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Heiliger BimBam.
Klara Golders neue Putzstelle hat es wieder in sich: nach einem Bestseller floppten die nachfolgenden Bücher des ehemaligen Erfolgsautors und nun ertränkt er seinen Kummer in Alkohol und lässt sich von seiner Schwester bedienen. Als diese eine Auszeit benötigt, engagiert sie kurzerhand Putzperle Klara, damit sie in der Wohnung ihres exzentrischen Bruders Ordnung hält. Doch als der beliebte Pfarrer ermordet im Beichtstuhl aufgefunden wird, ist Klara sofort klar: hier ist ihre Spürnase gefragt! Mit Monsieur Bloque an ihrer Seite stößt Klara auf einige Ungereimtheiten, die ihr zu denken geben. Als sie dann auch noch von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird, nimmt das Chaos seinen Lauf …
Klara Golder - die scharfsinnige Putzfrau ermittelt in einem weiteren Fall!
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Seitenzahl: 385
Heiliger BimBam
Klara Golders neue Putzstelle hat es wieder in sich: nach einem Bestseller floppten die nachfolgenden Bücher des ehemaligen Erfolgsautoren und nun ertränkt er seinen Kummer in Alkohol und lässt sich von seiner Schwester bedienen. Als diese eine Auszeit benötigt, engagiert sie kurzerhand Putzperle Klara, damit sie in der Wohnung ihres exzentrischen Bruders Ordnung hält. Doch als der beliebte Pfarrer ermordet im Beichtstuhl aufgefunden wird, ist Klara sofort klar: hier ist ihre Spürnase gefragt!
Mit Monsieur Bloque an ihrer Seite stößt Klara auf einige Ungereimtheiten, die ihr zu denken geben. Als sie dann auch noch von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird, nimmt das Chaos seinen Lauf…
Über Simone Jöst
Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, schreibt sie humorvolle Unterhaltungskrimis, die nicht nur von Mord und Totschlag erzählen, sondern auch die Lachmuskeln ihrer Leser fordern. Für sie gibt es nichts Schöneres als schwarzen Humor und weiße Schokolade. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romanserien und ist Herausgeberin von Krimi-Anthologien.
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Simone Jöst
Das Geheimnis um den toten Pfarrer
Inhaltsübersicht
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Prolog
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Epilog
Impressum
Wenn es Zeit ist, jemanden gehen zu lassen, dann lass ihn gehen.
Die letzten Sonnenstrahlen fielen durch die bunten Kirchenfenster. Das verzerrte Bild von Jesus’ Kreuzigung schimmerte in leuchtenden Farbsprenkeln auf den Steinboden. Hanne lief durch die Bankreihen, sammelte Gesangsbücher ein und räumte sie in ein Regal neben der Eingangspforte. Pfarrer Liebig stand am Altar und beobachtete seine Haushälterin. Was würde er nur ohne sie tun, die gute Seele des Pfarrhauses, die immer zur Stelle war, wenn es brannte, so wie in diesen Tagen. Er seufzte, wandte sich der Christusfigur auf dem Altar zu und bekreuzigte sich.
»Ich bin fertig«, rief Hanne, »wenn Sie mich nicht mehr brauchen, mache ich jetzt Feierabend.«
»Ist gut, danke«, erwiderte er, »ich komme gleich nach.«
Die alte Frau ging zur Seitentür, öffnete sie, und das Motorengeräusch eines Rasenmähers drang von außen herein. Hanne drehte sich ein letztes Mal um und blieb mitten in der Bewegung stehen. Sie deutete mit dem Finger auf den Beichtstuhl, dessen Tür quietschend zufiel. »Ich glaube, da wartet jemand auf Sie«, sagte sie und verschwand mit einem Winken nach draußen.
Das war eigenartig, Pfarrer Liebig hatte niemanden durch das Kirchenportal eintreten hören, aber für seine Schäfchen, wie er die Gemeindemitglieder liebevoll bezeichnete, hatte er immer Zeit, selbst wenn drüben in der Garage des Pfarrhauses sein Motorrad auf ihn wartete, an dem er seit Wochen schraubte und herumpolierte. Diese eine Beichte wollte er noch abnehmen, doch danach war die lang ersehnte Jungfernfahrt dran. Es war schließlich noch früh am Abend, und bekanntlich war Vorfreude die schönste Freude. Der Pfarrer ging lächelnd auf den Beichtstuhl zu, öffnete die Tür zu seiner Kabine und nahm darin Platz. Durch die Trennwand hörte er ein Rascheln und schweres Atmen, was nicht weiter ungewöhnlich war. Er hatte schon neben vielen Sündern gesessen, die nur zögerlich mit der Wahrheit herausrückten. Normalerweise ließ er ihnen Zeit, sich zu fangen, ihre Scham zu überwinden. Er war für sie da.
»Du möchtest eine Beichte ablegen?«, fragte er behutsam, nachdem das Schweigen kein Ende fand.
Stille.
Pfarrer Liebig hörte den schnellen Atem des Sünders. »Lass dir Zeit und rede, wenn du soweit bist.«
Nichts. Die Person neben ihm zog die Nase hoch. Der Pfarrer schwieg.
»Du weißt«, sagte er schließlich, »alles, was du mir hier erzählst, fällt unter das Beichtgeheimnis. Niemand wird erfahren, worüber wir sprechen.«
Stille.
Pfarrer Liebig sah verstohlen auf die Uhr.
»Ich habe nicht gesündigt«, hörte er es plötzlich flüstern.
Der Geistliche zog eine Braue in die Höhe. Es war ein merkwürdiges Flüstern. Heiser. Gefährlich. »Nicht?«
Auf einmal hatte der Besucher seine volle Aufmerksamkeit, nachdem seine Gedanken in den letzten Minuten immer wieder zu seinem Motorrad und der geplanten Tour abgedriftet waren.
»Ich werde gegen das fünfte Gebot verstoßen«, flüsterte die Stimme langsam.
»Was?« Hatte er richtig verstanden?
»Hören Sie mir denn nicht zu?«
»Doch, natürlich, aber … Ich bin ehrlich gesagt erstaunt. Meinen Sie wirklich das fünfte Gebot?«
»Ja.«
»Du sollst nicht töten?«
»Du sollst nicht töten!«
»Damit treibt man keine Scherze.«
»Das ist kein Scherz!«
Die Stimme wurde lauter, und Pfarrer Liebig zweifelte keine Sekunde daran, dass diese Person genau das meinte, was sie sagte. Wie oft hatte er schon Menschen aus Wut, Zorn oder Eifersucht solche hasserfüllten Drohungen aussprechen hören. Meistens waren es Flüche und Beschimpfungen, die leichtfertig im Zorn ausgesprochen wurden, doch das hier war anders. Pfarrer Liebig lief ein Schauer über den Rücken.
»Warum gestehen Sie die Tat, bevor Sie sie begehen? Glauben Sie, Ihre Beichte entschuldigt einen Mord?«
»Unsinn«, flüsterte die Person neben ihm wieder.
»Gibt es eine Möglichkeit, Sie von dieser schrecklichen Idee abzubringen?«
»Nein.«
»Ich verstehe nicht, was Sie von Gott erwarten. Wollen Sie Absolution für einen Mord?«
»Gott ist mir scheißegal.«
Pfarrer Liebig war verwirrt. Da saß jemand in der Kabine neben ihm und äußerte Mordabsichten. Die Stimme bat weder um Vergebung noch um Beistand und fromm schien die Person ihrer Ausdrucksweise nach zu urteilen nicht zu sein. Was bedeutete das? Wer war dieser Mensch und was beabsichtigte er mit seinem Besuch im Beichtstuhl?
