Das Fräulein von Scuderi - Otto Ludwig - E-Book

Das Fräulein von Scuderi E-Book

Otto Ludwig

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Beschreibung

Otto Ludwigs Drama "Das Fräulein von Scuderi" ist die Bearbeitung der Kriminalnovelle von E.T.A. Hoffmann, die von einer rätselhaften Mordserie im Paris des 17. Jahrhunderts handelt. Die französische Schriftstellerin Madeleine de Scudéry engagiert sich mit detektivischer Kleinarbeit, den Fall aufzuklären. Zum unbestrittenen Kanon der Weltliteratur gehört dieses Meisterwerk eines Ausnahmekünstlers mit anhaltendem und vielfältigem Einfluss auf den lesenden Menschen und die Literaturgeschichte – bis heute. Spannend und unterhaltend, vielschichtig und tiefgründig, informativ und faszinierend sind die E-Books großer Schriftsteller, Philosophen und Autoren der einzigartigen Reihe "Weltliteratur erleben!".

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Otto Ludwig

Das Fräulein von Scuderi.

Schauspiel in fünf Aufzügen, nach Hoffmanns Erzählung.

Inhaltsverzeichnis
Das Fräulein von Scuderi.
Personen.
Erster Aufzug.
Zweiter Aufzug.
Dritter Aufzug.
Vierter Aufzug.

Personen.

Louis XIV., König von Frankreich. Graf Miossens. Serons, ein berühmter Arzt in Paris,der Scuderi Hausfreund. Degrais, Polizeileutnant von Paris. Bontems, Louis' Kammerdiener. René Cardillac, ein Goldschmied in Paris. Olivier Brusson, sein Geselle. MeisterMartin, ein Maler. MeisterLejean, ein verarmter Goldschmied. Baptiste,der Scuderi Kammerdiener. Jérome, Bedienter des Grafen Miossens. Fräulein von Scuderi. La Martinière, ihre Kammerfrau. Madelon, Cardillacs Tochter, Brussons Braut. Caton, Haushälterin Meister Claude Patrus,des Mietsmanns in Cardillacs Haus. Gendarmen.

Das Stück spielt in Paris, anfangs des achtzehnten Jahrhunderts.

Erster Aufzug.

Bei der Scuderi.

Einfaches Zimmer. Ein Bücherschrank, Schreibtisch mit Papieren, nicht ängstlich geordnet. Eine Thür im Fond und eine Seitenthür.

Erster Auftritt.

Graf Miossens. Serons (im Gespräch).

Serons. Ja, mein Herr Graf von Miossens, es ging, Seit Ihr's verließt, in Frankreich wunderlich.

Miossens. Ich glaube das Unglaubliche nur Euch.

Serons. Kein Band mehr heilig. Von des Argwohns Eishauch Des trauten Herdes letzte Glut gelöscht. Der Vater traut den eignen Kindern nicht; Der Mann ißt nicht von seines Weibes Kost; Der Bruder sieht im Bruder seinen Mörder. Und wohl ihm, muß ich sagen, wenn er's that. Denn ohne Mitleid wütete der Giftmord Wie eine Seuche durch das ganze Land.

Miossens. Das Übel war verzweifelt und verzweifelt auch, Ja noch verzweifelter, mein' ich, die Kur. Ein Tribunal, so unbeschränkt an Macht Als diese chambre ardente ist unerhört. Und dieser unerbittliche La Regnie An seiner Spitze. Spanien hat nun Nichts mehr voraus vor Frankreich. Der Gerichtshof Wiegt Spaniens heiliges Gericht noch auf.

Serons. Wahr ist's; die fernste Möglichkeit genügt, Das kleinste Wort, das man willkürlich auslegt, Und frech dringt er ins Innerste der Häuser Und reißt den Vater aus der Seinen Arm. Da schützt kein Rang, kein Ruf, kein wohlerworben Verdienst. Der Henker der Tortur arbeitet Für den Kollegen auf dem Blutgerüst; Denn eher gibt der Tod ein Opfer wieder, Als dieser La Regnie. Aus seinen Kerkern Führt nur ein Weg: der Weg aufs Blutgerüst. Und Gnade dem, der laut ein Urteil wagt Über dies Treiben! Gegen Euch, Herr Graf, Sonst gegen niemand thu' ich's.

