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Inkognito, das geht schon so.
Klara ist schockiert, denn Philippe ist immer noch verheiratet. Doch Stine will die Scheidung von ihm, weil sie ihren neuen Lebenspartner, einen Warenhausbesitzer, heiraten möchte. Aus Angst, dass die neue Ehe genau wie die mit Philippe scheitern könnte, bittet sie ihren Noch-Mann um seine Meinung über ihren Zukünftigen. Dieser geht amüsiert auf ihren Wunsch ein und reist inkognito zusammen mit Klara zu Stine, um den Warenhausbesitzer unter die Lupe zu nehmen. Doch die Reise verläuft anders als erwartet, denn im vorweihnachtlichen Trubel wird eine Marktfrau tot im Warenhaus aufgefunden. Klara schlittert aus Versehen als neue Putzhilfe in den Reinigungstrupp und versucht den Mörder auf eigene Faust zu ermitteln. Und plötzlich fehlt von Stine jede Spur ...
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Seitenzahl: 382
Klara ist schockiert, denn Philippe ist immer noch verheiratet. Doch Stine will die Scheidung von ihm, weil sie ihren neuen Lebenspartner, einen Warenhausbesitzer, heiraten möchte. Aus Angst, dass die neue Ehe genau wie die mit Philippe scheitern könnte, bittet sie ihren Noch-Mann um seine Meinung über ihren Zukünftigen. Dieser geht amüsiert auf ihren Wunsch ein und reist inkognito zusammen mit Klara zu Stine, um den Warenhausbesitzer unter die Lupe zu nehmen. Doch die Reise verläuft anders als erwartet, denn im vorweihnachtlichen Trubel wird die Marktfrau tot im Warenhaus aufgefunden. Klara schlittert aus Versehen als neue Putzhilfe in den Reinigungstrupp und versucht den Mörder auf eigene Faust zu ermitteln. Und plötzlich fehlt von Stine jede Spur …
Über Simone Jöst
Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, schreibt sie humorvolle Unterhaltungskrimis, die nicht nur von Mord und Totschlag erzählen, sondern auch die Lachmuskeln ihrer Leser fordern. Für sie gibt es nichts Schöneres als schwarzen Humor und weiße Schokolade. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romanserien und ist Herausgeberin von Krimi-Anthologien.
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Simone Jöst
Das Geheimnis um die widerspenstige Marktfrau
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Impressum
Manche Tage sollten besser enden, bevor sie noch schlimmer wurden. Es kam selten vor, dass Selma sich mit ihrer Kollegin vom Gemüsestand in die Haare bekam. Sie mochte Marina von Herzen, doch heute hätte sie ihr am liebsten die grüne Latzschürze vor die Füße geknallt und wäre davongelaufen. Den ganzen Tag über war sie extrem unausgeglichen und ihr gereizter Ton kaum auszuhalten. An allem hatte sie etwas auszusetzen. Sogar die Kunden wurden von ihr nicht mit der Freundlichkeit bedient, für die sie im Warenhaus und weit darüber hinaus bekannt war. Veränderungen waren nicht immer angenehm, aber die Geschäftsleitung hatte entschieden, und sie mussten sich damit arrangieren. Marina sah das anders.
Die Stunden zogen sich quälend in die Länge, und Selma machte drei Kreuze, als endlich Ladenschluss war. Nur noch die Kasse abrechnen, den Stand aufräumen, das Gemüse in die Kühlung bringen und dann nichts wie nach Hause. Ihren gemeinsamen Feierabendplausch konnte Marina heute knicken.
Die abendliche Routine im Warenhaus folgte einer gewissen Choreographie, die sich täglich wiederholte. Jeder Handgriff saß, und man konnte die Uhr danach stellen, wer was wann tat. Die Verkäuferin vom Fischstand nebenan reinigte die Theke, während ihr Kollege im friesisch gestreiften Kittel die übrig gebliebene Ware von der Auslage in Bottiche mit Eiswürfeln verfrachtete und sie über Nacht in den Kühlraum brachte. Helga von der Backwarenabteilung zählte die Tageseinnahmen und trug ihrer Auszubildenden auf, Fingerabdrücke von der Verkaufsvitrine zu wischen. Beatrice und Veronika vom Süßigkeitenstand waren für gewöhnlich die Ersten, die den Laden mit einem trällernden »Tschüüüss« durch den Personalausgang verließen. Alle hatten ihre eigenen Abläufe, bis die Verkaufsstände sauber und für den kommenden Tag vorbereitet waren. Zum Schluss erlosch das Licht im Warenhaus, und es wurde still.
Normalerweise liebte Selma diese Zeit, wenn der Trubel nachließ, der Geräuschpegel sank, die grässliche Hintergrundmusik verstummte und sie gemeinsam mit Marina in aller Ruhe den Gemüsestand aufräumte. Verwelkte und verdorbene Ware wurde aussortiert, Obst- und Gemüsekisten auf einen Rollwagen gepackt und in den Kühlraum gefahren. Dabei ließen sie den Tag und ihre Erlebnisse mit der Kundschaft Revue passieren. Zum Abschluss stibitzte Marina sich jedes Mal einen Apfel aus dem Sortiment und verspeiste ihn genussvoll. Das Feierabendbier der Marktfrau, hatte der Seniorchef eines Tages gescherzt, als er sie dabei ertappte. Neckisch hatte sie ihm auch einen angeboten, den er lachend entgegennahm, statt sie wegen ihrer Unverfrorenheit zu ermahnen. Herr Kahlberg senior war ein feiner Mann.
»Himmelherrgott noch eins! Hier sieht es aus wie im Saustall!«, schimpfte Marina, kickte wütend ein Kohlblatt über den Boden und trug eine Kiste Karotten zum Rollwagen.
»Sag mal, geht’s noch?«, empörte sich Selma und hielt mitten im Abwischen der Theke inne.
»Ist doch wahr. Wenn ich nicht alles selbst erledige, dann ersticken wir hier im Dreck.« Die Karotten landeten unsanft auf einer Kiste Kartoffeln. Marinas Nasenflügel blähten sich. Ihre Wangen glühten zornesrot.
»Jetzt reicht’s!« Selmas Geduld war am Ende. Sie schleuderte den feuchten Lappen in ihren Putzeimer. Das Wasser schwappte über und spritzte auf den Linoleumboden. »Deine Scheißlaune die ganze Zeit habe ich ertragen, weil ich dich mag und wir beide gerade unter erheblichem Druck stehen, aber als Dreckschleuder lasse ich mich von dir nicht beschimpfen.«
»Das hab ich nicht gesagt.«
»Es hat sich für mich allerdings genau so angehört.«
»Pfft!« Marina schüttelte den Kopf und wischte sich die Hände an ihrer grünen Latzschürze ab. »Mein Gott, bist du empfindlich.«
»Ich?« Selma schnappte nach Luft.
»Ja, wer denn sonst? Ich vielleicht?«
Wie zwei Furien standen sich die beiden Marktfrauen angriffslustig gegenüber. Am liebsten hätte Selma Marina geschüttelt, aber was brächte das außer noch mehr Streit? Das wollte sie nicht. Marina war nicht nur ihre Kollegin, sondern auch ihre Freundin, was diese in letzter Zeit manchmal vergaß.
»Bitte, rede mit mir«, lenkte Selma ein, »egal, wie das alles hier weitergeht, wir kriegen das geregelt.«
»Pah!« Marina griff nach einer Kiste Zwiebeln und packte sie ebenfalls auf den Rollwagen.
»Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Hast du neue Informationen, von denen ich noch nichts weiß? Oder was ist los? Ich verstehe das nicht.«
»Dann geht es dir wie mir. Ich kapiere auch so einiges nicht, das kannst du mir glauben«, empörte sich Marina und stapelte eine Kiste Äpfel auf die Zwiebeln. Jede Faser von ihr bebte vor Wut.
Selma griff nach ihrem Handgelenk. »Hey.«
»Was?«
»Sprich mit mir. Was läuft hier schief?«
»Lass mich!« Marina riss sich los und türmte die letzten Gemüsekisten achtlos auf ihren Rollwagen. Entgegen ihrer sonstigen Sorgfalt kümmerte sie sich nicht darum, dass sie dabei das Kraut der Karotten und die Spitzen der Frühlingszwiebeln einquetschte.
Selma sah ihr nach, wie sie den Wagen durch die Lebensmittelabteilung schob und durch die Personaltür in Richtung Kühllager verschwand. Hatte die Geschäftsleitung etwa schon mit ihr gesprochen und eine Entscheidung getroffen? Das würde einiges erklären. So aggressiv und unausgeglichen wie heute hatte sie Marina noch nie erlebt. Normalerweise gab es für sie keine schlechte Laune. Sie war eine Frohnatur, die die Kunden zum Lachen brachte, sie mit ihrem Charme, ihren lustigen Sprüchen an den Stand lockte und ihnen die Einkaufstüten vollschwatzte. Sie war eine waschechte Marktfrau mit dem Herz am rechten Fleck.
Nachdenklich nahm Selma das Wischtuch wieder auf und setzte ihre Arbeit fort.
Die Kollegen aus den anderen Abteilungen waren inzwischen alle gegangen. Rundherum war es mucksmäuschenstill geworden. Selma räumte den Stand auf, fegte den Boden, rechnete die Kasse ab und hängte zum Schluss ihre grüne Latzschürze an einen Haken. Marina hätte längst wieder zurück sein müssen. Um den Wagen in die Kühlung zu bringen, benötigte sie normalerweise nur wenige Minuten. Im Anschluss daran brachten sie für gewöhnlich die Tageseinnahmen hoch ins Büro in die fünfte Etage. Besorgt sah Selma zur Uhr. Für einen kurzen Moment überlegte sie, das Geld allein abzuliefern, bevor dort oben ebenfalls Feierabend gemacht wurde, aber sich ohne ein versöhnliches Wort davonschleichen wollte sie nicht.
Als Marina nach ein paar Minuten immer noch nicht zurückkehrte, ging Selma nachsehen, wo sie steckte. Sie stopfte das Geld in ihre Tasche und marschierte durch die Personaltür in Richtung Kühlraum. Die Feuerschutztür fiel hinter ihr ins Schloss. Sie lief einen betongrauen Gang entlang, bog um eine Ecke und blieb erschrocken stehen.
»O mein Gott!«, flüsterte sie, schlug die Hände vor den Mund und versuchte zu begreifen, was sie sah, bis die Bilder endlich einen schrecklichen Sinn ergaben.
Vor der offenen Tür der Personalumkleide, auf halbem Weg zum Kühlraum, lag Marinas Rollwagen umgestürzt auf dem Fußboden. Alle Kisten, die sie darauf gestapelt hatte, waren heruntergefallen. Das gesamte Gemüse war kreuz und quer durch den Flur gerollt. Überall verteilten sich Kartoffeln, Zwiebeln und Kohlköpfe. Nebensächlichkeiten, die Selma wahrnahm, genau wie das zuckende Licht einer Neonröhre und den süßlichen Duft eines Deodorants, der aus der Umkleide strömte. Vor ihr, mitten in diesem chaotischen Durcheinander, das einem Bombeneinschlag glich, lag Marina auf dem Boden und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach oben zur Decke. Der erste Impuls, zu ihr zu eilen, weil sie vielleicht eine Kreislaufschwäche oder eine Herzattacke erlitten hatte, verflog augenblicklich. Entsetzt blieb Selma stehen und stützte sich mit der Handfläche an der Wand ab. Ihre Knie wurden weich, ihr gesamter Körper fing an zu zittern. Das war das Schrecklichste, was sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte.
Aus Marinas Brust ragte der Griff ihres Gemüsemessers, das sie meist bei sich trug. Um die Einstichstelle zeichnete sich ein großer dunkler Blutfleck auf der grünen Latzschürze ab. Ihre langen braunen Haare lagen zerzaust um ihren Kopf auf dem schmutzigen Linoleumboden. Marina war tot. Erstochen. Als ob das alles nicht schon grausam genug gewesen wäre, hatte der Mörder ihr zusätzlich einen grünen Apfel in den Mund gestopft. Selma schauderte. Wie in Zeitlupe lief sie zu der Toten, zertrat dabei eine Tomate, was sie in ihrer Fassungslosigkeit nur am Rande bemerkte, und ging auf die Knie.
»Marina!«, rief sie unsinnigerweise und stupste sie an der Schulter, als ob sie ihre Kollegin nur aufzuwecken bräuchte. Doch je länger Selma neben der Leiche kniete, desto gnadenloser sickerte die bittere Realität in ihr Bewusstsein. Ihr Magen rumorte. Sie sollte davonlaufen, Hilfe holen, irgendetwas tun, aber sie brachte keine einzige Bewegung zustande. Plötzlich hörte sie Schritte näher kommen, die hinter ihr innehielten.
»Mein Gott!«, rief der Kaufhausdetektiv schockiert. »Was um alles in der Welt haben Sie getan?«
Mit diesem kleinen Reisetrolley hatte alles angefangen. Klara legte ihn auf das Hotelbett und zog den Reißverschluss an der Seite auf. Vor genau vier Monaten hatte sie ihn das letzte Mal benutzt, damals, als sie ihren Mann Harald verlassen und in ihre Dachgeschosswohnung über Philippes Buchhandlung gezogen war. Meine Güte, was war seitdem alles geschehen! Manchmal fühlte es sich wie ein verrückter Traum an, der niemals endete. Ihr neues Leben hatte vom ersten Tag an komplett auf dem Kopf gestanden, und ihr war bewusst geworden, was sie bislang an der Seite ihres Ehemannes alles verpasst hatte. Klara verstand sich auf Anhieb mit dem blinden Buchhändler. Bereits nach kurzer Zeit verband sie eine tiefe Freundschaft, die oft ohne Worte auskam. Es war ein wundervolles Gefühl, zu wissen, dass der eine für den anderen da war und dass sie über alles miteinander reden konnten. Das dachte sie zumindest. Die Tatsache, dass Philippe trotz der Trennung von seiner Frau Stine vor vielen Jahren immer noch mit ihr verheiratet war, hatte er nie erwähnt. Es hatte Klara den Boden unter den Füßen fortgerissen, als sie davon erfuhr. Im Grunde ging sie das nichts an, sie waren kein Paar und somit hatte er ihr gegenüber keinerlei Verpflichtungen, aber wie konnte er ihr die ganze Zeit über verschweigen, dass er sich niemals hatte scheiden lassen? Wenn sie abends in seinem Wohnzimmer bei einem Glas Rotwein zusammensaßen, hatte er oft von Stine erzählt. Klara kannte die traurige Geschichte, wie er damals langsam erblindet war und wie ein Irrer vergeblich versucht hatte, dagegen anzukämpfen. Aus Angst und Verzweiflung vor der Dunkelheit erlernte er alles, was er benötigte, um weiterhin ein selbstständiges Leben führen zu können. Aufgeben war keine Option. Von Anfang an stand für ihn fest, dass er den Buchladen um jeden Preis weiterführen würde. Leider hatte er dabei die Liebe zu Stine vergessen. Sie blieb lange an seiner Seite und unterstützte ihn von Herzen, aber irgendwann schwanden ihre Kräfte, bis sie ihn einige Jahre später verließ. Philippe bereute, dass er damals im doppelten Sinne blind gewesen war. Das, was die beiden selbst heute noch miteinander verband, war etwas Besonderes. Klara war nicht unbedingt Fachfrau in Liebesangelegenheiten, doch sie spürte, dass es ein Band zwischen ihnen gab, das nie zerreißen würde. Und genau das bereitete ihr Sorge. Genauso wie dieser hirnrissige Plan, in dem sie die Hauptrolle übernehmen sollte.
