sich selbst zu überzeugen.
Konnte es überhaupt je wieder weitergehen wie zuvor?
»Ich habe etwas!« Alex kniete neben einer der gefallenen Statuen.
Jen war mit wenigen Schritten bei ihm. Im Sockel klaffte ein Loch. Dahinter gähnte ein leeres Fach. »Verdammt!«
»Ein Schattenkrieger?«
Jen malte ein magentafarbenes Symbol in die Luft und wirkte einen Agnosco-Zauber. »Keine Rückstände von Essenz. Es war das Unwetter.«
»Aber wer hat sie dann herausgenommen?« Alex runzelte die Stirn. »Ein Nimag?!«
»Vielleicht. Oder es ist ein altes Fach, in dem sich die Schatulle von Mark gar nicht befand.«
»Das glaubst du doch selbst nicht.« Er zeichnete mit der Spitze seines Essenzstabes das Symbol für den Spurzauber auf den Sockel des gefallenen Engels.
In der hereinbrechenden Dämmerung flirrte eine Spur aus bernsteinfarbenem Nebel durch die Luft, wurde immer länger und verschwand schließlich zwischen den Bäumen.
»Glück gehabt«, murmelte Alex. »Es war jemand hier und es scheint noch nicht lange zurückzuliegen.«
Sie erhoben sich gleichzeitig und folgten der Spur. Am Ziel wartete hoffentlich der Nimag mit der Schatulle und dem letzten Erbe von Mark.
Die gefallenen Engel blieben hinter ihnen zurück.
Einer der Umstände, mit denen Alex immer wieder zu kämpfen hatte, war der Jetlag. Das Sprungtor unter dem Castillo benötigte nur Sekunden, um sie überall auf der Welt abzusetzen. Doch während in Alicante aktuell helllichter Tag war – Mittag, um genau zu sein –, herrschte hier in Green Bay Nacht.
Die Spur führte sie die Washington Street entlang. Kleine Läden und Bars wechselten sich mit leeren Ladenflächen ab. Sie kamen am Meyer Theatre vorbei. Ein Kino, das in einem großen Gebäude aus braunem Stein mit grünen Fassadenelementen untergebracht war. Große Klapptüren führten in einen Vorraum, in dem Alex durch die Scheiben den Ticketstand und die Popcornmaschine erkennen konnte.
»Da drin habe ich meinen ersten Kuss bekommen.« Jen lächelte versonnen.
»Von wem denn?«, fragte Alex neugierig.
Ihm gefiel die Atmosphäre von Green Bay. Er wäre gerne auf den Michigansee hinausgefahren, doch die Zeit drängte. Überhaupt machte es ihn traurig, dass sie so oft in die Welt hinauszogen, aber stets nur, um zu kämpfen. Wenn die nächste Hürde genommen war, würde er sich Nikki schnappen und mit ihr und den anderen einen Ausflug unternehmen.
Und die Essenzstäbe bleiben zu Hause.
»Paula.«
Alex schaute verdattert zu Jen. Dann begriff er, was sie gerade gesagt hatte. »Was?!«
»Wir waren Teenager.«
»Nice.«
Sie verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. »Wieso erzähle ich dir so was nur?«
»Weil du meinen treuen Augen nicht widerstehen kannst? Oder meinem Charme.« Er blinzelte sie an.
Jen lächelte zuckersüß. »Falls du nicht gleich brav bist, verpasse ich ihnen einen blauen Schimmer.«
Alex seufzte auf. »Immer diese Gewalt.«
Ein paar Spaziergänger schlenderten an ihnen vorbei, Autos brausten durch die Nacht. Die Spur führte von der Hauptstraße ab und kurze Zeit später standen sie vor einem heruntergekommenen Haus. Die Läden hingen schief in den Angeln, die Fenster waren stellenweise mit Zeitungspapier abgehangen. Der Garten verdiente die Bezeichnung Dschungel und zwischen all dem Unkraut hatten die anderen Pflanzen keine Chance.
