Das Geheimnis um den legendären Kinostar - Simone Jöst - E-Book
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Das Geheimnis um den legendären Kinostar E-Book

Simone Jöst

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Beschreibung

Amor, Mord und Geheimnisse im Hotel Charlotte.

Überglücklich und frisch verliebt nimmt Klara einen neuen Fall an. Im Hotel Charlotte treibt ein Dieb sein Unwesen, den sie diskret überführen soll. Als Zimmermädchen eingeschleust, stolpert sie prompt über die Leiche eines amerikanischen Kinostars. Verschwiegenheit ist gefordert, Fingerspitzengefühl von Nöten und Klaras Neugier unaufhaltbar.

Hinter dem Rücken der Polizei beginnt sie mit ihren eigenen Mordermittlungen. Wie so oft springt Klara von einem Fettnäpfchen ins nächste und landet plötzlich vor einer laufenden Kamera und einem Millionenpublikum. Doch noch viel aufregender ist das romantische Candle-Light-Dinner, dass der Kellner Lorenzo für sie nachts im Hotel zaubert …

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Über das Buch

Überglücklich und frisch verliebt nimmt Klara einen neuen Fall an. Im Hotel Charlotte treibt ein Dieb sein Unwesen, den sie diskret überführen soll. Als Zimmermädchen eingeschleust, stolpert sie prompt über die Leiche eines amerikanischen Kinostars. Verschwiegenheit ist gefordert, Fingerspitzengefühl von Nöten und Klaras Neugier unaufhaltbar.

Hinter dem Rücken der Polizei beginnt sie mit ihren eigenen Mordermittlungen. Wie so oft springt Klara von einem Fettnäpfchen ins nächste und landet plötzlich vor einer laufenden Kamera und einem Millionenpublikum. Doch noch viel aufregender ist das romantische Candle-Light-Dinner, dass der Kellner Lorenzo für sie nachts im Hotel zaubert …

Über Simone Jöst

Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, schreibt sie humorvolle Unterhaltungskrimis, die nicht nur von Mord und Totschlag erzählen, sondern auch die Lachmuskeln ihrer Leser fordern. Für sie gibt es nichts Schöneres als schwarzen Humor und weiße Schokolade. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romanserien und ist Herausgeberin von Krimi-Anthologien.

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Das Geheimnis um den legendären Kinostar

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Prolog

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Für Klara und Philippe

Prolog

Ihr Griff ging ins Leere. Hella tastete ein zweites Mal nach ihrer Handtasche, die sie neben dem Sessel abgestellt hatte. Nichts. Erschrocken drehte sie sich um und beugte sich über die Armlehne, doch es blieb dabei, das gute Stück war verschwunden. Blitzschnell sprang sie in die Höhe, lief um ihren Sitzplatz herum und suchte überall.

»Was ist denn los?«, fragte ihr Mann Rudolf, der ihr gegenüber im Hotelfoyer saß und einen Prospekt des Hauses studierte.

»Meine Tasche ist fort«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang ein Anflug von Panik mit. Sie sah sich ratlos um, spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie waren viele Hundert Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, und jetzt das! Ihre gesamten Wertsachen hatte sie eingesteckt, weil sie sie nicht auf dem Zimmer zurücklassen wollte.

»Vielleicht hast du sie woanders hingestellt«, erwiderte ihr Gatte beiläufig.

»Nein!«, fauchte Hella zusehends hysterisch. Sie strich sich eine Strähne ihrer gefärbten Dauerwelle aus der Stirn, umrundete ein weiteres Mal den braunen Ledersessel vor dem offenen Kamin und fing an zu schwitzen.

Mit einem genervten Murren erhob sich Rudolf und beteiligte sich notgedrungen an der Suche.

»Das darf doch nicht wahr sein«, jammerte Hella und zog den Saum ihrer blauen Bluse über den üppigen Hüften zurecht. »Da sind all unsere Papiere drin, Ausweise, Geld, Handy, Zimmerkarte …«

»Jetzt sag bloß nicht, du hast alles mitgenommen.« Ihr Mann starrte sie entgeistert an. Er war Mitte sechzig, hatte einen ordentlichen Bauchansatz, und am Hinterkopf zog sein Haar den ersten Rückzug an. »Warum legst du das Zeug denn nicht in den Zimmersafe?«

»Das ist mir zu riskant«, antwortete sie. »Wer weiß, ob das Personal einen Generalschlüssel hat.«

»Das ist Unsinn. Das Schloss ist mit einem Zahlencode gesichert, den der Gast selbst eingibt.« Rudolf schüttelte verständnislos den Kopf.

»Trotzdem!«, protestierte seine Frau.

»Das haben wir nun von deiner Paranoia. Ich fasse es nicht.« Er fuhr sich mit der Handfläche über die Stirn. »Es vergeht kein Tag, an dem du nicht mindestens eine Katastrophe heraufbeschwörst.«

»Bin ich jetzt schuld, dass unsere Sachen fort sind?« Hella baute sich vor ihm auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. Ihr wurde heiß, wie so oft in letzter Zeit.

»Ja, ich etwa?«, feuerte er mit erhobener Stimme und hochrotem Gesicht zurück. »Ich habe dir gesagt, du sollst einen Teil des Geldes in den Tresor packen, aber nein, du hörst ja nicht auf mich.« Er lief ein weiteres Mal um die Sitzgruppe herum und hielt nach der Handtasche seiner Frau Ausschau.

»Das ist es, was du am besten kannst«, stellte sie in einem biestigen Tonfall fest.

Die Rezeptionistin sah zu ihnen herüber.

»Was willst du damit andeuten?«, fragte Rudolf kampfeslustig und blieb stehen.

»An allem herummeckern. Egal, was ich entscheide, es ist falsch oder du hättest es tausendmal besser gemacht.« Hella verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und vergaß für einen kurzen Moment den eigentlichen Grund ihrer Aufregung.

Im Foyer befanden sich nur wenige Gäste. Vor dem Kamin in einer aus Naturstein gemauerten Wand standen braune Ledersessel und kleine, runde Glastische. An einem davon saß ein Geschäftsmann in teurem Businessanzug, der polierte Lackschuhe trug. Gelegentlich trank er aus einer Tasse Kaffee. Ansonsten galt seine gesamte Aufmerksamkeit dem aufgeschlagenen Laptop auf den Knien. An einem weiteren Tisch studierte ein junges Pärchen einen Stadtplan. Niemand beachtete die Streithähne außer der Dame an der Rezeption. Sie hob eine Braue und schien die Situation abzuschätzen, ob sie einschreiten sollte, um einen Eklat gleich im Keim zu ersticken.

»Bist du dir denn sicher, dass du deine Tasche überhaupt mit heruntergenommen hast?«, gab Rudolf zu bedenken, was das Fass zum Überlaufen brachte.

»Das ist ja wieder einmal typisch! Glaubst du, ich bin senil? Warum bin ich nur mit dir hierhergereist? Städtetrip zum Hochzeitstag, dass ich nicht lache! Ich hätte wissen müssen, dass das rein gar nichts ändert. Die Scheidung wäre ein sinnvolleres Geschenk gewesen!«, wetterte Hella laut genug, um die Empfangsdame schließlich doch auf den Plan zu rufen.

Diese erhob sich von ihrem Stuhl und rief: »Kann ich den Herrschaften behilflich sein?«

Hella drehte sich auf dem Absatz um und marschierte mit schaukelnden Hüften auf sie zu. Der Geschäftsmann blickte kurz von seinem Computer auf, als sie an ihm vorbeirauschte. Rudolf folgte ihr auf den Fersen.

