Das Geheimnis um die verschwundene Putzfrau - Simone Jöst - E-Book
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Das Geheimnis um die verschwundene Putzfrau E-Book

Simone Jöst

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Beschreibung

Spurlos verschwunden.

Klara Golders erster bezahlter Auftrag als Detektivin führt sie inkognito in die Villa der Unternehmerfamilie Meiners, deren Putzfrau Nathalie spurlos verschwunden ist. Sie tritt ihre Nachfolge an und findet heraus, dass die junge Frau eine Entlassungswelle in der Möbelfabrik verhindern wollte. Wurde ihr das zum Verhängnis? Klara setzt alles daran, Nathalie zu finden und deren geheimen Plan fortzuführen. Dabei bekommt sie Unterstützung von Fee, der 15-jährigen, eigenwilligen Tochter des Hauses. Sie schlittert von einer Katastrophe in die nächste, muss sich mit den zerstrittenen Söhnen der Familie, einer biestigen Chefin und der herrischen Hausdame herumschlagen.

Klaras neues Leben als ambitionierte Detektivin könnte perfekt sein, würde nicht ständig eine geheimnisvolle Frau bei Philippe auftauchen ...

Klara Golder ermittelt - scharfsinnig wie immer!

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Über das Buch

Spurlos verschwunden. Klara Golders erster bezahlter Auftrag als Detektivin führt sie inkognito in die Villa der Unternehmerfamilie Meiners, deren Putzfrau Nathalie spurlos verschwunden ist. Sie tritt ihre Nachfolge an und findet heraus, dass die junge Frau eine Entlassungswelle in der Möbelfabrik verhindern wollte. Wurde ihr das zum Verhängnis? Klara setzt alles daran, Nathalie zu finden und deren geheimen Plan fortzuführen. Dabei bekommt sie Unterstützung von Fee, der 15-jährigen, eigenwilligen Tochter des Hauses. Sie schlittert von einer Katastrophe in die nächste, muss sich mit den zerstrittenen Söhnen der Familie, einer biestigen Chefin und der herrischen Hausdame herumschlagen.

Klaras neues Leben als ambitionierte Detektivin könnte perfekt sein, würde nicht ständig eine geheimnisvolle Frau bei Philippe auftauchen …

Über Simone Jöst

Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, schreibt sie humorvolle Unterhaltungskrimis, die nicht nur von Mord und Totschlag erzählen, sondern auch die Lachmuskeln ihrer Leser fordern. Für sie gibt es nichts Schöneres als schwarzen Humor und weiße Schokolade. Sie veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und Romanserien und ist Herausgeberin von Krimi-Anthologien.

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Das Geheimnis um die verschwundene Putzfrau

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Prolog

Freitag

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Sonntag

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Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Impressum

Prolog

Mona stand in der Bankfiliale definitiv am falschen Ende der Warteschlange, nämlich ganz hinten. Ausgerechnet zur Mittagszeit, dem denkbar ungünstigsten Moment des Tages, war ihnen das Wechselgeld ausgegangen. Durch das Schaufenster beobachtete sie, wie sich drüben in ihrem Café, auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes, immer mehr Leute vor der Kasse ansammelten. Zwar versuchte Pepsi sie mit Cupcakes und Freundlichkeiten hinzuhalten, aber lange würde ihr das nicht mehr gelingen. Wenn nur dieser alte Herr mit Stock und Hut endlich in die Pötte käme. Seit geschlagenen zehn Minuten verhandelte er jetzt schon mit der Angestellten am Bankschalter. Mona trat von einem Fuß auf den anderen und spielte kurz mit dem Gedanken, sich an den wartenden Kunden vor ihr mit einem freundlichen Lächeln und tausend zuckersüßen Entschuldigungen vorbeizudrängen, was sie dann aber doch bleiben ließ. Als die Finanzgeschäfte des Mannes endlich erledigt waren, lüpfte er seinen Hut zum Gruß, verabschiedete sich und schlurfte in aller Seelenruhe in Richtung Ausgang. Die Warteschlange setzte sich um zwei zähe Schritte nach vorn in Bewegung. Es blieben immer noch drei Kundinnen, bevor Mona endlich an die Reihe kam. Ungeduldig klopfte sie mit dem Geldbeutel gegen ihren Oberschenkel und seufzte.

Die Tür war noch nicht richtig hinter dem alten Mann zugeschlagen, da riss sie jemand von außen wieder auf und stürmte in die Bank. Ein Luftzug erfasste Mona. Sie drehte sich um und erstarrte, als ein mit Sturmhaube maskierter Mann vor ihr stand. Er war komplett schwarz gekleidet, hielt eine Pistole und einen Stoffbeutel in der Hand. Bevor Mona richtig realisierte, was das bedeutete, packte er sie grob um ihre Taille, drehte sie mit dem Rücken zu sich und drückte ihr die Waffe gegen die Schläfe. Ihr Puls schoss in die Höhe, und ihr Verstand weigerte sich zu begreifen, was hier gerade geschah. Vor einem Moment war die Welt noch in Ordnung gewesen, und plötzlich war nichts mehr, wie es sein sollte.

»Keine falsche Bewegung!«, rief der Mann und fuchtelte mit der Pistole durch die Luft. Er warf seinen Beutel auf den Boden vor den Bankschalter. »Alles Geld da rein! Sofort!«

Die Frauen in der Warteschlange drehten sich erschrocken um, schrien auf und rissen die Arme in die Höhe. Mona hingegen brachte keinen einzigen Pieps zustande, geschweige denn sonst eine Reaktion. Das alles geschah viel zu schnell.

»Na los, wird’s bald!«, brüllte der Mann.

Eine junge Frau mit Kopfhörerkabel und Handy in der Hand reagierte als Erste. Sie bückte sich und hob den Stoffbeutel auf, den sie hastig der Bankangestellten reichte. Die Frau hinter dem Schalter war kreidebleich geworden. Über den Rand ihrer Lesebrille hinweg sah sie den Maskierten an und blieb stocksteif stehen.

»Beeilung!«, herrschte er sie an.

Sie fuhr zusammen und nickte hektisch. Die beiden Schalter links und rechts neben ihr waren über die Mittagszeit nicht besetzt. Nebensächlichkeiten, die Mona plötzlich auffielen. Als Schwester eines Polizeibeamten waren ihr Mord und Verbrechen nicht fremd, doch noch nie zuvor war sie persönlich davon betroffen gewesen. In ihrem Kopf schwirrte alles wild durcheinander. Hier geschah etwas, von dem sie wusste, dass es das gab, doch ihr Verstand weigerte sich, die Tatsache eines Banküberfalls mit Geiselnahme zu akzeptieren, vor allem, da sie die Geisel war. Unfähig, sich zu bewegen, ließ sie sich wie eine Stoffpuppe von dem Mann zur Seite zerren. Er dirigierte sie von der Eingangstür fort, um von der Straße aus nicht sofort entdeckt zu werden. Das kalte Metall seiner Pistole jagte Mona eine Heidenangst ein. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Keine Dummheiten«, rief der Räuber der Bankangestellten zu.

Die Frau nickte ängstlich.

»Jetzt machen Sie schon!« Er drehte sich ständig zur Tür um und spähte nervös nach draußen auf den Marktplatz. Mona folgte seinen Bewegungen, nicht freiwillig, aber unter keinen Umständen würde sie ihm etwas entgegensetzen, das ihn in irgendeiner Weise gegen sie aufbrachte. Dafür liebte sie ihr Leben viel zu sehr, und davon abgesehen wollte sie ihren letzten Atemzug ganz bestimmt nicht auf einem fleckigen Nadelfilzteppichboden in einer Bankfiliale aushauchen.

