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Lukas Bischoff reist anlässlich einer Preisverleihung von New York in sein Geburtsland Deutschland. Auf der Preisverleihung begegnet er einem Priester, der ihm sagt, dass er in Gefahr sei. Wenig später stirbt der Priester unter mysteriösen Umständen...
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
© 2024 Sven Theiner. Flurstraße 34, 40885 Ratingen
Umschlagsgestaltung: Sven Theiner
Vertriebspartner: Tolino Media
Lektorat: Melanie Jacobi
Printed in Germany
Nachdruck, Kopie, Verkauf oder Vervielfältigung
nur durch Genehmigung des Autors
´Quid sit futurum cras, fuge quaerere. Ut sementum feceris, ita metes. ´
Widmung
Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die für Freiheit, Gleichheit und Demokratie ihr Leben ließen, ohne dabei selbst Blut zu vergießen.
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mich bei der Veröffentlichung des Buches unterstützt haben und meine Launen während der Schreibarbeiten geduldig ertragen haben.
Ich danke meiner Familie, insbesondere Sonja, Dirk, Ole, Kasia, Beate, Tom, Jens, Klaus, Gabi, Mustafa und allen, die in den letzten Jahren zu mir standen, in guten, wie auch in schlechten Zeiten.
Mein besonderer Dank gilt Melanie Jacobi, die sich als Lektorin freiwillig zur Verfügung gestellt hat, sowie Bianca Hoffmann, Simone Köller, Ulrich Gotzhein und Andrea Globisch, insbesondere Herrn Czerwonka und Frau Tuschen, ohne deren Unterstützung und Zuspruch dieses Buch wohl nicht geschrieben worden wäre.
Auch ich bin ein sterblicher Mensch wie alle anderen, ein Nachkomme des ersten aus Erde geschaffenen Menschen, und bin Fleisch, im Mutterleib zehn Monate gebildet. Auch ich habe, als ich geboren war, Atem geholt aus der Luft, die allen gemeinsam ist, und bin gefallen auf die Erde, die alle in gleicher Weise trägt; und Weinen ist wie bei den anderen mein erster Laut gewesen, und bin in Windeln gelegt und voll Fürsorge aufgezogen worden. Denn auch kein König hatte jemals einen anderen Anfang seines Lebens sondern sie haben alle denselben Eingang in das Leben und auch den gleichen Ausgang. Deshalb betete ich, und mir wurde Einsicht gegeben; ich rief den Herrn an, und der Geist der Weisheit kam zu mir.
(Die Weisheit Salomos, Kapitel 7, Vers 1 -7)
Prolog
Berlin, 30. April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Ein heftiger Sturm fegte durch die zerbombten Ruinen der Stadt. Der Wind heulte wie ein verlorenes, gequältes Wesen durch die Straßen, und das entfernte Donnergrollen klang wie das unaufhörliche Echo eines entsetzlichen Unwetters.
Die Stadt war ein einziges Trümmerfeld. Überall lagen die Überreste zerstörter Gebäude, als hätte ein gigantisches Erdbeben alles dem Erdboden gleichgemacht. An den Straßenrändern lagen Tote, achtlos aufgebahrt. Dichter Nebel umhüllte die Stadt, wie ein trauernder Schleier, der die grausamen Spuren des Krieges verdeckte.
Im unbeschädigten Teil des Westflügels der Charité stand Hauptmann Förster und beobachtete aus sicherer Entfernung eine junge Frau. Sie kümmerte sich mit einer Hingabe, die fast an Fürsorglichkeit grenzte, um die Verletzten. Einige lagen auf notdürftig aufgestellten Pritschen und alten Matratzen im Flur des Ganges, ihr Leid war greifbar.
Hauptmann Förster, ein stattlicher Mann mit katzengrünen Augen, blickte immer wieder nervös auf seine Armbanduhr. Etwas in ihm brodelte – eine Mischung aus Erwartung und Angst. Seine Hände zitterten leicht, als er seufzend eine Zigarette und eine Packung Streichhölzer aus der Innentasche seiner Uniform zog. Beim Anzünden der Zigarette verbrannte er sich fast die Finger. Der Rauch bot einen flüchtigen Trost, während er in die karge, hoffnungslose Szenerie blickte.
Gerade als er sich umdrehen wollte, um zur Tür hinauszugehen, rannte ein hochgewachsener Soldat auf ihn zu. Der junge Mann war außer Atem, sein Helm verrutscht, sodass seine kurzen, blonden Haare zum Vorschein kamen.
„Es ist vollbracht, Herr Hauptmann!“, keuchte er und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Seine haselnussbraunen Augen sahen müde, aber erleichtert aus.
„Endlich, Feldwebel Köhler!“, sagte der Hauptmann in einem Ton, der strenge Erleichterung verriet. „Ist alles nach Plan verlaufen?“.
„Ja, genau wie Sie es sich gedacht haben. Morgen wird es die ganze Welt wissen. Niemand wird jemals die volle Wahrheit über die heutigen Geschehnisse erfahren. Sämtliche Spuren sind verwischt“.
Ein tiefer Seufzer entfuhr Hauptmann Förster. „War es schwer, ihn davon zu überzeugen?“, fragte er, während sein Blick sehnsüchtig auf der jungen Krankenschwester ruhte. Köhler bemerkte die unübersehbare Zuneigung in den Augen des Hauptmanns, die er stets zu leugnen versucht hatte.
„Nein, Herr Hauptmann. Sie hat ohne zu zögern eingewilligt und die Tabletten eingenommen. Danach habe ich ihren geliebten Ehemann unbemerkt erschossen. Er hat nicht einmal bemerkt, dass ich eine Waffe bei mir hatte“. Köhler, ein früherer Psychotherapeut, war geschickt darin, Menschen zu manipulieren. Doch nun war er erfüllt von einer traurigen Einsamkeit, da es niemanden gab, dem er von seiner Tat erzählen konnte.
Mit einem zufriedenen Lächeln klopfte der Hauptmann ihm auf die Schulter. „Gut gemacht. Die Welt hat nun ein Problem weniger. Traurig ist nur, dass es anderen nicht schon früher gelungen ist, bevor dieser Wahnsinn begann. Haben Sie die Dokumente gut versteckt und die Berichte über den Bombenanschlag in Kreuzberg vernichtet?“.
„Ja, das habe ich“, sagte Köhler und deutete auf die junge Krankenschwester. „Werden Sie ihr von dem Geheimnis ihrer Familie erzählen?“.
Der Hauptmann schwieg einen Moment. „Es ist besser, wenn sie nichts davon erfährt. Ihre Eltern und ihre jüngsten Geschwister konnte ich nicht retten. Doch zumindest Elisabeth und ihren Bruder Jonathan konnte ich vor diesem Wahnsinnigen bewahren. Wenn sie jemals erfährt, warum diese schrecklichen Ereignisse geschehen sind, wäre sie in großer Gefahr. Das möchte ich um jeden Preis vermeiden. So besteht zumindest die Hoffnung, dass eines Tages einer ihrer Nachkommen die Wahrheit herausfindet und sich seiner Bestimmung stellt. Auch auf die Gefahr hin, dass irgendwann meine Mitschuld offenbar wird. Doch nur so lässt sich das kommende Unheil vielleicht noch abwenden“.
Köhler sah ihn überrascht an. „Sie können Elisabeth und ihre Nachkommen nicht ihr ganzes Leben lang beschützen, auch wenn Sie den Rest Ihres Lebens mit ihr verbringen. Eines Tages werden auch Sie sterben...“.
„Wer sagt denn, dass ich das vorhabe? Es stimmt, ich liebe sie. Doch ich bin gebrandmarkt. An meinen Händen klebt Blut, genau wie an den Händen dieses Teufels, dessen wir uns heute entledigt haben. Mit mir an ihrer Seite würde sie niemals glücklich werden. Ich trage Mitschuld am Tod ihrer Eltern und Geschwister. Durch meine Hand wurde die Bombe in Kreuzberg gezündet. Er hätte sonst Verdacht geschöpft. Ich gebe Elisabeth frei, damit sie mit einem anderen glücklich werden kann“.
Köhler war erstaunt. „Sind Sie wirklich sicher, dass ihre Familie das kommende Unheil aufhalten kann?“.
„Ja, die Ergebnisse der Blutproben sind eindeutig“. Förster hielt ein Reagenzglas mit Blut und einige Seiten eines Berichts in der Hand.
„Wie soll der Auserkorene erfahren, dass nur er für die Rettung so vieler Menschen bestimmt ist?“.