Ihr Handy klingelte in der Tasche. Sie zog es hervor und lächelte, als sie das Foto ihrer Freundin Bella auf dem Display aufleuchten sah.
»Hi, Süße!« Klara warf sich in den kleinen Sessel neben ihrem Hotelbett, schlüpfte aus den Schuhen und legte die Füße auf der Tagesdecke ab.
»Na? Seid ihr gut angekommen?«, fragte Bella. Seit sie erfahren hatte, was Philippe und Stine vorhatten, brannte sie vor Neugier, wie sich das alles hier entwickelte. Da waren sie schon zu zweit, denn Klara gefiel Philippes Entscheidung absolut nicht. Egal, wie dieses Abenteuer ausging, letztendlich betraf es auch ihr Leben, und nach all den Strapazen, die sie für ihren Neuanfang in Kauf genommen hatte, war sie nicht gewillt, zuzusehen, wie alles wieder zusammenbrach.
»Die Bahnfahrt zog sich, aber wir hatten genügend Gesprächsstoff«, antwortete Klara.
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Bella kicherte. »Seid ihr euren Plan noch mal durchgegangen?«
»Immer und immer wieder.«
»Das ist schon abgefahren, was ihr da vorhabt.«
»Wem sagst du das? Meine Idee war es jedenfalls nicht. Die beiden hätten die Scheidung einreichen und es dabei belassen sollen.« Klara war nur auf Philippes Drängen mitgekommen. »Bei meinem Talent, ständig in irgendwelche Katastrophen zu schlittern, kannst du dir vorstellen, dass der Plan unter Garantie nicht so reibungslos verlaufen wird, wie die beiden sich das ausmalen. Wetten?«
»Komm schon, nimm es sportlich. Das werden ein paar lustige Tage.« Bella amüsierte sich köstlich.
»Fragt sich nur, für wen?« Klara seufzte.
»Habt ihr Stine schon getroffen?«
»Nein, wir sind gerade erst im Hotel angekommen und fahren nachher zur Mittagszeit ins Warenhaus. Dort treffen wir sie und ihren Bruno, der uns das ganze Familienunternehmen zeigen wird. Anschließend gehen wir gemeinsam essen. Wenn alles glattläuft, was ich inniglich hoffe, wird Stines Verlobter keinen Verdacht schöpfen, warum wir wirklich gekommen sind.«
»Schon krass von ihr. Sie will die Scheidung von Philippe, und weil sie Angst hat, sich an den falschen Mann zu binden, soll ihr Ex den Neuen begutachten, da er sie besser kennt als jeder sonst«, resümierte Bella den Plan.
»Krass?«, brauste Klara auf. »Ich finde das unmöglich!«
»Komm schon, wenn das so wäre, dann würdest du nicht mitspielen und dich mit Philippe inkognito in Stines künftige Familie einschmeicheln.«
»Was habe ich denn für eine Wahl?«
»Du könntest ablehnen und die beiden das allein ausmachen lassen.«
»Eben nicht.«
»Wieso? Glaubst du, die kriegen das ohne dich nicht hin?«
»Doch! Aber vielleicht besser, als mir lieb ist«, gab Klara kleinlaut zu.
»Ha! Ich wusste es!«, jubelte Bella. »Du hast Angst, dass die beiden wieder zusammenkommen könnten, und das, meine Süße, würde dich stören, weil … na?«
»Du bist so blöd!«, schimpfte Klara gespielt empört und grinste.
»Genau, weil du in Philippe verliebt bist! Gib es doch endlich zu. Was ist schon dabei?«
»Ich mag ihn, das stimmt, aber mehr ist da nicht«, versuchte Klara sich aus der Affäre zu ziehen.
»Natürlich. Das kannst du deinem Friseur erzählen, aber nicht mir, deiner besten Freundin. Ich kenne dich besser als sonst wer.«
»Ist ja gut, jetzt hör schon auf.« Klara lachte. Sie erhob sich, trat ans Fenster und beobachtete den Verkehr auf der Straße vor dem Hotel. Wenn es nach Bella gegangen wäre, hätte sie sich bei der erstbesten Gelegenheit an Philippes Hals geworfen und ihm ihre Liebe gestanden.
»Wie soll ich bloß das Theater hier mitspielen, ohne mich dabei zu verplappern?«
»Das schaffst du«, ermutigte sie Bella, »ihr habt euch einen guten Plan ausgedacht, und wenn du dich daran hältst, wird Bruno nicht mitbekommen, dass er dem Ex seiner Künftigen gegenübersteht.«
»Hoffentlich. Es war gar nicht so einfach, sich eine glaubhafte Geschichte auszudenken. Schließlich kennt er Philippes Namen und weiß von seiner Erblindung. Stines Idee, ihm zu erzählen, dass sie mich in einem Forum für Angehörige blinder Menschen gefunden hat, in dem sie damals nach Gleichgesinnten zum Austausch gesucht hatte, ist im Grunde nicht schlecht. Angeblich haben wir uns daraufhin angefreundet und uns über unsere Männer und die Schwierigkeiten mit ihrer Erblindung ausgetauscht. Es wäre mir nur lieber gewesen, ich müsste nicht ausgerechnet die Ehefrau von Philippe spielen, den ich jetzt Fabien nennen soll.«
»Fabien? Wie kommt ihr denn auf diesen Namen?«
»Weil die beiden vermuten, dass ich mich verplappere, haben sie einen Vornamen ausgewählt, der zumindest phonetisch gleich anfängt. Da kann ich die ein oder andere Situation vielleicht noch rechtzeitig retten.«
Sie kicherten.
»Wie klug von den beiden.«
»Bella!«, rief Klara gespielt entsetzt.
»Was denn?«
»Du bist meine Freundin und solltest empört sein, dass sie mir so wenig zutrauen.«
»Na ja …«
»Tust du das etwa auch nicht?«, fragte Klara.
»Sieh es einmal so …«, begann Bella liebevoll.
»Ich wusste es!« Sie spielte die beleidigte Leberwurst und brach nach kurzem Schweigen in Gelächter aus. »Hey, ich bin die Allererste, die sich das selbst nicht zutraut. Ich habe so einen Bammel, dass ich uns alle verrate. Was wird dieser Bruno dann von Stine denken? Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn das schiefgeht.«
»Das wäre schon blöd«, antwortete Bella mit einem merkwürdigen Unterton.
