Das Geheimnis des Nordsterns - Karin Seemayer - E-Book

Das Geheimnis des Nordsterns E-Book

Karin Seemayer

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Beschreibung

Eine Liebe, die alle Grenzen überwindet.

San Francisco, 1904: Sarah ist nach dem Schiffsunglück wieder in ihrer Heimatstadt angekommen. Zum Entsetzen ihrer Mutter in Begleitung ihrer großen Liebe, des Seemanns Peer. Gemeinsam wollen sie sich in San Francisco eine Zukunft aufbauen. Doch Sarah merkt, dass es ihr schwer fällt, sich wieder in ihr altes Leben einzufinden, dafür hat sie in den letzten Monaten zu viel erlebt. Und auch Peer muss kämpfen, denn die Gesellschaft, in der Sarah und ihre Familie sich bewegen, ist nicht bereit, den Seemann in ihren Reihen zu akzeptieren. Schon bald muss sich das Paar fragen, ob ihre Liebe stark genug ist, sich den äußerlichen Zwängen zu widersetzen ...

Hochemotional und romantisch: eine Frau, die ihren Weg sucht, und ein Mann zwischen Pflicht und Gefühl.

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Über Karin Seemayer

Karin Seemayer wurde 1959 in Reutlingen geboren, lebte von 1960 bis 1993 in Frankfurt und seitdem in Eppstein im Taunus. Mit Anfang zwanzig packte sie das Fernweh. Sie machte eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau und war die nächsten Jahre beruflich und privat viel unterwegs. Viele ihrer Romanideen sind auf diesen Reisen entstanden. Die Umsetzung der Ideen musste jedoch warten, bis ihre drei Kinder erwachsen waren.

Informationen zum Buch

Eine Liebe, die alle Grenzen überwindet

San Francisco, 1904: Sarah ist nach dem Schiffsunglück wieder in ihrer Heimatstadt angekommen. Zum Entsetzen ihrer Mutter in Begleitung ihrer großen Liebe, des Seemanns Peer. Gemeinsam wollen sie sich in San Francisco eine Zukunft aufbauen. Doch Sarah merkt, dass es ihr schwer fällt, sich wieder in ihr altes Leben einzufinden, dafür hat sie in den letzten Monaten zu viel erlebt. Und auch Peer muss kämpfen, denn die Gesellschaft, in der Sarah und ihre Familie sich bewegen, ist nicht bereit, den Seemann in ihren Reihen zu akzeptieren. Schon bald muss sich das Paar fragen, ob ihre Liebe stark genug ist, sich den äußerlichen Zwängen zu widersetzen.

Hochemotional und romantisch: eine Frau, die ihren Weg sucht, und ein Mann zwischen Pflicht und Gefühl

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Karin Seemayer

Das Geheimnis des Nordsterns

Historischer Roman

Inhaltsübersicht

Über Karin Seemayer

Informationen zum Buch

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Personenverzeichnis

Teil I: Sehnsucht nach dem Meer

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Teil II: Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

Teil III: Der Hölle Rache

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

Teil IV: Stark wie der Tod ist die Liebe

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

Epilog

Nachwort und Dank

Impressum

Personenverzeichnis

In San Francisco

Sarah Tanner

Opernsängerin

(Emilia Rossi)

Anne Ross

Sarahs Tochter

Elizabeth Ross

Sarahs Mutter

Alice Freeman

Sarahs Tante

Christopher Ross

Sarahs Bruder

Amy Ross

seine Frau

Mary Wilson

Sarahs Schwester

Frank Wilson

ihr Mann

Emily

Sarahs Hausmädchen

David Cameron

Tenor an der Grand Opera

Renato Russo

Tenor

Aimee Pascal

Nachwuchssängerin

Rosalia Lombardi

Sopranistin

Horatio Stoll

Direktor der Grand Opera

Adeline Kempff

Gesangslehrerin

Georgina Astor

Reporterin beim »Examiner«

Brandon, John, Kapitän

Sarahs Jugendliebe

Alex Fuller, Matrose

Peers Freund

In Schweden

Peer Svensson

Seemann

Livia Pettersson

Peers Jugendliebe

Lars (Lasse)

Livias Sohn

Johan Pettersson

Livias Vater

Elsa Svensson

Peers Mutter

Linnea Lindholm

Peers Großmutter

Nils Svensson

Peers Bruder

Britta Svensson

Nils’ Frau

Anders Svensson

Peers Bruder

Helga Svensson

seine Frau

Marit Edström

Peers Schwester

Carl Edström

Marits Mann

Senta Isaksson

Carl Edströms Schwester (Witwe)

Pastor Dahlberg

Pfarrer

Pernilla Persson

Wirtin im »Wärdshus«

Dr. Norberg

Arzt aus Ellös

Bertil Hansen

Feldscher

Auf der Erland

Björn Lindqvist

1. Heizer

Mario

1. Trimmer

Jon Harsvik

Heizer

Singh

Heizer

Hans

Heizer

Teil I Sehnsuchtnach dem Meer

1. Kapitel

San Francisco, April 1905

Das gesamte Publikum stand. Rhythmisches Klatschen füllte den Saal der Grand Opera.

Sarah verneigte sich und lächelte in den dunklen Zuschauerraum. Irgendwo dort unten saß ihre Tochter Anne, aber sie konnte keine Gesichter erkennen. Neben ihr drehte und wendete sich ihr Partner, der Tenor Renato Russo, der die Rolle des Caravadossi gesungen hatte.

Was für ein eitler Fant er doch war. Es fehlte nur, dass er Handküsse in den Zuschauerraum warf. Prompt trat er einen Schritt vor, hob beide Hände an die Lippen, breitete sie aus und verzog seinen Mund zu jenem Lächeln, das ihm den Ruf als Herzensbrecher eingebracht hatte. Das kollektive Seufzen der Damen zog durch den Saal.

Was sie wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass Renato Russos bürgerlicher Name Jack Tuttle war und er eine Frau und zwei Kinder hatte?

Aber sie konnte ihn verstehen, auch sie trennte das Leben, das sie als Operndiva Emilia Rossi führte, streng von der Privatperson Sarah Tanner. Es war ein Zugeständnis an die Familie ihres verstorbenen Mannes. Undenkbar für die Witwe des Eisenbahnbarons Arthur Tanner, sich auf einer Bühne zu zeigen, selbst wenn es die der Grand Opera war.

Der Vorhang fiel und hob sich kurz darauf ein viertes Mal. Sarah strahlte Renato an, er verbeugte sich vor ihr, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Das Publikum begann zu trampeln. Es glaubte ihnen das Liebespaar, und wahrscheinlich würde die Presse wieder Vermutungen darüber anstellen, ob sie auch in Wirklichkeit ein Paar waren.

»Das war nicht schlecht, Liebste, vielleicht ein bisschen zu schrill in den Höhen«, raunte er ihr zu, als er sich wieder aufrichtete.

Sarah schluckte. So ein Mistkerl. Doch das konnte sie ebenfalls. »Ja, an deinen Höhen musst du wirklich noch arbeiten«, gab sie zuckersüß zurück.

Seine Miene gefror, er warf ihr einen mörderischen Blick zu. Sarah verwandelte das Grinsen in ihrem Gesicht in ein Lächeln. Viel lieber hätte sie die Tosca mit David Cameron gesungen, aber die Theaterleitung wollte sichergehen und hatte den Caravadossi mit Russo besetzt. Seine Auftritte garantierten einen Erfolg, zumindest bei den Damen, während man bei ihr nicht wusste, wie das Publikum ihren ersten Auftritt nach über einem Jahr Abwesenheit von der Bühne aufnehmen würde.

Russo führte Sarah nach vorn zum Rand der Bühne. Gemeinsam verneigten sie sich. Schließlich traten sie zurück, und der Vorhang senkte sich zum letzten Mal. Immer noch klatschten die Leute.

Die Premiere war ein Erfolg, soviel war sicher. Wie viel davon auf sie zurückzuführen war und wie viel auf ihren Partner, darüber würden sich die Kritiker und die Presse auslassen. Immerhin hatte sie für Vissi d’arte Szenenapplaus bekommen.

Es war das erste Mal, dass sie die Arie wieder für die Öffentlichkeit gesungen hatte, seit ihrem Schiffbruch und dem daraus folgenden viermonatigen Zwangsaufenthalt auf dem Robbenschoner Victory.

Sie hatte sich vorgestellt, Peer säße unter den Zuschauern. Vor einem Jahr, auf eben jenem Robbenfänger, hatte sie die Arie für ihn gesungen. Damals hatte sie zum ersten Mal wirklich begriffen, wie Floria Tosca gefühlt hatte, als sie mit ansehen musste, wie man ihren Geliebten folterte.

Peer war nicht ihr Geliebter gewesen, als der Steuermann ihn vor ihren Augen halbtot geprügelt hatte.

Noch nicht.

*

Am nächsten Morgen stand ein riesiger Kamelienstrauß auf dem Tisch in ihrem Salon. Sarah verdrehte die Augen. Ausgerechnet Kamelien, wie originell. Die konnten nur von Horatio Stoll, dem Direktor der Grand Opera, kommen. Die dazugehörige Karte bestätigte ihre Vermutung. »Großartige Leistung, liebste Emilia! Die Kritiker überschlagen sich vor Begeisterung.«

Neben der Vase lagen die neuesten Ausgaben des San Francisco Calls und des Examiners.