Das Haus besaß eine Veranda, auf der eine leere Hollywoodschaukel hin- und herschwankte. Leere Bierflaschen lagen daneben am Boden.
»Heimelig«, kommentierte Jen.
»Arme Sau«, kam es von Alex.
»Woher willst du das wissen?«, fragte sie.
»Schau es dir doch an. Wer so tief gefallen ist, kommt aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Die Welt hat ihn vergessen, er säuft und geht vor die Hunde.«
Alex kannte unzählige Schicksale, die ähnlich abgelaufen waren. Jobverlust, die Flucht in eine Welt des Alkohols, das Zerbrechen der Familie. Es ging immer tiefer bergab, alles verselbstständigte sich und am Ende wartete ... gar nichts.
Die Tür war nicht verschlossen.
Sie betraten das Haus. Es roch nach dreckigem Geschirr, muffiger Kleidung, Schweiß und Alkohol.
Die Spur waberte in der Luft, schlängelte sich die Treppe hinauf und in das Schlafzimmer. Alex ließ den Zauber verwehen. Das Schnarchen wies ihnen den Weg auch ohne Magie.
Auf einer durchgelegenen Matratze lag ein schlafender Mann. Er mochte in den Fünfzigern sein, hatte graues lichtes Haar und eine Alkoholfahne, als hätte er gerade eine Schnapsbrennerei im Alleingang geleert.
Alex setzte sich auf die Bettkante und brüllte: »Hey!«
»Was?!« Der Nimag fuhr auf. Verwirrt blickte er sich um. »Hä?«
»Alex!« Er deutete auf sich selbst. »Jen!« Auf sie. »Wir sind nur ein Traum.«
Der Nimag nickte aus trüben Augen.
»Wir suchen die Schatulle«, rief Jen.
Die Augen des Mannes wurden zu schmalen Schlitzen. Mit zittrigen Fingern kniff er sich in den Arm. »Ihr seid gar kein Traum.«
»Toll«, kommentierte Alex. »Und ich wollte Essenz sparen.« Bevor der Nimag reagieren konnte, rief er: »Omnio Veritas!« Das Symbol, das er mit seinem Essenzstab gezeichnet hatte, sickerte in die Haut des Mannes ein.
Der Wahrheitszauber war leicht durchzuführen, seine Wirkung jedoch von der Stärke des Magiers und des Betroffenen abhängig. Ob Nimag oder Magier: Wer einen starken Geist besaß, konnte dem Zauber unter Umständen widerstehen. Daher war es am sinnvollsten, mit jemandem zu arbeiten, der gerade aus einem Schlaf erwachte oder betrunken war. In vorliegendem Fall traf praktischerweise beides zu.
»Wie heißt du?«, fragte Alex.
»Trent.«
»Hast du eine Schatulle an dich gebracht?«
»Ich habe sie gefunden. Bei den Engeln.«
Jen setzte sich ebenfalls auf die Bettkante, sprang aber wieder auf, als sie die Flecken auf dem Lacken sah. »Wo ist sie?«
»Verkauft«, erwiderte der Nimag. »Habe das Geld gebraucht.«
Jen fluchte herzhaft. Ihnen lief die Zeit davon.
»Verkauft an wen?«, fragte Alex.
»Chester.«
»Wer ist Chester?«, fragte Jen.
»Ein gieriges Arschloch.«
Jen stöhnte auf.
Alex grinste. »Hey, du hast gefragt.« Er wandte sich Trent zu. »Wo finden wir diesen Chester?«
»In seinem Laden.«
»Ha«, konnte Jen sich nicht verkneifen. »Du bist auch nicht viel besser.«
»Was für ein Laden?«, fragte Alex weiter.
»Pfandleihe.«
Jen zog ihr Smartphone hervor und begann auf dem Display herumzutippen. »Hab es. Ein kleiner Laden. Zu Fuß brauchen wir eine halbe Stunde.«
Alex löste den Zauber.
Trent sank zurück auf seine Matratze und schlief weiter. Wenn er erwachte, würde er all das für einen Traum halten.