»Wieso sagst du das so komisch?«
»Denk doch mal weiter.«
»Was meinst du?« Sie hatte keine Ahnung, worauf Bella hinauswollte.
»Stell dir vor, du zerschießt den Plan, Bruno kommt hinter eure Scharade und wird Stine dafür verachten, dann will er sie nicht mehr heiraten, und sie bleibt stattdessen bei Philippe.«
»Hör auf! Du bist so gemein.« Klara lachte. Sie kannte ihre Freundin gut genug und bemerkte, dass die sie gerade mächtig auf den Arm nahm.
»Im Ernst, das wird schon. Pass auf, das Spiel wird dir Spaß machen«, sagte Bella.
»Ich weiß nicht.« Klara seufzte.
»Natürlich wird es das. Du hältst mit Philippe Händchen, er legt seinen Arm um dich …«
»Bella, du bist die schrecklichste Freundin, die man nur haben kann!«, rief Klara dazwischen und wusste, dass dies absolut nicht der Fall war. Ohne sie säße sie heute noch neben Harald auf dem Sofa in ihrem kleinen Reihenhaus, während das Leben an ihr vorüberzog. »Ich muss jetzt auspacken. Philippe holt mich gleich ab.«
»Klara?«
»Hm?«
»Ich bin mir sicher, du brauchst keine Angst zu haben, dass Philippe zu Stine zurückkehrt.«
Klara nickte. »Vermutlich nicht.«
»Obwohl, man weiß ja nie …«
»Bella!«
Wie verabredet klopfte Philippe an Klaras Zimmertür. Sie stand im Badezimmer, richtete ihre Haare vor dem Spiegel, zupfte eine Strähne aus dem lässig gebundenen Dutt und zwirbelte sie um ihren Finger. Er klopfte ein zweites Mal.
»Jaaa, ich komme!«, rief sie und sprühte rasch eine Wolke Parfum um ihr Gesicht. Dann schlüpfte sie in ihren roten Wollmantel, schlang sich einen Schal um den Hals und öffnete die Tür.
»Es-tu prêt? Bist du bereit für unsere kleine Theatervorstellung?«, fragte Philippe und lächelte. Er hielt seinen Blindenstock in der einen Hand, die andere streckte er Klara entgegen. Wie umwerfend er aussah. Sein grau meliertes Haar, sein Dreitagebart und dieses unwiderstehliche Lächeln, das so spitzbübisch und charmant gleichermaßen war. Sein Blick ruhte wie so oft auf ihrem Busen. Wie sehr sie das anfangs irritiert hatte.
»Ja, Ph…« Sie erschrak. »Mist. Fabien. Himmel, das geht ja schon gut los. Ich kann mich mit diesem Namen einfach nicht anfreunden.« Sie zog die Zimmertür hinter sich zu, hakte sich bei Philippe unter und ging mit ihm zum Fahrstuhl.
»Wir schaffen das, ma chère, mach dir keine Gedanken. Wir schauen uns Bruno und sein Warenhaus an und fahren in zwei Tagen wieder nach Hause. Jetzt im Weihnachtsgeschäft lasse ich Lukas nur ungern allein im Buchladen zurück.« Eine kleine Sorgenfalte huschte über sein Gesicht.
»Weißt du, wie verdammt lang zwei Tage sein können, wenn man lügen muss?« Sie hatte regelrecht Lampenfieber.
»Dann lass es uns nicht als Lüge ansehen, sondern als kleines Rollenspiel, auf das wir uns einlassen. Qu’est-ce que tu penses?«
Klara drückte den Knopf am Aufzug und spürte, wie ihre Wangen glühten.
»Ich wette, du errötest gerade wieder. N’est-ce pas?« Philippe schmunzelte.
Das Taxi wartete direkt vor dem Hotel. Einzelne Schneeflocken wirbelten aus dem grauen Dezemberhimmel, segelten zu Boden und tauten sofort auf dem Asphalt. Philippe tastete nach der Wagentür und öffnete sie mit einer galanten Handbewegung. Klara stieg ein.
»Zum Warenhaus Kahlberg bitte«, gab er dem Fahrer Anweisung.
»Ich bin fürchterlich aufgeregt«, sagte Klara und wischte mit den Fingern die beschlagene Seitenscheibe frei.
»Mach dich nicht verrückt.« Er legte seine Hand auf ihren Unterarm. »Was soll schon passieren?«
»Denkst du nicht darüber nach, wie Bruno reagieren könnte, falls er die Wahrheit herausfindet?« Klara wandte sich zu Philippe.
»Nein.«
»Echt nicht?«
»Wenn wir unsere Rolle gut spielen, dann passiert gar nichts. Falls wir auffliegen, werden wir feststellen, was für ein Mann Bruno wirklich ist. Liebt er Stine, wird er ihre Vorsicht verstehen und ihr unser kleines Theater verzeihen. Tut er das nicht, ist er sowieso nicht der Richtige für sie. In beiden Fällen erhält Stine Klarheit. Und darauf kommt es letztendlich doch an. N’est-ce pas?«
»Hm, so habe ich das noch nicht betrachtet. Vermutlich hast du recht. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn wir nicht auffliegen.«
Nachdenklich blickte Klara aus dem Fenster. Es war nicht nur ihre Angst, zu scheitern, die sie beschäftigte. Seit Tagen fragte sie sich, wie es sein würde, hierher zurückzukehren. Die Stadt lag nur fünfzehn Autominuten von Harald und ihrem Reihenhaus entfernt. Es fühlte sich komisch an, wieder hier zu sein. Die dreihundert Kilometer Distanz zwischen ihrem neuen Zuhause und dem alten hatten ihr die ganze Zeit Sicherheit gegeben, doch hier huschten plötzlich Geschäfte vor dem Fenster vorbei, in denen Klara früher einkaufen gegangen war, tauchten Orte auf, die Erinnerungen weckten. Nervös zupfte sie ihren Schal zurecht, fuhr mit feuchten Handflächen auf ihren Oberschenkeln entlang und starrte nach draußen. In den letzten Monaten hatte sie versucht, all das aus ihren Gedanken zu verdrängen. Seitdem Harald aufgehört hatte, hinter ihr her zu telefonieren, und sie nicht länger anflehte, wieder zu ihm zurückzukehren, war es besser geworden, bis sie schließlich nach einer Aussprache mit ihm einen Schlussstrich gezogen hatte. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob dem wirklich so war.
»Was ist los, ma chère?«, fragte Philippe und wandte sich besorgt zu ihr. »Ich spüre, dass dich etwas bedrückt.«
»Ja, ich …«
»Oui?«
»Es fühlt sich eigenartig an, wieder hier zu sein.«
»Inwiefern?«
»Vertraut und fremd zugleich. Das klingt blöd, ich weiß, aber das alles hier weckt Erinnerungen an früher. Damals dachte ich, mein Leben an Haralds Seite wäre zwar nicht unbedingt perfekt, aber es war, wie es war, und so sollte es sein. Ich habe es nie hinterfragt, und plötzlich kehre ich hierher zurück, und es kommt mir vor, als ob ich einer großen Illusion aufgesessen war, die inzwischen wie eine Seifenblase geplatzt ist. Das fühlt sich komisch an.« Klara legte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe und starrte hinaus.
»Wie genau?«, wollte Philippe wissen.
