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Nichts wird mehr sein, wie zuvor. Die Identität der Schattenfrau wurde enthüllt - mit katastrophalen Konsequenzen. Einer der Lichtkämpfer wurde lebensgefährlich verletzt, ein anderer stellt sich der größten Feindin, die jemals existierte. Doch die Wahrheit hinter dem Schatten ist weitaus größer, als bisher angenommen. Zur gleichen Zeit müssen sich die Freunde im Castillo einer furchtbaren Gefahr stellen, die das Ende für die Lichtkämpfer als Ganzes bedeuten könnte. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018!
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Seitenzahl: 472
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Table of Contents
Schattenchronik 3
Schattenzeit
Prolog
1. In den Trümmern
2. Ein Schlachtfeld namens Castillo
3. Kräuter und Schinken
4. Martyrium
5. Was geht hier vor?
6. Alles auf eine Karte
7. Schock!
8. Wer bin ich?
9. Ein Blutbad
10. Ich gab ein Versprechen
11. Von wilden Sigilen und Zwillingsmacht
12. Zitrusfrüchte, Sommerwein und Harz
13. Iria Kon
14. Tötet sie alle!
15. Eine Hoffnung aus Bernstein
16. Das Permit
17. Verfolgt
18. Eine Obszönität der Natur
19. Was dein sei mein
20. Männer und ihr Spielzeug
21. Die Offensive
22. Eine Abfolge aus …
23. Die Geburt von Clara Ashwell
24. Gespräch mit einem Toten
25. Plauderstunde im Berg
26. Guten Morgen, Sonnenschein
27. Die tote Stadt
28. Die Mauern wanken
29. Das Aurafeuerwerk
30. Die Ruhe nach dem Sturm
31. Die Frau mit dem Regenschirm
Opfergang
Prolog
1. Frühstück im Bett
2. Milch und Honig
3. Kriegsrat
4. Der Auftrag
5. Noch mehr Prophezeiungen
6. Der zerbrochene Stab
7. Eine Diva in ihrer natürlichen Umgebung
8. Der geheime Zugang
9. Baguette und Eclairs
10. Kreatives Chaos
11. Die fehlenden Kinder
12. Fünf Mönche, drei Magier und ein Nimag
13. Stufen ins Gestern
14. Heimvorteil
15. Hier riecht es verbrannt
16. In tiefsten Tiefen
17. Du Banause
18. Was ist hier passiert?
19. Ich plädiere auf Verjährung
20. Ein toter Mönch auf Französisch
21. Mon Dieu
22. Das Kleingedruckte
23. Sightseeing mal auf andere Art
24. Offenbarungen
25. Die Geister, die ich rief
26. Gottheiten, flambiert
27. Darauf hast du doch die ganze Zeit gewartet
28. Die gnadenlose Klinge
29. Silberknochen
30. Sushi?
31. Ich wandle im Schatten
32. Die Waffe
Silberknochen
Prolog
1. Ein viel zu großer Schuhkarton
2. Man muss sie einfach lieb haben
3. Essenzfeuer
4. Worte aus Träumen, Knochen aus Silber
5. Ende eines Kaffeeplauschs
6. Ein Erfolg in Pink
7. In Nemos Reich
8. Atemlos durch den Bernstein
9. Das Problem Max Manning
10. Am besten trennen wir uns
11. Ein vergifteter Thron
12. Ein Schatten vom Anbeginn
13. Wer bist du?
14. Der Triumph der Patricia Ashwell
15. Wasser, Wolfram und ein Ei
16. Eine ganz neue Art der Diät
17. Ein Fund in tiefsten Tiefen
18. Ein Fehler mit Folgen
19. Wissen aus alter Zeit
20. Alt trifft auf Neu
21. Im Zentrum der Dunkelheit
22. Ruhe, Stille … Ewigkeit
23. 007 auf der Flucht
24. Der lautlose Schrei
25. Ein dunkler Stern geht auf
26. Silberknochen
27. Alle Hoffnung liegt auf …
28. Einzig mir gebührt die Waffe
Impressum
Das Erbe der Macht
Ascheatem
von Andreas Suchanek
VII
Schattenzeit
Sie fiel in die Unendlichkeit.
Mystische Essenz prallte gegen ihren Leib, zerrte an jeder Faser ihres Seins, wollte zerstören, was sie war. Dunkle Wolken formten sich zu gierigen Tentakeln, die sie durchbohrten.
Mit dem letzten Rest klaren Denkens klammerte Clara sich an die Hoffnung, dass dies ein Albtraum war. Sie fiel immer weiter, mitgerissen von der Schwerkraft des Zeitportals. Doch es konnte nicht wahr sein!
Sie brüllte, ruderte mit den Armen, wollte sich festhalten, zusammenkrümmen und aufwachen. Zu Hause, in ihrem weichen Bett im Castillo, wo bei Tilda frisch gebrühter Kaffee wartete und ihre Freunde lachend und scherzend mit ihr frühstücken würden.
Sie hat ihn gerettet.
Der Gedanke ließ ihre Hoffnung zerbröseln wie die Aschereste eines längst vergangenen Lebens. Eine Hand griff nach ihrem Herz, zerquetschte jede Lebensfreude, die allen Widrigkeiten zum Trotz überlebt hatte.
Wieder sah Clara die grinsende Fratze Crowleys, der den Schattenstab erhoben hielt und auf sie deutete, spürte die wabernden Kräfte des Portals. Doch kurz bevor sie die Gegenwart verlassen hatte, war sie aufgetaucht. Die Schattenfrau.
Sie hatte ihr etwas zugeworfen.
Clara konnte noch immer kaum einen klaren Gedanken fassen. Ihre Hände tasteten nach dem Amulett. Es war der Silberregen-Sigilsplitter. In ihm steckte die Macht unzähliger Sigile, die in der düsteren Version von London aufgesaugt worden waren. Sie spürte es. Die Macht, die tastende Präsenz, die pure Energie.
»Gryff?«, fragte sie.
Ihre Worte wurden zu Rauch, der davonwehte. Ungehört und unbeantwortet.
Erst jetzt bemerkte Clara die Buchstaben aus schwarzer Tinte, die über ihre Haut krochen. Das Contego Maxima! Doch wie war das möglich? Wieso befand sich der absolute Schutz in ihrem Blut?
Alles war so verwirrend.
Ihr Fall endete abrupt. Das Portal spuckte sie aus, schleuderte ihren Körper gegen einen Baum. Ohne das Contego Maxima wären ihre Knochen gebrochen, so aber blieb sie unverletzt. Die Passage hatte einen Großteil des Schutzes aufgezehrt, nur ein kleiner Rest war geblieben.
Sie taumelte durch die Nacht, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
Eine Ewigkeit später brach sie vor den Füßen eines alten Mannes zusammen.
»Hilfe«, brachte sie noch hervor.
Er lächelte gütig auf sie herab.
»Ich werde dir helfen, Frau aus dem Schatten«, sagte der erste Stabmacher.
Jen flüsterte den Namen der größten Feindin der Lichtkämpfer, die nicht länger unter einem Schattenschleier verborgen war, während Chaos und Tod nach ihnen allen griff.
»Clara.«
Eine weitere Glasfigur zerbarst. Schwarze Scherben flogen durch die Luft und prasselten als scharfkantige Splitter herab.
Alex hustete Blut. Sein Körper fühlte sich taub an, nur stellenweise pochten die Wunden. Der Kraftschlag hatte Haut, Fleisch und Knochen durchschlagen, ihn wie eine Puppe mit durchtrennten Fäden zur Seite geworfen. Er lag sterbend in einer größer werdenden Blutlache.
Nur zwei Meter entfernt lag Nikki bewusstlos auf den Bodenplatten.
»Du hast ja keine Vorstellung davon, was ich erleben musste«, spie die Schattenfrau Jen entgegen.
Alex starrte entsetzt auf das Schauspiel. Der Zeitschlund war noch immer geöffnet, spuckte seine zerstörerische Kraft in die Wirklichkeit. Der Boden bebte.
Die Schattenfrau hatte ihren Schleier fallen lassen. Obgleich sie Jahrhunderte durchlebt hatte, war Clara nur wenige Jahre gealtert. Um ihren Hals hing der Silberregen-Splitter. Es hatte ihn all die Jahre also zweimal gegeben. Einmal in Dark London, einmal am Hals der Schattenfrau. Sie hielt ihren Essenzstab umklammert, die Spitze auf Jens Stirn gerichtet.
»Wie konntest du dich nur für ihn entscheiden?«
Damit meinte sie Alex.
Er wollte etwas sagen, wollte Clara zurufen, dass es Crowley war, der die Verantwortung trug. Doch es war unmöglich. Ein kurzes Krächzen, Blutbläschen, rote Sprenkel, mehr kam nicht über seine Lippen.
Eine Träne löste sich aus Alex’ linkem Auge, rann seine Schläfe hinab und tropfte zu Boden. Er wollte nicht sterben. Wo er doch gerade erst anfing, dieses neue Leben zu genießen.
»Wir haben versucht, dich zu retten«, sagte Jen schluchzend.
»Nicht gut genug!«, kam die Antwort.
In der Stimme der Schattenfrau lag Leidenschaft, verschmolzen mit absolutem Hass.
Alex konnte noch immer nicht alles verstehen, was gerade geschehen war. Ein Zeitkreis? Clara war also in die Vergangenheit geschleudert worden, hatte dank des Contego Maxima und des Sigilsplitters überlebt. Aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse war sie ihnen immer einen Schritt voraus gewesen.
