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Der Aufbruch einer Familie in die Neue Welt.
Pfalz 1815: Als Tochter einer Amisch-Familie scheint Rebekkas Weg vorherbestimmt. Bald schon wird sie einen Mann aus ihrer Gemeinde heiraten. Doch dann kommt ein Fremder in ihr Dorf und weckt in ihr die Sehnsucht nach wahrer Liebe. Daniel ist anders als alle Männer, die sie kennt. Er erwidert ihre Gefühle, ihre Familie aber steht ihm misstrauisch gegenüber. Als eine Hungersnot ausbricht, wagen Rebekka und Daniel einen Neuanfang in Amerika. Rebekka ahnt jedoch nicht, dass in Daniels Vergangenheit ein dunkles Geheimnis lauert, das alles zerstören könnte, was sie sich aufgebaut haben ...
Eine emotionale Familiengeschichte und ein faszinierender Einblick in die Welt der Amisch.
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Seitenzahl: 533
Die junge Rebekka wächst behütet in einer Amisch-Gemeinde in Schönthal auf. Sie könnte glücklich sein, wenn sie nicht einen Mann heiraten sollte, den sie nicht liebt. Als eines Tages der rätselhafte Daniel in ihr Dorf kommt und darum bittet, in die Gemeinde aufgenommen zu werden, ist Rebekka fasziniert von ihm. Die beiden verlieben sich ineinander, doch Daniel gibt nicht viel von seiner Vergangenheit preis und weckt damit Misstrauen unter den Dorfbewohnern. Als eine Hungersnot das Land heimsucht und fast alles Leben auslöscht, machen Rebekka und Daniel sich auf die lange Reise nach Amerika, wo sie ein Stück Land erwerben und sich niederlassen. Alles scheint sich zum Guten zu wenden, doch dann holt Daniels Vergangenheit ihn ein – und ihr gemeinsames Glück steht auf dem Spiel.
Karin Seemayer, geboren 1959, machte eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau und war beruflich und privat viel unterwegs. Die meisten ihrer Romanideen sind auf diesen Reisen entstanden. Allerdings musste die Umsetzung der Ideen warten, bis ihre drei Kinder erwachsen waren. Heute lebt Karin Seemayer im Taunus. Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane „Die Tochter der Toskana“, „Das Gutshaus in der Toskana“, „Sterne über der Toskana“ sowie „Die Sehnsucht der Albatrosse“ und „Das Geheimnis des Nordsterns“ lieferbar.
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Karin Seemayer
Der Himmel über Amerika - Rebekkas Weg
Roman
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
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1815 — Ein neuer Anfang
1. KAPITEL
Schönthal, Pfalz, Juli 1815
2. KAPITEL
3. KAPITEL
Herzogtum Nassau, Juli 1815
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
18. KAPITEL
19. KAPITEL
20. KAPITEL
1816 — Das Jahr ohne Sommer
21. KAPITEL
22. KAPITEL
23. KAPITEL
24. KAPITEL
25. KAPITEL
26. KAPITEL
27. KAPITEL
28. KAPITEL
1818 — Der Himmel über Amerika
29. KAPITEL
30. KAPITEL
31. KAPITEL
32. KAPITEL
33. KAPITEL
34. KAPITEL
35. KAPITEL
36. KAPITEL
Glossar
Nachwort und Danksagung
Impressum
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Ein neuer Anfang
Rebekka richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Heiß war es, der Himmel strahlend blau, doch am Horizont zogen Wolken auf. Wahrscheinlich würde es heute noch ein Gewitter geben. Aus dem nahen Wald hörte sie den Ruf des Kuckucks; am Zaun, wo Stockrosen, Löwenmäulchen Ringelblumen und Eisenhut blühten, summten die Bienen. Vom Kräuterbeet her duftete es nach Thymian, Salbei, Dill und Kamille. Sie griff die Hacke fester und fuhr fort, den Boden zwischen den Kartoffelpflanzen zu lockern. Die Pflanzen gediehen, das Laub war dicht und grün, es zeigten sich die ersten weißen Blüten. Die Pflanzung war nicht groß, nur ein Beet im Garten neben den Beeten für gelbe Rüben, Kohl und Sellerie. Es war das erste Mal, dass ihr Vater Kartoffeln gesetzt hatte, und er hatte nur eine kleine Fläche seines Landes für diesen Versuch opfern wollen. Wenn die Ernte gut ausfiele, würde er im nächsten Jahr mehr anbauen.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte hinüber zum Haus, doch da war niemand. Ihr Vater arbeitete mit ihrem Bruder Samuel auf den Feldern, ihre Mutter bereitete in der Küche das Abendessen zu, und Susanna, ihre jüngere Schwester, war in der Milchkammer und butterte.
Sie drehte sich um und blickte auf den Weg, der am Garten vorbei in Richtung Schönthal führte. Auf der anderen Seite des Zauns standen zwei Männer in Uniform und sahen zu ihr herüber.
Schon wieder Soldaten auf dem Heimweg. Seit dem Sieg über Napoleon bei Waterloo kamen oft welche vorbei.
Hastig senkte Rebekka den Kopf und widmete sich wieder den Kartoffeln. Hoffentlich gingen die beiden weiter. Mit Soldaten wollten die Ammannleit nichts zu tun haben. Soldaten brachten Tod und Zerstörung, sie folgten nicht dem Gebot Gottes, das da hieß: Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.
»Gott zum Gruß, junge Frau«, rief einer der Männer.
Rebekka presste die Lippen zusammen und richtete sich widerwillig auf. Die Höflichkeit erforderte, den Gruß zu erwidern. »Grüß Gott.«
»Dürfen wir unsere Wasserflaschen an Ihrem Brunnen füllen? Es ist heiß, wir sind durstig und müssen heute noch bis nach Kaiserslautern kommen.«
Unschlüssig sah sie die Männer an. Derjenige, der sie angesprochen hatte, schien nicht viel jünger zu sein als ihr Vater. Er stützte sich auf eine Krücke. Der andere war ein junger Mann, er musterte sie mit unverhohlener Neugier. Rebekka legte sie die Hacke beiseite, ging zum Gartentor und öffnete es. »Kommen Sie herein.«
Der Ältere neigte den Kopf. »Vielen Dank, Fräulein …?«
Sie überhörte die Frage und ging zum Brunnen. Der Ältere hielt seine Feldflasche unter den Hahn, während sie pumpte. Der Jüngere lächelte sie an. »Leben Sie mit Ihren Eltern hier?«
»Ja«, antwortete sie knapp. Die beiden sollten ihre Flaschen füllen und wieder gehen. Sie sollte sich nicht mit ihnen unterhalten. Nicht nur, weil sie Soldaten waren, sie waren Weltliche, gehörten nicht zu ihrer Gemeinschaft. Es stand geschrieben: Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen, geht aus von ihnen, und sondert euch ab.
Der Ältere verschloss seine Flasche und steckte sie weg, dann verlagerte er sein Gewicht, hob ein Bein ein wenig an, dabei verzog er sein Gesicht.
»Sind Sie verwundet? Haben Sie Schmerzen?«, fragte Rebekka.
»Ein alte Verwundung. Ein schlecht verheilter Bruch. Damit werde ich jetzt wohl leben müssen.«
Plötzlich tat er ihr leid. Mit einem verkrüppelten Bein würde es ihm schwerfallen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Beide Männer waren mager und wirkten erschöpft, vielleicht sollte sie ihnen anbieten, ein wenig zu rasten. Doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Ihr Vater würde das nicht billigen.
Der Jüngere öffnete seine Flasche und hielt sie unter den Hahn, sie betätigte die Pumpe. Währenddessen sah er sich um. »Ein schönes Haus ist das hier«, sagte er. »Meine Eltern haben einen ähnlichen Garten. Mit Ringelblumen zwischen den Beeten, Stockrosen, Kapuzinerkresse und Goldfelberich am Zaun. Und es riecht auch wie hier. Nach Blumen und Kräutern.«
In seiner Stimme lag eine solche Sehnsucht, dass Rebekka ihn erstaunt ansah. Er hatte dunkles Haar, sein Gesicht war glatt rasiert. Seine Augen waren braun, und sein Blick erinnerte sie an den eines Hundes, treuherzig und um Zuneigung bettelnd.
Unwillkürlich erwiderte sie sein Lächeln. »Haben Sie es noch weit bis nach Hause?«
Seine Flasche war voll, er verschloss sie. »Noch etwa zwei Tagesreisen.«
Er lehnte sich an den Rand des Brunnens und sah hinüber zu dem Beet, das sie geharkt hatte.
»Das sind Grumbeeren, nicht wahr? Gedeihen sie hier? Ich weiß, dass sie im Kaiserstuhl gut wachsen, sie brauchen Wärme.«
»Es ist das erste Mal, dass wir sie ziehen. Wenn sie gute Frucht bringen, will mein Vater nächstes Jahr ein Feld bepflanzen.«
»Das ist gut. Sie verbessern die Erde, wissen Sie das? Wo Grumbeeren gewachsen sind, ist der Boden danach besonders locker.«
Für einen Soldaten kannte er sich gut aus. »Sind Ihre Eltern Bauern?«
»Ja. Ich bin der mittlere Sohn und war so dumm …«
»Rebekka!«
Die scharfe Stimme ihres Vaters ließ sie herumfahren. Mit großen Schritten kam er vom Feld in den Garten. »Was tust du da? Was machen diese Männer hier?«
Er hatte die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, sein blonder Kinnbart schien vor Empörung zu zittern.