„Er wird es wissen und fühlen, wenn es soweit ist. Die Kirche hat viel Macht, aber er wird überlegener sein. Die Zukunft der Kirchen wird von ihm abhängen. Wenn es soweit ist, wird er die Kleriker in ihre Schranken weisen. Sie werden für ihre Verfälschung der wahren Geschichte und ihre Unterstützung des Teufels zur Rechenschaft gezogen. Die Kirchenoberhäupter hatten nicht das Recht, den Verantwortlichen für diese Gräueltaten zu schützen, nur um ihre Fehlbarkeit zu verbergen. Ihre Schweigen und Angst vor Aufdeckung brachten Millionen Menschen in Gefahr. Doch eines Tages wird jemand kommen und für Gerechtigkeit sorgen. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. So wie es im Buch der Bücher geschrieben steht. Nur ein Nachkomme von Elisabeth kann verhindern, dass die letzten Siegel gebrochen und das Ende der Menschheit besiegelt wird“.
1
Neunundsechzig Jahre später, am frühen Morgen, stand Lukas Bischoff in seinem modernen Büro im Herzen von New York City, unweit von Ground Zero. Der Ort, der vor Jahren Schauplatz einer der größten Tragödien der Geschichte war, spiegelte in seinen Augen die Unbeständigkeit und die rasante Veränderung der Welt wider.
Die mächtigen Wolkenkratzer, die sich in den Himmel erhoben, schienen sowohl Zeugen vergangener Zeiten als auch Symbole für die unbeugsame Entschlossenheit einer Stadt, die niemals schläft.
Lukas, ein Mann Anfang vierzig, trug die Last seiner Erlebnisse in seinen stahlblauen Augen, die gleichermaßen von Entschlossenheit und einem Hauch von Melancholie durchzogen waren. Seine schwarzen Haare waren bereits von silbernen Strähnen durchzogen, ein stiller Zeuge der vergangenen Jahre voller Herausforderungen und Erfolge. Mit seinen markanten Gesichtszügen und der leicht gebeugten Haltung wirkte er wie jemand, der viel gesehen und noch mehr erlebt hatte.
Gina Brown, seine Sekretärin, saß an ihrem Schreibtisch und tippte unermüdlich auf ihrer Tastatur. Ihr konzentriertes Klappern hallte durch die weiten Flure des Gebäudes. Sie war eine schlanke Frau mit grauen Augen, die scharf und wachsam wirkten. Ihr Ausdruck verriet sowohl Professionalität als auch eine tiefe Loyalität gegenüber Lukas. Ihre braunen Haare fielen ihr locker auf die Schultern, während sie konzentriert arbeitete.
„...darum freut es uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir Ihr Gehalt zum Anfang des nächsten Monats um 500 Dollar erhöhen können!“, diktierte Lukas in einem formellen, aber freundlichen Ton. Während er sprach, wanderte sein Blick immer wieder nervös zu seinem Handy, als er auf einen Anruf seiner Frau wartete.
Plötzlich stoppte Gina. Ihre grauen Augen fixierten ihn, ein Ausdruck von Überraschung und Verletztheit lag darin. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mir mal eine Gehaltserhöhung in dieser Höhe gegeben hätten, Mr. Bischoff“, sagte sie leise, ihre Stimme schwang vor Enttäuschung und Frustration.
Ihre letzte Gehaltserhöhung war zwei Jahre her, und sie betrug nur hundert Dollar. In ihrem Inneren kämpfte sie mit der Frage, ob Lukas mit ihrer Arbeit unzufrieden war.
Lukas, dessen Geduld bereits durch die Sorgen um das Unternehmen und seine Familie strapaziert war, sah von seinem Handy auf und sagte mit einem Hauch von Ärger: „Gina, Sie wissen, dass seine Frau schwer krank ist. Und er hat drei Kinder zu versorgen. Kinder kosten heutzutage ein Vermögen, und die Arztrechnungen tun ihr Übriges. Erinnern Sie sich an Ihren letzten Krankenhausaufenthalt? Ich habe damals Ihre Rechnung übernommen, damit Sie nicht Ihr Sparkonto plündern mussten“.
Gina senkte beschämt den Blick, erinnerte sich an die schwere Zeit und daran, wie Lukas ihr ohne zu zögern geholfen hatte. Ihre Finger spielten nervös mit einer Haarsträhne. „Ich wollte nicht andeuten, dass Sie ungerecht sind. Aber eine kleine Gehaltserhöhung würde auch mir sehr helfen. Mein Mann und ich planen, ein Haus mit Garten am Stadtrand zu kaufen...“.
Lukas' Blick wurde weicher. „Ich werde darüber nachdenken, Gina“, sagte er sanft, bevor er das Thema wechselte. „Haben Sie schon den Flug nach Berlin abgesagt?“.
Gina schüttelte den Kopf. „Nein, Mr. Bischoff. Ich finde, es wäre eine gute Idee, wenn Sie mit Ihrer Familie dieses Jahr zur Preisverleihung fliegen. Sie haben doch vor, in Europa ein Verlagshaus zu gründen. Warum nicht in Deutschland damit anfangen? Außerdem könnten Sie Ihre Wurzeln besuchen und neue Kontakte knüpfen“.
Lukas war überrascht von Ginas Direktheit, erkannte aber die Wahrheit in ihren Worten. „Vielleicht haben Sie recht, Gina. Zudem kann ich dieses Jahr nicht so einfach absagen, da ich ja selbst einer der Preisträger bin“.
Gina lächelte leicht, ihre Finger tanzten wieder über die Tastatur. „Die Flugtickets liegen auf Ihrem Schreibtisch. Hin- und Rückflug für zwei Erwachsene und ein Kind. Ein Hotelzimmer habe ich auch schon gebucht“.
Lukas drehte sich nachdenklich zum Fenster. „Ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, nach Deutschland zu fliegen. Hier gibt es viel zu tun, und die Welt ist gerade sehr unruhig“.
Gina legte ihre Hand auf seine Schulter. „Ich verstehe Ihre Bedenken, aber der Preis könnte unserem Verlag helfen, in Europa Fuß zu fassen. Ihre Familie und Freunde in Deutschland würden sich freuen, Sie zu sehen. Und Ihr Sohn könnte mehr über seine Wurzeln erfahren“.
Er seufzte tief. „Ja, das stimmt. Tante Agnes würde sich sicherlich über unseren Besuch freuen. Es ist lange her, seit wir das letzte Mal dort waren. Und Julian könnte Berlin sehen... Es wäre auch eine gute Gelegenheit, alte Freunde wie Sebastian wiederzusehen“.
Sie beobachtete, wie ein verträumtes Lächeln sein Gesicht erhellte. „Ich gehe dann mal davon aus, dass es bei dem Flug für morgen bleibt?“, fragte sie hoffnungsvoll.
Er nickte und machte sich auf den Weg zurück in sein Büro. „Ja, es bleibt dabei. Bringen Sie mir bitte noch einen Kaffee und ein paar gesalzene Kürbiskerne. Ich brauche dringend Nervennahrung“.
„Wie immer, schwarz, ohne Milch und Zucker?“, fragte Gina und verzog das Gesicht leicht.
„Genau“, bestätigte er. „Ach, und stellen Sie bitte noch eine Verbindung zu unserem Büro in Washington her. Mal sehen, was es Neues aus dem Weißen Haus gibt“.
Sie nickte und beobachtete, wie er die Tür hinter sich schloss. Schnell griff sie in ihre Handtasche und zog eine Visitenkarte hervor. Sie wählte die Nummer und flüsterte: „Ich bin es, Gina Brown“.
„Mrs. Brown, haben Sie ihn überzeugen können, nach Deutschland zu reisen?“, fragte eine forsche Stimme am anderen Ende.
„Ja, heute ist es mir endlich gelungen“, antwortete Gina erleichtert. „Er hat zugestimmt“.
„Gut gemacht“, kam die Antwort. „Jetzt muss ich nur sicherstellen, dass ihm und seiner Familie dort nichts geschieht. Es gibt Hinweise, dass sein Aufenthalt in Deutschland gefährlich sein könnte. Wir haben erfahren, dass unser Gegner etwas plant. Bleiben Sie wachsam“.
Gina schluckte schwer. „Was kann ich tun?“.
„Beten Sie, Mrs. Brown. Beten Sie, dass er sicher bleibt und die Wahrheit ans Licht kommt“.
Gina legte den Hörer auf, ihr Herz schlug schneller. Sie ahnte, dass diese Reise weit mehr bedeutete, als nur eine Preisverleihung zu besuchen. Die Schatten der Vergangenheit begannen sich über Lukas Bischoff und seine Familie zu legen, und sie konnte nur hoffen, dass sie alle unversehrt daraus hervorgehen würden.
