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Das Team begibt sich in den Nachbarort Maple Peaks, um dort Corey und Wendy Parkers Vergangenheit zu erforschen. Die Freunde müssen jedoch schnell erkennen, dass auch hier Gefahren lauern. Dunkle Mächte stellen sich ihnen in den Weg, um die Aufklärung des Falls zu verhindern. Zur gleichen Zeit ist Danielle im Ausland auf sich alleine gestellt. Der perfide Plan ihres Vaters scheint aufzugehen. Und in Barrington Cove präsentiert sich ein weiterer Kandidat zur Wahl für das höchste Amt der Stadt. Dies ist der 14. Roman aus der Reihe "Ein MORDs-Team".
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Seitenzahl: 150
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Table of Contents
»Verloren und Vergessen«
Was bisher geschah
Prolog
Maple Peaks, Gegenwart
Barrington Cove, in der Praxis von Doktor Shoeven
Das Tarnowski-Haus, im Geheimen Raum
Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat
Maple Peaks, vor der Maple Post
Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat
Maple Peaks, Peak In
Maple Peaks, das Parker-Anwesen
Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat
Maple Peaks, das Parker-Anwesen
Innenstadt von Maple Peaks, Praxis von Doktor Janus March
Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat
Maple Peaks, an einem unbekannten Ort
Ein unbekannter Ort, ein unbekanntes Internat
Maple Peaks, an Bord des Waggons der Maple Line
Maple Peaks, Maple In
Barrington Cove, im Haus der Familie Collister
Epilog I – Eine bittere Erkenntnis
Epilog II – 1985
Vorschau
Seriennews
Das Erbe der Macht (Urban Fantasy)
Die Chroniken der Seelenwächter (Urban Fantasy)
Heliosphere 2265 (Science Fiction)
Impressum
Ein MORDs-Team
Band 14
von Andreas Suchanek
1985: Die vier Jugendlichen Harrison, Jamie, Shannon und Billy besuchen den Zirkusrummel auf Angel Island. Ein entspannter Tag verwandelt sich in ein Inferno. Zwischen Feuer und Rauch, Trümmern und Panik treffen die Mächtigen von Barrington Cove aufeinander. Pläne werden zunichtegemacht, geheime Identitäten enthüllt, ein Mord geschieht. Doch es soll dreißig Jahre dauern, bis endlich jemand die Frage stellt: Wer tötete Corey Parker?
Gegenwart: Sonja Walker erinnert sich an ihre Kindheit, als die Katastrophe auf Angel Island ihr einen Teil der Familie nahm. Sie möchte einen Blick in die Vergangenheit werfen, um eine Reportage zu drehen. Dabei entdecken Randy, Olivia und sie einen toten Jungen in der Geisterbahn. Scheinbar wurde er erschossen.
Die Ermittlungen ergeben, dass das Opfer Corey Parker heißt und am Tag der Zirkuskatastrophe 1985 mit seiner Schwester auf dem Rummel unterwegs war. Damals starb auch Sonjas Bruder. Um endlich die Wahrheit hinter den Ereignissen aufzudecken, die so viele Leben kostete, beginnen die Freunde zu ermitteln. Im alten Gefängnis der Dynastien finden sie einen versteckten Wachraum und stoßen nicht nur auf Bilder der alten Direktoren, sie werden auch mit einer maskierten Frau konfrontiert, die sich als Wendy Parker entpuppt. Die von Hass zerfressene Schwester Coreys will die Gründungsfamilien auslöschen, um sich für den Mord an ihrem Bruder zu rächen.
Die Freunde wollen im Geheimen weiter ermitteln, um die Dynastien nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Unterdessen verkündet Alice King ihre Kandidatur zur Bürgermeisterin von Barrington Cove, und ein Rosenkrieg zwischen Shannon und Richard Holt steht an. Richard Holt geht aufs Ganze, um seine Frau unter Druck zu setzen. Er schickt Danielle in ein Internat in der Schweiz. Ihre Freunde ahnen nicht, dass sie außer Landes gebracht wurde.