Bevor sie antworten konnte, sprach der Ältere: »Grüß Gott, der Herr. Die junge Frau war so freundlich, uns zu erlauben, unsere Flaschen zu füllen. Wir sind schon den ganzen Tag unterwegs und haben noch ein gutes Stück Weg vor uns.«
Ihr Vater blickte von ihr zu den Männern. »Wie ich sehe, sind eure Flaschen gefüllt. Also könnt ihr jetzt gehen.« Er deutete zum Tor.
Der Jüngere runzelte die Stirn, seine Augen blitzten zornig. Er öffnete den Mund, doch der Ältere packte ihn am Arm.
»Komm Georg, wir gehen. – Danke für Ihre Güte«, setzte er an Rebekka gewandt hinzu. Dann drehte er sich um und hinkte zum Tor. Der Jüngere warf Rebekka einen letzten Blick zu, in dem deutliches Bedauern stand, bevor er seinem Kameraden folgte.
»Rebekka, was war das?« Die Strenge in der Stimme ihres Vaters weckte ihren Widerspruchsgeist. Sie hob das Kinn und sah ihm in die Augen.
»Du hast es doch gehört. Sie baten um Wasser. Die Nächstenliebe verlangte, ihnen welches zu geben, und das habe ich gemacht.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Das Bild, das sich mir geboten hat, war ein anderes. Soldaten auf unserem Hof, die vertraulich mit dir am Brunnen plaudern. Wie sieht denn das aus, mein Kind?«
»Wir haben über Kartoffelanbau geredet, mehr nicht. Die Eltern des Jüngeren sind Bauern. Ich habe nichts Falsches getan.«
»Nein, das hast du sicher nicht. Aber es machte den Eindruck, als wärt ihr gut bekannt. Du musst auf deinen Ruf achten. Du besonders. Jetzt mach deine Arbeit fertig, und dann komm ins Haus.«
Er wandte sich ab und ging zu den Ställen. Rebekka kehrte zum Beet zurück und harkte weiter.
Seine Bemerkung, dass besonders sie auf ihren Ruf achten müsse, ärgerte sie. Offenbar hatte man diese leidige Geschichte mit dem Jahrmarkt immer noch nicht vergessen. Manche in der Gemeinde würden sie ihr wohl für den Rest ihres Lebens vorhalten. Diejenigen, die von ihren eigenen Sünden ablenken wollten, und die, die sich für untadelig hielten. »Wer unter uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«, hatte Jesus gesagt.
Man hatte einige Steine auf sie geworfen. Josua Beiler hatte sich vor sie gestellt. Er hatte den Ältesten gesagt, man könne ihr nicht die alleinige Schuld für diesen Leichtsinn geben. Gideon sei der Ältere gewesen, er hätte es besser wissen müssen.
Etwas über ein Jahr war das jetzt her. Kurz danach war Josua mit seiner Familie fortgezogen, in eine Gemeinde in der Nähe von Bolanden, wo sein Vater einen Hof gekauft hatte. Allerdings besuchte er regelmäßig seine Verwandten in Schönthal, kaufte Honig bei ihrem Vater und fand jedes Mal Zeit, einige Worte mit ihr zu wechseln.
Sie kannte Josua schon ihr Leben lang, hatte ihn aber bis dahin nie besonders beachtet. Er war zurückhaltend, nicht unbedingt schüchtern, es entsprach nur nicht seiner Art, Gefühle zu zeigen. Deshalb war sie sehr überrascht, als er einige Male im Frühling zum sonntäglichen Abendsingen nach Schönthal kam und sie anschließend in seinem Wagen nach Hause brachte.
Im Mai kam Josuas Vater, Elias Beiler, nach Schönthal und hielt bei ihrem Vater für Josua um ihre Hand an.
Ihr Vater erzählte ihr am selben Abend nach dem Essen von dem Treffen mit Elias. »Du kannst dich glücklich schätzen, einen solchen Bräutigam zu bekommen. Nicht wegen seines Besitzes, obwohl das natürlich von Vorteil ist, aber Josua ist trotz seiner Jugend ein kluger, bedachtsamer Mann. Er hat bewiesen, dass er reifer ist als manch anderer in dieser Gemeinde, als er dich damals vor den Anschuldigungen in Schutz genommen hat. Er wird dir niemals vorwerfen, was passiert ist. Und seine innere Ruhe ist eine gute Ergänzung zu deinem lebhaften Temperament.«
Sie schwieg. Sie mochte Josua sehr gerne, aber unter Liebe hatte sie sich etwas anderes vorgestellt. Was, das wusste sie selbst nicht genau. Aber sie erinnerte sich, dass ihre ältere Schwester Elisabeth jeden Sonntag vor Vorfreude ganz aufgeregt gewesen war, weil sie beim Abendsingen Michael treffen würde. Und wenn Michael sie besucht hatte, hatten ihre Augen vor Glück gestrahlt. Sie hatte erzählt, dass sie am liebsten immer mit ihm zusammen wäre, dass er ihr fehlte, wenn sie sich ein paar Tage nicht sahen.
Das waren nicht die Gefühle, die sie Josua entgegenbrachte. Und auch Josua schien nicht gerade leidenschaftlich in sie verliebt zu sein. Er versuchte nie, sie zu berühren oder den Arm um ihre Schultern zu legen. Nun ja, bei seinem letzten Besuch hatte er auf der Heimfahrt nach ihrer Hand gegriffen. Sie hatte das Gefühl gehabt, er wolle etwas sagen, doch als sie ihn angesehen hatte, war er errötet und hatte den Blick abgewandt. Schließlich hatte er ihre Hand losgelassen und mit einem verlegenen Lachen die Pferde angetrieben.
»Freust du dich denn nicht, dass so ein trefflicher junger Mann um dich wirbt?«, fragte ihr Vater.
»Ich weiß es nicht. Ich habe noch gar nicht ans Heiraten gedacht.«
»Ja, das dachte ich mir. Du weißt, mein Kind, dass ich nur das Beste für dich will. Ich würde dich niemals zwingen, einen Mann zu heiraten, der dir zuwider ist. Du magst doch Josua?«
»Ja, ich mag ihn schon …« Sie zögerte. Sie liebte ihren Vater, doch scheute sie sich, mit ihm über ihre Gefühle zu sprechen.
»Dann solltest du meinem Urteil vertrauen. Josua und du, ihr werdet euch gut verstehen.«
Vielleicht hatte er recht. Josua war nett, und sie würde sicher gut mit ihm auskommen. Sie hätte es schlimmer treffen können. Sie wusste, dass ihre Eltern befürchtet hatten, dass keiner aus ihrer Gemeinde sie nach Gideons Unfall zur Frau nehmen würde. Dann hätte sie ein Leben als kinderlose alte Jungfer führen müssen. Immerhin war sie schon achtzehn Jahre alt, die meisten Mädchen waren in diesem Alter schon verheiratet. Oder sie hätte ihre Heimat verlassen müssen, um irgendwo in der Fremde einen Mann zu finden.
Also hatte sie ihrem Vater gesagt, dass sie mit der Verbindung einverstanden war. Die Hochzeit würde im Herbst stattfinden, wenn die Ernte eingebracht war.
Als sie die letzte Reihe Kartoffeln geharkt hatte, grummelte es in der Ferne. Die Wolken am Horizont hatten sich zu Gewittertürmen aufgebaut. Heute würde sie im Garten nichts mehr tun können.
Rebekka nahm Hacke und Rechen und trug sie in die Scheune. Hier roch es nach Heu und nach Pferden. Schwalben flitzten durch eine Luke über der Tür zu ihren Nestern im Gebälk, Fliegen summten. Ihr Vater brachte gerade die Kühe von der Weide und trieb sie in den Stall, ihr Bruder verteilte Heu in die Futterraufen der Pferde.
Drei Pferde besaßen die Lehmanns. Lotte, eine schwere Kaltblutstute, die ihr Vater für die Feldarbeit nutzte, und zwei leichte, schnelle Warmblüter für Fahrten zur Kirche, Besuche und Einkäufe im Ort. Besonders gerne fuhr ihr Vater mit Caspar aus, einem hübschen Braunen mit dunkler Mähne und Schweif. Er trabte schneller als jedes andere Pferd in der Gemeinde. Ihre Mutter schimpfte ab und zu, er sei zu stolz auf dieses Pferd.
»Warum soll ich mich nicht daran freuen, dass Gott ihm so schnelle Beine gegeben hat?«, sagte er dann und lächelte.
»Kann ich noch etwas helfen?«, fragte Rebekka.
»Gib den Kühen noch etwas Futter«, antwortete ihr Vater.
Sie griff nach der Heugabel und trug das Heu zu den Kühen. Der Vorrat war ziemlich geschrumpft, lange würde es nicht mehr reichen. Doch in den letzten Wochen hatte es viel geregnet, die Wiesen mussten erst trocknen, bevor sie gemäht werden konnten. Sie kraulte einer der Kühe die Stirn, dann stellte sie die Heugabel weg.
Ihr Vater und Samuel hatten unterdessen die Wassertröge der Tiere gefüllt. Gemeinsam verließen sie den Stall, ihr Vater schloss die Tür.