»Emilia Rossi ist wieder da. Die gefühlvollste Tosca, die es je gab«, lautete die Schlagzeile des Calls. Auch der Examiner lobte ihren Auftritt und erging sich, wie erwartet, in Spekulationen über sie und Renato Russo.

Vielleicht ist die Liebe die Ursache für das gefühlvolle Spiel der schönen Emilia?

Schon länger wird vermutet, dass es mehr als nur die Leidenschaft für die Musik und die gemeinsame Arbeit ist, was die dunkelhaarige Diva und den glutäugigen, gut aussehenden Tenor verbindet. Kenner der Grand Opera erinnern sich noch an den großartigen Auftritt der beiden in La Traviata, kurz vor dem geheimnisvollen Verschwinden von Emilia »La Rossi« für mehrere Monate.

Bei dem gestrigen Auftritt spielten sie das Liebespaar mehr als überzeugend. Emilias Eifersuchtsausbruch im ersten Akt warhinreißend, und ihre Interpretation der Vissi d’arte rührte das Publikum zu Tränen, ebenso wie Russo mit der wundervollen Arie E lucean le stelle …

In diesem Stil ging es über eine ganze Seite, garniert mit einer Zeichnung von ihr und Russo in enger Umarmung.

Sarah verdrehte die Augen. Typisch für den Examiner.

Nichtsdestotrotz: Sie hatte es geschafft! Sie hatte bewiesen, dass sie wieder eine große Rolle singen konnte.

Sie legte die Zeitungen zurück und griff nach der Post. Eine Einladung zum Barbecue bei ihrer Tante Alice, ein Brief von ihrem Onkel.

Keine Nachricht von Peer.

Seit fünf Monaten war er nun fort. Seine Briefe waren immer unregelmäßig gekommen, unterwegs geschrieben und von den Häfen auf seinem Weg nach Hause abgeschickt.

Die letzte Nachricht hatte sie aus Rio de Janeiro erreicht. Sein Schiff, die Emma Rodge, hatte Kap Hoorn bei gutem Wetter in Rekordzeit umrundet. Es ging ihm gut, aber sie fehlte ihm.

Sie vermisste ihn ebenfalls.

Sein Gesicht verblasste zunehmend in ihrer Erinnerung.

Oh, sie erinnerte sich an Details. An seine Augen, die grün waren wie der Pazifik vor San Francisco, an den leichten Aufwärtsschwung seiner Mundwinkel, an die energische Linie seines Kinns, doch diese Einzelheiten fügten sich immer schwieriger zu einem Gesamtbild zusammen.

Irgendwann würde sie sein Gesicht nicht mehr heraufbeschwören können.

Dafür waren andere Erinnerungen umso lebendiger. Seine Stimme, dunkel, weich, ein klein wenig heiser. Sein Geruch nach Salz und Meer und frischem Holz, das in der Sonne trocknete. Das Gefühl von Sicherheit, wenn er sie umarmte.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken.

»Mr. David Cameron«, meldete Emily, ihr Hausmädchen, und dann stürmte er auch schon in ihren Salon. Seine Erscheinung beherrschte sofort den Raum. Groß war er, sein Brustkorb gewaltig, und sein Bauchumfang stand dem nur wenig nach. Er sah aus wie ein veritabler Bass, tatsächlich aber war er der talentierteste Heldentenor, den das Grand Opera House je gesehen hatte. Und nicht nur das. Dave war ihr bester Freund, ihr schärfster Kritiker, ihr Mentor, und dies seit ihren ersten Auftritten am Grand Opera House.

»Hast du die Kritiken gelesen? Ich sagte doch, du warst gut!« Er schloss sie in die Arme und küsste sie rechts und links auf die Wangen.

»Renato meinte, ich sei in den Höhen zu schrill gewesen.«

»Ein wenig, aber das macht nichts. Dafür hattest du wesentlich mehr Ausdruck als früher, da fallen kleine Fehler nicht auf. Im Übrigen führe ich das auf deine Nervosität zurück. Morgen wird es besser sein.«

»Ach Dave, ich liebe dich.«

Er ließ sie los und musterte sie mit schief gelegtem Kopf. »Hast du wegen der Bemerkung von Russo die Premierenfeier so früh verlassen?«

»Nein, ich war müde.«

Das war gelogen. Müdigkeit war es nicht gewesen, sondern Überdruss. Das Gerede und die geheuchelten Glückwünsche ihrer Kollegen waren ihr auf die Nerven gegangen. Wie oft hatte sie an diesem Abend »Ich freue mich ja so für dich« von Leuten gehört, die sich nichts sehnlicher gewünscht hatten, als sie versagen zu sehen. Nicht, dass so etwas neu für sie war. Neid gehörte zum Theater wie die Schminke, die Perücken und die Kostüme. Der Neid der Kollegen war ein Beweis für Erfolg.

Sie hatte es auf die Anspannung vor der Premiere geschoben, dass sie sich nicht wirklich freuen konnte. Doch das Gefühl der Leere wollte auch jetzt nicht weichen. Der Erfolg schmeckte schal wie abgestandener Champagner. Vorsichtig ließ Dave sich auf einen Stuhl sinken und zog sie auf seinen Schoß.

»Er fehlt dir immer noch, nicht wahr?«

Sie lehnte sich an ihn. »Mehr denn je. Es wird immer schlimmer statt besser.«

»Schade, dass ich ihn nicht kennengelernt habe.«

David war für ein halbes Jahr in Europa auf Tournee gewesen. Er hatte sogar in der Mailänder Scala gesungen, etwas, worum Sarah ihn glühend beneidete.

»Ich glaube, er würde dir gefallen.«

Mit Sicherheit hätte er Peer gemocht. Ob es umgekehrt der Fall gewesen wäre? Sie bezweifelte es. Dave gehörte zu den Männern, die sich nicht für Frauen interessierten. Natürlich durfte das niemals an die Öffentlichkeit dringen. Nicht zuletzt deshalb zeigte sie sich oft mit ihm und widersprach nicht, wenn Gerüchte aufkamen, sie wären ein Paar.

Seine Karriere wäre ruiniert, wenn jemals herauskäme, dass er eine Affäre mit einem Tänzer des Ballettensembles führte.

Sarah seufzte. Warum war es nur so schwierig mit der Liebe? Dave und José, die ihre Liebe verbergen mussten. Peer und sie, deren Leben nicht zusammenpassten. Sie hatte gehofft, er würde länger bleiben. Was sie sich erträumt hatten, war, dass jeder sein Leben weiterführte, so wie die Albatrosse, die einander treu waren und sich immer wieder trafen. Doch Albatrosse trafen sich auf einer Insel. San Francisco war keine Insel. Sarah stand als »Emilia Rossi« im Licht der Öffentlichkeit, ihre Liebe zu einem einfachen Matrosen hatte die Aufmerksamkeit der Presse auf sie gelenkt, die sich in hämischen Kommentaren erging. Ihre Freunde und ihre Verwandten hatten ihn mit freundlicher Nachsicht behandelt und ständig durchblicken lassen, er könne nur eine vorübergehende Episode in Sarahs Leben sein.

Dave streichelte ihre Schulter. »Warum hast du ihn gehen lassen?«

»Was hätte ich denn tun können? Er ist Seemann.«

Nachdem Dave sich verabschiedet hatte, wanderte Sarah ruhelos durch die Räume. Es war Samstag. Anne besuchte Freunde. Emily, ihrem Hausmädchen, hatte sie für den Rest des Tages freigegeben. Normalerweise genoss sie es, alleine zu sein, besonders nach einer Vorstellung, jetzt erschien ihr das Haus unerträglich eng.

Sie ging in ihr Musikzimmer und setzte sich an den Flügel. In den letzten Wochen hatte sie täglich gesungen, jetzt, wo sie jeden zweiten oder dritten Abend einen Auftritt hatte, musste sie ihre Stimme schonen. Sie blätterte unschlüssig in den Noten, spielte ein paar Takte und klappte den Deckel wieder zu.

Vielleicht sollte sie einen Spaziergang machen. Kurzentschlossen griff sie nach Hut und Mantel.

Die Haltestelle der Cable Cars befand sich in unmittelbarer Nähe. Erst als sie im Wagen saß, bemerkte sie, dass sie die Bahn zum Hafen genommen hatte. An die hölzerne Lehne des Sitzes gelehnt, lauschte sie auf das Rattern und Klappern, mit dem sich die Bahn in Bewegung setzte.

Seit Peers Abreise war sie nicht mehr oft am Hafen gewesen, zu schmerzlich war die Erinnerung an ihren Abschied. Doch heute sehnte sie sich nach dem Anblick der Schiffe, dem Tuten der Schiffssirenen und dem Heulen der Nebelhörner. Sie verließ die Bahn an der Endhaltestelle und schlenderte hinunter zu den Piers. Soeben wurde ein Fischkutter entladen. Die Rufe der Schauerleute, das Geschrei der Möwen, die sich um Fischabfälle stritten, und der Geruch nach Tang und Meer erinnerten sie lebhaft an die Zeit mit Peer. Hier hatte er gearbeitet, solange er in San Francisco gewesen war.

