Das Erbe der Macht - Band 21: Schattentanz - Andreas Suchanek - E-Book

Das Erbe der Macht - Band 21: Schattentanz E-Book

Andreas Suchanek

4,8

Beschreibung

Die Kämpfer Merlins nähern sich der Zuflucht, ihr Angriff steht kurz bevor. Während die Verteidiger sich vorbereiten, tritt ein Schläfer auf den Plan, der Chloe befreien soll. Unterdessen ersinnt Alex einen Plan, der einen Ausweg bieten könnte. Um ihn umzusetzen, müssen die Freunde jedoch an einen Ort zurückkehren, der dunkle Erinnerungen bereit hält. Das Erbe der Macht ... ... Nominiert für den Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018! ... Silber- und Bronze-Gewinner beim Lovelybooks Lesepreis 2017! ... Platz 3 als Buchliebling 2016 bei "Was liest du?"! Das Erbe der Macht erscheint monatlich als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.

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Table of Contents

Schattentanz

Was bisher geschah

Prolog

1. Vor dem Sturm

2. Eine zweite Chance

3. Ein verzerrter Schatten

4. Merlins Bastion

5. Im ewigen Eis

6. Das erloschene Tor

7. Dem Feind im Angesicht

8. Ein Phönix aus Blut

9. Unter den Augen des Anbeginns

10. Wo die Silberknochen ruhn

11. Wer hat mich getötet?

12. Rundflug inklusive

13. Verzweiflung

14. Schatten gegen Licht

15. Das Gesicht des Jüngers

16. Zwischen Wahrheit und Lüge

17. Silberlicht und Schattentanz

18. Dieser heldenhafte Mistkerl

19. Den Wind gesät …

20. … den Sturm geerntet

21. Der Rettungsanker

22. Die Noxanith-Mühle

23. Kriegsrat

24. Ein Mitbringsel

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 21

»Schattentanz«

von Andreas Suchanek

 

Was bisher geschah

 

Die alte Ordnung ist gefallen.

Bran holt zum großen Schlag aus und fegt das Castillo der Lichtkämpfer, die Lichtkämpfer selbst und auch die Schattenkrieger hinweg. Hinter der Maske des Gegners von Leonardo und Johanna verbirgt sich in Wahrheit Merlin von Avalon, der im Onyxquader heranreifte, um mit der Macht des Anbeginns das ewige Leben und die absolute Herrschaft zu erlangen.

In der letzten Zuflucht lecken unsere Freunde ihre Wunden, doch viel Zeit bleibt ihnen nicht. Dank Artus gelingt es, einen Weg in das Reich der Aquarianer zu öffnen. Hier können Nemo, Suni, Nikki, Kevin und das gesamte Unterwasservolk vor den Horden des Anbeginns gerettet werden. Niemand bemerkt jedoch, dass Nikki das Wesen vom Anbeginn, das bisher in Suni steckte, in sich aufnimmt. Auch Informationen zum Seelenmosaik können geborgen werden.

Unterdessen gelingt Grace Hummiston die Flucht aus dem untergehenden Archiv. Der Bernsteinmonolith, in dem die Archivarin auf ewig eingesperrt ist, wechselt seinen Aufenthaltsort und Grace kann mit ihm reisen. In einem Splitterreich trifft sie auf den Bruder Merlins, kann Leonardo und Clara retten und bringt den Stab von Maginus an sich. Mit dem Artefakt konnte Merlin bisher Sigile einfangen. Es scheint, als arbeite der dunkle Magier schon lange daran, die natürliche Abfolge der magischen Erben zu unterbrechen. Kurz vor der Zerstörung des Splitterreichs können Leonardo, Clara und Grace sich an den Monolith klammern. Die Reise geht weiter.

 

Das armdicke Tau wirkte von hier oben wie ein dünner Faden, der die East End mit den Zinnen der Zuflucht verband. Auf diese Art wurde der Zeppelin an Ort und Stelle gehalten, hoch über den Ereignissen, die die Zukunft beeinflussen würden. Bis zum Horizont hätte nichts anderes zu sehen sein sollen als Wüstensand. Stattdessen wimmelte es von winzigen Gestalten, die einen Kreis um die Zuflucht gezogen hatten. Am Boden gab es keinen Ausweg mehr, ihre Feinde konnten jederzeit angreifen und die Mauern allein durch ihre Masse überrennen.

