Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 2: Schatten des Verrats - Stefan Burban - E-Book

Das gefallene Imperium - Codename Ganymed 2: Schatten des Verrats E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Nach dem Anschlag der Terroristen auf die Wahlkampfveranstaltung, ist die Republik in hellem Aufruhr. Wer sind die unbekannten Angreifer? Und welche Ziele verfolgen sie mit diesem rätselhaften Vorgehen? Die Soldaten der 21. Irregulären Legion sind noch dabei, die Folgen des Angriffs zu verdauen, da werden sie auch schon mit der nächsten Mission betraut. Ihre Aufgabe: Den Präsidenten der Republik und die Kandidaten der Präsidentschaftswahl in Schutzhaft zu nehmen und unter allen Umständen vor jeglicher Gefahr zu verteidigen. Der in den Schatten lauernde Gegner ist jedoch nicht untätig. In einer Nacht- und Nebelaktion gelingt es ihm, eine wichtige Anlage zu infiltrieren und hochrangige Geiseln zu nehmen. Lieutenant Tammy Rogers von der 21. Legion bleibt nur wenig Zeit, gegen die Angreifer vorzugehen. Aber das könnte ihr mit Abstand schwierigster Kampf werden, denn ihre Gegner haben dieselbe Ausbildung genossen, wie sie auch. Es handelt sich nämlich um gut trainierte und schwer bewaffnete Legionäre …

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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg April 2023 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Giusy Lo Coco Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-888-5 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-889-2 Die sechs Romane dieser Mini-Serie erscheinen auch gesammelt in zwei Hardcover-Ausgaben, sie sind direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1

Das Erste, was Captain Georg Menzel davon überzeugte, noch am Leben zu sein, waren die Sirenen, die in seinen Ohren dröhnten, und die zahlreichen roten Warnlampen, die selbst durch die geschlossenen Augenlider wie tausend Nadeln direkt in sein Gehirn stachen. Falls das hier das Leben nach dem Tod sein sollte, dann war es wirklich enttäuschend. Er hatte sich etwas anderes darunter vorgestellt.

Menzel öffnete langsam die Augen und stellte fest, dass er auf dem Rücken lag. Er starrte für mehrere Sekunden fasziniert die Decke seiner Kommandobrücke an, bevor er es wagte, den Blick zur Seite zu wenden.

»Er ist wach!«, hörte er jemanden rufen und augenblicklich tauchten ein paar Stiefel neben seinem Kopf auf.

»Schön vorsichtig, Skipper«, vernahm er eine sanfte Stimme. »Sie haben einiges abbekommen.«

»Ludmilla?«, sprach er seine XO vertraulich an. »Wir leben also noch.«

»Was heutzutage so leben heißt«, gab sie flapsig zurück.

Menzel schloss kurz die Augen, in der Hoffnung, die Welt möge doch bitte aufhören, sich wie wild um ihn zu drehen, dann öffnete er sie wieder. Die Welt hatte seiner Bitte leider nicht entsprochen. Im ersten Moment konnte er nicht viel erkennen. Er glaubte schon, seine Sehkraft hätte Schaden genommen. Dann erkannte er, dass sich unter der Decke der Brücke dichte Rauchschwaden gesammelt hatten. Commander Ludmilla Szymanski kniete neben ihm.

»Ich nehme an, die Lebenserhaltung funktioniert nicht mehr einwandfrei.« Immer noch auf dem Rücken liegend, deutete er nach oben. Seine XO nickte. Sie reichte ihm die Hand, die er dankbar ergriff. Mit kurzem Stöhnen half sie ihrem befehlshabenden Offizier beim Aufstehen. Menzel hielt sich an einer Konsole fest. Wie andere Ausrüstung auch funktionierte sie nicht mehr. Der Captain der Morgenstern sammelte sich. Seine Knie zitterten und schienen kaum in der Lage, den Flottenoffizier aufrecht zu halten.

»Bericht!«, forderte er japsend.