»Einerseits bin ich entsetzt, wie lange ich Haralds Launen hingenommen habe und mein Leben mit einer blinden Selbstverständlichkeit hinter seines stellte, und andererseits bin ich überglücklich, dass ich endlich aufgewacht bin und einen Neuanfang gewagt habe. Trotzdem ist da immer noch etwas, das an mir nagt.«
»Sei nicht so streng mit dir. Das braucht Zeit, und das darf es auch. Du kannst Erinnerungen und Gefühle nicht über Nacht auslöschen.« Er griff nach ihrer Hand.
»Philippe?« Klara wandte ihm den Kopf zu.
»Oui?«
»Kannst du mich bitte mal kurz in den Arm nehmen und festhalten?«
»Bien sûr.«
Klara beugte sich zu ihm hinüber und kuschelte sich in seine Arme. Sie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, egal, was Bella jetzt denken würde, wenn sie sie hier so sitzen sähe.
Wie beruhigend sein Herzschlag doch war! Die letzten Fahrminuten schwiegen sie, bis das Taxi vor dem Warenhaus Kahlberg stoppte. Klara richtete sich wieder auf, zupfte ihren Mantel zurecht, und Philippe bezahlte den Fahrer.
»Ist meine Frau bereit für unseren Auftritt?«, fragte er.
»Bien sûr, Ph… ahh … Fabien.«
Das würde ja heiter werden!
»Was ist denn hier los?«, fragte Klara, als sie ausstiegen.
»Was meinst du?« Philippe horchte auf.
»Hier stehen zwei Streifenwagen und ein dunkles Fahrzeug, auf dessen Armaturenbrett im Inneren ein Blaulicht angebracht ist. Das erinnert mich verdammt an Kommissar Flecks Zivilfahrzeug.«
»Ein Polizeieinsatz? Sind die Beamten im Warenhaus?«
»Das sehe ich nicht, aber die Autos stehen direkt vor dem Eingang im absoluten Halteverbot. Sieht fast so aus.«
»Lass uns hineingehen. Stine wird uns erklären, was das zu bedeuten hat«, sagte Philippe und hakte sich bei Klara unter.
Durch die automatische Schiebetür betraten sie das kuschelig warm beheizte Foyer. Das Warenhaus Kahlberg war ein altes, familiengeführtes Unternehmen, in dem Klara früher oft und gern einkaufen gegangen war. Auf vier Etagen plus dem Erd- und Kellergeschoss verteilt gab es so ziemlich alles, was das Herz begehrte. Wie oft hatte Harald gemeckert und behauptet, dass sie mit leeren Taschen und vollem Portemonnaie durch diese Eingangstür eintrat, nur um Stunden später mit jeder Menge bunter, prall gefüllter Papiertüten und ein klein wenig Restgeld wieder herauszukommen. Wie unterschiedlich ihre Wahrnehmungen doch waren! Aus Klaras Perspektive verhielt sich das etwas anders: Während Harald in der Elektronikabteilung ohne jegliches Zeitgefühl die technischen Daten von gefühlt jedem Fernsehapparat verglich, lief sie gelangweilt durch das Warenhaus, gönnte sich einen Pullover hier, eine Hose dort, mehr nicht. Mode war nicht ihre Passion. Viel lieber schlenderte sie durch die gigantische Lebensmittelabteilung im Kellergeschoss, wo sie stundenlang hätte verweilen können. Die Düfte, die Vielfalt … mmh.
»Was ist?«, fragte Philippe, als Klara mitten zwischen den umherwimmelnden Kunden stehen blieb.
»Meine Güte, ist das schön hier«, staunte sie.
»Was siehst du?«
»Wo soll ich bloß anfangen? Im letzten Jahr wurde hier wahnsinnig viel umgebaut. Ich erinnere mich an die nervigen Absperrwände, hinter denen die Umbauarbeiten stattfanden. Sie sind alle verschwunden, und das Ergebnis ist sensationell. Diese gigantische Weihnachtsdekoration ist ein Traum!« Klara drehte sich im Kreis und fing an zu beschreiben: »Du kannst dir das am besten so vorstellen: Im Zentrum des Gebäudes ist eine Rolltreppe, die von einer Etage zur nächsten führt, bis hinauf in die fünfte, zur Administration. Im Dach darüber wölbt sich eine riesige Glaskuppel, durch die Tageslicht hereinfällt. Die einzelnen Stockwerke sind jeweils mit gläsernen Geländern abgesperrt, die in einem großen Oval rund um den gesamten Treppenaufgang führen. Von hier aus sieht man in jeder Etage die Kunden mit ihren Einkaufstüten entlangschlendern. Alles ist hell und lichtdurchflutet. Früher hingen hier zur Weihnachtszeit traditionelle große rote Christbaumkugeln an breiten Bändern von den Decken herab, was schon ein wenig schofel aussah, doch davon gibt es heute keine Spur mehr. Stattdessen strahlen überall Unmengen winziger Lichter, die wie tausend Diamanten funkeln. Tannenbäume, mit künstlichem Schnee gezuckert und geschmackvoll mit Kugeln und Tannenzapfen geschmückt, stehen an jeder Ecke, und riech mal.« Klara schnupperte den leckeren Lebkuchenduft.
Philippe schloss die Augen und roch ebenfalls.
»Am Fuße der Rolltreppe ist eine richtige Winterlandschaft aufgebaut worden«, fuhr sie mit ihrer Beschreibung fort, »nicht so eine kleine poplige, nein, da steht ein riesiger Schlitten mit ausgestopften Rentieren, eine liebevoll dekorierte Holzbude, vor der sich Kinder tummeln und mit Plätzchen und heißem Kakao versorgt werden. Es sieht aus wie auf dem Weihnachtsmarkt. Etwas weiter daneben steht ein roter Ohrensessel mit goldenen Nieten, auf dem unter Garantie ab und zu der Weihnachtsmann sitzt. So stelle ich mir das jedenfalls vor.« Klara seufzte. »Und schau nur, wie sich die Abteilungen verändert haben.«
»Das mit dem Schauen geht leider nicht.« Philippe grinste.
»Entschuldige, aber du weißt, was ich meine.«
Er nickte und drückte ihre Hand.
»Es gibt nicht mehr die klassische Damenbekleidungsabteilung gleich links neben dem Eingang. Alles ist ganz anders aufgeteilt, viel offener und abwechslungsreicher.«
»Wie meinst du das?«
»Farblich markierte Wege schlängeln sich zwischen den Produkten hindurch. Sie sind mit lustigen Wegweisern ausgestattet. Selbst die sind mit Schneehäubchen versehen. Damit die Frauen in Ruhe shoppen können, gibt es mitten zwischen den Klamotten eine Kaffeelounge für die Herren und jede Menge kleine Spielecken für die Kinder. Die ehemalige Schmuckabteilung zur Rechten ist ebenfalls umgebaut worden und mit Accessoires und Kosmetikangeboten ergänzt. Du weißt, ich bin nicht so der Shoppingtyp, aber hier möchte man am liebsten überall gleichzeitig stöbern.« Klara drehte sich im Kreis und sog die Eindrücke begeistert auf. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, der Umbau ist phantastisch geworden. Du betrittst das Warenhaus und fühlst dich wie in einer anderen Welt, in der es an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt.«
»Dann hat das Marketing einen guten Job gemacht.«
»Und diese bombastische Weihnachtsdeko. Das wirkt alles so natürlich, als ob du tatsächlich mitten in einer Schneelandschaft einkaufen gehst. Ich kann mich gar nicht sattsehen. Hier drin vergisst du augenblicklich das graue Schneematschwetter draußen und lässt dich vom Zauber der Weihnacht verführen. Sogar eine kleine Bimmelbahn mit bunten Waggons und einem Weihnachtsmann als Zugführer fährt hier herum, aus den Fenstern strahlen glückliche Kindergesichter.«
»Bruno scheint ein Händchen für seinen Job zu haben«, stellte Philippe fest. »Komm, lass uns Stine anrufen. Ich bin gespannt auf den Mann, der für diesen Zauber hier verantwortlich ist.« Er zog sein Handy aus der Manteltasche und wählte per Sprachbefehl.