Sie gingen zum Brunnen. Samuel betätigte die Pumpe, Rebekka wusch Hände und Arme und schöpfte sich Wasser ins Gesicht. Dann füllte sie einen Eimer und trug ihn ins Haus, während Vater und Samuel sich am Brunnen wuschen.
Der Duft der Samstagssuppe empfing sie. Susanna deckte den Tisch, ihre Mutter schnitt Brot. Auf dem Herd stand ein großer Topf. Wie beinahe jeden Samstag gab es einen Eintopf aus Rindfleisch mit Möhren, Bohnen und Sellerie.
Rebekka stellte den Eimer ab, nahm einen Krug aus dem Regal, füllte ihn mit Wasser und stellte ihn auf den Tisch. Einen zweiten Krug trug sie hinauf in das Zimmer, das sie mit Susanna teilte. Damit würden sie sich heute Abend und morgen früh waschen.
Als sie zurückkehrte, rückten Samuel und ihr Vater die Stühle zurecht und setzten sich. Ihre Mutter füllte die Teller. Susanna goss Wasser in die Becher.
Rebekka nahm ihren Platz am Esstisch ein. Alle senkten die Köpfe.
Vater sprach das Tischgebet. »O Herr, gib uns das täglich Brot, behüte uns vor Hungersnot, speis’ und tränk’ die Kinder Dein, Dein Segen lass stets bei uns sein. Reichtum begehren wir nicht, Herr, doch Armut sei von uns auch fern. Erhalt uns nur bei Deinem Wort, so haben wir genug hier und dort.«
Das Tischgespräch drehte sich um die anstehende Heuernte, die wohl wegen der vielen Regentage wieder verschoben werden musste, um den Weizen, der ebenfalls nicht so weit war wie sonst um diese Jahreszeit.
»Immerhin gedeiht der Sellerie sehr gut«, sagte Susanna, und kicherte. Samuel, der sich eben ein Stück Fleisch in den Mund geschaufelt hatte, stieß einen Grunzlaut aus und hielt sich schnell die Hand vor den Mund.
Rebekkas Wangen wurden heiß.
Sellerie stärke die Manneskraft, hieß es, und die Anzahl der Selleriepflanzen in den Gärten der Familien mit heiratsfähigen Töchtern galt in der Gemeinde als sicherer Hinweis, dass im selben Jahr noch eine Hochzeit stattfinden würde, da Sellerie eine wichtige Rolle bei der Zubereitung des Hochzeitmahls spielte. Bei den Ammannleit gab es keine Verlobungszeit, die Hochzeit wurde erst zwei Wochen vor der Trauung während des Gottesdienstes ausgerufen. Deshalb beobachteten alle die Pflanzungen der Familien mit besonderer Neugier.
Als Josua um ihre Hand angehalten hatte, hatten ihre Eltern sofort mit der Planung der Hochzeitsfeier begonnen, auch wenn sie erst im November heiraten würden. Viele Gäste mussten verköstigt werden. Abgesehen von dem üblichen Gemüse hatte ihre Mutter noch ein zusätzliches Beet angelegt und mehr Selleriepflanzen gezogen, was bei den Nachbarn sofort zu Mutmaßungen darüber geführt hatte, welche der Töchter der Lehmanns wohl heiraten würde und wen.
Ihre Mutter warf Susanna und Samuel tadelnde Blicke zu. »Seid nicht so kindisch.«
Rebekka spürte den Blick ihres Vaters auf sich ruhen und wappnete sich. Jetzt würde wohl die Sache mit den Soldaten zur Sprache kommen. Und dann würde ihre Mutter wieder eine Predigt über Leichtsinn und die Ordnung halten. Fremde waren nicht gerne gesehen, und Soldaten trugen das Böse mit sich. Unweigerlich würde sie auch Gideons Unfall wieder als Beispiel heranziehen, dass ein Verstoß gegen die Ordnung nie etwas Gutes nach sich zog.
Doch ihr Vater schwieg, und sie beendeten die Mahlzeit, ohne dass er das Thema angesprochen hatte. Dankbar lächelte sie ihm zu. Er nickte kaum merklich, dann stand er auf und zog sich in seinen Sessel zurück.
Sie und Susanna halfen, den Tisch abzuräumen und das Geschirr zu spülen.
Anschließend gingen sie nach oben. Zwar war es noch nicht dunkel, doch sie würden bei Sonnenaufgang aufstehen. Auch am Sonntag mussten die Kühe gemolken und die Hühner gefüttert werden.
Rebekka öffnete das Fenster. Das Gewitter war abgezogen, der würzige Duft nach feuchter Erde erfüllte den kleinen Raum. Sie nahm die Haube ab und legte sie auf den Tisch. Dann zog sie die Nadeln aus ihrem Dutt. Ihr Haar fiel ihr bis zur Hüfte. Sie griff nach der Bürste.
Susanna hatte ebenfalls ihr Haar gelöst. Es war zwar nicht so lang, aber dafür lockte es sich und leuchtete in einem schönen hellen Blond. Rebekka ertappte sich bei einem Anflug von Neid. Susanna und Samuel hatten die blonden Locken und die blauen Augen ihrer Mutter geerbt, sie das schlichte dunkelblonde Haar und die grauen Augen des Vaters. Wahre Schönheit kommt von innen, mahnte sie sich. Gott blickt ins Herz, nicht auf die äußere Erscheinung.
»Was siehst du mich so an?«, fragte Susanna.
»Ich habe darüber nachgedacht, wie schön dein Haar ist und dass ich auch gerne solches hätte«, sagte Rebekka.
Verblüfft griff Susanna in ihre Locken. »Wirklich? Ich finde meine Haare schrecklich. Sie ziepen beim Kämmen, und ständig rutschen sie unter der Haube raus. Ich sehe immer unordentlich aus, sagt Mama.« Sie trat zu Rebekka und strich über ihr Haar. »Ich finde deine Haare schön. Sie schimmern wie unser Waldhonig.«
Rebekka hielt mit dem Bürsten inne. Waldhonig. Glänzte ihr Haar wirklich in diesem Goldbraun? Es gab nur einen kleinen Spiegel im Haus der Lehmanns, den ihr Vater aufbewahrte. Er benutzte ihn nur, wenn er Oberlippe und Wangen rasierte.
Die Mädchen zogen ihre Kleider aus, schlüpften jede in ihr einfaches weißes Nachtgewand, sprachen ihr Abendgebet und legten sich in das gemeinsame Bett.
Rebekka schloss die Augen, doch sie konnte nicht einschlafen. Die Worte ihres Vaters, besonders sie müsse auf ihren Ruf achten, gingen ihr nicht aus dem Kopf. Dabei hatte sie doch nur einmal einen Jahrmarkt besuchen wollen.
»Bist du noch wach?«, fragte Susanna.
»Ja.«
»Gideon Lapp möchte mich morgen nach dem Singen nach Hause begleiten.«
Gideon Lapp. Das würde seiner Mutter nicht gefallen. Sie hegte immer noch einen Groll gegen Rebekka und ihre Familie.
»Magst du ihn denn?«, frage Rebekka.
»Ja, sehr.« Susannas Stimme bebte ein wenig. »Ich wünsche mir schon lange, dass er mich beachtet. Aber bisher hat er mich eher wie eine kleine Schwester behandelt.«
»Du weißt, dass seine Mutter uns nicht mag, wegen dieser Sache …«
»Ja, ich weiß. Sie behauptet immer noch, du habest ihn verlockt. Aber ich glaube, er wollte dich beeindrucken. Er war in dich verliebt.«
Rebekka lachte. »Nein, Schwesterchen, Gideon war nie in mich verliebt. Wir waren immer nur Freunde. Er wollte mich auch nicht beeindrucken. Er wollte selbst auf den Jahrmarkt. Er wäre auch ohne mich gegangen.«
»Das ist gut. Dann mag er mich vielleicht wirklich.«
»Bestimmt. Warum sollte er dich sonst fragen? Auch wenn er den Ruf hat, ein Draufgänger zu sein, gibt es einige Mädchen, die ihn gerne nähmen.«
»Er schaut ja auch gut aus.« Susanna räusperte sich. »Auch wenn es darauf natürlich nicht ankommt«, fügte sie hastig hinzu.
Rebekka warf ihrer Schwester einen Blick zu. Das war ihr nie aufgefallen. Sie kannte Gideon schon so lange, war so an sein immer ein bisschen verstrubbeltes dunkles Haar, seine lange, dünne Gestalt gewöhnt. Doch jetzt, da Susanna es sagte: Er hatte regelmäßige Gesichtszüge und ein nettes Lächeln. Er und Susanna würden gut zusammenpassen. Ihre Schwester war immer so ruhig und ausgeglichen, sie konnte vielleicht Gideons Wagemut und seine Unruhe etwas dämpfen. Hoffentlich sah seine Mutter das auch so.
Susanna gähnte. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Rebekka schloss die Augen, doch sie konnte immer noch nicht schlafen. In Gedanken wanderte sie zurück zu jenem Frühlingstag im letzten Jahr.
Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, fand im benachbarten Dorf Mehlingen ein Jahrmarkt statt. Bauern, fahrende Händler und Handwerker boten dort ihre Waren feil.