Langsam ging sie den Kai entlang, betrachtete die Schiffe, die großen Rahsegler und die kleineren Schoner. Der schmucke Schoner dort drüben sah beinahe so aus wie die Victory. Schnittige Linien, niedrige Deckaufbauten. Vielleicht war er ebenfalls von Matthew Turner gebaut worden. Wie Peers Augen geleuchtet hatten, als er ihr von dem Schiffbaumeister erzählt hatte. Er baue die besten und schnellsten Schiffe, waren seine Worte gewesen.

Ihr Blick folgte einem Zweimaster, der gerade auslief. Groß- und Schonersegel waren gesetzt, die Matrosen hissten die Vorsegel. Wahrscheinlich hörte sie ihre Rufe nur in ihrem Kopf, das Schiff war viel zu weit entfernt. Und gewiss bildete sie sich nur ein, am Ruder einen großen, blonden Matrosen zu sehen. Wie gerne würde sie mit hinaussegeln.

I must go down to the seas again, for the call of the running tide.

Der Ruf der See. John Mason hatte ihn in »Seafever« beschrieben. Für immer würde dieses Gedicht Peers Sehnsucht nach dem Meer für sie verkörpern. Und jetzt zog sie es selbst dorthin. Auf ein Schiff. Sie wollte den salzigen Wind auf ihrer Haut spüren, die Gischt, die über die Reling sprühte. Zu sehen, was er sah, zu fühlen, was er fühlte, war eine Möglichkeit, ihm nahe zu sein. Wo mochte er jetzt sein? Noch auf dem Atlantik oder bereits zu Hause? Stand er vielleicht in diesem Augenblick an der Reling eines Schiffes?

And all I ask is a tall ship and a star to steer her by.

Nautical Star − der Nordstern, der Leitstern der Seeleute. Peer trug ihn als Glücksbringer auf der Innenseite seines Handgelenks tätowiert.

»Wenn du abends an Deck gehst, geh nach Steuerbord, dann siehst du ihn«, hatte er ihr beim Abschied in Yokohama gesagt. »Er steht im Sternbild ›Kleiner Bär‹, nicht allzu hoch über dem Horizont. Ich werde ihn auch sehen und an dich denken.«

Dachte er noch an sie?

Ein dicker Kloß saß in ihrer Kehle. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, hierherzukommen. Entschlossen drehte sie den Schiffen den Rücken zu und machte sich auf den Weg zurück. Er lebte sein Leben und sie ihres. Sie selbst hatte es so gewollt.

An der Haltestelle der Cable Cars stand ein dunkelhaariger Mann und sprach mit einer Frau, die geschminkt war wie eine Hafendirne. Das Paar versperrte den Weg. Sarah wollte eben auf die Straße ausweichen, da hörte sie, wie der Mann die Frau nach der Jackson Street fragte.

»Was willst’n da?«, gab die Hure zurück. »Komm lieber mit zu mir, ich mach’s dir auch ein bisschen billiger, weil du so’n hübscher Kerl bist.«

»Ein anderes Mal, Süße. Erst muss ich eine alte Bekannte besuchen.«

Sarah hielt inne. Diese Stimme und diese schauderhafte Aussprache kannte sie. Außer, ihre Sehnsucht spielte ihr einen Streich und gaukelte ihr Dinge vor, die es nicht gab.

»Alex?«, fragte sie zögernd.

Der Mann fuhr herum und starrte sie entgeistert an. »Mrs. Tanner!«

Er war es wirklich. Alex Fuller, der australische Abenteurer, der auf der Victory Peers bester Freund gewesen war.

»Na, das nenn’ ich Zufall! Gerade habe ich die Dame hier nach dem Weg gefragt.«

Seine dunklen Augen funkelten voll Freude.

»Nach dem Weg? Zu mir?«

Lächelnd nickte er. »Ich bin seit zwei Tagen in der Stadt und dachte, ich besuche mal die beste Köchin, die ich kenne. − Tja, Lady«, wandte er sich an die Frau. »Du musst dir einen anderen Freier suchen. Ich habe leider keine Zeit.«

Sie schob schmollend die Unterlippe vor und warf Sarah einen giftigen Blick zu. »Dann wünsch’ ich viel Vergnügen!« Mit hocherhobenem Kopf trippelte sie davon.

Alex bot Sarah den Arm. »Gehen wir ein Stück, Ma’am.«

Sie hakte sich bei ihm ein. »Bitte sag doch Sarah. Wir sind nicht mehr auf der Victory.«

»Sarah. Gerne. Wie geht es dir? Und was macht Peer, der alte Wikinger?«

»Mir geht es gut. Und Peer hoffentlich auch.«

»Hoffentlich?«

»Er ist unterwegs«, erklärte sie so unbekümmert wie möglich.

»Unterwegs? Auf See?«

»Wo sonst«, sagte sie und fuhr direkt fort, bevor er sie weiter befragte: »Erzähl von dir. Wo warst du, was hast du gemacht?«

Sein Blick verriet ihr, dass er ihre Taktik durchschaute.

»Wir sollten uns einen Platz zum Reden suchen. Sicher gibt es hier irgendwo ein Café?«

»Ich muss gestehen, ich weiß es nicht. Ich bin nicht oft hier.«

»Nicht? Keine Sehnsucht nach dem Meer?«

»Manchmal. Heute zum Beispiel.« Sie lächelte und spürte selbst, wie traurig es wirken musste. »Ich lade dich auf einen Kaffee im Palace Hotel ein, das ist nur ein paar Stationen mit der Cable Car entfernt.«

Unter dem Glasdach des Garden Court im Palace Hotel herrschte angenehme Wärme.

»Das tut gut.« Alex rieb sich die Hände. »Verdammt windig da draußen.«

»In San Francisco ist es immer windig.« Sarah wärmte sich die Finger an ihrer Kaffeetasse.

»Reden wir über dich. Was hast du gemacht?« Fragen, bevor er es tat. Natürlich schob sie das Gespräch nur auf. Alex war Peers Freund, sie würde über ihn reden müssen. Darüber, warum er nicht mehr hier war.

Aber nicht jetzt.

»Ich habe Willy nach Hause gebracht.« Alex lachte. »Seine Eltern haben eine Farm in der Nähe von Calgary. Stell dir vor, der Junge ist ausgerissen, um zur See zu fahren, er wollte kein Bauer werden. Seinen Eltern hat er aus Victoria geschrieben, sie sollten sich keine Sorgen machen.«

Willy, der Schiffsjunge der Victory. Gerade mal fünfzehn Jahre alt und den Kopf voller romantischer Vorstellungen vom Abenteuer auf See. Der Steuermann hatte ihm die Träume nachhaltig ausgetrieben.

»Er hatte die Nase voll vom Meer und von Schiffen, aber er hat sich nicht heimgetraut. Naja, ich hatte ebenfalls die Schnauze voll, da habe ich eben den verlorenen Sohn nach Hause gebracht. Und da gerade Erntezeit war, bin ich für ein paar Wochen dort geblieben. Eine schöne Gegend, nur im Winter wollte ich nicht dort sein. Zu kalt, zu einsam, zu viel Schnee.«

»Und was hast du jetzt vor?«

»Ich weiß es noch nicht. Vielleicht gehe ich an die Ostküste. Ich wollte schon immer New York sehen. Und danach fahre ich vielleicht nach Europa. Paris, London und so.« Er zuckte die Schultern. »Und was machst du?«

»Ich habe gestern Abend meine erste Hauptrolle seit fast zwei Jahren gesungen. Die Tosca …« Sie stockte. Alex interessierte sich bestimmt nicht für ihre Karriere als Sängerin.

»Großartig. War es ein Erfolg?«

»Ja, ich glaube schon. Die Kritiken waren jedenfalls gut. Ich werde die Rolle bis zum Ende der Saison singen, danach spielen wir Aida, da übernimmt Madame Lombardi die Hauptrolle.«

Weil die Theaterleitung ihr nicht zutraute, eine zweite Saison durchzuhalten. Das Risiko, dass ihre Stimme noch einmal versagte, sei zu groß, hatte man ihr erklärt.

»Es gibt Gerüchte, Caruso käme nächstes Frühjahr nach San Francisco. Wenn alles gut geht, werde ich mit ihm auf der Bühne stehen.«

Lächelnd schüttelte Alex den Kopf. »Wer ist Caruso?«

»Du kennst Enrico Caruso nicht?«

»Nein, ist er wichtig für dich?«

»Wichtig? Er ist der größte Opernsänger aller Zeiten. Mit ihm zu singen ist …« Sie brach ab.

Wie dumm von ihr. Wahrscheinlich war Alex noch nie in einer Oper gewesen, woher sollte er Caruso und all die anderen großen Namen kennen. Sie war nicht besser als die Leute, die Peer ständig verdeutlicht hatten, er sei zu ungebildet für sie.

Ihre Wangen glühten. Und dann wurde ihr klar, dass Alex mit seiner Frage etwas ganz anderes gemeint hatte.

»Nein, er ist nicht wichtig für mich. Es wäre eine Ehre, mit ihm auf der Bühne zu stehen, mehr nicht.«

Er blickte sie nachdenklich an. »Du hast dich verändert. Wo ist die Frau geblieben, die unsere Kombüse geputzt, das Essen gekocht und mit den Matrosen gescherzt hat? Die Kapitän Brandon die Stirn geboten und dem Steuermann heißen Kaffee über die Hose geschüttet hat?«

»Peer hat dir davon erzählt?«

»Hat er. Auf der Fahrt von Yokohama nach Victoria.«

Sarah senkte den Blick. Wo war die Frau, die sie auf der Victory gewesen war? Fort. Sie hatte sich zurückgezogen, sich in ihrer Arbeit vergraben, seit der Mann, den sie liebte, gegangen war.