»Jetzt mach schon, und steh nicht so blöd da rum«, fauchte der Mann zusehends ungeduldig, »pack endlich das Geld ein!«

Die Bankangestellte, eine pummelige Frau mittleren Alters, fuhr zusammen. Ihr Teint war kreidebleich, und die Angst stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie räusperte sich und sagte: »Unser Kassierer ist in der Mittagspause. Ohne ihn komme ich nicht an die Kasse. Den Tresor kann ich ebenfalls nicht öffnen. Dazu müsste der Filialleiter anwesend sein und einen Code eingeben. Selbst dann ginge das nicht so einfach, wegen der Zeitsicherung und so.« Mona hatte keine Ahnung, ob das stimmte, was die Frau von sich gab, oder ob sie nur Zeit gewinnen wollte und derweil hoffentlich die Polizei mit einem stillen Alarm informiert hatte.

»Hältst du mich für blöd?«, brüllte der Gangster. »Mach, was ich gesagt habe, sonst gibt es hier Blutvergießen.« Er presste die Pistolenmündung fester gegen Monas Schläfe. Sie zog erschrocken den Kopf ein, kniff die Augen zusammen und gab ein erbärmliches Winseln von sich.

Bilder, wie man sie aus Kriminalfilmen kannte, huschten ihr durch den Sinn. Geiseln, die mit verschränkten Händen am Hinterkopf bäuchlings auf dem Boden lagen. Nervöse Bankräuber, die mit der Polizei telefonierten, Forderungen stellten und mit Schweißperlen auf der Stirn nach draußen schauten, wo das komplette Polizeiaufgebot mit Scharfschützen das Gebäude umstellte und wartete.

Egal welche Hölle hier gleich losbrach, ob Mona diesen Überfall unversehrt überlebte oder ob der Mann sie womöglich mitnahm, um sich seinen Fluchtweg freizupressen – sie konnte nichts dagegen unternehmen, ohne ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Dieses Ausgeliefertsein fühlte sich schrecklich an. Das war das Schlimmste, was sie jemals erlebt hatte, und sie schwor sich, dass dieser Mistkerl dafür bezahlen sollte. Mona würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn der Polizei auszuliefern. Sie war keine Heldin oder so etwas, und sie hatte nicht vor, sich noch mehr in Gefahr zu bringen, als sie ohnehin schon war. Ob der Kerl sich seine Tasche mit Geld vollstopfte, war ihr egal, aber dass er sie gegen ihren Willen in seine Gewalt genommen hatte, würde sie ihm nie verzeihen.

Je länger der Bankräuber mit der Angestellten diskutierte, desto offensichtlicher wurde es, dass sein Plan scheiterte und er ohne einen Cent die Flucht würde antreten müssen. In jeder Sekunde, die er unschlüssig herumstand, konnten neue Kunden die Filiale betreten und Alarm schlagen.

Mona spürte seine Nervosität, den schneller werdenden Atem, die hektischen Bewegungen. Die Zeit lief ihm davon. Wenn sie Glück hatte, kapitulierte er und ließ sie unversehrt zurück. Und wenn nicht? Ihre Beine zitterten und drohten einzuknicken, während ihr Kopf auf Hochtouren arbeitete. Jedes noch so winzige Detail wollte sie sich einprägen, damit die Polizei den Mann später identifizieren und überführen konnte.

Da war zuallererst sein Geruch, eine Mischung aus Schweiß, Kleber und Aftershave. Er benutzte dasselbe wie ihr Bruder Thomas. Seine Kleidung war schwarz. Weil er hinter ihr stand, konnte Mona recht wenig darüber aussagen, was genau er anhatte. Über die Ärmel seiner Sportjacke verliefen von der Schulter abwärts zwei weiße Streifen bis hin zu seinen dünnen Lederhandschuhen. Leider entdeckte sie weder Hautfarbe noch Körperbehaarung an den Handgelenken. Er trug schwarze Stiefel mit Schnürung bis über die Knöchel. Auf der linken Schuhkuppe war ein diagonaler Kratzer.

Was die Stimme und den Dialekt des Mannes anbelangte, war Mona ziemlich sicher, dass er aus der Gegend stammte. Das Alter war schwierig zu bestimmen, aber er schien nicht mehr blutjung zu sein, was zu seinem Körperbau passte, den Mona weniger sah, als hinter sich spürte. Er hatte einen leichten Bauchansatz, und seine Muskeln waren zwar kräftig, was entweder für Fitnessstudio oder körperliche Arbeit sprach, aber irgendwie auch auf einen gestandenen Kerl hindeutete, dessen Jugend schon ein paar Jährchen zurücklag. Mona versuchte sein Spiegelbild in der Glasscheibe zu erhaschen, die den Hauptraum von einem der Büros abgrenzte, was allerdings nicht funktionierte. Die Sturmhaube verbarg sein komplettes Gesicht bis auf die Augen.

Der Mann lief mit ihr im Schlepptau rückwärts Richtung Ausgang. Dort schnappte er sich Monas Geldbeutel, den sie die ganze Zeit über in den Händen hielt, und stieß sie nach vorn von sich. Sie stolperte und fiel auf den Teppichboden.

Geistesgegenwärtig drehte sie sich um und beobachtete, wie der Mann seine Pistole hinten in den Hosenbund steckte und die Tür aufriss. Zuerst wollte er nach links davonrennen, blieb aber abrupt stehen. Er ballte die Fäuste und brüllte: »Scheiße!« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon.

Verdammt, das ging alles viel zu schnell. Mona rappelte sich auf und rannte ihm nach, doch draußen auf dem Marktplatz war er wie vom Erdboden verschwunden und mit ihm ihr Geld. Ganze dreihundert Euro.

Freitag

Philippes Idee, Klara potenzielle neue Arbeitgeber durch Mundpropaganda zuzuspielen, war nicht schlecht. Sie hatte ihr Können als Hobbydetektivin bereits zweimal unter Beweis gestellt und fand die Vorstellung, dass Menschen ihre Hilfe suchten und sie dafür bezahlten, grandios, aber wenn sie ehrlich war, war das nichts als Wunschdenken. Wer sollte schon eine absolut unerfahrene Ermittlerin engagieren, die weder Referenzen noch eine Ausbildung in diese Richtung besaß? Auf unterstützende Arbeitszeugnisse ihrer letzten beiden Arbeitgeber brauchte sie nicht zu hoffen, denn die saßen wegen Mordes im Gefängnis, und das war zum Teil Klaras Verdienst. Dennoch reizte es sie ungemein, wieder einen Kriminalfall zu lösen. Seit vier Wochen hielt sie jetzt schon Augen und Ohren offen und wartete sehnsüchtig auf eine neue Herausforderung. Dabei wäre es so einfach, wenn Monas Bruder Thomas von seiner Polizeiarbeit nur ab und zu einen kleinen Hinweis geben würde, wo es sich lohnen könnte, nach einer Putzstelle zu fragen, die nebenbei ihre detektivische Leidenschaft zufriedenstellte. Aber nein, der Mann war verschwiegen und stur wie ein Esel, obwohl Mona ihn seit Wochen bekniete.

Philippe und Lukas hörten sich derweil unter ihrer Kundschaft im Buchladen um, und Klara studierte Stellenanzeigen in der Zeitung und im Internet, was bisher leider ohne Erfolg blieb. Kriminelle Machenschaften und Familiengeheimnisse wurden eben nicht unter der Rubrik »Jobsuche« inseriert. Es war zum Verzweifeln.