1985
Billy schrie auf, als ein Killermönch von seinem Podest trat, rot glühende Augen unter der Kapuze aufblitzten und eine Hand nach ihm griff.
Harrison kicherte.
Die Figur – oder genauer: der Mann in der Kutte – stieg wieder auf das Podest. Kurz darauf erklang ein weiterer Schrei hinter ihnen.
»Du bist doof«, sagte Billy.
»Lass ihn in Ruhe«, forderte Shannon. »Wir kennen das alles hier schon. Er nicht. Warte mal, wer war das noch, der bei der ersten Fahrt so hoch geschrien hat, dass er problemlos als Eunuch durchgegangen wäre?«
Harrisons Wangen brannten. »Das … du übertreibst.«
Nun kicherte Billy. »Man lernt nie aus.«
Sie saßen zu dritt in der Geisterbahn. Jamie hatte sich aufgrund seiner Klaustrophobie abgesetzt und gaffte vermutlich jedem zweiten Mädchen hinterher. Shannon nahm das ziemlich cool. Er gab den beiden noch einen Monat. Hoffentlich stand dann keine Schlammschlacht bevor.
Shannon wirkte sowieso unruhig. Seit sie den Rummel betreten hatten, schien sie nach etwas Ausschau zu halten. Immer wieder zupfte sie an ihrem auftoupierten Haar. Alle paar Minuten sah er zu ihr hinüber. Das Shirt mit dem schwarz-gelben Karomuster und die Flickenjeans standen ihr verdammt gut.
Billy wirkte in seinen abgetretenen weißen Turnschuhen, den alten Jeans und dem hängenden T-Shirt etwas fehl am Platz zwischen ihnen. Harrison war das natürlich egal, aber er hatte durchaus bemerkt, dass einige ihrer Klassenkameraden auf Billy gedeutet und gekichert hatten.
Bald ist das alles vorbei.
Sie würden geschlossen ans Pinehearst College gehen. Billy dank eines Stipendiums, Harrison mit Hilfe eines Fonds, den sein Dad angelegt hatte. Shannon würde nebenbei jobben, um das Geld aufzutreiben, ihre Mum konnte nur einen Teil der Gebühren tragen. Jamies Eltern hatten wohl auch recht früh vorgesorgt.
Alles war gut.
Der Waggon hielt am Ausgang. Sie rannten lachend aus der Geisterbahn.
»Ich will noch mal zur Achterbahn«, verkündete Billy.
»Okay.« Harrison zuckte ergeben mit den Schultern.
»Geht nur«, kam es von Shannon. »Ich suche Jamie. Wir treffen euch dann dort.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, trabte sie davon.
Gemeinsam mit Billy rannte er zur Achterbahn.
»Was ist?«, fragte Billy.
»Mir ist ein bisschen übel«, gestand Harrison. »Fahr du alleine. Ich warte hier.«
Billy zögerte kurz, verschwand dann aber durch das Drehkreuz in den kleinen Vorbau. Ein Wagen ratterte auf Schienen über das gewaltige Holzgestell der Achterbahn.
»Na, bist du den Sozialfall losgeworden?«, erklang eine Stimme.
Harrison verdrehte die Augen. »Justin Bruker. Nicht bei Daddy auf dem Beifahrersitz? Da könntest du Sheriff spielen wie er.«
Bruker junior ballte die Fäuste und kam mit seinen beiden Speichelleckern Bob und Sam näher. »Mein Dad sorgt dafür, dass diese Stadt sicher ist. Dein Freund ist nur ein Schmarotzer. Ein Nichtsnutz – wie sein Alter.«
»Hast du das auswendig gelernt?«, fragte er. »Oder plapperst du einfach Daddys Parolen nach?« Er klatschte in die Hände. »Aus dir wird mal was.«
Justin wirkte wie ein Kochtopf kurz vor der Explosion. Harrison stellte sich auf einen ordentlichen Faustkampf ein. Schon seit der Katastrophe in der Untergrunddisco wollte er dem Mistkerl eine gehörige Abreibung verpassen. Zugegeben, Justin Bruker war breitschultrig und besaß eine Menge Muskelmasse; vermutlich der Ausgleich für das fehlende Hirn. Trotzdem, irgendwann musste es eben so weit sein.