Deshalb hatte sie wissen können, wann Jen und er zum Essenzstabmacher gingen, wusste sie schon davor, wie der Kampf endete. Da die Zeit nicht verändert werden konnte, musste sie also den Wechselbalg einschleusen, der Gryff tötete. Einstein hatte sehr deutlich gemacht, dass die Geschichte unveränderlich war. Durch ihre Reise war Clara Teil von allem geworden. Deshalb hatte er sie in Indien auch nicht besiegen können. Der Feuerblut-Splitter war schwächer gewesen als der Silberregen-Splitter, hatte letzterer doch zahlreiche weitere Sigile verschlungen. Plötzlich ergaben so viele kleine Hinweise und Andeutungen einen Sinn.
Aber jetzt ist der Kreis geschlossen.
Alex begriff, was das bedeutete. Ab sofort wusste die Schattenfrau nicht mehr, was noch geschehen würde. Nichts war mehr festgelegt. Gleichzeitig war sie frei. Es gab nicht länger ein vorgegebenes Drehbuch, nach dem sie sich richten musste.
Sie wird töten!
Sein Essenzstab lag zu weit weg, er kam nicht an ihn heran. Trotzdem spürte er die vertraute Präsenz seines Sigils, das im Takt seines Herzschlags pulsierte.
Die Schattenfrau senkte ihren Stab. Blitzschnell schoss ihre Hand nach vorne, packte Jen an der Kehle und riss sie in die Höhe. Sie musste die Gravitation verändert haben, andernfalls hätte sie das niemals zuwege gebracht.
»Du weißt gar nichts, Jen. Worte können nicht beschreiben, was die Zeit mir angetan hat. Es war reines Glück, das mich überleben und erstarken ließ. Crowley wird an keinem Ort der Welt vor mir sicher sein. Doch zuerst bist du an der Reihe.«
Schwarze Wolken bildeten sich und umhüllten Jen und die Schattenfrau. Als sie sich auflösten, waren beide fort.
Alex und Nikki blieben alleine zurück.
Mit Schrecken begriff er, dass das Zeitportal noch immer geöffnet war. Stärker und stärker wüteten die gravitativen Energien.
Die letzte Figur zerbarst, alle verbliebenen Scherben wurden in den Schlund gesogen. Der erste Findling wackelte. Das Beben nahm an Stärke zu, Steinbrocken lösten sich von der Decke und krachten herab.
Alex hob zitternd den Finger.
Er benötigte all seine Konzentration, um das magische Symbol in die Luft zu zeichnen, es aus seiner bernsteinfarbenen Essenz zu erschaffen. Minuten vergingen, bis es endlich vollendet war.
»Sa …« Er spuckte Blut. »Sanitatem Co… rpus.«
Magie wirkte.
Der Schmerz ließ ein wenig nach, in seinem Inneren heilte etwas.
Nicht genug.
»Nikki!« Immerhin konnte er wieder sprechen.
Er streckte den Arm aus, um die Sprungmagierin anzustupsen, doch sie lag ein Stück zu weit entfernt.
»Aportate Essenzstab.«
Das unterarmlange Stück Holz rotierte durch die Luft und landete in Alex’ Hand. Er stupste Nikki mit dem Stab in die Seite. Sie stöhnte, regte sich aber noch immer nicht.
Ein dicker Felsbrocken krachte dicht neben ihrem Gesicht zu Boden. Steinchen flogen umher, gerieten in die Anziehungskraft des Zeitportals und wurden zermalmt.
»Ni…«
Mit Entsetzen bemerkte Alex, dass sich die Sprungmagierin bewegte. Auf das Portal zu. Auch er wurde langsam dorthin gezogen. Einer der Findlinge stieg in die Höhe und sauste ebenfalls in das rot-schwarze Wabern. Nichts blieb von ihm übrig.
»Nikki!« Er rammte ihr den Essenzstab in die Seite.
»Was?!« Sie fuhr in die Höhe.
Und wurde prompt durch die Kraft des Portals unterstützt. Ihr Körper flog in die Luft, beschrieb einen Bogen und sauste auf den Eingang des Zeitschachts zu.
»Spring!«
Plopp.
Nikki erschien an der Tür des Raumes und brach in die Knie. Die Finger hielt sie fest um den Rahmen geklammert. »Was … habe ich geträumt? Mir ist so schlecht. Zeitmagie und Sprünge, das geht gar nicht.«
Alex rutschte in Richtung des Portals, immer schneller. Eine schmierige Spur aus Blut hinter sich herziehend, erreichte er das Podest. »Hilf mir!«
Nikkis Augen weiteten sich.
Sie vollführte einen weiteren Sprung, erschien direkt neben Alex und griff nach seinem Arm. Sie wurden in die Höhe gehoben, Gravitation zerrte sie hinfort, der Atem der Zeit umfing sie.
»Spring!«, krächzte er.
»Ich versuch es«, kam es zurück. Nikkis Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, Schweißtropfen drangen aus ihren Poren und wurden seitlich davongezogen. Die gesamte Gravitation spielte verrückt.
Ein Riss brach auf, durchzog den Boden und teilte den Raum in zwei Hälften. Die Findlinge wurden aus dem Grund gezogen wie Korken, die eine Flasche verschlossen hielten. Teile der Wand krachten in sich zusammen.
»Spring!«
Nikkis Finger krallten sich in seinen Arm. Ein Blutfaden rann aus ihrer Nase. Sie keuchte, riss den Kopf in den Nacken. Der Sprung wurde eingeleitet, jedoch unendlich langsam.
Alex konnte spüren, wie Nikkis Magie gegen das Zeitportal ankämpfte.
War sie stark genug?
Plopp.
Johanna griff nach ihrem Kontaktstein. Ihre Worte hallten hinaus und kündeten von dem Grauen, das über sie alle gekommen war.
»Der Feind ist hier! Kämpft!«
Sie hechteten zu dritt über die Brüstung, hinter ihnen sausten die ersten Kraftschläge heran. Thomas hatte die Schwerkraft angepasst, so wurde aus ihrem Fall ein sanftes Gleiten.
»Ich kümmere mich um die Neuerweckten«, erklärte Albert.
»Betrachte die Katakomben als versiegelt und den Onyxquader als geschützt«, fügte Thomas hinzu.
Beide rannten in unterschiedliche Richtungen davon.
Damit blieb nur noch eines zu tun, das wohl Wichtigste überhaupt: Der Feuerblut-Splitter musste gesichert werden. Johanna wandte sich dem Ausgang zu. Hinter ihr strömten die Ordnungsmagier aus ihrem Flügel, um sich den Eindringlingen entgegenzustellen.
Saint Germain und Dschingis Khan würden es ihnen nicht leicht machen. Vermutlich war Rasputin ebenfalls hier irgendwo. Auch Crowley war eine Möglichkeit. Ob sich der noch fehlende Unsterbliche auch offenbarte? Der mysteriöse neue Spieler oder die neue Spielerin?
Es fühlte sich schrecklich an, nicht in den Kampf einzugreifen, doch Johanna musste an das Wohl aller denken. Sie erreichte den Garten …
… und blieb geschockt stehen.
Der Kristallschirm um das Castillo hatte sich verändert. Wo die magischen Kristalle bisher eine undurchdringliche Hülle erzeugt hatten, die jedwede Art schwarzer Magie und feindlicher Essenz vom Gebäude und den umgebenden Ländereien abhielt, befand sich etwas gänzlich anderes. Die Sphäre hatte sich eingetrübt, ließ kaum noch Sonnenlicht hindurch.
Johanna spürte, dass sich die grundlegende Struktur ebenfalls veränderte. Nichts kam mehr hinein. Ob Dunkelheit oder Schatten, die Barriere hielt Helfer draußen und alle anderen hier drinnen.
Sie eilte in den rückwärtigen Bereich des Gartens, zwischen Hecken hindurch, am Gemüsegarten vorbei, hin zu der gewaltigen Eiche, die seit Jahrzehnten wuchs. Dicke Wurzeln lagen verschlungen vor ihr, reichten tief hinab ins Erdreich. Magie hielt den immergrünen Baum am Blühen.
Johanna malte das Symbol in die Luft und sagte hastig: »Levitate radix.«
Es knirschte, als einer der Wurzelstränge emporglitt. Stufen aus Stein, bedeckt von Erde, Sand und Moos lagen vor ihr. Sie stieg hinab. Eine Leuchtkugel entstand aus dem Nichts und erhellte die Dunkelheit. Überall ragten kleinere Wurzelstränge aus der Erde, Pflanzenbüschel in den Gang.
Am Ziel erwartete Johanna ein weiter Raum. Er war leer, abgesehen von einer Glaskugel, die im Zentrum schwebte.
Es war eine langwierige Arbeit, Himmelsglas zu bearbeiten. Natürlich wurden die Splitter in Essenzstäben eingesetzt oder in den Hexenholzkriegern des Übungsraumes. Doch aus dem magischen Glas einen neuen Gegenstand zu formen, dauerte Monate, wenn nicht gar Jahre. Ein solches Werk war die Kugel. An einer Stelle war ein hauchdünnes Oval aus Bernstein in das Material eingepasst.
Nur an dieser Stelle war die absorbierende Wirkung des Himmelsglases aufgehoben. Lediglich von außen nach innen konnte Magie gewirkt werden.
Umhüllt von dem kostbaren Material schwebte der Feuerblut-Splitter, äußerlich ein Bruchstück aus Bergkristall, der von orangeroter Essenz umlodert wurde. Wie immer, wenn Johanna sich ihm näherte, empfand sie Erhabenheit. Dieses Sigil war einst Teil eines Magiers gewesen, der an der Erschaffung des Walls mitgewirkt hatte. Über Jahrhunderte hinweg war die Kraft angewachsen, hatte sich Essenz gesammelt.