Auch die Ammannleit verkauften ihre Produkte auf dem Markt. Am ersten Tag beluden die Männer der Gemeinde einen Wagen. Jeder, der etwas verkaufen wollte, brachte seine Ware. Ihre Mutter packte ihren Käse und den Honig ein, andere brachten Brot, eingekochtes Gemüse und Zwetschgenmus, aber auch Handarbeiten wie bestickte Decken.
Dann fuhren vier der Ältesten zum Markt, verkauften die Waren dort und verteilten anschließend das Geld. Sie waren die Einzigen, die dorthin durften. Und sie erzählten niemals, was sie dort sahen. Es sei ein Sündenpfuhl, sagten sie, eitel und nicht gottgefällig.
Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die Frauen an den Waschtagen von verbotenen Dingen, die es auf dem Jahrmarkt gab. Von Schaustellern, die Theater spielten, von Musikern und Frauen und Männern, die zusammen tanzten.
Rebekka lauschte voller Neugier. Zu gerne wollte sie einmal einen solchen Tanz sehen oder ein Theaterstück.
An jenem Tag im Frühjahr 1814 fuhr ein bemalter Wagen an ihrem Hof vorbei. Sehnsüchtig blickte sie ihm nach.
»Würdest wohl gerne mitfahren, was?«
Erschrocken zuckte sie zusammen und drehte sich um. Hinter ihr stand Gideon Lapp, der Sohn ihres Nachbarn. Er war zwei Jahre älter als sie. Sie hob das Kinn.
»Ich habe mich nur gefragt, warum der Wagen bemalt ist.«
Gideon trat durch das Gartentor. »Das ist ein Zigeunerwagen. Es heißt, die Zigeuner haben keine Häuser, sie leben in ihren Wagen.« Er beugte sich zu ihr, seine Augen funkelten. »Mir brauchst du nichts vorzumachen. Alle jungen Leute würden gerne mal einen Jahrmarkt besuchen. Nur, um zu schauen, was es da gibt. Ich finde es falsch von den Alten, dass sie es nicht erlauben. Etwas Verbotenes ist gleich viel interessanter.«
»Gideon!« Hastig blickte Rebekka sich um, ob jemand in der Nähe war. »Wenn das einer der Ältesten hört …«
»Hier ist niemand außer uns. Ich habe eine Idee. Willst du sie hören?«
Zögernd nickte sie, nicht sicher, ob sie wirklich wissen wollte, was er wieder ausgeheckt hatte. Gideon war schon als Kind immer zu Streichen aufgelegt gewesen. Einmal hatte er am Abend vor der Gemeeh, dem Gottesdienst, ein faules Ei in der Scheune seiner Eltern versteckt. Am nächsten Tag hatte der Gottesdienst im Freien stattfinden müssen, weil es in der Scheune unerträglich gestunken hatte. Ein anderes Mal hatte er die einjährigen Kälber auf der Weide gejagt, bis ein junger Bulle auf ihn losgegangen war. Er hatte gerade noch über den Zaun flüchten können, sich dabei aber seine neue Hose zerrissen.
Gideon senkte die Stimme. »Morgen sind die Ältesten auf dem Markt, aber nur morgen. Ich hole dich übermorgen zu einer Ausfahrt ab. Niemand wird sich etwas dabei denken. Und dann fahren wir zum Markt. Nur kurz, einfach nur mal drübergehen.«
Rebekka hielt die Luft an. Wenn das jemand erführe, würden sie großen Ärger bekommen. Doch übermorgen würde niemand, der sie kannte, auf dem Markt sein. Der Gedanke, endlich einmal über den Jahrmarkt zu schlendern, war verlockend.
»Aber wirklich nur kurz«, sagte sie.
»Natürlich. Ich will auch keinen Ärger haben. Ich soll übermorgen zum Lindenhof fahren und Weidenruten für Körbe holen. Ich nehme dich mit, und auf dem Heimweg halten wir in Mehlingen.«
Ihre Mutter hob die Brauen, als Rebekka beim Abendessen erzählte, dass sie Gideon zum Lindenhof begleiten wolle.
»Gideon Lapp? Ich dachte, ihr seid eher wie Geschwister. Aber nun gut, begleite ihn ruhig und bring mir auch ein paar Weidenruten mit, ich brauche einen neuen Korb.«
Zwei Tage später fuhr Gideon mit dem Wagen bei Lehmanns vor. Rebekka nahm die Schürze ab, legte ihr Schultertuch um und kletterte neben ihn auf den Kutschbock.
»Fahrt vorsichtig«, rief ihre Mutter ihnen nach.
»Natürlich.« Gideon winkte und trieb das Pferd zum Trab.
Der Besuch im Lindenhof war kurz, sie kauften die Weidenruten und luden sie auf den Wagen.
Zunächst fuhren sie den Weg nach Schönthal, doch dann bog Gideon rechts ab, und kurze Zeit später erreichten sie Mehlingen.
Er zügelte das Pferd, zog die Bremse an und stieg vom Kutschbock. Dann half er ihr herunter. »Vielleicht solltest du deine Haube absetzen, damit wir nicht auffallen«, sagte Gideon. »Die Leute gucken uns ganz seltsam an.«
Verstohlen blickte sie sich um. Tatsächlich sah sie nirgendwo eine Haube wie ihre. Manche Frauen trugen mit bunten Bändern oder Spitze verzierte Häubchen, die den Haaransatz frei ließen, andere Hüte und einige gar keine Kopfbedeckung.
Unschlüssig zupfte Rebekka an den Bändern, doch dann öffnete sie die Schleife und legte ihre Haube in den Wagen. Eine Strähne hatte sich aus ihrem Haarknoten gelöst und fiel ihr ins Gesicht. Sie streifte sie zurück. Ohne Kopfbedeckung fühlte sie sich fast ein wenig nackt. Doch es gab so viel Neues und Aufregendes zu sehen, dass dieses Gefühl schnell verschwand. Wie viele Menschen hier unterwegs waren. Die Straße war breit, und doch drängten sich die Leute. Ihr Blick folgte einem Paar, das an ihnen vorbeischlenderte. Der Mann trug eine seltsame Jacke, die vorne nur bis zur Taille ging, aber hinten in zwei langen Zipfeln bis zu seinen Knien hing. Sie war mit zwei Reihen goldener Knöpfen geschlossen. Auf dem Kopf trug er einen hohen, steifen Hut, und sein Hemdkragen reichte ihm bis an die Ohren, er konnte kaum den Kopf drehen. Das Kleid der Frau war direkt unter der Brust gegürtet, was den Busen der Frau betonte. Es musste aus einem sehr leichten Stoff bestehen, denn der Rock bauschte sich in der lauen Frühlingsbrise.
Auch Gideon starrte die Frau an. Dann packte er Rebekkas Hand. »Komm, da vorne ist der Markt.« Er zog sie mit sich, hinter dem Paar her.
Sie erreichten den Dorfplatz. Vor einem Haus stand ein Mann neben einem bunt bemalten Kasten, aus dem Musik erklang. Das war bestimmt ein Leierkasten, Rebekka hatte davon gehört. Sie hielt inne und lauschte. In ihrer Gemeinschaft waren Instrumente verpönt. Zwar sang man während des Gottesdienstes oder Sonntagabends, wenn die jungen Leute sich trafen, aber immer ohne Instrumentenbegleitung. Das Musizieren mit Instrumenten sei Prunk und helfe dem Teufel, die Menschen zu verführen, predigten die Alten.
Die Musik aus dem Leierkasten klang ungewohnt, ein wenig schräg, als würden die Töne nicht ganz getroffen, aber nach ein paar Augenblicken hörte Rebekka eine Melodie heraus. Sie war schwungvoll und fröhlich und ganz anders als die langsamen, getragenen Lieder, die sie kannte. Unwillkürlich klopfte sie mit dem Fuß den Takt mit.
Der Mann vor ihnen warf eine Münze in die Schale, die auf dem Kasten stand.
»Gott vergelt’s«, rief der Leierkastenmann ihm nach und drehte fleißig die Kurbel, wobei er im Takt der Melodie nickte.
»Komm weiter«, sagte Gideon. Bedauernd warf sie noch einen Blick auf den Leierkasten. Sie hätte noch stundenlang zuhören können. Konnte etwas so Schönes wirklich dem Teufel helfen?
Sie gingen weiter, vorbei an den Marktständen. An einem wurde Geschirr verkauft, am nächsten hatte ein Stoffhändler seine Ware ausgebreitet. Rebekka blieb stehen, bewunderte die Farben der Stoffballen. Strahlendes Gelb, feuriges Rot und ein Blau, so intensiv wie der Himmel über ihr. Daneben lagen gemusterte Stoffe, mit eingewebten Blumen oder Vögeln. Sie streckte die Hand nach einem dunkelgrünen Stoff mit goldenen Mustern aus. Er wirkte, als hätte jemand flüssiges Gold über Moos gegossen. Wie mochte es sich anfühlen, ein Kleid daraus zu tragen?
»Finger weg!« Der Mann hinter dem Tisch hatte sich vorgebeugt und funkelte sie zornig an. »Du machst mir noch die Tuche dreckig. Kaufen kannst du die sowieso nicht.« Abfällig musterte er ihr schlichtes braunes Kleid, ihre bloßen Füße.
Ihre Wangen wurden heiß, wortlos wandte sie sich ab und ging weiter. An einer Straßenecke stand ein junger Bursche und jonglierte bunte Bälle. Gebannt starrte Gideon ihn an, folgte dem Flug der Bälle mit dem Blick. »Das würde ich gerne können.«
»Nur ist es zu nichts nutze, Bälle in die Luft zu werfen«, sagte Rebekka.