»Das ist vorbei«, erklärte sie entschlossen. »Ich habe viel gelernt auf der Victory, und ich werde es nicht vergessen, aber …«

»Aber?«

»Das Leben hier ist anders. Ich stehe wieder auf der Bühne, ich habe Verpflichtungen.«

»Und Peer?«

»Peer hat die See und seine Schiffe.«

Langsam stellte Alex die Tasse ab. »Was ist passiert?«

Sie sah das Mitleid in seinen Augen. Das ging zu weit. Sie mochte ihn, sehr sogar, doch soeben überschritt er eine Grenze. »Mr. Fuller, das geht Sie nichts an.«

»Oho, nun bin ich wieder Mr. Fuller. Doch Mrs. Tanner, Ma’am, es geht mich etwas an. Ich war mit Peer zwei Jahre lang unterwegs, er ist mein Freund. Ich hatte gehofft, ihn hier zu treffen. Wo ist er?«

Sie seufzte. »Unterwegs nach Hause.«

»Nach Hause, nach Schweden?«

»Ja. Er müsste bald dort sein. Sieh mich nicht so an. Du weißt, wie er ist. Hast du geglaubt, er würde sich hier mit mir niederlassen?«

»Ich habe geglaubt, dass er länger bleibt.«

»Ich auch.«

»Und?«

Warum sollte sie es ihm nicht erzählen. Mit ihm über Peer reden, über die Zeit auf der Victory und die Zeit danach. Vielleicht konnte sie doch wieder die Frau sein, die sie auf dem Schiff gewesen war. Wenn auch nur für einen Abend.

»Hattest du nicht gesagt, du warst auf dem Weg zu mir?«

»Ja.«

»Heute Abend habe ich einen Auftritt. Aber wenn du übermorgen kommst, werde ich für uns kochen.«

Sie winkte dem Kellner und bat um die Rechnung.

2. Kapitel

Sarah stand noch in der Küche und rührte die Polenta, als Alex kam. Lachend trat er durch die Tür. »So gefällst du mir viel besser.«

Hinter ihm erschien Emily mit deutlich missbilligender Miene. »Es tut mir leid, Ma’am. Er hat darauf bestanden, in die Küche zu kommen.«

»Das ist in Ordnung«, antwortete Sarah. »Mr. Fuller hat mir schon öfter beim Kochen zugesehen.«

»Siehst du, Schätzchen, ich hab’ doch gleich gesagt, sie hat nichts dagegen.«

Sarah blickte in Emilys Gesicht und unterdrückte ein Grinsen. In der Miene des Hausmädchens spiegelte sich deutliche Entrüstung über die Dreistigkeit des Mannes, gleichzeitig schien sie von seinem Charme und seinem guten Aussehen fasziniert. Einen Augenblick zögerte sie, dann wandte sie sich wortlos um und ging, wobei sie die Hüften in einer Art und Weise schwang, die Sarah nie zuvor an ihr bemerkt hatte.

Sie lachte und zog den Topf mit der Polenta von der Herdflamme.

»Wenn du schon hier bist, kannst du auch helfen. Hier, das muss gerührt werden, aber nur in eine Richtung.«

Sie drückte Alex den Löffel in die Hand und sah nach dem Ossobuco. Ein verführerischer Duft nach Fleisch und italienischen Kräutern stieg aus dem Topf. Zufrieden legte sie den Deckel wieder auf.

Sie saßen zu dritt am Tisch, Sarah, ihre Tochter Anne und Alex. Emily trug auf. Sarah erkannte ihr Hausmädchen kaum wieder. Statt des üblichen strengen Dutts trug sie die Haare locker zurückgesteckt, einige Strähnen ringelten sich kokett um ihr Gesicht und über ihren Nacken, und ihre Bluse war dieses Mal nicht bis oben hin zugeknöpft.

Ein leichter Duft nach Parfum stieg Sarah in die Nase, als Emily sich vorbeugte, um den Wein einzuschenken.

Ganz offensichtlich wirkte Alex’ Charme nicht nur bei Prostituierten.

Während des Essens bestritt er den größten Teil der Unterhaltung allein, erzählte von Australien, seinen Erfahrungen als Opalschürfer und Zuckerrohrschneider, von den riesigen Farmen und vom Leben der wandernden Schafscherer. Anne hing an seinen Lippen, die Augen vor Staunen geweitet.

Leicht beunruhigt bemerkte Sarah, dass er mit ihrer Tochter flirtete. Wahrscheinlich dachte er sich nichts dabei, der lockere Umgang mit Frauen lag einfach in seiner Natur. An Bord der Victory hatte er auch mit ihr selbst geschäkert − und gesungen und getanzt.

Er war beinahe zehn Jahre älter als Anne, hatte viel mehr Erfahrung als die jungen Männer, mit denen sie sonst Umgang pflegte, natürlich war sie beeindruckt.

Seine Augen blitzten mutwillig, und er lachte, als er von seiner Zeit in Lightning Ridge erzählte, von den Streitereien zwischen den Opalsuchern und den Besitzern der großen Farmen.

Anne stimmte in sein übermütiges Gelächter ein.

Und plötzlich sah Sarah ihn mit den Augen ihrer Tochter. Ein großer, schlanker Mann, klug, lebenserfahren. Obwohl er feingeschnittene Gesichtszüge hatte, wirkte er nicht weibisch, im Gegenteil, er sah aus wie einem Abenteuerroman entsprungen, ein schöner Pirat mit schwarzem Haar und dunklen Augen, durch und durch männlich.

Alex schien eine ähnliche Faszination auf Anne auszuüben wie John Brandon vor über zwanzig Jahren auf sie.

Nach dem Essen zog Anne sich zurück. Alex’ Blick folgte ihr. »Du hast eine schöne Tochter.«

»Alex …«, sagte sie warnend.

»Besorgt?«

»Natürlich. Ich weiß, wie es ist, jemanden zu lieben, der nicht sesshaft ist.«

Das Lächeln wich aus seinem Gesicht. »Warum ist er fort?«

»Er war mehr als sechs Jahre nicht zu Hause, und zufällig lag vor einigen Monaten ein Schiff hier, das nach Göteborg fuhr.« Sie seufzte und strich sich eine Locke aus der Stirn. »Du kennst ihn, du weißt genauso gut wie ich, dass er die See niemals aufgeben wird. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er für so lange geht.«

»Aber ihr habt euch nicht im Streit getrennt?«

»Nein, er kommt wieder.«

Es war nicht die ganze Wahrheit. Sie waren nicht im Streit auseinandergegangen, doch Peers Abreise hatte nicht nur mit dem Schiff nach Göteborg zu tun. Die Wahrheit war komplizierter und schwer zu erklären.

Sie griff nach ihrem Glas, doch es war leer.

Alex schenkte ihr nach. »Der schmeckt gut.«

Sarah lachte. »Ein Zinfandel von der Villa Antonella. Das Beste, was unser Weingut zurzeit zu bieten hat.«

»Du hast ein Weingut?«

»Nein, ich bin nur daran beteiligt. Mein Großvater hat es gegründet. Er war so klug, während des kalifornischen Goldrausches Land aufzukaufen, statt nach Gold zu suchen. Er hat Wein angebaut, die Reben hatte er aus Italien mitgebracht und sie hier veredelt. Mein Vater und mein Onkel haben es später im großen Stil aufgezogen und sind damit reich geworden.«

Alex hob sein Glas. »Auf eine phantastische Frau, die nicht nur kochen kann, sondern auch guten Wein im Keller hat!«

Sarah stieß mit ihm an.

Emily kam, um den Tisch abzuräumen. Nachdenklich sah Alex ihr nach. »Du wohnst in einem der besten Viertel von San Francisco, du hast ein Hausmädchen …«

»Und eine Köchin und einen Gärtner.« Sarah lächelte. »Überrascht?«

»Nicht besonders«, sagte er. »Wir wussten alle, dass du reich bist.«

»Reich und verwöhnt, ich weiß. Kapitän Brandon hat keinen Hehl daraus gemacht, was er von mir hielt, solange ich auf der Victory war.«

»Doch außer Brandon wusste wohl keiner von uns, was reich sein bedeutet«, fuhr Alex fort. »Für die Besatzung hieß Reichtum, ein Haus und reichlich zu essen und zu trinken zu haben, vielleicht sogar feine Anzüge zu tragen. Ein Haus wie dieses hier, mit Bediensteten, das konnten sich auf der Victory sicher die wenigsten vorstellen.« Er beugte sich vor. »Wie kam Peer damit klar?«

Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache. Er hatte ihren wunden Punkt genau getroffen.

»Nicht so gut«, sagte sie dann.

Erinnerungen. Peer im maßgeschneiderten Anzug auf einem Empfang, er wirkte, als hätte er sich verkleidet. Sein schwerer Seemannsgang inmitten der stolzierenden Herren im Frack und der Damen in ihren duftigen, schwingenden Kleidern. Seine unverblümte Art, mit der er oft genug gegen die gesellschaftlichen Konventionen verstieß.

Alex beugte sich vor. »Vielleicht sollten wir eine zweite Flasche Wein holen, und du erzählst mir, was passiert ist?«

Einen Moment zögerte sie. Wollte sie wirklich derart private Dinge mit ihm besprechen?

