Das Geheimnis des versiegelten Buches - Sven Theiner - E-Book

Das Geheimnis des versiegelten Buches E-Book

Sven Theiner

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Beschreibung

In Qumran werden Artefakte entdeckt, die das Leben der Familie Bischoff für immer verändern werden. Das Schicksal dieser Artefakte scheint auf geheimnisvolle Weise mit dem der Familie Bischoff verbunden zu sein. Eine Geheimorganisation jedoch scheint eigene Pläne mit den Artefakten zu haben. Doch was steckt hinter dem Geheimnis von Qumran? Eine gefährliche Jagd nach der Lösung des Rätsels beginnt, mit ungeahnten Folgen..

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Sven Theiner

Das Geheimnis von Qumran: Das Geheimnis des versiegelten Buches

Lukas Bischoff reist anlässlich einer Preisverleihung von New York in sein Geburtsland Deutschland. Auf der Preisverleihung begegnet er einem Priester, der ihm sagt, dass er in Gefahr sei. Wenig später stirbt der Priester unter mysteriösen Umständen...

Inhaltsverzeichnis

Impressum

© 2024 Sven Theiner. Flurstraße 34, 40885 Ratingen

Umschlagsgestaltung: Sven Theiner

Vertriebspartner: Tolino Media

Lektorat: Melanie Jacobi

Printed in Germany

Nachdruck, Kopie, Verkauf oder Vervielfältigung

nur durch Genehmigung des Autors

´Quid sit futurum cras, fuge quaerere. Ut sementum feceris, ita metes. ´

Widmung

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die für Freiheit, Gleichheit und Demokratie ihr Leben ließen, ohne dabei selbst Blut zu vergießen.

 

Danksagung

 

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich bei der Veröffentlichung des Buches unterstützt haben und meine Launen während der Schreibarbeiten geduldig ertragen haben.

Ich danke meiner Familie, insbesondere Sonja, Dirk, Ole, Kasia, Beate, Tom, Jens, Klaus, Gabi, Mustafa und allen, die in den letzten Jahren zu mir standen, in guten, wie auch in schlechten Zeiten.

Mein besonderer Dank gilt Melanie Jacobi, die sich als Lektorin freiwillig zur Verfügung gestellt hat, sowie Bianca Hoffmann, Simone Köller, Ulrich Gotzhein und Andrea Globisch, insbesondere Herrn Czerwonka und Frau Tuschen, ohne deren Unterstützung und Zuspruch dieses Buch wohl nicht geschrieben worden wäre.

Auch ich bin ein sterblicher Mensch wie alle anderen, ein Nachkomme des ersten aus Erde geschaffenen Menschen, und bin Fleisch, im Mutterleib zehn Monate gebildet. Auch ich habe, als ich geboren war, Atem geholt aus der Luft, die allen gemeinsam ist, und bin gefallen auf die Erde, die alle in gleicher Weise trägt; und Weinen ist wie bei den anderen mein erster Laut gewesen, und bin in Windeln gelegt und voll Fürsorge aufgezogen worden. Denn auch kein König hatte jemals einen anderen Anfang seines Lebens sondern sie haben alle denselben Eingang in das Leben und auch den gleichen Ausgang. Deshalb betete ich, und mir wurde Einsicht gegeben; ich rief den Herrn an, und der Geist der Weisheit kam zu mir.

(Die Weisheit Salomos, Kapitel 7, Vers 1 -7)

Prolog

Berlin, 30. April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Ein heftiger Sturm fegte durch die zerbombten Ruinen der Stadt. Der Wind heulte wie ein verlorenes, gequältes Wesen durch die Straßen, und das entfernte Donnergrollen klang wie das unaufhörliche Echo eines entsetzlichen Unwetters.

Die Stadt war ein einziges Trümmerfeld. Überall lagen die Überreste zerstörter Gebäude, als hätte ein gigantisches Erdbeben alles dem Erdboden gleichgemacht. An den Straßenrändern lagen Tote, achtlos aufgebahrt. Dichter Nebel umhüllte die Stadt, wie ein trauernder Schleier, der die grausamen Spuren des Krieges verdeckte.

Im unbeschädigten Teil des Westflügels der Charité stand Hauptmann Förster und beobachtete aus sicherer Entfernung eine junge Frau. Sie kümmerte sich mit einer Hingabe, die fast an Fürsorglichkeit grenzte, um die Verletzten. Einige lagen auf notdürftig aufgestellten Pritschen und alten Matratzen im Flur des Ganges, ihr Leid war greifbar.

