Die Oma und der Punk auf heißer Spur - Simone Jöst - E-Book
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Die Oma und der Punk auf heißer Spur E-Book

Simone Jöst

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Beschreibung

Schlimmer als die Mafia können nur nervige Verehrer sein … „Die Oma und der Punk auf heißer Spur“ von Simone Jöst jetzt als eBook bei dotbooks. Gemeinsam mit der jungen, quirligen Jule und ihrem Freund Sandro gründet Oma Emma in ihrer Villa eine ungewöhnliche WG. Doch kaum haben sich die drei eingerichtet, steht ein zwielichtiger Besucher aus der Vergangenheit auf der Matte. Die Lage wird brenzlig – und ausgerechnet jetzt sorgt ein hartnäckiger Verehrer von Oma Emma für weiteren Ärger und der neugierige, militante Nachbar verbessert die Lage auch nicht gerade … Wieder müssen die Oma und der Punk zu spektakulären Mitteln greifen, um ihren Widersachern das Handwerk zu legen! Flippig, rasant, spannend: Das coolste Krimi-Duo seit Langem! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Oma und der Punk auf heißer Spur“ von Simone Jöst. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 442

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Über dieses Buch:

Gemeinsam mit der jungen, quirligen Jule und ihrem Freund Sandro gründet Oma Emma in ihrer Villa eine ungewöhnliche WG.  Doch kaum haben sich die drei eingerichtet, steht ein zwielichtiger Besucher aus der Vergangenheit auf der Matte. Die Lage wird brenzlig – und ausgerechnet jetzt sorgt ein hartnäckiger Verehrer von Oma Emma für weiteren Ärger und der neugierige, militante Nachbar verbessert die Lage auch nicht gerade … Wieder müssen die Oma und der Punk zu spektakulären Mitteln greifen, um ihren Widersachern das Handwerk zu legen!

Flippig, rasant, spannend: Das coolste Krimi-Duo seit Langem!

Über die Autorin:

Simone Jöst lebt im Odenwald. Beflügelt von der Lust, sich ständig neue Geschichten auszudenken, entdeckte sie das Spannungsgenre für sich. Seitdem publizierte sie zahlreiche Krimi-Kurzgeschichten und arbeitete als freie Mitarbeiterin in einem kleinen Verlag. Sie ist Herausgeberin diverser Anthologien und liebt nichts mehr als schwarzen Humor und weiße Schokolade.

Simone Jöst veröffentlicht bei dotbooks auch:

»Die Oma und der Punk«

»Die Oma und der Punk – Gestorben wird später«

Die Website der Autorin: www.simonejoest.de

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Originalausgabe April 2017

Copyright © der Originalausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Vera Baschlakow

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/mikeledray, Cheryl E. Davis

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-95824-211-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Simone Jöst

Die Oma und der Punk auf heißer Spur

Kriminalroman

dotbooks.

Für Emma

R.I.P.

Prolog

Eine Fledermaus schoss an meiner Nase vorbei. Ich erschrak und zog meine Wollmütze tiefer ins Gesicht. Zwei Jäger der Nacht, der eine hungrig, der andere gierig. Ich grinste.

Seit ein paar Tagen lauerte ich der alten Dame in ihrer Villa auf und observierte ihre Gewohnheiten. Sobald es dunkel wurde, versteckte ich mich hinter dem kleinen Geräteschuppen in ihrem Garten, oder ich kletterte auf den riesigen Kirschbaum und verbarg mich im dichten Laub. Von dort aus konnte ich direkt in das Schlafzimmer der Alten blicken. Nicht dass es mir Vergnügen bereitet hätte, sie zu beobachten, wenn sie sich umzog und ihre abendlichen Rituale verfolgte, ich wollte nur herausfinden, wo sie ihren Schmuck aufbewahrte, wenn sie zu Bett ging.

Es dauerte nicht lange, und ich wusste, wann sie abends den Fernseher ausschaltete, das Licht löschte und sich schlafen legte. Sie funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk, präzise und zuverlässig.