Alex hatte das Artefakt in Indien geborgen und genutzt. Seitdem wurde es hier aufbewahrt. Einstein untersuchte es alle paar Tage und Thomas hatte bereits mehrfach versucht, die Hülle zu zerstören, um das Sigil damit wieder der Ursubstanz zuzuführen. Erfolglos. Es schien, als klammere es sich an seine Existenz.
In falschen Händen würde es Chaos säen. Es stand außer Frage, dass die Schattenfrau oder die dunklen Unsterblichen ›falsche Hände‹ waren. Besonders erstere hatte das längst deutlich gemacht. Sie wollte die Sigile vereinen, um Allmacht zu erschaffen. Wie geschickt sie dabei vorging, bewiesen die aktuellen Geschehnisse.
Nach Monaten des erfolglosen Versuchs, das Siegel um die Verbindung zwischen der Bibliothek des Castillos und dem Archiv zu brechen, hatte Johanna das Netzwerk aufgelöst. Der Zauber, der Türübergänge miteinander verband und weit entfernte Räume wie ein einziges Gebäude erscheinen ließ, war durch eine Manipulation entartet. Ein Plan der Schattenfrau, der dafür sorgte, dass das Castillo mit dem Refugium der Schatten verschmolz. Ihren Feinden wurde Tür und Tor geöffnet.
»Aber so leicht machen wir es euch nicht.«
Johanna wollte den Feuerblut-Splitter nicht nur bergen, sondern seine Kraft auch nutzen, um die Feinde zurückzuschlagen. Durch Alex wusste sie aus erster Hand, wie viel Macht in dem unscheinbaren Artefakt steckte.
Sie strich sanft über den Bernstein, malte mit dem Finger ein Symbol auf die Oberfläche. Da in dem Material Essenz gespeichert war, musste sie keine eigene dafür aufwenden, um das Hindernis durchlässig zu machen. Es waberte. Der Feuerblut-Splitter trieb aus der Himmelsglaskugel heraus.
»Du bist unsere letzte Chance«, flüsterte sie. »Mit dir besiegen wir sie.«
Hinter ihr rieselte Sand von der Decke.
Ihre in Jahrhunderten antrainierten Reflexe griffen. Johanna duckte sich, fuhr herum und riss ihren Essenzstab in die Höhe.
Zu spät.
Ihr blieb gerade noch Zeit, um den Feind zu erkennen, der sich hinterrücks angeschlichen hatte. Sie wollte etwas rufen, ihn zurückhalten, doch sein Schlag traf sie mit solcher Wucht, dass ihr Bewusstsein in die Schwärze kippte.
Mit ihrem letzten klaren Gedanken begriff Johanna, dass sich die Geschichte wiederholte. Wie vor einhundertsechsundsechzig Jahren fielen die Schattenkrieger in das Castillo ein.
Und nun konnte sie niemand mehr aufhalten.
Tilda bedachte das Pad mit einem wütenden Blick. Der gemeinste Cliffhanger aller Zeiten, der die letzte Folge ihrer Lieblingssoap beendet hatte, war mit der Fortsetzung aufgelöst worden. Darauf hatte sie jedoch eine Ewigkeit warten müssen. Stunden! Ein Unding. Und jetzt das! Wer hätte bitte ahnen können, dass im zweiten Teil der Doppelfolge so etwas geschah?!
Sie wollte weiterschauen, musste zuvor allerdings die verdammte Suppe fertigstellen, die ein gewisser Alexander Kent durch Unachtsamkeit in die Luft gejagt hatte. Wenn das so weiterging, würde der Drache noch verhungern, das arme putzige Ding.
Tilda hielt inne, stoppte die Rührbewegungen. »Zwölf oder dreizehn?« Verdammt! Vor lauter Wut hatte sie nicht mehr mitgezählt. Was jetzt?
»Vielleicht kann ich Schinken hineintun?«, überlegte sie. »Und dann die Zahl der Umrührungen anpassen. Ein paar Kräuter möglicherweise.«
Sie betrat den angrenzenden Garten. Der Tag war überraschend düster. Sie zupfte ein Büschel Kräuter, bevor sie sich der Speisekammer zuwandte. Die Tür knarzte.
Tilda griff gedankenverloren hinein, um den Schinken herauszuziehen. Dieser blickte ihr grimmig entgegen.
Mit einem Aufschrei sprang sie zurück. Hinter der Tür lag nicht die Speisekammer. Ein Mann mit einem Essenzstab kam aus dem Raum heraus, der eindeutig eine Toilette war.
»Du bist die fette Wachtel, die hier seit Neuestem kocht, richtig?« Er grinste schmierig, ein abgestorbener Zahn wurde sichtbar. »Hey, Fred.«
Ein weiterer Schattenkrieger kam herbei.
»Schau mal, ich hab die …«
Tong.
Die Bratpfanne krachte gegen das Gesicht des Mannes. Seine Nase brach mit einem Knacken, der Essenzstab flog davon und er selbst fiel wie ein umkippender Baum auf die Bodenfliesen. Zufrieden betrachtete Tilda das Kücheninstrument. »Und ich sag noch, das gute alte magifizierte Eisen ist besser als dieses neumodische Teflon.«
»Was?!« Fred stand in der Toiletten-Speisekammer-Tür und starrte mit geweiteten Augen zu ihr herüber. »Potesta!«
Der Kraftschlag surrte heran.
Tilda parierte ihn mit der Pfanne, die bedauerlicherweise davonflog. Schnell sprang sie zur Tür und warf sich dagegen. Doch der Schattenkrieger erwies sich als einfallsreich. Plötzlich veränderte sich etwas in der Luft. Unsichtbare Tentakel zerrten Tilda fort.
Fred ging neben seinem bewusstlosen Kumpan in die Knie. »Das hättest du nicht tun sollen.« Er kam in die Höhe, seine Miene ein Ausdruck von Hass. »Du essenzlose Missgeburt, das wirst du bereuen.«
»Tilda«, erklang die Stimme von Albert Einstein vom Flur. »Du musst sofort mit mir kommen.«
Der weißhaarige Unsterbliche betrat die Küche.
Bevor sie ihn warnen konnte, schoss ein Kraftschlag auf Albert zu und prellte ihm den Essenzstab aus der Hand. Die Luft verfestigte sich. Die Arme an den Körper gepresst, schwebte er über dem Boden.
Mit leuchtenden Augen betrachtete Fred seine Beute. »Ich werde derjenige sein, der Albert Einstein umgebracht hat.« Er bebte vor Freude. »Damit gehe ich in die Chroniken der Schattenkrieger ein. Möglicherweise werde ich selbst zum Unsterblichen.«
Tilda sprang auf ihn zu, die Bratpfanne erhoben, die sie in der Zwischenzeit wieder an sich genommen hatte.
»Potesta.«
Als habe er ein Insekt zertreten, wandte Fred sich wieder ab, während sie durch die Luft flog und neben seinem bewusstlosen Freund landete.
»Wir werden euch niedermetzeln, alter Mann.« Der Schattenkrieger kicherte. »Da habt ihr wohl nicht mit gerechnet, was? Immer rümpft ihr die Nasen und haltet euch für die Verteidiger der Nimags. Verräter. Schwach habt ihr uns gemacht mit dem verdammten Wall. Und nun sollen wir an der Seite stehen und zuschauen, wie diese Tiere regieren?! Man lässt doch kein Schwein die Kontrolle über den Bauernhof übernehmen. Es wird geschlachtet!«
»Sie sind ein fabelhaftes Beispiel für das völlige Versagen unseres modernen Bildungssystems!«
»In deiner Situation würde ich keine großen Töne spucken, Tattergreis«, spie Fred aus.
Tilda wünschte sich, Albert hätte das nicht getan. In der aktuellen Situation war jede provozierende Bemerkung ein Funke neben dem Pulverfass.
Der Schattenkrieger reagierte auch prompt, indem er seinen Essenzstab wie ein Messer durch die Luft fahren ließ. Auf Alberts Wange erschien ein Schnitt. Blut tropfte herab, lief in seinen Kragen.
»Der große Einstein, so hilflos wie ein Nimag.« Fred kicherte.
Tilda ballte die Fäuste. Sie wollte ihn aufhalten! Ihre Hand berührte den Essenzstab des Bewusstlosen.
Und da!
Es kitzelte. Eine Energie floss in dem Holz, sie konnte sie spüren. Wie war das möglich? Etwas Gleichartiges hatte sie nie zuvor wahrgenommen. Verblüfft stand sie auf, den Essenzstab in der Hand.
Fred wandte sich ihr zu. »Du fetter Frosch, leg das weg. Selbst wenn du eine echte Magierin wärst, könntest du das nicht benutzen. Diese Stäbe verschmelzen mit dem Sigil des Besitzers, nur der erwählte Träger kann ihn führen. Am besten schlitze ich dich gleich auf.«
Tilda neigte ihren Kopf. Wie in Trance hob sie den Stab des Bewusstlosen. Sie konnte die Essenz in dem Holz spüren, schmeckte die Bösartigkeit des Liegenden. Er hatte gefoltert im Namen der Schattenkrieger, wollte den Wall zu Fall bringen. Doch dahinter verbarg sich mehr. Das Leid anderer erfreute ihn.
»Hast du nicht gehört, du dumme Sch…«
»Potesta.«
Der Kraftschlag traf …
… den Suppenkessel.