»Sieht übel aus, was?« Jason hauchte Alfie einen Kuss auf den Nacken. »Moriarty lässt alles für eine Flucht vorbereiten.«

Normalerweise hätten sie telepathisch kommuniziert. Doch es wäre auffällig gewesen, schweigend nebeneinanderzustehen, während Gestik und Mimik sich ständig änderten. Mittlerweile gab es einige, die von ihren magischen Tattoos wussten, weitaus mehr aber hatten keine Ahnung. Alfie gewöhnte sich langsam daran, Jason und Madison ständig bei sich zu haben, auch im Geist.

»Wir können nicht einfach fliehen. Dort unten sind die letzten freien Magier versammelt!« Er funkelte Jason an. »Wenn diese Zuflucht fällt, werden wir auf ewig zu Gejagten. Das muss Moriarty doch wissen!«

»Na ja, du kannst einfach in dein Leben als Nimag zurückkehren und so tun, als hättest du niemals etwas von Magie erfahren.« Bei diesen Worten wirkte Jason traurig.

»Weil Merlin mich auch einfach gehen lassen würde«, gab Alfie bitter zurück. »Er weiß, dass ich der Bruder von Alex bin.« Bei dem Gedanken kam die alte Wut wie von selbst, pulsierte einem dunklen Strom gleich durch seine Adern. »Außerdem könnte ich Madison und dich niemals alleinlassen.«

»Wie süß von dir, Baby-Kent«, schaltete die Freundin sich in seine Gedanken ein.

Jason und er mussten grinsen.

Sofort verrauchte die Wut. Monatelang hatte Alfie trainiert und gelernt, die Artefakte anzuwenden, die von Agnus Blanc geschaffen worden waren. Er war dankbar für diesen Weg, den Moriarty ihm gezeigt hatte. Seit sich die Bernsteinkörner in seinem Blut befanden und der Ring ihm anzeigte, sobald deren Essenz zur Neige ging, fühlte er sich als vollwertiger Magier. Meistens jedenfalls.

»Es ehrt dich ja, dass du den Heldentod einer Flucht vorziehst«, erklärte Madison, während sie den Raum betrat, »aber soweit ich weiß, ist all den schlauen Köpfen dort unten noch nicht eingefallen, wie sie gegen eine solche Armee bestehen können.«

»Sobald Merlin auftaucht, war es das sowieso«, kommentierte Jason.

Nebeneinander betrachtet waren seine beiden Partner ein totaler Kontrast. Jason, mit seiner weißen Haut, dem roten Haar und den Sommersprossen. Madison, mit dunkler Haut und schwarzem Lockenhaar. Der Anblick war irgendwie heiß.

»Wie kannst du in so einem Augenblick an Sex denken?«, fragte Jason.

»Baby-Kent, du wirst immer verruchter.« Madison verzog die Lippen zu einem schmutzigen Grinsen.

Alfie seufzte. »Ich vergesse immer wieder, dass wir keine Geheimnisse mehr voreinander haben. Das war nur ein Impuls.«

»Oh, ich mag deine Impulse.« Madison klimperte mit den Wimpern.

Jason prustete. »Dann üben wir jetzt Impulskontrolle.«

»Wir müssen nach unten.« Alfie nickte in die Tiefe.

»Moriarty hat gesagt, du sollst hier oben bleiben.« Madison erwiderte Alfies Blick und seufzte nun ihrerseits. »Sturkopf. Von mir aus, ich bringe dich runter.«

Alfie wusste, dass Moriarty es hasste, wenn seine Befehle infrage gestellt oder sogar missachtet wurden. Doch hier ging es um mehr, als nur irgendwelche möglichen Konfrontationen. Alles stand auf dem Spiel.

Gemeinsam mit Jason berührte er Madison am Arm.

»Mögen die Spiele beginnen«, sagte sie und leitete den Sprung ein.