»Ich wurde bestohlen, hier im Foyer«, beklagte sie sich aufgebracht, legte die Handflächen auf den Tresen und sah die junge Frau verzweifelt an. »Meine Tasche ist fort. Ich hatte sie direkt neben mir auf dem Boden abgestellt. Was soll ich denn jetzt tun? Da waren all unsere Wertsachen drin.«

»Beruhigen Sie sich erst einmal«, sagte die Rezeptionistin, an deren Kostümrevers ein goldfarbenes Schild mit dem Namen Luna Beldoni steckte. »Wann genau war das?«

»Gerade eben, behauptet sie«, gab Rudolf anstelle seiner Frau Auskunft.

»Was meinst du mit ›behauptet sie‹?«, empörte sich diese und bedachte ihn mit einem eiskalten Blick. »Glaubst du, ich bilde mir das nur ein?« Ihre Stimme wurde lauter.

»Nein, aber …«

»Du hast doch selbst gesehen, dass die Tasche fort ist!«

Vor dem Hotel stoppte ein Sightseeingbus und ließ eine Gruppe Gäste aussteigen, die direkt durch die automatische Eingangstür über den roten Teppich hereinmarschierten und sofort den gesamten Raum mit Gelächter und Geplapper füllten. Sie verabredeten sich zum Abendessen, verteilten sich in die beiden Fahrstühle und fuhren nach oben zu den Zimmern.

»Vielleicht haben die Herrschaften dort hinten etwas bemerkt«, sagte Frau Beldoni und blickte zu dem Geschäftsmann und dem Pärchen an den Tischen.

Sie war eine zierliche Person, makellos geschminkt, und das blonde Haar hatte sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Mit einem freundlichen Lächeln ging sie um den Tresen herum und stöckelte in rubinroten Pumps, die farblich exakt zu ihrem Hotelkostüm passten, auf den Mann im Businessanzug zu. Hella und Rudolf Schmittinger folgten ihr.

»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sprach sie den Mann zuckersüß an. Er sah von seinem Laptop auf. »Haben Sie zufällig in den letzten Minuten jemanden beobachtet, der hier vorbeigekommen ist?« Sie zeigte auf die beiden Sitzplätze neben dem Kamin, wo der Diebstahl stattgefunden haben sollte.

»Außer dieser Gruppe von eben? Nein, ich fürchte, ich war zu sehr in meine Arbeit vertieft«, antwortete er und zuckte bedauernd die Schultern.

»Danke.« Frau Beldoni lächelte und ging zu dem Pärchen am Nachbartisch. »Haben Sie vielleicht etwas bemerkt?«

»Nö, nur die Leute aus dem Bus«, erwiderte die junge Frau, »wir sind aber auch erst nach den Herrschaften gekommen.« Sie deutete auf das Ehepaar. »Tut mir leid.«

»Ich danke Ihnen«, sagte die Rezeptionistin und wandte sich Hella zu. »Wo genau hatten Sie Ihre Handtasche abgestellt?«

»Hier.« Hella lief um den Sessel herum, auf dem sie gesessen hatte, zeigte mit dem Finger auf die besagte Stelle und erstarrte.

»Was ist?«, blaffte Rudolf.

»Das gibt’s nicht!« Hella beugte sich hinab. »Da steht sie!«

Ihr Gatte rollte mit den Augen. »Sag, dass das nicht wahr ist. Das ganze Theater umsonst?«

»Du hast es doch selbst gesehen, die Tasche war fort. Wo kommt die denn so plötzlich wieder her?« Sie war fassungslos.

»Schauen Sie bitte nach, ob noch alles drin ist«, bat Frau Beldoni und war sichtlich erleichtert. Trotzdem lag ein eigenartiger Schatten auf ihrem Gesicht. Hella durchwühlte den Inhalt und stellte fest, dass außer fünfzig Euro nichts fehlte.

»Bestimmt hast du dich verzählt«, beschwichtigte sie ihr Mann. »Lass endlich gut sein. So etwas Peinliches. Mit dir kann man nirgends hingehen«, fügte er murmelnd, aber für seine Gattin klar und deutlich zu hören, hinzu.

»Wunderbar, dann wäre das geklärt.« Die Rezeptionistin lächelte Hella zu, die gerade den Mund aufmachen und protestieren wollte.

Doch Rudolf fuhr ihr dazwischen, hakte sie ein und zog sie mit sich in Richtung Ausgang. »Entschuldigen Sie, meine Frau ist manchmal ein wenig schusselig.«

»Bitte?!«, fauchte diese.

»Die Tasche ist wieder da, und gut ist jetzt! Komm, wir gehen.«

Unter Protest zog er Hella mit sich, die noch lange nicht davon überzeugt war, dass wirklich alles gut war.

Kaum verschwanden die beiden hinaus auf die Straße, eilte Frau Beldoni hinter die Rezeption, lief durch ein angrenzendes Büro und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer ihrer Chefin.

»Charlotte, ich glaube, wir haben ein Problem.«

Montag

Irgendetwas hatte sich verändert. Es gab keine stichfesten Beweise, die Klaras Vermutung bestätigten, weil oberflächlich gesehen alles wie bisher war. Doch seit ihrer Rückkehr aus dem Warenhaus Kahlberg vor vier Monaten verhielt sich Philippe anders. Zuerst glaubte Klara, sich das nur einzubilden. Immerhin war es für ihn ein aufwühlender Besuch bei seiner Ex-Frau Stine und ihrem Verlobten Bruno gewesen, was garantiert jede Menge verdrängter Gefühle heraufbeschworen hatte. Obwohl er das vehement abstritt und behauptete, dass nichts dergleichen sei, spürte sie feine unstimmige Nuancen in seinem Verhalten. Oder bildete sie sich das nur ein? Was nicht verwunderlich wäre, wenn man bedachte, dass ihr Leben gerade mal wieder mächtig auf dem Kopf stand.

Vor dem Garderobenspiegel in ihrer Wohnung zupfte sie ihre Frisur zurecht, fuhr mit dem Kajalstift unter ihrem Auge entlang und summte fröhlich vor sich hin. Heute war ihr erster Arbeitstag im Hotel Charlotte. Die Direktorin sprach von einem Dieb, der sein Unwesen in ihrem Haus trieb und so schnell wie möglich diskret überführt werden sollte. Seit Wochen hatte Klara keinen Kriminalfall mehr gelöst. Es juckte ihr geradezu in den Fingern. Nach der Mordermittlung im Warenhaus Kahlberg hatte sie sich eine Pause gegönnt, um sich neu zu orientieren. Ihre Freundin Bella hatte recht, sie stürzte von einem Abenteuer in das nächste, ohne Plan, was sie sich für ihre Zukunft wirklich wünschte. Um ernsthaft darüber nachzudenken, hatte sie versprochen, vorerst einen Bogen um jegliche kriminelle Nachforschung zu machen, und hatte deswegen eine für drei Monate befristete Aushilfsputzstelle in einer kleinen Arztpraxis angenommen. Die Arbeit gefiel ihr und bot ihr genügend Zeit zum Reflektieren, die sie privat kaum noch fand. Ständig veränderte sich alles. Wie sollte sie denn da in Ruhe herausfinden, wie das Leben für sie weitergehen mochte? Doch eins nach dem anderen. Jetzt würde sie sich erst einmal voll und ganz auf ihre bevorstehenden Ermittlungsarbeiten konzentrieren.

Bei ihrer neuen Chefin war sie bereits mit jeder Menge Vorschusslorbeeren angepriesen worden, was den Druck, den Erwartungen gerecht zu werden, ziemlich erhöhte. Frau Elger war die Hoteldirektorin und als toughe Geschäftsfrau bekannt und Klara dafür, den ersten Eindruck zu vermasseln.