Die Wohnungen der Familie Kahlberg befanden sich im obersten Stockwerk. In einer davon lebte Stine mit Bruno.
»Sie kommt gleich runter«, sagte Philippe nach einem kurzen Gespräch mit ihr und steckte das Telefon wieder ein. »Siehst du hier irgendetwas, das die Streifenwagen vor der Tür erklären könnte?«
Vor lauter Faszination hatte Klara diese glatt vergessen. »Nein«, antwortete sie und zuckte die Schultern. Dabei wickelte sie ihren dicken Wollschal vom Hals. »Es wirkt alles ziemlich unauffällig, was ja nichts heißen mag.«
»Wir werden hören, was Stine uns erzählt. Apropos, ich halte es für sinnvoller, wenn wir die ganze Zeit über bei unserer Rolle als Ehepaar bleiben. Ich denke, das wäre einfacher, sonst müssen wir ständig aufpassen, dass wir uns nicht verplappern. Einverstanden? Nicht vergessen, wir sind verheiratet, ich heiße Fabien …«
»… und ich bin mit Stine befreundet, ja, ich weiß.« Klara seufzte. »Ob ich das glaubwürdig spielen kann?« Was sie nicht laut aussprach, war die Tatsache, dass sie dieser Frau am liebsten gar nicht mehr über den Weg laufen wollte.
»Du schaffst das«, sagte Philippe, »davon bin ich absolut überzeugt, ma chère.«
Hoffentlich.
Völlig aufgelöst begrüßte Stine ihre Gäste mit einer flüchtigen Umarmung. Sie trug ein rosafarbenes Strickkleid, das ihre makellose Figur wunderbar zur Geltung brachte. Ihre haselnussbraunen Haare umspielten ihren blassen Teint. Sie sah müde und zutiefst erschrocken aus.
»Ihr könnt euch nicht vorstellen, was geschehen ist«, platzte es aus ihr hervor. »Eine Katastrophe!« Sie griff nach Philippes Hand und zog ihn mit sich. »Kommt, lasst uns hinaufgehen. Hier unten ist zu viel los. Ich möchte nicht, dass unsere Kunden Wind von der ganzen Angelegenheit bekommen.«
»Warum stehen draußen Streifenwagen?«, raunte Philippe ihr zu.
»Fürchterliche Sache, das Ganze. Bitte, hier entlang.« Stine ging voran, und sie stiegen in einen gläsernen Aufzug, der an der rechten Seite des offenen Ovals bis nach oben in die vierte Etage fuhr.
Wie herrlich das Warenhaus mit seinen vielen Lichtern und den bunten Weihnachtsdekorationen aus dieser Perspektive aussah. Klara beobachtete aus der Kabine, wie die Kunden im Parterre geschäftig umherwimmelten. Genau so musste es aussehen, wenn der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten über sein Wichteldorf am Nordpol hinwegflog.
»Hier entlang«, sagte Stine und stieg aus dem Lift, als der Fahrstuhl stoppte.
Klara schaute hinauf zu der gigantischen Glaskuppel im Dach, auf der sich immer mehr Schnee ansammelte und zu den Seiten herunterrutschte.
»Dort oben im fünften Stock befinden sich im mittleren Trakt die Büros des Warenhauses, das Sekretariat, die Verwaltung, Personalwesen und so weiter«, erklärte Stine. »Die private Wohnung von Frida und Bernhard, Brunos Eltern, ist am Ende der rechten Gebäudeseite, genau wie das Appartement seiner Schwester Carola. Auf der linken Seite leben wir und Brunos jüngere Schwester Aria.«
»Alles unter einem Dach.« Philippe schmunzelte ein wenig eigenartig, wie Klara fand. »Ihr wohnt hier, ihr arbeitet hier und kauft hier ein. Wie praktisch.«
»Ich weiß, was du sagen willst.« Stine huschte ein nervöses Lächeln übers Gesicht.
»Ich nicht«, sagte Klara ein wenig angefressen. Sie kam sich jedes Mal überflüssig vor, wenn die beiden so vertraut miteinander sprachen. Der eine kannte die Gedanken des anderen, und für sie blieb vieles verborgen.
»Entschuldige.« Stine wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zu ihr um. »Philippe hat mich früher gern aufgezogen, weil ich ihn ständig aus dem Buchladen locken wollte, die Welt sehen, Leute treffen. Ich warf ihm leider ziemlich oft vor, dass er sich in seinem Laden verschanzte und das Leben dort draußen verpasste, wenn er so verbissen arbeitete.«
»Ist das mit Bruno heute anders?«, fragte Klara, denn sie hatte den Verdacht, dass dem nicht so war.
Stine zuckte zusammen.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. Es war nur so ein Gedanke. Wenn ich mir das Unternehmen hier ansehe, wird dein Mann vermutlich wahnsinnig viel zu tun haben. Das Haus ist riesig!«
»Du hast dieselben Befürchtungen, stimmt’s?« Philippe drehte den Kopf in Stines Richtung. »Deswegen wolltest du meinen Rat, was ich von ihm halte. N’est-ce pas?«
Sie zwirbelte nervös eine Locke zwischen ihren Fingerspitzen und nickte. »Oui. Bruno ist ein wundervoller Mann, und ich liebe ihn von ganzem Herzen, aber noch einmal würde ich das nicht ertragen. Du weißt das, Philippe.«
»Oui, das weiß ich.« Er drückte ihre Hand. »Doch erzähl uns endlich, warum die Polizei bei euch im Haus ist.«
»Kommt, ich habe uns im Bistro einen Tisch reserviert, dort können wir ungestört reden. Bruno lässt sich entschuldigen, unter diesen Umständen ist er momentan unabkömmlich.«
Mit ihrer eleganten Art schwebte Stine in das kleine italienische Restaurant direkt auf einen Tisch zu, der etwas abseits mit herrlichem Blick hinab in die Verkaufsräume stand.
»Also, was ist hier los?«, fragte Philippe ungeduldig, nachdem sie Platz genommen hatten.
»Stellt euch vor …« Stine fasste sich mit den Fingerspitzen gegen die Schläfen und seufzte. »… gestern Abend nach Ladenschluss ist unsere Marktfrau ermordet worden.«
»Was?«, rief Klara erschrocken. »Ist das dieselbe Frau, die ich noch von früher kenne?«
»Marina Ehler. Sie ist seit vielen Jahren hier im Haus angestellt«, erwiderte Stine.
»Ich habe bis vor einiger Zeit ganz in der Nähe gewohnt«, erklärte Klara, woher sie von ihr wusste, »ich kam oft hierher einkaufen. Diese Person war das Highlight der Lebensmittelabteilung.«
»Bruno gegenüber solltest du das besser nicht so begeistert erwähnen.« Stine lächelte müde.