Hauptmann Förster, ein stattlicher Mann mit katzengrünen Augen, blickte immer wieder nervös auf seine Armbanduhr. Etwas in ihm brodelte – eine Mischung aus Erwartung und Angst. Seine Hände zitterten leicht, als er seufzend eine Zigarette und eine Packung Streichhölzer aus der Innentasche seiner Uniform zog. Beim Anzünden der Zigarette verbrannte er sich fast die Finger. Der Rauch bot einen flüchtigen Trost, während er in die karge, hoffnungslose Szenerie blickte.

Gerade als er sich umdrehen wollte, um zur Tür hinauszugehen, rannte ein hochgewachsener Soldat auf ihn zu. Der junge Mann war außer Atem, sein Helm verrutscht, sodass seine kurzen, blonden Haare zum Vorschein kamen.

„Es ist vollbracht, Herr Hauptmann!“, keuchte er und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Seine haselnussbraunen Augen sahen müde, aber erleichtert aus.

„Endlich, Feldwebel Köhler!“, sagte der Hauptmann in einem Ton, der strenge Erleichterung verriet. „Ist alles nach Plan verlaufen?“.

„Ja, genau wie Sie es sich gedacht haben. Morgen wird es die ganze Welt wissen. Niemand wird jemals die volle Wahrheit über die heutigen Geschehnisse erfahren. Sämtliche Spuren sind verwischt“.

Ein tiefer Seufzer entfuhr Hauptmann Förster. „War es schwer, ihn davon zu überzeugen?“, fragte er, während sein Blick sehnsüchtig auf der jungen Krankenschwester ruhte. Köhler bemerkte die unübersehbare Zuneigung in den Augen des Hauptmanns, die er stets zu leugnen versucht hatte.

„Nein, Herr Hauptmann. Sie hat ohne zu zögern eingewilligt und die Tabletten eingenommen. Danach habe ich ihren geliebten Ehemann unbemerkt erschossen. Er hat nicht einmal bemerkt, dass ich eine Waffe bei mir hatte“. Köhler, ein früherer Psychotherapeut, war geschickt darin, Menschen zu manipulieren. Doch nun war er erfüllt von einer traurigen Einsamkeit, da es niemanden gab, dem er von seiner Tat erzählen konnte.

Mit einem zufriedenen Lächeln klopfte der Hauptmann ihm auf die Schulter. „Gut gemacht. Die Welt hat nun ein Problem weniger. Traurig ist nur, dass es anderen nicht schon früher gelungen ist, bevor dieser Wahnsinn begann. Haben Sie die Dokumente gut versteckt und die Berichte über den Bombenanschlag in Kreuzberg vernichtet?“.

„Ja, das habe ich“, sagte Köhler und deutete auf die junge Krankenschwester. „Werden Sie ihr von dem Geheimnis ihrer Familie erzählen?“.

Der Hauptmann schwieg einen Moment. „Es ist besser, wenn sie nichts davon erfährt. Ihre Eltern und ihre jüngsten Geschwister konnte ich nicht retten. Doch zumindest Elisabeth und ihren Bruder Jonathan konnte ich vor diesem Wahnsinnigen bewahren. Wenn sie jemals erfährt, warum diese schrecklichen Ereignisse geschehen sind, wäre sie in großer Gefahr. Das möchte ich um jeden Preis vermeiden. So besteht zumindest die Hoffnung, dass eines Tages einer ihrer Nachkommen die Wahrheit herausfindet und sich seiner Bestimmung stellt. Auch auf die Gefahr hin, dass irgendwann meine Mitschuld offenbar wird. Doch nur so lässt sich das kommende Unheil vielleicht noch abwenden“.

Köhler sah ihn überrascht an. „Sie können Elisabeth und ihre Nachkommen nicht ihr ganzes Leben lang beschützen, auch wenn Sie den Rest Ihres Lebens mit ihr verbringen. Eines Tages werden auch Sie sterben...“.

„Wer sagt denn, dass ich das vorhabe? Es stimmt, ich liebe sie. Doch ich bin gebrandmarkt. An meinen Händen klebt Blut, genau wie an den Händen dieses Teufels, dessen wir uns heute entledigt haben. Mit mir an ihrer Seite würde sie niemals glücklich werden. Ich trage Mitschuld am Tod ihrer Eltern und Geschwister. Durch meine Hand wurde die Bombe in Kreuzberg gezündet. Er hätte sonst Verdacht geschöpft. Ich gebe Elisabeth frei, damit sie mit einem anderen glücklich werden kann“.