Die Anzeige heute früh im Städtischen Tagesboten erschien verlockend. Nicht auf kriminalistischer Ebene, aber vom Verdienst her war sie nicht zu verachten: »Älterer Herr mit Hund sucht Putzfrau und Gesellschafterin für fünf Tage die Woche.« Klara rief den Mann sofort an und machte mit ihm einen Termin für ein Vorstellungsgespräch am späten Vormittag aus. Sie besprachen die Konditionen und verstanden sich auf Anhieb. Wenn das kein gutes Omen war …

Drei Minuten vor der vereinbarten Zeit betrat Klara zuversichtlich den Vorgarten seines Wohnhauses im Südteil der Stadt. Im selben Moment öffnete sich die Haustür, und der Mann verabschiedete eine junge Frau. Sie schüttelten die Hände und waren sich einig, dass sie die Putzstelle so schnell wie möglich antreten solle. Klara blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Wie hinterfotzig war das denn bitte schön? Sie hatten vor kaum zwei Stunden miteinander telefoniert, und er wusste, dass sie auf dem Weg zu ihm war. Außerdem hatte er ihr den Job bereits so gut wie zugesichert.

Ihr Protest half nichts.

»Es tut mir leid, aber die Stelle ist inzwischen vergeben«, sagte er und schlug ihr kurzerhand die Haustür vor der Nase zu. Das war an Unverschämtheit nicht zu überbieten!

Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch fuhr Klara in die Stadt zurück. Am Marktplatz stieg sie aus dem Bus und ärgerte sich, dass sie den ganzen Vormittag völlig umsonst unterwegs gewesen war. Außerdem ging die Sucherei nach einem neuen Job jetzt wieder von vorn los.

In der heutigen Zeitungsausgabe hatte Klara zwar noch eine weitere Ausschreibung für eine Putzstelle in einem Reinigungsteam entdeckt, aber darauf verspürte sie momentan keine große Lust. Sie wollte ermitteln, ohne Kollegen, die ihr dabei über die Schulter schauten und sie womöglich beim Arbeitgeber anschwärzten, wenn sie sich etwas genauer umsah.

Gedankenverloren lief sie an den Läden von der Bushaltestelle bis zur Buchhandlung vorbei und erschrak fürchterlich, als plötzlich ein weißer Kastenwagen quer über den Platz direkt auf sie zugeschossen kam. Ungebremst bog er in die Seitenstraße ein. Gerade noch rechtzeitig sprang Klara zur Seite. Sie stolperte und stieß mit dem Rücken gegen eine Hauswand. Der Fahrer gab Gas, ließ den Motor aufheulen und raste wie vom Teufel besessen davon. Klara schimpfte ihm hinterher und schüttelte fassungslos den Kopf. Das war eindeutig nicht ihr Tag. Sie zog den Reißverschluss ihrer Jacke ein Stückchen höher und lief nach Hause.

An der Buchhandlung angekommen, öffnete Lukas einer Kundin die Ladentür und verabschiedete sie.

»Klara?«, fragte er besorgt, als er sie entdeckte. »Was ist los mit dir? Du siehst aus, als ob dir eine Laus über die Leber gelaufen wäre.«

»So ungefähr«, murrte sie schlecht gelaunt und betrat den Laden. Im Gegensatz zu dem graukalten Oktobervormittag dort draußen war es hier drin kuschelig warm, und es duftete nach Kaffee. Philippe saß in seinem Büro und tippte auf der Computertastatur herum. Als er ihre Stimme vernahm, erhob er sich und kam in den Verkaufsraum.

»Ma chère, du bist schon zurück? Wie ist dein Gespräch gelaufen? Hast du die Stelle bekommen?« Er legte die Handflächen auf dem Ladentisch ab und wandte den Kopf in Klaras Richtung. Ein erwartungsvoller Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als ob er jeden Moment eine Flasche Sekt unter der Theke hervorziehen und auf die neue Anstellung anstoßen wollte. Gewundert hätte Klara das nicht. Philippe war immer für eine Überraschung gut.

»Nein.« Mehr brachte sie vor lauter Enttäuschung nicht hervor.

»Non? Mais pourquoi? Warum nicht? Der Mann war am Telefon doch begeistert von dir gewesen. Was ist passiert?« Philippe schien aufrichtig enttäuscht zu sein, was Klara noch mehr zusetzte. Sie kämpfte mit den Tränen. Wenn sie nicht bald einen neuen Job fand, um ihre finanzielle Lage wieder ins Gleichgewicht zu bringen, würde es verdammt eng werden. Die letzten Wochen hatte sie mit Aushilfsputzarbeiten bei Mona im Café nebenan und hier in der Buchhandlung überbrückt, aber das war kein Zustand auf Dauer.

»Er hat mich nicht einmal hereingebeten«, antwortete Klara verbittert, »er hat den Job vor meiner Nase einer anderen Frau gegeben. Ich bin so sauer!«

»Oh!«, erwiderte Philippe enttäuscht.

»Das kannst du laut sagen«, schimpfte Klara.

»Und was hast du jetzt vor?«

»Weitersuchen, was sonst?«

»Ich würde dich gern für den Buchladen engagieren, das weißt du, aber ich kann meine langjährige Putzfrau nicht einfach entlassen. Das wäre ihr gegenüber nicht fair. Ich höre mich jedoch gern noch etwas intensiver bei unseren Kunden um und bringe einen Aushang hier und bei Mona im Café an. Außerdem werde ich ein paar meiner Freunde unter den Geschäftsleuten am Marktplatz ansprechen.«

»Danke, Philippe. Das ist lieb von dir«, sagte Klara halbherzig.

Die Ladentür öffnete sich, und eine junge Frau trat ein. Sie trug einen olivgrünen Parka, hatte schulterlanges braunes Haar und große rehbraune Augen, die müde und erschöpft wirkten.

»Hallo Anna«, grüßte Lukas. Er schob einen Stapel Kriminalromane auf einem der Auslagentische zurecht.

»Hallo Lukas, hallo Philippe.« Klara warf sie ein flüchtiges Nicken zu.

»Anna, du klingst niedergeschlagen. Was ist los?«, fragte Philippe, »wo ist dein fröhliches Lachen geblieben?« Er spürte Stimmungslagen sofort, obwohl er wegen seiner Blindheit nur Hell und Dunkel unterscheiden konnte und die Gesichter der Menschen nicht einmal sah. Klara faszinierte diese Fähigkeit. Manchmal verfluchte sie sie aber auch, nämlich immer dann, wenn sie versuchte etwas vor ihm zu verbergen, was ihr allerdings so gut wie nie gelang.

Anna schloss die Tür hinter sich und blieb mitten im Laden stehen. Sie hielt einen Stapel gelber Zettel in der Hand.

»Darf ich das hier bei euch aufhängen?« Sie reichte Lukas eines der Blätter, das er sorgfältig durchlas. »Das sind Flugblätter, Philippe. Meine Kollegin ist verschwunden, und ich mache mir fürchterliche Sorgen um sie. Ich verteile die Blätter überall in der Stadt. Vielleicht hat jemand Nathalie gesehen oder weiß, wo sie ist.«

»Nathalie? Ist das nicht die junge Frau, die mir jedes Mal eine Extrablume zusteckt, wenn ich bei euch im Blumenladen einkaufe?«, wollte Philippe wissen.