*
Im Vatikan herrschte gespannte Erwartung, als Papst Evangelos eine mit Spannung erwartete Pressekonferenz abhielt. Das Konzil hatte gerade einige tiefgreifende Veränderungen in der Politik der römisch-katholischen Kirche beschlossen, die er nun der Welt verkünden wollte.
Die majestätischen Hallen des Vatikans, erfüllt von den murmelnden Stimmen der versammelten Journalisten, bildeten eine Kulisse, die sowohl historische Bedeutung als auch zeitlose Würde ausstrahlte.
Papst Evangelos, ein imposanter, sportlicher Mann, sah auf den ersten Blick jünger aus als seine achtundsechzig Jahre. Mit seiner würdevollen Erscheinung hätte man ihn eher auf einer Theaterbühne oder in einem Film erwartet. Seit drei Jahren stand er an der Spitze der katholischen Kirche und hatte sich in dieser Zeit einen Ruf als Reformer erarbeitet. Sein markantes Gesicht, umrahmt von weißem Haar, strahlte Entschlossenheit und eine tiefe innere Ruhe aus, die seine Zuhörer in den Bann zog.
Ein ungeduldiger Reporter stellte die erste Frage: „Wird die römisch-katholische Kirche nun Scheidungen akzeptieren oder bleibt sie bei ihrem Standpunkt, dass eine Scheidung gegen die kirchliche Ordnung verstößt?“.
Papst Evangelos wählte seine Worte mit Bedacht. „Die Kirche hält weiterhin an der Ehe zwischen Mann und Frau fest“, antwortete er, „doch niemand, der im Kirchendienst tätig ist oder werden möchte und sich hat scheiden lassen, wird ab heute dadurch benachteiligt oder seines Amtes enthoben“.
Ein anderer Reporter hakte skeptisch nach: „Gilt das für alle kirchlichen Institutionen?“.
„Ja, dieser Erlass gilt für alle Bereiche der Kirche“, entgegnete der Papst entschlossen. Innerlich wusste er, dass dies nur der erste Schritt einer Reihe von Reformen war, die die Kirche verzweifelt versuchte, um ihren angeschlagenen Ruf zu reparieren. Die Gedanken des Papstes wanderten zu den letzten Skandalen und dem Mitgliederschwund, die die Kirche erschüttert hatten. Ein Murmeln ging durch die Menge der Reporter, bis eine junge Frau laut fragte: „Wie steht es mit den Priestern? Wird das Zölibat endlich aufgehoben?“. Sie spielte auf die Missbrauchsskandale der jüngsten Vergangenheit an.
In diesem Moment kam der Sekretär des Papstes hastig hinzu, was den Papst von der heiklen Frage rettete. Das Konzil hatte nach eingehender Beratung entschieden, das Zölibat nicht aufzuheben. Der Sekretär, etwas größer und schlanker, seine braunen Haare schimmerten unter dem Birett hervor, sah den Papst mit seinen katzenartigen jadegrünen Augen ernst an.
Der Papst schwankte zwischen Verärgerung über die Unterbrechung und Erleichterung, mehr Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. „Hat der Koch etwa wieder die Suppe versalzen?“, fragte er, in Anspielung auf die jüngsten Missgeschicke in der Küche.
„Nein, viel schlimmer. Aus dem geheimen Privatarchiv des Vatikans wurde ein Buch entwendet!“, sagte der Sekretär mit zitternder Stimme.
Er hatte lange überlegt, ob er dem Papst sofort von dem Diebstahl berichten sollte. Die Anwesenheit der Presse machte es nicht leichter. Der Papst starrte ihn überrascht an, dann dämmerte es ihm. „Doch nicht etwa das Buch mit dem letzten Kapitel der Prophezeiungen des Sehers von Notre-Dame?“.
Der Sekretär schüttelte den Kopf. „Nein, viel schlimmer. Das Buch, welches nie geöffnet werden darf, zumindest nicht von einem anderen als dem Auserwählten selbst!“.
Papst Evangelos wurde blass und fühlte sich schwindelig. Einer der Reporter fragte besorgt: „Ist etwas passiert, Papst Evangelos?“.
„Nein, nein, meine Herren“, sagte der Papst beschwichtigend, „unser Koch hat wieder einmal die Suppe versalzen“. Es war die einzige Ausrede, die ihm schnell einfiel. „Ich werde mich persönlich darum kümmern. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich die Pressekonferenz unterbreche und auf morgen vertage“.
Ein Raunen ging durch den Saal, und die Reporter verließen kopfschüttelnd den Raum. In Gedanken sah Papst Evangelos schon die morgigen Schlagzeilen: „Koch wichtiger als Konzil“ oder „Papst und die versalzene Suppe“.
Nachdem die Reporter weg waren, brach die Fassade des Papstes. „Verdammt, wie konnte so etwas passieren?“, rief er wütend.
Der Sekretär zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Keine Einbruchsspuren, keine Hinweise. Es ist einfach weg“.
„Wissen Sie, was das bedeutet? Unser aller Untergang! Alles, was wir in den letzten Jahrhunderten getan haben, um das Schlimmste zu verhindern, ist dahin. Wir können nur hoffen, dass das Buch nicht in falsche Hände gerät!“, sagte der Papst verzweifelt.
Der Sekretär starrte ihn fassungslos an. „Was gedenken Sie jetzt zu unternehmen?“.
Der Papst sah aus dem Fenster, den Rosenkranz in der Hand, und antwortete leise: „Beten und hoffen, dass die Prophezeiung des großen Sehers eintrifft. Nur ein Nachkomme des Königs der Könige kann das Unheil aufhalten“.
„Gibt es keine andere Möglichkeit?“, fragte der Sekretär schüchtern.
Der Papst drehte sich um. „Soweit ich weiß, nein. In den unzugänglichen Versen ist kein Hinweis darauf. Wenn es keinen Nachkommen gibt oder dieser es nicht schafft, dann kann uns nur noch ein biblisches Wunder retten“.
Der Sekretär nickte und verließ eilig den Raum. Papst Evangelos blieb einen Moment lang stehen, den Rosenkranz fest in der Hand. „Möge Gott uns beistehen“, murmelte er, bevor er sich auf den Weg machte, die größte Herausforderung seines Lebens anzunehmen.
2
Am Abend saß Lukas zusammen mit seiner Frau Brooke und ihrem Sohn Julian am Esstisch beim Abendessen. Das warme Licht der Lampe schuf eine gemütliche Atmosphäre und warf sanfte Schatten auf ihre Gesichter. An jenem Tag war Brooke besonders froh, dass ihr Mann mit ihnen am Tisch saß. Sie hatte ihn in letzter Zeit sehr selten gesehen, da beide viel arbeiteten.
Lukas war häufig beruflich im Ausland unterwegs, während Brooke als Immobilienmaklerin viele Stunden täglich damit verbrachte, fremde Leute durch halb New York zu führen. Um fit zu bleiben, ging sie jeden Abend eine Stunde im Central Park joggen, wo sie die majestätischen Bäume und den beruhigenden Anblick des Sees genoss.
Brooke war von Herzen froh, dass ihr Vater das Unternehmen nicht ihr, sondern Lukas vererbt hatte. Sie war nicht dafür geschaffen, viel Zeit nur sitzend in einem Büro zu verbringen oder durch die halbe Welt zu reisen. Sie war glücklich damit, in New York umherzuwandern und anderen die Architektur der Stadt zu zeigen.
Mit vierzig Jahren blickte sie auf eine erfolgreiche Karriere zurück, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass das Familienleben zu kurz kam. Sie strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und beobachtete liebevoll ihren Sohn, der mit strahlenden Augen von seinem Tag erzählte.
Während Lukas sein Steak nachsalzte, erzählte der sechsjährige Julian lebhaft von seinem Schultag. Brooke brachte eine Schüssel Salat aus der Küche und stellte sie auf den Tisch. Lukas liebte Salat, und auch Julian hatte diese Vorliebe geerbt. Sie achteten immer darauf, dass Julian abwechslungsreiche und gesunde Nahrung zu sich nahm. Frisches Gemüse war ein fester Bestandteil ihrer Mahlzeiten, während Süßigkeiten eine seltene Ausnahme blieben.
„Ich weiß gar nicht, was ich für unsere Reise alles einpacken soll...“, sagte Brooke, während sie die Schüssel in die Mitte des Tisches schob. Ihr Gesicht zeigte eine Mischung aus Vorfreude und Sorge.
Lukas nahm einen Schluck Wein und lächelte. „Es ist ja nur für eine Woche, Schatz. So viel brauchen wir nicht“.
Brooke setzte sich und ihre blauen Augen blitzten auf. „Schatz, ich kenne dich. Du ziehst dich wieder mindestens dreimal am Tag um und verteilst deine Kleidung überall. Ich sehe doch, wie viel Wäsche ich täglich zu waschen habe...“.