Köhler war erstaunt. „Sind Sie wirklich sicher, dass ihre Familie das kommende Unheil aufhalten kann?“.

„Ja, die Ergebnisse der Blutproben sind eindeutig“. Förster hielt ein Reagenzglas mit Blut und einige Seiten eines Berichts in der Hand.

„Wie soll der Auserkorene erfahren, dass nur er für die Rettung so vieler Menschen bestimmt ist?“.

„Er wird es wissen und fühlen, wenn es soweit ist. Die Kirche hat viel Macht, aber er wird überlegener sein. Die Zukunft der Kirchen wird von ihm abhängen. Wenn es soweit ist, wird er die Kleriker in ihre Schranken weisen. Sie werden für ihre Verfälschung der wahren Geschichte und ihre Unterstützung des Teufels zur Rechenschaft gezogen. Die Kirchenoberhäupter hatten nicht das Recht, den Verantwortlichen für diese Gräueltaten zu schützen, nur um ihre Fehlbarkeit zu verbergen. Ihre Schweigen und Angst vor Aufdeckung brachten Millionen Menschen in Gefahr. Doch eines Tages wird jemand kommen und für Gerechtigkeit sorgen. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. So wie es im Buch der Bücher geschrieben steht. Nur ein Nachkomme von Elisabeth kann verhindern, dass die letzten Siegel gebrochen und das Ende der Menschheit besiegelt wird“.

1

Neunundsechzig Jahre später, am frühen Morgen, stand Lukas Bischoff in seinem modernen Büro im Herzen von New York City, unweit von Ground Zero. Der Ort, der vor Jahren Schauplatz einer der größten Tragödien der Geschichte war, spiegelte in seinen Augen die Unbeständigkeit und die rasante Veränderung der Welt wider.

Die mächtigen Wolkenkratzer, die sich in den Himmel erhoben, schienen sowohl Zeugen vergangener Zeiten als auch Symbole für die unbeugsame Entschlossenheit einer Stadt, die niemals schläft.

Lukas, ein Mann Anfang vierzig, trug die Last seiner Erlebnisse in seinen stahlblauen Augen, die gleichermaßen von Entschlossenheit und einem Hauch von Melancholie durchzogen waren. Seine schwarzen Haare waren bereits von silbernen Strähnen durchzogen, ein stiller Zeuge der vergangenen Jahre voller Herausforderungen und Erfolge. Mit seinen markanten Gesichtszügen und der leicht gebeugten Haltung wirkte er wie jemand, der viel gesehen und noch mehr erlebt hatte.

Gina Brown, seine Sekretärin, saß an ihrem Schreibtisch und tippte unermüdlich auf ihrer Tastatur. Ihr konzentriertes Klappern hallte durch die weiten Flure des Gebäudes. Sie war eine schlanke Frau mit grauen Augen, die scharf und wachsam wirkten. Ihr Ausdruck verriet sowohl Professionalität als auch eine tiefe Loyalität gegenüber Lukas. Ihre braunen Haare fielen ihr locker auf die Schultern, während sie konzentriert arbeitete.

„...darum freut es uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihr Gehalt zum Anfang des nächsten Monats um 500 Dollar erhöhen können!“, diktierte Lukas in einem formellen, aber freundlichen Ton. Während er sprach, wanderte sein Blick immer wieder nervös zu seinem Handy, als er auf einen Anruf seiner Frau wartete.

Plötzlich stoppte Gina. Ihre grauen Augen fixierten ihn, ein Ausdruck von Überraschung und Verletztheit lag darin. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mir mal eine Gehaltserhöhung in dieser Höhe gegeben hätten, Mr. Bischoff“, sagte sie leise, ihre Stimme schwang vor Enttäuschung und Frustration.

Ihre letzte Gehaltserhöhung war zwei Jahre her, und sie betrug nur hundert Dollar. In ihrem Inneren kämpfte sie mit der Frage, ob Lukas mit ihrer Arbeit unzufrieden war.

Lukas, dessen Geduld bereits durch die Sorgen um das Unternehmen und seine Familie strapaziert war, sah von seinem Handy auf und sagte mit einem Hauch von Ärger: „Gina, Sie wissen, dass seine Frau schwer krank ist. Und er hat drei Kinder zu versorgen. Kinder kosten heutzutage ein Vermögen, und die Arztrechnungen tun ihr Übriges. Erinnern Sie sich an Ihren letzten Krankenhausaufenthalt? Ich habe damals Ihre Rechnung übernommen, damit Sie nicht Ihr Sparkonto plündern mussten“.