»Warum sind Sie gekommen? Wie kann ich Ihnen helfen?«
Die Atemzüge hinter der Trennwand wurden schwerer.
Pfarrer Liebig starrte hinüber und versuchte etwas zu erkennen, sah aber nur eine schemenhafte Gestalt, die scheinbar einen Schal oder ein Tuch um ihr Gesicht gewickelt hatte.
»Warum ich gekommen bin? Als ob du das nicht wüsstest!«, flüsterte die Stimme. Es raschelte.
Das Letzte, was Pfarrer Liebig auf Erden hörte, war ein leises Klicken. Das Letzte, was er sah, war ein Mündungsfeuer direkt vor seinem Gesicht.
Jedes Mal, wenn Klara eine neue Putzstelle antrat, war sie nervös. Genau wie heute. Als sie noch bei ihrem Mann Harald gelebt hatte, verlief ihr Leben in geregelten Bahnen. Sie hatte einen festen Job in einer Putzkolonne und brauchte sich nicht um ihren Lebensunterhalt sorgen. Doch seit ihrem fünfzigsten Geburtstag vor fünf Wochen stand ihr Leben kopf. Sie hatte Harald verlassen und den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Endlich! Weit fort von zu Hause, dort, wo sie einst ihre große Jugendliebe Adrian getroffen hatte. Was war sie in den jungen Mann verknallt gewesen, der so kühne Pläne für die Zukunft gehabt hatte, davon träumte, eines Tages ein eigenes Hotel zu leiten. Leider dauerte ihre Romanze nur wenige Tage, weil Klaras Schulferien zu Ende waren und sie mit ihren Eltern wieder abreisen musste. Ein Leben lang hatte sie sich gefragt, was aus ihr geworden wäre, wenn sie ihn statt Harald geheiratet hätte. Jedenfalls würde sie heute nicht in der kleinen Dachgeschosswohnung über einer Buchhandlung wohnen, was besonders schade wäre, denn ihren neuen Vermieter, den blinden Buchhändler Philippe Bloque, hatte sie sofort ins Herz geschlossen, und um ehrlich zu sein, brauchte sie seine Unterstützung mehr, als sie sich eingestehen wollte.
Die vergangenen Wochen waren verrückt und wunderschön zugleich gewesen. Eine Einbruchserie und ein Mord im Haus ihrer letzten Arbeitgeberin hatten Klara an ihre Grenzen und weit darüber hinaus gebracht. Doch war es nicht genau das, was sie gesucht hatte, als sie Harald verließ? Freiheit, Abenteuer und neue Freunde. Et voilà! All das hatte sie hier in dieser Kleinstadt vom ersten Tag an gefunden. Allerdings hatte sie im Traum nicht damit gerechnet, dass sie ihre Arbeitsstelle nach kaum einer Woche schon wieder verlieren würde, weil ihre Chefin versuchte, sie zu töten und wegen Mordes an ihrem Chauffeur selbst verhaftet wurde.
Zum Glück hatte Philippe schnell einen neuen Arbeitgeber für Klara gefunden. Alles, was sie über diesen Mann wusste, war, dass er ein wenig speziell sein sollte, allein lebte und dringend eine Reinigungskraft benötigte. Er war Kriminalschriftsteller und hieß Mo Sternberg. Vor einigen Jahren hatte er ein Buch geschrieben, mit dem ihm der Sprung auf die Bestsellerliste gelang. Leider sollte das sein einziger Erfolg bleiben. Ein bisschen aufgeregt war Klara schon. Sie verließ ihre Wohnung und lief die knarrende Holztreppe durch das Treppenhaus nach unten, vorbei an Philippes Wohnungstür im ersten Stock und trat hinaus auf den Marktplatz.
Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu. Die Septembernächte wurden kühler, die Platanen bekamen bereits gelbe Blätter. Klara zog ihre Strickjacke vorne zusammen und warf einen Blick durch das Schaufenster der Buchhandlung im Erdgeschoss. Philippe und Lukas würden erst in einer Stunde den Laden öffnen. Klara richtete im Spiegelbild ihren Pferdeschwanz und lächelte. Angespannt rückte sie den Gurt ihrer Umhängetasche zurecht, in der sie ihren Putzkittel und ein Paar rosa Gummihandschuhe verstaut hatte, und machte sich auf den Weg.
Bis zu Herrn Sternbergs Wohnung waren es nur zehn Gehminuten. Klara warf einen nervösen Blick auf die Uhr, was sie bereits den ganzen Morgen über immer wieder getan hatte. Es war kurz vor acht. Kein Grund zur Sorge. Sie lief durch Seitenstraßen an parkenden Autos vorbei und stand auf die Minute pünktlich vor der Haustür des Schriftstellers. Dann atmete sie tief durch, zupfte die Strickjacke zurecht und richtete den Kragen ihrer Bluse. Das Haus hatte vier Etagen, in denen acht Parteien wohnten. Klara suchte den Namen Sternberg auf den Schildern. Ihr Finger schwebte noch über dem Klingelknopf, als die Tür von innen aufgerissen wurde und ein junger Mann mit einem Fahrrad über der Schulter und einem Helm auf dem Kopf herausrannte.
Klara sprang erschrocken zur Seite. Mit einem kurzen Sorry! stellte er das Rad auf den Boden, schwang sich auf den Sattel und verschwand wie vom Teufel gejagt um die nächste Straßenecke. Klara fing die Haustür ab, bevor sie wieder zuschlug, und trat ein. Im Treppenhaus roch es etwas muffig, aber ansonsten waren die Steinstufen ordentlich geputzt, die Wände frisch in Zartgelb gestrichen. Links neben dem Eingang hingen Briefkästen. Darunter standen ein Fahrrad und ein zusammengeklappter Kinderwagen. Klara stieg die Treppe hinauf. Sie sah auf die Uhr und verfiel in einen Laufschritt. In der vierten Etage angekommen, hämmerte ihr Puls und sie schnaufte wie eine Lokomotive. Wie in jedem Stockwerk dieses Hauses gab es hier oben zu beiden Seiten je eine Wohnungstür. Ohne das Namensschild zu lesen, vermutete Klara, dass Herr Sternberg hinter der linken Tür wohnte. Vor der anderen Tür standen drei Paar Gummistiefel, zwei davon in Kindergröße, und ein Kranz aus Trockenblumen hing an der Tür. Das sah nicht nach einem alleinstehenden Schriftsteller aus.
Aus der Wohnung ihres neuen Arbeitgebers drangen Stimmen. Klara blieb vor der Tür stehen und lauschte.
»Stell dich nicht so an!«, schimpfte eine Frau.
»Tue ich doch gar nicht!«, erwiderte eine Männerstimme. »Ich will nicht, dass du gehst.«
»Mo, das hatten wir jetzt schon tausendmal. Werde endlich erwachsen. Ich kann nicht ewig hinter dir herlaufen und mich um dich kümmern.«
»Bitte, Elsa, bleib. Wie soll ich denn ohne dich klarkommen? Ich brauche dich, und das weißt du ganz genau. Wenn du gehst, bricht mein Leben zusammen.«
»Jetzt werde nicht theatralisch.«
»Du versetzt mir sehenden Auges den Todesstoß? Elsa, das kann nicht dein Ernst sein. Warum bist du nur so herzlos?«
Es wurde still.