»Lebenserhaltung nur noch zu etwa dreißig Prozent funktionsfähig. Waffen und Antrieb komplett offline«, spulte sie die umfangreiche Liste der Gefechtsschäden herunter. »Außerdem wurden uns ein paar dicke Löcher in den Wanst geschossen.« Sie zögerte.

»Ja?«, hakte der Captain der TRS Morgenstern nach.

Die XO biss sich leicht auf die Unterlippe, ehe sie antwortete: »Die Attila wurde zerstört. Die Hannibal ist noch intakt, soweit wir das feststellen können.«

»Erklären Sie das.«

Szymanski deutete nach rechts. Menzel drehte sich um – und erbleichte. Dort, wo sich eigentlich das Brückenfenster hätte befinden müssen, klaffte ein Loch von fünf Metern Durchmesser in der Außenhülle. Ein Notkraftfeld hielt das Vakuum dort, wo es hingehörte. Aber das verdammte Ding flackerte in einem fort, was Zweifel an der Energieversorgung aufkommen ließ.

Noch beängstigender aber war der Anblick jenseits der Bresche. In etwa tausend Kilometer Entfernung schwebte der zerschlagene Rumpf des Kreuzers Hannibal. Wer auch immer sie angegriffen hatte, dem war es gelungen, ganze Arbeit zu leisten. Der Gegner hatte ein Trio der modernsten Schiffe der Terranisch-Republikanischen Liga in Stücke geschossen und deren kriegserfahrene Besatzungen wie einen Haufen Amateure aussehen lassen. Und das auch noch mit im Prinzip einfachsten Mitteln. Ihr unbekannter Gegenspieler hatte sie ganz schön vorgeführt.

»Kommunikation?«, wollte Menzel wissen.

»Sie antworten nicht auf unsere Rufe. Vielleicht ist ihre Anlage beschädigt«, mutmaßte Szymanski. »Es wäre allerdings auch denkbar …« Sie sprach nicht weiter.

»… dass niemand an Bord mehr am Leben ist, der antworten könnte«, spann Menzel den Faden weiter.

»Das ist aber nicht unser einziges Problem. Noch nicht einmal das größte.«

Menzel drehte sich ruckartig um. »Im Ernst? Was denn noch?«

Die XO trat näher an den Bruch, bis ihre schlanke Gestalt fast das Kraftfeld berührte. Sie bedeutete ihrem Kommandanten, sich zu nähern. Als Menzel einen Schritt auf seine XO zutrat und ihr über die Schulter spähte, erkannte er, was der Frau wirklich Sorgen bereitete.

Unterhalb der Hannibal schwebte eines der Angreiferschiffe. Es befand sich in einer perfekten Schussposition und hätte sowohl die Hannibal als auch die Morgenstern locker wegpusten können.

»Sind noch andere Feindschiffe übrig?«, wollte Menzel mit gedämpfter Stimme wissen.

Szymanski schüttelte den Kopf. »Sind alle erledigt worden. Nur das ist noch übrig.«

»Und was macht es?«

Die XO zuckte die Achseln. »Soweit ich das beurteilen kann, gar nichts. Es hängt einfach nur zwischen der Hannibal und dem Planeten.«

Menzels Gedanken rasten. Währenddessen öffneten sich hinter ihm die Türen der Kommandobrücke und weitere Schadenskontrollmannschaften eilten herein, um die letzten Brände zu löschen und mit den dringend benötigten Reparaturen zu beginnen. In ihrem Kielwasser folgten Sanitäter und Ärzte, die sich um die Verwundeten kümmerten.