Julian lachte. „Jetzt weiß ich, von wem ich das habe, Mom!“.
Lukas wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. „Das ist keine Vererbung, junger Mann. Du hast vielleicht meine Haarfarbe und Augen geerbt, aber das ständige Umziehen liegt daran, dass du ständig im Garten nach Regenwürmern suchst“.
Brooke kicherte. Sie erinnerte sich daran, wie Lukas' Mutter ihr erzählte, dass alle Männer der Familie diesen Tick hatten. Beim ersten Treffen mit Lukas' Eltern hatte sich sein Vater zweimal umgezogen, bevor er zufrieden war.
„Siehst du, selbst wenn dein Vater selten da ist, weiß er, was du den ganzen Tag anstellst“, sagte sie zu Julian.
Julian gab sich geschlagen. „Dass Dad immer Recht haben muss...“.
„Das ist mein väterliches Vorrecht“, entgegnete Lukas verschmitzt. „Und nun wird es Zeit fürs Bett. Morgen wird ein anstrengender Tag“.
Lukas fand es wichtig, dass Julian früh ins Bett ging. „Lass ihn noch ein paar Minuten aufbleiben, Schatz. Er wird morgen im Flugzeug noch lange genug schlafen können...“, sagte Brooke sanft.
Er dachte nach und stimmte zu. „Du hast ja recht“.
„Ich weiß!“, sagte seine Frau selbstbewusst. Sie stellte ihm eine Schale mit Kürbiskernen hin und gab ihm einen Kuss.
Er erwiderte den Kuss und lobte den Salat. „Der Salat ist sehr lecker, vor allem das Dressing. Hast du es selbst gemacht?“.
„Ja, mit Joghurt und den Kräutern aus unserem Garten“, antwortete sie stolz. Hinter ihrem Haus hatten sie vor zwei Jahren einen Garten angelegt, in dem sie Kräuter und Gemüse anbauten. Brooke liebte es, sich am Wochenende darum zu kümmern.
Julian stand aufgeregt auf. „Kann ich noch etwas fernsehen?“. Er zupfte seiner Mutter am Ärmel ihres weißen Kleides. Er wusste, dass sein Vater es selten erlaubte, daher wandte er sich an Brooke.
„Ausnahmsweise, Julian“, erlaubte sie ihm und nahm sich etwas Salat. Lukas wollte gerade nachschöpfen, aber Brooke war schneller.
Als Julian weg war, erzählte Lukas von seinem Tag in der Firma, inklusive eines Gesprächs mit seiner Sekretärin.
„Ich kann Ginas Reaktion verstehen“, sagte Brooke. „Wie würdest du dich an ihrer Stelle fühlen?“.
„Du meinst, sie verdient eine Gehaltserhöhung?“.
„Nun ja, Lukas, wer dich den ganzen Tag ertragen muss, hat immer eine Gehaltserhöhung verdient“, scherzte sie.
Lukas legte seine Hand auf ihre. „Na ja, so schlimm bin ich nicht, nur manchmal...“.
„Mal im Ernst, Lukas. Denk doch mal darüber nach. Du hast mir erzählt, wie dein Vorgesetzter dich abgespeist hat, bevor du nach Amerika kamst“.
Lukas erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit seinem alten Chef. Er hatte um eine Gehaltserhöhung gebeten, aber nur einen Gehaltsvorschuss angeboten bekommen. Er hatte das Angebot abgelehnt und gekündigt.
„Stimmt“, sagte er nachdenklich. „Ich werde Gina nach unserer Rückkehr aus Berlin eine Gehaltserhöhung anbieten und mich für meine forsche Art entschuldigen“.
Brooke wusste, dass er diesen Schritt gehen würde. Sie wechselte das Thema. „Freust du dich auf Berlin? Es wird schön, deine Tante zu sehen, und das mal abseits von Feiertagen oder besonderen Anlässen“.
Lukas nickte. Es war lange her, dass er in Deutschland war. Er ahnte nicht, welches Abenteuer ihm dort bevorstand. Der Gedanke an seine Tante Agnes brachte ein Lächeln auf sein Gesicht. Sie war immer ein Lichtblick in seiner Kindheit gewesen.
Lukas sah den beiden nach, als sie das Zimmer verließen, und ein Gefühl von Zufriedenheit durchströmte ihn. Das Familienleben war manchmal chaotisch und herausfordernd, aber es war auch voller unersetzlicher Momente, die er nie missen wollte.
Er lehnte sich zurück, nahm einen weiteren Schluck Wein und dachte über die bevorstehende Reise nach Berlin nach. Es war nicht nur eine Gelegenheit, Familie zu sehen, sondern vielleicht auch ein neues Kapitel in ihrem Leben zu beginnen.
*
Am nächsten Morgen versammelten sich die wichtigsten Bischöfe und Kardinäle des Vatikans zu einem geheimen Treffen. Der große Besprechungssaal war erfüllt von aufgeregtem Gemurmel, als das Verschwinden des geheimen Buches das Thema war.
„Wir haben in sämtlichen Gemächern und allen Teilen des Gebäudes gesucht, doch vergebens. Das Buch ist und bleibt verschwunden“, erklärte der Papst mit besorgter Miene. Zusammen mit der Schweizer Garde hatten der Papst und sein Sekretär alle Räumlichkeiten der päpstlichen Residenz durchkämmt, sogar die Speisekammer und die unterirdischen Katakomben.
„Es gibt keine Spur, wie der Täter unerkannt den Vatikan betreten und wieder verlassen konnte. Wir stehen vor einem Rätsel…“, ergänzte der Sekretär.
Eine bedrückende Stille legte sich über den Raum. Kardinal Gallo schluckte schwer. „Das ist das schlimmste Ereignis seit dem mysteriösen Verschwinden von Emanuela Orlandi“, sagte er erschüttert.
Der afrikanische Kardinal Obuso brach das Schweigen. „Dann müssen wir wohl den Tatsachen ins Auge sehen. Unser aller Ende steht bevor“.
Plötzlich erhob sich Bischof Greenwood aus Großbritannien. „Nicht ganz. Eine Chance bleibt uns: die Erfüllung der Prophezeiung aus dem Buch der Bücher!“, entgegnete er.
„Fraglich ist nur, ob es sich dabei wirklich um eine Prophezeiung oder um das Sinnbild eines bereits geschehenen Ereignisses handelt. Vielleicht wurde es einfach nur im Laufe der Zeit falsch interpretiert, wie so viele mystische Texte. Wir müssen nach jemandem aus dem Hause Davids suchen, wenn wir erfahren wollen, ob es sich wirklich um eine Prophezeiung handelt“, erwiderte Obuso.
Der Papst senkte nachdenklich den Kopf. „Wenn das Geschlecht Davids nicht doch ausgestorben ist. Es gibt keinen Beweis dafür, dass es noch einen Nachfahren gibt. Ich fürchte, dies ist unser aller Ende, wenn wir keinen Hinweis finden“.
„Warum aufgeben?“, sagte Kardinal Obuso entschlossen. „Wenn wir die Wahrheit nicht kennen, müssen wir die besten Detektive unserer Länder damit beauftragen, einen Nachfahren ausfindig zu machen“.
Bischof Greenwood kratzte sich nervös am Kopf. „Was das bedeutet, wissen wir alle. Das Ende der Kirche. Wenn bekannt wird, dass wir jahrhundertelang nicht die Wahrheit gesagt haben, wird die Kirche in Verruf geraten. Wenn zudem bekannt wird, dass die Kirche im Zweiten Weltkrieg das Böse für ihre eigenen Zwecke genutzt hat, verlieren wir womöglich noch mehr an Glaubwürdigkeit. Die Folgen könnten katastrophal sein. Die Kirche könnte in der Bedeutungslosigkeit versinken!“.
Papst Evangelos schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. „Selbstmitleid bringt uns hier nicht weiter. Das Schicksal der Menschheit steht auf dem Spiel. Wenn es noch einen Nachfahren gibt, dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Unsere Vorgänger haben schon mehr als einmal versucht, die Existenz eines möglichen Nachfahren zu verheimlichen. Das war ein Fehler. Die Kirche hat im Zweiten Weltkrieg das Böse nicht aufgehalten, sondern genutzt. Die Folgen sind bis heute verheerend. Wenn das Buch vom Bösen geöffnet wird, sind wir alle verloren. Europa steht bereits am Scheideweg und andere Länder sind nicht weit entfernt. Die Büchse der Pandora ist bereits geöffnet. Gelingt es uns nicht, sie zu schließen und das Buch wieder in die Obhut des Hauses Davids zu bringen, droht ein noch schlimmerer Krieg. Ein weiterer Weltkrieg muss verhindert werden! Jetzt heißt es handeln, bevor es zu spät ist!“.