Ein Donner grollte durch die Nacht. Blitze zuckten in schnellen Abständen über die Häuser der Stadt. Die Luft war drückend schwül. Beim Einatmen fühlte es sich an, als ob ich dicke Marshmallows im Mund hätte. Meine schwarze Kleidung war viel zu warm, vor allem die Wollmütze, doch Tarnung war für einen Dieb unerlässlich. Nur so konnte ich mit den Schatten der Nacht verschmelzen.

Falter schwirrten vor dem hell erleuchteten Schlafzimmerfenster der Alten und schlugen mit ihren Körpern gegen die Scheibe. Das leise Tock,Tock verstummte erst, als sie das Licht löschte. Wie jeden Abend trat sie in ihrem geblümten Nachthemd ans Fenster, öffnete es, hob die Gardine über den Rahmen und zog sie zu. Eine Geste, über die ich nur lachen konnte. Wen sollte das dünne Stückchen Stoff aus ihrem Zimmer fernhalten? Insekten oder etwa Einbrecher wie mich?

Frau Westermann war reich und überheblich wie die meisten Bewohner in diesem Stadtviertel. Ihre Villen waren ein Eldorado für jeden Dieb. Ölgemälde alter Meister, Antiquitäten, teure Skulpturen, Vasen oder Wertpapiere in den Tresoren ließen keine Wünsche offen. Meine Vorliebe galt ausschließlich dem Schmuck der Damen. Die Edelsteine funkelten wunderschön, und außerdem waren sie viel einfacher aus den Häusern zu entwenden als sperrige Kunstgegenstände. Ich benötigte weder Fluchtfahrzeug noch Komplizen für den Abtransport. Alles, was ich bei mir trug, war ein Rucksack mit Werkzeug, der auch genügend Platz für meine Beute bot.

Das Donnergrollen übertönte die Geräusche der nachtmüden Stadt. Vorsichtig schlich ich aus dem Schatten des Geräteschuppens in Richtung Terrasse. Ein Rosengitter aus Holz ragte an der Hauswand bis in den ersten Stock hinauf. Die perfekte Einladung.

Bevor ich den Aufstieg wagte, blieb ich unter dem geöffneten Fenster stehen und lauschte. Zum Glück schnarchte die Alte schon nach wenigen Minuten laut und gleichmäßig. Ich zog dünne Lederhandschuhe über, damit ich mich nicht an den Dornen der Rosen verletzte und oben im Zimmer keine Fingerabdrücke hinterließ.

Als ich den Fuß auf das Rosengitter stellte, knallte ein Donner wie ein Kanonenschlag durch die Nacht. Ich hielt inne und lauschte. Zum Glück war die Westermann nicht aufgewacht. Ihr Schnarchen wurde sogar immer lauter, als ob sie gegen das Naturschauspiel ankämpfen wollte. Ein greller Blitz tauchte den Garten in ein rosafarbenes Licht. Für einen Moment überlegte ich, ob ich den Einbruch sein lassen sollte. Sobald der Regen einsetzte, würde der Boden aufweichen und ich jede Menge Fußspuren hinterlassen.

Ich war mir der Gefahr bewusst, doch der Gedanke, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewegte, machte die ganze Angelegenheit noch spannender. Anstatt aufzugeben, lächelte ich und fühlte mich unschlagbar. Ich kletterte über das Rankgitter nach oben, bis ich das offene Fenster erreichte. Vorsichtig zog ich mich auf das Sims empor und stützte mich mit den Unterarmen darauf ab. Ein weiterer Donner peitschte durch die Nacht. Vor Schreck wäre ich beinahe hinabgestürzt. Mein Unternehmen war gefährlich und aufregend zugleich.

Wenn die Westermann bei diesem Lärm bis jetzt noch nicht aufgewacht war, würde ich leichtes Spiel haben. Mit dem Oberkörper zog ich mich in ihr Zimmer und hievte die Beine hinterher. Die Luft im Raum war stickig. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und lauschte einen Augenblick am Fußteil des Bettes.

Dank meiner Observation wusste ich, dass ihr Doppelbett zu meiner Rechten stand, ein weiß lackierter Schrank an der Wand gegenüber und ihre Frisierkommode mit Spiegel zu meiner Linken. Es bestand kein Grund zur Sorge, und dennoch überkam mich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.