In diesem Augenblick spähte einer der Roma zu ihnen herüber. »Macht mir hier keinen Ärger, Jungs!« Der Mann schien einen sechsten Sinn zu haben.
Justin ging an Harrison vorbei, rotzte einen Schleimballen vor dessen Füße und zog mit Bob und Sam ab.
Harrison atmete auf.
Über ihm ratterte ein weiterer Wagen vorbei.
Der Geruch nach gebrannten Mandeln und Zuckerwatte wehte an seine Nase, das Lachen von Erwachsenen und Kindern drang an sein Ohr. Sonnenlicht fiel durch das Laubdach der Bäume, die hier am Eingang gepflanzt worden waren.
Es war einer jener Momente, in dem die Zeit stillzustehen schien. Harrison nahm jedes Detail mit absoluter Klarheit in sich auf.
Der erste Schrei.
Viele weitere folgten.
Das Inferno begann.
Ein Donnerstagabend
Steine polterten. Das Licht des fernen Eingangs war längst verschwunden, einzig die Lampe an seinem Helm entriss die Umgebung den Schatten. Eine Gänsehaut kroch sein Rückgrat empor. Obwohl es nicht das erste Mal war, dass er sich in alte Ruinen oder vergessene Orte vorwagte, gehörte diese Entdeckung doch zu den größten, die er je gemacht hatte.
Bei dem Gedanken bekam er feuchte Hände.
Ein Stein rutschte unter seiner Schuhsohle hinweg. Er taumelte gegen die Wand des Ganges. Laut fluchend stützte er sich ab.
Nicht ablenken lassen! Jeder Schritt muss mit Bedacht gewählt werden.
Viele seiner Kollegen hatten Entdeckungen gemacht, von denen sie nie mehr hatten berichten können. Lost Places, wie sie im Volksmund genannt wurden, bargen oftmals tödliche Gefahren.
Er erinnerte sich betrübt an Charles. Der quirlige Artefaktjäger hatte sich nach Peru aufgemacht, wo es ein verlassenes altes Hotel hoch in den Bergen an einem Steilhang gab. Verwittertes Holz, Unkraut, das alles überwucherte, Feuchtigkeit, die jeden Zentimeter durchdrang. Angeblich hatte sich dort jemand umgebracht, aber zuvor sein Vermögen versteckt. Absoluter Unsinn. Charly wollte es jedoch glauben. Am Ende war ein Teil des Hotels weggebrochen, mit ihm darin.
Ruhe in Frieden.
So etwas würde ihm nicht passieren. Er hatte alles ganz genau ausgekundschaftet; die alten Unterlagen und Briefe studiert, die Zeitungen durchsucht und schließlich den letzten Hinweis an jenem Ort entdeckt, wo er niemals geglaubt hätte, ihn zu finden.
Der Gang wuchs in die Breite.
Ein gewaltiger unterirdischer Raum lag vor ihm.
Drei Schienenstränge führten gerade auf einen Betonstreifen zu. Dahinter erhoben sich ein zentrales Führerhaus, ein Kiosk, sanitäre Anlagen. Verwitterte Bänke luden zum Sitzen ein. Drei alte Waggons erkannte er auf einen Blick, im Hintergrund standen noch mehr.
Über allem lag der Staub der Jahrzehnte.
»Endlich«, hauchte er.
Die drei gewaltigen Fenster weit in der Höhe waren längst blind. Andernfalls hätten sie den Blick auf Erde, Geröll und Steine freigegeben.
Der alte Bahnhof hatte einst zur Touristenattraktion von Maple Peaks werden sollen. Stattdessen war er unter Tonnen aus Schutt begraben worden.
»Das perfekte Versteck.«
Der Schlag kam völlig unerwartet, traf seinen Hinterkopf und schickte ihn zu Boden. Der Schmerz explodierte unter seiner Schädeldecke.