„Wie können wir handeln, wenn wir nicht einmal genau wissen, welche Gefahr uns droht?“, fragte Bischof Greenwood ernst.
Kardinal Obuso entgegnete: „Egal welche Gefahr uns droht, das Buch muss wieder in den Besitz der Kirche. Die Siegel des Buches dürfen nicht von der Macht des Bösen geöffnet werden. Wir kennen die wirkliche Macht des Buches nicht“.
Papst Evangelos erhob sich aus seinem Stuhl. „Was habt Ihr jetzt vor?“, fragte Kardinal Le Clerk ihn.
Ruhig antwortete der Papst: „Zunächst werden wir die Präsidenten der sieben einflussreichsten Länder über die mögliche Gefahr informieren, damit wir so viele Menschen wie möglich retten können“.
„Wie wollt Ihr das anstellen, Eure Exzellenz? Europa hat seine eigenen Probleme, Amerika ebenso. China wird es wohl nicht interessieren, Japan hat sich von den Folgen des schweren Erdbebens noch nicht vollständig erholt. Russland zeigt sich streitlustig. Zwischen Israel und den Palästinensern wird die Lage immer bedrohlicher. Wie sollen wir uns in diesen Zeiten Gehör verschaffen, ohne unsere Geheimnisse zu verraten?“, wollte Bischof Wannheimer wissen.
Papst Evangelos setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm Stift und Papier und begann zu schreiben. „Wir werden von einem möglichen terroristischen Angriff durch unsere Geheimdienste berichten. Danach bleibt uns nur, auf ihre Reaktion zu warten und auf die Erfüllung der Prophezeiung zu hoffen“.
„Glauben Sie wirklich, dass die Oberhäupter der Welt Ihre Warnung ernst nehmen werden?“, warf Kardinal Obuso ein.
Evangelos hob den Kopf und sah ihn fast verzweifelt an. „Meine ganze Hoffnung liegt darin. Zu lange haben wir die Augen verschlossen und das Geheimnis gehütet. Es sind genug Menschen aller Religionen für dieses Geheimnis gestorben. Niemand kennt die Macht des Buches. Niemand kann garantieren, dass die alten Prophezeiungen nicht nur Geschichten sind. Doch ich hoffe inständig, dass sie stimmen. Ich bete, dass ein Nachfahre Davids den dringend benötigten Frieden bringt, bevor die Welt in Dunkelheit versinkt. In den Originaltexten aller heiligen Schriften ist nur einer im Stande, das drohende Unheil aufzuhalten!“.
„Gibt es keinen Hinweis auf ihn in den Schriften des großen Sehers aus Salon-de-Provence?“, fragte Bischof Wannheimer.
Evangelos seufzte. „Einige Seiten in dem Original sind verschollen. Niemand weiß, wo er sie zum Schutz versteckt hat. Wüssten wir, wo wir sie finden könnten, wäre meine Sorge nur halb so groß. Doch ich fürchte, sie bleiben verschollen. Die Suche danach war bisher ohne Ergebnis. Somit bleibt uns nur die Hoffnung“.
3
Erschöpft von der langen Anreise und mit müden Augen stellte Lukas die Koffer mitten im Schlafraum der luxuriösen Hotelsuite ab. Der Raum beeindruckte mit seinem Marmorfußboden, der eleganten Minibar, zwei großzügigen Schlafzimmern und einem modernen Badezimmer mit edlen Kacheln, Dusche und Badewanne. Auf den Nachttischen entdeckte er eine Bibel.
Während seine Frau sich im Bad frisch machte, wanderte Julian neugierig umher. Mit großen Augen blieb er vor einem Früchtekorb auf einem Holztisch stehen, nahm eine Banane heraus und begann sie zu schälen. Aus dem Nebenraum hörte man das schiefe Singen des Kindermädchens Ashley, die versuchte, einen Country-Song zu intonieren.
„Warum hast du eigentlich dem Pagen so viel Trinkgeld gegeben?“, fragte Brooke, während sie sich im Bad mit Parfüm einsprühte.
Lukas ließ sich erschöpft auf das Bett fallen und antwortete leicht trotzig: „Zuhause lasse ich schon andere für mich arbeiten, aber da kann ich wenigstens an der Bezahlung mitentscheiden. Im Urlaub möchte ich nicht geizig wirken, nur weil in Deutschland weniger Trinkgeld üblich ist. Außerdem glaube ich, stark genug zu sein, um ein paar Koffer selbst tragen zu können“.
Brooke kam aus dem Badezimmer, ihre goldenen Ohrringe funkelten im Licht. „Also gut, Schatz“, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln, „ich werde mir merken, dass du im Urlaub großzügig bist“.
Sie setzte sich auf die Bettkante und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. „Aber mal im Ernst Lukas, ich schätze deine Großzügigkeit wirklich. Es macht den Urlaub umso angenehmer".
Lukas lächelte zurück und griff nach ihrer Hand. „Ich will einfach sicherstellen, dass wir eine gute Zeit haben, ohne uns über solche Kleinigkeiten Gedanken machen zu müssen“.
Julian, der immer noch aufgeregt die Banane schälte, sah plötzlich aus dem Fenster. „Daddy, was ist das da draußen für ein komisches Tor mit der Kutsche und den Pferden obendrauf?“. Er deutete auf das majestätische Brandenburger Tor, das in der Morgensonne glänzte.
Lukas trat neben ihn und schaute hinaus. „Das ist das Brandenburger Tor. Bevor wir zur Preisverleihung gehen, können wir es uns aus der Nähe anschauen“.
Ashley, die das lebhafte Gespräch gehört hatte, kam lächelnd herein. „Das klingt nach einer tollen Idee! Ich begleite euch gerne“.
Brooke schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Was du nicht alles für heute Abend noch vorhast. Langsam gewinne ich den Eindruck, dass du dich vor der Preisverleihung drücken möchtest“.
Lukas spürte, wie sich eine leichte Spannung in ihm aufbaute. Die Gedanken an die bevorstehende Preisverleihung, die Aufmerksamkeit und die Erwartungen lasteten schwer auf seinen Schultern. Doch er wollte Brooke nicht enttäuschen. Sie hatte sich so sehr auf diesen Abend gefreut, erinnerte er sich an die Zeiten, als ihr Vater sie zu solchen Events mitgenommen hatte. Lukas wusste, wie sehr sie diese glamourösen Erlebnisse genoss.
„Ich kann mich nicht wirklich damit anfreunden, einen Preis zu bekommen“, gestand er leise, während er zu Brooke sah.
Brooke, die in ihrer Abendgarderobe traumhaft aussah, setzte sich auf einen Stuhl und nahm Lukas' Hand. „Sieh es doch als Anerkennung deiner Leistung, Schatz. Sei einfach mal stolz auf das, was du erreicht hast. Du hast eine Menge Gutes getan und bist ein Vorbild für unseren Sohn“.
Lukas dachte an die vielen wohltätigen Projekte, die er unterstützte, und fühlte sich innerlich wärmer. Vielleicht hatte Brooke recht, und er sollte sich einfach über die Auszeichnung freuen.
Er lächelte sie liebevoll an. „Du siehst wunderschön aus. Auf dich kann ich auf jeden Fall stolz sein“. Er gab ihr einen sanften Kuss und stand dann auf, um sich zu duschen und zu rasieren. Danach zog er ein frisches Hemd, ein weißes T-Shirt und eine schwarze Stoffhose an.
Gemeinsam machten sie sich mit Ashley und Julian auf den Weg zum Brandenburger Tor. Die majestätische Struktur faszinierte Julian, der unermüdlich Fragen stellte, während sie die Geschichte des Ortes erkundeten.
Nach dem Spaziergang kehrten Ashley und Julian ins Hotel zurück, während Lukas und Brooke sich auf den Weg zur Preisverleihung machten. Lukas fühlte sich nervös, aber auch ein wenig aufgeregt wegen der bevorstehenden Ereignisse.
*
Irgendwo in Spanien, zur genau gleichen Zeit, war Carmen Garcia damit beschäftigt, die Kirche Santa Lucia zu reinigen. Die monatelangen Renovierungsarbeiten waren endlich abgeschlossen, und die letzten Arbeiter hatten das Gebäude verlassen. Nun lag es an ihr, die Kirche in ihrem alten Glanz erstrahlen zu lassen, damit die Dorfbewohner ihr Gotteshaus wieder betreten konnten.