Im nächsten Augenblick explodierte der Inhalt und schleuderte Einstein und Fred durch die Luft wie Stunden zuvor Alexander Kent.
Der Schattenkrieger wollte sich aufrappeln, rutschte aber auf der schmierigen Paste aus und knallte wieder zu Boden. Erst der zweite Versuch gelang.
»Dafür lass ich dich explodieren!«
Sein Stab war fort, doch er zeichnete bereits das Symbol. Albert kam gerade erst auf die Beine.
Tilda zielte auf Fred. »Potesta Maxima.«
Der Schlag donnerte ihn gegen die Wand. Knochen knackten, etwas brach. Bewusstlos fiel er zu Boden und blieb dieses Mal auch liegen.
Verdattert starrte Tilda auf ihre Hand. Die Essenz in dem Stab war nicht mehr so stark wie zuvor. Instinktiv erfasste sie die magische Kraft. Noch ein Zauber, dann ist er wertlos für mich.
»Faszinierend.« Albert betrachtete sie eingehend, sein Blick wanderte zum Essenzstab.
»Ich spüre die düstere Kraft, aber sie schwindet«, hauchte Tilda. »Wie kann das sein?«
»Natürlich.« Der Unsterbliche nickte. »Als Alexander und Jennifer dich im Verlorenen Castillo fanden, ging es ihr sehr schlecht. Du hast ihren Kontaktstein benutzt. So etwas geht normalerweise nicht. Stein und Essenzstab sind Erweiterungen des jeweiligen Magiers. Nur, wenn zwei Lichtkämpfer sich sehr nahestehen, ist ein willentlicher Austausch möglich. Manchmal. Allerdings unberechenbar. Doch du besitzt ein Sigil ohne Essenz.«
Tilda begriff. »Ich kann Essenzstäbe und Kontaktsteine von anderen Magiern benutzen?«
»Es scheint so«, bestätigte Albert. »Vorausgesetzt, es befindet sich noch gespeicherte Essenz darin.« Er rannte zum Herd und klaubte den Stab von Fred auf. »Hier.«
Tilda nahm ihn entgegen.
Beinahe hätte sie das Ding wieder fallen lassen. Es schmeckte nach Fäulnis, Moder und etwas zutiefst Verdorbenem. »Igitt.«
»Du spürst die Essenz und kannst sie sogar zuordnen.« Albert blickte sie mit funkelnden Augen an. »Das ist fabelhaft. Wir müssen unbedingt damit experimentieren.«
»Wo kommen die Schattenkrieger überhaupt her?«
»Hm? Oh!« Erst jetzt schien er sich wieder auf den Grund seines Hierseins zu besinnen. »Schnell, komm mit. Die Feinde stürmen das Castillo. Es gab da einen Zwischenfall mit dem Archivübergang. Lange Geschichte.«
»Hat es etwas mit der Speisekammer zu tun?«
»Wie bitte?«
Tilda öffnete die Tür, die Fred hinter sich zugeworfen hatte. Dahinter kamen Toilettenkabinen und Pissoirs zum Vorschein.
»Oh, ja. Exakt.«
In der Ferne erklang Kampfgeschrei.
Tilda umklammerte mit jeder Hand einen Essenzstab, besann sich dann noch einmal und verstaute einen von beiden hinter ihrem Gürtel. Sie schnappte sich die Bratpfanne. »Ich bin so weit.«
»Zweifellos«, sagte Albert trocken.
Gemeinsam rannten sie hinaus.
Vor langer Zeit
Claras Hoffnung zerstob.
Der Albtraum entpuppte sich als Wirklichkeit. Sie war tatsächlich durch das Zeitportal gefallen. Doch wo war sie gelandet? In der Vergangenheit natürlich, aber wie weit hatte es sie fortgetragen?
Crowley hatte von der Zeit des ersten Stabmachers gesprochen.
Claras Gedanken arbeiteten langsam wieder in gewohnten Bahnen. Sie sah sich um. Der Raum, in dem sie erwacht war, hatte grob behauene Wände. Ein Bett stand darin, auf dem sie lag. Irgendwie kam ihr das alles bekannt vor.
Der Alte, in den sie nach ihrem Sturz gerannt war, musste sie hierhergebracht und gepflegt haben. Immerhin, es hätte schlimmer kommen können.
Vorsichtig setzte Clara sich auf. Ein Schreck durchfuhr sie. Der Essenzstab war fort, ebenso der Sigilsplitter. Warum hatte die Schattenfrau ihr das Amulett zugeworfen? Und wie war das Contego Maxima in ihr Blut gelangt?
So viele Fragen.
Die Tür öffnete sich mit einem Knarzen.
»Du bist erwacht«, stellte der alte Mann fest.
Er trug das braune Haar lang, ein Vollbart zierte sein Gesicht. Auf der Kutte prangte ein Symbol, das Clara jedoch nichts sagte. Sie musste auf der Hut sein, immerhin handelte es sich um die Vergangenheit. Würden Jen und Alex kommen, um sie zu holen? Möglicherweise konnten Leonardo oder Johanna ein weiteres Portal öffnen. Da die Zeit sich selbst schützte, war es ausgeschlossen, dass sie einen Fehler beging. Andererseits bestand dieser Schutz manchmal darin, einen Menschen aus der Zukunft zu töten.
»Mein Name ist Aywen. Und wer bist du, Weib?«
Clara wollte erbost etwas erwidern, besann sich jedoch auf das, was Jen in Dark London passiert war. In anderen Zeiten gab es – leider – auch andere Gepflogenheiten. Einem Instinkt folgend erwiderte sie: »Ich kann mich nicht erinnern.«
Der Alte bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. Er bedeutete ihr aufzustehen. Sie tat es. Die Ohrfeige kam völlig unerwartet und warf sie zu Boden.
»Ich akzeptiere keine Lügen«, sagte er beiläufig. »Ich habe deinen Essenzstab untersucht. Ein wahres Meisterwerk. Einige der verwendeten Techniken sind mir gänzlich unbekannt. Das Amulett scheint nur ein Anhängsel zu sein, Magierinnen sind stets so sentimental.« Letzteres unterstrich er durch ein abfälliges Seufzen.
Mit flinken Fingern erschuf er ein Symbol. Clara wirbelte durch die Luft und landete neben dem Bett. Ketten sprangen aus der Wand, legten sich um ihre Glieder.
Aywen hielt plötzlich eine Schale aus blattdünnem Kristall in der Hand. Ein Messer fuhr über Claras Arm. Blut tropfte herab. Er fing es mit der Kristallschale auf. »Ich finde heraus, was du mir verschweigst, Frau aus dem Schatten.«
Er ging hinaus.
Seine Worte hallten in Clara wider, ließen die Welt vibrieren und jede Hoffnung qualvoll verenden.
»Das kann nicht sein«, hauchte sie. »So hat er die Schattenfrau genannt. Das stand in den Unterlagen. Was ist hier nur los?«
Eine Frage, die in den kommenden Wochen beantwortet wurde. Aywen entpuppte sich als der erste Stabmacher. Ein schrecklicher Mensch, dem seine Arbeit über alles ging. Sie musste in Ketten schlafen, jeden Tag wurde ihr Blut abgenommen. Er testete die Regenerationsfähigkeit ihres Körpers, indem er unterschiedlich tief in ihre Haut schnitt, ihr Essen und Trinken vorenthielt oder sie in einen Bottich voll Eiswasser tunkte. Mehrmals stand sie an der Schwelle zum Tod. Doch das Contego Maxima holte sie stets zurück, heilte ihre Wunden und regenerierte Haut, Knochen und Organe.
Die Nächte verbrachte Clara angekettet neben dem Bett, die Tage kontrolliert durch einen Zauber. Ihr Körper wurde ferngesteuert. Anfangs hatte Aywen noch versucht, sie zum Sprechen zu bringen, schließlich aber aufgegeben. Informationen über sie waren jedoch nicht seine oberste Priorität, im Gegenteil: Er wollte alles Wissenswerte durch Experimente ans Tageslicht zerren.
Clara hatte das Domizil des ersten Stabmachers längst erkannt. Ihr Forscherdrang kam ihr nun zugute, denn sie begriff, was geschehen war. Der Sturz hatte sie in die Vergangenheit geschleudert und einen Zeitkreis geschlossen. Es dauerte Wochen, bis sie sich die Wahrheit eingestand: Sie war die Schattenfrau.
Ein völlig abstruser Gedanke. Niemals würde sie ihren Freunden Leid zufügen, auch wenn sie Jen ihre Entscheidung im ersten Moment übel genommen hatte. Der Gedanke an einen Seitenwechsel war lächerlich. Und Gryff! Der Wechselbalg hatte ihn auf Befehl der Schattenfrau getötet. An diesem Punkt kam sie immer ins Stocken. Konnte sie überhaupt etwas dagegen tun? Wenn sie ein Teil der Zeit war, würde dann nicht jede Abweichung Konsequenzen nach sich ziehen?
Clara realisierte, dass einstweilen keine Hilfe kommen würde.
So vegetierte sie dahin.
Aus Tagen wurden Wochen. Wochen wurden zu Jahren.
Die Zeit verstrich, wurde zu einem Einerlei aus Schmerz und Isolation. Irgendwann sperrte Aywen sie in eine Kiste. Die Schwärze nahm ihr jedes Empfinden, wie lange sie darin zubrachte, konnte sie später nicht mehr sagen. Eine gefühlte Ewigkeit.
In dieser Zeit kam der Hass.
Warum immer sie?