 

Sag die Wahrheit«, forderte Alex.

Nils blickte ihn mit großen Augen aus einem von Kekskrümeln bedeckten Gesicht an. »Ich habe keine Kekse.«

»Woher kommen dann die Krümel?«

Für eine Sekunde wirkte Nils verblüfft und seine Augen blickten hektisch hin und her. »Attu.« Er nickte eifrig.

»Ataciaru hat … die Kekse auf deinem Gesicht verteilt?«

Wieder ein eifriges Nicken. Das Problem war, dass er dem Knirps nicht einmal dann böse sein konnte, wenn er offensichtlich log. Das blonde Wuschelhaar, die frechen Augen und das lustige Grinsen – wie sollte man in so einem Fall Autorität ausstrahlen?

Alex beschloss, das Naheliegendste zu tun: »Wenn du mir welche abgibst, verrate ich dich nicht.«

Nils schien nachzudenken, dann zog er einen Keks aus der Tasche, der in silbernem Stanniolpapier eingeschlagen war. Zufrieden streckte Alex die Hand aus.

»Wie kannst du nur!«, erklang eine aufgebrachte Stimme.

Plopp.

Nils verschwand mit einem instinktiven Sprung, zusammen mit dem Keks.

»Verdammt! Hättest du nicht noch einen Moment warten können.«

Jen kam durch den Gang der Zuflucht auf ihn zu gestapft und wirkte so wütend, dass die Magier auf ihrem Weg zur Seite sprangen. »Du bist ein Vorbild für den Jungen! Um genau zu sein: ein schlechtes!«

»Wieso? Ich wollte ihm die Kekse ja abnehmen, die er gestohlen hat.«

Jen hatte ihn erreicht und schlug ihm in ihrer unnachahmlichen Art auf den Hinterkopf. »Und das klingt nicht irgendwie falsch in deinen Ohren?«

»Du bist so sexy.«

»Lenk nicht ab!« Sie konnte ihr Lächeln nicht vollständig unterdrücken.

Innerlich atmete er auf, allerdings nicht zu offensichtlich. Mehrere Schläge hintereinander taten nämlich weh.

»Darüber reden wir noch. Aber da die anderen warten, …«

Was Alex wieder zu dem Grund brachte, der ihn zum Versammlungsraum führte. Sie wollten darüber beratschlagen, was gegen die Horden Merlins getan werden konnte.

Nach der Sichtung der Angreifer war Panik ausgebrochen, insbesondere unter den Familien. Merlin hatte deutlich gemacht, dass diese ebenso wie alle Agenten sterben mussten, sollten sie nicht die Seiten wechseln. Ein Großteil der Magier in diesen Mauern hätte sich ihm anschließen können, musste dafür ›nur‹ den Glückspakt eingehen.

Es war Annora, die eine kopflose Flucht verhindert hatte. Sie war durch die Flure geeilt, hatte freundliche und tröstende Worte gefunden und den Kämpfern Aufgaben zugewiesen. Auf diese Art kam niemand ins Grübeln. Da die Anbindung ans Sprungnetzwerk sowieso aufgelöst worden war, gab es keine Möglichkeit mehr, darüber zu entkommen.

Zusammen mit Jen stieg Alex die Stufen in die Höhe, um an der Stirnseite des zweiten Stocks den Raum zu betreten. Durch die weiten Fenster konnte man den Horizont erblicken, wo die Sonne vor wenigen Stunden aufgegangen war. Auf den Gesichtern der Anwesenden lag Müdigkeit, sie alle hatten aufgrund der Beerdigung der Gefallenen wenig geschlafen.

»Ah, schön.« Annora winkte sie heran. »Dann sind wir ja vollzählig.«

Am runden Tisch saßen Dylan, Moriarty, Max, Kevin und Annora selbst.

Jen steuerte zielgerichtet einen freien Platz neben Dylan an, doch Alex drängte sie seitlich ab auf einen entfernteren Sitz.

»Ich werde dich so was von verprügeln«, flüsterte sie ihm aus dem Mundwinkel zu.

»Das ist es mir wert«, gab er leise, aber grimmig zurück.