»Wir könnten ihm helfen«, flüsterte er.
Jen atmete scharf ein. »Du weißt, dass wir das nicht dürfen.«
»Ein kleiner Zauber und er trinkt nie wieder Alkohol.«
Jen schloss für einige Sekunden die Augen. »Ich weiß. Aber es ist verboten. Keine Einmischung in das Leben der Nimags. Nur was durch Magie gewirkt wurde, darf korrigiert werden.«
Alex presste die Lippen zusammen.
»Du denkst an Chloe.«
Er nickte. »Ihr Traum war ... Der Schmerz ...« Von all seinen bisherigen Kämpfen und Erfahrungen waren die Ereignisse auf der Traumebene am intensivsten gewesen. »Wie schafft sie das? Wenn meinem Bruder etwas Derartiges passieren würde, ich müsste ihm helfen.«
»Und sobald die Ordnungsmagier es herausfänden, würden sie deinen Zauber neutralisieren und dich in den Immortalis-Kerker werfen. Oder sie löschen deine Erinnerung und kapseln dein Sigil ein. Du würdest ein Leben als Nimag führen und dich an nichts mehr erinnern, was du als Magier erlebt hast.«
Bei dem Gedanken kroch eine Gänsehaut über Alex’ Nacken. »Wurde das denn schon gemacht?«
»Nicht oft, aber es kam vor«, antwortete Jen. »Was glaubst du denn, weshalb Chloe Jamie nicht hilft?«
Alex schwieg.
Er konnte täglich sehen, wie es in Chloe brodelte und hatte Angst, dass sie eine Dummheit beging. Gleichzeitig verstand er nur zu gut, was in ihr vorging. Eines Tages, das wusste er, konnte sie ihren Schmerz nicht länger zurückdrängen. Was mochte dann geschehen?
»Komm«, sagte Jen sanft.
Sie stiegen die Treppen hinab und verließen das Haus. Einstweilen war nur eines wichtig: Sie mussten die Schatulle finden.
Chloe betrachtete die unscheinbare Holztür. »Das mit dem Zielen hat nicht so gut geklappt.«
Johanna schmunzelte. »Leonardos Kommentar war: aus dem Handgelenk, ganz geschmeidig. Man sieht ja, wie das funktioniert hat.«
Nachdem die Verbindung zum Archiv durch eine Intrige der Schattenfrau zerstört worden war, hatte es Monate gedauert, sie neu zu etablieren. Der Zugang vom Castillo aus war eine Tür, die mitten in einem Bücherregal der instand gesetzten Bibliothek erschienen war. Der eigentliche Platz, an dem sie sich hätte manifestieren sollen, lag ein paar Meter weiter links.
»Wenigstens waren keine Bücher an der Stelle«, kommentierte Nikki. Die junge Sprungmagierin wirkte frisch, ausgeruht und voller Tatendrang. Ein Windstoß trieb ihr ein paar dunkelblonde Strähnen ins Gesicht, die sie beiseitestrich.
»Immer positiv denken, gute Einstellung.« Johanna hob die rechte Hand. Am Gelenk trug sie ihr Permit. Es klackte. Die Holztür schwang auf. »Gehen wir.«
Die Unsterbliche bildete die Spitze. Nikki folgte dichtauf. Den Abschluss bildeten Chloe und Ataciaru, ihr Husky. Ein stolzes und schönes Geschöpf, das jedoch den Fehler begangen hatte, sich einen Braten aus der Küche zu stibitzen. Tilda hatte bereits angedroht, ihn in der nächsten Suppe zu verarbeiten, falls er das noch einmal tat. Die gutmütige Köchin kannte keinen Spaß, wenn es um ihre Domäne ging. Und dass sie mit einer Bratpfanne Armeen in Schach halten konnte, hatte sie längst bewiesen.
Ein Kribbeln breitete sich auf Chloes Haut aus, dann war sie auch schon auf der anderen Seite. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss.