Wieso hielt das Leben ausgerechnet für sie Pein und Schmerz bereit? Sie war gut, wollte anderen helfen, hatte stets jeden unterstützt, beschützt und an das Gute geglaubt. Doch nun, wo sie Hilfe benötigte, ließen ihre Freunde sich davon abhalten. Regeln verboten es. Oh ja, die gab es immer. Einst hatte Clara diese für etwas Gutes gehalten, denn Regeln bedeuteten Ordnung. Das änderte sich nun. Sie begann sie zu verabscheuen.
Immer wieder sah sie Crowley, der lachend den Essenzstab schwang. Jen, die zwar versuchte, ihr zu helfen, aber am Ende doch jämmerlich versagte, nachdem sie sich für Alexander Kent entschieden hatte. Alex hatte ihren Arm herabgedrückt, verhindert, dass Jen bis zum Ende kämpfte.
Ohne das Contego Maxima wäre Clara nun tot.
Aber war ihr Leben weniger wert als das der anderen? Clara Ashwell, ein Opfer für das große Ganze? Der brave Bücherwurm, der sein Glück nicht verdient hatte?
In ihr brodelte es.
»Seltsam«, sagte Aywen eines Tages. »Du scheinst nicht zu altern. Möglicherweise eine Besonderheit deines Blutes.«
Sie musste wohl dankbar sein, dass er sie nur als Objekt betrachtete und nicht als eine schöne junge Frau. Denn im sexuellen Sinn verging er sich nie an ihr.
»Ich werde ab sofort Experimente außerhalb dieser Räume mit dir durchführen.«
Das Wort ›Experiment‹ jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Seltsamerweise brachte der Gedanke an die Welt dort draußen Angst mit sich.
Für Aywen war das egal. Er warf ihr ein paar Lederhosen und ein verschlissenes Schnürhemd zu, vermutlich hatte er sie selbst einst getragen. Sie verließen das Zimmer. Im Vorbeigehen registrierte Clara die Kratzspuren auf dem Boden, die sie in einem Anfall von Panik hinterlassen hatte.
Er brachte sie hinaus. Die Sonne schien, Bäume trugen grüne Blätter, Blumen verströmten angenehme Düfte.
Der erste Stabmacher kam ihr wie ein übermächtiges Wesen vor. Er verwandelte Teile ihrer Haut in Holz, um zu prüfen, ob sie sich von alleine zurückverwandelten. »Interessant.« Er löste in der Nähe eines Berges einen Steinschlag aus, der ihre Knochen zerschmetterte. »Faszinierend.« Und vor einem Bach hielt er inne, schleuderte sie hinein und drückte sie unter Wasser. »Ganz fabelhaft.«
Clara überlebte alles.
Am Ende des Tages wollte er zurückkehren.
Mit seinem gnadenlosen Blick erinnerte er sie an Martin. Ihr Bruder, der momentan – oder genauer: in vielen Jahrhunderten – im Castillo gefangen gehalten wurde. Er wartete auf seinen Prozess, weil er ihr den Essenzstab ins Herz gerammt hatte.
»Weiter«, befahl Aywen barsch.
»Nein!«
Der Widerstand kam so plötzlich wie ein Taifun. Es war ihr letzter Funke, das wusste sie. All ihre Essenz zusammennehmend brüllte sie: »Potesta Maxima. Crepitus.«
Der Kraftschlag warf Aywen nach hinten, die Explosion versengte seine Haut. Damit war ihre Essenz – die er regelmäßig durch erzwungene Zauber auf einem Minimum hielt – wieder aufgebraucht.
Er keuchte. »Dafür wirst du bluten.«
Claras Blick erfasste seinen Essenzstab. Sie rannte darauf zu, riss ihn in die Höhe, und bevor er noch zu einer Gegenwehr fähig war, rammte sie ihm den Stab ins Herz. Sein Blick brach.
Der erste Stabmacher war tot. In einer einzigen simplen Sekunde hatte sie ein Leben ausgelöscht. Sie fühlte Triumph. Dann kam die Erkenntnis.
Der erste Stabmacher war getötet worden von der Frau, die aus dem Schatten gekommen war.
»Nein.«
Sie rannte davon.
Der Geheimgang, das Portal, die Wände des Refugiums. Schließlich erreichte sie den Raum ihrer Gefangenschaft, kauerte sich an der Wand zusammen und sperrte die Welt aus.
Leonardo wusste, dass er ein fürchterliches Bild abgab. Seine Haare waren ebenso angesengt wie sein Shirt und die Trekkinghose. Die Rußspuren auf seiner Haut vervollständigten das Gesamtbild. Aber er hatte den Drachen ja unbedingt sehen wollen.
Der wahre Schock erwartete ihn jedoch, als er ins Haus zurückstapfte. Eine Eigenschaft von Drachen war nämlich – da es sich um magische Kreaturen handelte –, dass sie die Magie in der Umgebung durcheinanderbrachten. Sein Kontaktstein war also außer Funktion gewesen.
Die umherrennenden Lichtkämpfer im Hauptquartier von Athlone in Irland hatten ihn sofort alarmiert. Johanna hatte eine Warnung ausgesprochen, gepaart mit einem Hilferuf. Die Schattenkrieger stürmten das Castillo.
Er schob sich durch die Menge und bahnte sich einen Weg hinab zum Sprungtor. Doch er stellte fest, dass das Castillo nicht mehr in der Karte verzeichnet war.
Leonardo griff nach seinem Kontaktstein. »Tomoe, wo bist du?«
»Noch in Japan. Ich habe gerade versucht, das Sprungtor zu benutzen, aber die Gegenstation ist einfach fort.«
»Komm nach Athlone.«
Er versuchte, Kleopatra zu erreichen, doch er erhielt keine Antwort.
Seine Schritte trugen ihn nach oben ins Studierzimmer, wo Jamie McDowell bereits wartete. Der stämmige Mann in den Vierzigern, dessen rötliches Haar wirkte, als habe man ihm einen Besen auf den Kopf geklebt, schaute betroffen von einer magischen Karte auf.
»Wie schlimm ist es?«, fragte Leonardo.
»Eine gute Frage«, kam es zurück. »Da das Sprungtor nicht mehr aktiv zu sein scheint, habe ich Beobachter ausgeschickt. Das Castillo ist einfach verschwunden, zumindest wirkt es von außen so. Aber die magische Abstrahlung hat zugenommen. Dort herrscht absolutes Chaos.«
Schritte erklangen auf dem Gang. Eine schlanke Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren trat ein. Sie trug ihr typisches Geschäftskostüm und hielt den Essenzstab in der Hand. »Was ist passiert?«
»Das versuchen wir noch herauszufinden. Das Castillo ist nicht mehr auffindbar.«
»Thomas hat sich schon vor Johannas Hilferuf gemeldet. Er wollte, dass Kleopatra und ich sofort ins Castillo kommen. Etwas hat ihn massiv beunruhigt.«
Leonardo rieb sich müde die Augen. »Aber du hast keine Details?«
»Sie beschäftigten sich mit dem Siegel der Schattenfrau«, erwiderte Tomoe. »Doch das weißt du selbst.«
»Dieses verdammte Weib«, fluchte er. »Was hat sie jetzt wieder angerichtet?«
»Ohne Verbindung ins Castillo können wir diese Rätsel nicht lösen. Allerdings gibt uns Johannas Hilferuf einen Hinweis. Die Schattenkrieger scheinen auf dem Vormarsch zu sein. Doch wie hängt das mit dem Siegel zusammen?«
»Ein paar meiner Leute waren gerade in Alicante«, warf Jamie ein. »Ich habe sie hoch zum Castillo geschickt, wo sie direkt vor der Kuppel einen Zeitschattenzauber ausführten.«
»Und?«, fragte Leonardo.
»Nichts. Keine Armee, die sich dem Gebäude näherte oder eindrang. Was auch geschah: Es muss von innen heraus passiert sein.«
Leonardo unterdrückte einen Fluch. »Das ergibt keinen Sinn. Falls es ihnen gelungen ist, die Barriere zu überwinden, gäbe es einen Zugang zum Archiv. Aber dort gibt es keine Schattenkrieger. Die Archivarin hat vorgesorgt.«
»Vergiss nicht, dass es schon einmal jemand geschafft hat, bis dorthin vorzudringen und eine Menge Zerstörung anzurichten.«
»Eben.« Leonardo begann unruhig durch das Zimmer zu gehen. »Danach wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.« Er räusperte sich. »Genau wie bei uns nach der Wechselbalg-Sache.«
Tomoe ließ eine Braue in die Höhe wandern. »Was beweist, dass es absolute Sicherheit nicht gibt.«
»Aber falls eine Gefahr aus dem Archiv herüberstürmt, könnte sie doch die Verbindung lösen, richtig?« Jamie kratzte sich gedankenverloren am Kopf. »Damit wäre der Übergang nicht mehr da.«
»Das stimmt«, erwiderte Leonardo. »Womit wir wieder bei null wären. Vielleicht hat es gar nichts mit dem Siegel zu tun und Saint Germain, Khan oder Rasputin haben auf anderem Weg einen Zugang gefunden. Es muss ja nicht hinter allem die Schattenfrau stecken. Wir werden langsam paranoid, wenn das so weitergeht.«
»In dem Fall wohl eher berechtigt misstrauisch«, konterte Tomoe.
Er konnte es ihr nicht verdenken. Als Gefangene der dunklen Unsterblichen hatte sie im Novum-Absolutum-Kerker eingesessen, ein grausamer Ort. Minuten konnten dort zu Stunden, Tagen oder Wochen werden. In der realen Welt verging weniger Zeit. Es war das Gegenteil des Immortalis-Kerkers, wo gefühlt nur Sekunden verstrichen.