»Wie lange war ich weg?«

»Nicht lange. Ein paar Minuten.«

Der Captain der Morgenstern dachte angestrengt nach und kam zu einem Ergebnis, das zumindest ein wenig Licht am Ende des Tunnels versprach. »Wir müssen sie erwischt haben.«

Seine XO wandte sich zweifelnd um. »Sind Sie sicher?«

»Sicher? Nein, aber es ergibt als einzige Schlussfolgerung Sinn. Was ist mit den Jagdbombern?«

»Von unserer Staffel sind fast alle zerstört, einer hat die Oberfläche angesteuert wegen umfangreicher Schäden. Er hätte nicht mehr lange oben bleiben können. Ein weiterer treibt manövrier- und kampfunfähig irgendwo da draußen. Wir haben nicht einmal die Möglichkeit, ihn zu bergen oder den Piloten irgendwie an Bord zu holen. Die Staffeln der Hannibal und Attila befinden sich immer noch innerhalb der Atmosphäre und fliegen momentan Luftdeckung für den Anschlagsort.«

Menzel runzelte die Stirn. »Anschlag? Was für ein Anschlag?«

Szymanski schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Stimmt, das haben Sie gar nicht mehr mitbekommen. Die Wahlkampfveranstaltung wurde angegriffen. Es gibt keine Spur von Mutter Henne, den Küken oder sonst jemandem, der irgendetwas zu sagen hat.« Sie zuckte die Achseln. »Ich hätte einen Teil der Jagdbomber gerne zurückgerufen, aber die atmosphärischen Störungen sind im Augenblick zu stark. Wir haben Probleme, unsere Piloten dort unten zu erreichen.«

»Das heißt also, wir stehen allein da«, meinte Menzel. »Oh, dieser Tag wird ja besser und besser.« Er seufzte. »Na schön. Es bringt nichts, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, was man nicht ändern kann. Auf die Lage am Boden können wir im Moment keinen Einfluss nehmen.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf das Feindschiff schräg unter ihnen. »Daher schlage ich vor, wir bereinigen zuerst unser drängendstes Problem. Falls ich recht habe – und es sieht immer mehr danach aus –, dann kämpft dort soeben eine Besatzung darum, ihre Systeme wieder instand zu setzen. Genau wie wir.«

»Wenn die ihre Waffen vor uns wieder online kriegen, dann schießen sie uns in Fetzen«, stimmte Szymanski zu.

Menzel nickte. »Wir müssen Ordnung in das Chaos bringen. Evakuieren Sie alle beschädigten Ebenen und versiegeln Sie diese. Anschließend leiten Sie die dadurch frei gewordene Energie der Lebenserhaltung zu. Fangen wir am besten mal damit an.« Er biss sich auf die Unterlippe. »ETA der hiesigen Wachschiffe?«

»Noch über anderthalb Stunden.«

Menzel schüttelte den Kopf. »Bis dahin haben die längst ihre Waffen instand gesetzt und uns erledigt.«

»Was heißt das für uns?« Abermals deutete Szymanski auf den gegnerischen Frachter. »Wir sollten uns um ihn kümmern.«

Bevor Menzel antworten konnte, erhob jemand hinter ihm die Stimme. »Wenn wir die Mistkerle nicht mit den Schiffsgeschützen erledigen können, dann muss es eben auf die harte Tour gehen.«

Der Captain der Morgenstern und seine Erste Offizierin drehten sich gleichzeitig um und beide reagierten verblüfft, Major General Lyonel Marsden zu sehen.

»General«, sprach Menzel den Mann an, »Sie sollten auf der Krankenstation sein.«

Der Stabschef des Präsidenten winkte nur müde ab. »Es geht mir so weit ganz gut und die da unten haben momentan andere Probleme als einen müden alten Haudegen wie mich.«

Marsden trat zwischen Menzel und seine XO, den Blick beständig auf das havarierte feindliche Schiff gerichtet.

»Sie meinen …?« Menzel ließ den Satz bedeutsam ausklingen.

Marsden nickte. »Wenn wir das Schiff nicht zerstören können, dann knacken wir es eben von innen heraus.« Der General wandte sich dem Captain zur Gänze zu. »Schicken Sie Ihre Marines rüber.«

* * *

Staff Sergeant Lester Sullivan glaubte über viele Stunden hinweg, dass er diesen Anschlag nicht überleben würde. Dass er sich irrte, registrierte der Legionär erst, als die tonnenschweren Trümmer von seinem in der Rüstung steckenden Körper gehievt wurden.