»Nein, heute nicht«, versprach sie ihrem Spiegelbild. »Du wirst einen perfekten Auftritt abliefern, sobald du über die Schwelle des Hotels schreitest. Hörst du?«

Sie schlüpfte in ihre Jacke vom Kleiderhaken und schnappte sich ihre Umhängetasche von der Flurkommode.

»Ich gehe jetzt«, rief sie in Richtung Schlafzimmer. »Drück mir die Daumen.«

»Hm«, ertönte ein schlaftrunkenes Murren als Antwort.

Klara schmunzelte und verließ die Wohnung.

Das Hotel Charlotte lag keine fünf Gehminuten von Philippes Buchhandlung entfernt. Klara brauchte nur den Marktplatz zu überqueren, in eine Seitenstraße einzubiegen, und an deren Ende, an einer Durchgangsstraße, war es schon. Ein zartgelb gestrichenes vierstöckiges Haus mit weiß getünchten Rändern um die Fenster. Normalerweise sah man bereits von der Straßenecke aus den roten Teppich, der aus dem Foyer bis auf den Gehweg hinaus ausgerollt lag. Links und rechts neben einer automatischen Glasschiebetür standen zwei kugelrund geschnittene Buchsbäumchen. Doch heute drängte sich vor dem Eingang eine dichte Traube von Passanten, die neugierig ihre Hälse reckten und die Sicht versperrten.

Die Aprilsonne schien durch die zart knospenden Zweige der Platanen am Gehwegrand auf die Leute herab, die vermutlich alle nur das eine wollten: einen Blick auf ihr Idol erhaschen, Ryker Cane alias Nick Bolder, Geheimagent des FBI und der zurzeit angesagteste Kinostar, der für ein paar Tage mit seiner Entourage im Hotel Charlotte logierte.

Klara legte den Gurt ihrer Tasche quer über die Brust und ging mit gesenktem Kopf auf das Gedränge zu.

»Entschuldigung«, sagte sie und schob sich durch schubsende Ellbogen und schimpfende Fans. Vor der Eingangstür postierten sich zwei breitschultrige Wachmänner in dunklen Anzügen, die mit Headset im Ohr und versteinerter Miene das Geschehen genauestens im Auge behielten. Als Klara sich durch die vorderste Reihe der Wartenden hindurchzwängte, hob einer von ihnen die Hand und fragte: »Haben Sie eine Legitimation?«

»Ja.« Sie trat vor ihn. »Die Direktorin erwartet mich zu einem Gespräch.«

Er nickte und wandte sich zur Seite, damit die Schiebetür sich öffnete. Sofort streckten einige der Leute ihre Handys und Kameras in die Höhe und schossen Fotos ins Foyer, in der Hoffnung, einen Schnappschuss von Ryker Cane zu erhaschen. Wahrscheinlich lag der gute Mann zu dieser unchristlichen Uhrzeit, es war erst halb acht in der Früh, noch in seinem Hotelbett und schlief sich den Rausch des Vorabends aus. Zumindest stellte Klara sich das so vor.

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Wie konnte man nur dermaßen von einem Superstar besessen sein? Im Laufschritt huschte sie die zwei Stufen empor, wollte so schnell wie möglich aus dem Fokus der gaffenden Menge gelangen und stolperte. Sie stürzte mit den Knien auf den roten Teppich. Blitzlichter zuckten auf. Das war an Peinlichkeit nicht zu übertreffen. Der Schmerz war nicht das Schlimmste – der Gedanke, dass ihr Missgeschick auf unzähligen Fotografien festgehalten wurde, tat viel mehr weh.

Einer der Wachmänner eilte zu ihr und half ihr auf die Füße. Sie dankte ihm hastig und war froh, als die Schiebetür sich hinter ihr wieder schloss. Nur nicht darüber nachdenken, sonst traten ihr die Tränen in die Augen. Unter keinen Umständen wollte sie als verhuschtes Mäuslein bei der Hoteldirektorin vorsprechen, das zu blöd war, das Foyer aufrecht zu betreten. Im Gegenteil, sie war die Frau, die die Diebstähle in diesem wunderschönen Vier-Sterne-Haus aufklären würde. Klara Golder ermittelt!, schoss es ihr durch den Sinn, und sie fühlte sich schon gleich ein wenig besser.

Das Hotel war äußerst geschmackvoll eingerichtet, der Vinylboden im Design alter Holzdielen, die Wände weiß verputzt. Zur Linken des Eingangs standen braune Ledersessel und runde Glastische vor einer Natursteinwand mit offener Feuerstelle. Von der Decke baumelten kugelförmige Lampen aus unzähligen kleinen Chrom- und Glaselementen, die traumhaft funkelten, allerdings einen putztechnischen Super-GAU darstellten. Als Reinigungsfachkraft fiel Klara so etwas sofort ins Auge. Der Raum war dank der großen Fenster, die bis zum Boden reichten, lichtdurchflutet. Seitlich des Kamins führte eine breite, mit Teppichboden ausgelegte Treppe nach oben, daneben befanden sich zwei Aufzüge. Gegenüber der Eingangstür entdeckte Klara einen Durchgang, an dessen Ende ebenfalls eine gemauerte Steinwand, mit dezenten Lichtakzenten versehen, die Sicht versperrte. Die Beschilderung leitete die Gäste entweder nach links in den Speisesaal und in die Bar oder in die entgegengesetzte Richtung hinab ins Kellergeschoss zu Schwimmbad, Sauna und anderen Freizeiteinrichtungen. Die Rezeption war gleich rechts neben dem Haupteingang. Hinter dem Tresen arbeiteten zwei Damen in rubinroten Kostümen mit gemusterten Seidenschals und erinnerten an Flugbegleiterinnen. Die eine war Anfang vierzig und ein wenig pummelig, ihre Kollegin einige Jahre jünger. Diese schaute zu Klara auf und legte einen Aktenordner zur Seite.

»Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und war so taktvoll, Klaras kleines Malheur von eben nicht zu erwähnen. Sie lächelte, und ihre graublauen Augen strahlten dabei etwas aus, das einem den Atem verschlug. Ihre Präsenz war beeindruckend. Und das alles mit nur einem einzigen Blick. Im Vergleich zu ihr kam sich Klara mit ihrem verpatzten Auftritt noch unzulänglicher vor, aber was half es? Krönchen richten und weiter.

»Guten Morgen«, entgegnete sie, »ich habe einen Termin bei Frau Elger. Mein Name ist Golder. Klara Golder.«

»Ah ja, Sie werden bereits erwartet. Wenn Sie bitte mitkommen möchten?« Luna Beldoni, wie ihr Namensschild verriet, machte eine einladende Handbewegung und forderte Klara auf, ihr zu folgen.

Hinter dem Tresen führte eine Tür in ein Büro mit zwei Arbeitsplätzen und einer kleinen Sitz- und Kaffeeecke. Am Ende des Raumes klopfte die Rezeptionistin an eine angelehnte Tür, öffnete diese einen Spalt und meldete den Besuch an.

»Bitte«, sagte sie schließlich und stieß die Tür zum Arbeitszimmer der Hoteldirektorin auf, das sehr modern mit Glas und Chrom eingerichtet war. Auf dem überdimensionalen Schreibtisch stapelten sich Papiere und Ordner.

»Guten Morgen, Frau Golder«, begrüßte Frau Elger Klara mit einem freundlichen Lächeln und erhob sich von ihrem Stuhl.

Keine Ahnung, wie Klara sich ihre neue Chefin vorgestellt hatte, jedenfalls nicht so. Vor ihr stand eine schlanke Person Mitte sechzig, mit raspelkurzem grauem Haar und einer dicken Kunststoffbrille auf der Nase. Sie trug ein hautenges schwarzes Kleid, das bis über die Knie reichte. An ihren Ohrläppchen steckten kreisrunde Clips, ebenfalls in Schwarz. Ihre Bewegungen, als sie um den Tisch herumging und Klara begrüßte, waren federleicht, ihr Händedruck kräftig.