Gina senkte beschämt den Blick, erinnerte sich an die schwere Zeit und daran, wie Lukas ihr ohne zu zögern geholfen hatte. Ihre Finger spielten nervös mit einer Haarsträhne. „Ich wollte nicht andeuten, dass Sie ungerecht sind. Aber eine kleine Gehaltserhöhung würde auch mir sehr helfen. Mein Mann und ich planen, ein Haus mit Garten am Stadtrand zu kaufen...“.

Lukas' Blick wurde weicher. „Ich werde darüber nachdenken, Gina“, sagte er sanft, bevor er das Thema wechselte. „Haben Sie schon den Flug nach Berlin abgesagt?“.

Gina schüttelte den Kopf. „Nein, Mr. Bischoff. Ich finde, es wäre eine gute Idee, wenn Sie mit Ihrer Familie dieses Jahr zur Preisverleihung fliegen. Sie haben doch vor, in Europa ein Verlagshaus zu gründen. Warum nicht in Deutschland damit anfangen? Außerdem könnten Sie Ihre Wurzeln besuchen und neue Kontakte knüpfen“.

Lukas war überrascht von Ginas Direktheit, erkannte aber die Wahrheit in ihren Worten. „Vielleicht haben Sie recht, Gina. Zudem kann ich dieses Jahr nicht so einfach absagen, da ich ja selbst einer der Preisträger bin“.

Gina lächelte leicht, ihre Finger tanzten wieder über die Tastatur. „Die Flugtickets liegen auf Ihrem Schreibtisch. Hin- und Rückflug für zwei Erwachsene und ein Kind. Ein Hotelzimmer habe ich auch schon gebucht“.

Lukas drehte sich nachdenklich zum Fenster. „Ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, nach Deutschland zu fliegen. Hier gibt es viel zu tun, und die Welt ist gerade sehr unruhig“.

Gina legte ihre Hand auf seine Schulter. „Ich verstehe Ihre Bedenken, aber der Preis könnte unserem Verlag helfen, in Europa Fuß zu fassen. Ihre Familie und Freunde in Deutschland würden sich freuen, Sie zu sehen. Und Ihr Sohn könnte mehr über seine Wurzeln erfahren“.

Er seufzte tief. „Ja, das stimmt. Tante Agnes würde sich sicherlich über unseren Besuch freuen. Es ist lange her, seit wir das letzte Mal dort waren. Und Julian könnte Berlin sehen... Es wäre auch eine gute Gelegenheit, alte Freunde wie Sebastian wiederzusehen“.

Sie beobachtete, wie ein verträumtes Lächeln sein Gesicht erhellte. „Ich gehe dann mal davon aus, dass es bei dem Flug für morgen bleibt?“, fragte sie hoffnungsvoll.

Er nickte und machte sich auf den Weg zurück in sein Büro. „Ja, es bleibt dabei. Bringen Sie mir bitte noch einen Kaffee und ein paar gesalzene Kürbiskerne. Ich brauche dringend Nervennahrung“.

„Wie immer, schwarz, ohne Milch und Zucker?“, fragte Gina und verzog das Gesicht leicht.

„Genau“, bestätigte er. „Ach, und stellen Sie bitte noch eine Verbindung zu unserem Büro in Washington her. Mal sehen, was es Neues aus dem Weißen Haus gibt“.

Sie nickte und beobachtete, wie er die Tür hinter sich schloss. Schnell griff sie in ihre Handtasche und zog eine Visitenkarte hervor. Sie wählte die Nummer und flüsterte: „Ich bin es, Gina Brown“.

„Mrs. Brown, haben Sie ihn überzeugen können, nach Deutschland zu reisen?“, fragte eine forsche Stimme am anderen Ende.

„Ja, heute ist es mir endlich gelungen“, antwortete Gina erleichtert. „Er hat zugestimmt“.

„Gut gemacht“, kam die Antwort. „Jetzt muss ich nur sicherstellen, dass ihm und seiner Familie dort nichts geschieht. Es gibt Hinweise, dass sein Aufenthalt in Deutschland gefährlich sein könnte. Wir haben erfahren, dass unser Gegner etwas plant. Bleiben Sie wachsam“.

Gina schluckte schwer. „Was kann ich tun?“.

„Beten Sie, Mrs. Brown. Beten Sie, dass er sicher bleibt und die Wahrheit ans Licht kommt“.