Die Santa Lucia, ein barockes Juwel aus dem Jahr 1686, hatte zwei Weltkriege und einen verheerenden Dachstuhlbrand in den frühen fünfziger Jahren überstanden. Damals war der Brand zum Glück schnell erkannt und gelöscht worden, und die Kirche wurde aufwendig restauriert. Seitdem waren keine größeren baulichen Veränderungen vorgenommen worden, bis vor zwei Jahren endlich die Entscheidung fiel, das alte Gebäude zu renovieren. Nach endlosen Diskussionen hatte die Gemeinde einige kleinere Modernisierungsarbeiten durchgeführt, die nun ebenfalls abgeschlossen waren.
Im inneren Raum der Kirche, nicht weit vom Altar und der Kanzel entfernt, standen sorgfältig geordnete Kerzen auf einem Tisch. Carmen entstaubte sie eine nach der anderen und stellte sie wieder an ihren ursprünglichen Platz. Dabei summte sie fröhlich vor sich hin, während sie den Staub vom Kirchenaltar wischte. Bevor sie die letzte Kerze nahm, um sie auf den Altar zu stellen, betrachtete sie stolz ihr Werk.
Mit frohem Mut griff sie nach der letzten Kerze und ging in Richtung Altar. Fast wäre sie über einen Farbeimer gestolpert, der von den Malerarbeiten übrig geblieben war und den sie bis jetzt übersehen hatte. Leise vor sich hin fluchend, stellte sie die Kerze auf den Altar und brachte den Farbeimer in die Abstellkammer.
Zurück in der Kirche nahm sie ihren Putzeimer und begann den Boden zu wischen. Sie war gerade fertig und wollte sich ihren Kittel ausziehen, als ihr einfiel, dass sie die Madonnenstatue an der rechten Wand vergessen hatte abzustauben. Sie drehte sich um, schnappte sich ihr Staubtuch und ging zur Statue. Plötzlich entdeckte sie einen roten Fleck auf dem Boden.
„Komisch“, murmelte sie zu sich selbst. „Ich habe hier doch gerade eben erst gewischt…“.
Sie ging zurück zu ihrem Wassereimer, nahm den nassen Lappen und wischte den Fleck weg. Doch kaum hatte sie den Aufnehmer zurück in den Eimer geworfen und war wieder zur Statue gegangen, sah sie bereits einen neuen roten Fleck unter der Statue.
Mit wachsendem Unbehagen blickte sie vom Boden zur Statue empor und schrak zurück. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, als sie erkannte, dass aus dem rechten Auge der Madonna langsam rote Flüssigkeit tropfte.
„Señor Alvarez, Señor Alvarez!“, rief sie aufgeregt.
Der Pater stürzte aus dem Hinterzimmer herbei, wo er gerade die Andacht für den kommenden Sonntag vorbereitete. „Was ist denn los, Señora Garcia? Haben Sie schon wieder eine Spinne gesehen?“, fragte er etwas verärgert, weil er ungern bei der Vorbereitung gestört wurde.
Carmen fuchtelte wild mit den Armen und ihrem Staubtuch. „Da, sehen Sie, Pater! Aus dem Auge der heiligen Madonna tropft Blut!“.
Der Pater sah erstaunt zur Statue. Dann rief er laut: „Oh Herr, ein Wunder ist geschehen, ein Wunder!“. Er sank betend auf die Knie, seine Augen voller Ehrfurcht und Staunen auf die blutende Statue gerichtet.
Das kleine Dorf würde bald in Aufruhr geraten, als sich die Nachricht vom Wunder in der Santa Lucia Kirche verbreitete. Gläubige aus der ganzen Umgebung würden strömen, um Zeuge des unerklärlichen Phänomens zu werden, das die Gemeinschaft in Ehrfurcht versetzte und Fragen über den Glauben und die göttliche Intervention aufwarf.
*
Der Abend bei den Global Business Awards war für Lukas tatsächlich ein voller Erfolg. Von den sechs zu vergebenden Preisen gewann er gleich zwei: in den Kategorien Innovation und als Geschäftsmann des Jahres wurde er als der Beste ausgezeichnet. Seine sehr emotionale Rede kam bei allen Anwesenden gut an. Auch wenn er es Brooke gegenüber nicht zugeben würde, war er sehr stolz auf sich und froh, dass er sich hatte überreden lassen zu der Preisverleihung zu fahren.
Nach der Preisverleihung wurde das Buffet eröffnet. Ein buntes Abendprogramm sollte dem imposanten Festakt folgen. Für viele Geschäftsleute war es die Gelegenheit, um sich auszutauschen. Perfekt, um freundschaftliche Worte miteinander zu wechseln oder neue Geschäftsbeziehungen aufzubauen.
„Ich gratuliere Ihnen, Mr. Bischoff“, sagte ein chinesischer Geschäftsmann zu Lukas am Buffet und verneigte sich ehrfürchtig vor ihm.
Eine Iranerin, die neben ihm gerade etwas vom Buffet nahm, beobachtete die Szene. Sie fragte ihn etwas ironisch: „Worin liegt eigentlich das Geheimnis Ihres Erfolges begründet, Mr. Bischoff?“.
Lukas nahm sich einen leeren Teller sowie Besteck vom Buffet. Er antwortete schlagfertig: „Das lässt sich schwer sagen. Vielleicht, dass ich nicht so profitgierig bin, wie andere. Sicherlich auch, weil ich motivierte Mitarbeiter habe. Meine Angestellten sind finanziell am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Sie bekommen für ihre Arbeit gute Löhne, so dass sie nicht nur ihre laufenden Rechnungen bezahlen, sondern noch etwas zur Seite legen und gut davon leben können!“
„Sie investieren also mehr in Ihre Mitarbeiter, als in die Firma?“, interpretierte der chinesische Geschäftsmann seine Worte erstaunt.
Lukas schmunzelte. „Jedenfalls mehr, als in der Branche üblich. Der Erfolg eines Unternehmens hängt von der Motivation seiner Mitarbeiter ab. Was motiviert mehr, als keine finanziellen Sorgen zu haben? Das verringert das Risiko, dass gute Mitarbeiter uns verlassen und erhöht die Chance, dass wir gute Mitarbeiter für uns gewinnen können“.
Daraufhin meinte die Iranerin skeptisch: „Wie ich von anderen Geschäftspartnern hören konnte, beurteilen Sie einen Mitarbeiter nicht nach seiner Qualifikation, stimmt das?“.
„Ja, das stimmt. Wissen Sie, Papier ist geduldig. Wir hatten in der Vergangenheit etliche Mitarbeiter, darunter Doktoren und ehemalige Studenten, die auf dem Papier die besten Noten oder Qualifikationen hatten. Sie alle waren zwar auf ihren Fachgebieten sehr gut, nur leider menschlich gesehen eine Fehlinvestition und fernab jeder Realität. Die Theorie ist eben manchmal anders als das wahre Leben. Ich brauche Menschen in meinem Unternehmen, die neben einem gewissen Grad an Intelligenz auch zusätzlich Herz mitbringen. Ein Stück Papier sagt nichts über einen Menschen aus. Hinzu kommt, dass ein Mitarbeiter das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit haben sollte. Egal ob im Privat- oder Berufsleben. Bei meiner Firma steht der Mensch im Vordergrund, egal in welcher Funktion er in meinem Unternehmen arbeitet“.
„Dafür meinen Respekt. Der Erfolg spricht für sich“, sagte ein japanischer Geschäftsmann, der das Gespräch mitbekommen hatte.
Er erwiderte etwas verlegen: „Vielen Dank, aber ohne meine Familie und vor allen ohne meine Mitarbeiter wäre ich heute nicht hier!“.
„Seien Sie nicht so bescheiden Herr Bischoff, Sie leisten Großartiges…“, entgegnete Herr Hoffman, der Leiter eines großen deutschen Fernsehsenders, der direkt neben ihnen stand.
„Ich mache nur meine Arbeit und gebe Menschen Arbeit, das ist nicht wirklich etwas Besonderes…“, meinte Lukas beschwichtigend und nahm sich Canapés vom Buffet.
Herr Hoffmann sah ihn erstaunt an. Er entgegnete ernst: „Sie machen nicht nur einfach Ihre Arbeit. Ich habe einige Artikel Ihrer Zeitung gelesen und muss sagen, sie sind verdammt gut und informativ. Wenn Sie mal vorhaben sollten, Ihre Zeitung auf den deutschen Markt zu bringen, dann könnte ich mir eine Kooperation unserer Sendergruppe mit Ihrem Verlagshaus gut vorstellen!“
Mit diesen Worten ging Herr Hoffmann wieder zurück an seinen Tisch. Lukas fragte sich, wie ernst es Herrn Hoffmann mit dieser Aussage war.