Miossens. Meister Serons, Daß Eu'r Vertrauen ich zu schätzen weiß, Beweist, daß ich es argwohnlos erwidre. Denn hier beschützt mich die Geburt so wenig, Als Euch der Ruf von Eurer Meisterschaft Als Arzt. Den Pair des Reichs, den Grafen trennt Kein Vorrecht mehr von dem gemeinen Pöbel. Die Kammer ist's nicht mehr der Pairs, die ihre Mitglieder richtet. Vor ein königlich Tribunal wie den Bürger und den Bauer Schleppt man den Herzog, Grafen und Baron. Dem König konnte nichts gelegner kommen Als dies Verbrechen, das dem neuen Griff In unser Recht erwünschten Vorwand lieh. Ein Stückchen Staatskunst, das dem schlauen Schüler Des schlauen Lehrers Ehre macht. Das ist Ein Kunststück noch aus Mazarinis Schule. Damit bricht er des Adels Ansehn vollends, Und sichert sich zugleich des Pöbels Gunst, Und spielt uns dieses Werkzeug aus den Händen, Und wie erst wir es gegen ihn gebraucht, Wird er's zu brauchen wissen gegen uns. Der Ananas lebt von gemeinem Dünger – Und dieser große Ludwig ward so groß, Weil er es nicht verschmäht, so klein zu sein, Dem Kote schön zu thun an seinen Sohlen. Alt, uralt ist die Wahlverwandtschaft zwischen Der Hefe und dem Schaum.

Serons. Und wirklich war es nur des Volkes Gunst, Was dies Tribunal möglich machen konnte, Das sich herausnimmt, was der König selbst Nicht wagt, und seine Eifersucht heraustrotzt, Die keine Macht im Staate sonst mag dulden, Als die wie Strahlen von der einen Sonne Ausgeht allein vom Königsdiadem. Doch schon beginnt die leichtgeschürzte Gunst Des Volks den alten Günstling zu verlassen.

Miossens. Ein Lied scheint jetzt der Günstling von Paris. Schon vor dem Thor empfing es mich; bald lief's Neben mir her, bald kam es mir entgegen. Ein alter Schuster brummt' es bei der Arbeit; Die jungen Herrn – Ihr wißt – die eben nichts sind Als jung, begrüßten sich damit, als wär's Ihr Bundesgruß; den Kunden gab's der Krämer Unter den Buden als Zulage drein.

Serons. Das Volk spielt gern mit solchem Wort. Es läuft, Ist's einmal ausgeprägt, wie eine Münze Von Hand zu Hand. Wer nicht von seinem Eignen Die Schuld der Unterhaltung tilgen kann, Stützt seine Armut mit Entlehntem aus. Ich kenne manchen, der nicht hundert Worte Im Vorrat hat, und dennoch sich was weiß; Und neunundneunzig sind geborgt davon. Die meisten Menschen leben von der Phrase Und sind drum selber nur lebend'ge Phrasen. Ein eignes Sein wird immer seltener. Solch Wort fliegt wie ein bunter Federball Hin und zurück durch den Verkehr, bis sich Die Farb' vergriffen oder bis ein andrer Und bunterer des vor'gen Gönner erbt. »Liebe sei der Helmschmuck sein, Den nur Tapferkeit soll tragen. Wer vor Dieben kann verzagen, Ist nicht wert, geliebt zu sein. Das Verschen, das Ihr meint: ist's dieses nicht?

Miossens. »Wer vor Dieben kann verzagen, Ist nicht wert, geliebt zu sein –« Ganz recht. Das ist's.

Serons. Wißt Ihr, wer diese Münze Hat ausgeprägt? Die liebenswürd'ge Dame, Die wir erwarten hier in ihrem Zimmer.