»Guten Morgen, Frau Elger«, sagte Klara.

»Bitte, setzen Sie sich doch«, bat diese und sagte zu ihrer Angestellten: »Luna?«

»Yep?«

»Bringst du uns bitte zwei Cappuccini? Danke dir, du bist ein Schatz.« Sie wandte sich wieder Klara zu. »Sie sind also die Frau, die die Diebstähle in unserem Haus aufklären wird?«

»Das ist meine Absicht«, versicherte Klara und hoffte, dass sie die Erwartungen der Direktorin auch erfüllen konnte. Eine Erfolgsgarantie gab es nicht, aber das wollte sie jetzt besser nicht ansprechen.

»Sie können sich vorstellen, sobald sich herumspricht, dass hier gestohlen wird, schlittern wir in eine Katastrophe. Wir leben von dem guten Ruf des Hotels und von den wohlmeinenden Bewertungen der Gäste. Käme das an die große Glocke, wären wir ruiniert. Skandale ziehen schneller Kreise als positives Feedback. Das ist eine traurige Tatsache.« Frau Elger setzte sich mit einem Seufzen in ihren Stuhl, lehnte sich zurück und legte die Arme lässig auf den Lehnen ab.

»Was genau ist denn vorgefallen? Herr Dallinger hat Andeutungen gemacht, jedoch würde ich mir gern Ihre Version anhören.« Klara zog ihren Notizblock aus der Tasche, blätterte ihn auf und knipste ihren Kugelschreiber an. Natürlich hatte Lorenzo ihr mehr als nur flüchtige Hinweise offenbart, aber das verschwieg sie lieber, um ihn nicht als indiskret vor seiner Chefin darzustellen.

»Ich glaube, es begann am Mittwoch vorletzter Woche. Luna, meine Assistentin, die Sie eben schon kennengelernt haben, berichtete mir von …«

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und selbige brachte die Cappuccini, stellte sie auf dem Tisch ab und verschwand gleich wieder.

»Was genau hat sie Ihnen erzählt?«, hakte Klara nach.

Frau Elger nippte an ihrer Tasse. »Ein Gast kam völlig aufgelöst zu ihr an die Rezeption und behauptete, dass man sein Zimmer durchwühlt und ihm Geld gestohlen habe. Zum Glück konnte Luna ihn beschwichtigen, trotzdem bestand er darauf, dass ihm fünfzig Euro fehlten. Wir versuchten den vermeintlichen Zeitraum, in dem der angebliche Diebstahl stattgefunden haben soll, zu rekonstruieren, doch nichts sprach für ein Verbrechen. Als der Mann schließlich eingestand, dass er womöglich in der Hotelbar ein paar Drinks zu viel zu sich genommen hatte und er recht angetrunken gewesen war, zog er seine Beschuldigung kleinlaut zurück. Zuerst dachten wir uns nichts dabei und ließen die Angelegenheit auf sich beruhen. Wir erleben manchmal die verrücktesten Situationen mit unseren Gästen.« Frau Elger winkte vielsagend ab. »Bis drei Tage später ein neuer Vorfall gemeldet wurde.«

»Aha?« Klara notierte sich alles, was sie für relevant erachtete.

»Dieses Mal war es eine verschwundene Handtasche, die gleich darauf wieder auftauchte. Eine Dame hatte sie draußen in unserem Gartencafé neben sich abgestellt und behauptete, dass sie plötzlich an einer anderen Stelle stand. Angeblich fehlten aus dem Portemonnaie fünfzig Euro. Die Frau echauffierte sich lautstark und wollte Anzeige erstatten, das Hotel verklagen und veranstaltete ein Riesentheater, doch zum Glück war Luna hellhörig geworden, dass zum zweiten Mal derselbe Geldbetrag vermisst wurde und das in so kurzem Zeitabstand. Sie bezweifelte, dass das ein Zufall war. Geistesgegenwärtig bot sie an, den Verlust ganz unbürokratisch zu ersetzen. Sie haben meine Assistentin kennengelernt. Wenn sie ihre Charmeoffensive spielen lässt, lenkt jeder ein.«

Klara glaubte der Direktorin aufs Wort.

»Die Dame ließ sich Gott sei Dank beschwichtigen, und wir taten alles, um ihren Aufenthalt in unserem Haus so angenehm wie möglich zu gestalten, nur damit sie keinen Skandal heraufbeschwor. Ehrlich gesagt war ich froh, als sie endlich abreiste.«

»Was haben Sie daraufhin unternommen?«, fragte Klara und klopfte mit dem Kuli auf ihren Notizblock.

»Nun.« Frau Elger räusperte sich und schob ihre Brille mit dem kleinen Finger auf dem Nasenrücken zurecht. »Luna und ich berieten uns. Womöglich waren das nur zwei unglückliche Vorkommnisse, die nichts miteinander zu tun hatten. Wir entschieden uns, vorerst abzuwarten und Augen und Ohren offen zu halten. Was hätte die Polizei schon ausrichten können, außer Aufmerksamkeit zu erregen, die wir unbedingt vermeiden wollten?«

»Hm, verstehe.«

»Letzte Woche erlebten wir dann den dritten Vorfall dieser Art. Ein Gast behauptete, dass er seinen Geldbeutel verloren habe. Er kam an die Rezeption und fragte, ob jemand ihn abgegeben hätte. Zum Glück fand einer unserer Hausmeister das besagte Stück beim Gießen in einem der Blumenstöcke vor der Tür. Wieder fehlten fünfzig Euro. Der Besitzer war überglücklich, dass wenigstens die Papiere, Führerschein und alles Weitere noch vorhanden waren. Der Verlust des Geldes war ärgerlich, aber er sah von einer Anzeige ab. Ehrlich gesagt, hätten wir spätestens zu diesem Zeitpunkt etwas unternehmen müssen, die Polizei informieren, einen Detektiv einschalten oder uns selbst auf die Lauer legen, doch dafür war schlichtweg keine Zeit.« Die Direktorin seufzte. »Das Hotel war bis aufs letzte Zimmer ausgebucht, und die Vorbereitungen für den Aufenthalt von Mr. Cane und seiner Entourage ließen uns kaum Luft zum Atmen. Uns schwirrte der Kopf und tut es immer noch. Sie haben ja gesehen, was draußen los ist. Die Menschen belagern uns regelrecht. Das gesamte Personal läuft am Limit.« Sie lehnte sich zurück. »Irgendwie hatte ich gehofft, dass sich das Problem mit den Diebstählen in Wohlgefallen auflösen würde. Tat es allerdings nicht.«

»Wie meinen Sie das?«

»Am Freitag, einen Tag vor Anreise der Amerikaner, erfuhren wir von einem vierten Vorfall im Foyer.« Frau Elger erzählte von Rudolf und Hella Schmittinger und weiteren verschwundenen fünfzig Euro. »Es hilft kein Leugnen mehr. Hier gibt es definitiv einen Dieb, und ich möchte, dass Sie ihn schnellstmöglich überführen, Frau Golder.« Die Direktorin beugte sich vor, legte beide Unterarme auf der Tischplatte ab und sah Klara in die Augen.

Schluck. Jetzt nur keine Selbstzweifel zulassen.

»Haben Sie einen Verdacht, wer das getan haben könnte?«, versuchte Klara so professionell wie möglich an die Sache heranzugehen.