„Wenn ich zurück in den USA bin, sollte ich ihn dringend kontaktieren und eventuell einladen", nahm sich Lukas gedanklich vor.
In diesem Moment kam Brooke zu ihm. „Du musst mal unbedingt den Sauerbraten probieren, Schatz, und die Berliner Currywurst. Schmeckt eindeutig besser als bei uns in Amerika“, sagte sie euphorisch.
Ihr Mann nickte zustimmend. Die deutsche Küche war in einigen Dingen wirklich besser als die amerikanische. Nirgendwo hatte er bisher einen so guten Sauerbraten gegessen wie in Deutschland, und eine gute Currywurst aß man am besten in Berlin.
Lukas gab ihr einen Kuss. Scherzhaft meinte er: „Das ist keine Kunst. Das ist schließlich kein Fast Food. Hier zelebriert man Essen noch. Du hast doch bestimmt schon mal den Begriff deutsche Wertarbeit gehört?“
„Jetzt nimmst du mich aber auf den Arm. Deutsche Wertarbeit trifft wohl auf Autos oder die Stahlindustrie zu, aber doch nicht auf Lebensmittel“, lachte sie.
„Zugegeben, ja, ein wenig übertrieben“, sagte er grinsend. „Übrigens danke, dass du mich vor weiteren Gratulanten gerettet hast!“.
„Tu jetzt nicht so, als sei es dir unangenehm. Du magst es doch, wenn du im Rampenlicht stehst…“, bemerkte sie sarkastisch.
Skeptisch sah er sie an. „Na ja, nicht wirklich", entgegnete er.
Plötzlich schien er mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Brooke kannte ihren Mann gut und wusste, wenn ihn irgendetwas beschäftigte. „Ist irgendetwas, Schatz?“, fragte sie ihn.
„Nein“, antwortete er, „ich dachte nur, ich hätte gerade diesen alten Kauz vom Flughafen wiedergesehen…“.
Am Flughafen hatten er und seine Familie einen alten Mann getroffen, der sie nach der Uhrzeit gefragt hatte. Anschließend erzählte der Mann ihnen, dass er nach Berlin gekommen sei, um sich dort nach langen Jahren wieder mit seiner in Berlin lebenden Schwester zu treffen. Nachdem der alte Mann sich ihm vorgestellt hatte, sagte dieser zu Lukas, dass er seine Großmutter gekannt hatte. Leider hatte Lukas den Namen des alten Mannes schon wieder vergessen.
Nun glaubte Lukas, ihn vor einigen Minuten auf der Preisverleihung gesehen zu haben, konnte ihn aber nirgends sehen. Letztendlich hielt er es dann doch für eine Verwechslung seinerseits.
Er schaute sich noch einmal suchend im Saal um, als eine junge Frau mit blonden Haaren, grün-blauen Augen, in einem roten Kleid, auf ihn zukam. Sie stellte sich neben ihn. Sie sprach ihn mit einem Schweizer Dialekt und sympathischen Lächeln an. „Sie sind also der Mann, dessen Zeitung einen großen Artikel über mich veröffentlicht hat…“, sagte sie. Dabei streckte sie ihm ihre Hand entgegen, um ihm vermutlich zu seinem Preis zu gratulieren.
Er reichte ihr auch die Hand. „Äh ja, kann sein. Ich muss gestehen, ich kann Sie gerade nicht zuordnen, Frau…? Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich gerade Ihren Namen nicht weiß“, sagte er etwas irritiert.
Sie kicherte. „Egli, Beatrice Egli!“.
Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Ach ja, der Schlagerstar von German Idle, beziehungsweise Deutschland sucht den Superstar, wie das Format wohl auf Deutsch heißt. Einer meiner Angestellten hat Sie zufällig im deutschen Fernsehen gesehen und war beeindruckt von Ihrem Gesangstalent. Er schreibt gerade eine Kolumne für Deutsche und Deutschlandliebhaber in Amerika. Er hat darin einen Artikel über Sie vorgesehen. Sind Sie auch nominiert worden oder als Gast hier?“.
Amüsiert antwortete sie ihm: „Nein, ich bin heute als Live Act für die Veranstaltung engagiert worden, Herr Bischoff. Ein eigenes Unternehmen habe ich leider noch nicht“. Beatrice Egli schaute kurz auf ihre Uhr. Dann sagte sie zu ihm, dass sie sich nun aber für den Auftritt vorbereiten müsse und verschwand wieder.
Lukas schaute daraufhin zur Bühne, wo die Vorbereitungen getroffen wurden. In der Menge der Gäste konnte er sogar Xavier Naidoo und Gary Barlow erkennen, die wohl zur Unterhaltung gebucht worden waren. Die Atmosphäre war elektrisierend, und Lukas spürte die Spannung in der Luft, während er sich fragte, was ihr Auftritt wohl den Veranstaltern gekostet haben mag.
Während Lukas in Gedanken versunken war, trat ein Mann im Priesterornat an ihn heran. Seine dunklen Augen schienen tiefgründig, als er Lukas mit einem Lächeln ansprach. „Eine interessante Veranstaltung, nicht wahr, Herr Bischoff?“, sagte er und nahm sich bedächtig etwas vom Buffet.
„Ja, in der Tat“, antwortete Lukas überrascht. Er bemerkte, wie ungewöhnlich es war, einen Priester hier zu treffen, und fragte sich, ob er zu einem speziellen Anlass eingeladen worden war oder auf eigene Initiative gekommen war.
Lukas war gerade im Begriff, zu seinem Platz zurückzugehen, als der Priester ihn am Arm festhielt. Leise meinte dieser: „Sie müssen Berlin auf schnellstem Weg verlassen. Hier sind Sie nicht länger sicher. Sie und Ihre Familie sind in Gefahr, wie andere vor Ihnen. Wir sollten uns morgen treffen. Ich habe Informationen für Sie, die Sie überzeugen werden, das Land zu verlassen!“.
Verwundert sah Lukas kurz zu seiner Frau. Er wollte den Priester gerade fragen, was er damit meinte, als er feststellen musste, dass dieser bereits verschwunden war. Nachdenklich und kopfschüttelnd ging er zurück zu Brooke an den Tisch. Im weiteren Verlauf des Abends konnte er die Begegnung jedoch nicht vergessen.
*
Der Priester, der mit bürgerlichem Namen Andreas Fetsch hieß, schlenderte wenig später die belebte Straße am Brandenburger Tor entlang. Seine Schritte passten sich dem Rhythmus eines fröhlichen Liedes an, das er vor sich hin pfiff.
Ein Hauch von Abenddämmerung lag über der historischen Kulisse, als er sich zurücklehnte und den erfolgreichen Verlauf seines Treffens mit Lukas überdachte. Endlich hatte er ihn allein erwischt und mit ihm sprechen können. Die Mission für heute war erfüllt, doch er wusste, dass er noch mehr zufällige Begegnungen brauchte, um Lukas von der Notwendigkeit zu überzeugen, zurück nach Amerika zu gehen.
An einer belebten Kreuzung blieb Andreas stehen, als sein Handy plötzlich in der Tasche seines Talars klingelte. Er erkannte die Nummer seines geheimnisvollen Auftraggebers. „Ja?“, antwortete er knapp, aber mit einem Hauch von Vergnügen in der Stimme.
„Hat der erste Kontakt stattgefunden?“, fragte die Stimme am anderen Ende flüsternd.
Bevor Andreas antwortete, ließ er in Gedanken seine erste Begegnung mit dem Auftraggeber Revue passieren. Vor einigen Wochen, tief in der Nacht und bereits leicht angetrunken, kämpfte er sich durch die Dunkelheit nach Hause. Der Schlüssel wollte einfach nicht ins Schloss passen.
Gerade als er die Tür öffnete, hörte er plötzlich eine unbekannte, flüsternde Stimme hinter sich. „Wie ich höre, suchen Sie einen Job?“.
Er drehte sich erschrocken um. Er entgegnete dem Fremden: „Wer will das wissen?“.
Der fremde Mann hinter ihm war etwa gleichgroß, doch weder Gesicht noch Haarfarbe waren erkennbar, noch nicht mal die Kleidung des Fremden. Er fand damals schon, dass der Mann etwas Dunkles und Böses in seiner Stimme und an sich hatte. Allerdings war ihm das egal, solange ein bezahlter Job bei dem Gespräch heraussprang. Er brauchte dringend Geld.
Der Fremde antwortete: „Das spielt keine Rolle. Suchen Sie jetzt einen Job, oder nicht?“. Dabei warf der Mann eine brennende Zigarette weg. Der Qualm zog in Andreas Fetsch Richtung. Dann trat der Mann die Zigarette mit seinem Schuh aus.