»Es ist acht Uhr«, sagte die Frau, ohne weiter darauf einzugehen, »sie kommt bestimmt jeden Moment, und du wirst dich zusammenreißen. Hast du verstanden?«
»Und wenn nicht?«, fragte der Mann kleinlaut.
Klara sackte das Herz in die Hose. Das waren nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für optimale Arbeitsbedingungen. Philippe hatte mit Herrn Sternbergs Schwester telefoniert, und sie war diejenige, die Klaras Gehalt bezahlen würde. So wie sich das hier anhörte, war es nicht der Wunsch des Schriftstellers gewesen, eine Reinigungskraft einzustellen.
Klara putzte leidenschaftlich gern. Sie tat es seit vielen Jahren, eigentlich schon ihr gesamtes Leben lang, wenn man die Ausbildung zur Konditorin nicht hinzurechnete. Ihre Auftraggeber waren allesamt voll des Lobes für ihre Arbeit gewesen. Abgesehen von Frau Kronknecht, was allerdings nicht an Klaras Leistung lag als vielmehr daran, dass sie ihre Arbeitgeberin wegen Mordes ins Gefängnis gebracht hatte. Doch leider hatte es immer wieder Auftraggeber gegeben, die nörgelnd hinter ihr standen und Anweisungen gaben, wie die Wohnung zu reinigen sei, die alles besser wussten und sie ständig beobachteten. In solchen Fällen hatte Klara auch schon mehrfach das Handtuch oder vielmehr den Putzlappen geworfen. Auf derartige Anstellungen verzichtete sie liebend gern. Hoffentlich entpuppte sich diese hier nicht ebenfalls als ein Reinfall. Jetzt, da sie allein wohnte, musste sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, sie brauchte das Geld. Ohne Harald kein Haushaltsgeld, aber auch kein Haustyrann, der nur an sich dachte. Klara straffte die Schultern und drückte auf den Klingelknopf. Gleich darauf tippelten Schritte auf die Tür zu.
»Guten Morgen, Frau Golder«, sagte eine schlanke Frau Mitte dreißig, die im Türrahmen auftauchte und mit der Sonne um die Wette strahlte. Ihre langen blonden Haare waren von rotblonden Strähnchen durchzogen und rahmten das bildschöne Gesicht ein. Sie trug ein dunkelblaues Etuikleid, das ihre Kurven in Szene setzte, und dazu blaue High Heels. Die Frau sah umwerfend aus, wie eine makellos durchgestylte Hollywoodschönheit.
»Guten Morgen, Frau Sternberg«, antwortete Klara unbehaglich und strich sich nervös eine Strähne hinter das Ohr.
Vom modischen Standpunkt her konnte sie mit dieser Frau nicht mithalten: Lange rote Fingernägel, Designerkleider oder ein teures Parfum waren beim Putzen fehl am Platz. Dabei war Klara keineswegs unattraktiv. Im Gegenteil. Sie war mit ihrer Figur zufrieden, und seit sie ihren Mann verlassen hatte, experimentierte sie immer öfter mit Kosmetika. Bis sie jedoch die Perfektion von Frau Sternberg erreichte, würde sie noch viel Übung benötigen.
»Kommen Sie doch herein«, bat diese mit einer einladenden Handbewegung.
Klara streifte die Füße auf dem Sisalabtreter ab.
»Mo?«, rief die junge Frau und schloss die Tür hinter Klara. »Bitte, hier entlang.« Sie ging auf eine angelehnte Tür am Ende des Flurs zu. Dabei kickte sie unauffällig einen Turnschuh zur Seite, der mitten im Weg lag, und lächelte verlegen über ihre Schulter zu Klara.
Die Wohnung erschien auf den ersten Blick aufgeräumt. Heller Laminatboden, weiße Raufasertapete, auf der Kinoplakate von Star Wars und Gladiator hingen. Ein blaues Herrenrennrad stand gegen die Wand gelehnt. Auf der linken Seite des Flurs sah sie eine geschlossene Tür, die daneben war nur angelehnt, und durch den Türspalt entdeckte Klara ein zerwühltes Kingsize-Bett mit dunkelblauer Satinbettwäsche. Dem Schlafzimmer schloss sich das Arbeitszimmer mit einem antiken Schreibtisch aus Holz mit Schnitzereien an. Auf ihm standen ein Bildschirm und eine Tastatur, an der Rückseite hingen jede Menge Kabel herab, die mit dem Drucker und anderen technischen Geräten verbunden waren. Hinter dem Tisch erstreckte sich ein riesiges Bücherregal über die gesamte Wand. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein altes, zerschlissenes Sofa. Vom Zimmer ging ein winziger Balkon mit Blick auf den Hinterhof ab. Durch die schmutzige Scheibe schien die Sonne herein. Gardinen gab es keine, dafür einen überquellenden Aschenbecher auf der Fensterbank. Auch auf der anderen Seite des Flurs gab es drei Türen. Die ersten beiden waren geschlossen, aber durch die dritte blickte Klara in die Küche. Sie war klein und mit modernen weißen Hochglanzeinbauschränken ausgestattet.
Frau Sternberg erreichte das Wohn- und Esszimmer am Ende des Flurs und trat ein. Klara folgte ihr. Der Raum erstreckte sich über die gesamte Breite der Wohnung. Durch die Fensterfront und eine offene Balkontür zur Linken schien die Sonne warm in den Wohnbereich herein, auf der rechten Seite standen ein großer Esstisch mit Holzstühlen und ein antiker Holzschrank, dessen Design zum Schreibtisch des Schriftstellers passte. Der Wohnbereich wurde von einem überdimensionalen Fernseher dominiert. Dem durchgesessenen Sofa in dunkelbrauner Lederoptik sah Klara sofort an, wo der Hausherr am liebsten saß, nämlich direkt gegenüber der Glotze. Das erinnerte sie an ihren Mann Harald, der eigentlich nur drei Orte in der gesamten Wohnung bewohnte: den Fernsehsessel, die Toilette und sein Bett. Von einem Kriminalschriftsteller hatte Klara irgendwie mehr erwartet, etwas Kreativeres, Geheimnisvolleres.
»Mo?«, sagte Frau Sternberg und sah ihren Bruder erwartungsvoll an.
Er stand an der Balkontür, starrte hinaus auf die Dächer der Stadt und blies den Rauch seiner Zigarette in den Himmel.
»Hm?«, knurrte er.
»Frau Golder ist da.«
Frau Sternberg lief auf ihn zu, nahm ihm die Kippe aus der Hand, drückte sie angeekelt mit den Fingerspitzen im Aschenbecher aus und stellte das stinkende Teil auf den Balkon. Sie rollte genervt die Augen und drehte ihren Bruder wie ein kleines Kind herum.
»Guten Morgen, Herr Sternberg«, sagte Klara und fragte sich, ob er genauso ein Griesgram wie ihr Mann Harald war, der am liebsten in Ruhe gelassen werden wollte. Jemand, der in seinem eigenen Universum lebte und zufrieden war, solange etwas zum Essen auf dem Tisch stand und er ungestört fernsehen konnte. Hoffentlich nicht.