Miossens. Das Fräulein Scuderi? Bei meiner Seele! In diesem Wort weht 'was von ihrem Atem. Und kommt's von ihr, dann hat dies kleine Lied Eine Geschichte, die mich intressiert. Von ganzem Herzen acht' ich diese Dame.

Serons. Und wenn sie's nicht verdient, verdient es keine.

Miossens. Bewundernswürdig ist, ja unbegreiflich, Wie dieses Fräulein aus des Alters Schiffbruch Der Jugend Reize sich gerettet hat. Von siebzig Jahren zeigen sich kaum dreißig. Der süße Duft der Mädchenhaftigkeit Liegt über die Erfahrung hier gebreitet, Die nur ein langes Leben geben kann. Und so vereinigt sie, was beide Zeiten, Den Winter und den Sommer, reizend macht. Wenn man nur sie sieht, meint man, weißes Haar Gehöre zur vollkommnen Frauenschöne; Sie ist die Anmut selbst in weißen Haaren.

Serons. Der Seele Jugend ist der warme Boden, Der dieses Fräuleins ew'ge Blüte treibt. Inmitten dieser sittenlosen Stadt Steht sie in wunderbarer Reinheit da; Selbst die Verleumdung hat es nie gewagt, Ihr Schwarz in dieses reine Weiß zu malen. Arm ist sie und doch ist sie reich im Geben, Weil Weisheit ihre Güte unterstützt. Kann sie nur wenig geben, gibt sie's so, Daß dieses Wenig Viel den Armen wird. Denn sie gibt nicht nur, um zu geben, wie's Die Reichen thun; nein, sie gibt, um zu helfen. Bis sie nach Hause kommt von ihrer Andacht Zu Notre-Dame, verkürzet Euch vielleicht Die Zeit, zu hören, wie jenes Lied entstand.

Miossens. Erzählt mir, Meister Serons; seid so freundlich.

Serons. Trotz Regnies Strenge, trotz der Schlauheit Degrais', Des Polizeileutnants, treibt eine Bande Von Mördern in den Straßen von Paris Allnächtlich ungescheut ihr gräßlich Handwerk. Es hat damit ganz eigene Bewandtnis. Denn nur den Adel trifft der Meucheldolch, Nur auf Geschmeide scheint es abgesehn. Wo ist der Edelmann jetzt in Paris, Der nicht sein Liebchen hätte, das er nachts Geheim besucht? Und wer geht diesen Weg, Der nicht zuweilen ein Geschenk, sei es Ein edler Schmuck, ein Ring, ein reiches Armband, Auf seinem Herzen trüg' für seine Herrin? Ein böser Geist scheint jener Bande dienstbar, Der ihr's verrät, so oft ein Kavalier Mit solchem Schmuck zur Liebsten nächtlich wandert. Denn früh am Morgen findet man ihn tot, Und sonst ist nichts ihm als der Schmuck geraubt. Der schlaue Degrais tobt, daß seine List Vor einer größern weichen muß. Vergeblich, Daß die Maréchaussée, ein kleines Heer An Zahl, die Straßen von Paris allnächtlich Bei jedem Stundenschlag durchzieht; vergeblich, Was irgend List ersinnen mag, Verkleidung, Verstecke – nichts, nichts spürt die Thäter auf Und ihre Spur erneuert jeden Neumond Ein und derselbe Dolch – scheint es doch fast Ein und derselbe Arm; so gleicht sich stets Des Stoßes Richtung und der Wunde Form.

Miossens. Und keinem noch gelang's –?

Serons. Wenn er allein ging, War er verloren.

Miossens. Das geschieht noch jetzt?

Serons. Vor wenig Nächten noch. –

Miossens(für sich). Dies Wagnis könnte Mich reizen. Nunmehr ist der Schmuck wohl fertig, Mit dem der Narr, der Goldschmied Cardillac Mich fast ein ganzes Jahr hat hingehalten. Die Nacht noch, wenn es möglich ist. Ich will Den Arm doch sehn, der schwerer wiegt als meiner. Ein Harnisch unterm Kleid –; ich will doch gleich Zum Goldschmied schicken. – Bester Meister Serons, Mir fällt ein wichtiges Geschäft da ein. Beendigt nur, ich bitt' Euch, die Erzählung. Vielleicht kommt unterdes das Fräulein. Sonst Ersuch' ich Euch, mich zu entschuldigen Bei unsrer Freundin, komm' ich später wieder.