»Ebenso wie die Musik des Leierkastenmannes zu nichts nutze ist«, gab er zurück. »Aber schön ist es.«
Da hatte er recht. Es war schön anzusehen und wirkte kinderleicht. Dabei war es bestimmt sehr schwer.
Nach den Ständen mit Geschirr, Töpfen, Messern und anderen Gebrauchsgegenständen folgten die, an denen Lebensmittel verkauft wurden. Ein Metzger bot Würste feil, ein anderer verkaufte Käse. Vom nächsten Stand drang der intensive Duft nach Gewürzen in Rebekkas Nase. Sie trat näher. In Schalen wurden nicht nur heimische Gewürze wie Rosmarin, Thymian oder Bohnenkraut dargeboten, sondern auch exotische aus fernen Ländern. Den roten Paprika kannte Rebekka, doch da waren auch Schalen mit Pulver in verschiedenen Gelb-, Grün- und Brauntönen. Die Händlerin bemerkte ihre Neugier und lächelte ihr zu.
»Möchtest du mal riechen?«
Sie reichte ihr eine Schale mit dunkelgelbem Pulver. Vorsichtig schnupperte Rebekka. Es roch fremdartig, aber gut.
»Das ist Kurkuma, er kommt aus Indien«, erklärte die Frau. »Man kann ihn wie Safran verwenden, aber er ist lange nicht so teuer. Und das hier …« Sie hielt ihr eine Schale mit rotbraunen Rindenstücken entgegen.
»Das ist Zimt«, sagte Rebekka und atmete das Aroma ein. Ihre Mutter verwendete es sehr sparsam für Apfelkompott. Vielleicht hatte ihr Vater es auf einem Markt wie diesem gekauft? Schade, dass sie keines dieser wunderbaren fremdländischen Gewürze kaufen konnte. Mutter würde sich bestimmt freuen, doch damit würde sie verraten, dass sie heimlich auf dem Jahrmarkt gewesen war.
Der nächste Stand verkaufte Backwaren. Gideon kramte in seiner Hosentasche und holte ein paar Münzen heraus. »Zwei Zuckerkringel bitte.«
Die Frau nahm die Münzen, betrachtete sie eingehend, dann warf sie sie in einen Korb und reichte Gideon zwei in Schmalz gebackene und mit Zucker bestreute Gebäckstücke.
Er gab eines Rebekka.
»Danke schön.« Sie biss hinein. Es war süß und saftig. Als sie es aufgegessen hatte, leckte sie den Zucker von den Fingern und wischte die Hände an ihrem Rock ab.
Am Ende des Marktplatzes standen Körbe mit Hühnern und Tauben. Man hatte sogar ein kleines Gatter aufgebaut, in dem Ziegen zum Verkauf standen. Gideon warf nur einen kurzen Blick auf die Tiere, dann ging er weiter. »Schau mal, da vorn. Da ist der Tanzboden.«
Rebekka sah in die Richtung, in die er zeigte. Dort hatte man eine Plattform aufgebaut. Dahinter saßen Musiker, auf der Plattform drehten sich Paare zur Musik.
Sie traten näher. Rebekka starrte die Tänzer an. Die Männer hatten ihre Hände auf die Hüften der Frauen gelegt, die Frauen ihre Hände auf die Schultern der Männer. Sie hüpften und drehten sich dabei im Kreis. Es musste ihnen großes Vergnügen bereiten, denn sie lachten laut. Rebekka bemerkte, dass Gideon sie fragend ansah.
»Wollen wir das probieren?«
Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. »Nein. Das mache ich nicht.«
»Schade«, sagte er, drängte sie aber nicht.
Neben dem Tanzboden stand ein bunt bemalter Wagen. Davor saß eine Frau mit dunkler Haut und schwarzen Haaren an einem Tisch, über dem ein dunkelblauer Stoff mit gelbem Muster lag. Darauf stand eine Glaskugel, daneben lag ein Stapel Karten.
Rebekka starrte die Frau an. So jemanden hatte sie noch nie gesehen. Sie trug Ketten aus Münzen um den Hals, an ihren Handgelenken klimperten Armbänder, und in ihren Ohrläppchen baumelten große Ringe. Gekleidet war sie in eine helle Bluse, die ihre Schultern frei ließ, und einen sehr bunten Rock, der aus mehreren Tüchern zusammengenäht schien. Sie sah aus wie die Sünde persönlich.
Die Frau bemerkte Rebekkas Blick und winkte ihr. »Komm her, du Schöne. Ich lege dir die Karten.« Mit einer schwungvollen Handbewegung breitete sie die Karten auf dem Tisch aus. »Es kostet auch nur drei Kreuzer. Das ist nicht viel für einen Blick in die Zukunft«
Rebekka schüttelte heftig den Kopf. Das war Aberglaube, und was sie auf den Karten sah, war noch schlimmer als Aberglaube. Auf einer waren ein nackter Mann und eine nackte Frau abgebildet, auf einer anderen ein Mann, der kopfüber an einem Baum hing. Die Frau lachte. »Traust dich nicht, was? Dann gib mir deine Hand.«
Bevor Rebekka zurückweichen konnte, hatte die Frau nach ihrer linken Hand gegriffen. Rebekka versuchte, sie zurückzuziehen, doch die Frau hielt ihre Finger fest. Sie beugte sich über ihre Handfläche.
»Hm. Du bist ein kluges Mädchen, man kann dir nicht leicht etwas vormachen. Fleißig bist du auch.«
Um das herauszufinden, war nun keine besondere Gabe nötig, dachte Rebekka. Ihre Hände verrieten, dass sie viel arbeitete, und ihr Misstrauen hatte sie deutlich gezeigt.
»Du wirst heiraten«, fuhr die Frau fort.
Rebekka verdrehte die Augen. Natürlich würde sie heiraten. Wie beinahe jede junge Frau.
Die Frau sah kurz hinüber zu Gideon, der sich offensichtlich mehr für zwei Männer interessierte, die an einem Tisch saßen und ihre Kräfte im Armdrücken maßen, dann beugte sie sich wieder über Rebekkas Hand.
»Ich sehe einen Fremden. Groß, blond. Ich sehe eine große, leidenschaftliche Liebe, aber es wird nicht einfach für euch sein. Und dann wirst du eine lange Reise machen. In ein fernes Land. Ein schönes, freies Land.« Sie sah auf. »Mehr kann ich nicht aus deiner Hand lesen, aber wenn du mich die Karten für dich legen lässt …«
Entsetzt entriss Rebekka der Frau ihre Hand, wandte sich um und lief davon. Wahrsager gab es nicht, sie taten nur so. Niemand kannte die Zukunft. Ein fremder Mann, ein Leben in einem fernen Land … Das hatte diese Frau sich nur ausgedacht, um sie dazu zu bringen, doch fürs Kartenlegen zu bezahlen. Nichts von dem, was sie gesagt hatte, würde eintreffen. Sie würde einen Mann aus der Gemeinschaft heiraten. Und sie würde ihr Leben in Schönthal verbringen, ihrer Heimat. Sie würde nicht fortgehen, keinen Fremden heiraten.
Gideon kam ihr nachgelaufen. »Hat sie dich erschreckt? Das ist doch alles Humbug. Bestimmt erzählt sie allen jungen Mädchen das Gleiche.«
»Ich will nach Hause.«
Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen.
Gideon schien wenig begeistert, doch als er sah, dass sie beinahe weinte, nickte er. »Wir fahren nach Hause.«
Sie gingen zurück zum Wagen. Rebekka setzte ihre Haube wieder auf und kletterte neben Gideon auf den Kutschbock. Er nahm die Zügel und schnalzte mit der Peitsche.
»Aber interessant war es doch«, sagte er, während sie die Straße entlangfuhren. »Ich hätte mich gerne im Armdrücken versucht. Bestimmt hätte ich einige besiegen können.«
Jetzt, da der erste Schreck über die Worte der Wahrsagerin vergangen war, fand Rebekka das auch und bedauerte es sogar ein wenig, dass sie so schnell fortgewollt hatte. So bald würde sie keine Gelegenheit mehr haben, einen Jahrmarkt zu sehen. Dabei hätte sie gerne dem Mann mit dem Leierkasten weiter zugehört. Leise summte sie die Melodie des Liedes, das er gespielt hatte.
Gideon schien anderen Träumen nachzuhängen. »Hast du die Kleider der Damen gesehen? Wie offen sie ihren Busen zeigen? Und hinter dem Tanzboden, da standen einige in so bunten Kleidern, die hatten sich die Gesichter bemalt. Ich glaube, das waren …«
Ein Hase sprang vom Wegrand auf, rannte dem Pferd zwischen die Hufe. Es erschrank und wieherte, stieg und fiel dann in Galopp.
»Verdammich!«, entfuhr es Gideon. Er zog die Zügel an, doch das Pferd reagierte nicht. Mit angelegten Ohren preschte es den Weg entlang, der Wagen schwankte. Rebekka klammerte sich an den Sitz. Gideon riss an den Zügeln.
»Die Kurve!«, rief Rebekka.