Herr Sternberg war Ende dreißig und sah müde aus. Er hatte hellbraunes, kurzes Haar und auf der Stirn über der Nasenwurzel bildete sich eine Furche, als er nachdenklich die Augenbrauen zusammenzog. Es gab Menschen, bei denen die Fröhlichkeit aus jeder Pore strahlte, die nicht wussten, wohin mit ihrer Energie, und dieser Mann schien das genaue Gegenteil davon zu sein. Von ihm ging eine gewisse Schwere aus. Vielleicht hatte er heute nur einen schlechten Tag, war traurig, weil seine Schwester ihn verließ, versuchte Klara sich ihren ersten Eindruck schönzureden. Philippe hatte ihr erzählt, dass Frau Sternberg sich um ihren Bruder kümmerte, es jedoch nicht länger ertrug. Sie brauchte wohl Abstand von ihm. Er war kein Kind mehr und es wurde Zeit, dass er endlich lernte, auf eigenen Füßen zu stehen.
»Guten Morgen«, antwortete der Schriftsteller mit einer angenehm dunklen Stimme und lächelte sogar ein wenig.
»Ich zeige Ihnen am besten die Wohnung, Frau Golder, und wo Sie die Putzmittel finden«, sagte Frau Sternberg. Sie knuffte ihren Bruder dezent in die Seite. Dabei warf sie ihm einen strengen Blick zu, der Bände sprach. »Kommen Sie, hier entlang.«
Diese zierliche Person war trotz ihrer High Heels gerade mal so groß wie Klara. Sie ging voran durch den Flur und öffnete eine Tür gleich neben dem Eingang.
»Hier ist die Vorratskammer«, sagte sie.
In dem winzigen Raum stand ein Regal, auf dem alles Mögliche eingelagert war, von Konserven bis zum Werkzeugkoffer. In der hintersten Ecke befanden sich die Putzmittel sowie Eimer, Besen, Staubsauger und Bügelbrett.
»Es ist nicht ganz leicht mit Mo«, sagte Frau Sternberg leise und strich sich mit einer graziösen Bewegung eine Strähne aus dem Gesicht. »Mein Bruder, wie soll ich sagen, er ist ein wenig kapriziös. Er ist ein herzensguter Mensch und ich liebe ihn sehr, aber …« Sie senkte den Kopf und biss sich auf die Lippe.
Klara verstand absolut, was die Frau andeuten wollte. Der Kerl musste endlich erwachsen werden, und solange sie auf ihn aufpasste, sich um ihn kümmerte und ihm alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumte, würde das nie gelingen. »Ich glaube, ich verstehe«, sagte sie.
Frau Sternberg lächelte. »Bitte lassen Sie sich nicht einschüchtern. Es ist nur so, er erträgt es nicht, dass ich mich von ihm distanziere. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Wir waren unser ganzes Leben lang eng miteinander verbunden. Mir fällt das weiß Gott nicht leicht, aber ich brauche etwas Abstand, muss über einiges nachdenken und das kann ich nicht, solange ich ständig für ihn da bin.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich halte die Wohnung in Schuss, und was Ihren Bruder angeht, bin ich sicher, wir werden uns arrangieren.«
»Danke«, lächelte sie. »Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer, unter der Sie mich im Notfall erreichen, aber bitte verraten Sie Mo nichts davon. Ich fahre morgen zu einer Freundin und habe ihm gesagt, dass ich für ihn nicht erreichbar bin.« Frau Sternberg sah plötzlich erschöpft aus.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Klara. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Das ist sehr nett, danke, aber ich fürchte, das ist eine Angelegenheit, die ich mit mir selbst ausmachen muss. Außerdem helfen Sie mir, wenn Sie ein Auge auf meinen Bruder haben. Es beruhigt mich zu wissen, dass er nicht allein in seiner Wohnung dahinvegetiert.« Frau Sternberg atmete tief durch, straffte die Schultern und lächelte wieder. »Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht total verschreckt und Sie treten die Stelle trotzdem noch an.«
»Ich bin sicher, Ihr Bruder und ich raufen uns zusammen. Machen Sie sich keine Sorgen. Das wird schon klappen.«
Der Vormittag verging wie im Flug. Frau Sternberg zeigte Klara die Räumlichkeiten und bat sie, täglich vorbeizuschauen, zumindest in den ersten Tagen. Ihre Sorge war nicht zu übersehen. Obwohl Klara sie für ein wenig überfürsorglich hielt, versprach sie, ihr den Gefallen zu tun. Das bedeutete immerhin mehr Arbeitstage und somit mehr Lohn. Kein schlechter Deal. Klara nahm den Staubsauger und machte sich an die Arbeit. Zunächst nahm sie sich den Flur vor.
Frau Sternberg verabschiedete sich derweil im Wohnzimmer von ihrem Bruder. Sie schlüpfte in eine Jeansjacke und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. An der Zimmertür blieb sie noch einmal stehen. »Ich gehe jetzt«, sagte sie und rang sich ein gequältes Lächeln ab.
Mo Sternberg kam auf sie zu, nahm sie an den Händen und sah sie flehentlich an. »Bitte, Elsa, lass mich nicht im Stich. Bleib.«
»Lass das. Wir haben lange darüber gesprochen. Ich muss fort und das weißt du ganz genau.« Sie löste sich aus seinem Griff und wich einen Schritt zurück.
»Wir haben das besprochen? Ist das so? Du hast das beschlossen und mich vor vollendete Tatsachen gestellt.« Er lief im Kreis und raufte sich die Haare. »Du weißt ganz genau, dass ich dich brauche.«
»Und deswegen gehe ich. Mo! Wach auf! Du bist ein erwachsener Mann und benimmst dich wie ein Kleinkind. Ich ertrage das nicht mehr.«
»Und was wird aus meiner Arbeit? Ohne deine Ideen komme ich nicht weiter. Du bist … meine Muse. Du darfst nicht gehen.«
»Hörst du dir eigentlich selbst zu?«, sagte seine Schwester und schüttelte den Kopf. »Du erstickst mich. Ich brauche Luft zum Atmen und Zeit zum Nachdenken. Mein ganzes Leben dreht sich doch nur noch um die Redaktion und um dich. Ich kann nicht mehr.« Frau Sternberg machte auf dem Absatz kehrt und floh regelrecht zur Haustür.
Klara zog hastig den Staubsauger zur Seite, damit sie in ihren High Heels nicht über das Stromkabel stürzte. Mit einem tapferen Lächeln und Tränen in den Augen öffnete die junge Frau die Tür und trat in den Hausflur hinaus.
»Dann geh doch«, rief Herr Sternberg ihr vom Wohnzimmer aus zornig nach, »ich komme sehr gut ohne dich aus, du wirst sehen. Meinen neuen Roman findest du schneller auf der Bestsellerliste, als du denkst. Dafür brauche ich dich nicht. Hau doch ab!«
Seiner Schwester liefen die Tränen über die Wange. Sie zog die Tür hinter sich zu, und das Klacken ihrer Absätze im Treppenhaus wurde Stufe für Stufe leiser.
»Scheiße!«, brüllte Herr Sternberg und schlug die Wohnzimmertür krachend zu.