»Nein, nicht den geringsten. Herr Dallinger meinte, Sie seien perfekt für diese Herausforderung geeignet. Wie ich hörte, ermitteln Sie normalerweise in Mordfällen, aber ich hoffe, Sie helfen uns trotzdem. Nennen Sie mir Ihren Tagessatz, und wir werden uns einig. Das Wichtigste ist allerdings absolute Diskretion!«

»Natürlich«, erwiderte Klara und blieb die Antwort nach ihrem Honorar schuldig. Was sollte sie bloß sagen? Sie zupfte an ihrem Ohrläppchen und dachte fieberhaft nach. Auf die Schnelle fiel ihr nichts anderes ein, als den Betrag, den Carola und Bruno Kahlberg, die Geschäftsführer des Warenhauses, ihr bezahlt hatten, durch die Anzahl der Tage ihrer Mordermittlungen zu teilen. Die beiden waren wie die Hoteldirektorin gestandene Geschäftsleute, die besser Bescheid wussten, was Finanzen anging, als sie selbst. Zu dumm, dass sie sich im Vorfeld nicht mit Philippe beraten hatte, was sie verlangen sollte. Klara nannte ihren gerade eben festgelegten Tagessatz, und Frau Elger stimmte, ohne mit der Wimper zu zucken, zu. Äußerlich versuchte Klara sich nicht anmerken zu lassen, dass sie schier platzte vor Stolz. Sie hatte zum ersten Mal ein Honorar für sich eingefordert und sogar kein kleines. Das musste sie nachher gleich Philippe erzählen!

»Wenn ich das richtig verstehe, wurden bei den vier Vorfällen jeweils fünfzig Euro gestohlen, sonst nichts?«, resümierte Klara.

»Genau.« Frau Elger nahm einen Schluck ihres Cappuccinos.

Ihren hatte Klara vor lauter Aufregung gänzlich vergessen. Sie verrührte rasch den Milchschaum und trank ebenfalls.

»Gut«, sagte sie schließlich und stellte die Tasse wieder ab. »Da wir nicht wissen, ob der Täter unter den Gästen oder den Mitarbeitern des Hotels zu suchen ist, schlage ich vor, Sie überprüfen Ihre Buchungsnachweise. Gibt es Leute, die für den gesamten Zeitraum vom ersten bis einschließlich zum letzten Diebstahl Zimmer gebucht hatten? Alle anderen schließen wir vorerst aus.«

Die Direktorin machte sich Notizen und nickte.

»Dann bleibt noch die Frage, zu welchen Zeiten die Vorfälle stattfanden.«

»Wieso sollte das relevant sein?«

»Von Herrn Dallinger weiß ich, dass Ihre Angestellten im Schichtdienst arbeiten. Kennen wir die Uhrzeiten, können wir auch hier Überschneidungen herausfiltern.«

»Sie glauben, es ist jemand vom Personal?«, fragte Frau Elger erschrocken.

»Das ist nicht gesagt, aber zum ersten Einkreisen aller Möglichkeiten wäre es nützlich, die Anwesenheitszeiten Ihrer Mitarbeiter zu überprüfen.« Klara spürte ihre Wangen vor Euphorie heiß werden. Das klang so richtig professionell, zumindest für sie.

»Okay, die Daten lasse ich heraussuchen. Das ist kein Problem.«

»Haben Sie über Herrn Dallingers Vorschlag, mich in Ihren Reinigungstrupp einzuschleusen, nachgedacht?« Klara fand Lorenzos Idee wunderbar. Als Putzkraft könnte sie sich unauffällig umsehen. Wie sie ihre Ermittlungen strategisch anging, war ihr noch nicht ganz klar, doch das würde sich ergeben, sobald sie die Abläufe im Hotel kennenlernte.

»Ja, ich teile Sie mit Sandra Heubler im Putzservice ein. Deren Kollegin ist zurzeit in Kur, und Sie können ihren Platz einnehmen, ohne Argwohn zu erregen.«

»Prima!« Klara steckte ihren Notizblock und den Kuli ein und trank den letzten Rest des Cappuccinos aus.

»Luna wird Sie in unserem Haus herumführen und Sie mit allem vertraut machen. Ihr Dienst beginnt morgens um acht und endet nachmittags um sechzehn Uhr.« Die Direktorin erhob sich und ging zur Tür.

Klara bewunderte die perfekte Figur der Frau. Wie nonchalant sie in diesen filigranen Stöckelschuhen ging. Trotz ihres Alters sah sie verdammt gut aus.

Luna Beldoni führte Klara durch das gesamte Hotel, zeigte ihr die Räumlichkeiten, von den Suiten im vierten Stock, in denen der amerikanische Filmstar und seine Entourage wohnten, bis hinab zu den Freizeiteinrichtungen im Kellergeschoss. Sie erklärte, wie der Betrieb ablief. Klara versuchte, sich so viel wie möglich davon einzuprägen, denn jedes scheinbar nebensächliche Detail, das sie hier entdeckte, könnte später womöglich ausschlaggebend für die Überführung des Diebes sein.

»So, wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben«, sagte Frau Beldoni, als sie am Ende ihrer Führung angelangt waren, »dann möchte ich Sie gern in Ihrer ersten Schicht mit Frau Heubler einsetzen.«

»Prima.«

»Ihre Tasche können Sie hier deponieren.« Frau Beldoni betrat die Personalumkleide im Keller. Wie in Brunos Warenhaus gab es auch hier für alle Angestellten einen eigenen Spind. »Und hier ist Ihre Arbeitskleidung. Hoffentlich habe ich Ihre Konfektionsgröße richtig eingeschätzt.« Von einem Wandhaken hinter der Tür nahm sie einen Kleiderbügel, auf dem ein dunkelrotes knielanges Kleid mit weißem Kragen und weißer Schürze für sie bereithing.

Klara hielt sich das Kleidungsstück vor den Körper und nickte zustimmend.

»Sie arbeiten heute im zweiten Stock«, sagte Frau Beldoni. »Bevor Sie hinaufgehen, kommen Sie bitte bei mir an der Rezeption vorbei. Haben Sie sonst noch Fragen?«

»Vorerst nicht, danke.«

»Gut, dann bis gleich.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging davon.

Die Hoteluniform passte wie angegossen. In die kleine Tasche auf der Rückseite der Schürze steckte Klara ihr Handy, damit sie jederzeit Beweisfotos schießen oder Philippe anrufen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass sie Lorenzos Textnachrichten nicht verpassen wollte. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel an der Wand und band ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Anschließend stieg sie die Treppe hinauf ins Foyer. Immer mehr Gäste kamen aus ihren Zimmern nach unten in den Frühstücksraum. Die Fahrstuhltüren öffneten und schlossen sich im regen Wechsel, und die Geräuschkulisse wurde merklich lauter. Aus dem Speisesaal drang der Duft von frischem Kaffee, Brötchen und Rührei. Das Hotel erwachte.

An der Rezeption ließen sich vier Damen von Lunas Kollegin, Frau Dreizahn, auf einem Stadtplan zeigen, welche Sehenswürdigkeiten sie unbedingt besuchen sollten. Luna telefonierte, und ein zweiter Apparat klingelte.

»Sie benötigen noch die Generalschlüsselkarte«, sagte sie zu Klara, nachdem sie ihr Gespräch beendet hatte. »Normalerweise geben wir bloß eine pro Team aus, aber ich denke, Sie sollten eine eigene bekommen. Wir haben insgesamt acht Angestellte für den Putzservice«, fuhr sie fort, »in Zweierteams reinigen sie jeweils die Zimmer auf einer Etage. Frau Heubler wird Ihnen alles Weitere erklären. Es tut mir schrecklich leid, dass ich nicht mehr Zeit für Sie habe. Sie sehen selbst, was hier los ist.« Achselzuckend deutete sie auf die klingelnden Telefone und schenkte Klara trotzdem ein herzliches Lächeln. Die kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen verlieh ihr einen ganz besonderen Charme. Die Direktorin hatte recht, diese zierliche Person, ihr blasser Teint, die honiggoldenen Haare, die sich in großen Wellen um ihr Gesicht schmiegten, wirkte irgendwie betörend.