»Schau nicht so«, sagte Tomoe.
»Hm?«
»Und so unschuldig zu tun brauchst du auch nicht. Du weißt genau, was ich meine. Nur, weil ich vorsichtiger geworden bin, heißt das noch nicht, dass dies gleich unter Paranoia fällt. Außerdem ist das momentan völlig egal. Wir müssen herausfinden, was geschehen ist.«
»Dem stimme ich doch zu«, verteidigte sich Leonardo. »Aber uns gehen die Optionen aus. Die Antwort wird nicht einfach vom Himmel fallen.«
Plopp.
Einen Meter über dem Tisch erschienen aus dem Nichts zwei Personen. Tomoe sprang zurück, richtete den Essenzstab auf die Neuankömmlinge. Jamie McDowell war längst dabei, eine Contego-Sphäre zu erschaffen und Leonardo hatte den Kraftschlag auf den Lippen.
Die Besucher krachten auf die Arbeitsplatte.
»Alex!«, rief Leonardo. »Nikki!«
Tomoe ließ den Stab sinken, Jamie die Sphäre vergehen.
Die Sprungmagierin rollte von der Tischplatte und krachte zu Boden.
Alex hingegen lag zitternd auf dem Rücken. Blut quoll aus einer Wunde, Bläschen zerplatzten auf seinen Lippen. Er keuchte.
»Einen Heiler!«, brüllte Leonardo.
Tomoe sprang zu Alex. »Sanitatem Corpus.«
Ihre Essenz sickerte in die Wunden …
… und erlosch.
»Was ist los?«, fragte Leonardo.
»Da stimmt etwas nicht. Seine Wunden sind mit etwas verunreinigt, das ich nicht zuordnen kann.«
Alex zuckte, packte Leonardo am Kragen und zog ihn zu sich. Mit einer Stimme, die nicht mehr als ein Wispern war, kamen die Worte. »Clara … ist die … Schattenfrau. Zeitkreis. Contego Maxima. Splitter.«
Er sackte bewusstlos zusammen. Entsetzt taumelte Leonardo zurück, starrte auf den geschundenen Körper vor ihm.
Im Hintergrund rappelte Nikki sich auf, Jamie wirkte verstört.
Tomoe riss die Augen auf. »Sein Herz schlägt nicht mehr.«
Das Studierzimmer verwandelte sich in einen Bienenstock. Tomoe begann mit einer Reanimation, Heilmagier stürmten herein.
Nikki betrachtete die Szene mit geweiteten Augen. Die Sprungmagierin war noch im Teenageralter und wirkte stets so fragil wie eine Glasskulptur. Ihre herzliche Art und ihre besondere Gabe machten sie menschlich und magisch jedoch zu etwas Einzigartigem.
Leonardo führte sie in einen der angrenzenden Räume.
Ein hüfthohes Regal enthielt Bücher in verschiedenfarbigen Einbänden. Überall standen kleine Vasen auf Deckchen, Landschaftsmalereien verschönerten die Wände. Vor dem Fenster floss das Wasser des Shannon träge vorbei.
Glücklicherweise standen bauchige Flaschen neben ein paar Whiskeygläsern auf einem Tablett. Leonardo füllte eines der Gläser mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und reichte es Nikki. »Auf ex.«
Sie stürzte den Inhalt vertrauensvoll hinunter. Was dann geschah, hätte durchaus ein sehr komplexer Wandelzauber sein können. Ihr Gesicht nahm einen zarten Rotton an, der abrupt in ein Knallrot überging. Tränen bildeten sich in ihren Augen, rannen die Wangen hinab und in den Kragen. Nikkis Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. Schließlich löste sich ein Krächzen aus ihrer Kehle, gefolgt von einem Hustenanfall. »Das war …«, Husten, »… kein Apfelsaft!«
»Nein, zweifellos nicht.« Leonardo goss sich selbst etwas Whiskey ein und trank.
»Mir ist schwindelig«, sagte Nikki.
»Das vergeht wieder. Setz dich.«
Sie sank in den Sessel.
»Was ist passiert?«, fragte er.
Leonardo musste all seine Interpretationsfähigkeiten aufbieten, um den folgenden Singsang, das Krächzen und den Stenostil, der aus Nikkis Kehle drang, miteinander zu verknüpfen.
Schließlich schwieg sie.
»Clara ist die Schattenfrau«, kamen ihm die unfassbaren Worte über die Lippen. »Sie … aber, das ist völlig unmöglich. Selbst, wenn sie zurückgereist wäre, dadurch würde sie abgestoßen. Sie könnte nichts verändern. So etwas wie ein Zeitkreis kann nur passiv entstehen, der Reisende hat darauf keine Auswirkungen.« Er sank Nikki gegenüber auf die Couch. »Ich brauche mehr Informationen.«
Leonardos Gedanken jagten in einem wilden Reigen durch seinen Schädel. Das Refugium des ersten Stabmachers war zerstört, dort konnte er nichts überprüfen. Davon abgesehen gab es Dringenderes. Im Castillo herrschte Krieg und Jen war entführt worden. Für den Augenblick musste er es als Fakt hinnehmen, dass Clara tatsächlich zum Teil eines veränderten Zeitablaufs geworden war, was in der Tat einen aktiven Zeitkreis auslöste. »Ich brauche mehr.«
Er kippte noch einen Whiskey. Zeitreisen mochten ein faszinierendes Thema für gesellige Abende mit philosophischem Touch sein, doch er bekam davon regelmäßig Kopfschmerzen. Das lag vermutlich auch daran, dass auf eine solche Diskussion in der Regel ein Besäufnis folgte. Anders waren diese Knoten im Hirn nicht mehr zu lösen.
Die Tür wurde aufgerissen.
»Wie geht es Alex?« Nikki sprang auf, fiel jedoch prompt, vom Schwindel übermannt, wieder in den Sessel.
»Er lebt«, erwiderte Tomoe. »Die Heiler konnten ihn reanimieren. Momentan halten ihn drei von ihnen stabil, zwei weitere schließen die Wunden. Oder versuchen es zumindest. Doch immer, wenn ihnen das gelingt, nehmen die Wunden den alten Zustand wieder an. Als werde …«
»… die Zeit zurückgedreht«, vollendete Leonardo.
»Chikucho«, fluchte Tomoe. »Er kam mit Zeitmagie in Berührung.«
Er bestätigte es mit einem Nicken. Vor wenigen Wochen erst hatten sie in der Villa der Ashwells in Chicago alles aufgeboten, damit Albert mit seinen Apparaturen Restspuren von Zeitmagie beseitigen konnte. Nur so war sichergestellt worden, dass es zu keinen Seiteneffekten kam wie nun bei Alex.
Tomoe schritt auf Nikki zu, ließ ihre Hand über sie wandern und murmelte: »Agnosco.«
Leonardo schallt sich einen Narren, weil er die Sprungmagierin nicht selbst überprüft hatte. Zeitmagie konnte wuchern. Doch das Ergebnis ließ ihn aufatmen. Nikki war nicht betroffen. »Erzähl Tomoe noch einmal, was du mir berichtet hast.«
Praktischerweise dauerte auch diese Wiederholung nur zwei Minuten.
»Clara?« Tomoe wirkte zum ersten Mal seit langer Zeit geschockt. »Clara?! Aber wie geht das? Wenn sie …«
Leonardo schnitt ihr das Wort ab. »Das bleibt zu klären, doch einstweilen hat das Castillo Priorität.«
»Natürlich.« Sofort saß Tomoes Maske der Professionalität wieder makellos. »Glücklicherweise bietet sich nun eine Gelegenheit.«
Ihr Blick traf Nikki.
»Was?« Die Sprungmagierin wirkte noch immer völlig überrumpelt. »Aber was ist mit Alex?«
»Die Heilmagier kümmern sich um ihn. Andere benötigen nun unsere Hilfe«, beschwor Leonardo sie. »Wir kommen nicht ins Castillo.«
Tomoe sank auf die Lehne des Sessels. »Wir haben alle Angst, Nikki.«
»Du auch?«
»Jeden Tag. Es ist eine Welt voller Gefahren. Doch wir sind dazu da, mit unserer Gabe auf andere aufzupassen. Jeder so, wie er es am besten vermag. Johanna, Albert, Thomas, Tilda, Eliot – all unsere Freunde und Verbündeten sind im Castillo. Und möglicherweise stehen sie einem Feind gegenüber, der kaum zu besiegen ist.« Sie schmunzelte. »Mit uns an ihrer Seite würde das natürlich alles verändern.«
Nikki lachte zaghaft. »Okay.« Sie sprang auf. »Dann los.«
»Halt, halt, halt«, stoppte Leonardo sie. »Mach zuerst einen Probesprung. Aber Vorsicht. Vielleicht peilst du einen sicheren Ort an. Das Dach des Castillos?«
Tomoe hüstelte. »Dass ich das noch erleben darf. Du schickst einen Schüler auf das Dach. Normalerweise schießt du sie doch eher von dort herunter.«
»Echt?« Nikki bekam große Augen.
»Unsinn.« Leonardo winkte ab. »Nun ja, es kam möglicherweise bei ein oder zwei frechen Neuerweckten vor. Und ich hatte Alex schon im Fokus. Aber das ist eine andere Geschichte.«
Tomoe zwinkerte Nikki zu. »Du hast gerade eine Carte Blanche erhalten.«
Die Sprungmagierin atmete tief durch. Ihr Blick verschleierte sich.