Doch er war Peers Freund, und es würde guttun, mit jemandem über ihn zu reden, der ihn kannte.

Kurze Zeit später saßen sie im Salon vor dem Kamin. Sarah nippte an ihrem Wein und starrte in die Flammen. Womit sollte sie anfangen?

Schließlich brach Alex das Schweigen. »Er konnte es kaum erwarten, nach San Francisco zu kommen. Er hat direkt auf dem nächsten Schiff nach Süden angeheuert, ohne mit uns Abschied zu feiern …«

Die übliche Abschiedsfeier. Sarah erinnerte sich daran, was er ihr in Yokohama erzählt hatte. Der erste Gang der Seeleute an Land führte sie üblicherweise in die nächste Kneipe und ins Bordell.

»Eigentlich ist nichts Besonderes passiert«, begann sie. »Wie du sagst, er kam sofort hierher.«

Und da hatten die Probleme schon angefangen. Erst viel später hatte er ihr erzählt, wie es ihm bei seiner Ankunft ergangen war.

3. Kapitel

Die Ruth Alexander aus Victoria war Anfang August in San Francisco eingelaufen. Der Wind war günstig gewesen, sie hatte die Fahrt in nur drei Tagen gemacht.

An den Piers standen die Schlafbaase, um den Matrosen Kost und Logis anzubieten − und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Manche waren wie Haie; hatten sie ihre Beute erst einmal gepackt, ließen sie nicht mehr los, bis die armen Kerle auch den letzten Cent ihrer Heuer versoffen und verhurt hatten, erst dann besorgte ihnen der Heuerbaas ein neues Schiff. Peer hatte es oft genug selbst erlebt. Inzwischen wusste er sich zu schützen.

Er ignorierte die Männer, die auf ihn einredeten und versuchten, ihn mit sich zu ziehen, und fragte einen der Schauerleute nach dem Weg zur Jackson Street.

Der Mann hob die Augenbrauen. »Nob Hill, eh?« Er spuckte einen Strahl Kautabak auf den Boden. »Wenn du Arbeit suchst, bist du da falsch. Die lassen einen Kerl wie dich noch nicht mal ihren Müll wegräumen.«

Peer zuckte die Schultern. »Warum nicht?«

»Weil das alle Snobs sind. Verdammte Bourgeoisie, reich und arrogant und keine Ahnung vom wirklichen Leben. Such dir besser eine andere Gegend.«

»Eigentlich will ich nach Pacific Heights.«

»Auch nicht viel besser, nur weiter zu laufen. Aber versuch dein Glück. Du gehst den Broadway entlang bis zur Stockton Street, biegst links ab und zwei Blocks weiter rechts in die Jackson. Bis Pacific Heights ist es ein gutes Stück.«

Peer dankte ihm, schulterte seinen Seesack und marschierte los. Er war vor zwei Jahren in San Francisco gewesen, doch da hatte er kaum mehr gesehen als das Hafenviertel. Er hatte keine Vorstellung, was ihn erwartete. Überheblich sollten also die Leute sein, die dort lebten. Das hatte Brandon auch über Sarah gesagt, als er ihn und Brady dazu abkommandiert hatte, ›der Lady‹ in der Kombüse zu helfen. Sie war ganz anders gewesen. Hilfsbereit und freundlich hatte sie versucht, das Beste aus ihrem Zwangsaufenthalt auf der Victory zu machen. Und für ihn war ihre Anwesenheit an Bord das Beste gewesen, was ihm hätte passieren können.

Die Straße, der er folgte, führte so steil bergauf, dass er trotz des kühlen Windes zu schwitzen begann. Je weiter er kam, desto größer und prunkvoller wurden die Häuser.

Sarah war reich, das wusste er, doch als er schließlich Pacific Heights erreichte, gingen ihm die Augen über. Hier lebte sie?

Ihr Haus war eine der Villen, lag etwas abseits der Straße und hatte einen sehr gepflegten Vorgarten.

Auf sein Klopfen hin öffnete eine adrett gekleidete junge Frau.

»Sie wünschen?«, fragte sie und musterte ihn von oben bis unten. Ihr Blick machte ihm bewusst, wie sehr er sich von den Herren in den dunklen Anzügen unterschied, die er auf den Straßen gesehen hatte. Zwar hatte er sich vor seiner Ankunft gewaschen und rasiert, und er trug seine besten Sachen. Doch seine Baumwollhosen waren ausgeblichen und an den Knien ausgebeult, sein Hemd war am Kragen ausgefranst. Hastig nahm er die Mütze ab. »Guten Tag. Ich wollte zu Sah… ähm, Mrs. Tanner.«

Die junge Frau zog die Brauen zusammen. »Sind Sie angemeldet?«

Er starrte sie an. »Wie?«

»Ob Sie angemeldet sind.«, wiederholte sie ungeduldig.

Was meinte sie? Wie hätte er sich anmelden können, wo er doch nicht gewusst hatte, wann er ankommen würde. »Nein.«

»Es tut mir leid. Mrs. Tanner empfängt keine Besucher.«

Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen. Schnell schob er einen Fuß vor und hielt sie auf.

»Was soll das heißen? Sie hat gesagt, ich soll herkommen.«

»Sind Sie der neue Gärtner? Wir haben Sie erst nächste Woche erwartet.«

»Was? Nein, ich bin kein Gärtner, ich bin –«

»Wenn sie nicht der Gärtner sind und nicht angemeldet, muss ich Sie bitten zu gehen«, unterbrach sie ihn und machte einen erneuten Versuch, die Türe zu schließen.

Peer wich nicht zurück. »Warten Sie.«

Es war ein Missverständnis. Es musste ein Missverständnis sein.

Vielleicht auch nicht, meldete sich eine boshafte kleine Stimme in seinem Kopf. Vielleicht hat sie es sich anders überlegt, jetzt wo sie wieder zu Hause ist. Was weißt du denn von ihr. Sieh dich doch um. Passt du vielleicht hierher?

Die Art, in der das Hausmädchen ihn musterte, verstärkte sein Unbehagen.

»Was gibt es denn, Emily?« Eine zweite junge Frau erschien an der Tür. Sie war größer als das Hausmädchen und trug ein helles Kleid. Das Hausmädchen drehte sich um. »Nichts weiter, Miss. Nur ein Missverständnis.« Dann wandte sie sich wieder an ihn.

»Gehen Sie jetzt, oder ich hole die Polizei.«

»Einen Moment.« Die andere junge Frau sah ihn neugierig an. »Wer sind Sie?«

»Mein Name ist Svensson, ich wollte zu Mrs. Tanner.«

Ihre Augen weiteten sich verblüfft, dann zeigte sich ein Lächeln auf ihren Lippen, und er wusste plötzlich, wer sie war. Sie hatte Sarahs Lächeln.

»Sie sind das! Herzlich willkommen.« Sie riss die Tür auf und wandte sich an das verblüffte Hausmädchen. »Es ist in Ordnung, Emily, Mr. Svensson ist ein Freund von Mama.«

Emilys Augenbrauen rutschen nach oben, aber sie nickte und zog sich zurück.

Die junge Frau streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Anne. Sarahs Tochter. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«

Einen Augenblick wusste er nicht recht, was er tun sollte, dann ergriff er ihre Hand und schüttelte sie herzhaft. »Peer Svensson.« So konnte sie sich aussuchen, wie sie ihn anreden wollte.

Ihr Händedruck war überraschend fest. Er ertappte sich dabei, in ihrem Gesicht nach Ähnlichkeiten mit Sarah zu suchen. Er konnte keine entdecken, aber sie glich auch nicht ihrem Vater. Sie war außergewöhnlich hübsch. Ihr Haar war nicht lockig wie Sarahs, sondern glatt und von einem warmen Goldbraun. Ihre Augen waren auffallend hell und klar, sie schimmerten wie Aquamarine.

»Meine Mutter wird sich freuen, Sie zu sehen. Sie ist im Garten.« Sie lächelte ihm verschwörerisch zu. »Kommen Sie.«

Er folgte ihr durch die Eingangshalle, hatte kaum Zeit sich umzusehen, so rasch lief sie voraus. Hinter dem Haus befand sich eine riesige Terrasse, an die ein großer Garten anschloss. Dort war ein älterer Mann dabei, die Rosen zu beschneiden.

»Hallo Porter«, rief Anne ihm fröhlich zu. »Ist Mutter noch im Kräutergarten?«

Der Mann richtete sich auf. »Jawohl, Miss«, antwortete er mit steifer Oberlippe, jeder Zoll an ihm strahlte pure Missbilligung aus.

»Er kann es nicht leiden, wenn Mutter im Garten arbeitet. Er meint, sie pfusche ihm ins Handwerk«, wisperte Anne Peer zu und zupfte ihn am Ärmel. »Kommen Sie.«

Sie lief bis zu einer niedrigen Buchsbaumhecke. Dort hielt sie inne. Er kniff die Augen zusammen. Hinter der Hecke kniete Sarah in einem Beet und jätete offensichtlich Unkraut. Sie trug Hosen und ein ärmelloses, gestreiftes Hemd, das er kannte. Sie hatte es auf der Victory getragen. Ein großer Strohhut schützte ihr Gesicht vor der Sonne. Neben ihr stand ein Korb, in den sie die ausgerissen Pflanzen warf.