»Kein Problem. Ich komme zurecht«, erwiderte Klara. »Wo finde ich meine neue Kollegin?«

Luna wollte etwas antworten, doch dazu kam sie nicht mehr. Zuerst erschrak sie, wurde kreidebleich – und wie vom Blitz getroffen, war sie verschwunden.

»Frau Beldoni?«, fragte Klara erstaunt und wunderte sich, warum diese sich geduckt hinter dem Tresen versteckte. Manchmal gab es Situationen, die außergewöhnliche Maßnahmen erforderten, davon konnte Klara ein Lied singen. Genau deshalb drehte sie sich um und suchte nach der Ursache für das panische Abtauchen der jungen Frau.

Zwischen den Hotelgästen, die in den Speisesaal schlenderten, stach ein Mann besonders hervor. Er stand im Fahrstuhl und schien zu überlegen, ob er aussteigen sollte oder nicht. Auf der Nase trug er eine Sonnenbrille und hatte den Kragen der Jeansjacke aufgestellt. Sein Basecap zog er ein Stückchen tiefer in die Stirn und blickte sich zu beiden Seiten um. Dann trat er aus dem Lift und lief schnurstracks mit gesenktem Kopf auf die Rezeption zu.

Den vier Damen, die sich unbeirrt nach weiteren Ausflugszielen in der Stadt erkundigten, wandte er dezent den Rücken zu und wartete notgedrungen, bis er an die Reihe kam. Klara spiegelte sich in seiner Brille, und sie glaubte, der Schlag würde sie gleich treffen.

»Sorry«, unterbrach er schließlich leise das Gespräch der Frauen, »kann ich bitte Frau Beldoni sprechen?«

Das war der amerikanische Kinostar, der den ganzen Trubel vor dem Hotel verursachte. Ryker Cane alias Nick Bolder, Geheimagent des FBI! Klara liebte seine Filme abgöttisch. Action pur, und der Typ sah so verdammt gut aus. Alle schwärmten von diesem charismatischen Mann, den blauen Augen, mit denen er so sagenhaft cool und lässig von der Kinoleinwand direkt in die Herzen der Zuschauer blickte. Sie schnupperte dezent den Duft seines Aftershaves und sog ihn genüsslich ein. Himmel, Ryker Cane stand vor ihr! Ihr Puls schlug schneller. Und die vier Damen neben ihm hatten nur ihren Stadtplan im Sinn. Das Beste verpassten sie. Klara nicht.

»Frau Beldoni?« Lunas Kollegin wandte sich ihm zu und schielte dabei so unauffällig wie möglich nach unten, wo Luna sich versteckte, und wahrscheinlich überlegte sie fieberhaft, was sie ihrem Gast antworten sollte. »Ähm, also, ja, die ist momentan leider nicht im Haus.«

»Wann ist sie zurück?«, fragte Mr. Cane.

»Wann sie zurück ist?«, wiederholte Frau Dreizahn und wirkte wie ein einziges Fragezeichen, das auf Regieanweisungen aus Kniehöhe wartete. »Oh, das wird noch eine Weile dauern.« Langsam gewann sie wieder ihre Fassung. »Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?«

»No, thank you. Ich möchte sie gern persönlich sprechen. Richten Sie ihr bitte aus, sie soll sich bei mir melden, sobald sie wieder im Haus ist.« Resigniert schlug er mit der Handfläche zweimal auf den Tresen, zog das Schild seiner Kappe tiefer und stahl sich wie ein Dieb in den Fahrstuhl davon.

Klara sah ihm nach, bis sich die Türen automatisch schlossen. Das glaubte ihr niemand. Sie hatte nur wenige Zentimeter von Ryker Cane entfernt gestanden. Was für ein Mann! Wenn die Fans draußen vor der Tür wüssten, dass er höchstpersönlich im Foyer aufgetaucht war, wäre die Hölle losgebrochen.

Vorsichtig tauchte Lunas Kopf hinter der Rezeption auf, ihre Wangen tiefrot, ihr Gesichtsausdruck voller Schrecken.

»Entschuldigen Sie, Frau Golder«, stammelte sie und richtete ihre Haare und die Kostümjacke, dabei warf sie ständig Blicke zu den Aufzügen hinüber. »Sie müssen einen schrecklichen Eindruck von mir bekommen haben, aber ich … es …«

»Manchmal geht es einfach nicht anders«, sagte Klara mitfühlend. »Das verstehe ich.« Sie zwinkerte Luna zu und erinnerte sich an die vielen Fettnäpfchen, in denen sie selbst schon gesessen hatte.

Die Arbeit im Hotel war ziemlich stressig, und es galt, einen straffen Zeitplan einzuhalten. Je schneller sie putzten, desto besser. Dennoch sollten die Räume im Anschluss picobello sauber sein und wie frisch bezogen aussehen. Während die einen Gäste noch schliefen, gingen andere bereits zum Frühstück und kehrten bald darauf wieder zurück. Manche wünschten den Putzservice, andere wiederum nicht oder erst später. Die Zimmer der abreisenden Besucher kamen zum Schluss an die Reihe. Sandra Heubler hatte dieses Spiel, allgegenwärtig und trotzdem unsichtbar zu bleiben, perfekt im Griff. Sie war schätzungsweise Ende zwanzig, sehr gepflegt, mit blondem Pferdeschwanz und eine Frohnatur mit herzlichem Lachen. Sie arbeitete flink, jeder Handgriff saß, und offensichtlich mochte sie ihren Job.

Bislang hatte Klara geglaubt, dass ein Gast sich auch wie ein solcher benahm, doch dem war absolut nicht so, und sie wunderte sich, was man in den Räumen alles vorfand.

»Mein Gott, stinkt das hier«, schnaubte sie und verzog das Gesicht, als sie ein neues Zimmer betraten. »Ist das widerlich. Was riecht hier so eigenartig?«

Sandra stürmte zum Fenster, riss es auf und wedelte mit der Hand vor der Nase. »Drogen. Hier hat einer mächtig gekifft.«

»Und schau dir das an!« Klara deutete auf das Bett. Schmutzige Abdrücke von derben Straßenschuhen auf dem weißen Laken. »Hat der Typ in seinem Rausch darauf getanzt oder was?«

Sandra grinste. »Da habe ich schon ganz andere Sachen in den Betten der Gäste gefunden.«

»Bitte«, sagte Klara angewidert und erhob beide Hände abwehrend, »erspare mir die Details.«

Aus einem wahren Saustall wurde nach einigen Minuten wieder ein frisches Gästezimmer, mit Schokoladenbetthupferl auf dem Kopfkissen, als ob nichts vorgefallen wäre.

Klara mochte ihre neue Kollegin und fand recht schnell in die eingespielten Routinen. Sie schoben ihren Putz- und Wäschewagen von Tür zu Tür den Flur entlang und arbeiteten sich durch die Zimmer. Bettdecken aufschütteln, Böden saugen, abstauben, Mülleimer leeren, Sanitärräume reinigen, Toilettenpapier und Kosmetikartikel auffüllen sowie schmutzige Handtücher und Bademäntel ersetzen. Die Arbeit machte Spaß, forderte jedoch Klaras volle Konzentration. Wie sie dabei überhaupt verdeckt ermitteln sollte, war ihr noch nicht klar. Einem Zimmer sah man nicht an, ob der Bewohner ein Dieb war. Hätte der Täter oder die Täterin Wertgegenstände entwendet, könnte Klara danach suchen, aber Fünfzigeuroscheine verschwanden unauffällig im Portemonnaie. Sie brauchte einen Plan, wie sie vorgehen wollte.