Klara zuckte erschrocken zusammen. Dann reckte sie entschlossen das Kinn vor. Sie hatte ihren Mann Harald und seine Launen überlebt, Frau Kronknecht mit ihren spleenigen Einfällen, da würde sie mit einem verhätschelten Kriminalschriftsteller auch noch fertigwerden. Hoffentlich.
Gegen Mittag hatte Klara ihre Arbeit erledigt. In einer Wohnung gab es nicht so viel zu putzen wie in der Villa ihrer letzten Arbeitgeberin. Dort hatte sie an einem Ende angefangen, und kaum war alles sauber, ging es am anderen wieder von vorne los. Da sie Frau Sternberg versprochen hatte, in der nächsten Zeit täglich vorbeizukommen, musste sie sich ihre Arbeit gut einteilen, um keinen Leerlauf zu haben. Die Wohnung war in einem tadellosen Zustand und es gab nicht sonderlich viel zu reinigen. Klara würde zuerst die Küchenschränke auswischen, dann die Fenster putzen und die Gardinen waschen. Sie räumte den Staubsauger zurück in die Kammer, legte ihre hellblaue Kittelschürze ab und verstaute sie in ihrer Tasche. Dann zupfte sie das Haargummi zurecht, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, und verließ die Abstellkammer. Herr Sternberg hatte sich in den letzten beiden Stunden in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Klara hörte ihn auf der Tastatur des Computers tippen, allerdings erst seit zehn Minuten. Zuvor hatte sie ihn durch den Türspalt auf seinem Sofa liegen sehen, den Handrücken auf die Stirn gelegt, die Augen geschlossen. Ob das ein kreativer Denkprozess gewesen war, wagte sie zu bezweifeln. Für sie sah es eher nach einem Nickerchen aus.
»Ich bin fertig für heute«, sagte Klara und klopfte zaghaft an die angelehnte Zimmertür.
»Hm«, brummte Herr Sternberg und tippte weiter.
»Ich komme morgen wieder. Um wie viel Uhr passt es Ihnen am besten?«
»Hm? Was haben Sie gesagt?«, fragte er und sah erschrocken auf.
»Ich gehe jetzt und wollte wissen, wann ich morgen wiederkommen soll?« So wie Klara den Mann einschätzte, war acht Uhr eine absolut unchristliche Zeit für ihn.
»Ähm«, er erhob sich vom Tisch, kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Er trug eine Jeans, war barfuß und auf seinem orangefarbenen T-Shirt stand in weißen Lettern Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?, der Werbeslogan einer Limonadensorte aus den neunziger Jahren. »Um neun Uhr?«
»In Ordnung. Dann bis morgen, neun Uhr.«
»Ja, bis morgen.« Er lächelte.
Klara verließ die Wohnung und schlenderte nach Hause. Ihr neuer Arbeitgeber schien grundsätzlich nett zu sein, aber gleichzeitig auch eine echte Diva. Während der vier Stunden, in denen sie geputzt hatte, hatte er fast die gesamte Zeit über nichts getan. Er rauchte auf dem Balkon, starrte aus dem Fenster, auf die Küchenuhr oder er lag auf dem Sofa im Arbeitszimmer. Was war das denn bitteschön für eine Arbeitsmoral?
Sie kehrte zurück zum Marktplatz, in dessen Mitte Wasserfontänen aus den Pflastersteinen in die Höhe schossen. Vor den Restaurants, die sich mit Boutiquen und Läden rund um den Platz aneinanderreihten, standen Tische und Stühle unter bunten Sonnenschirmen. Der Hochsommer wich von Tag zu Tag ein Stückchen mehr dem Herbst. Die Menschen trugen plötzlich Jacken statt kurzer Ärmel. Das erste Herbstlaub segelte von den Platanen und wehte raschelnd über das Kopfsteinpflaster. Vor den Läden hingen bunte Restposten der Sommerkollektion mit signalroten Rabatt-Etiketten auf Kleiderständern.
Während der letzten Wochen hatte Klara sich ihr neues Zuhause gemütlich eingerichtet. Die kleine Dachwohnung über der Buchhandlung wurde ihr Himmelreich und sie vermisste Harald keinen einzigen Tag lang. Ihre Freundinnen Bella und Anni riefen oft an, damit sie sich nicht einsam fühlte. Sie wohnten jetzt dreihundert Kilometer voneinander entfernt, doch Klara hatte bisher überhaupt keine Zeit gehabt, sie zu vermissen. Ihr letzter Putzjob oder besser gesagt ihre Ermittlungen wegen der Einbrüche und dem Mordfall hatten Klara vollkommen in Beschlag genommen. Sie hatte sich mit dem Buchhändler Philippe angefreundet und genoss die wundervollen Gespräche mit ihm. Er war scharfsinnig und half ihr beim Kombinieren, wenn sie über die vorgefallenen Ereignisse nachdachte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich wohl und zu Hause. Genau wie in Monas Café nebenan. Dort gab es die köstlichsten Cupcakes, die Klara jemals gegessen hatte. Mona war einunddreißig, fast zwanzig Jahre jünger als Klara, doch sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Vor allem teilte sie ihre Leidenschaft, kriminelle Machenschaften aufzudecken. Monas Bruder Thomas arbeitete bei der Polizei. Er hätte die perfekte Informationsquelle sein können, wäre er nur ein wenig kooperativer gewesen, doch wenn es um seine Arbeit ging, blieb er verschlossen wie ein Buch mit sieben Siegeln.
Klaras Magen knurrte. Sie hatte Hunger. Bevor sie zum Mittagessen in ihre Wohnung zurückkehrte, wollte sie noch einen Cupcake als Nachtisch kaufen. Sie lief am Schaufenster der Buchhandlung vorbei. Philippe stand hinter der Theke und unterhielt sich mit einem Kunden. Sie winkte ihm unwillkürlich zu, was blödsinnig war, weil er sie sowieso nicht sehen konnte. Vor dem Laden lagen weiche, rote Sitzkissen auf den Fensterbänken vor den Schaufenstern links und rechts neben der Ladentür. Lukas legte, wenn es das Wetter zuließ, jeden Tag zwei Stapel gebrauchter Bücher dort aus, um vorbeischlendernde Kunden anzulocken.
»Hallo Klara!«, rief jemand.
Sie sah auf und entdeckte Monas Bruder, Thomas Hechter, und seine junge Kollegin Julia Dennbrink in Polizeiuniform, die gerade das Café verließen. Die Ladenglocke bimmelte, als die Tür hinter ihnen zuschlug.
»Hallo ihr zwei. Mittagspause?«
Sie nickten, und Thomas biss wie jeden Tag in ein Schokotörtchen mit flüssiger Füllung, die sofort zu allen Seiten herausquoll. Julia grinste und schüttelte den Kopf. »Wird der Mann das jemals lernen?«
»Was denn«, murmelte Thomas mit vollen Wangen, »ist nichts verkleckert. Ich kann das.«
Klara lachte. Sie mochte die beiden. Sie hatten ihr das Leben gerettet, als sie auf der Staumauer am See stand und in den Lauf einer Pistole blickte.
»Komm schon, wir müssen los«, drängte Julia und lief zum Streifenwagen, der am Rand des Marktplatzes unter einer Platane parkte. Thomas folgte ihr.