Anna nickte traurig. »Ja, genau die.«

»Was ist passiert? Wieso vermisst du sie?«

Augenblicklich vergaß Klara ihren Ärger auf den alten Herrn, der ihr den gesamten Vormittag verdorben hatte, und wurde hellhörig. Sie knöpfte ihren Wollblazer auf und legte ihre Umhängetasche auf der Theke ab. Anna gehörte das Blumengeschäft Sonnenblume, ein kleines Paradies voller Blüten und Geschenkartikel. Klara hatte schon einige Male vor dem Laden gestanden und durch die Schaufenster hineingesehen. Moment mal. Klara zog die Stirn kraus und sah Philippe an. Für wen kaufte er eigentlich Blumen? Bevor Klara Gelegenheit fand, genauer darüber nachzudenken, fing Anna an zu erzählen.

»Nathalie ist seit letztem Samstag verschwunden«, sagte die junge Frau. »Montag erschien sie nicht zur Arbeit, Dienstag auch nicht. Sie hat sich nicht abgemeldet, was äußerst ungewöhnlich für sie ist, und telefonisch kann ich sie seit Tagen nicht mehr erreichen. Normalerweise ist sie sehr zuverlässig. Sie hätte mir Bescheid gegeben, wenn sie krank oder abgereist wäre.«

»Wieso abgereist? Wie kommst du darauf, dass sie die Stadt verlassen haben könnte?« Philippe neigte den Kopf zur Seite.

»Es ist kein Geheimnis, dass Nathalie nur bei mir arbeitet, weil sie Geld für eine Weltreise ansparen will. Das war von Anfang an klar, als sie vor etwa acht Monaten bei mir im Laden anfing. Aber wir sind inzwischen so etwas wie Freundinnen geworden. Sie wäre nicht einfach ohne ein Wort davongeschlichen. Sie hätte sich von mir verabschiedet.« Anna blickte nachdenklich auf die Zettel in ihrer Hand.

»Lebt sie allein?« Klara fing bereits an zu kombinieren.

»Sie hat das WG-Zimmer einer Freundin übernommen, solange diese für ein Jahr in den Staaten studiert. Eigentlich wollte Nathalie bis zu ihrer Rückkehr in vier Monaten bleiben und erst dann zu ihrer großen Reise aufbrechen. Paul, ihren Mitbewohner, habe ich schon gefragt. Er weiß von nichts. Angeblich hat er sie seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen, was seiner Meinung nach jedoch nicht ungewöhnlich sei. Da jeder von ihnen einen anderen Lebensrhythmus hat, kam es ab und zu schon vor, dass sie sich tagelang nicht über den Weg liefen.«

»Warst du bei der Polizei und hast eine Vermisstenanzeige aufgegeben?«, fragte Philippe.

»Ja«, seufzte Anna, »aber dort sagte man mir, dass Nathalie eine erwachsene Frau sei und hingehen könne, wohin sie möchte. Es gibt aus Sicht der Beamten keinen Notfall oder Indizien, die auf ein Verbrechen hindeuteten und somit eine polizeiliche Untersuchung rechtfertigten. Ich musste mir sogar einen Vortrag anhören, wie viele Menschen absichtlich untertauchen und nicht gefunden werden wollen. Das mag ja sein, aber so ist Nathalie nicht.« Anna blickte nachdenklich zu Boden. »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ihr etwas zugestoßen ist.«

Die Ladentür öffnete sich, und ein Kunde mit Vollbart und Hut trat ein. Anna wich zur Seite und ließ ihn vorbei.

»Es wäre nett, wenn ich diesen Zettel hier bei euch aufhängen darf. Vielleicht meldet sich jemand bei mir und weiß etwas.«

»Natürlich. Aber ich hätte da noch eine bessere Idee.« Philippe wandte den Kopf in Klaras Richtung und grinste.

O ja, denselben Gedanken hatte Klara auch schon gehabt, doch sie wagte nicht, ihn auszusprechen, obwohl sie für ihr Leben gern auf die Suche nach dieser Nathalie gehen würde. Dennoch, sie war Putzfrau mit detektivischen Ambitionen und keine Detektivin, die ein Honorar für ihre Schnüffeleien einfordern konnte.

»Was für eine Idee?«, hakte Anna nach, doch bevor Philippe antwortete, fuhr sie fort: »Ich habe sogar bei Frau Meiners angerufen und nach Nathalie gefragt, doch die Frau war die Unverschämtheit in Person. Von ihr erfuhr ich rein gar nichts, außer dass sie Nathalie fristlos kündigen wolle, weil sie ohne ein Wort der Entschuldigung seit Montag nicht zur Arbeit erschienen sei.«

»Wer ist Frau Meiners? Hat Ihre Kollegin denn zwei Jobs?« Klaras Interesse war geweckt.

»Familie Meiners gehört die Möbelfabrik. Sie sind der größte Arbeitgeber in unserer Region«, erklärte Philippe.

»Und Nathalie hat eine Putzstelle bei dieser unmöglichen Person angenommen. Tagsüber arbeitete sie bei mir im Blumenladen, und nachmittags ging sie dort putzen.«

Putzen! Klaras Herz machte einen Sprung, als sie das hörte.

»Dann haben diese Leute momentan keine Nachfolge für ihre verschwundene Reinigungshilfe?«, kombinierte Philippe.

»Was weiß ich«, erwiderte Anna, »ehrlich gesagt ist es mir komplett egal, wie sie nun ohne Putzfrau auskommen. Diese Familie bringt nur Unglück. Es verging kaum ein Tag, an dem Nathalie nicht genervt die Augen wegen ihnen verdrehte. Es gab immer Stress, und gerade jetzt ist die Situation dort extrem angespannt.«

»Aha?«, fragte Philippe. »Wieso das?«

»Hast du noch nichts davon gehört?«

»Wovon?«

»Von Hartwig Meiners Liste?«

»Nein«, antwortete Philippe.

»Es gibt angeblich eine Liste, auf der die Namen von fünfzig Angestellten der Möbelfabrik stehen, die in den nächsten Wochen aus Rationalisierungsgründen gekündigt werden sollen.«

»Oh! Das ist übel.«

»Das kannst du laut sagen. In der gesamten Fabrik herrscht Alarmstufe. Alle Arbeitnehmer bangen um ihre Jobs. Keiner von ihnen weiß, wen es treffen wird. Die Kündigungen ziehen sich angeblich durch alle Bereiche, von unten bis hinauf in die Administration.« Anna senkte den Kopf und biss die Kiefer aufeinander.

Ob die Situation in der Möbelfabrik und Nathalies Verschwinden etwas miteinander zu tun hatten, blieb abzuwarten, aber Klaras Bauchgefühl sagte ihr, dass hier etwas vor sich ging, das sie gern genauer unter die Lupe nehmen wollte. Die Suche nach der jungen Frau wäre der perfekte Auftrag. Sie rieb sich die Hände. »Wunderbar«, sagte sie euphorisch.

»Was ist daran bitte wunderbar?«, fragte Anna und sah sie empört an.

»Was sie damit sagen will«, erklärte Philippe rasch, »ist, dass Klara gern auf die Suche nach deiner Kollegin gehen möchte. Da momentan bei Familie Meiners eine Putzstelle frei ist, könnte sie sich dort bewerben und sich unauffällig vor Ort umhören. N’est-ce pas, ma chère?«

»Sehr gern.« Klara nickte eifrig.

»Sie ist gut im Ermitteln und hat schon einige Straftäter überführt«, fuhr Philippe fort.

Mein Gott, was redete dieser Mann da nur? Sie war keine Miss Marple.

»Anna, ich verspreche dir, Klara wird sich deiner Angelegenheit annehmen, und wenn sie Nathalie findet, können wir vielleicht über eine kleine Zuwendung für ihre Bemühungen nachdenken?«

»Das ist gar keine Frage. Natürlich!«, rief die junge Frau glücklich. Zwei Grübchen zeichneten sich in ihren Mundwinkeln ab. »Ich bin einfach nur froh, wenn mir jemand hilft und endlich etwas unternimmt.« Sie griff nach Klaras Hand und drückte sie herzlich.