»Du musst dich früher oder später an Artus gewöhnen.«

»Ich muss mich überhaupt nicht an Dylan gewöhnen.«

»Du Kind.«

Geräuschvoll warf er sich auf den Stuhl. »Haben wir schon einen Plan?«

»Wir hatten auf ein paar eloquente Ausführungen deinerseits gehofft«, erklärte Moriarty trocken. »Vermutlich war das vergebens.«

Alex verzichtete darauf, die Worte des Unsterblichen zu kommentieren. Stattdessen registrierte er die Spannungen zwischen diesem und Max. Beide saßen an gegenüberliegenden Seiten des Tisches.

Annora schnaubte und zog die Aufmerksamkeit damit auf sich. »So geht das nicht. Mir ist klar, dass an diesem Tisch Menschen sitzen, die über einen langen Zeitraum hinweg Feinde waren.« Sie ließ ihren Blick von Moriarty zu Max wandern. »Andere sind einfach nicht gut aufeinander zu sprechen.« Dylan, Jen und Alex gerieten ins Visier. »Doch die alten Unterschiede und Zwiste müssen ruhen. Merlins Jünger werden über uns herfallen, gnadenlos den Todeszauber anwenden und jeden hier töten. Ihnen ist völlig egal, wie wir zueinander stehen.«

»Auf Camelot …«, begann Dylan.

»Jetzt kommt‘s.« Alex verdrehte die Augen.

»… hatte ich meine Ritter, die mich weise beraten haben, doch die Entscheidung habe letztlich immer ich getroffen. Im Castillo war es der Rat der Unsterblichen. Doch all das ist nun fort. Ohne einen Anführer …«

»Meine Schattenkrieger werden sich gegenüber niemandem rechtfertigen, der …«

»Nein!« Annoras Stimme zerschnitt die Worte und brachte damit erneut alle zum Schweigen. »Es gibt keine Schattenkrieger und Lichtkämpfer mehr. Versteht das doch endlich. Jahrelang habe ich als Ordnungsmagierin gedient. Ich habe meinen Mann verloren, meine Tochter, meinen Schwiegersohn und einen meiner Enkel. Ich werde auf keinen Fall zulassen, dass eure Machtgier oder euer Narzissmus für das Ende dieser Zuflucht sorgen werden.« Sie wandte sich an Moriarty. »Jeder hier weiß, wer du bist. Spare dir deine Ränkeschmiede, sonst wird niemand mehr da sein, aus dem du Profit schlagen kannst. Es geht bei diesem Gespräch nicht darum, einen Herrscher zu küren.«

Sie ließ die Worte sacken.

»Wir müssen uns verteidigen. Es gilt, Stärken und Schwächen eines jeden zu kennen und richtig einzusetzen. Dafür wird jeder benötigt, muss jeder alles geben. Während wir hier diskutieren, bereitet Alana mit ihren Pflanzen die Verteidigung vor, kampferfahrene Magier erschaffen Abwehrzauber und die Kinder werden in die Katakomben gebracht. Doch all das wird nicht reichen.«

»Merlin könnte mit einer Fingerbewegung alles niederreißen«, bestätigte Alex.

Annora nickte. Die dunklen Ringe unter ihren Augen ließen sie noch älter wirken, als sie es war. »Das ist das Perfide an diesem Feind. Er besitzt die Macht des Walls, die sich aus uns allen speist.«

»Letztlich können wir ihn nicht besiegen«, stellte Moriarty klar. »Nicht mit den bisher bekannten Waffen. Das muss allen hier bewusst sein. Ein Kampf kann nur dazu dienen, einen Rückzug vorzubereiten.«

»Gesprochen wie ein Feigling.« Dylan musterte Moriarty abschätzig von oben bis unten.