»Sag mal«, fragte sie so unbedarft wie möglich, während sie einen neuen Bezug über das Federbett stülpte, »hast du das mitbekommen?«

»Was meinst du?«, rief Sandra aus dem Badezimmer.

»Ich habe vorhin an der Rezeption aufgeschnappt, dass einigen Gästen Geld gestohlen wurde.«

»Echt? Nö, davon weiß ich nichts.« Die Duschbrause wurde aufgedreht.

Klara ging zu ihrer Kollegin, lehnte sich in den Türrahmen und hakte nach: »Ich frage mich, ob die Hotelleitung womöglich uns, also die Reinigungskräfte, in Verdacht hat. Wir kommen unbeobachtet überall hin, hätten Gelegenheit, und niemand würde etwas bemerken. Ich bin ja erst seit heute hier, aber was, wenn du und deine Kollegen beschuldigt werdet? Ich wüsste nicht, wie ich einen solchen Vorwurf entkräften sollte. Das ist eine ziemlich heikle Situation.«

Sandra drehte den Wasserhahn zu und steckte die Brause in die Halterung zurück.

»Erstens glaube ich nicht, dass man uns verdächtigt, weil es viel zu offensichtlich wäre.«

»Wie meinst du das?«

»Frau Beldoni oder die Direktorin könnten jederzeit im Dienstplan nachsehen, wer welches Zimmer gereinigt hat. Es gäbe ein Gespräch unter vier Augen und im schlimmsten Fall einen Verweis oder sogar eine Kündigung. Darauf hat keine von uns Bock.«

»Klingt logisch«, sagte Klara, war allerdings noch nicht vollständig überzeugt. »Und zweitens?«

»Ich halte meine Kolleginnen für absolut ehrlich und loyal.« Sie fing an, den Spiegel mit Glasreiniger einzusprühen und sauber zu wischen. »Du kennst sie noch nicht. Das sind alles Frauen, die ihren Job dringend brauchen.«

»Vielleicht gerade deswegen, weil sie das Geld benötigen?«, bohrte Klara weiter.

»Jetzt mach aber mal einen Punkt!« Sandra wandte sich verärgert zu ihr um. »Glaubst du, falls eine von uns womöglich hundert Euro mitgehen ließe, brächte ihr das was, wenn sie im Gegenzug schneller auf der Straße landet, als ihr lieb ist? Das wäre dumm. Hör auf, solche Fragen zu stellen. Hast du die Betten schon fertig?«

An Sandras Logik war etwas dran. Außerdem sprach sie nicht von fünfzig, sondern von hundert Euro, was nahelegte, dass sie von den Diebstählen nichts wusste, und es gab auch nur einen Vorfall in einem der Zimmer. Die anderen Male trieb der Dieb sein Unwesen im Café, im Foyer und vor dem Hotel. Konnte sie die Frauen aus dem Putzservice ausschließen oder war das nur eine raffinierte Taktik, um von sich abzulenken? In Gedanken und Spekulationen versunken, machte Klara sich wieder an die Arbeit.

Nachdem sie fast alle Räume der Etage gereinigt hatten, wurde es Zeit für eine kurze Pause. Sie gingen zurück in den Personalaufenthaltsraum, wo ein Kellner eine Tasse am Kaffeeautomaten befüllte, eine Servicekraft gemütlich in einer Sitzecke lümmelte und auf ihrem Handy herumtippte. Ihre Kollegin saß an einem runden Frühstückstisch und aß ein belegtes Brötchen.

»Komm, wir gehen raus an die Luft«, schlug Sandra vor und fischte ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus ihrer Hosentasche.

Klara folgte ihr durch eine Tür nach draußen in einen schmalen Hausdurchgang, der von der Straße bis zum Hinterhof führte, wo sich ein wunderschönes Gartencafé für die Hotelgäste mit kleinen Tischen und Bistrostühlen mit geblümten Sitzkissen befand. Überall standen Terrakottakübel mit Grünpflanzen, der Boden war mit Kopfstein gepflastert, die Hauswände ringsum mit Kletterpflanzen überwuchert. Ein Stückchen Paradies mitten in der Stadt, umgeben von hohen Mauern, verborgen für die Außenwelt. Doch dafür hatte Klara im Moment keine Augen. Ihr Handy piepste ständig in ihrer Schürze und löste jedes Mal einen Schauer der Freude aus. Sie wollte es endlich herausholen und all die Textnachrichten verschlingen, die heute früh unentwegt bei ihr eingetrudelt waren.

»Auch eine?«, fragte Sandra und bot ihr eine Zigarette an.

»Nein danke, ich rauche nicht«, entgegnete Klara, »aber ich müsste mal kurz hier nachsehen.« Dabei zog sie ihr Handy hervor und trat ein paar Schritte zur Seite. Für das, was sie erhoffte gleich zu lesen, brauchte sie keine Zeugen.

»Okay«, sagte Sandra, lehnte sich lässig mit dem Rücken gegen die Hauswand und stemmte ihren Fuß dagegen. Genüsslich sog sie an ihrem Glimmstängel und blies den Qualm in die Luft.

Ungeduldig tippte Klara auf dem Handydisplay herum, bis mindestens zwanzig entgangene Textnachrichten von heute früh vor ihr aufploppten. Die meisten bestanden nur aus einem dicken roten Herz, und die restlichen waren voller Komplimente und Liebesschwüre. Ja, sie war verliebt und das bis über beide Ohren!

Nach ihrer Ehe mit Harald hatte sie ehrlich gesagt mehr als genug von den Männern gehabt. Damals bei ihrer Hochzeit hatte sie noch an die große Liebe geglaubt, doch das Gefühl war recht schnell im Alltag verblasst, bis ihre Beziehung sich im Laufe der Jahre in eine reine Zweckgemeinschaft verwandelt hatte. Leidenschaft und Hingabe waren nicht die Worte, die sie in Zusammenhang mit ihrem Mann benutzen würde.

Das hier war etwas komplett anderes! Jede Nachricht auf dem Display löste einen wahren Glücksrausch aus. Klara schwebte auf Wolke sieben, während sie mit Harald nur einen lauwarmen Flug bis auf Wolke zwei geschafft hatte und schließlich auf dem Boden der Realität gelandet war. Bislang hatte sie nicht einmal ansatzweise geahnt, wie berauschend es war, mit Haut und Haar verliebt zu sein. Schmetterlinge im Bauch, sobald sie sich trafen oder er ihr schrieb, wurden zum Dauerzustand. Das Leben war urplötzlich prickelnd geworden. Alles hatte sich verändert.

»Dich hat es ja mächtig erwischt«, sagte Sandra und sah sie lächelnd von der Seite an.

Oh ja, das hatte es!

Der erste Arbeitstag verlief ohne große Erkenntnisse in Sachen Aufklärung der Diebstähle. Vorerst hatte Klara alle Hände voll damit zu tun, sich mit den Gepflogenheiten und Arbeitsabläufen vertraut zu machen, doch sie brauchte dringend einen Plan, um schnellstmöglich zu einem Ergebnis zu gelangen. Die Direktorin ließ sich bestimmt nicht länger als notwendig hinhalten, während sie teuer dafür bezahlte.

Nach Dienstschluss schnappte sich Klara ihre Tasche und verließ das Hotel durch den Seiteneingang, der dem Personal vorbehalten war. Sie konnte es kaum erwarten, endlich mit Philippe zu sprechen und ihm mitzuteilen, was sie erlebt hatte. Auf dem roten Teppich vor dem Haupteingang tummelten sich immer noch jede Menge Menschen, die darauf warteten, Ryker Cane zu Gesicht zu bekommen. Wahnsinn, dass Klara direkt neben ihm gestanden hatte!