Der Boden war mit weißem Marmor ausgekleidet, doch das war auch das Einzige, was sich als ›normal‹ bezeichnen ließ. Armaturen aus Hexenholz bedeckten die Wände, Zahnräder drehten sich darin. Chromblenden gaben den Blick auf Bernsteine frei und verbargen sie kurz darauf wieder. An zahlreichen Stellen ragten Wandleuchter mit bauchigen Birnen empor. Der Wolframdraht in ihrem Inneren glühte.
Eine große Halle breitete sich vor ihnen aus. Die Decke bestand aus Himmelsglas, verwoben mit Silber. Lesetische standen dicht an dicht, Regale wuchsen in die Höhe.
Chloe sog staunend die Luft ein, als einer der Archivare mit einer Handbewegung ein Regal aus dem Nichts entstehen ließ.
»Die Räume des Archivs sind überall auf der Welt verteilt«, fasste Johanna noch einmal zusammen. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und wippte auf und ab, als sie den Blick nach oben und unten schweifen ließ. »Wenn ihr hier durch eine Tür geht, legt ihr oftmals viele hundert Kilometer zurück. Manche Räume liegen in Dimensionsfalten oder sind an Splitterreiche angeschlossen. So konnte Jen von Dark London aus hierher wechseln – wenn auch nur als Astralprojektion.«
»Wer hat all das hier erbaut?«, fragte Nikki flüsternd.
Chloe hatte die gleiche Frage an Einstein gestellt, als sie erstmals im Unterricht vom Archiv gehört hatte.
»Das weiß nur die Archivarin«, erwiderte die Unsterbliche. »Es gibt Geheimnisse, Mythen und Legenden, deren Herkunft nicht einmal wir Unsterblichen kennen. Ich vermute, das Wissen ging über die Jahrhunderte verloren.«
Chloe wusste, dass beim Untergang von Iria Kon fast der gesamte damalige Rat der Unsterblichen ausgelöscht worden war. Zwar waren Monate später die neuen Räte aufgetaucht, doch das verlorene Wissen konnten sie nicht zurückbringen.
Sie gingen weiter, vorbei an den Lesetischen. Johanna führte sie zu einem Treppenaufgang, vor dem ein kleines Mädchen stand.
»Diese Treppe führt hinauf zum Büro der Archivarin«, erklärte Johanna.
Ataciaru reckte seine Schnauze in die Höhe.
Chloe ging vor dem Mädchen in die Knie. Sie sah verloren aus. »Und wer bist du, Kleine?«
»Du darfst mich Archivarin nennen«, kam es mit überraschend klarer Stimme zurück.
Chloe sprang auf. »Was?! Aber ...«
Das Mädchen hob die Hand. »Meine Art des ewigen Lebens ist eine andere als jene, die du kennst.«
Bevor sie weitersprechen konnte, kam Ataciaru herbeigeeilt, schnupperte an dem roten langen Zopf, der der Kleinen bis zu den Schultern reichte, und leckte ihr Gesicht ab.
Die Archivarin kicherte. »Glaube nicht, dass du mich damit beeinflussen kannst, nur weil ich kindliche Emotionen in mir trage.«
Ataciaru jaulte auf und kehrte zu Chloe zurück.
»Ich sehe dich«, sagte die Archivarin mit einem Blick auf den Husky. »Doch sei willkommen.«
»Du bist ein Kind«, entfuhr es Nikki.
»Um diesen Hort des Wissens zu stabilisieren und wieder an die Welt anzuschließen, musste ich viel Kraft aufwenden. Das ließ mich dahinwelken. So starb ich als alte Frau und kehrte zurück als Kind. Die Zeit hier vergeht anders, musst du wissen. In Kürze bin ich wieder erwachsen, werde altern und sterben. Der Zyklus wiederholt sich.«
»Ich verstehe«, flüsterte Nikki. »Deshalb können wir dich auch erst jetzt aufsuchen.«
Die Archivarin nickte huldvoll, was der Kleinen einen Anstrich von Arroganz verlieh. »Ich musste erst der Windelphase entwachsen.«
Chloe konnte ihr Lachen gerade noch als Husten maskieren.