Gina legte den Hörer auf, ihr Herz schlug schneller. Sie ahnte, dass diese Reise weit mehr bedeutete, als nur eine Preisverleihung zu besuchen. Die Schatten der Vergangenheit begannen sich über Lukas Bischoff und seine Familie zu legen, und sie konnte nur hoffen, dass sie alle unversehrt daraus hervorgehen würden.

*

Im Vatikan herrschte gespannte Erwartung, als Papst Evangelos eine mit Spannung erwartete Pressekonferenz abhielt. Das Konzil hatte gerade einige tiefgreifende Veränderungen in der Politik der römisch-katholischen Kirche beschlossen, die er nun der Welt verkünden wollte.

Die majestätischen Hallen des Vatikans, erfüllt von den murmelnden Stimmen der versammelten Journalisten, bildeten eine Kulisse, die sowohl historische Bedeutung als auch zeitlose Würde ausstrahlte.

Papst Evangelos, ein imposanter, sportlicher Mann, sah auf den ersten Blick jünger aus als seine achtundsechzig Jahre. Mit seiner würdevollen Erscheinung hätte man ihn eher auf einer Theaterbühne oder in einem Film erwartet. Seit drei Jahren stand er an der Spitze der katholischen Kirche und hatte sich in dieser Zeit einen Ruf als Reformer erarbeitet. Sein markantes Gesicht, umrahmt von weißem Haar, strahlte Entschlossenheit und eine tiefe innere Ruhe aus, die seine Zuhörer in den Bann zog.

Ein ungeduldiger Reporter stellte die erste Frage: „Wird die römisch-katholische Kirche nun Scheidungen akzeptieren oder bleibt sie bei ihrem Standpunkt, dass eine Scheidung gegen die kirchliche Ordnung verstößt?“.

Papst Evangelos wählte seine Worte mit Bedacht. „Die Kirche hält weiterhin an der Ehe zwischen Mann und Frau fest“, antwortete er, „doch niemand, der im Kirchendienst tätig ist oder werden möchte und sich hat scheiden lassen, wird ab heute dadurch benachteiligt oder seines Amtes enthoben“.

Ein anderer Reporter hakte skeptisch nach: „Gilt das für alle kirchlichen Institutionen?“.

„Ja, dieser Erlass gilt für alle Bereiche der Kirche“, entgegnete der Papst entschlossen. Innerlich wusste er, dass dies nur der erste Schritt einer Reihe von Reformen war, die die Kirche verzweifelt versuchte, um ihren angeschlagenen Ruf zu reparieren. Die Gedanken des Papstes wanderten zu den letzten Skandalen und dem Mitgliederschwund, die die Kirche erschüttert hatten. Ein Murmeln ging durch die Menge der Reporter, bis eine junge Frau laut fragte: „Wie steht es mit den Priestern? Wird das Zölibat endlich aufgehoben?“. Sie spielte auf die Missbrauchsskandale der jüngsten Vergangenheit an.

In diesem Moment kam der Sekretär des Papstes hastig hinzu, was den Papst von der heiklen Frage rettete. Das Konzil hatte nach eingehender Beratung entschieden, das Zölibat nicht aufzuheben. Der Sekretär, etwas größer und schlanker, seine braunen Haare schimmerten unter dem Birett hervor, sah den Papst mit seinen katzenartigen jadegrünen Augen ernst an.

Der Papst schwankte zwischen Verärgerung über die Unterbrechung und Erleichterung, mehr Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. „Hat der Koch etwa wieder die Suppe versalzen?“, fragte er, in Anspielung auf die jüngsten Missgeschicke in der Küche.

„Nein, viel schlimmer. Aus dem geheimen Privatarchiv des Vatikans wurde ein Buch entwendet!“, sagte der Sekretär mit zitternder Stimme.

Er hatte lange überlegt, ob er dem Papst sofort von dem Diebstahl berichten sollte. Die Anwesenheit der Presse machte es nicht leichter. Der Papst starrte ihn überrascht an, dann dämmerte es ihm. „Doch nicht etwa das Buch mit dem letzten Kapitel der Prophezeiungen des Sehers von Notre-Dame?“.

Der Sekretär schüttelte den Kopf. „Nein, viel schlimmer. Das Buch, welches nie geöffnet werden darf, zumindest nicht von einem anderen als dem Auserwählten selbst!“.

Papst Evangelos wurde blass und fühlte sich schwindelig. Einer der Reporter fragte besorgt: „Ist etwas passiert, Papst Evangelos?“.

„Nein, nein, meine Herren“, sagte der Papst beschwichtigend, „unser Koch hat wieder einmal die Suppe versalzen“. Es war die einzige Ausrede, die ihm schnell einfiel. „Ich werde mich persönlich darum kümmern. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich die Pressekonferenz unterbreche und auf morgen vertage“.