Hatte Philippe eben ein Honorar für sie eingefordert? Klara traute ihren Ohren nicht. Ihr wurde heiß und kalt, ihre Knie zitterten, und ihre Lippen kribbelten vor Aufregung.

»Klara?«, hörte sie seine Stimme wie durch Watte.

»Ja?«

»Bist du damit einverstanden? Übernimmst du Annas Fall?« Philippe grinste über das ganze Gesicht, genau wie Lukas, der sich kaum noch auf die Beratung seines Kunden konzentrieren konnte und ständig zu ihnen herübersah.

»Ich, ähm, natürlich. Sehr gern sogar«, stammelte Klara und konnte ihr Glück kaum fassen. Das fühlte sich so surreal an und löste das reinste Gefühlschaos von riesiger Freude, Begeisterung, Überforderung, Panik und Unsicherheit aus. Den Gedanken, was geschah, wenn sie die Klappe zu weit aufriss und letztendlich gar nichts herausfand, schob sie sofort beiseite. Dies war ihr erster offizieller Auftrag, und den würde sie mit Philippes Hilfe lösen. Egal wie. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte Klara, und sie hätte es gern noch ein wenig länger ausgekostet, wäre nicht plötzlich überall zuckendes Blaulicht auf dem Marktplatz aufgetaucht.

Alle drehten die Köpfe und blickten nach draußen.

»Was ist los?«, fragte Philippe.

Klara und Anna liefen zur Ladentür und beobachteten, was sich drüben vor der Bank abspielte.

»Redet mit mir.« Philippe trat hinter sie und legte seine Hand auf Klaras Schulter.

»Zwei Streifenfahrzeuge stehen mit Blaulicht vor der Bankfiliale.« Klara beschrieb ihm, was sie sah.

Aus einem der Wagen stiegen Thomas und seine Kollegin Julia. Er koordinierte den Einsatz und rief den Polizisten Kommandos zu. Einer der Beamten sperrte das Gebiet mit einem Plastikflatterband ab, um die ersten Schaulustigen auf Distanz zu halten.

»O mein Gott«, stammelte Lukas. Er und der vollbärtige Kunde reckten ihre Hälse, damit sie zwischen zwei Buchregalen hindurch besser sehen konnten. »Wurde etwa die Bank ausgeraubt?«

»Sieht fast so aus«, antwortete Anna.

»Mon Dieu!«

Ein dunkles Zivilfahrzeug mit Blaulicht auf dem Dach jagte über den Platz und stoppte vor der Absperrung. Kommissar Fleck und sein Kollege Kommissar Konte rissen die Wagentüren auf und stürmten zu Thomas. Die Männer besprachen sich. Die vielen Einsatzlichter reflektierten sich in den Schaufenstern der benachbarten Geschäfte, tanzten über die Hausfassaden und über die erschrockenen Gesichter der gaffenden Passanten, die sich immer dichter hinter dem Absperrband drängten und mit ihren Handys fotografierten oder filmten.

Ganz langsam öffnete sich die Tür der Bankfiliale. Zuerst nur einen Spaltbreit. Klara wagte kaum zu atmen, so angespannt war sie. Philippes Hand lag schwer auf ihrer Schulter. Anna hielt die gelben Flugblätter fest vor ihre Brust gedrückt.

»Da!«, rief sie aufgeregt.

Mona erschien auf der Schwelle und rief den Beamten etwas zu. Die Polizisten und die Kommissare eilten zu ihr in das Gebäude. Thomas blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um. Er beobachtete aufmerksam die neugierigen Menschen, die zwei seiner Kollegen vor dem Absperrband in Schach hielten.

Klara öffnete die Ladentür und trat hinaus. Die anderen folgten ihr. Thomas entdeckte sie, blickte kurz zu ihnen herüber und verschwand ebenfalls in der Bankfiliale.

»Was ist da los?«, fragte Philippe.

»Offenbar ist der Räuber nicht mehr im Gebäude. Das ist gut.« Klara atmete erleichtert auf, obwohl der Gedanke, dass Mona zum Zeitpunkt des Überfalls in der Bank gewesen war, sich schrecklich anfühlte. Die Ärmste. Jedes Mal, wenn Klara ihr von ihren gefährlichen Abenteuern berichtet hatte, funkelten Monas Augen vor Aufregung und Neugier, aber so etwas am eigenen Leib zu erleben, war eine ganz andere Sache. Nicht auszudenken, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Die Tatsache, dass sie an die Tür gekommen war, sprach dafür, dass es ihr so weit gut ging und sie hoffentlich unverletzt war. Zum Glück war ihr Bruder jetzt bei ihr.

»Mein Gott«, seufzte Anna und starrte auf die Polizeiautos. Ihr Teint war noch eine Nuance bleicher geworden.

»Kommen Sie, lassen Sie uns wieder hineingehen. Die Polizei ist vor Ort und kümmert sich um alles«, schlug Klara vor und legte Anna die Hand auf die Schulter. »Wir sollten lieber überlegen, was wir wegen Nathalie unternehmen wollen.«

»Du hast recht«, sagte Philippe und stieg die beiden Stufen in den Laden empor.

»Danke, aber das geht nicht. Ich muss in mein Geschäft zurück.« Anna lächelte erschöpft. »Ich habe meine Mittagspause schon gnadenlos überzogen.« Sie reichte Klara eines ihrer gelben Flugblätter. »Kommen Sie später doch bei mir vorbei, und dann erzähle ich Ihnen alles, was ich weiß und was wichtig für Ihre Recherchen sein könnte.«

»Das werde ich gern tun.«

»Und wir rufen gleich bei Familie Meiners an, damit du dich für die freie Putzstelle bewerben kannst, bevor jemand anders uns zuvorkommt«, sagte Philippe.

»Das ist eine prima Idee. So wie Nathalie diese Frau beschrieb, wird sie nicht lange fackeln und schnellstmöglich einen Ersatz suchen. Lieber heute als morgen.« Anna rollte die Augen und brachte zum Ausdruck, was sie von dieser Person hielt. »Ich danke Ihnen. Sie wissen nicht, was mir Ihre Hilfe bedeutet.«

»Ich kann es mir vorstellen.« Klara lächelte sie mitfühlend an.

»Dann sehen wir uns nachher? Die Sonnenblume ist bis achtzehn Uhr geöffnet. Ansonsten erreichen Sie mich jederzeit unter dieser Telefonnummer.« Anna zog einen Kugelschreiber aus ihrem Parka und notierte die Ziffern auf der Rückseite des Flugblatts, das sie Klara gegeben hatte. Mit einem »Bis nachher« eilte sie im Laufschritt über den Marktplatz davon.

Der Vormittag war wieder einmal völlig aus dem Ruder gelaufen, wie so oft, seit Klara hier lebte. Von einem Moment auf den anderen stand alles kopf, schlugen Katastrophen ein, und nichts war wie vorher. Als sie noch in der Reihenhaussiedlung bei ihrem Mann Harald gelebt hatte, waren die Tage bis auf kleinere Abweichungen nach einem bestimmten Rhythmus abgelaufen, beruhigend und langweilig gleichermaßen. Hier war das definitiv anders.

»Kommst du?«, rief Philippe aus dem Buchladen. Er wartete hinter der Theke.

Sie drehte sich auf dem Absatz um und warf einen letzten Blick zur Bankfiliale hinüber, wo sich immer mehr Schaulustige tummelten und ihre Hälse reckten. Die Blaulichter waren erloschen, und Polizisten befragten die Passanten.