Plopp.
Luft strömte in das Vakuum, wo sie zuvor gestanden hatte.
»Ich wünschte, ich könnte das auch«, sagte Tomoe sinnierend. »Keine Portale mehr. Alternativ könnten wir mit dem Drachen zum Castillo fliegen.«
»Dir sind die Rußflecken in meinem Gesicht aber schon aufgefallen, ja?«
Tomoe lachte. »Und ich habe mich gewundert, warum es hier so stark nach Brikett riecht. Warst du zu ruppig zu dem armen kleinen Kerl?«
Plopp.
»Es funktioniert«, sagte Nikki stolz. »Aber es sieht schlimm aus. Unter dem Kristallschirm ist alles düster. Und er verdichtet sich. Der Rücksprung hierher war viel Schwieriger, als der Sprung hinein. In ein paar Minuten kommt auch kein Sprungmagier mehr durch.«
»Also jetzt oder nie.« Tomoe nahm Nikkis linke Hand.
Leonardo die rechte. »Springen wir«, sagte er.
Der Plopp war noch nicht ganz in seinen Ohren verhallt, da traf ihn bereits der Kraftschlag.
Chris taumelte.
Neben ihm ging Kevin in die Knie und erbrach sich. Der Ring an seiner Hand leuchtete.
»Nimm ihn ab!«, rief Chloe.
Er kam der Aufforderung nach und legte das Artefakt auf einen Felsen. Bleich und zitternd stand Kevin daneben und blickte fassungslos zu ihren Eltern.
»Ernsthaft?« Chris schüttelte den Kopf. »Die Schattenfrau? Mum! Dad! Ich bin ja dankbar dafür, dass es uns gibt«, er deutete auf seinen Bruder und sich selbst, »aber doch nicht auf diese Weise«.
»Vielleicht beruhigen wir uns alle mal wieder.« Chloe sprach untypisch sanft. »Damals war die Schattenfrau noch nicht so aktiv. Du hast ja mitbekommen, dass man sie eher für einen Mythos hielt. Hier und da intrigierte und manipulierte sie, wurde zur Legende und schließlich zu einem greifbaren Gegner.«
Chris nickte widerstrebend. »Okay. Stimmt.«
Vor der Höhle prasselte noch immer der Regen zu Boden. Die Luft roch nach Moos, Flechten und irischem Gras. Das Plätschern hatte etwas Beruhigendes.
»Habt ihr herausgefunden, was die Besonderheit des Sigils ist?«, fragte Kevin.
Ava schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wir kamen der Sache recht nahe.«
»Was heißt das?«, Chloe konnte ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten.
»Seht selbst. Der Ring hat noch nicht alle Erinnerungen preisgegeben«, kam es von Ben.
»Mir ist gerade so übel.« Kevins Gesicht war bleich.
»Der Schock hat sich durch die Erinnerungsmagie verstärkt«, erklärte Chloe. »Als Clara und ich Leonardos Erinnerungen ausgelesen haben, ging es mir ähnlich.«
»Ihr habt was?« Ben wirkte erschrocken.
»Ist eine lange Geschichte«, wiegelte Chloe ab. »Dafür haben wir jetzt wirklich keine Zeit. Aber Kevins Essenz ist sowieso angeschlagen.« Sie griff nach dem Ring und reichte ihn Chris. »Vielleicht solltest besser du den Memorum Excitare fortführen.«
Vorsichtig nahm er das kleine magische Artefakt in die Hand.
In einen quadratischen Stein war ein Mentiglobus von Daumennagelgröße eingelassen. Wer den Zauber aktivierte, wurde in die Erinnerung gezogen. Dieses Mal würde er den aktiven Part übernehmen, während Chloe und Kevin lediglich als transparente Silhouetten mit dabei waren. »Seid ihr sicher?«
»Hey, ich reiße mich da nicht drum«, sagte sein Bruder sofort. »Nur, weil ich der ältere von uns bin …«
»… fünf Minuten!«
»… da du ja wie immer zu spät kamst. Wolltest wohl noch ein wenig faulenzen. Ich schlage mich nicht um den vordersten Platz.«
»Wäre mal was Neues.«
»Was soll das denn heißen?«
Chloe seufzte. »Jungs!«
»So waren sie schon immer.« Ava lächelte. »Ständig haben sie gerauft.«
»Ich weiß nicht, warum du lächelst«, merkte Ben an. »Als sie zum ersten Mal Kraftschläge ausprobierten – natürlich wollte jeder den stärkeren erschaffen –, haben sie deine Mutter aus dem Schaukelstuhl geschossen.«
»Waaahahaaaha.« Chloe brach in Gelächter aus, was Chris und Kevin verstummen ließ.
»Das war nicht lustig«, sagte ihre Mum.
»Nun ja, zugegeben …«
»Benjamin Grant.« Ava stemmte die Fäuste in die Hüften und funkelte ihren Ehemann an. »Es. War. Nicht. Lustig.«
»Richtig, das wollte ich sagen. Furchtbare Geschichte. Sie war so wütend. Beinahe hätte sie die Zwillinge durch das Haus gejagt.«
»Echt?«, fragte Chris. »Granny Gertrud wollte uns jagen?«
»Das wäre sicher amüsant geworden.« Chris lächelte. »Sie ist auch heute noch ganz schön rüstig. Vor einigen Wochen habe ich sie dabei erwischt, wie sie von ihrem Zimmerfenster aus Luftballons im Park zerschossen und dabei gekichert hat.«
»Solange sie die Tauben in Ruhe lässt«, warf Ava ein. »Einmal hat sie eine über einem Hotdog-Stand abgeschossen, worauf der Kadaver direkt im Grill …«
Lachen hallte von den Höhlenwänden wider.
Kevin hielt sich an Chloe fest und Chris rannen Tränen über die Wangen. Er mochte seine Granny. Sie war selbst im hohen Alter immer lustig drauf, hatte eine freche Zunge und war geistig topfit. Plötzlich vermisste er sie sehr.
»Also schön.« Er schob sich den Ring an den Finger. »Bevor ich gleich den nächsten Schock bekomme: Gibt es etwas, worauf wir uns vorbereiten müssen?«
Ihre Eltern wechselten einen tiefsinnigen Blick. »Möglicherweise.«
»Mum!«, rief Kevin. »Jetzt spuck es doch einfach aus.«
»Ihr müsst es selbst beurteilen. Mit Kontext«, beendete Ava den Satz.
»An euch ist ein Orakel verloren gegangen«, grummelte Kevin. »Vielleicht noch eine kryptische Prophezeiung hinterher?«
»Hör bloß auf«, murmelte Chloe. »Die alte Schwarte im Castillo reicht mir schon.«
»Meinst du jetzt das Buch oder Johanna?«, witzelte Chris.
Kevin verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf. »Sag so etwas nicht vor Mum und Dad.«
»Wenigstens einer unserer Söhne hat Manieren.« Ava lächelte.
»So etwas sagen wir nur unter uns«, beendete Kevin den Satz.
»Die Hoffnung stirbt zuletzt«, sagte Ben trocken.
Chloe umklammerte Chris’ Handgelenk, Kevin das andere.
»Na dann, schauen wir mal, wie die Geschichte zu Ende geht«, sagte Chris. »Memorum Excitare.«
Und die Welt verging.
Vor langer Zeit
Tage verstrichen.
Clara durchstreifte das Refugium des ersten Stabmachers. Anfangs rechnete sie jeden Augenblick damit, dass Ordnungsmagier hereinstürmten. Sie schlief, sie aß, sie trank. Ihre Haare reichten mittlerweile bis zu den Hüften und vermutlich hätte ein Nimag vor ihrem Geruch Reißaus genommen.
Es war ihr egal.
»Ich habe ihn umgebracht.« Tränen rannen über ihre Wangen. »Aber das hätte die Schattenfrau tun müssen.«
Konnte es sein, dass durch ihren Sturz in die Vergangenheit die Schattenfrau gar nicht in Gefangenschaft des Stabmachers geraten war, sondern sie?
So musste es sein!
Clara ging weiter durch die Räume. Die Küche war befüllt mit Käse, Schinken, Marmelade, Butter und Brot. In der Bibliothek entdeckte sie Schriften mit alten Zaubern, Hinweise auf Verstecke von Artefakten und Informationen zur aktuellen Geschichte.
Verblüfft stellte sie fest, dass Iria Kon noch existierte. Die Stadt der Magier, die vor langer Zeit aus unbekanntem Grund verschwunden war, galt als Zentrum von Wissenschaft und Magie. Hier wurden Neuerweckte ausgebildet und an Fürstenhöfe und Königshäuser entsandt.
Am Ende stieß sie auf die Kammer mit den Essenzstäben.
Auf einem Podest am Rande lag ihr eigener, direkt neben dem Amulett. Sie nahm beide an sich. Sofort fühlte sie die Kraft des Sigilsplitters in sich einströmen. Es war ein Energieschub.
Schon außerhalb des Refugiums hatte sie gespürt, dass ihr Sigil an Stärke gewann. Der Wall existierte noch nicht.
Ihr Blick glitt über die Regale voller Essenzstäbe. Die Werke des Stabmachers. Alles, was er einst gewesen war. Sein Erbe.
Wie von selbst fuhr ihre Hand in die Höhe. »Ignis Aemulatio.«
Eine Feuersbrunst raste durch den Raum. Sie sah nicht zurück, schloss einfach die Tür und belegte sie mit einem Siegel, damit das Feuer nicht übergreifen konnte. Hinter ihr verschlangen die magischen Flammen das Erbe des Monsters.