Der Wagen neigte sich, als das Pferd um die Biegung galoppierte. Rebekka wurde vom Kutschbock geschleudert. Der Aufprall nahm ihr den Atem. Sie hörte das Pferd wiehern, ein Krachen und Schleifen, und dann wurde es still.
Keuchend richtete sie sich auf. Sie hatte Glück gehabt, sie war neben dem Weg auf dem Gras gelandet. Ihr taten die Schultern und der Rücken weh, aber sie schien sich nicht verletzt zu haben.
Was war mit Gideon?
Der Wagen lag auf der Seite, das Pferd stand schweißnass und schwer atmend davor. Gideon war nicht zu sehen.
Vorsichtig stand Rebekka auf. Ihr war ein bisschen schwindelig, doch ihre Beine trugen sie.
»Gideon?« Ihre Stimme klang dünn und zittrig, sie kämpfte gegen die aufsteigende Angst. Lieber Gott, lass ihm nichts passiert sein.
Ein Stöhnen erklang von der anderen Seite des Wagens, dann Gideons Stimme. »Hier.«
Erleichterung durchflutete sie. Er lebte. Sie hastete um den Wagen. Gideon lag auf dem Weg, er blutete am Kopf.
»Gideon!« Womit sollte sie die Blutung stillen? Rasch band sie die Schürze ab, fiel neben ihm auf die Knie und tupfte das Blut fort. Es lief aus einem Riss über seiner Augenbraue.
»Mein Bein«, stöhnte er.
Jetzt erst sah sie, dass sein rechtes Bein unter dem Wagen eingeklemmt war.
»Vielleicht kannst du mich nach hinten ziehen«, sagte er. »Ich versuche, das Bein frei zu bekommen.«
Sie stand auf, beugte sich vor und griff unter seine Arme. Doch als sie versuchte, ihn vom Wagen wegzuziehen, schrie er auf.
Verzweifelt sah Rebekka sich um. Niemand war in der Nähe. Alleine konnte sie den Wagen unmöglich aufstellen. Was sollte sie tun, wo konnte sie Hilfe holen? Sie befanden sich inmitten von Feldern, nirgends waren Häuser in Sicht. Ihr Blick fiel auf das Pferd.
»Ich reite nach Hause und hole Hilfe.«
»Dann erfahren sie, dass wir auf dem Jahrmarkt waren«, flüsterte Gideon, sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»Das erfahren sie sowieso. Auch wenn uns Fremde helfen würden.«
Sie legte ihr Schultertuch zusammen und schob es unter Gideons Kopf. »Ich beeile mich.«
Schnell schirrte sie das Pferd ab. Als Kind war sie öfter ohne Sattel geritten, wenn sie und ihre Geschwister die Pferde von der Weide geholt hatten, sie konnte es bestimmt noch. Sie führte das Pferd an eine Böschung neben dem Weg, raffte ihren Rock und kletterte auf seinen Rücken. Dann trieb sie es an. Es schien unbedingt nach Hause zu wollen, denn es fiel sofort in einen Trab. Sie hielt sich an der Mähne fest und klopfte mit den Fersen an seine Flanken, bis es galoppierte. Das war leichter, dabei wurde sie weniger geschüttelt.
Der erste Hof, den sie erreichte, war der der Baumgartners. Thomas Baumgartner hackte auf dem Feld Rüben. Als er sie auf dem blanken Pferdrücken vorbeigaloppieren sah, ließ er die Hacke fallen und lief ihr nach.
Vor ihrem Elternhaus zügelte Rebekka das Pferd und rief nach ihrem Vater. Er kam aus dem Stall.
»Rebekka, was ist passiert? Wo ist Gideon?«
Im selben Moment kam Thomas um die Ecke gelaufen. Atemlos erzählte Rebekka, was passiert war.
»Ich hole Abraham und Lukas und sage Gideons Eltern Bescheid«, sagte Thomas und lief weiter. Innerhalb kürzester Zeit waren fünf Männer zusammengekommen. Sie spannten zwei Pferde vor einen Karren, ein weiteres wurde am Zügel mitgeführt, und fuhren den Weg zurück, den Rebekka gekommen war.
Ihre Mutter holte sie ins Haus und versorgte ihre Schürfwunden. Sie fragte nichts, sondern kochte ihr Tee.
Gefragt hatten sie später. Ihre Eltern, Gideons Eltern, danach die Ältesten. Die Sache wurde vor den Bischof gebracht. Gideon hatte sich das Bein gebrochen, er würde wochenlang nicht auf den Feldern arbeiten können und war doch der einzige Sohn der Familie. Seine Mutter hatte Rebekka die Schuld gegeben. Sie habe ihren Sohn verlockt, mit ihr zum Jahrmarkt zu fahren, Gideon habe es nur ihr zuliebe getan. Das war der Augenblick, in dem Josua das Wort ergriffen hatte.
»Wir alle kennen Rebekka schon ihr ganzes Leben. Sie war nie leichtsinnig oder eitel. Neugierig ja, aber ich bin sicher, dass sie Gideon nicht verlockt hat. Gideon wagte schon immer etwas mehr als andere. Erinnert ihr euch, wie er vor vier Jahren unbedingt den neuen Hengst von Johannes Schrock reiten wollte? Er ist heimlich auf die Weide gegangen und hat sich draufgesetzt. Nur Gottes Gnade war es zu verdanken, dass ihm nichts Schlimmeres passiert ist, als im Gras zu landen. Und vor zwei Jahren war er mit Benjamin Gerber im Wirtshaus, da waren sie beide erst siebzehn Jahre alt. Nein, ich glaube nicht, dass Gideon ›verlockt‹ werden musste, zum Jahrmarkt zu fahren.«
Gideons Vater hatte ihm zugestimmt, aber seine Mutter war nicht zufrieden gewesen. Rebekka habe gegen die Ordnung verstoßen und solle bestraft werden. Sie forderte sogar die Meidung.
Doch auch der Bischof, Caleb Wagner, hatte den Jahrmarktbesuch als kein so großes Vergehen angesehen. Er hatte Rebekka und Gideon ermahnt und es dabei belassen.
Kurz bevor sie einschlief, erinnerte sich Rebekka an die Worte der Wahrsagerin. Die Frau hatte unrecht gehabt. Sie würde keinen großen, blonden Fremden heiraten, sondern Josua mit seinen hellbraunen Locken.
Schweißgebadet fuhr Andreas auf, tastete hastig nach dem Gewehr. Dann stutzte er. Warum war es plötzlich so still? Eben noch hatten Schüsse gekracht, Kanonendonner hatte die Luft erfüllt, französische Soldaten waren mit aufgepflanztem Bajonett auf ihn zugestürmt, rechts und links von ihm waren seine Kameraden gefallen.
Er blinzelte und sah sich um. Um ihn herum war es dunkel, nur durch eine Fensteröffnung schimmerte Mondlicht. Er saß auf einem Strohlager, neben ihm schliefen andere Männer. Manche schnarchten. Seine Kameraden. Wieder einmal hatte er von der Schlacht geträumt, wie beinahe jede Nacht. Sie war vorbei. Sein Regiment befand sich auf dem Heimweg nach Weilburg, übermorgen würden sie Eschenweiler erreichen, den Ort, an dem seine Familie lebte. Vielleicht könnte er seine Eltern besuchen, bevor sie weiterzogen nach Weilburg.
Er legte sich zurück und atmete langsam. Sein Herzschlag beruhigte sich, die Traumbilder verblassten. Er dachte an seine Eltern, dann wanderten seine Gedanken weiter. Vielleicht bliebe sogar Zeit für einen Besuch bei Charlotte. Wie sie ihn wohl begrüßen würde? Er schloss die Augen und beschwor ihr Bild. Ihr Haar, das in der Sonne rötlich schimmerte, ihre veilchenblauen Augen, ihre helle Haut. Vor zwei Jahren hatte er sich in sie verliebt, seitdem machte er ihr den Hof. Sie hatte durchaus gezeigt, dass sie ihn anziehend fand, hatte mit ihm geschäkert und ihn auch im Garten hinter dem Haus ihrer Eltern geküsst und ihn später bei einer verlassenen Scheune getroffen. Sein Glied regte sich, als er daran dachte, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte. Sie hatte auch nichts dagegen gehabt, dass er ihre vollen, festen Brüste streichelte. Doch als er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte sie kokett zu ihm aufgesehen und gesagt, sie sei sich ihrer Gefühle nicht sicher genug, sie brauche Bedenkzeit.
Sie war unberechenbar. Er wusste nie, woran er bei ihr war, und das stachelte ihn auf. Er wollte sie besitzen, unbedingt. Er wusste, dass er nicht ihr einziger Verehrer war. Einige junge Männer aus Eschenweiler machten ihr den Hof. Nicht nur wegen ihrer Schönheit, als einzige Tochter des größten Fuhrunternehmers in der Gegend war sie auch eine recht gute Partie. Doch das spielte für ihn keine Rolle. Er liebte sie und hatte sich noch vor seiner Einberufung mit ihr verloben wollen. Aber sie hatte ihn hingehalten. Sie müsse ihr Herz prüfen, hatte sie gesagt und ihm dabei glühende Blicke zugeworfen.