Ein Raunen ging durch den Saal, und die Reporter verließen kopfschüttelnd den Raum. In Gedanken sah Papst Evangelos schon die morgigen Schlagzeilen: „Koch wichtiger als Konzil“ oder „Papst und die versalzene Suppe“.

Nachdem die Reporter weg waren, brach die Fassade des Papstes. „Verdammt, wie konnte so etwas passieren?“, rief er wütend.

Der Sekretär zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Keine Einbruchsspuren, keine Hinweise. Es ist einfach weg“.

„Wissen Sie, was das bedeutet? Unser aller Untergang! Alles, was wir in den letzten Jahrhunderten getan haben, um das Schlimmste zu verhindern, ist dahin. Wir können nur hoffen, dass das Buch nicht in falsche Hände gerät!“, sagte der Papst verzweifelt.

Der Sekretär starrte ihn fassungslos an. „Was gedenken Sie jetzt zu unternehmen?“.

Der Papst sah aus dem Fenster, den Rosenkranz in der Hand, und antwortete leise: „Beten und hoffen, dass die Prophezeiung des großen Sehers eintrifft. Nur ein Nachkomme des Königs der Könige kann das Unheil aufhalten“.

„Gibt es keine andere Möglichkeit?“, fragte der Sekretär schüchtern.

Der Papst drehte sich um. „Soweit ich weiß, nein. In den unzugänglichen Versen ist kein Hinweis darauf. Wenn es keinen Nachkommen gibt oder dieser es nicht schafft, dann kann uns nur noch ein biblisches Wunder retten“.

Der Sekretär nickte und verließ eilig den Raum. Papst Evangelos blieb einen Moment lang stehen, den Rosenkranz fest in der Hand. „Möge Gott uns beistehen“, murmelte er, bevor er sich auf den Weg machte, die größte Herausforderung seines Lebens anzunehmen.

2

Am Abend saß Lukas zusammen mit seiner Frau Brooke und ihrem Sohn Julian am Esstisch beim Abendessen. Das warme Licht der Lampe schuf eine gemütliche Atmosphäre und warf sanfte Schatten auf ihre Gesichter. An jenem Tag war Brooke besonders froh, dass ihr Mann mit ihnen am Tisch saß. Sie hatte ihn in letzter Zeit sehr selten gesehen, da beide viel arbeiteten.

Lukas war häufig beruflich im Ausland unterwegs, während Brooke als Immobilienmaklerin viele Stunden täglich damit verbrachte, fremde Leute durch halb New York zu führen. Um fit zu bleiben, ging sie jeden Abend eine Stunde im Central Park joggen, wo sie die majestätischen Bäume und den beruhigenden Anblick des Sees genoss.

Brooke war von Herzen froh, dass ihr Vater das Unternehmen nicht ihr, sondern Lukas vererbt hatte. Sie war nicht dafür geschaffen, viel Zeit nur sitzend in einem Büro zu verbringen oder durch die halbe Welt zu reisen. Sie war glücklich damit, in New York umherzuwandern und anderen die Architektur der Stadt zu zeigen.

Mit vierzig Jahren blickte sie auf eine erfolgreiche Karriere zurück, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass das Familienleben zu kurz kam. Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und beobachtete liebevoll ihren Sohn, der mit strahlenden Augen von seinem Tag erzählte.

Während Lukas sein Steak nachsalzte, erzählte der sechsjährige Julian lebhaft von seinem Schultag. Brooke brachte eine Schüssel Salat aus der Küche und stellte sie auf den Tisch. Lukas liebte Salat, und auch Julian hatte diese Vorliebe geerbt. Sie achteten immer darauf, dass Julian abwechslungsreiche und gesunde Nahrung zu sich nahm. Frisches Gemüse war ein fester Bestandteil ihrer Mahlzeiten, während Süßigkeiten eine seltene Ausnahme blieben.

„Ich weiß gar nicht, was ich für unsere Reise alles einpacken soll...“, sagte Brooke, während sie die Schüssel in die Mitte des Tisches schob. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Vorfreude und Sorge.

Lukas nahm einen Schluck Wein und lächelte. „Es ist ja nur für eine Woche, Schatz. So viel brauchen wir nicht“.

Brooke setzte sich und ihre blauen Augen blitzten auf. „Schatz, ich kenne dich. Du ziehst dich wieder mindestens dreimal am Tag um und verteilst deine Kleidung überall. Ich sehe doch, wie viel Wäsche ich täglich zu waschen habe...“.