Serons(verneigt sich). Die Herrn vom Hofe wandten sich vor kurzem Deshalb in einer Schrift, von Dichterhand Geschrieben, an den König. Ein Gericht – Das war des Schreibens Inhalt – zu bestellen Mit größrer Vollmacht und Befugnis noch, Als die von des La Regnie Tribunal. Das Schreiben wußte Ludwigs Eitelkeit So wohl zu treffen, daß er schon bereit schien, Ihm zu willfahren. Fast schon unterlag sein Bedenken, als sein Auge wie aus Zufall Auf unsre Freundin fiel – es war in den Gemächern der Marquise Maintenon, Und unter andern Herrn und Damen auch Das Fräulein gegenwärtig, das der König Vorzüglich schätzt und achtet. Bei ihr bleibt Er stehn und fragt – er fordert sie zuweilen Zum Scherz heraus – sie lächelnd, ob nicht sie auch Den Rittern um der edlen Minne willen Geholfen sehen möchte. Da erhob Das Fräulein sich. Ein Rot, wie's morgenröter Die siebzehnjähr'ge Wang' nicht kleiden kann, Umwob die edeln Züge; zwischen Scham Und edlem Zürnen sprach sie aus dem Stegreif: »Liebe sei der Helmschmuck sein, Den nur Tapferkeit darf tragen; Wer vor Dieben kann verzagen, Ist nicht wert, geliebt zu sein.« Der König überrascht von dieser Verse Erhabnem Sinn, verneigte sich voll Achtung Und ließ sofort die vier gereimten Zeilen Als Antwort setzen unter das Gesuch. Von diesem aber war nicht mehr die Rede.

Miossens. Nun, Meister, nehmt den Dank für Eure Güte. Ein wichtiges Geschäft ruft mich. Empfehlt mich Dem würd'gen Fräulein und lebt wohl für heut. (Ab.)

Zweiter Auftritt.

La Martinière. Serons.

Martinière(in der Thür). Sie sind allein?

Serons. Ich bin's. Soeben ging Der Graf Miossens. (Sie kommt herein.) Seid Ihr krank? Was ist Euch, Frau Martinière? Ist dem Fräulein 'was? Ihr seid so ängstlich –

Martinière. Meister Serons, wie Hab' ich den Augenblick erwartet, Euch Allein zu sprechen.

Serons. Nun so sprecht? Wir sind's.