»Einer, der gelernt hat zu überleben«, erklärte Moriarty ungerührt, »und dabei kein Königreich in den Sand gesetzt hat. Mein Verbrecherimperium hatte bis zu meinem Tod als Nimag Bestand, nicht einmal Holmes war dazu in der Lage, mich zu entmachten.«

»Ohne das Sprungnetzwerk können wir nicht fliehen«, stellte Annora klar. »Nils, Nikki und Madison können nicht schnell genug alle Menschen in diesen Mauern evakuieren, und die East End ist für solche Massen nicht ausgelegt.«

»Was wäre, wenn wir uns alle in das Splitterreich von Alana zurückziehen«, überlegte Max laut, »und es dann von der Zuflucht entkoppeln. Auf diese Art würde es abtreiben.«

»Und möglicherweise nie wieder Kontakt zur Realität herstellen können«, gab Dylan zu bedenken. »Wenn das geschieht, wird der Essenzkern beständig schwächer, weil die Kräfte des Nichts zwischen den Welten ihn aufzehren. Wir würden alle sterben.«

»Aber wir hätten Zeit für die Suche nach einer Lösung gewonnen.« Max raufte sich frustriert das Haar. »Oder wir machen eine Massenflucht, indem wir uns alle mit Zaubertränken in Maulwürfe verwandeln und uns durch den Boden graben.«

»Wir haben kaum noch Tränke«, erklärte Annora. »Es ist schon schlimm genug, dass wir uns stellenweise nicht mehr untereinander verstehen und ständig Magie für eine Sprachanpassung anwenden müssen. Mit Kleopatra haben wir diejenige verloren, die quasi im Schlaf Zaubertränke herstellen konnte.«

»Aber was bleibt uns …«

Die Tür wurde ruckartig aufgestoßen, was Jen die Worte von den Lippen riss.

Hereingestürmt kamen Kyra und … Alfie. Alex fuhr in die Höhe und starrte auf seinen kleinen Bruder. Obwohl der erst siebzehn war, wirkte er mit dem Dreitagebart und dem langen Haar deutlich älter.

»Wir haben eine Lösung gefunden«, verkündete Kyra erfreut.

 

Ich wusste, dass das eines Tages geschehen würde.«

Mit einem süffisanten Lächeln verschränkte Alfons von Thunebeck die Arme. In seiner altmodischen Weste und dem Hemd wirkte er wie einem anderen Jahrhundert entstiegen. Was genau genommen auch zutraf.

»Da wusstest du mehr als wir«, kommentierte Alex.

Gemeinsam mit Alfie, Jen, Max, Kevin, Moriarty, Kyra, Dylan und Annora hatten sie jenen Teil der Katakomben unter der Zuflucht aufgesucht, der mit Apparaturen vollgestopft war.

Seit ihrem letzten Aufenthalt hatte sich jedoch einiges verändert. Der magische Kreis war entfernt worden, das mit Noxanith angereicherte Skelett, das darin gelegen hatte, war nun in einer Vitrine aus magifiziertem Glas untergebracht und vor äußeren Einflüssen geschützt.

Moriarty schritt auf von Thunebeck zu und musterte ihn aus zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. »Das ist eine Essenzmanifestation. Will mir das jemand erklären?«

Sein Blick traf Alfie.

»Ich wollte helfen«, erklärte dieser. »Und da habe ich Kyra getroffen. Das ist unglaublich, sie kann ihre Gestalt verändern!«

Moriartys Mund öffnete sich, seine Augen wurden weit. »Ein Wechselbalg?!«

»Diese Diskussion fangen wir jetzt gar nicht erst an«, stoppte Annora ihn.

»Alfons von Thunebeck ist tatsächlich eine Essenzmanifestation«, erklärte Jen. »Als dieses Castillo damals vor dem Wall von Schattenkriegern belagert wurde, begann eine Evakuierung. Sie konnte jedoch nicht rechtzeitig vollendet werden. Um die Bewohner zu schützen, besaß der Obere zwei Möglichkeiten. Einmal das Artefakt, das das Castillo der Wirklichkeit entzog, wofür er sich am Ende auch entschied. Mit den bekannten Folgen.«

»Alle starben«, warf Alex hilfreich ein.