Klara betrat das kleine Café und schloss wie so häufig für einen kurzen Moment die Augen, sog den warmen Duft von Kaffee und ffrisch gebackenen Kuchen ein und lauschte dem Bimmeln der Ladenglocke. Dies hier war für sie der schönste Ort der Welt und das nicht nur wegen dieser irren Auswahl an Köstlichkeiten, sondern auch wegen Mona, der guten Seele des Cafés. Sie stand hinter der Theke und rückte die Cupcakes in der Glasvitrine zurecht. Klara ging jedes Mal das Herz auf, wenn sie diese Leckereien in allen möglichen Farben und Formen betrachtete.
»Hallo Klara!«, rief Mona, eine kleine, etwas füllige Person, die jeden ihrer Gäste mit ihrer Lebensfreude und Herzlichkeit ansteckte. »Na, wie war dein erster Tag bei Mo Sternberg?«
»Gut.«
»Einfach nur gut?« Mona zog skeptisch eine Braue in die Höhe.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich den Mann finde. Er ist merkwürdig und ein wenig eigen, aber wahrscheinlich ist er nett.«
»Wahrscheinlich? Das klingt ganz schön lauwarm«, sagte Mona lachend.
»Das wird sich in den nächsten Tagen erst herausstellen. Heute habe ich kaum mit ihm gesprochen, nur mit seiner Schwester.«
Klara beugte sich über die Auslagen und suchte ein leckeres Küchlein aus.
»Elsa ist nett. Ich mag sie.«
»Du kennst sie?«, fragte Klara.
»Was heißt kennen? Sie kommt manchmal in ihrer Mittagspause zu uns ins Café und kauft Cupcakes, um ihr Stresslevel ein wenig herunterzufahren, wie sie sagt. Sie ist die Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Wanita. Ihrem Vater gehört das Verlagshaus Sternberg.«
»Wow, das wusste ich nicht«, sagte Klara.
»Die Ärmste ist immer im Stress, wenn sie hier auftaucht. In letzter Zeit belastete sie außerdem das Verhältnis zu ihrem Bruder.«
»Woher weißt du das? Habt ihr darüber gesprochen?«
»Nur flüchtig. Sie erzählte mir neulich, dass sie für einige Zeit fortfahren wolle, und da kamen wir automatisch ins Gespräch. Wenn du mich fragst, tut sie genau das Richtige. Der Mann ist knapp vierzig. Er sollte eigene Wege gehen, statt am Rockzipfel seiner Schwester zu hängen«, sagte Mona und klapperte mit der Gebäckzange. »Hast du dich schon entschieden?«
»Sei so lieb und pack mir den hier und den da ein.« Klara deutete auf einen mit rosarotem Zuckerguss überzogenen Cupcake, auf dem eine dicke Haube aus Buttercreme und eine Himbeere thronten, sowie eines der Schokoküchlein mit flüssiger Füllung, die Thomas so gerne aß und von Mona Seelentröster genannt wurde.
»Frau Sternberg sagte, sie müsse über etwas nachdenken. Hast du eine Ahnung, was sie damit meinte?« Klara konnte es nicht lassen. Sie brannte vor Neugier. »Zieht sie weit fort? Ihrem Bruder schien das gar nicht zu gefallen.«
»Das glaube ich dir gern«, antwortete Mona und stellte die beiden Cupcakes auf einen Pappteller, den sie mit Papier umwickelte. »Ich kenne Herrn Sternberg nicht persönlich, aber angeblich ist er anstrengend.« Sie lachte.
»Wieso?«
»Er scheint chaotisch zu sein und in einer Traumwelt zu leben. Beruflich läuft es auch nicht gerade gut für ihn. Elsa war in letzter Zeit ziemlich durch den Wind.«
»Wieso durch den Wind?«
»Du kannst es wohl nicht lassen?« Mona lächelte und hob den Zeigefinger.
»Was denn?«
»Du steckst deine Nase schon wieder in fremder Leute Angelegenheiten.«
»Pfft. Ich weiß gar nicht, was du meinst? Ich will doch nur wissen, was es mit meinem neuen Arbeitgeber auf sich hat. Du hast ja gesehen, wie schnell man in Schwierigkeiten geraten kann und die Dinge aus dem Ruder laufen. Dieses Mal bin ich lieber informiert, nicht, dass man mir plötzlich wieder eine Waffe an den Kopf hält.« Klara lachte, aber es war ihr Ernst. Sicher ist sicher.
»Bei dem Mann brauchst du keine Angst zu haben, der ist fromm wie ein Lamm.«
»Deswegen denkt er sich auch Kriminalromane aus?«, stichelte Klara.
»Touché!« Mona lachte herzlich. Sie stellte das Päckchen mit den Cupcakes auf die Theke und kassierte. »Lass es dir schmecken.«
»Danke, das werde ich.«
Auf einmal flog die Ladentür bimmelnd auf, und Frau Krämer stürmte herein, eine korpulente Stammkundin, die besser als die Tagespresse über alles informiert war, was in ihrem Viertel passierte. Sie war kreidebleich und legte eine Hand flach auf die Theke, die andere theatralisch auf ihre Brust.
»Mein Gott, habt ihr schon von Pfarrer Liebig gehört?«, fragte sie atemlos.
»Nein«, antwortete Mona und sah sie neugierig an. »Was ist mit ihm?«
»Er wurde ermordet!«
»Was?«, rief Mona entsetzt. »Ermordet? Sind Sie sicher?«
Klara traute ihren Ohren nicht. Sofort sah sie wieder das Bild des toten Chauffeurs auf dem Küchenboden der Villa von Frau Kronknecht vor sich. Sie fasste sich an den Hals und starrte die übergewichtige Frau, die ihren prall gefüllten Einkaufskorb völlig außer Atem auf dem Boden abstellte, fassungslos an.
»Natürlich bin ich sicher! Was denken Sie denn? Hanne hat es mir erzählt.«
»Wer ist Hanne?«, fragte Klara.
»Hanne ist Pfarrer Liebigs Haushälterin.« Frau Krämer seufzte. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche und tupfte ihre Nasenspitze ab. »Ich kann es nicht fassen. Ich war gestern noch im Pfarrhaus und habe mit ihm gesprochen. Es ging um die Chorproben. Margret will die Übungsstunden von Mittwoch auf Donnerstag verlegen und ehrlich gesagt gefällt das keinem von uns im Chor. Sie haben mich geschickt, ich sollte mit dem Pfarrer … Gott hab ihn selig«, sie bekreuzigte sich, »ich sollte mit ihm reden, damit er Margret umstimmt. Es ist eine Schande. Jetzt lebt der Mann nicht mehr, und was nun?«
»Ich denke, Sie werden mit Margret eine Lösung finden«, sagte Mona ein wenig sarkastisch und schüttelte irritiert den Kopf. »Wissen Sie, was genau passiert ist? Wo hat man den Pfarrer gefunden? Wie ist er ums Leben gekommen?«
Klara klebte an den Lippen der Frau und wartete auf ihre Antwort.
»Wer soll das nun mit Margret besprechen?«, empörte Frau Krämer sich stattdessen und zuckte mit den Schultern. »Diese Frau ist uneinsichtig wie ein Esel. Wenn sie nicht will, dann will sie nicht. Der Pfarrer war der Einzige, auf den sie hörte.«
»Wen?«, fragte Mona plötzlich knallhart, starrte Frau Krämer direkt in die Augen und stemmte beide Fäuste in die Hüften.
»Wie wen?«, fragte diese verwirrt.