»Wieso? Sie war witzig und verstand es, mit den Kunden umzugehen. Du hattest das Gefühl, du stehst mitten auf dem Markt. Ich habe gern bei ihr eingekauft und ihr zugehört, wie sie mit den Leuten scherzte, wie sie ihr Gemüse anpries.«
»Du sagtest, sie wurde ermordet?«, fragte Philippe. »Was genau ist geschehen?«
»Ehrlich gesagt weiß ich recht wenig. Direkt nachdem man sie gestern Abend gefunden hatte, wurde Bruno informiert. Seitdem habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wir haben nur kurz miteinander telefoniert, und da sagte er, dass die arme Frau im Personaltrakt nach Ladenschluss erstochen aufgefunden wurde. Unser Kaufhausdetektiv hat ihre Kollegin Frau Holler neben der Leiche knien sehen. Vorsichtshalber hat er sie festgehalten, bis Bruno eintraf. Die Ärmste war völlig aufgelöst.« Stine fuhr sich mit einem tiefen Seufzen mit beiden Handflächen über das Gesicht. »Die Polizei hat die ganze Nacht den Tatort untersucht und heute früh mit den Nachforschungen im Haus begonnen. Die gesamte Familie Kahlberg ist bemüht, dass der Kundenverkehr davon möglichst unberührt bleibt. Der Skandal wäre das reinste Gift für das Weihnachtsgeschäft. Hier werden nicht nur Waren verkauft, sondern auch Träume, das Gefühl von heiler Welt im Lichterglanz. Die Kunden sollen sich hier wohlfühlen und ungestört shoppen oder kulinarische Köstlichkeiten genießen, sozusagen ein Event der Sinne erleben. Da passen keine Uniformen, Blaulicht und Mord ins Verkaufsbild, schon gar nicht jetzt in der Vorweihnachtszeit.«
Philippe tastete über den Tisch nach Stines Hand und umfasste sie, was Klara nicht ohne Argwohn bemerkte.
»Können wir euch irgendwie helfen?«, fragte er.
»Das ist rührend, danke, aber die Polizei ist schon vor Ort.« Philippe hielt ihre Hand für Klaras Geschmack etwas zu lange fest, und Stine sah ihn zärtlich lächelnd an. Irgendwas musste sie unternehmen, um diesen innigen Augenblick möglichst schnell zu unterbrechen.
»Was wäre, wenn ich mich ein wenig umsehe?«, fragte sie, ohne nachzudenken.
»Wie willst du das denn anstellen?« Stine zog ihre Hand zurück und winkte den Kellner herbei.
»Das ist eine gute Idee«, stimmte Philippe zu, »du könntest als Kundin auftreten und dich unauffällig unter dem Personal umhören. Tratsch, den die Leute nicht unbedingt der Polizei auf die Nase binden, gibt es immer.«
»Ich weiß nicht«, zögerte Stine. »Bruno würde das bestimmt nicht gefallen.«
»Er muss es ja nicht erfahren.« Klara zwinkerte schelmisch. »Ich mische mich unter das Volk, und danach sehen wir weiter.« Ihre detektivische Spürnase hatte vorhin beim Anblick der Streifenwagen bereits angefangen zu jucken. Ein Kriminalfall, der ihr direkt vor die Füße fiel, schrie doch geradezu nach »Klär mich auf«!
»Klara hat schon einige Verbrecher zur Strecke gebracht. Gib ihr eine Chance. Sie ist gut in dem, was sie tut. Was habt ihr zu verlieren?«, pries Philippe sie wie warme Semmeln an.
»Wenn du meinst«, erwiderte Stine zögerlich, »dann vertraue ich dir gern, aber lasst uns vorher eine Kleinigkeit essen, und wir besprechen alles in Ruhe.« Sie wandte sich dem Kellner zu, der zu ihnen an den Tisch kam. »Giorgio, darf ich dir meine Freundin Klara und ihren Mann Fabien vorstellen?«
Verdammt, da war ja noch was …
Klara fing an zu zweifeln, ob es eine gute Idee gewesen war, vorzuschlagen, sich im Haus umzuhören, denn das bedeutete im Gegenzug, dass sie Philippe und Stine allein zurückließ. Die beiden hatten während des gesamten Essens viel zu oft miteinander gelacht. Sie schwelgten in Erinnerungen, und für Klaras Empfinden sah das ziemlich vertraut aus, vielleicht sogar ein wenig zu sehr. Es wäre ja nur ein kurzes Umherschlendern, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, danach würde sie wieder zu den beiden stoßen und sie im Auge behalten. Was sollte schon geschehen? Außerdem war Philippe ein erwachsener Mann und ihr keinerlei Erklärung schuldig.
Auf ihrem Weg in die Lebensmittelabteilung im Kellergeschoss warf Klara von der Rolltreppe aus einen Blick über die Verkaufsstände, die genau wie in den oberen Etagen weihnachtlich dekoriert waren. Überall standen Tannenbäume, geschmückt mit Kugeln und Schnee und unendlich vielen kleinen Lichtern, die das Gefühl eines glitzernden Vorweihnachtstraums verströmten. Die Modernisierung des Warenhauses war hier unten noch nicht angekommen. Es gab kein Eventshopping wie oben, sondern die Abteilungen waren klar voneinander getrennt. Der Bäcker verkaufte Backwaren, der Weinhändler Wein und so weiter. Auf den ersten Blick hatte sich hier im letzten Jahr nichts verändert. Sogar der Duft nach allen möglichen Gewürzen, Früchten und sonstigen Leckereien vermengte sich zu der Melange, die Klara so sehr liebte. Genau wie früher, wenn sie hierhergekommen war, blieb sie am Fuße der Rolltreppe kurz stehen und schnupperte genüsslich die Welt der tausend Gerüche. Sie schloss die Augen, doch statt wie damals den Duft der unbegrenzten Möglichkeiten wahrzunehmen, schlich sich heute noch etwas anderes hinzu – die Erinnerung an ihr altes Leben. Rasch öffnete sie die Lider wieder und war enttäuscht, dass der Zauber nicht mehr funktionierte. Alles hatte seine Zeit, und diese war offensichtlich vorüber.
Die Stände waren symmetrisch in Reihen angeordnet. Die Wein- und die Teeabteilung beanspruchten mit ihrem riesigen Sortiment weitaus mehr Platz als die anderen. Klara schlenderte von außen nach innen und folgte einem bestimmten Weg, der sie bis in die Mitte des Verkaufsraums führte, zum Gemüsestand. Sie hielt wachsam Augen und Ohren offen. Die Kunden liefen geschäftig hin und her, kauften Lebensmittel, die sie in ihre Taschen stopften. Auf den ersten Blick schien alles wie immer zu sein. Klara betrachtete die Auslagen der Stände und trat ein Stückchen näher an die Kunden, um sie unauffällig zu belauschen. Das war nicht die feine Art, aber notwendig, um herauszufinden, ob die Neuigkeit von Marinas Ermordung schon die Runde gemacht hatte. So arbeitete sie sich aufmerksam bis zum Gemüsestand vor. Die beiden Verkäuferinnen, die morgens hier arbeiteten und die Klara noch von früher kannte, wirkten schweigsamer als sonst. Während das fröhliche Lachen der Jüngeren verstummt war, lag auf dem Gesicht der Älteren ein Schatten. Klara beobachtete sie heimlich und schlenderte an dem benachbarten Fischstand vorbei. Täuschte Interesse für die Fische im Eisbett vor, dann ging sie weiter zum Bäcker nebenan. Eine junge Frau, die offensichtlich noch nicht lange hier arbeitete, so unsicher, wie ihre Handgriffe wirkten, stand allein hinter der Theke. Vielleicht hatte Klara bei ihr etwas mehr Glück. Immerhin war der Gemüsestand direkt vor ihrer Nase, und sie sah unweigerlich, was dort die ganze Zeit geschah.