Das Gefühl der Beklemmung und Platzangst wich schlagartig der Erleichterung, als die ersten Sonnenstrahlen durch das HUD des Helms schimmerten.

Der Bordcomputer seiner Rüstung blendete eine schematische Darstellung der Armierung ein und listete sämtliche erlittenen Schäden auf. Als Lester sie überflog, war er der Meinung, ein Glückspilz zu sein. Die Rüstung hatte sowohl der Explosion standgehalten als auch dem anschließenden Einsturz des Gebäudes. Die Panzerung war an vielen Stellen eingedellt. Teilweise so heftig, dass ihm das Atmen bisweilen schwerfiel, aber sie hatte gehalten. Er schickte ein stummes Dankesgebet an den Ingenieur, der für diese Glanzleistung verantwortlich war.

Das letzte Trümmerstück wurde beiseitegeschafft und Lester konnte durch Wolken von Staub und kleinsten Dreckpartikeln einen Schattenlegionär erkennen, der angestrengt durch den künstlich erzeugten Dunst in Lesters Helm spähte.

Der Mann klopfte mit dem Zeigefinger gegen das blanke Metall. »Hey! Ist da drin noch jemand am Leben?«

Lester bewegte die rechte Hand und hob den Daumen. Zu mehr war er kaum fähig. Der Sauerstoffpegel seiner Rüstung war extrem niedrig. Weitere Helfer erschienen auf der Bildfläche und halfen ihm in eine halb sitzende Position. Der Sergeant entriegelte den Helm und der Schattenlegionär nahm diesen ab. Lester sog augenblicklich den dringend benötigten Sauerstoff in seine Lungen. Er japste angestrengt und hustete im Anschluss würgend, als er die von Staub und Betonpartikeln geschwängerte Luft einatmete. Erst dann normalisierte sich sein Puls langsam.

Sein Retter öffnete ebenfalls den Helm und schob das Visier nach oben. Es handelte sich um Lorenzo Morelli. »Alles noch dran?«, fragte der Mann kurz angebunden.

Lester benötigte einen Augenblick für eine innere Bestandsaufnahme seiner Extremitäten sowie der lebenswichtigen Organe und nickte schließlich. Er hob die Hand, der Schattenlegionär packte sie und dank der mechanischen Muskelverstärkung seiner Rüstung gelang es Morelli, Lester unter den restlichen Trümmern hervorzuziehen.

Der Truppführer von Echo der Verdammnis sah sich zum ersten Mal bewusst um in dem, was vom Gebäude noch übrig war. Die Explosion hatte so gut wie alle tragenden Elemente des Kongresszentrums zum Einsturz gebracht, bis auf die Nordwand.

Dieser einen Wand war es zu verdanken, dass es überhaupt Überlebende unter den Zivilisten gab, denn sie hatte einen Bereich geschaffen, in dem die herabstürzenden Betonmassen und Stahlträger nicht alles und jeden zerquetscht hatten, der keine Rüstung trug. Der Raum um die Tribüne gehörte dazu.

Präsident Mason Ackland saß, einen Verband um die Schläfe, die Miene apathisch, auf einem irgendwie heil gebliebenen Stuhl. Sein Sicherheitschef befand sich hinter ihm und General Finn Delgado stand daneben und redete beinahe hektisch auf Stockwell ein.

Noch während Lester zusah, zog man die Leichen von vier Männern und zwei Frauen, die zum Personenschutz des Präsidenten gehört hatten, aus den Trümmern und schaffte sie fort.

Sie wurden direkt an Lester vorbei nach draußen getragen. Es war eine schmerzliche und unwillkommene Erinnerung daran, wie knapp es für die Überlebenden gewesen war.