Martinière. Denkt Euch, die vor'ge Nacht – das Fräulein war Bei Hof – und ich allein in diesem Zimmer, Baptiste war in die Nachbarschaft gegangen, Ich weiß nicht anders, als die Hausthür hat Baptiste verschlossen – denkt, wie ich erschrecke, Als ich die Vorhausthüren gehen höre So hastig, daß ich weiß, Baptist' ist's nicht, Und eh' ich mich besinne nur, warum ich Doch so erschrecke – Meister Serons! wird Die Thür hier aufgerissen und ich bin – Denkt Euch – allein mit einem Manne hier Mit wildem Blick, von wildem Haar umflattert, Todblaß – zwei glüh'nde Augen – »Schweigt« – so spricht er Mit droh'nder Stimme, droh'nderen Gebärden – »Schweigt, wenn Ihr Euer Leben liebt!« Ich mußte Wohl schweigen. An der Kehle packte mich Der Schrecken fest mit unsichtbarer Hand. »Wo ist das Fräulein Scuderi?« – Was ich Auch stammeln mag, er glaubt mir nicht. Bald droht er, Bald ruft er, wie im tiefsten Jammer weinend: Die einz'ge Hoffnung sei's in seinem Elend, Dem Fräulein Scuderi sein Herz zu öffnen, Spricht von der Qual, die seit acht langen Tagen An seinem Leben zehre. Endlich hab' ich Die Stimme wieder, rufe nach Baptiste. Die Gasse her lärmt die Maréchaussée. Das gibt mir meinen ganzen Mut zurück. Auf seinem Antlitz war es, als erblaßte Die Blässe selbst; ein Schrei rang stöhnend sich Aus seiner Brust, der mir das Herz durchschnitt. Ein Kästchen holt er unterm Mantel vor Und stellt's hier auf den Tisch, und händeringend Stürzt er davon. Baptiste fand offne Thüren, Wie er zurückkam. Dann, als heute mittag Ich mit dem Fräulein nach dem Hofe fuhr, Da reißt's den Schlag Euch auf, daß wir erschrecken. Ein bleich Gesicht, von Haaren wild umflogen, Sieht Euch herein – es war derselbe, ganz Gewiß derselbe, der den Schmuck gebracht. Wir schreien auf vor Schreck. Er gleitet stöhnend Vom Tritt herab – ich weiß nicht, wo er blieb. Hat's nicht geschellt? Ja – Gott sei Dank! Da kommt Mein Fräulein. Ach, Ihr wißt nicht, werter Meister, Wie mich seit gestern abend alles ängstet. Sie sollte nicht allein gehn, doch sie thut's. Beseht einstweilen Euch das Kästchen und Was drinnen ist. Dies Kästchen ist's, das gestern Der schauerliche Zuspruch hat gebracht. Entschuldigt mich; ich komme gleich zurück.

Dritter Auftritt.

Serons(allein; betrachtend). Ein Etui für einen Schmuck, wenn ich Nicht irre. Und ich irre nicht. (Nimmt heraus.) Das ist Ein Schmuck für eine Königin. So wertvoll Der Stoff – die Kunst hier überwiegt ihn noch. Nie sah ich solchen Wert, nie solche Arbeit.

Vierter Auftritt.

Fräulein Scuderi. Martinière. Serons.

Fräulein(gibt Serons die Hand). Ihr seid mir nicht willkommner, alter Freund, Als sonst; das ist nicht möglich. Doch bedürftiger Des Freundesrates fanden Sie mich nie. Sie wissen alles? Haben auch die Zeilen Gelesen?

Serons(hat ihr die Hand geküßt). Zeilen? – welche?

Fräulein. Hier, worin Der unheilvolle Schmuck gewickelt ist.

Serons. Hier ist etwas geschrieben.

Fräulein. Lesen Sie Und, ist es möglich, trösten Sie mich dann. Ich habe siebzig Jahre leben müssen, Um so viel Hohn und Schimpf noch zu erleben.

Serons(liest). »Liebe sei der Helmschmuck sein, Den nur Tapferkeit darf tragen; Wer vor Dieben kann verzagen, Ist nicht wert, geliebt zu sein!« »Euer scharfsinniger Geist, hochgeehrte Dame, hat uns, die wir an der Schwäche und Feigheit das Recht des Stärkern üben und uns Schätze zueignen, die auf unwürdige Weise vergeudet werden sollen, vor großer Verfolgung errettet. Als Zeichen unserer Dankbarkeit nehmt diesen Schmuck, das Kostbarste, was wir seit langer Zeit auftreiben konnten. Wir bitten, daß Ihr uns Eure Freundschaft und Euer huldvolles Andenken nicht entziehen möget. Die Unsichtbaren.«

Fräulein. Und was sagt Ihr dazu?

Serons. Ich weiß nicht, was Ich denken soll. Der wunderliche Baum Der Zeit wirft Euch die allerwunderlichste Von seinen Früchten in den Weg – Wollt Ihr Den Schmuck behalten?

Fräulein. Ich? Doch nimmermehr! – Wär' er nicht gar so wertvoll, könnt' ich glauben, Die Sache rühre von den Rittern her Als Rache für den unbedachten Scherz. Ich möchte mit des Himmels Gabe hadern, Die harmlos mich so tief herabgewürdigt, Daß eine Rotte Bösewichter mich Für ihren Advokaten halten darf.