Zum ersten Mal wurde Clara ihr Aussehen wieder wichtig. Sie fand das Bad. Im Zentrum des Raumes war ein gewaltiges Becken in den Stein eingelassen. Irgendwo darunter musste eine heiße Quelle sein, denn als sie nackt in das Steinbecken sank, umschmeichelte Wärme ihren Körper. In einer Steinkuhle standen Flakons mit Ölen. Sie kippte wahllos ein paar davon ins Wasser. Olivenduft durchzog die Luft, vermengte sich mit Orange und Minze.
In den vergangenen Jahren hatte Clara alles getan, um ihren Körper zu vergessen. Irgendwann war es ihr gelungen, die Schmerzen nicht länger ertragen zu müssen, weil sie sich zurückzog, nicht mehr eins war mit ihrer verletzlichen Hülle.
Zum ersten Mal konnte sie es nun wieder genießen, in ihrer Haut zu stecken. Stunden später trat sie vor den Spiegel. Den Essenzstab schwingend, veränderte sie ihr Äußeres. Das Haar wurde kurz, die Haut glatt. Aus Leinen wob sie passende Kleidung. Eine Stoffhose, ein Schnürhemd, Gürtel und Lederschuhe.
Mit jedem Schritt kehrte ihr Lebensmut zurück.
Noch aber wollte sie nicht gehen.
Ihre Streifzüge führten sie weiter durch das Refugium. Sie entdeckte den Raum mit dem Zeitportal. Es stimmte also: Der wahnsinnige Stabmacher hatte in die Vergangenheit reisen wollen. In eine Zeit vor Menschen und Magiern.
Mit dem Agnosco-Zauber deckte sie Illusionierungen auf. Darunter auch einen Raum, der angefüllt war mit Zaubertränken. Staunend betrachtete sie die Phiolen; kleine, große, bauchige, schmale. Alle waren mit einem Wachskorken versiegelt und mit Etiketten versehen.
Clara ließ ihren Blick darüber schweifen.
Auf einem der Flakons standen die Worte: »Animus transformere.« Neugierig nahm sie das Fläschchen in die Hand. Eine grüne Flüssigkeit schimmerte darin. Die Lektion zu Tierwandel-Zauberei kam ihr wieder in den Sinn. Eine gefährliche Sache.
Es benötigte Monate, bei manchen Gattungen sogar Jahre, um einen Trank zu brauen. Zusammen mit dem Wandelsymbol transformierte ein Magier für eine bestimmte Zeitspanne in ein Tier. Das Problem war, dass das Sigil sich gegen die Veränderung wehrte und alles daransetzte, den Zauber zu neutralisieren. Wie lang das dauerte, hing von der jeweiligen Person ab. Die Rücktransformation wurde also – wenn nicht durch den Magier selbst ausgelöst – irgendwann trotzdem eingeleitet. Doch wann?
Natürlich hatte Edison ihnen Geschichten von Agenten erzählt, die sich in Ratten verwandelt hatten, um Schattenkrieger zu belauschen. Als sie am Ende durch Rohrleitungen fliehen wollten, kam es zu plötzlichen Rückbildungen. Die betroffenen Personen wurden zerquetscht. Angeblich! Ihrer Meinung nach liebte Edison es einfach, Neuerweckten Angst zu machen.
Sie wollte wieder gehen, als ihr Blick auf eine einzelne Phiole fiel. Die Schrift darauf war kaum zu entziffern. Im Inneren schwappte eine goldene Flüssigkeit. Ein eingerolltes Pergament lag daneben. Clara entfaltete es. Der Stabmacher hatte an etwas gearbeitet, das die Kraft eines Magiers entfesseln sollte. Er ging davon aus, dass in jedem Menschen durch ethische Grundgedanken eine emotionale Barriere existierte. Diese verhinderte, dass man tötete. In einem Kampf war dadurch das volle Potenzial blockiert. Der Trank konnte diese Blockade kurzzeitig lösen.
Clara verließ den Raum.
Die Zeit verging und sie erholte sich. Durch das gute Essen nahm sie zu, dank Meditation erlangte sie ihr inneres Gleichgewicht zurück. Mit ihrem Essenzstab probierte sie neue Zauber aus, die der Stabmacher entwickelt hatte. Verblüfft entdeckte sie einen Sprungzauber. Er war wohl so komplex, dass es dem Dreckskerl nie gelungen war, einen Sprung auszuführen. Außerdem fehlte ihm das Verständnis dafür.
Clara lächelte.
Sie hatte einst einen Sprung vollführt, nämlich mit Nikki. Das Gefühl war in ihr präsent. Sie benötigte keinen Trank, nicht einmal ein Symbol. Doch sie musste eine umfassende Wortfolge denken.
Sieben Tage lang versuchte Clara alles, doch nichts geschah. Am achten Tag erwachte sie morgens neben ihrem Bett. Sie musste im Schlaf gesprungen sein. Sie versuchte es erneut und schließlich fand sie sich in der Küche wieder – auf der Herdplatte sitzend, die glücklicherweise nicht erhitzt war. Es hatte funktioniert!
Doch das Beste war nicht einmal der Sprung.
Als Nebeneffekt entstand Nebel. Wolken, die sie einhüllten und am Zielort wieder verschwanden.
Weißer Nebel.
»Ich bin Clara Ashwell! Und keine verdammte Schattenfrau.«
Sie beschloss, dass es nun an der Zeit war.
In einer Stofftasche verstaute sie einige der Zaubertränke, dazu ein paar Pergamente für ihre magischen Studien. Das Sigil pulsierte kraftspendend an ihrer Brust, der Essenzstab steckte in einer Schlaufe am Gürtel, der Sigilsplitter hing um ihren Hals.
Viele Jahre nachdem Clara in der Vergangenheit angekommen war, verließ sie das Refugium des ersten Stabmachers.
Leonardo hechtete zur Seite und zog im gleichen Augenblick eine Contego-Barriere in die Höhe.
Tomoe verwandelte sich in ein wirbelndes Etwas, das Kraftschläge abfeuerte und Explosionen erzeugte.
Auch Nikki wurde zu einem hyperaktiven Flummi. Die Halle war erfüllt von Plopp-Geräuschen. Sie sprang hin und her, griff aus dem Hinterhalt an und war fort, bevor ihre Feinde reagieren konnten.
Eine Salve aus Kraftschlägen schlug in Leonardos Schutz ein und zwang ihn dazu, sich wieder auf die unmittelbare Umgebung und sich selbst zu konzentrieren.
Sie waren mitten in der Halle gelandet. Albert und Tilda kämpften gegen eine Übermacht aus Schattenkriegern, wobei die Köchin verblüffenderweise zwei Essenzstäbe in Händen hielt und mit einem »Nehmt das!« umherfeuerte. Auch Eliot Sarin – der oberste Ordnungsmagier des Castillos – und einige seiner Leute mischten kräftig mit.
»Ah, darauf habe ich mich gefreut«, erklang eine Stimme.
Ein Schauer jagte Leonardos Rückgrat hinab. »Khan.«
Ein Koloss von einem Mann bahnte sich den Weg. Aus seinem Essenzstab hatte er eine gefährliche Peitsche gemacht, wobei der flexible Teil aus einer Manifestation bestand. Er schleuderte seine Gegner beiseite, in dem er das Peitschenende um ihre Hälse schlang und daran riss. Wer nicht von einer Sphäre geschützt wurde, trug tiefe Schnitte davon.
»Leonardo.« Dschingis Khan lachte. »Mir scheint, es wird bald eine massive Fluktuation an Unsterblichen geben. Es wird mir eine Freude sein, dich aufzuschlitzen und dein Blut zu trinken.«
Im Laufe seines Lebens hatte Leonardo viel erlebt und auch die alten Bräuche von Khans Leuten waren ihm bekannt. Sie hatten ihre besiegten Feinde gefangengenommen, getötet und ihren Lebenssaft getrunken. Nicht umsonst war es ihm gelungen, die Mongolen zu vereinen und im 13. Jahrhundert weite Teile Zentralasiens und Nordchinas zu beherrschen. Er glaubte an Sieg durch Brutalität.
»Das werde ich zu verhindern wissen«, erwiderte Leonardo. »Ich werde lächeln, wenn du auf ewig im Immortalis-Kerker verschwindest!«
Die Umgebung verblasste.
Es gab nur noch Khan und ihn.
»Ulcerus Maxima!«, brüllte sein Gegner.
Komprimierte Essenz schoss voran, um eine Wunde zu schlagen, tiefer als jede Klinge es vermochte.
Leonardos Sphäre wurde mehrfach getroffen.
»Crepitus!«
Eine Explosion schleuderte ihn zurück.
»Gravitate Negum!«
Die Schwerkraft änderte sich. Innerhalb von Sekunden hatte Khan die drei Zauber in kurzer Abfolge abgefeuert, um Leonardo keine Zeit zu lassen, eine Gegenwehr einzuleiten. Ein weiterer Kraftschlag folgte, er zerschmetterte den Contego-Schutz.
Sein Gegner hatte sich auf das Zusammentreffen vorbereitet. Der Kampf bereitete ihm diebische Freude.
»Ihr habt mit eurer verweichlichten Art keine Chance gegen uns«, höhnte Khan. »Am Ende des Tages werden vom Castillo nur noch rauchende Trümmer übrig sein.«
Eine Bratpfanne krachte seitlich gegen seinen Schädel. Tilda hatte sie geworfen und grinste nun über das ganze Gesicht. »Das ist für damals«, fauchte sie.