»Wen interessiert Margret? Rücken Sie endlich mit der Sprache raus. Was ist mit Pfarrer Liebig passiert? Warum wurde er ermordet und von wem?«
Klara hatte genau wie Mona keine Lust auf Chortratsch und brannte auf die wirklich wichtigen Details.
»Hanne hat ihn im Beichtstuhl gefunden. Sein Blut quoll unter der Tür hervor.« Frau Krämer fasste sich an die Stirn. »Margret wird bestimmt nicht mit sich reden lassen.«
»Wie wurde er getötet?«, fragte Mona.
»Was weiß ich. Er wurde erstochen, glaube ich.«
»Wann war das?« Mona versuchte, die Frau auszufragen, doch der schien das Dilemma mit ihrer Chorkollegin wichtiger als die Tatsache, dass ein Mord geschehen war.
»Heute Morgen, denke ich. Hanne hätte mich sonst sofort informiert. Wir treffen uns manchmal, um ihre neuen Kuchen zu probieren. Sie will ein neues Backbuch schreiben. Wussten Sie davon?« Frau Krämers Augen leuchteten.
»Nein, davon wusste ich nichts. War die Polizei schon in der Kirche und hat den Tatort untersucht?«
»Natürlich. Die waren mit einem riesigen Aufgebot dort. Spurensicherung, Kripo und alles. Hanne musste eine Zeugenaussage machen.« Frau Krämer plusterte sich auf und genoss die volle Aufmerksamkeit im Café.
Es waren nur fünf Tische besetzt und alle Augenpaare waren auf die Frau an der Theke mit den schockierenden Neuigkeiten gerichtet.
»Hat Thomas dir denn nichts erzählt?«, fragte Klara leise. »Er war doch vorhin gerade da.«
Mona rollte die Augen. »Du kennst doch meinen Bruder. Er würde es mir nicht einmal erzählen, wenn der Papst erschossen worden wäre.«
»Damit macht man keine Scherze!«, empörte sich Frau Krämer und schlug hastig wieder ein Kreuz.
»Natürlich nicht«, entgegnete Mona und rollte die Augen.
»Ich muss los«, sagte Frau Krämer und hob ihren Einkaufskorb vom Boden auf, »keine Ahnung, wie ich mich jetzt mit Margret einigen soll.«
Kopfschüttelnd verließ sie das Café und überquerte den Marktplatz.
»Was war das denn bitteschön?«, fragte Monas Kollegin Pepsi, die gerade mit einem Tablett voll schmutzigem Geschirr, das sie von den Tischen eingesammelt hatte, hinter die Theke gelaufen kam. Sie schüttelte den Kopf und ihre schulterlangen blonden Locken wippten dabei neckisch auf und ab.
»Entweder sie wollte nur diese fürchterlichen Neuigkeiten verbreiten oder sie hat vor Schreck vergessen, etwas zu kaufen«, sagte Mona und sah ihr fassungslos durch das Schaufenster nach. Keine hundert Meter weiter blieb die Frau mitten auf dem Marktplatz stehen, stellte den Korb erneut ab und überfiel ihr Gegenüber gestikulierend mit der schrecklichen Nachricht.
»Unfassbar!«, sagte Klara.
»Was? Frau Krämer oder der Mord in der Kirche?« Mona lächelte.
»Beides.«
»Wer bringt denn einen Pfarrer um?«, fragte Pepsi, die eigentlich Petra hieß, und trug das Tablett durch die Schwingtür in die Küche.
»Gute Frage«, sagte Klara und sah nachdenklich nach draußen.
»Ich weiß, was du denkst.«
»Was?«
»Du hast Blut geleckt.«
»Igitt, Mona, das ist im Zusammenhang mit einem Mord wirklich keine gelungene Wortwahl.«
Sie lachten.
»In dein Café kommt doch fast jeder aus der Stadt.«
»Natürlich, weil es hier die weltbesten Cupcakes gibt.« Mona reckte die Nasenspitze keck in die Höhe und lächelte.
»Absolut meine Meinung«, sagte Klara theatralisch. »Dann kommt doch bestimmt auch die Haushälterin des Pfarrers manchmal hier vorbei? Kennst du sie womöglich?«
»Inzwischen sehe ich es dir an der Nasenspitze an.«
»Was?«, fragte Klara.
»Du wirst keine Ruhe geben, bis du weißt, was dem armen Mann zugestoßen ist.« Mona erhob den Zeigefinger.
»Pfft. Das ist nicht meine Angelegenheit. Mich hat das nur an den toten Chauffeur erinnert …«
»… bei dem du ebenfalls keine Ruhe gegeben hast, bis du seine Mörderin überführt hattest. Ehrlich, Klara, häng dich da nicht rein. Ich werde Thomas ausquetschen, und sobald ich etwas in Erfahrung bringe, bist du die Erste, mit der ich meine Informationen teile.«
»Du kennst deinen Bruder, dann werde ich gar nichts erfahren.« Klara grinste und griff nach den eingepackten Cupcakes auf dem Tresen.
»Stimmt. Du hast recht, aber ich könnte Thomas foltern, bis er spricht.« Mona lächelte schelmisch.
»Foltern?«
»Keinen Seelentröster mit gefüllter Schokolade, solange er mir nichts verrät.«
»Autsch, das würde ihn böse treffen.«
Natürlich würde das nichts, rein gar nichts an Thomas’ Verschwiegenheit ändern, aber der Gedanke war lustig. Klara trat aus dem Laden in die Sonne hinaus und sah Frau Krämer immer noch aufgebracht gestikulieren. Die Dame, mit der sie sprach, nickte betroffen.
Klara hatte Philippe versprochen, gleich nach der Arbeit bei ihm in der Buchhandlung vorbeizukommen und zu berichten, wie der erste Tag bei Mo Sternberg gelaufen war. Zuerst würde sie ihm allerdings von dem Mord in der Kirche erzählen. Die Neuigkeit brannte ihr unter den Nägeln. Klara betrat den Laden. Lukas, Philippes junger Kollege, schob Bücher im Regal von einer Seite auf die andere und packte aus einem Karton neue Exemplare aus und stellte sie dazu. Philippe stand an der Theke und drapierte kleine postkartengroße Büchlein mit Kalendersprüchen und einer dicken Pusteblume auf dem Cover neben der Kasse. Klara beobachtete den charismatischen Mann, der mit seinem ergrauten Haar, dem Dreitagebart und dem verschmitzten Lächeln äußerst attraktiv aussah, wie sie fand.
»Bonjour, ma chère, wie war dein Tag?« Er legte die Bücher beiseite und sah zu ihr, oder vielmehr auf ihre Brust, wie er es schon so oft getan hatte.
Klara grinste. Sie hatte es noch nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, wie irritierend das war. Inzwischen wusste sie, dass er das nicht mit Absicht tat.
»Hallo, Philippe«, sagte sie, »lass mich raten, woher du weißt, dass ich es bin.«
Seine Wahrnehmungsgabe war beeindruckend. Klara faszinierte es immer wieder, wie scharfsinnig und belesen er war. Es machte Spaß, mit ihm zu kombinieren und Rückschlüsse zu ziehen, wie sie es im Fall von Frau Kronknecht getan hatten.