Serons. Deshalb, mein Fräulein, zürnt der Gabe nicht, Die – harmlos, wie Ihr selber sagt – so oft Den Freundeskreis Euch hat entzückt. Was wär' So herrlich, daß gemeine Bosheit nicht, Wenn's ihr nur dient, sich drauf berufen sollte?

Martinière. Sie sind nie billig gegen sich.

Fräulein. Was würden Sie thun an meiner Stelle?

Martinière. Weg erst mit Dem Schmuck hier. Wessen Blut mag daran kleben! Geben Sie ihn der nächsten besten Kirche.

Fräulein. Das darf ich nicht.

Serons. Sie dürfen's nicht?

Martinière. Warum?

Fräulein. Ich darf nicht fremdes Eigentum verschenken.

Martinière. Wie wollen Sie den rechtlichen Besitzer Ermitteln? Mag's die Kirche dann!

Fräulein. Ich seh's Ihm an den Augen an. Mein alter Freund Hat etwas ausgefunden.

Martinière. Denn Sie können Die Sache doch zum Stadtgespräch nicht machen. Wenn Degrais was davon erfährt. Das wäre Genug, Euch in La Regnies Hand zu liefern.

Fräulein. Laß unsern Freund –

Serons. Was ich davon verstehe, Gibt's einen Goldschmied nur, der das kann machen, Nicht in Paris allein, nein, in ganz Frankreich, In ganz Europa. René Cardillac Ist dieses Schmucks Verfertiger. Laßt ihn Her zu Euch kommen; laßt den Schmuck ihn sehn. Er muß es wissen, wem er ihn gemacht, Und diesem gebt sein Eignes dann zurück.

Fräulein. Nun siehst du, Martinière, Serons denkt Wie ich. Und war Baptiste schon bei dem Goldschmied?

Martinière. Er fand ihn nicht daheim. Zu Saint-Sulpice Fand er den Meister. Der will kommen, wie Er seine Andacht nur beendigt hat. Ihr könnt ihn jeden Augenblick erwarten.

Serons. Erschreckt mir nicht, mein Fräulein, wenn er kommt. Er ist ein seltsamer Gesell. So wie Es Menschen gibt, die unter Engelslarven Den Teufel bergen, so gibt's Menschen auch, Die Teufel scheinen und doch Engel sind. Zu diesen stellt den Cardillac. Nie barg Eine rauh're Nuß Euch einen süßern Kern. Ein langes, frommes, tadelfreies Leben Voll Biederkeit und jeder Bürgertugend Steht für die wunderliche Larve ein. Er ist ein Künstler, der so ganz versunken In seine goldnen Träume ist, daß ihm Die Wirklichkeit zum bloßen Traum geworden, Der Traum zur Wirklichkeit. Nachtwandlern gleich Geht er durchs äußre Leben und erschreckt Die Wachenden.

Fünfter Auftritt.

Baptiste. Die Vorigen. Dann Cardillac.

Baptiste. Der Meister Cardillac! Er hat nicht lange Zeit. Noch in zwei Kirchen Muß er den Abend, sagt er.

Fräulein. Laß ihn kommen.

Baptiste(abgehend).

Cardillac tritt unbeholfen ein.

Fräulein. Seid Ihr der Meister Cardillac?

Cardillac verneigt sich.

Serons. So wenig Kann dieser Meister sich verleugnen, als Seine Arbeit. Beide rät man gleich.

Cardillac. Ihr seid Sehr gütig, Herr.

Fräulein. Ich ließ Euch, Meister, bitten, Zu mir zu kommen. Eine Frage hab' ich An Euch.

Cardillac. Habt tausend, und antworten will ich.

Fräulein. Seht diesen Schmuck und leset diese Zeilen. Ein Unbekannter brachte gestern nachts, Als ich abwesend war, dies Beides und Entfloh.

Cardillac(liest und besieht).

Fräulein. Ihr seht nun, Daß ich das nicht behalten kann, woran Das Blut des Eigners klebt.

Cardillac