Plötzlich verstummte die alte Dame. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Sie richtete sich in ihrem Bett auf und zielte mit einer Pistole auf mich. Eine Kugel jagte wenige Zentimeter an meinem Oberarm vorbei. Ich zog den Kopf ein, und ehe die Alte ein zweites Mal abdrückte, schwang ich mich aus dem Fenster, hangelte und rutschte an dem Rankgitter wieder nach unten. Meine Knie zitterten, mein Puls raste, Rosenzweige brachen. Unten auf der Veranda angekommen, stolperte ich und fiel zu Boden. Dicke Regentropfen schlugen auf die Steinfliesen. Das Gewitter brach los. Ich rappelte mich auf und floh, so schnell ich konnte. Das Unwetter erwischte mich mit voller Wucht. Am Gartentürchen war ich bereits bis auf die Haut durchweicht. Ich nahm allen Mut zusammen und sprang mit einem Satz über den Zaun, rannte hinaus auf die Straße, strauchelte und fiel zu Boden. Zwei Autoscheinwerfer rasten auf mich zu, und ich konnte nur noch meinen Arm quer vor mein Gesicht heben.

Montag

Emma hielt den Deckel der bauchigen Kanne fest und goss Tee in vier zarte Porzellantassen. Das goldbraune Getränk wirbelte in einem Strudel, bis es endlich zur Ruhe kam und feine Dampfwölkchen daraus in die Höhe tanzten.

»Bitte, bedient euch.« Emma stellte die Kanne auf den kleinen Couchtisch, nahm eine der Tassen und setzte sich in ihren Sessel. Es schien ihr eine Ewigkeit her zu sein, als sie das letzte Mal ihre Nachbarinnen zur Teerunde eingeladen hatte. Früher brachten diese Treffen Abwechslung in ihr Leben, doch heute war das anders. Es fühlte sich an wie eine leidige Pflicht. Emma pustete über ihren Tee. Es hatte sich vieles verändert. Sie hatte sich verändert.

»Ich wusste gar nicht, dass man aus einem Altersheim auch wieder ausziehen kann.« Rosalie Rittmansperger, Emmas Nachbarin zur Linken, rührte mit einem goldenen Löffel und gespreiztem Finger in ihrer Tasse. Sie saß steif wie ein Brett auf der vorderen Kante des Sofas und trug wie immer ein pastellfarbenes Kostüm, dazu farblich passende Pumps und eine bis in die Haarspitzen perfekt modellierte Frisur.

»Ich dachte, wenn man erst einmal dort eingeliefert wird, bleibt man bis zum Schluss.« Verlegen räusperte sie sich über ihre unglückliche Wortwahl. »Ihr wisst schon, was ich meine«, fügte sie leise hinzu und nippte an ihrer Tasse. Ihr goldenes Armband klirrte bei jeder Bewegung.

»Ich kann dich verstehen, Emma«, sagte Hannelore Häkelsbacher, ihre Nachbarin zur Rechten. Sie tätschelte Emmas Knie und lächelte milde. Hanne war eine herzensgute Frau. Trotz ihres Reichtums war sie bescheiden geblieben und fürsorglich um ihren Mann bedacht, der seit seinem tragischen Reitunfall an den Rollstuhl gefesselt war.

»Solange man noch einigermaßen auf den Beinen ist, sollte man nicht in ein Altersheim gehen. Ich würde Julius niemals dorthin bringen«, sagte sie und seufzte leise.

»Obwohl eine Seniorenresidenz nicht die schlechteste Option ist.« Diese Aussage konnte nur von Patrizia von der Schleich kommen. Sie wohnte in der Villa gegenüber auf der anderen Straßenseite. Mit ihren 47 Jahren war sie um einiges jünger als die anderen Damen dieser Runde und verstand recht wenig vom Älterwerden. Ihre Klagen beschränkten sich auf erste Fältchen und grauen Haaransatz. Sie wusste noch nichts von Arthrose, Blasenschwäche oder anderen gesundheitlichen Beschwerden, die sich mit zunehmendem Alter bemerkbar machten. Patrizia schlug ihre makellosen Beine übereinander und strich lässig ihre blondierten Haare hinter das Ohr.