Er wandte sich zu Anne und legte den Finger an seine Lippen. Sie nickte und zog sich zurück.

Wieder sah er hinüber zu Sarah. Sie grub ihre Finger in die Erde und zog etwas mit einer langen Wurzel heraus. Danach zupfte sie einige Blätter von einer der Pflanzen, zerrieb sie zwischen ihren Händen und atmete tief ein. Eine leichte Brise brachte den würzigen Duft bis zu ihm. Sie setzte sich auf ihre Fersen, ihr Gesicht der Sonne zugewandt, die Augen geschlossen. Er lächelte. Wie oft hatte er sie so auf ihrem Lieblingsplatz auf der Back der Victory sitzen sehen. Er hätte stundenlang dort stehen und zuschauen können, mit welcher Freude sie in der Erde wühlte, gleichzeitig wollte er sie in die Arme nehmen.

Er räusperte sich. Sie wandte sich um und strich sich über die Stirn. Dabei streifte sie den Hut ab. Ihre dunklen Locken ringelten sich um ihr Gesicht.

»Ich habe doch gesagt, ich möchte nicht gestört …« Ihre Augen weiteten sich. »Peer!«

Eine feine Schweißschicht glänzte auf ihrer Haut, ein Schmutzstreifen zog sich über ihre Stirn. Sie wischte sich über das Gesicht und hinterließ einen weiteren dunklen Streifen auf ihrer Wange.

Das Verlangen, sie zu küssen, wurde fast schmerzhaft.

»Käresta!« Geliebte.

Mit einer fließenden Bewegung stand sie auf und stapfte quer durch das Beet. Dicht vor ihm blieb sie stehen. Mit ihr kam ein Duft nach wilder Minze, Rosmarin und Lavendel. Es war ihm egal, ob sie jemand sah. Er schlang seine Arme um sie, drückte sie an sich und küsste sie. Ihr Körper war warm von der Sonne, und ihre Lippen schmeckten nach Brombeeren.

Sie stieß ein atemloses Lachen aus. »Warte. Ich bin verschwitzt und schmutzig …«

»Das macht nichts«, murmelte er an ihrem Mund.

Das Misstrauen, mit dem Emily Peer empfangen hatte, war harmlos gegen den Auftritt von Sarahs Mutter Elizabeth.

Sarah hatte das Gästezimmer für Peer bereit machen lassen. Es war ein Zugeständnis an die Konventionen. So konnte er ebenso gut als ihr Untermieter gelten. Viele alleinstehende Frauen vermieteten Zimmer.

Natürlich gab es trotzdem Gerede, doch das war ihr gleichgültig. Ihre Freunde wussten bereits von Peer, und die Presse dichtete ihr ohnehin seit Jahren Affären an.

Elizabeth Ross kehrte ein paar Tage nach Peers Ankunft aus dem Sommerhaus der Familie am Lake Tahoe zurück. Früher als gewöhnlich, wahrscheinlich, weil die Gerüchte über Sarahs ungewöhnlichen Gast den Weg in den Norden gefunden hatten.

Direkt am nächsten Tag erschien sie unangekündigt in Sarahs Salon.

Sie begrüßte Peer mit tadelloser, aber eisiger Höflichkeit und bat nach kurzer Zeit darum, mit ihrer Tochter alleine sprechen zu dürfen.

Sarah öffnete den Mund zum Protest, doch Peer kam ihr zuvor. Mit undurchdringlicher Miene deutete er eine Verbeugung an. »Ich wollte sowieso gerade eine Zigarette rauchen.«

Elizabeth wartete, bis sich die Tür zur Terrasse hinter ihm schloss, dann wandte sie sich an Sarah. Ihr Gesicht war kreideweiß. »Ist es wahr, dass er hier wohnt?«

»Es ist wahr. Er wohnt im Gästezimmer.«

»Lieber Himmel, Sarah. Was sollen denn …«

»… die Leute denken? Das ist mal wieder das Wichtigste für dich! Nun, sie werden denken, dass ich einen Liebhaber habe. Da bin ich nicht die Einzige in der sogenannten feinen Gesellschaft. Denke nur mal an Madame Lombardi oder Mrs. Wilson.«

»Nur die sind wesentlich diskreter. Warum bringst du ihn nicht in einem Hotel unter?«

»Weil ich mit ihm zusammen sein will.«

Und weil er sich kein Hotel leisten konnte und zu stolz war, um von ihrem Geld zu leben.

Im Gegensatz zu dem Liebhaber der Lombardi, der sich von ihr aushalten ließ. Doch diese Bemerkung verkniff sie sich.

»Und was tut er den ganzen Tag? Wovon lebt er?«

»Er arbeitet auf den Docks.«

Nötig hätte er das nicht, wenn es nach ihr ginge. Sie hatte ihn eingeladen, bei ihr zu wohnen, doch er bestand darauf, ihr Geld für die »Miete« zu geben. Außerdem lag es ihm nicht, untätig zu sein.

»Am Hafen? Aber …«

Sarah lächelte ironisch. »Ein ähnliches Gespräch haben wir vor zwanzig Jahren geführt, damals ging es um John Brandon. Du erinnerst dich sicher. Nur inzwischen bin ich erwachsen. Und niemand wird irgendwelche Intrigen spinnen, um uns auseinanderzubringen.«

»Das meinte ich nicht. Ich dachte nur – warum sucht er sich nicht eine andere Arbeit? In einem Schreibbüro oder so.« Elizabeth errötete leicht. »Er kann doch lesen und schreiben, oder?«

»Er kann lesen und schreiben, englisch und schwedisch. Er spricht außerdem noch ein wenig Deutsch und Spanisch. Wie viele Sprachen sprichst du, Mutter?«

»Nur weil er auf seinen Reisen ein paar Brocken von dieser oder jener Sprache aufgeschnappt hat, heißt es noch lange nicht, dass er sie beherrscht. Bildung ist etwas anderes. Du kannst nicht wirklich glauben, dass dieser Mann zu dir passt.«

Dieser Mann!

»Nenn ihn nicht so«, fuhr sie auf. »Er hat einen Namen. Er arbeitet am Hafen, weil er das so will, und er wohnt hier, weil wir beide es so wollen. Wenn es dir nicht passt – niemand zwingt dich, mich zu besuchen.«

Rote Flecken zeigten sich auf Elizabeths Wangen. »Dass ich das erleben muss, meine eigene Tochter verweist mich des Hauses …« Sie legte die Hand auf ihr Herz und rang nach Atem. Doch ihr Blick glitt an Sarah vorbei auf die Tür zur Terrasse. Sarah sah das Glitzern in ihren Augen. Peer musste wieder hereingekommen sein. Erbost presste sie die Lippen zusammen. Wie viel hatte er gehört?

»Du stehst nicht auf der Bühne, Mutter«, sagte sie kühl, obwohl sie vor Wut kochte. »Also erspare uns diesen dramatischen Auftritt.«

»Schon gut, ich weiß, wann ich unerwünscht bin.« Elizabeth griff nach ihrem Handtäschchen. »Du brauchst nicht nach Emily zu läuten, ich finde alleine hinaus. Einen schönen Tag noch, Mr. Svensson.« Mit rauschenden Röcken verließ sie den Raum.

Jetzt erst drehte sich Sarah um. Peer stand vor dem Fenster und starrte entgeistert auf die Tür, durch die Elizabeth verschwunden war. »Es tut mir leid«, sagte er langsam.

Sie ging zu ihm hinüber und griff nach seiner Hand. »Dir muss nichts leidtun. Hör nicht auf ihr Gerede. Sie ist ein verdammter Snob.« Das Fluchen brachte nur wenig Erleichterung. Peers Gesicht verriet ihr, dass Elizabeths Giftpfeile gut getroffen hatten.

»Vor den Snobs in Pacific Heights wurde ich bereits gewarnt.« Sein Lächeln wirkte etwas gezwungen. »Es tut mir leid, dass du meinetwegen mit deiner Mutter streitest.«

»Ich streite seit Jahren mit ihr. Aus Anlässen, die weit weniger wichtig waren als dieser.«

Er schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich spricht sie nur aus, was die meisten Leute hier über mich denken. Dass ich nicht gut genug für dich bin. Dass du dir einen Mann aus deinen Kreisen suchen solltest.«

»Die meisten Männer in ›meinen Kreisen‹ sind Kinder im Vergleich zu dir«, sagte sie. »Nur weil du nicht reich bist, bist du nicht schlechter als sie.«

»Ich bin …«, er blickte zur Tür, »… ungebildet. Ich habe nur die Volksschule besucht. Ich habe noch nie eine Oper gesehen, und viele Bücher habe ich auch nicht gelesen. Manchmal, wenn du mit Anne sprichst, benutzt ihr Worte, die ich nicht kenne.«

Leise lachend schüttelte sie den Kopf.