Die Aprilsonne schien ihr warm auf den Rücken, als sie den Marktplatz überquerte und auf die Buchhandlung Le livre zulief. Lukas hatte wieder die roten Sitzkissen draußen auf die Fensterbänke gelegt und dazu zwei Stapel Bücher, die die Passanten zum kurzen Innehalten und Schmökern einluden. Das kleine Fachwerkhaus, in dem sich der Laden befand, war in den letzten Monaten Klaras Zuhause geworden, und sie hätte niemals gedacht, dass sie sich hier so wohlfühlen würde. Ihre Dachgeschosswohnung war nicht nur ein gewöhnliches Appartement, sondern sie war ihre Heimat. Der Ort, den man gegen nichts eintauschen wollte, wo man sich geborgen und aufgehoben fühlte, der Rückzugsort zum Einigeln, falls die Welt um sie herum explodierte. Klara blieb stehen, ließ die Fußgänger vorbeilaufen und ihren Geschäften nachgehen. Sie atmete den Duft der Stadt, die vielen Gerüche aus den Straßencafés und Restaurants, die die ersten warmen Tage des Jahres nutzten und ihre Gäste draußen bewirteten. Der Springbrunnen mitten auf dem Marktplatz plätscherte, die Menschen plapperten. Klara war glücklich wie noch nie in ihrem Leben, und Philippe hatte einen großen Anteil an diesem Umstand.

Kaum trat sie durch die Ladentür, kam er aus seinem kleinen Büro hinter der Theke und fragte, wie ihr Arbeitsantritt im Hotel verlaufen sei. Das tat er jedes Mal, wenn sie einen neuen Job angenommen hatte. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass ihre Freunde sich um sie kümmerten. Ginge sie später zu Mona ins Café nebenan, würde sich dasselbe Prozedere wiederholen.

»Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist«, sagte sie konspirativ und beugte sich zu dem blinden Buchhändler über den Ladentisch vor, damit die Kunden nicht hörten, was sie erzählte. »Ich bin heute Ryker Cane begegnet und stand direkt neben ihm an der Rezeption.«

Philippe schmunzelte. Er wusste von Klaras Vorliebe für dessen Actionfilme.

»In natura ist er genauso charismatisch wie auf der Leinwand und das sogar mit Sonnenbrille und Kappe tief ins Gesicht gezogen«, fuhr sie fort und seufzte. »Sorry, ich schwärme dir hier von fremden Männern vor.«

»Eh bien«, erwiderte er mit einem eigenartigen Unterton, den sie in letzter Zeit häufiger bei ihm bemerkte.

Sie ging um den Ladentisch herum, zog ihn mit sich in sein Büro und schloss die Tür.

»Philippe, was ist los?« Sie stellte sich vor ihn und sah ihn an. Etwas bedrückte ihn und das vermutlich seit ihrem Besuch bei seiner Ex-Frau Stine und ihrem Verlobten Bruno im Warenhaus.

»Es ist nichts, ma chère, vraiment.«

»Das hast du mir in den vergangenen Wochen schon tausendmal gesagt, aber ich glaube dir das nicht. Ist es wegen Lorenzo?« Allein seinen Namen auszusprechen, versetzte Klara in Hochstimmung.

»C’est nul et tu le sais. Das ist Unsinn, und das weißt du.« Er schüttelte den Kopf und tippte nervös mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte.

»Wirklich?« Klara war sich da nicht so sicher. Zwischen ihnen bestand vom ersten Tag ihrer Begegnung an eine ganz besondere Verbindung. Es hatte Momente gegeben, wo sie sich zu ihm hingezogen gefühlt hatte und sie den Worten ihrer Freundin beinahe geglaubt hätte, dass sie in ihn verliebt sei. Doch das war es nicht, sondern eine tiefe und aufrichtige Freundschaft, nach der sich ihre aufgewühlte Seele so sehr sehnte. Das hatte sie aber erst begriffen, als sie Lorenzo traf und von der Stelle weg Schmetterlinge im Bauch hatte. Mit ihm war das komplett anders. Sobald sie ihn sah, er mit ihr sprach oder sie berührte, fühlte es sich an wie Paukenschlag und Feuerwerk auf einmal. Prickelnd und aufregend.

»Oui, absolument. Ich freue mich von Herzen für dich, dass du eine neue Liebe gefunden hast.« Er tastete nach ihrer Hand, die sie ihm reichte. »Vielleicht bewegt mich die Sache mit Stine mehr, als ich anfangs dachte«, schob er hinterher.

Ob das stimmte oder es nur eine Ausrede war, damit sie nicht weiterbohrte, vermochte Klara nicht einzuschätzen, und das machte sie total kirre.

»Es wäre schade, wenn wir uns nicht länger vertrauen und die Wahrheit sagen«, sagte sie leise.

»C’est absurde.« Philippe nahm sie in den Arm. »Niemals, das verspreche ich dir, wird sich an unserer Freundschaft etwas ändern. Du bist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Lorenzo ist ein wunderbarer Mensch, und er tut dir gut. Nur das zählt.«

»Mann, jetzt kommen mir echt die Tränen«, schniefte Klara und schlang die Arme fester um ihn.

Für ein paar Minuten standen sie schweigend in ihre Gedanken versunken mitten im Raum, bis Klara sich schließlich löste.

»Gut, ich werde dich nicht mehr bedrängen, obwohl ich glaube, dass du mir irgendwas verheimlichst.«

»Da bricht sie wieder durch, die Detektivin in dir.« Philippe lächelte.

Klara setzte sich auf die Schreibtischplatte und ließ die Beine baumeln, während der Buchhändler auf dem Bürostuhl Platz nahm. Es war zum Verrücktwerden. Ein Gespräch wie dieses hatten sie in den letzten Monaten schon oft geführt, und jedes Mal blieb er ihr eine ehrliche Antwort schuldig. Wenn Philippe nicht mit ihr redete, hatte er wahrscheinlich seine Gründe, die sie zwar brennend interessierten, aber sie musste sich notgedrungen damit abfinden, dass er sie ihr gegenüber nicht äußern wollte. Vielleicht irgendwann.

»Apropos«, fuhr Klara fort und versuchte das Thema zu wechseln, »was wäre eine gute Detektivin ohne ihren Berater? Richtig, nur die Hälfte. Hast du kurz Zeit? Dann erzähle ich dir alles von meinem neuen Auftrag.«

»Alors j’écoute. Ich bin ganz Ohr.« Philippe stellte die Ellbogen auf der Tischplatte ab und legte die Fingerspitzen aneinander, so wie er es immer tat, sobald er sich konzentrierte. Sein Blick ruhte irgendwo in der Unendlichkeit.

Klara erzählte von ihrer Kollegin Sandra Heubler und der Arbeit mit ihr, von der Hoteldirektorin und dem, was sie von den Diebstählen im Hotel berichtet hatte.

»Ich weiß nicht, wie ich jetzt vorgehen soll. Es wäre ein ziemlich großer Zufall, wenn ich den Dieb bei seinem nächsten Coup in flagranti ertappen würde. Davon gehe ich ehrlich gesagt nicht aus. Außerdem kann ich nicht warten, bis er oder sie wieder zuschlägt. Ich muss Frau Elger Ergebnisse liefern. Immerhin zahlt sie für jeden Tag, den ich in ihrem Haus bin. Und das nicht zu knapp.« Klara schilderte, wie sie bei der Frage nach ihrem Honorar improvisiert und ihren Tagessatz ermittelt hatte.

»Je suis impressionné. Ich bin wirklich beeindruckt.« Philippe zog anerkennend eine Braue in die Höhe.

»Danke, um ehrlich zu sein, bin ich das auch.« Klara schmunzelte verlegen.