»Ich weiß nicht, warum du Konstantin das angetan hast und aus der Einrichtung geflohen bist. Er hatte sich alle Mühe gegeben, dir einen der luxuriösesten Heimplätze der Stadt zu organisieren, und du? Du hast ihn dermaßen hereingelegt«, sagte sie anklagend.

Emma schnaubte durch die Nase und musste sich beherrschen, dieser Schlange nicht den heißen Tee in ihre überschminkte Visage zu kippen. Sie sollte vorsichtig sein. Es würde sie nicht wundern, wenn Patrizia von der Schleich als Spionin für ihren Sohn fungierte.

»Ich habe Konstantin nicht hereingelegt, wie du es so schön formulierst, meine Liebe.« Emma bemühte sich, freundlich zu bleiben, doch ihr spitzer Unterton war nicht zu überhören. »Er und Barbara haben es bevorzugt, wieder in ihr altes Domizil am Stadtrand zu ziehen, weil ihnen das Leben in der Stadt nicht mehr gefiel.«

Patrizia lachte schnippisch. Sie kannte wahrscheinlich die Geschichte von Barbaras Intrigen und dem nur zum Teil geglückten Versuch, Emma in ein Altersheim abzuschieben, um selbst in die Villa ziehen zu können. Immerhin war das Anwesen eine der schönsten Immobilien im begehrten Nobelviertel der Stadt. Wenn Emma sich nicht zur Wehr gesetzt hätte, würden ihr Sohn und seine Frau heute noch hier residieren. Was die beiden Patrizia genau erzählt hatten, wusste Emma nicht, doch die Wahrheit auf keinen Fall. Die kannten nur wenige, und das sollte auch so bleiben.

»Das glaube ich dir nicht«, stieß Patrizia hervor. »Barbara trauert noch heute um den Verlust dieser Villa.«

»Ach, ihr habt noch Kontakt?«, stichelte Emma.

»Nein, nicht wirklich.« Patrizia richtete sich auf und straffte den Rücken. »Wir trafen uns neulich zufällig bei der Maniküre.«

Dieses dumme Geschwätz. Barbara hatte Patrizia zum Ausspionieren angestiftet, dessen war sich Emma sicher. Ihrer Schwiegertochter traute sie so ziemlich alles zu, und für Konstantin würde ihre Nachbarin sowieso alles tun.

Rosalie, die sie alle wegen ihrer pastellfarbenen Kleidung nur Rosa nannten, stellte ihre Tasse ab, faltete die Hände und legte sie in ihren Schoß. »Habt ihr das von Frau Westermann vergangene Nacht gehört?«, fragte sie.

Die Frauen schüttelten die Köpfe und warteten gespannt auf den Bericht, der nun so sicher wie das Amen in der Kirche folgen würde.

»Heute früh entdeckte ich zufällig einen Streifenwagen vor ihrer Tür.«

Emma lächelte. Von zufällig konnte keine Rede sein, denn Frau Westermann wohnte am anderen Ende der Straße. Von hier aus konnte man unmöglich bis dorthin schauen. Typisch Rosa, ständig auf Etikette und Diskretion bedacht, aber alle Nachbarn als Augen und Ohren missbrauchen.

»Letzte Nacht wurde bei ihr eingebrochen.«

»Ist ihr etwas passiert?«, fragte Hanne erschrocken.

»Zum Glück nicht«, tat sich Rosa wichtig, als ob sie persönlich anwesend gewesen wäre. »Sie hat den Einbrecher übertölpelt.«

»Frau Westermann?«, fragte Emma. »Wir reden von derselben Person? Diese Frau ist nicht mehr die Jüngste, klein und schmächtig, wie sollte sie einen Einbrecher überwältigen? Das ist unmöglich.«

»Doch! Sie hatte am Abend einen Schatten in ihrem Garten entdeckt«, fuhr Rosa fort. »Der Dieb muss sich hinter dem Geräteschuppen versteckt haben.«

»Warum hat sie nicht die Polizei gerufen? Gerade jetzt, da sich die Einbrüche in unserem Viertel häufen.« Hanne stellte ihre Tasse ab.

»Das wollte sie, aber die Telefonleitung war tot.«

»Das Gewitter?« Hanne klebte an Rosas Lippen.