Andreas kratzte sich am Kopf. Mürrisch meinte er zu der dunklen Gestalt: „Verdammt noch mal, ja. Klar suche ich noch einen Job!“.
Der Fremde hielt ihm dann plötzlich zweitausend Euro hin. „Ich habe einen für Sie“, sagte er, „weitere achttausend Euro erhalten Sie, wenn der Job erledigt ist!“.
„Was muss ich dafür tun?“, wollte Fetsch interessiert wissen. Soviel Geld hatte er schon seit langem nicht mehr gesehen. innerlich machte er sich bereits Gedanken darüber, welchen seiner Gläubiger er zuerst damit bezahlen konnte. Er hatte sich in letzter Zeit mit einigen zwielichtigen Gestalten auf dubiose Geschäfte eingelassen. Wobei er, wenn man es genau betrachtete, wohl auch in diese Kategorie fiel, dachte er belustigt.
Sein Gegenüber sah ihn ernst an. „In ein paar Tagen findet hier in Berlin die Verleihung der Global Business Awards statt. Sie müssen nur jemanden davon überzeugen, dass er Deutschland so schnell wie möglich verlassen muss…“.
Skeptisch sah er den unbekannten Fremden an. „Welchen Teilnehmer muss ich überzeugen, und wie?“.
Der Fremde gab ihm ein Foto und sie tauschten im Anschluss ihre Handynummer aus. Danach sagte der Fremde: „Für weitere Details werde ich mich zu gegebener Zeit wieder bei Ihnen melden! Und die Überzeugungsarbeit sollte erst mal ohne Gewalt erfolgen…“. Mit diesen Worten verschwand der Mann wieder in der Dunkelheit.
Zurück in der Gegenwart zischte der Fremde am anderen Ende des Telefons: „Sind Sie noch da? Ich habe Sie etwas gefragt!“.
Unsanft in das jetzt zurückgeholt, antwortete Andreas Fetsch: „Genauso wie Sie es geplant haben. Warum ist es Ihnen eigentlich so wichtig, dass Herr Bischoff nach Amerika zurückkehrt?“.
„Ich habe dafür meine Gründe. Ist Ihnen auch sicher niemand gefolgt?“.
Der Priester schaute sich um. Er antwortete der fremden Stimme: „Ich kann niemanden sehen…“.
„Gut. Glauben Sie, dass Sie ihn überzeugen konnten nach Amerika zurück zu kehren?“.
„Ich denke, dass ich zumindest den Grundstein dafür legen konnte. Wenn er mir noch ein oder zweimal begegnet, wird er schon abreisen…“.
„Hervorragend!“.
„Wann bekomme ich den Lohn für meine Arbeit?“.
Kurzes Schweigen herrschte am anderen Ende der Leitung. Dann hallte es: „Wenn Ihre Mission erfüllt und Bischoff wieder in Amerika ist. Warten Sie auf weitere Anweisungen von mir!“.
Dann hörte er nur noch ein Klicken in der Leitung. Das Gespräch war beendet. Verwundert schüttelte Fetsch den Kopf. Er fragte sich, was wohl der wahre Zweck seiner Anstellung sein mochte. Immerhin hatte der Fremde ihm sehr viel Geld geboten.
Andreas steckte sein Handy weg und schaute sich um. Die Straße pulsierte vor Leben, Touristen und Einheimische strömten an ihm vorbei. Doch er fühlte sich in diesem Moment einsam und von einem Netz unsichtbarer Fäden umgeben, die ihn mit seiner geheimnisvollen Mission verbanden.
Er sah zur Ampel, die auf Rot umsprang. Auf der anderen Seite sah er eine junge Asiatin, die eine Fototasche über ihre Schultern gehängt und, im Schein der Laternen, gerade ein paar Häuser fotografierte. Andreas vermutete, dass sie eine Touristin sei. Genaueres konnte er nicht erkennen, da ihn das Licht der Laternen etwas blendete.
Wenig später sprang die Anzeige der Ampel auf Grün. Gerade als er die Hälfte des Zebrastreifens auf der Kreuzung überquert hatte, sah der Priester plötzlich in das grelle Licht eines Scheinwerfers rechts neben ihm. Danach hörte man einen kurzen Aufschrei, danach einen lauten Knall, und quietschende Reifen eines wegfahrenden Wagens.
4
Zwei Tage später wählte Gina Brown eilig wieder die Nummer auf der Visitenkarte. Sie hatte den Auftrag, sich zu melden, falls irgendetwas Ungewöhnliches passierte. Am gestrigen Vormittag gab es tatsächlich zwei merkwürdige Vorfälle.
„Ja, Mrs. Brown?“, erklang die Stimme am anderen Ende.
Obwohl sie ganz allein war, flüsterte Gina: „Ich sollte doch anrufen, wenn etwas Merkwürdiges geschieht…“.
„Und?“, fragte der Anrufer.
„Gestern war hier so ein seltsam aussehender Herr. Er trug eine Sonnenbrille und war furchtbar blass. Irgendwie wirkte er auch etwas geschminkt. Er fragte nach Mr. Bischoff und dessen Aufenthaltsort. Nachdem er weg war, wurde dann auch noch in Mr. Bischoffs Büro eingebrochen!“, erklärte sie.
Am anderen Ende herrschte für einen Moment Stille. Gina dachte schon, der Fremde sei weg, als er schließlich sagte: „Damit habe ich gerechnet. Unser Gegner sucht nach Antworten und vielleicht auch nach für ihn wichtigen Dokumenten. Doch die wird er nicht im Büro von Mr. Bischoff finden. Lukas hat die Dokumente nie gesehen und weiß nichts von ihrer Existenz. Können Sie diesen Mr. X beschreiben?“.
Sie überlegte kurz. „Ja, er war ca. 1,80 m groß, normal gebaut und hatte blonde Haare…“.
„Sonst irgendwelche Auffälligkeiten? Beispielsweise eine Tätowierung oder ähnliches?“, fragte er angespannt.
„Nein Sir, eine Tätowierung konnte ich nicht erkennen. Er war sehr gut gekleidet und sprach ein perfektes Englisch. Allerdings hatte er einen unverkennbar deutschen Akzent!“.
Der Fremde murmelte nachdenklich etwas. „So, so, einen deutschen Akzent also…“.
„Was soll ich jetzt machen?“, fragte Gina verzweifelt. Sie war besorgt und fühlte sich hilflos.
„Stellen Sie erst einmal fest, ob etwas gestohlen wurde. Falls Sie der Polizei noch nichts gemeldet haben, so unterlassen Sie es auch erst einmal. Räumen Sie nur das Büro auf“, sagte er energisch.
„Sind Sie sich wirklich sicher, dass Mr. Bischoff nach Amerika zurückkehren wird?“, fragte Gina.
Sie mochte ihren Chef, auch wenn er manchmal etwas eigentümlich war. Sie hatte gehofft, dass er direkt nach der Preisverleihung zurückkehren würde. Schließlich wurde er in seiner Firma gebraucht. Wer sollte sich um die Firma kümmern, wenn ihm etwas zustoßen sollte? Sie wusste allerdings auch, dass seine Anwesenheit in Deutschland wichtig war.
„Ich weiß es noch nicht, Mrs. Brown. Doch ich habe Vertrauen in ihn und bin sehr zuversichtlich, dass er ohne Schaden bald wieder in seiner Firma sein wird. Ich habe ihn seit seiner Geburt nie aus den Augen verloren und jeden seiner Schritte beobachtet und bewacht, so gut es mir möglich war. Aus diesem Grund bin ich mir auch sicher, dass er in der Lage ist, diese und andere möglicherweise kommende Situationen zu meistern. Er hat eine seltene Gabe, die ich bei keinem anderen aus seiner Familie zuvor so ausgeprägt erlebt habe!“.
„Ich bete darum, dass Sie Recht haben. Möge Gott ihm und uns gnädig sein“, seufzte Gina betrübt.
Kurz darauf beendeten sie das Gespräch. Gina betrat Lukas' Büro, das noch immer im Chaos lag. Der Schreibtisch war durchwühlt, Bücher lagen auf dem Boden verstreut. Sie fragte sich, was jemand so Wichtiges in Lukas' Büro gesucht hatte und warum ausgerechnet jetzt, während sie die Verantwortung trug.
*
In einem sonnigen Morgen in Griechenland saß Stavros Demirtades in seinem üppig begrünten Garten, vertieft in die Morgenzeitung. Die warme Brise trug das lebhafte Zwitschern der Vögel herüber, während er die Nachrichten las.
Stavros war ein Mann von durchschnittlicher Statur und hatte kürzlich seinen vierundvierzigsten Geburtstag gefeiert.