Lester sah an sich herunter. Die Rüstung war verbeult und an mehreren Stellen gerissen. Das war die Erklärung, warum ihm das Atmen anfangs dermaßen schwergefallen war. Durch die Breschen in der Panzerung war Betonstaub und anderer Dreck in die abgeriegelte Rüstung gelangt. Er seufzte erleichtert auf. Aber immerhin war er noch in einem Stück. Im nächsten Moment fand man zwei Schattenlegionäre und drei Soldaten der 21. Legion unter den Trümmern. Sie hatten weniger Glück gehabt und waren von der tonnenschweren Last zerquetscht worden. Man brachte sie eilig weg. Der Sergeant Major wandte den Blick ab. Er konnte die Art und Weise, wie die Soldaten gestorben waren, nicht ertragen.

Lester senkte betroffen den Kopf und schickte ein kurzes Gebet für die Gefallenen gen Himmel.

Der Sergeant Major setzte den Helm wieder auf und aktivierte sein Komgerät. Als er zum Sprechen ansetzen wollte, drang jedoch lediglich Rauschen aus dem Äther. Er schaltete frustriert ab. Das Ding war nur noch Schrott.

Morelli machte sich unterdessen daran, weitere Überlebende aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Die drei geborgenen Schattenlegionäre hatten zu seinem Trupp gehört. Der Letzte wurde vermutlich noch vermisst. Mitleid kam in ihm hoch. Der Überlebende einer ganzen Einheit zu sein, das war ein schreckliches Gefühl.

Jemand schlug ihm wuchtig auf die Schulter. Als sich Lester umdrehte, sah er sich unvermittelt Dustin Meyers und Megan Carlyle gegenüber. Beide hatten den Helm geöffnet und strahlten ihn an.

Trotz der sperrigen Rüstung fiel er ihnen in die Arme. »Gott sei Dank, ihr seid am Leben! Ich habe schon das Schlimmste befürchtet.«

»Hätte nicht viel gefehlt«, gab Dustin zur Antwort. Er sah nach oben und Lester folgte dem Blick. Durch ein riesiges Loch konnte man den strahlenden Himmel und das alltägliche Schneegestöber sehen, das auf Chariga als Wetter durchging. Einzelne Schneeflocken tanzten durch die Luft und schafften es bis zum Boden der Tragödie, bevor sie zerschmolzen.

Lester sah an seinen beiden Truppkameraden vorbei. »Natascha und Toshiro?«, fragte er voll düsterer Ahnungen.

Dustin schüttelte den Kopf. »Sind draußen bei den Verwundeten. Beide haben einiges abbekommen, aber sie leben.«

Weitere Leichen wurden unter den Trümmern geborgen. Die drei Legionäre beobachteten angespannt, wie sie respektvoll auf Bahren gebettet wurden. »Viele andere hatten nicht so viel Glück«, fügte Dustin hinzu. Kurz darauf fand man zur Freude aller fünf Überlebende, drei Legionäre und zwei Zivilisten. Die Soldaten hatten die Zivilisten gerettet, indem sie diese mit dem eigenen Körper vor den herabfallenden Massen geschützt hatten.

»Was ist mit den Küken?«, wollte Lester wissen.

»Sind alle drei noch am Leben, auch wenn Donelly verletzt und Bianchis Zustand sogar kritisch ist. Man weiß nicht, ob sie es überlebt. Man bringt sie gerade unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ins örtliche Krankenhaus. Lieutenant Tammy ist bei ihnen.«

Lester runzelte die Stirn. »Krankenhaus? Warum nicht auf die Morgenstern?«

Dustin und Megan wechselten einen schnellen, besorgten Blick, bevor sich Lesters Nummer zwei wieder schwerfällig in seine Richtung drehte. »Tja, da hätten wir das nächste Problem. Der Kontakt zum Kreuzer ist abgebrochen. Genauer gesagt, wir erreichen gar kein Schiff im Orbit.«

* * *

Lieutenant Ricardo Esposito hielt sich an der Deckenstrebe des Sturmbootes fest, während sich das Vehikel dem kampfunfähigen feindlichen Schiff vorsichtig näherte.