»Wir sollten so schnell wie möglich bei Frau Meiners anrufen«, drängte Philippe.

Zwei neue Kunden betraten den Buchladen, überschütteten Lukas mit Spekulationen über den Überfall und plapperten wild durcheinander. Klara lief an ihnen vorbei zu Philippe in das kleine Büro hinter der Theke. Sie schloss die Tür und sperrte die ganze Aufregung aus. Mit einem tiefen Seufzen sank sie auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch.

»Ich komme mir gerade wie im Schleuderprogramm einer Waschmaschine vor. Kneif mich mal, ob ich träume. Seit Wochen suche ich nach einem neuen Kriminalfall, und plötzlich werden mir gleich zwei auf dem Silbertablett serviert. Zuerst die Sache mit der verschwundenen jungen Frau und dann der Banküberfall. Das Verrückteste ist jedoch das, was du getan hast. Was ist eigentlich vorhin in dich gefahren?«, fragte sie.

»Comment? Was meinst du?« Philippe nahm Platz und tastete nach dem Telefon.

»Du hast ein Honorar für mich ausgehandelt!« Klara konnte es immer noch nicht fassen.

»Mais oui! Du darfst deine Dienste nicht umsonst anbieten. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass du dich wieder in gefährliche Situationen begibst. Du hast am eigenen Leib erfahren, wie schnell das geschehen kann. Warum solltest du das alles ohne eine finanzielle Entschädigung auf dich nehmen?« Er schüttelte den Kopf, als verstünde er ihre Empörung absolut nicht.

»Ich habe null Ahnung von Detektivarbeit. Wie kann ich dafür Geld von den Leuten verlangen? Nicht dass ich das nicht wahnsinnig gern täte, aber irgendwie komme ich mir vor Anna wie eine Hochstaplerin vor. Was, wenn ich nichts herausfinde und gnadenlos scheitere?«

Philippe lächelte dieses ganz bestimmte Lächeln, das Klara in den letzten Wochen so sehr ans Herz gewachsen war und ihr jedes Mal einen kleinen Hüpfer ihres Pulsschlags bescherte.

»Ma chère, du verfügst über mehr Erfahrung, als du denkst. Du hast bereits Morde aufgeklärt, hast eine gute Beobachtungsgabe und ein Gespür, das man nicht erlernen kann. Du besitzt das geübte Auge einer Putzfrau, die an manchen Stellen genauer hinsieht, und außerdem eine gehörige Portion gesunder Neugier. Also erzähl mir bitte nicht, und vor allem dir nicht, dass du kein Talent für diese Arbeit hättest.«

»Nehmen wir einmal an, ich finde Nathalie. Was soll ich dann von Anna verlangen? Wie viel verdient ein Detektiv überhaupt? Und da wären wir wieder beim Ausgangspunkt, ich bin keine Detektivin, sondern eine Putzfrau mit Ambitionen.«

»Une femme de ménage avec des ambitions?«, wiederholte Philippe in einem Tonfall, der deutlich machte, was er von ihrer Aussage hielt. Dabei zog er skeptisch eine Braue in die Höhe.

Sie brachen in Gelächter aus.

»Zugegeben, das klingt schon ein wenig blöd, wenn ich das so sage, aber im Kern stimmt es doch.«

»Erst wenn du deine Recherchen als solche ernst nimmst und dir klarmachst, wie sehr du Anna damit hilfst, wirst du ihr Honorar mit gutem Gewissen annehmen können.«

»Das sagt sich so leicht.« Klara schnaubte.

»Wenn es dir lieber ist, übernehme ich gern die finanzielle Abwicklung für dich.«

»Das würdest du tun?«, fragte sie erleichtert. »Dann wärst du sozusagen mein Berater, Schrägstrich Manager?« Das war keine schlechte Idee, wie Klara fand. Vielleicht würde es ihr eines Tages leichtfallen, ein Honorar für Dinge zu verlangen, die ihr Spaß machten, aber im Moment fühlte sie sich unbehaglich damit.

»Was sagst du? Bist du einverstanden?«, hakte Philippe nach.

»Sehr gern sogar, aber unter einer Bedingung.«

»Die da wäre?«

»Wir teilen uns den Verdienst. Ich käme mir fürchterlich vor, wenn du mich in allem unterstützt und ich allein davon profitiere.«

»Non!« Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen und schien unumstößlich zu sein.

»Philippe, bitte!« Sie erhob sich.

»Das kommt auf keinen Fall infrage.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. »Du brauchst jeden Cent für deinen Neuanfang hier.«

»Ach, du hast wohl Angst, dass ich dir meine Miete für die Dachwohnung nicht bezahlen kann?«, scherzte Klara.

»Das wäre mein Ruin!«, erwiderte er theatralisch, legte die Hand auf die Brust.

»Dein Buchladen in allen Ehren, aber ich glaube, du benötigst selbst jeden Cent, den du bekommen kannst. Du hast eine exklusive Toplage am Marktplatz, hinzu kommen die Konkurrenz von Onlinebookstores und schwindende Leserzahlen. Das setzt dir und deinem Bankkonto bestimmt ganz schön zu.« Klara hatte mit ihm noch nie über Finanzielles gesprochen, das ging sie schließlich nichts an, aber sie hatte beobachtet, dass der Buchladen nicht unbedingt vor Kundschaft aus allen Nähten platzte. Die Leute kamen gern und verließen den Laden meist mit mehr als nur einem Buch, weil Philippe und Lukas sie für die Lektüre begeisterten, aber ob sich das am Ende des Tages wirklich rechnete, wagte Klara zu bezweifeln.

»Danke, dass du dir deswegen Gedanken machst, aber meinem Bankkonto geht es gut. Sehr gut.« Philippe sagte das irgendwie eigenartig und griff rasch nach dem Telefon. »Du solltest dich beeilen und Frau Meiners anrufen.«

Klara wurde das Gefühl nicht los, dass er in Bezug auf seine Finanzen etwas verbarg. Er hatte schon einmal einen kryptischen Hinweis wegen seiner finanziellen Situation gemacht, damals, als er ihr im Casino Jetons im Wert von hundert Euro einfach so in die Hand gedrückt hatte. Irgendwann würde sie ihn darauf ansprechen, aber nicht jetzt. Im Moment gab es Wichtigeres zu regeln, nämlich die Putzstelle im Hause Meiners zu bekommen. Annas Andeutungen nach herrschte dort ein etwas angespanntes Verhältnis zwischen Nathalie und der Familie. Vielleicht war das ein erster Ansatzpunkt für ihre Suche nach der jungen Frau, und falls nicht, hätte sie wenigstens eine neue Anstellung als Reinigungskraft, was ihr nach dem Desaster von heute früh sehr gelegen käme. Im Telefonbuch suchte sie die Nummer der Unternehmerfamilie heraus und wählte. Nach dem zweiten Klingeln wurde bereits abgenommen.

»Hier ist der Anschluss von Familie Meiners, Bergheim am Apparat«, ertönte eine forsche Frauenstimme. Sie hatte etwas Feldwebelhaftes, so dass Klara automatisch den Rücken straffte.

»Golder, guten Tag. Kann ich bitte mit Frau Meiners sprechen?« Klara drehte nervös das Telefonkabel zwischen ihren Fingern. Philippe lauschte aufmerksam.

»In welcher Angelegenheit?«

»Ich rufe wegen der Putzstelle an.«

»Worum genau geht es?«

Klara zögerte. Vielleicht gab es gar keine Anzeige in der Zeitung, auf die sie sich beziehen konnte, oder der Job war schon längst vergeben. Wer war eigentlich diese Frau am Telefon? Klara hätte sich besser auf das Gespräch vorbereiten und sich eine Geschichte ausdenken sollen, woher sie von der Stelle wusste. Dazu war es jetzt leider zu spät. Sie musste improvisieren, was nicht unbedingt ihre Stärke war.