»Was ist so komisch?«

»Ach Peer, auf der Victory habe ich oft genug nur die Hälfte von dem verstanden, was ihr gesagt habt. Ihr habt ständig Worte benutzt, die ich nicht kannte. Und abgesehen von Willy wusstet ihr alle so viel mehr von der Welt als ich. Ich erinnere mich gut daran, wie weltfremd ich mir manchmal vorkam. Wenn du mir nicht geholfen hättest … Du musstest mir zeigen, womit man die Kombüse putzt oder wie man Fische ausnimmt. Weißt du noch, wie du mir Luv und Lee erklärt hast, und verhindert hast, dass ich mich blamiere?«

»Lauter Dinge, die hier nichts nützen. Wer von deinen Freunden putzt schon selbst oder nimmt Fische aus?«

Seine Worte versetzten sie in die Vergangenheit. Sie stand wieder neben John am Pier, hörte seine Worte, als sie ihm erzählte, dass sie von zu Hause fortlaufen wolle. »Was willst du machen? Dich als Hausmädchen verdingen? Glaubst du, dich nimmt einer? Man sieht doch sofort, dass du noch nie gearbeitet hast«, hatte er gesagt.

»Wenn mir jemand vor zwanzig Jahren diese ›nutzlosen‹ Dinge beigebracht hätte«, sagte sie langsam, »hätte ich selbst für meinen Lebensunterhalt sorgen können.«

Sie hätte Arthur nicht heiraten müssen. Hätte John wiedergesehen, wäre vielleicht mit ihm zusammen nach Norden gezogen.

Aber sie hätte auch niemals auf der Bühne gestanden, das Gefühl erlebt, sich in der Musik zu verlieren. Und sich nicht in Peer verliebt.

4. Kapitel

Da die meisten ihrer Freunde bei Peers Ankunft am Lake Tahoe in der Sommerfrische gewesen waren, hatte Sarah die Idee, Anfang September eine Cocktailparty zu geben, um Peer in kleinem Kreis, oder was man in ihrer Gesellschaftsschicht darunter verstand, ihren Freunden und Verwandten vorzustellen. Sie sollten sich selbst ein Bild von ihm machen. Hoffentlich würde sie den Erzählungen ihrer Mutter damit den Wind aus den Segeln nehmen.

Peer verzog skeptisch das Gesicht, als sie ihm von ihrem Plan erzählte. »Eine Cocktailparty? Was macht man da?«

Sie lächelte. »Herumstehen, mal mit diesem, mal mit jenem plaudern, ein bisschen was essen und trinken. Kein förmliches Diner mit sieben Gängen, eher ein zwangloses Zusammensein.«

»Und ich soll da ›herumstehen und plaudern‹? Mit deinen Freunden?« Die Vorstellung war ihm sichtlich unbehaglich.

»Nur, wenn du willst. Ich möchte gerne, dass meine Freunde dich kennenlernen. Ich will mich nicht mit dir verstecken.«

»Das will ich auch nicht. Und ich würde gerne deine Freunde kennenlernen. Aber …« Er sah an sich herab. »Ich besitze keinen Anzug. Und ich kann wohl kaum so«, er deutete auf seine Hosen, »zu deiner Party kommen.«

»Das ist kein Problem. Es gibt hervorragende Schneider hier. Ich …«

Er unterbrach sie. »Sarah, ich kann mir keinen Schneider leisten. Und ich brauche so etwas wie einen Anzug nie wieder. Was ich brauche, ist neues Ölzeug und noch ein paar andere Sachen für die nächste Fahrt.«

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Du willst fort?«

Er schüttelte den Kopf und nahm sie in die Arme. »Nicht jetzt. Aber irgendwann.«

Irgendwann. Das hatte sie gewusst, seit sie in seine Augen gesehen hatte, als Brandon ihn zum Steuermann der Victory ernannt hatte. Er liebte sie, doch die See liebte er ebenso.

Sie sah zu ihm auf. »Wann hast du eigentlich Geburtstag?«

»Am neunzehnten April, wieso?«

»Ich wünschte, du würdest dir von mir etwas schenken lassen. Einen Anzug zum Beispiel. Ich bin da ganz eigennützig, ich möchte nämlich gerne mit dir in die Grand Opera gehen. Hättest du Lust?«

»In die Oper? Klingt das dann so wie das Lied, das du auf der Victory gesungen hast?«

»Schöner, denn da ist das Orchester dabei.«

Immer noch brachte er mit seinem Lächeln ihr Herz zum Schmelzen. »Das würde ich gerne hören.«

»Gut, dann rufe ich den Schneider an und schenke dir den Anzug. Du kannst ihn ja hier lassen, wenn du wieder hinausfährst.«

Dann endlich war der Abend des Empfangs da. Zunächst verlief es so, wie Sarah gehofft hatte. Die meisten der Gäste begegneten Peer mit höflicher Neugier, ohne aufdringlich zu sein, und vor allem stellten sie keine peinlichen Fragen. Ihre Schwester Mary schien sogar sehr angetan von ihm, wahrscheinlich verglich sie Peer mit den Helden ihrer Liebesromane, die sie so gerne las.

Ihr Mann Frank besaß eine Jacht, und binnen kurzer Zeit fachsimpelte er mit Peer über Segeleigenschaften von kleineren Schiffen, die Strömungen vor San Francisco und Schiffsunglücke. Sarah überließ die beiden ihrem Gespräch und begrüßte Adelina Kempff, ihre Gesangslehrerin, als Georgina Astor erschien. Sie war eine Reporterin, die Kolumnen und Theaterkritiken für den Examiner schrieb. Sarah kannte sie nur flüchtig, ihre Mutter war irgendeine entfernte Bekannte oder Verwandte ihres verstorbenen Ehemanns Arthur.

Allerdings konnte sie sich nicht erinnern, Miss Astor eingeladen zu haben. Doch jemand wie Georgina brauchte keine Einladung. Mit rauschenden Röcken durchquerte sie den Raum, nahm ein Glas Champagner von einem Tablett und hauchte Sarah einen Kuss auf die Wange.

»Meine liebe Sarah, du siehst aus wie das blühende Leben. Ich wünschte, ich hätte deine Farben. Ich muss immer mit Rouge nachhelfen, damit ich nicht so blass wirke.«

Sarah lächelte ein wenig säuerlich. Diese dumme Pute. Sicher wusste Georgina sehr wohl, dass sie mit ihrem hellblonden Haar und dem hellen Teint genauso aussah, wie man sich eine Dame vorstellte. Sie dagegen … konnte mit einer marmorweißen Haut nicht dienen, denn ihr italienisches Erbe zeigte sich in lebhaften Farben. Ihr Teint war dunkler und ihre Wangen rosiger, als es einer Dame anstand. Früher hatte ihre Mutter versucht, ihrem Gesicht mit Bleichmittel und Puder eine vornehme Blässe zu verleihen, allerdings ohne Erfolg.

»Vielleicht solltest du ab und zu ein Sonnenbad nehmen«, schlug sie der Reporterin scheinheilig vor.

Georgina riss ihre blauen Augen auf. »Oder auf einem Schiff anheuern«, gab sie zurück. »Liebste Sarah, du musst mir unbedingt erzählen, wie es dir nach deinem Schiffbruch ergangen ist. Warst du wirklich vier Monate mit Robbenfängern unterwegs?«

»Warum sollte ich dir etwas erzählen? Damit ich morgen im Examiner die neuesten Skandalgeschichten über mich lesen kann?«

»Aber doch nicht über dich, über Emilia Rossi. Ihr Verschwinden hat große Wellen geschlagen.«

Damit sprach sie wohl die Wahrheit, und mit Sicherheit hatte der Examiner einen entsprechenden Anteil an diesen Wogen. Randolph Hearst schlachtete alles aus, was den Auflagen seiner Zeitungen dienlich war.

»Betrachte es als Werbung«, fuhr Georgina fort. »Die brauchst du. Du bist seit letztem Jahr nicht mehr aufgetreten. Inzwischen hat Aimee Pascal sehr erfolgreich die Micalea in Carmen gesungen. Es heißt, sie sei der aufgehende Stern an der Grand Opera – und sie ist fünfzehn Jahre jünger als du.« Georgina spitzte den Mund. »Du kannst froh sein, wenn überhaupt noch eine Zeitung über dich berichtet. – Stimmt es übrigens, dass du deine Stimme verloren hast?«

Ein Prickeln lief Sarah über die Kopfhaut. Wenn diese Geschichte die Runde machte, wäre sie erledigt, gleichgültig, ob es die Wahrheit war oder nicht. Die Presse würde über sie herfallen, und egal, wie gut sie sang, irgendjemand würde etwas daran auszusetzen haben. Außer ihrer Gesangslehrerin, ihrem Arzt und ihrem Partner Dave wusste keiner von den Problemen mit ihrer Stimme. Dass einer von diesen dreien die Presse informiert haben könnte, war undenkbar.

»Das ist lächerlich. Ich weiß überhaupt nicht, wie du auf solche Ideen kommst. Meine Stimme ist besser als je zuvor. In der nächsten Saison bin ich wieder dabei.«

»Dann ist dir die Reise offenbar gut bekommen. Oder ist es vielleicht die Liebe? Man munkelt, du hättest eine Affäre mit einem Seemann.« Georgina trat einen Schritt näher. »Ist es wahr?«

Sarah seufzte leise. Scheinbar blieb ihr nur die Wahl zwischen einem Bericht über Emilia Rossis Stimmverlust oder einem über ihre Affäre. Die Yellow Press wollte einen Skandal, und sie würde ihn bekommen.