Eine dunkle Silhouette ragte über ihm empor, als er mit verschleiertem Blick aufsah.
»Ich fürchte, das war Ihre letzte Entdeckung.«
Seine Sinne schwanden.
Ein Freitagmorgen
»… hat sie mein Board geklaut. Echt jetzt, wer tut schon so was? Das versaut mir den Tag. Verstehen Sie?« Mason schaute zu Doktor Shoeven auf.
Der Psychologe wirkte seltsamerweise leicht genervt. Er hatte dunkles welliges Haar und soeben seine etwas altmodisch ausschauende Brille von der Nase genommen. Nun massierte er sich die Nasenflügel. »Natürlich, aber …«
»Eine Freundin macht so was einfach nicht. Das wäre, als … wenn ich Randy einen Laptop klaue. Würde ich niemals tun! In dem Spargeltarzan steckt echt viel Kraft. Der würde mir auf die Nase hauen. Sonst ist er ganz friedlich, wirklich. Nur wenn seine Technik ins Spiel kommt, na ja. Verstehen Sie, was ich meine?«
Shoeven nickte. »Ja, aber …«
»Das ist gut. So schlimm ist es hier gar nicht. Bei Psychologen denkt man ja immer an alte Typen mit weißem Haar und Couch. Gut, Sie sind schon alt.« Er musterte den Mann von oben bis unten. »Locker vierzig, oder?«
»Mitte dreißig.«
»Ah. Sie haben sich gut gehalten. Okay, 'ne Couch haben Sie auch. Aber ich liege ja nicht drauf.« Er lachte. »Weiße Haare haben Sie aber nicht. Oder? Sind die gefärbt?«
»Nein«, knurrte Shoeven.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Der Psychologe lächelte, wenn auch etwas gezwungen, wie Mason fand. »Natürlich. Aber reden wir doch über das eigentliche Problem, weshalb deine Mum wollte, dass du mich aufsuchst. Die Lokalnachrichten sprechen ja von nichts anderem. Ein Selbstmordversuch, der dir den Spitznamen Klippenjunge eingebracht hat.«
Nun hätte Mason beinahe geknurrt. Kaum zu glauben, dass ein Ereignis derart falsch wiedergegeben werden konnte. Bedauerlicherweise durfte er den Irrtum nicht aufklären, wollte er seine Eltern und Freunde nicht in Gefahr bringen. Es sei denn …
»Ha! Sie unterliegen der Schweigepflicht, oder?«
Shoeven nickte. Mittlerweile hatte er die Brille wieder aufgesetzt und machte sich eifrig Notizen auf einem Block. »In der Tat.«
»Wissen Sie, Randy würde Ihnen ein Pad empfehlen. Dann müssen Sie nach der Sitzung nicht alles in den Computer …«
»Bleiben wir doch beim Thema«, unterbrach der Doc. »Du kannst hier offen sprechen.«
Mason rang mit sich. Sie hatten einheitlich beschlossen, die Ermittlungen im Mordfall Corey Parker geheim zu halten. Die Dynastien durften davon nichts erfahren, andernfalls begaben sie sich erneut in Lebensgefahr. Dass einer der familieneigenen Killer einen Hechtsprung von einer Klippe ins Meer gemacht hatte, brachte ihnen bestimmt auch keine Pluspunkte ein.
Warum musste dieser dämliche Cliffhanger auch eine Kamera dabei haben?!
Stunden später hatte Channel 5 die Aufnahme ausgestrahlt.
»Da war ein Killer.«
»Ein Killer?« Shoevens Stift kratzte über das Papier.