»Das möchte ich gern mit Frau Meiners persönlich besprechen«, versuchte sie Zeit zu gewinnen, »würden Sie mir die Dame bitte ans Telefon holen?«

»Selbstverständlich«, kam es aus der Leitung. Der leicht angesäuerte Unterton war nicht zu überhören.

Klara hielt die Muschel des Hörers zu und raunte zu Philippe: »Was soll ich denn sagen, woher ich von der freien Stelle weiß?«

Er überlegte kurz. »Sag, du hast gehört, dass Nathalie gekündigt habe.«

»Was? Wieso?« Das war absurd, doch bevor ihr eine bessere Lösung einfiel, meldete sich die Hausherrin persönlich am Telefon.

»Meiners.«

»Guten Tag, mein Name ist Golder. Ich habe gehört, Sie sind auf der Suche nach einer neuen Reinigungskraft?«

»So, haben Sie das?«, fragte Frau Meiners kurz angebunden. Ihr Tonfall klang kühl, und Klara war froh, dass die Frau nicht sah, wie sehr ihre Hände zitterten.

Sie schluckte. »Ja, und ich möchte mich gern auf die Stelle bei Ihnen bewerben. Ich habe gehört, dass Nathalie …« Verdammt, sie kannte nicht einmal ihren Nachnamen. »… gekündigt hat.«

»Diese impertinente Person«, schimpfte Frau Meiners sofort los, »haben Sie etwas mit ihr zu tun? Wenn ja, dann vergessen Sie den Job. Ich will nichts mehr von ihr hören. Ich bin froh, dass sie fort ist.«

»Nein, ich kenne Nathalie nicht wirklich.« Klara überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Sie kannte die junge Frau nicht, aber ihren Vornamen? Das war widersprüchlich und roch schon aus zehn Kilometer Entfernung nach einer Lüge. »Sie ist eine Art Konkurrenz. Sie hat mir bereits einige Stellen vor der Nase weggeschnappt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen meine Referenzen vorbeibringen und mich persönlich bei Ihnen vorstellen dürfte.«

Philippe grinste und streckte den Daumen in die Höhe.

»Von mir aus. Ich brauche dringend jemanden für das Haus. Kommen Sie morgen um vierzehn Uhr. Bringen Sie Ihre Unterlagen mit.«

»Sehr gern. Vielen Dank und bis morgen.«

»Ja«, murmelte die Frau und beendete das Gespräch, ohne sich zu verabschieden.

»Hallo?« Klara nahm empört den Hörer vom Ohr und starrte ihn an. »Die Freundlichkeit in Person. Juhu, ich liebe meine neue Chefin jetzt schon«, sagte sie sarkastisch und legte auf.

Philippe grinste verschmitzt.

»Was?«

»Ist es nicht genau das, was du seit Wochen gesucht hast? Ein neues Abenteuer?«

»Schon, aber könnte ich zur Abwechslung nicht mal eine freundliche Chefin haben?«

»Dann wäre es doch langweilig, n’est-ce pas?«

Er hatte recht, und ehrlich gesagt freute Klara sich auf die Herausforderung. Zuvor würde sie allerdings bei Anna vorbeigehen und sie noch ein wenig ausfragen. Je mehr sie über Nathalie erfuhr, desto besser. Lukas klopfte an die Tür und streckte den Kopf herein.

»Die Polizei ist hier und möchte mit euch sprechen.«

Thomas betrat Philippes Büro und blieb an der Tür stehen. Er steckte die Daumen in den Hosenbund seiner Uniform und nickte kurz zum Gruß. Er sah erschöpft aus.

»Was ist mit Mona?«, platzte Klara heraus und sprang von ihrem Stuhl auf. »Ist sie verletzt? Geht es ihr gut?«

»Sie hat einen ordentlichen Schrecken abbekommen, aber sie ist wohlauf. Zum Glück«, antwortete er.

Selbst wenn Mona ständig über ihren großen Bruder meckerte, weil er ihr keine Geheimnisse aus seinen polizeilichen Ermittlungen verriet, waren die beiden doch ein Herz und eine Seele. So wie Thomas aussah, hatte ihm der Vorfall gehörig zugesetzt. Klara vermochte sich nicht auszudenken, was er getan hätte, wenn seine Schwester zu Schaden gekommen wäre.

»Ihr habt ja mitbekommen, dass die Bank überfallen wurde«, sagte er, »habt ihr zufällig etwas gesehen, das uns weiterhelfen könnte?«

Philippe zuckte die Achseln und deutete auf seine Augen.

»Malheureusement non.«

»Was genau ist denn passiert?«, fragte Klara.

»Klara, bitte, das hatten wir doch schon. Ich bin die Polizei und stelle die Fragen, nicht du. Also, hast du etwas gesehen?«

»Außer eurem Polizeiaufgebot dort draußen nichts.«

»Bitte denk noch einmal genau nach. Ist dir vielleicht jemand aufgefallen, der davonlief? Gab es einen Fluchtwagen vor der Tür? Habt ihr etwas gehört? Der kleinste Hinweis könnte wichtig für uns sein.«

Klara überlegte. »Wenn ich bedenke, dass der Räuber bereits fort war, als ihr hier eingetroffen seid, muss der Überfall kurz vorher geschehen sein. Wer hat euch eigentlich alarmiert? Gab es Zeugen?«

»Klara! Ich stelle die Fragen, aber wenn es dich beruhigt: Wir bekamen einen stillen Alarm, während der Räuber noch in der Bank war. Dementsprechend waren wir nur kurze Zeit, nachdem er geflohen war, hier.« Thomas trat einen Schritt auf sie zu und sah sie fragend an. »Ich kenne diesen Blick. Du hast etwas beobachtet, stimmt’s?«

»Nein, eigentlich nicht, aber …«

»Ja?«

»Ich überlege, was wir zum Zeitpunkt der Tat getan haben. Anna war im Laden, und sie hat uns …« Klara verstummte. Es war besser, wenn er nichts von ihrem neuen Auftrag wusste. Thomas konnte in solchen Angelegenheiten ein echter Spielverderber sein. Dabei hatte sie der Polizei schon mehrmals sehr gute Hinweise geliefert. Sie sollten eigentlich froh über ihre Unterstützung sein.

»Ja? Weiter?«, drängte er.

»Wir haben uns unterhalten, und plötzlich bemerkten wir die vielen Blaulichter draußen. Erst dann haben wir zur Bank hinübergesehen. Vermutlich war zu diesem Zeitpunkt der ganze Zinnober schon vorbei.«

Thomas nickte resigniert.

»Ich weiß nicht, ob das mit dem Überfall zu tun hat«, sagte Klara nachdenklich und rekonstruierte die letzten Momente, kurz bevor sie die Buchhandlung betreten hatte.

»Alles kann wichtig für uns sein.« Thomas fuhr mit der Hand über seinen Dreitagebart und wartete ungeduldig, was Klara zu berichten wusste.

»Das mag jetzt vielleicht auch völliger Unsinn sein und meine Phantasie geht mit mir durch, aber als ich von der Bushaltestelle zurückkehrte – ich hatte ein echt doofes Vorstellungsgespräch, also eigentlich kam es nicht einmal dazu …«

»Klara!«

»Entschuldige, also auf meinem Weg von der Bushaltestelle am Marktplatz Süd zurück zur Buchhandlung ereignete sich ein kleiner Zwischenfall.« Sie versuchte sich so genau wie möglich an die Situation mit dem weißen Kastenwagen zu erinnern.