Über eine eingespeiste Direktverbindung zum Helm des Piloten verfolgte der Marine angestrengt den Anflug. Der kampferfahrene Offizier musterte das Ziel mit kundigem Blick.

Ricardo war zu jung, um den Drizil-Krieg mit all seinen Schrecken mitgemacht zu haben. Und beim Nefraltiri-Krieg hatte er lediglich die letzten beiden Jahre als einfacher Soldat miterlebt. Wenn auch hauptsächlich auf abgelegenen Garnisonsposten. Das hatte allerdings vollauf gereicht, um ihm den Unsinn von Glanz und Glorie des Schlachtfelds für immer auszutreiben. Er hatte gehofft, nie wieder eine kriegerische Auseinandersetzung mitmachen zu müssen.

Je näher sie kamen, desto mehr wurde von ihrem Feind erkennbar. Es handelte sich eindeutig um ein menschliches Schiff. Ricardo musste seine erste Einschätzung revidieren. Die Einheit voraus hatte ihre Existenz nicht als Kriegsschiff begonnen. Vielmehr wirkte es wie ein umgebauter Frachter. Aber dieser war wirklich massiv modifiziert worden. Zusätzliche Panzerung an Bug sowie beiden Breitseiten, das Heck sah hingegen aus, als würde es sich noch im Ursprungsdesign befinden.

Ricardo schnaubte. Es war demnach nie vorgesehen gewesen, dass der Angreifer den drei Tarnkreuzern das Heck präsentierte. Die Devise hieß also Angriff, immer nur Angriff – bis hin zur völligen Selbstaufgabe. Gut möglich – und extrem besorgniserregend –, dass nie geplant gewesen war, dass die Schiffe überhaupt zurückkehren sollten. Das Überleben der Angreifer war von den Strippenziehern hinter der Aktion von vornherein ausgeschlossen worden.

Ricardo packte den Griff des Nadelgewehrs fester, das in einer Schlaufe um seine Schulter hing. Mit Fanatikern umgehen war eine Kunst für sich. Das bedeutete im Umkehrschluss, sie mussten mit allerlei Fallen rechnen und durften kein Risiko eingehen. Also erst schießen, dann Fragen stellen.

Ricardo rümpfte die Nase. Das kam ihm sehr entgegen. Er hatte Freunde an Bord der Attila verloren.

Der Marine-Lieutenant fuhr mit der Begutachtung des Feindschiffes fort. Langsam wurden die ersten Waffenstellungen ersichtlich. Sie waren nachträglich angebracht worden. Er bezweifelte, dass der ursprüngliche Frachter überhaupt Geschütze besessen hatte. Zusätzliche Panzerung, zusätzliche Waffen: All das machte ein Schiff schwerfällig und schwieriger zu manövrieren. Das hatte ihnen allen das Leben gerettet.

Diese Frachter besaßen grob geschätzt die Feuerkraft eines Angriffskreuzers. Ihr Einsatz setzte auf das Überraschungsmoment. War dieses erst einmal verloren, war es vorbei. Das hatte der Morgenstern ihren vernichtenden Gegenschlag ermöglicht. Der Plan des Gegners sah vor, die drei Tarnkreuzer mit bloßer Gewalt zu überwältigen, bevor diese überhaupt richtig an Gegenwehr denken konnten. Ricardo verzog hämisch die Miene. Diese Zielvorstellung war gründlich in den Sand gesetzt worden.

Eines der seitlichen Geschütze bewegte sich und richtete sich auf das Sturmboot aus. Der Pilot reagierte augenblicklich und flog Ausweichmanöver. Der erwartete Beschuss blieb aus. Vermutlich hatte die Besatzung gar nicht mehr genug Energie, um zu feuern.

Das Sturmboot gelangte unbehelligt an sein Ziel und Ricardo hörte im Innern, wie unter einem dumpfen Geräusch Metall auf Metall schlug. Nur Sekundenbruchteile später griffen die Klemmen und das Sturmboot verbiss sich einem Neunauge gleich an sein Opfer.