»Ja. Er hatte eine Pistole und mich dazu gezwungen, zur Klippe zu gehen und zu springen.«
»Aha.«
»Die Kamera hat ihn nicht erfasst, weil er weiter hinten stand.«
Shoeven linste unter seiner Brille zu ihm herüber. »Warum wollte der Mann dich töten?«
Mason überlegte ernsthaft, ihm die Wahrheit zu sagen. Andererseits konnte eine kleine Beugung nicht schaden. »Tyler.«
»Bürgermeister Tyler war der Killer?«
»Nein.« Er lachte. »Das ist doch kaum möglich, der ist tot. Und vor Geistern habe ich bestimmt keine Angst.« Shoeven schien humorresistent zu sein. Mason wurde wieder ernst. »Das war ein Witz. Nein, der Kerl wollte sich wohl rächen.«
»Wofür?«
»Na, weil wir doch Tyler überführt haben.«
»Was hat der Killer mit dem ehemaligen Bürgermeister zu tun?«
Mason schaute Shoeven an, wollte etwas erwidern, aber ihm wollte einfach nichts einfallen. Im nächsten Augenblick verselbstständigte sich sein Mund und er plapperte drauflos. Als er zwanzig Minuten später aus dem Raum ging, war er überzeugt davon, Doktor Shoeven eine konsistente Geschichte aufgetischt zu haben, die relativ nahe an der Realität lag. Damit war diese Sache hoffentlich ausgestanden.
*
»Setzen Sie sich, Mrs. Collister«, bat Doktor Shoeven.
Martha nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem zuvor Mason gesessen hatte. Normalerweise sollte sie längst bei ihrem Meeting sein, doch das hatte sie aufgeschoben. Ihr Sohn ging vor. »Also?«
Das Klientenzimmer des Psychologen war gemütlich eingerichtet: ein schmales Bücherregal, zahlreiche kleine Porzellanfiguren als Zierde und Landschaftsaufnahmen in Holzrahmen an der Wand.
Shoeven seufzte. Er nahm seine Brille ab, rieb sich die Nasenflügel und schenkte ihr einen tiefen Blick. »Ich werde hier nicht auf Details eingehen, das hatten wir ja so besprochen. Aber es ist schlimm.«
Er schaute auf die Notizen.
»Mason hat ein strapaziöses Jahr hinter sich. Zuerst wurde er unschuldig von der Highschool verwiesen, weil er angeblich mit Drogen gedealt hat. In der Folge stürzten er und seine Freunde sich in die gefährlichen Ermittlungen um Bürgermeister Tyler. Er wurde in den Trümmern der Schule begraben und sein bester Freund starb beinahe, weil Tyler ihn vergiftete. Daraus ergab sich nach einem langen Tief eine Phase der Euphorie, die aus den Ereignissen resultierte.«
Shoeven legte die Notizen beiseite.
»Mrs. Collister, ich fürchte, Mason ist einsam. Nachdem die Welle der Aufmerksamkeit und Sympathie abgeebbt ist, versucht er zwanghaft, sie zurückzuerlangen. Dafür begibt er sich massiv in Gefahr. Ich bin ehrlich gesagt noch nicht sicher, ob wir es hier tatsächlich mit einem Suizidversuch zu tun haben oder einfach Aufmerksamkeit generiert werden sollte. In beiden Fällen ist es jedoch ein Warnsignal.«
Martha legte die Hände ineinander. Shoeven war ein guter Psychologe, das wusste sie. Die Möglichkeit, dass Mason nur einsam war und Zuwendung wollte, war ihr nie in den Sinn gekommen. »Was soll ich denn tun?« Kurz darauf wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte. »Wir, ich meine: Was sollen wir denn tun?«
»Gibt es Probleme zwischen Ihnen und Mister Collister?«
Martha seufzte. Sie legte ihre Tasche ab, massierte sich die Schläfe und nickte. »Tylers Enthüllung hat uns nicht gerade gutgetan. Außerdem stehen für mich geschäftlich ein paar wichtige Entscheidungen an, das hält auf Trab. Und ich mache mir Sorgen um Mason.«
Shoeven nahm seinen Block auf, schlug eine Seite um und ließ den Bleistift über das Papier kratzen. »Das verstehe ich. Vielleicht sollten wir gemeinsam daran arbeiten, Lösungen zu finden, die Sie entlasten, Martha. Das gilt für Ihre Ehe, Ihren beruflichen Weg, aber auch Mason. Es gibt durchaus verschiedene Möglichkeiten, die gerade im Fall Ihres Sohnes eine Lösung versprechen.«
Sie atmete auf. Möglicherweise war das eine gute Idee. Sie vermochte nicht länger alles alleine zu stemmen. Jamie gab sich Mühe, aber er konnte einfach nicht nachvollziehen, wie es in ihr aussah.