»Doch es gab auch noch die Apparatur.« Dabei deutete Jen ins Zentrum des Raumes, wo sich ein dicker Block aus Stein erhob, ein Altar. In die Oberfläche war eine durchsichtige Halbkugel eingelassen. Es gab eine horizontale Aussparung, neben der ein Zylinder am Boden stand. Dieser gehörte eindeutig in die Aussparung und bestand aus Himmelsglas, das oben und unten mit Chrom versiegelt worden war. Das Innere war leer. Oben an der Decke hing ein identischer Altar, aus dem ebenfalls eine Halbkugel hervorragte.

»Meine transzendente Apparatur«, erklärte von Thunebeck stolz. »Hätte Amon, dieser Hund, die richtige Entscheidung getroffen, könnten wir alle noch am Leben sein.« Bei diesen Worten ließ von Thunebeck seine Faust auf eine Platte der überall im Raum stehenden Werkbänke krachen.

»Er kann physisch interagieren«, stellte Moriarty verblüfft fest.

»Seine Knochen sind mit Noxanith angereichert«, erklärte Jen. »Dadurch ist das für kurze Zeit möglich.«

»Meine Apparatur«, lenkte von Thunebeck die Aufmerksamkeit wieder auf seine Worte, »kann uns alle retten. Die Kernelemente sind verbunden mit einem gewaltigen Bernsteinnetz, das das gesamte Fundament dieses Gebäudes und der nahen Umgebung durchzieht. An verschiedenen Punkten der Außenmauer gibt es Himmelsglasprismen, die die aufgefangene Energie umleiten. Auf dieser Basis entsteht bei der Aktivierung der Apparatur eine Kuppel.«

»Eine Schutzsphäre.« Moriarty lächelte.

»Mitnichten«, korrigierte ihn von Thunebeck. »Es ist eine Translokationsapparatur. Sobald sie aktiviert ist, wird das Castillo den Ort wechseln.«

»Was allerdings ein paar Probleme mit sich bringt«, warf Alex ein, und wie er sich erinnerte, waren diese vielfältig. »Die Apparatur lässt nicht zu, dass wir den Zielort bestimmen. Deshalb könnten wir immer erst an der neuen Position herausfinden, wo wir gelandet sind. Zudem lässt sich die Apparatur nicht mehr abschalten. Die Sprünge setzen sich immer weiter fort – und zwar nach einer nicht näher festgelegten Zeitspanne.«

Moriarty starrte von Thunebeck entgeistert an. »Also ich hätte mich als Oberster auch keinesfalls für diesen Ausweg entschieden.«

»Dann bist du ein Narr.« Der Erfinder und Hochmagier verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Keine Apparatur ist von Beginn an perfekt, doch meine bietet einen Ausweg für unsere aktuelle Misere. Ist das nicht das Wichtigste?«

Moriarty verzieh keine Beleidigungen, das wusste Alex. Seine Augen blitzten böse, sein Blick erfasste die Glasvitrine. Zukünftig würden sie auf von Thunebeck wohl achtgeben müssen.

Doch während die beiden Männer sich anfunkelten, ging Annora zwischen den herumstehenden Apparaturen umher zum Altar. Fasziniert betrachtete sie die eingehauenen Symbole, die mit verflüssigtem und wieder ausgehärtetem Bernstein ausgegossen worden waren. Hexenholzblöcke voller Zahnräder und Himmelsglaselementen waren angeschlossen.

Ihr Blick erfasste den Zylinder, der neben dem Podest am Boden stand. »Ich gehe davon aus, dass dieser gefüllt sein sollte.«

Ein kurzes Flackern, dann materialisierte von Thunebeck direkt neben Annora. »Ihr seid so charmant wie hübsch.« Er griff nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf.

Wie es schien, hatte sich von Thunebeck zwar an das übliche ›Du‹ gewöhnt, verfiel vor allem bei dem weiblichen Geschlecht jedoch sofort in die Höflichkeitsformen der alten Zeiten.

»Was muss in den Zylinder gefüllt werden?« Annora betrachtete diesen erneut genauer. »Sieht aus wie ein Behältnis für Noxanith. Die Symbole unterdrücken die Ausstrahlung bis zu einem gewissen Maße.«

»Ihr seid so schlau.« Prompt glitt Annoras Hand durch von Thunebecks, weil er wieder an Substanz verlor.