»Guten Tag«, grüßte Klara.
»Hallo, was kann ich für Sie tun?«, fragte die Verkäuferin, die kaum älter als zwanzig Jahre sein mochte, mit einem verlegenen Lächeln.
»Ein Schokocroissant bitte.« Klara deutete auf die Auslage.
»Sehr gern.« Die Frau nahm die Gebäckzange, fischte die Köstlichkeit aus der Vitrine und steckte sie in eine Papiertüte.
»Sagen Sie«, begann Klara, »die beiden Verkäuferinnen vom Gemüsestand wirken so mitgenommen. Haben Sie eine Ahnung warum?«
Die junge Frau errötete und lächelte nervös. Gerade als sie Luft holte, um zu antworten, trat eine ältere Kollegin aus einem angrenzenden Raum hinter dem Regal voller Brote hervor.
»Ich übernehme hier«, sagte sie barsch, zupfte ihre Latzschürze mit eingesticktem Firmenlogo auf der Brust zurecht und schob die junge Verkäuferin dezent zur Seite.
Mit hochrotem Kopf griff diese nach einem Tuch und wischte geschäftig die Theke sauber, tunlichst darauf bedacht, Klara nicht anzusehen.
»Darf es sonst noch etwas sein?«, fragte die Frau ein wenig zu barsch, wie Klara fand, und tippte den Betrag in ihre Kasse.
Natürlich, eine Tüte voller Informationen, die mich weiterbringen in meinen Ermittlungen!, dachte Klara, doch der abweisende Blick der Verkäuferin sprach Bände. Hier war jegliches Fragen und Bohren vergebens.
»Nein danke, das war alles«, erwiderte sie kleinlaut und zählte Münzgeld aus ihrem Portemonnaie, legte es auf die Theke und wandte sich zum Gehen. Moment, warum ließ sie sich eigentlich von dieser Person einschüchtern? Eine gute Detektivin würde sich bestimmt nicht so hopplahopp abservieren lassen. Klara drehte sich wieder um und fragte: »Wissen Sie vielleicht, was am Gemüsestand los ist?«
»Nein«, antwortete die Verkäuferin kurz angebunden und wischte ihre Hände an der Schürze ab.
»Komisch, ich könnte wetten, dass da etwas nicht stimmt.« Klara wartete auf eine Reaktion. Nichts. Dann wandte sie sich an die junge Kollegin, die verstohlen zu ihr herübersah. »Wir wurden vorhin unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, Sie wollten etwas sagen?«
Sie schüttelte heftig den Kopf und polierte noch intensiver den Ladentisch.
»Auf Wiedersehen«, fuhr die ältere Verkäuferin dazwischen und fing an, die Brotlaibe im Regal hinter ihr zurechtzurücken.
»Okay, auf Wiedersehen.« An dieser Stelle kam Klara nicht weiter, obwohl sie überzeugt war, dass die beiden weitaus mehr wussten, als sie vorgaben. Vielleicht hatten sie Anweisung aus der Chefetage, dass kein Sterbenswörtchen an die Kundschaft weitergetragen werden durfte. Das würde zu Stines Bemerkung passen, dass Familie Kahlberg den Skandal unter allen Umständen aus dem Weihnachtsgeschäft heraushalten wollte. Verständlich, aber für Klaras Ermittlungen ungünstig. Wenn sie nun von einem Stand zum nächsten ging und neugierig fragte, wäre das ziemlich auffällig. Das musste anders gehen, bloß wie?
Nachdenklich schlenderte sie hinüber zum Gemüsestand und stellte sich an der Warteschlange an. Der Andrang war groß, und es ging nur schleppend vorwärts, was Klara gelegen kam. Ihr blieb genügend Zeit, sich ausgiebig umzusehen, ohne dabei aufzufallen. In den Obst- und Gemüsekisten stapelte sich die frische Ware wie immer. Die Gespräche der Kunden brachten leider keine neuen Erkenntnisse. Das Gesicht der älteren Verkäuferin, die von ihrer Kollegin Johanna genannt wurde, war blass, und ihr Lächeln reichte nicht bis zu den Augen, ein Anzeichen dafür, dass es nicht echt, sondern aufgesetzt war. Genauso erging es ihrer Kollegin Petra, deren fröhliches Lachen fast verschwunden war. Früher, wenn Klara Stress zu Hause hatte, gelang es der jungen Frau immer wieder, sie mit einem Korb Obst oder Gemüse und ihrer Fröhlichkeit aufzuheitern. Heute sahen beide Frauen niedergeschlagen aus und arbeiteten sich wortkarger als sonst von Kunde zu Kunde durch. Auf die Nachfrage einer besorgten Stammkundin verwiesen sie auf den Weihnachtsstress, der ihnen zusetzte. Wahrscheinlich hatten sie klare Verhaltensanweisungen von der Geschäftsleitung bekommen, kein Wort von dem tragischen Vorfall an die Öffentlichkeit zu tragen. Im Grunde bedauerte Klara das Personal. Wie konnte man verlangen, einen Mord zu überspielen?
Als sie an die Reihe kam, kaufte sie eine Banane und überlegte, wie sie die Frauen aus der Reserve locken und sie zu einer unachtsamen Äußerung verleiten könnte. Beim Bezahlen beugte sich Klara konspirativ zu Petra vor und drückte ihr das Geld in die Hand. »Ich weiß, was passiert ist«, sagte sie leise und beobachtete die Reaktion der Frau aufmerksam.
Für eine Millisekunde fuhr diese erschrocken zusammen, sammelte sich jedoch sofort wieder. »Auf Wiedersehen«, erwiderte sie kategorisch und wandte sich dem nächsten Kunden zu. Das Gespräch wurde im Keim erstickt. Das war clever.
Keine Ahnung, wie sie jetzt vorgehen sollte. Etwas unschlüssig lief Klara weiter, stellte sich neben einen verschneiten Weihnachtsbaum und überlegte. Gedankenverloren wickelte sie ihren Schal vom Hals, steckte ihn zu dem Schokocroissant in ihre Umhängetasche und schlüpfte aus ihrem Mantel, den sie sich über den Arm legte. Genüsslich schälte sie die Banane und biss hinein. Die Menschen schlenderten mit bunten Taschen, eingelullt von dieser grässlichen Weihnachtsmusik im Dauerschleifenmodus, an ihr vorbei und hatten nicht den blassesten Schimmer, dass nur wenige Meter entfernt ein Mord geschehen war.
Die Untersuchungen liefen hinter den Kulissen ab. Der Tatort war vor der Personalumkleide, außerhalb des Kundenbereichs, und die Befragungen der Angestellten fanden angeblich in einem der Büros im fünften Stock statt. Es war verflixt. Klara hatte nichts herausgefunden, was sie fürchterlich fuchste. Als sie die Banane aufgegessen hatte, lief sie enttäuscht zur Rolltreppe zurück und warf die Schale in einen blauen Plastikmüllbeutel, der an einem verwaisten Putzwagen hing.