Julian lachte. „Jetzt weiß ich, von wem ich das habe, Mom!“.

Lukas wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. „Das ist keine Vererbung, junger Mann. Du hast vielleicht meine Haarfarbe und Augen geerbt, aber das ständige Umziehen liegt daran, dass du ständig im Garten nach Regenwürmern suchst“.

Brooke kicherte. Sie erinnerte sich daran, wie Lukas' Mutter ihr erzählte, dass alle Männer der Familie diesen Tick hatten. Beim ersten Treffen mit Lukas' Eltern hatte sich sein Vater zweimal umgezogen, bevor er zufrieden war.

„Siehst du, selbst wenn dein Vater selten da ist, weiß er, was du den ganzen Tag anstellst“, sagte sie zu Julian.

Julian gab sich geschlagen. „Dass Dad immer Recht haben muss...“.

„Das ist mein väterliches Vorrecht“, entgegnete Lukas verschmitzt. „Und nun wird es Zeit fürs Bett. Morgen wird ein anstrengender Tag“.

Lukas fand es wichtig, dass Julian früh ins Bett ging. „Lass ihn noch ein paar Minuten aufbleiben, Schatz. Er wird morgen im Flugzeug noch lange genug schlafen können...“, sagte Brooke sanft.

Er dachte nach und stimmte zu. „Du hast ja recht“.

„Ich weiß!“, sagte seine Frau selbstbewusst. Sie stellte ihm eine Schale mit Kürbiskernen hin und gab ihm einen Kuss.

Er erwiderte den Kuss und lobte den Salat. „Der Salat ist sehr lecker, vor allem das Dressing. Hast du es selbst gemacht?“.

„Ja, mit Joghurt und den Kräutern aus unserem Garten“, antwortete sie stolz. Hinter ihrem Haus hatten sie vor zwei Jahren einen Garten angelegt, in dem sie Kräuter und Gemüse anbauten. Brooke liebte es, sich am Wochenende darum zu kümmern.

Julian stand aufgeregt auf. „Kann ich noch etwas fernsehen?“. Er zupfte seiner Mutter am Ärmel ihres weißen Kleides. Er wusste, dass sein Vater es selten erlaubte, daher wandte er sich an Brooke.

„Ausnahmsweise, Julian“, erlaubte sie ihm und nahm sich etwas Salat. Lukas wollte gerade nachschöpfen, aber Brooke war schneller.

Als Julian weg war, erzählte Lukas von seinem Tag in der Firma, inklusive eines Gesprächs mit seiner Sekretärin.

„Ich kann Ginas Reaktion verstehen“, sagte Brooke. „Wie würdest du dich an ihrer Stelle fühlen?“.

„Du meinst, sie verdient eine Gehaltserhöhung?“.

„Nun ja, Lukas, wer dich den ganzen Tag ertragen muss, hat immer eine Gehaltserhöhung verdient“, scherzte sie.

Lukas legte seine Hand auf ihre. „Na ja, so schlimm bin ich nicht, nur manchmal...“.

„Mal im Ernst, Lukas. Denk doch mal darüber nach. Du hast mir erzählt, wie dein Vorgesetzter dich abgespeist hat, bevor du nach Amerika kamst“.

Lukas erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit seinem alten Chef. Er hatte um eine Gehaltserhöhung gebeten, aber nur einen Gehaltsvorschuss angeboten bekommen. Er hatte das Angebot abgelehnt und gekündigt.

„Stimmt“, sagte er nachdenklich. „Ich werde Gina nach unserer Rückkehr aus Berlin eine Gehaltserhöhung anbieten und mich für meine forsche Art entschuldigen“.

Brooke wusste, dass er diesen Schritt gehen würde. Sie wechselte das Thema. „Freust du dich auf Berlin? Es wird schön, deine Tante zu sehen, und das mal abseits von Feiertagen oder besonderen Anlässen“.

Lukas nickte. Es war lange her, dass er in Deutschland war. Er ahnte nicht, welches Abenteuer ihm dort bevorstand. Der Gedanke an seine Tante Agnes brachte ein Lächeln auf sein Gesicht. Sie war immer ein Lichtblick in seiner Kindheit gewesen.

Lukas sah den beiden nach, als sie das Zimmer verließen, und ein Gefühl von Zufriedenheit durchströmte ihn. Das Familienleben war manchmal chaotisch und herausfordernd, aber es war auch voller unersetzlicher Momente, die er nie missen wollte.