»Woher weißt du das alles?« Emma blieb skeptisch. Rosa erzählte gern Geschichten und verbog die Wahrheit, wenn es sich für sie lohnte und sie sich wichtigtun konnte.

»Ich war natürlich sofort bei ihr.«

»Natürlich.« Emma verdrehte die Augen. Was mochte hier wichtiger gewogen haben, die Anteilnahme am Wohl einer Nachbarin oder Rosas Neugier?

»Jedenfalls sagte Frau Westermann, dass sie, obwohl sie den Schatten bemerkt hatte, wie jeden Abend zu Bett gegangen sei. Sie habe wegen der Hitze das Fenster geöffnet und nur die Gardine zugezogen.«

»Wie blöd muss man aber auch sein?« Patrizia schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Tee. »Das war doch die perfekte Einladung für den Dieb. Die Leute brauchen sich nicht zu wundern, wenn bei uns ständig eingebrochen wird. Haben die noch nie etwas von Alarmanlagen gehört?«

»Und was geschah dann?«, fragte Hanne.

»Frau Westermann sagte, sie habe in ihrem Bett gelegen und gelauscht. Es donnerte und blitzte ständig. Irgendwann hörte sie, dass sich jemand an dem Rankgitter neben ihrem Fenster zu schaffen machte.«

»Mein Gott, ich wäre vor Angst gestorben.« Hannes Augen weiteten sich vor Schreck.

Emma erinnerte dieser nächtliche Einbruch an vergangene Abenteuer. Sie war auch schon bei Nacht und Nebel über Zäune geklettert. Zum ersten Mal bei ihrer Flucht aus der Seniorenresidenz. Wenn sie dabei nicht zufällig auf ihre Fluchthelferin Jule gestoßen wäre, hätte man sie sofort entdeckt und als unzurechnungsfähig weggesperrt. Das zweite Mal war sie mit Jule in ihren eigenen Keller eingebrochen. Das alles nur, weil sie wieder nach Hause in ihre Villa ziehen wollte, in der sich Konstantin und Barbara zwischenzeitlich eingenistet hatten.

»Frau Westermann hat nicht lange gezögert und die Pistole ihres verstorbenen Mannes aus dem Nachtkasten geholt und sie unter ihrem Deckbett versteckt.«

»Oh!« Hanne schlug die Hände vor ihren Mund.

Emma wusste, wie es sich anfühlte, wenn man plötzlich in die Mündung einer Waffe schaute. Ihre Abenteuer mit Jule waren riskant gewesen und hatten ihr einige brenzlige Situationen beschert, aber das Mädchen hatte ihr jedes Mal aus der Klemme geholfen. Andernfalls säße sie heute nicht hier.

»Damit der Mann sich in Sicherheit wähnen konnte«, fuhr Rosa fort, »tat Frau Westermann, als ob sie schliefe und schnarchte. Sie ließ sich nicht einmal vom Donner unterbrechen. Plötzlich tauchte eine schwarze Silhouette in ihrem Fenster auf. Der Einbrecher kletterte über das Sims, und Frau Westermann sagte, dass es sie große Mühe gekostet habe, nicht aufzuschreien.«

»Das glaube ich gern. Mir wäre das Herz in die Hose gerutscht!« Hanne seufzte.

»Diese Aktion war einfach nur dumm und leichtsinnig.« Patrizia warf den Kopf in den Nacken.

»Als der Dieb nun in ihrem Zimmer stand, zog Frau Westermann die Waffe unter der Decke hervor und richtet sie auf ihn. Im selben Moment muss es geblitzt haben, und vor lauter Schreck drückte sie versehentlich ab.«

»Hat sie den Einbrecher getötet?« Hanne riss die Augen auf.

Rosa rückte sich auf dem Sofa zurecht.

»Nein. Sie hat nicht ihn, sondern ihren Frisierspiegel getroffen, der mit Getöse zersplitterte.«

»Und was ist aus dem Dieb geworden?« Seit Emma selbst als Einbrecherin in ihrer eigenen Villa unterwegs gewesen war, hatte sie beinahe Mitleid mit dem Mann. Sie wusste, wie es war, wenn man Angst hatte, entdeckt zu werden, und der Puls bis zum Anschlag in den Schläfen pochte.