Er grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. »Alors? Ich höre.«
»Inzwischen weiß ich, dass du mich an meinem Schritt erkennst, obwohl es mir völlig schleierhaft ist, wie das möglich ist. Ich schlurfe nicht, ich hinke nicht und ich glaube, dass ich mich ganz normal bewege, aber gut. Dann habe ich heute mit Chlorreiniger gearbeitet. Der Geruch könnte auch ein Indiz für dich gewesen sein.« Klara stand vor ihm, hielt die verpackten Küchlein vor sich auf Brusthöhe und wartete.
»Alles richtig, aber es gab weitere Hinweise.«
»Welche?«
»Die Uhrzeit. Du hattest erwähnt, wann du zurückkommst, und dann dieses Rascheln …«
»Welches Rascheln?«
»Ich wette, du warst bei Mona und hast dir zur Feier deines ersten Arbeitstages eine Belohnung gekauft. N’est-ce pas? Inzwischen kenne ich deine Vorlieben und Gewohnheiten ziemlich gut.«
»Du hast recht.« Klara lachte. »Sag mal, habt ihr schon von Pfarrer Liebig gehört?«
»Nein, was sollten wir gehört haben?«
»Er wurde ermordet.«
»Was?!«, rief Philippe bestürzt.
Lukas ließ seine Bücher stehen und kam zur Theke gelaufen. Er sah Klara erschrocken an.
»Was genau passiert ist, weiß ich noch nicht, aber im Café war eine Dame, die erzählte, er sei heute früh in der Kirche erstochen worden.«
»Warum?«, fragte Lukas entsetzt.
»Keine Ahnung.« Klara zuckte mit den Schultern.
»Du hast da etwas gesagt, das mich Böses ahnen lässt.« Philippe neigte den Kopf nachdenklich zur Seite.
»Was meinst du?«
»Du sagtest, du hast noch keine Ahnung. Wie ich dich kenne, wirst du herausfinden wollen, was genau passiert ist. Stimmt’s? Das solltest du nicht tun.«
Lukas nickte. »Die Sache bei Frau Kronknecht hätte wirklich böse enden können, Klara«, wandte der junge Mann besorgt ein.
»Ach kommt schon, ich werde mich aus der Angelegenheit heraushalten, versprochen. Ich lausche nur dem, was man so erzählt. Vielleicht steht morgen ein Artikel über den Vorfall in der Zeitung oder Mona erfährt etwas von ihrer Kundschaft.«
Die beiden hatten recht. Dass Klara noch lebte, hatte sie Philippes Scharfsinn und Thomas’ schnellem Eingreifen zu verdanken. Sie sollte das Schicksal kein zweites Mal herausfordern. Allerdings war sie beim Fall ihrer letzten Arbeitgeberin mittendrin im Geschehen gewesen. Der Mord in der Kirche hatte rein gar nichts mit ihr zu tun. Weswegen er nicht uninteressanter war.
»Incroyable, cette femme! Unglaublich, diese Frau«, schimpfte Philippe gespielt empört. »Eines Tages werde ich es bereuen, dich als Mieterin in meinem Haus aufgenommen zu haben. Schau, in den letzten Wochen sind meine Haare aus Sorge um dich noch grauer geworden.«
»Woher willst du das denn wissen? Du bist blind.« Klara mochte es, wenn sie und Philippe sich gegenseitig neckten.
»C’est vrai. Das ist wahr.« Er lachte.
Eine Kundin betrat den Laden. Lukas fragte sie, wie er ihr weiterhelfen könne, und verschwand mit ihr in der Abteilung für Kinderbilderbücher.
»Klara?«, flüsterte Philippe und streckte ihr seine Hand entgegen. »Bitte pass auf dich auf. Versprich mir das.«
»Versprochen. Ich werde mich nicht in Gefahr bringen. Glaub mir, davon hatte ich in den letzten Wochen mehr als genug.«
»Très bien! Dann erzähl mir von deinem Tag bei Mo Sternberg.« Philippe ließ ihre Hand los und tastete nach den kleinen Büchlein auf der Theke, die er neben einem großen Glas voller bunter Bonbons auftürmte.
»Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich von ihm halten soll. Er scheint den Abschied von seiner Schwester nicht gut zu verkraften. Aus Sorge um ihn bat sie mich, in den nächsten Tagen täglich bei ihm vorbeizuschauen. Keine Ahnung, was ich die ganze Zeit putzen soll.« Klara lächelte.
»Hat er etwas wegen der Lesung gesagt?«, wollte Philippe wissen.
»Welche Lesung?«
»Am Freitag haben wir eine Veranstaltung für ihn hier in der Buchhandlung organisiert. Es haben sich vierzig Leute angemeldet. Ich weiß gar nicht, wie wir die Zuhörer alle unterkriegen sollen. Wir werden improvisieren müssen. Mona ist für das Catering zuständig und Lukas hilft mir.«
»Davon wusste ich nichts. Wenn ihr meine Hilfe braucht, bin ich herzlich gern dabei. Eine Lesung! So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Wir nehmen jede Hilfe dankbar an.«
»Sind seine Geschichten spannend oder blutrünstig? Schreibt er gut?«
»Hm, sein Bestseller vor einigen Jahren war genial. Der Krimi hatte genau die richtige Mischung aus Spannung, Unterhaltung und Hintergrundwissen. Er schrieb über einen Kunstdieb, der jahrelang weltweit sein Unwesen trieb. Das Buch verkaufte sich sehr gut und wurde sogar in verschiedene Sprachen übersetzt.«
»Ich wusste gar nicht, dass er so berühmt ist«, staunte Klara und nahm sich vor, seinen Roman zu kaufen.
»Das ist ja das Traurige an der Sache. Er hätte es wirklich weit bringen können, aber er konnte nie wieder an diesen Bestseller anschließen. Alles, was er danach schrieb, war fade oder seicht. Keine Spannung, kein guter Plot. Einfach nur mittelmäßige Unterhaltung.«
»Was war passiert?«, fragte Klara.
»Frau Sternberg vertraute mir eines Tages an, dass er sich die Story zu diesem Buch nicht selbst ausgedacht hatte. Es war die tragisch-spannende Lebensgeschichte eines entfernten Onkels, der inzwischen im Gefängnis sitzt. Ihr Bruder hatte sie sozusagen nur abgeschrieben. Alle Informationen und Handlungsstränge bekam er exklusiv von dem Mann persönlich geliefert. Nach dem Bestseller schrieb er ein zweites Buch, das bei den Lesern überhaupt nicht gut ankam. Herr Sternberg ist ein sensibler Künstler. Du hast ihn erlebt. Das Leben wirft ihn aus der Bahn und seine Schwester fegt ständig die Scherben um ihn herum zusammen. Sie pampert ihn von vorne bis hinten. Ohne sie hätte er das Schreiben wahrscheinlich längst an den Nagel gehängt. Sie war es auch, die ihn dazu bewegte, einen dritten Roman zu schreiben, der allerdings genauso floppte wie das Buch davor. Derzeit hält er sich mit Kurzgeschichten und Lesungen über Wasser, aber wenn du mich fragst, braucht er dringend einen neuen Erfolg, für sein Ego und für sein Bankkonto.«
Das klang traurig.
»Sein Vater wollte ihn eigentlich zum Juniorchef in seinem Verlag heranziehen. Frau Sternberg und ihr Bruder haben beide Journalismus studiert. Während sie hart an ihrer Karriere arbeitete und erfolgreich war, versagte er völlig als Journalist.«
»Wieso das?«, fragte Klara.