In Gedanken verfluchte Sarah denjenigen, der die Reporterin eingelassen hatte, aber nun war es nicht mehr zu ändern. »Es ist wahr. Er steht dort hinten, bei Mary und ihrem Mann.«

»Was, der große Blonde?«

Sarah nickte. Peer fiel auf. Nicht nur, weil er die meisten Männer überragte, auch seine Statur unterschied sich sehr von denen der anwesenden Gentlemen. Selbst im maßgeschneiderten Anzug wirkte er wie ein Seemann, und sie sah ihm an, wie unwohl er sich in der ungewohnten Kleidung fühlte.

Georgina hob die Brauen. »Er wirkt etwas … fehl am Platz. Ich habe gehört, er sei nur ein einfacher Matrose.«

»Ach, das hat sich auch schon herumgesprochen?«

Georgina war nicht empfänglich für Ironie. »Mein Gott, Sarah, was willst du mit so einem?«

»Wie meinst du das?«, gab Sarah scharf zurück.

»Worüber redest du mit ihm? Wohl kaum über Musik oder Literatur. Aber wahrscheinlich«, sie zwinkerte Sarah zu, »geht es dir auch gar nicht ums Reden. So, wie der aussieht, hat er andere Qualitäten.«

Sarah spürte, wie ihre Gesichtszüge erstarrten. Sie maß Georgina mit einem eisigen Blick. »Entschuldige mich bitte, ich muss Christopher begrüßen.« Damit wandte sie sich um und eilte zum Eingang, wo ihr Bruder und seine Frau Margaret gerade eintraten.

»Na Schwesterchen, kaum bist du wieder da, sorgst du für Aufruhr.«

Sarah umarmte Chris und küsste Margaret auf die Wangen.

»Wieso sorge ich für Aufruhr?«

»Hast du den Examiner nicht gelesen?«

Sarah seufzte bei dem Gedanken. »Ehrlich gesagt ist es besser für meine Nerven, wenn ich ihn nicht lese. Mit wem habe ich diesmal ein Verhältnis?«

Chris lachte. »Mit einem russischen Fürsten. Und du warst auch nicht schiffbrüchig, sondern mit ihm in seinem Liebesnest auf der Krim.«

»Ach herrje. Diese Leute sehen zu viele Opern.« Sie wandte sich um. »Kommt mit, ich möchte euch Peer vorstellen.«

Im Vorbeigehen nahm sie zwei Gläser Champagner von dem Tablett eines der Hausmädchen und reichte sie ihrem Bruder und seiner Frau.

»Peer, das ist mein Bruder Chris und seine Frau Margaret. – Das ist Peer Svensson, er war Steuermann auf der Victory.«

Freundlich streckte Chris ihm die Hand entgegen. »Sarah hat uns von Ihnen erzählt. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«

Peer ergriff die Hand ihres Bruders und schüttelte sie herzhaft. »Ganz meinerseits.«

Anschließend streckte er Margaret die Hand hin. Die sah ihn einen Augenblick lang verwirrt an, dann lächelte sie und schlug ein. »Ich freue mich auch.«

Doch so leicht, wie Sarah gehofft hatte, ließ sich Georgina nicht abschütteln.

Den Kopf kokett zur Seite geneigt, tauchte sie hinter Margaret auf und musterte Peer, als wäre er ein besonders zartes Stück vom Braten. »Liebste Sarah, nun musst du mich auch vorstellen!«

Obwohl sie innerlich kochte, bemühte sich Sarah um ein verbindliches Lächeln. »Peer, das ist Miss Astor. Sie schreibt für den San Francisco Examiner. Georgina, das ist Mr. Svensson.«

Georginas Blick glitt bewundernd über seine Gestalt und blieb dann mit deutlichem Missfallen an seinen zwar sauberen, aber schwieligen Händen hängen, denen man die schwere Arbeit ansah. »Mr. Svensson, ich bin entzückt, Sie kennenzulernen. Es ist für uns alle eine große Überraschung, dass Sarah sich mit einem Matrosen angefreundet hat.«

Ihr herablassender Tonfall trieb Sarah die Hitze ins Gesicht. Sie ballte die Fäuste. Ich möchte dir deinen dürren Hals umdrehen.

»Ja, ich war auch sehr überrascht«, erwiderte Peer freundlich.

Sein argloses Lächeln schnitt Sarah ins Herz. Diese Party war ein Fehler. Seine Offenheit, seine Ehrlichkeit, in dieser Umgebung wirkten sie naiv. Er war hier so fremd, wie sie an Bord der Victory gewesen war. Wollte sie wirklich, dass er sich in dieser Gesellschaft zurechtfand? Wollte sie ihn hier sehen, wie er mit den Damen Konversation betrieb, mit den Herren über Politik und die neuesten Intrigen redete?

Georgina zog ihre schmal gezupften Brauen hoch. »Tatsächlich … Nun ja, Sarah hatte schon immer einen sehr, wie soll ich sagen, außergewöhnlichen Geschmack, was ihre Freunde angeht«, sagte sie blasiert.

Das ging zu weit! Sarah setzte zu einer scharfen Antwort an, doch Peer warf ihr einen kurzen Blick zu, und sie glaubte, ein Zwinkern in seinen Augen zu sehen.

»Sarah ist ja auch eine außergewöhnliche Frau.« Sein Ton war höflich, aber in seiner Stimme und in seinen Augen lag eine Härte, die keinen Widerspruch zuließ.

Einen Augenblick lang starrte Georgina ihn stumm an, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ihre blassen Wangen färbten sich leicht rosa. Dann wandte sie sich ab und ließ ihren Blick suchend durch den Raum schweifen. »Lieber Himmel, ist das etwa Renato Russo?« Sie zeigte auf einen kräftigen dunkelhaarigen Mann, der eben den Raum betrat.

»Der Tenor, ja », sagte Sarah zuckersüß. »Wenn du möchtest, stelle ich dich ihm vor.«

Georgina zückte ihren Fächer. »Bemüh dich nicht. Ich denke, das kann ich alleine.«

Sie raffte ihre Röcke und rauschte davon.

Sarahs Blick traf Peers. Er lächelte sie an. Überrascht und beschämt zugleich erwiderte sie sein Lächeln. Sie hatte ihn unterschätzt. Er war den Leuten hier durchaus gewachsen.

»Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich Miss Astor sprachlos erlebt habe«, sagte Chris. »Gut gemacht, Mr. Svensson.«

Seine Frau Margaret kicherte. »Mach dir nichts daraus, Sarah. Du kennst Georgina. Immer hinter dem neuesten Skandal her.«

Sarah war sich nicht sicher, ob sie sich über Georgina oder über sich selbst ärgerte. Was war los mit ihr, warum trafen die spitzen Bemerkungen dieser Tratschtante und die ihrer Mutter sie so? Hatte sie tatsächlich geglaubt, die feine Gesellschaft San Franciscos würde jemanden wie Peer mit offenen Armen aufnehmen?

»Wenn Blicke töten könnten, müsste Hearst sich für seine Rubrik ›Neues aus der Gesellschaft‹ eine andere Reporterin suchen«, ertönte eine resolute Stimme hinter Sarah. »Was hat sie getan, dass du sie umbringen willst?«

Erfreut wandte Sarah sich um. »Alice! Wie schön. Herzlich willkommen.«

Ihre Tante schloss sie in ihre Arme. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet und mit Schmuck behängt.

»Herzchen! Ich freue mich so, dich zu sehen!« Alice trat einen Schritt zurück und musterte Peer. Es war ein ganz anderer Blick als Georginas.

»Na, das ist endlich mal ein richtiger Kerl!«, dröhnte sie, streckte die Hand aus und schüttelte Peers. »Herzlich willkommen, mein Junge. Und lassen Sie sich bloß nicht einschüchtern von solchen wie der da.«

Sie wies mit dem Kinn auf die Reporterin. Mehrere Leute in der Nähe drehten sich irritiert um.

Sarah lachte. »Bin ich froh, dass du da bist! – Peer, darf ich dir Alice Freeman vorstellen, sie ist die jüngere Schwester meiner Mutter.«

»Ich bin das schwarze Schaf der Familie«, erklärte Alice, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Stimme zu dämpfen. »Mir ging es ähnlich wie Sarah. Ich wurde jung an einen reichen Kerl verschachert, und als der starb, hat er mir jede Menge Geld hinterlassen – und jetzt kann ich machen, was mir gefällt.« Sie ließ ihren Blick über die Gesellschaft gleiten. »Den meisten gefällt das nicht, aber das ist mir egal.« Ihr Lachen war laut und herzlich. Sie holte ein silbernes Zigarettenetui aus ihrer Handtasche, steckte eine Zigarette in eine Elfenbeinspitze und hielt das Etui Peer hin. »Auch eine?«

»Ja, danke.«

»Haben Sie Feuer?«

Sarah wandte kurz den Kopf ab, um ihr Lächeln zu verbergen. Zumindest Alice reagierte so, wie sie es gehofft hatte. Peer holte Streichhölzer aus seiner Hosentasche, zündete Alice die Zigarette an und anschließend seine.

Emily kam mit einer Platte Kanapees. »Möchten Sie etwas essen?«. Verblüfft blickte Peer auf. Dann griff er zu und nahm Emily die Platte aus der Hand. »Danke.«

Margaret riss die Augen auf, einige der umstehenden Damen wirkten sichtbar irritiert. Peer schien es zu merken, seine Wangen färbten sich rot.

»Gute Idee, Mr. Svensson«, sagte Alice. »Stellen Sie es doch hier auf den Tisch. Danke Emily, wir bedienen uns selbst.«

Emily knickste und ging.