Über ein Jahr hatte er sie nicht gesehen. Manchmal war ihm der Gedanke gekommen, dass sie insgeheim auf eine bessere Partie hoffte. Er war nur der zweite Sohn des Müllers, die Mühle würde sein älterer Bruder erben. Er hatte nur die Wahl, sich irgendwo als Mühlknecht zu verdingen. Harte Arbeit ohne angemessene Entlohnung. Nicht zuletzt deswegen war er Soldat geworden. Sein Vater war bereit gewesen, ihn vom Wehrdienst freizukaufen. Doch als Soldat verdiente man gut, bekam eine Uniform und konnte vielleicht sogar zu Ruhm und Ansehen kommen.
Doch seine schöne Uniform, die bei Charlotte für leuchtende Augen gesorgt hatte, war nach der ersten Schlacht verdorben gewesen, und Ruhm und Ehre gewann man als einfacher Soldat nicht. Das Töten war ihm zuwider. Als er das erste Mal einen Mann mit dem Bajonett erstochen hatte, hatte er sich anschließend übergeben.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, hatte sein Vorgesetzter ihm gesagt, doch er hatte sich niemals daran gewöhnt.
An den Dreck, den Gestank und das schlechte Essen in den Feldlagern hatte er sich gewöhnt, doch niemals an das Sterben der Männer, das Röcheln und Stöhnen der Verwundeten. Er zählte die Tage, bis er seinen Abschied nehmen konnte.
Ob Charlotte wohl auf ihn gewartet hatte? Oder hatte sie inzwischen einen anderen gefunden und geheiratet? Sie war zwar jung und lebenslustig, genoss die Aufmerksamkeit der Männer, aber er war sicher, dass ihr Herz ihm gehörte.
Die Erinnerung an Charlotte hatte die grauenhaften Bilder an die Schlacht zurückgedrängt. Ihm fielen die Augen zu, und er schlief durch bis zum Morgengrauen.
Jemand rüttelte ihn an der Schulter, dann hörte er die Stimme seines Freundes Hans. »Aufwachen, Andreas.«
Er blinzelte und richtete sich auf. Um ihn herum erhoben sich die Soldaten von ihrem Lager. Durch die geöffnete Tür fielen Sonnenstrahlen und malten Muster auf den Boden. Vielleicht war der Regen nun endlich vorbei.
Er stand auf, schlüpfte in seine Stiefel, zog die Jacke über und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Zum Waschen war wieder keine Zeit und Gelegenheit. Aus seinem Gepäck holte er einen Henkelbecher und ging nach draußen. Aus einem Kessel über einem Dreibein schenkte Friedrich Kaffee aus. Ein dünnes Gebräu, aber immerhin wärmte es. Dazu wurde trockenes Brot verteilt. Andreas warf einen Blick zum Wirtshaus. Dort hatten die Offiziere geschlafen und bekamen jetzt sicher ein gutes Frühstück vorgesetzt. Eines der Schankmädchen trat vor die Tür. Ängstlich sah sie sich um, ihre Augen und ihre Nase waren gerötet, als habe sie geweint. Sie wischte sich übers Gesicht, dann huschte sie um die Ecke des Hauses. Andreas erinnerte sich, sie am Abend zuvor gesehen zu haben, sie hatte Offiziere bedient.
Neben ihm stieß Hans einen verächtlichen Grunzlaut aus. »Offensichtlich hat unser Herr Niebergall sich heute Nacht wieder eine Zerstreuung gesucht.« Mit dem Kinn wies er auf den Offizier, der eben aus der Tür trat und sich streckte. Sein Gesicht verriet, dass er mit sich zufrieden war. Doch als sein Blick auf das Lager der Soldaten fiel, zog er die Augenbrauen zusammen.
»Lass uns verschwinden«, sagte Andreas leise. »Er sucht irgendjemanden, den er schikanieren kann.«
Nachdem alle ihr karges Frühstück verzehrt hatten, brachen sie auf.
Das Wetter blieb gut, die Sonne schien weiterhin. Gegen Mittag erreichten sie einen größeren Ort. Einige Männer, darunter Andreas und Hans, wurden losgeschickt, Essen zu beschaffen. Die Bauern schimpften und jammerten. Sie hätten keine Vorräte mehr, die Armee habe schon auf dem Weg nach Frankreich bei ihnen requiriert, das Wetter sei so schlecht gewesen, dass eine Missernte drohe. Sie kannten das schon und wussten, wo sie suchen mussten, um die versteckten Vorräte zu finden.
Später bat Andreas um ein kurzes Gespräch mit Oberstleutnant von Wallborn.
»Morgen Abend sind wir in der Nähe von Eschenweiler. Meine Eltern wohnen dort. Ich bitte um die Erlaubnis, sie besuchen zu dürfen.«
Von Wallborn betrachtete ihn. »Andreas Faber, nicht wahr? Du hast dich gut gehalten. Erlaubnis erteilt.«
»Ergebensten Dank, Herr Oberstleutnant«, sagte Andreas, salutierte und wartete auf die Erlaubnis, gehen zu dürfen. Doch Wallborn dachte nach. »Sind deine Eltern Bauern?«
Wahrscheinlich überlegte er, ob man den Fabers für die Gunst, ihren Sohn sehen zu dürfen, nicht ein paar Hühner oder eine Kuh abnehmen konnte.
»Nein, Herr, mein Vater ist Müller.«
»Müller. Ah, ein einträglicher Beruf. Hat er auch eine Mühlenschenke?«
Andreas presste die Lippen zusammen. Verdammt. Wenn er Ja sagte, würden seine Eltern die Offiziere bewirten müssen. Doch zu lügen wagte er nicht. Wallborn konnte leicht die Wahrheit herausfinden.
»Ja, Herr Oberstleutnant, aber nur einen kleinen Gastraum.«
»Wir werden nach Eschenweiler marschieren und dort kampieren. Ich freue mich, bei deinen Eltern zu Gast zu sein. Du kannst gehen.«
Andreas unterdrückte ein Seufzen. Natürlich, der Herr Oberstleutnant war der Meinung, dass er Andreas’ Familie eine große Ehre erwies, wenn er bei ihnen speiste. Doch sein Vater würde nicht begeistert sein. Soldaten bedeuteten fast immer Ärger, auch wenn sie für die Bewirtung bezahlten. Gerade jetzt auf dem Heimweg tranken die Männer oft zu viel, es kam zu Streitereien, bei denen auch mal das Mobiliar zu Bruch ging. Oder es wurde um die Zeche gestritten. Und Vater würde ihm die Schuld geben, dass die Truppe bei ihm einfiel. Ihr Verhältnis war ohnehin nicht gut, Vater hatte es ihm übelgenommen, dass er Soldat geworden war. Eine blödsinnige Idee hatte er es genannt, sein Leben wegzuwerfen, nur weil er diese eitle Gans Charlotte beeindrucken wollte.
Von Wallborn gab den Befehl zum Aufbruch.
»Warum schaust du so bedröppelt?«, fragte Hans, der neben ihm marschierte. Andreas erzählte ihm von dem Gespräch mit dem Oberstleutnant.
»Ach, er wird sicher dafür sorgen, dass die Männer sich gut benehmen, wenn sie bei den Eltern eines Kameraden einkehren.«
»Ich hoffe es.«
Sie kamen gut voran und erreichten gegen Abend des nächsten Tages Eschenweiler.
Andreas’ Herz schlug schneller, als er das vertraute Dorf im Tal liegen sah. Auf den umliegenden Feldern wiegte sich das Getreide im Wind, von den Weiden erklang das Muhen von Kühen, und von der Kirche rief die Glocke zur Andacht. Jetzt merkte er, wie sehr ihm die Heimat gefehlt hatte.
Auf der anderen Seite des Dorfes, am Bach, lag die Obermühle, sein Elternhaus. Und nicht weit davon befand sich der Hof von Charlottes Familie. Vielleicht konnte er kurz vorbeischauen, bevor sie weiterzogen. Ob sich Charlotte freuen würde, ihn zu sehen?
Der Oberstleutnant gab den Befehl zum Anhalten und rief Andreas zu sich. »Geh voraus und kündige deinen Eltern an, dass meine Offiziere heute Abend bei ihnen speisen werden.«
»Zu Befehl, Herr Oberstleutnant, aber ich bitte, darauf aufmerksam machen zu dürfen, dass es nur einfache Speisen geben wird. Die Schenke ist nicht für viele Gäste gedacht.«
»Ja, ja.« Von Wallborn war mit seinen Gedanken sichtlich woanders.
Eilig lief Andreas durch die Straßen, bis er auf den Bach stieß. An der Stelle, an der der Mühlgraben wieder in den Bach floss, bog er ab, folgte dem Graben bis zur Obermühle.
Das Rad drehte sich, von drinnen hörte er die Mahlgeräusche, sein Vater und sein Bruder arbeiteten noch.
Aus dem Backhaus neben der Mühle drang Hitze, heute war wohl ein Backtag gewesen. Er ging an der Tür der Mühle vorbei zum Wohnhaus und klopfte an der Tür.