»Er wurde mit überbordendem Selbstbewusstsein geboren«, überlegte sie.
»Bitte?«
»Oh, ich habe nur laut gedacht.«
Eine Stunde später verließ sie beschwingt die Praxis. Sie hatte eine Entscheidung getroffen.
*
Ein Freitagmittag
Randy griff gedankenverloren in das Glas, zog eine Lakritzstange heraus und knabberte darauf herum. Netterweise hatte Billy für Nachschub gesorgt. Der Deal, den sie geschlossen hatten, zahlte sich aus.
Sie durften den Geheimen Raum jederzeit aufsuchen. Dafür hatte er sogar eine Panzertür an jene Stelle einbauen lassen, die in die Katakomben überging. Sie gaben einfach den mehrstelligen Code über das Touch-Display ein und konnten ihr persönliches Archiv betreten. Im Gegenzug digitalisierten sie regelmäßig die alten Akten der 84er.
Das gab Randy zugleich die Möglichkeit, in den damaligen Fällen zu schmökern. Sie lasen sich wie Geschichten über ein Detektivquartett, das ständig in hoch gefährliche Situationen geriet.
Furchtbar, überlegte er. Ich könnte so nicht leben. Immer diese Gefahr.
Er ließ den nächsten Scan ablaufen. Mittlerweile war er bei der Collegezeit der 84er angekommen. Die vier hatten einen Fall zu einem Diebstahl geklärt. Ein wertvolles Gemälde, eine Nachbildung der Mona Lisa, war von einem Meisterdieb gestohlen worden. Immerhin, im Gegensatz zum mörderischen Chamäleon oder der irren Claudia Kastelano, der Tochter des Gangsterbosses Fausto, war der Fuchs ein Gentleman-Ganove. Er stahl die wertvollsten Gegenstände, verletzte aber niemals jemanden. Und er war damals verdammt jung gewesen. Doch nach einem letzten großen Coup, bei dem er einen Diamanten aus dem Museum gestohlen hatte, war der Fuchs nicht mehr aufgetaucht.
Randy seufzte. Er hätte sich tagelang in diese Fälle vertiefen können.
»Verdammt!« Er schaute auf die Uhr.
Über das Lesen hatte er völlig die Zeit vergessen. Er beendete den Scan, speicherte die Daten ab und verstaute die alten Akten. Bevor er aus dem Raum in die Katakomben stürmte, schrieb er Billy einen Zettel, um sich für die Lakritzstangen zu bedanken. Augenblicke später erreichte er den Ausgang.
Auf der kleinen Anhöhe hinter dem Tarnowski-Haus gab es einen Garten, den der Vorbesitzer des Grundstücks wohl angelegt hatte. Er lag etwas versteckt und war längst verwildert. Überall standen Steinstatuen; Bildnisse von gefallenen Engeln, dazwischen kleine Pagoden. Unkraut überwucherte die ausgestreckten Finger, die gen Himmel deuteten, das Holz des Zauns war von Feuchtigkeit zerfressen.
Scheinbar hatte der Vorbesitzer des Hauses hier einen Zugang angelegt, um das Anwesen und den Geheimen Raum jederzeit verlassen zu können. Es gab einen Mechanismus in einer Steinplatte. Ein kleiner Hebel war in der Erde versteckt, auf den man einfach treten konnte. Daraufhin schob sich die Platte zur Seite. Angeblich gab es überall in Barrington Cove weitere versteckte Zugänge zu den Katakomben, doch dieser war überraschend ausgeklügelt.
Randy kam sich vor wie ein Vampir, der seiner Gruft entstieg.
Während die Steinplatte hinter ihm wieder einrastete, sprang er auf sein Rad und trat in die Pedale. Die anderen warteten bestimmt schon am Leuchtturm.