»Der da wäre?« Thomas wedelte ungeduldig mit der Hand.

Klara erzählte, was sie erlebt hatte.

»Du sagst, der Fahrer ist mit überhöhtem Tempo an dir vorbeigerast?«

»Ja, ich konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen. Außerdem ist der Marktplatz zu dieser Uhrzeit für den Verkehr gesperrt. Zulieferer dürfen nur morgens vor Ladenbeginn in die Zone einfahren. Deswegen und weil der Mann mir fast über die Füße fuhr, ist mir das Fahrzeug überhaupt aufgefallen.«

»Du bist dir sicher, dass ein Mann am Steuer saß?« Inzwischen hatte Thomas einen kleinen Block aus seiner Jackentasche gezogen und machte sich Notizen.

»Ja, aber die Haarfarbe habe ich nicht genau erkannt. Das Wagendach warf einen Schatten. Zumindest war er nicht hellblond oder rothaarig.«

»Hast du gesehen, ob der Wagen ein Firmenlogo oder sonstige Aufkleber besaß? Oder hast du dir vielleicht sogar das Kennzeichen gemerkt?«

»Leider nein, das ging alles viel zu schnell. Ich war mit meinen Gedanken meilenweit fort und nicht auf diesen Vorfall gefasst gewesen.« Klara schüttelte den Kopf.

»Überleg bitte noch einmal. Jedes noch so kleine Detail könnte wichtig für uns sein.«

»Glaubst du, der Mann gehörte zu dem Räuber oder er war es vielleicht sogar selbst?« Wie dumm, dass sie nicht besser aufgepasst hatte.

»Keine Ahnung, wir tappen bislang völlig im Dunkeln. Weißt du, welchen Wagentyp der Mann fuhr?«

»Ist das dein Ernst? Ich habe früher schon beim Autoquartett ständig verloren. Es war ein Kastenwagen, ohne Fenster an den Seiten und hinten. Und nein, er hatte keinerlei Beschriftung oder Aufkleber, aber warte mal.«

»Ja?«

»Jetzt, wo du es sagst – am hinteren Kotflügel auf der Beifahrerseite war ein Kratzer, etwa so lang.« Klara zeigte mit den Händen eine Länge von circa zwanzig Zentimetern.

»Super.« Thomas notierte sich alles. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

»Warum lachst du?«

»Als ich euch vorhin vor der Tür entdeckte, habe ich mit Julia gewettet, dass du etwas gesehen hast.«

»Et voilà«, mischte sich Philippe in das Gespräch ein, »selbst die Polizei ist von deinen Fähigkeiten überzeugt.«

Klaras Wangen glühten. Vielleicht hielt Thomas sie auch nur für eine neugierige Schachtel, die es nicht lassen konnte und ihre Nase überall hineinsteckte.

»Was genau ist denn in der Bank passiert? Hat der Mann Geld erbeuten können? Gab es Verletzte? Wie geht es Mona?«

Thomas steckte seinen Notizblock in die Jackentasche zurück. »Netter Versuch, aber wenn du etwas über den Tathergang wissen möchtest, dann frag Mona. Wie ich sie kenne, wird sie ihrer gesamten Kundschaft ausgiebig davon erzählen.« Er wandte sich zum Gehen. Im Türrahmen blieb er stehen, drehte sich um und sah sie streng an. »Wir verstehen uns? Du wirst deine Nase nicht wieder in unsere Polizeiarbeit stecken.«

Klara setzte ein gespielt empörtes Gesicht auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Pft. Dafür habe ich momentan gar keine Zeit. Ich habe eine neue Arbeitsstelle in Aussicht. Dieses Mal müsst ihr leider ohne mich zurechtkommen.«

Thomas verließ das Büro.

»Na geh schon«, sagte Philippe, als sie wieder allein waren.

»Wohin?« Sie hatte keine Ahnung, was er meinte.

»Ich spüre doch, wie sehr du darauf brennst, alle Details von Mona zu erfahren.«

»Du hast recht, und außerdem möchte ich wissen, wie es ihr geht.« Klara lief zur Tür. »Wollen wir heute Abend zusammen essen? Dann können wir überlegen, wo und wie wir mit unseren Recherchen ansetzen.«

»Das ist eine wunderbare Idee. Wie wäre es um sieben Uhr bei mir? Was hältst du von leckerem Ofenkäse, frischem Baguette und einem guten Tropfen Rotwein?«, fragte Philippe.

»Hm, das klingt verführerisch«, entgegnete Klara und verschwand mit einem »Bis nachher« aus der Buchhandlung.

Die Ladenglocke des Cafés bimmelte, als Klara eintrat. Für gewöhnlich zauberte ihr der Duft von Kaffee und frischem Gebäck ein Lächeln aufs Gesicht. Manchmal blieb sie sogar für einen kurzen Moment an der Tür stehen, schloss die Augen und sog diesen himmlischen Geruch mit jeder Faser ihres Körpers auf. Für Klara war das nicht einfach nur Kaffeeduft. Es war eine Melange aus Geborgenheit, Zuhause und Frieden. Doch heute hatte sie dafür keine Zeit. Sie musste dringend mit Mona sprechen. Die Ärmste war sicherlich völlig durch den Wind und am Boden zerstört. In einen Banküberfall wurde man Gott sei Dank nicht jeden Tag involviert. Klara war froh, dass ihre Freundin unverletzt geblieben war. Nicht auszudenken, was sie gemacht hätte, wenn … Stopp! … diesen Gedanken wollte sie auf keinen Fall in ihren Kopf lassen.

Ihre Sorge um Mona blieb zum Glück unbegründet. Die kleine pummelige Caféinhaberin stand hinter der Theke und berichtete haarklein mit ausladenden Gesten von ihrem aufwühlenden Erlebnis. Vor ihr scharten sich fünf Frauen, die nach vorn gebeugt mit fassungslosem Kopfschütteln jedes ihrer Worte neugierig verschlangen. Thomas hatte recht, die gesamte Kundschaft erfuhr von den Vorgängen in der Bank und das bis ins kleinste Detail. Die Nachricht würde sich in Windeseile in der Stadt verbreiten, und sicherlich veränderten sich mit jedem Gespräch die Informationen ein klein wenig, bis zum Schluss alles ganz anders dargestellt wurde, als es tatsächlich geschehen war. Klara dachte dabei an eine bestimmte Kundin, Frau Krämer, die vor Wochen ihre eigene und total falsche Geschichte über den ermordeten Pfarrer in Umlauf gebracht hatte.

»Klara!«, rief Mona, als sie sie erblickte. »Hast du schon gehört? Die Bank wurde überfallen. Meine Damen, Sie entschuldigen mich bitte?« Sie lief um die Ladentheke herum, griff nach Klaras Ellenbogen und zog sie mit sich zu deren Stammplatz an einem kleinen Tisch ganz hinten im Café. »Komm, setz dich. Ich muss dir unbedingt erzählen, was vorhin in der Bankfiliale passiert ist.«

Mona bebte am ganzen Körper. »Pepsi, bringst du uns bitte zwei Kaffee?«, bat sie ihre Kollegin und ließ sich auf den gelben Stuhl sinken.

Klara nahm ihr gegenüber auf dem roten Platz und griff nach Monas Händen. »Geht es dir gut?« Äußerlich sah sie unversehrt aus, aber innerlich tobte es ganz offensichtlich.

»Jaja, alles gut«, wiegelte Mona hastig ab und fing an, jedes Detail des Überfalls zu berichten – ohne Punkt, ohne Komma und fast ohne Luft zu holen.