Seine Schwester Barbara öffnete sie, starrte ihn einen Augenblick erschrocken an, dann breitete sich ein Strahlen über ihr Gesicht aus. »Andreas! Du bist wieder da!«
Sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn, danach packte sie seine Hand und zog ihn nach drinnen. »Mutter, Mutter schau doch, Andreas ist gekommen!«
Seine Mutter kam aus der Küche, ihre Ärmel waren hochgekrempelt, ihre Hände mehlig. Sie wischte sie an ihrer Schürze ab, bevor sie ihn in ihre Arme zog. Sie drückte ihn an sich, küsste ihn, dann trat sie einen Schritt zurück. »Wie mager du geworden bist! Und riechen tust du auch nicht gut. Geh dich waschen und umziehen. Ich richte dir solange etwas zu essen. Dein Vater und dein Bruder sind noch im Mahlhaus, der Deisbachbauer hat heute seinen Weizen gebracht.«
»Ich kann mich nicht umziehen, Mutter, ich bin Soldat, ich muss die Uniform tragen.«
»Papperlapapp.« Mit einer Handbewegung wischte sie seinen Widerspruch fort. »Du stinkst. Barbara soll wenigstens dein Hemd waschen und die Jacke zum Lüften auf die Leine hängen. Wie lange kannst du bleiben?«
»Nicht lange. Wir sind auf dem Weg nach Weilburg. Mutter, die Truppe wird bald hier eintreffen. Die Offiziere wollen in der Mühlenschenke speisen.«
»Gottverdammich! Wie viele sind es denn?«
»Zehn Männer. Ich habe ihnen gesagt, dass wir wenig Platz haben und auch nur einfache Speisen anbieten.«
»Werden sie denn bezahlen?«
»Ja, das hat der Oberstleutnant zugesichert.«
»Nun denn. Barbara, sag deinem Vater Bescheid, dass der Andreas da ist und dass wir heute Abend Gäste haben. Dann wäschst du seine Sachen. Lotte soll Wurst und Schinken aus der Kammer holen.«
Resolut wie immer verteilte seine Mutter die Aufgaben, schickte Lotte, die Magd, in die Vorratskammer und den Knecht Otto in den Hühnerstall, um nach Eiern zu suchen.
Als Andreas sich gewaschen hatte und umgezogen in die Küche zurückkehrte, standen Brot, Käse und ein Krug Bier für ihn bereit. Seine Mutter kam gerade aus dem Backhaus wieder. »So, der Kuchen ist im Ofen. Eigentlich hatte ich ihn für morgen gedacht, aber nun gut.«
Kurze Zeit später trafen die Soldaten ein. Sie schlugen ihr Lager auf der Wiese des Bauern Keppler auf, der es zähneknirschend hinnehmen musste.
»Reg Er sich nicht auf«, beschied ihn Herr von Hegen, einer der Leutnants, als er nach Entschädigung für das heruntergetrampelte Gras verlangte. »Das richtet sich schon wieder auf, und bis zur zweiten Mahd dauert es noch ein paar Wochen.«
Andreas meldete sich zur Stelle. Bei seinem Anblick runzelte von Hegen die Stirn, ließ es ihm aber durchgehen, dass er nicht korrekt gekleidet war, und gab ihm auch die Erlaubnis, die Nacht in der Mühle bei seinen Eltern zu verbringen.
Barbara hatte seine Uniform ausgebürstet und zum Lüften im Garten aufgehängt, sein Hemd hing daneben, es war schon fast wieder trocken. Nachher würde er zum Fischbacher Hof gehen und Charlotte seine Aufwartung machen.
Er begrüßte den Vater und seinen Bruder Georg. Seine Mutter deckte mit Lotte die Tische in der Gaststube, Otto holte ein Fass Bier aus dem Keller.
Kurz danach kamen die Offiziere und nahmen im Schankraum Platz. Barbara und Lotte brachten Platten mit Würsten, Käse, Brot und Butter, sein Vater zapfte das Bier. Andreas spähte nur kurz in den Schankraum und ging dann in die Küche.
»Ich gehe dir lieber zur Hand«, sagte er zu seiner Mutter. »Wenn die Herren Offiziere mich im Schankraum sehen, fallen ihnen am Ende noch irgendwelche Dinge ein, die ich für sie erledigen könnte.«
Lotte kam herein. »Wir brauchen mehr Brot, die Herrschaften sind recht hungrig.«
»Und durstig«, setzte Barbara hinzu, die ebenfalls in die Küche kam. »Vater kommt kaum mit dem Zapfen nach.« Ihr Gesicht war gerötet. »Außerdem ist wohl der eine oder andere der Meinung, eine Mühlenschenke sei auch ein Bordell. So ein großer Kerl hat versucht, mir unter den Rock zu fassen, als ich ihm sein Bier gebracht habe, und meinte, ich solle mich nicht so anstellen, er würde auch bezahlen.«
Sie griff nach dem Brotkorb und ging wieder hinaus.
Lotte riss die Augen auf. »Da gehe ich nicht mehr rein.«
»Hab dich nicht so«, sagte seine Mutter. »Heinrich passt schon auf, dass euch niemand mehr angrapscht.«
»Ich löse euch ab«, sagte Andreas. »Ich zieh mich nur rasch um.«
Eigentlich hatte er sich nicht blicken lassen wollen, doch er vermutete, dass es Niebergall gewesen war, der versucht hatte, Barbara unter die Röcke zu gehen, und dann war es besser, wenn die Mädchen sich nicht in seiner Reichweite befanden.
Seine Mutter nickte. »Das ist eine gute Idee.«
Hastig tauschte Andreas die zivile Kleidung gegen die Uniform und schnallte auch den Säbel um. Dann ging er in den Schankraum.
Niebergall stellte eben den leeren Bierkrug ab und winkte nach Barbara. »He, Mädchen, mach den noch mal voll!«, rief er ihr zu.
Mit großen Schritten ging Andreas zu seinem Tisch und nahm den Krug. »Wird sofort erledigt, Herr Feldwebel.«
Niebergall fuhr auf. »Wo kommst du her? Verschwinde! Das Mädel soll mich bedienen.« Er leckte sich über die Lippen und starrte ihr nach, als sie den Raum verließ.
»Sie hat in der Küche zu tun«, erwiderte Andreas, sammelte weitere leere Krüge ein und brachte sie seinem Vater.
Die Männer saßen und tranken, danach spielten sie Karten und tranken weiter. Andreas bediente sie.
Später ging er in die Küche. Nur seine Mutter war noch dort. »Hoffentlich gehen sie bald«, sagte sie. »Wir müssen morgen früh raus.«
Das hoffte er auch. Wenn sie bald gingen, konnte er noch kurz zum Fischbacher Hof und versuchen, Charlotte zu sehen.
Endlich legten die Männer die Karten fort und fragten nach der Rechnung. Erleichtert atmete seine Mutter auf. »Sie bezahlen, dem Herrn sei Dank.«
»Ich habe doch gesagt, von Wallborn hat Bezahlung garantiert«, sagte Andreas.
»Die Herren Offiziere sagen viel und tun es dann oft genug nicht«, gab seine Mutter zurück.
Andreas blieb in der Tür stehen und sah zu, wie sein Vater mit den Offizieren sprach und ihnen sagte, was sie schuldeten.
Von Wallborn zückte seine Börse und zählte das Geld ab. Dann runzelte er die Stirn und blickte sich suchend um. »Wo steckt eigentlich Niebergall?«
»Ach, der ist vorhin schon gegangen. Wahrscheinlich hat er wieder eine hübsche Magd gesichtet, mit der er sich vergnügen möchte«, sagte Francke, und die Männer lachten.
Missmutig schüttelte von Wallborn den Kopf. »Der Mann ist schlimmer als ein brünstiger Widder. Irgendwann erwischt er mal die Falsche, und deren Vater oder Mann schlägt ihm den Schädel ein.«
Andreas wurde kalt, als er an die begehrlichen Blicke dachte, die Niebergall Barbara zugeworfen hatte. War seine Schwester schon im Bett?
Er wandte sich um und lief in die Küche. »Mutter, wo ist Barbara?«
Seine Mutter legte den Finger an die Lippen. »Sie wollte noch auf einen Sprung hinüber zu den Boedickers. Du weißt doch, sie und der Franz wollen bald heiraten.«
Angst sprang ihn an, krallte sich in seinen Magen. Er dachte an das verweinte Gesicht der jungen Schankmagd vor zwei Tagen.
»Wann ist sie weg?«
»Noch nicht lange.«
»Verflucht!« Wut mischte sich in seine Angst. »Wie kann sie so leichtsinnig sein, im Dunkeln hinauszugehen, wenn Soldaten in der Stadt sind?«
»Aber die Boedickers sind doch unsere Nachbarn. Und die Soldaten lagern drüben auf der Wiese beim Kepplerbauern.«
Andreas schüttelte nur den Kopf, dann rannte er aus dem Haus. Das Anwesen der Boedickers lag unterhalb der Mühle. Wenn Barbara sich dort mit Franz treffen wollte, war sie den Mühlenweg entlanggegangen.
Er sah sich um. Es war recht hell, der Mond war fast voll, nur ein paar Schleierwolken milderten seinen Schein. Auf dem Hof zwischen dem Wohnhaus und dem Stall war niemand. Vielleicht sollte er rufen? Aber nein, damit würde er nur die Aufmerksamkeit der Offiziere erregen. Er lief zum Mühlenweg, als er ein Geräusch hörte. Einen dumpfen Hilferuf, er klang, als würde demjenigen der Mund zugehalten. Dann eine andere Stimme. »Sei still!«
Das war Niebergall. Die Stimmen kamen aus dem Gemüsegarten. Das Gartentor stand offen. Andreas stürmte hindurch. Wo waren sie?
Vom Schuppen her klangen ein Schrei, dann ein Klatschen und ein Fluch.