Er lehnte sich zurück, nahm einen weiteren Schluck Wein und dachte über die bevorstehende Reise nach Berlin nach. Es war nicht nur eine Gelegenheit, Familie zu sehen, sondern vielleicht auch ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen.

*

Am nächsten Morgen versammelten sich die wichtigsten Bischöfe und Kardinäle des Vatikans zu einem geheimen Treffen. Der große Besprechungssaal war erfüllt von aufgeregtem Gemurmel, als das Verschwinden des geheimen Buches das Thema war.

„Wir haben in sämtlichen Gemächern und allen Teilen des Gebäudes gesucht, doch vergebens. Das Buch ist und bleibt verschwunden“, erklärte der Papst mit besorgter Miene. Zusammen mit der Schweizer Garde hatten der Papst und sein Sekretär alle Räumlichkeiten der päpstlichen Residenz durchkämmt, sogar die Speisekammer und die unterirdischen Katakomben.

„Es gibt keine Spur, wie der Täter unerkannt den Vatikan betreten und wieder verlassen konnte. Wir stehen vor einem Rätsel…“, ergänzte der Sekretär.

Eine bedrückende Stille legte sich über den Raum. Kardinal Gallo schluckte schwer. „Das ist das schlimmste Ereignis seit dem mysteriösen Verschwinden von Emanuela Orlandi“, sagte er erschüttert.

Der afrikanische Kardinal Obuso brach das Schweigen. „Dann müssen wir wohl den Tatsachen ins Auge sehen. Unser aller Ende steht bevor“.

Plötzlich erhob sich Bischof Greenwood aus Großbritannien. „Nicht ganz. Eine Chance bleibt uns: die Erfüllung der Prophezeiung aus dem Buch der Bücher!“, entgegnete er.

„Fraglich ist nur, ob es sich dabei wirklich um eine Prophezeiung oder um das Sinnbild eines bereits geschehenen Ereignisses handelt. Vielleicht wurde es einfach nur im Laufe der Zeit falsch interpretiert, wie so viele mystische Texte. Wir müssen nach jemandem aus dem Hause Davids suchen, wenn wir erfahren wollen, ob es sich wirklich um eine Prophezeiung handelt“, erwiderte Obuso.

Der Papst senkte nachdenklich den Kopf. „Wenn das Geschlecht Davids nicht doch ausgestorben ist. Es gibt keinen Beweis dafür, dass es noch einen Nachfahren gibt. Ich fürchte, dies ist unser aller Ende, wenn wir keinen Hinweis finden“.

„Warum aufgeben?“, sagte Kardinal Obuso entschlossen. „Wenn wir die Wahrheit nicht kennen, müssen wir die besten Detektive unserer Länder damit beauftragen, einen Nachfahren ausfindig zu machen“.

Bischof Greenwood kratzte sich nervös am Kopf. „Was das bedeutet, wissen wir alle. Das Ende der Kirche. Wenn bekannt wird, dass wir jahrhundertelang nicht die Wahrheit gesagt haben, wird die Kirche in Verruf geraten. Wenn zudem bekannt wird, dass die Kirche im Zweiten Weltkrieg das Böse für ihre eigenen Zwecke genutzt hat, verlieren wir womöglich noch mehr an Glaubwürdigkeit. Die Folgen könnten katastrophal sein. Die Kirche könnte in der Bedeutungslosigkeit versinken!“.

Papst Evangelos schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. „Selbstmitleid bringt uns hier nicht weiter. Das Schicksal der Menschheit steht auf dem Spiel. Wenn es noch einen Nachfahren gibt, dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Unsere Vorgänger haben schon mehr als einmal versucht, die Existenz eines möglichen Nachfahren zu verheimlichen. Das war ein Fehler. Die Kirche hat im Zweiten Weltkrieg das Böse nicht aufgehalten, sondern genutzt. Die Folgen sind bis heute verheerend. Wenn das Buch vom Bösen geöffnet wird, sind wir alle verloren. Europa steht bereits am Scheideweg und andere Länder sind nicht weit entfernt. Die Büchse der Pandora ist bereits geöffnet. Gelingt es uns nicht, sie zu schließen und das Buch wieder in die Obhut des Hauses Davids zu bringen, droht ein noch schlimmerer Krieg. Ein weiterer Weltkrieg muss verhindert werden! Jetzt heißt es handeln, bevor es zu spät ist!“.

„Wie können wir handeln, wenn wir nicht einmal genau wissen, welche Gefahr uns droht?“, fragte Bischof Greenwood ernst.