»Der Kerl hat natürlich sofort den Rückzug angetreten. Er ist wie der Wind aus dem Fenster geklettert und durch den Garten verschwunden.« Rosa war in ihrem Element. Sie liebte es, sich aufzuspielen. »Die Polizei war gleich in der Früh da und suchte nach Spuren, doch nach dem heftigen Regenguss, der in der Nacht losbrach, war natürlich nichts mehr zu finden.«

»Konnte Frau Westermann erkennen, wie der Einbrecher aussah?« Emma wäre es wohler gewesen, wenn man den Mann gefasst hätte, der seit Wochen in ihrem Viertel sein Unwesen trieb. Die Vorstellung, dass nachts jemand in den Gärten herumschlich und sich sein nächstes Opfer aussuchte, fühlte sich unbehaglich an.

»Sie konnte seine Gestalt nur kurz im Schein des Blitzes ausmachen. Er war vollkommen schwarz gekleidet und trug eine Wollmütze über seinem Gesicht.«

Das kleine Einbrecher-ABC. Emma schmunzelte. Jule hatte ihr erklärt, dass man sich schwarz und unauffällig kleiden sollte, wenn man auf Diebestour ging, und das wusste keiner besser als Jule, die sich selbst einst mit Diebstählen über die Runden gebracht hatte.

»Ich verstehe sowieso nicht, warum die Polizei den Kerl noch nicht geschnappt hat.« Patrizia strich wieder eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. »So oft, wie er in letzter Zeit hier im Viertel zugeschlagen hat, müssten doch Spuren von ihm zu finden sein.«

»Das ist merkwürdig, da gebe ich dir recht«, schaltete sich Rosa dazwischen. »Das muss ein Profi sein.«

»Einer, der sich auskennt«, stellte Hanne fest.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Emma.

»Er ist bereits drei Mal eingebrochen«, resümierte Hanne. »Obwohl die Polizei ermittelt, ständig Streife fährt und die Anwohner alarmiert sind, schafft er es jedes Mal, wieder unbemerkt zu entkommen.« Sie griff sich an den Hals und spielte mit ihrer Perlenkette, als ob sie Gewissheit haben wollte, dass man ihr das Schmuckstück nicht beim Tragen entwendet hatte.

»Stimmt«, ereiferte sich Emma, »ein guter Einbrecher schaut sich vorher um, beobachtet die Häuser und die Gewohnheiten der Leute. Er weiß ganz genau, wo Alarmanlagen installiert sind, und vor allem hat er Geduld und wartet, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist.«

»Warum echauffierst du dich so, meine Liebe?« Patrizia starrte Emma in die Augen.

»Ich echauffiere mich nicht, ich stelle das nur realistisch fest.«

»Woher willst du das wissen? Bist du jemals irgendwo eingebrochen?« Patrizias Frage schwang wie ein Peitschenhieb durch die Luft.

Emmas Wangen glühten, weil sie in der Tat Bescheid wusste. Sie hatte sich aber sekundenschnell wieder im Griff. »Natürlich nicht! Was für eine lächerliche Frage.«

»Lächerlich?« Die Giftschlange gab keine Ruhe. »Ist euch eigentlich aufgefallen, dass die Einbrüche erst begonnen haben, seit Emma wieder in ihre Villa zurückgekehrt ist?«

Drei überraschte Augenpaare starrten auf Patrizia von der Schleich.

»Jetzt reicht es aber!«, fauchte Emma und erhob sich. »Du willst nicht allen Ernstes behaupten, dass ich in meinem Alter nachts durch die Gegend streife und bei meinen Nachbarn einsteige? Das ist doch absurd.«

»Patrizia!« Hanne war schockiert.

Rosa hielt den Unterteller ihrer Tasse und nippte mit gespreiztem Finger am Tee. Dabei zog sie eine Braue in die Höhe. Der Verlauf des Gespräches schien sie zu amüsieren.

»Seid nicht töricht«, lenkte Patrizia ein, »ich meinte nicht dich, Emma. Du wärst wohl kaum in der Lage, bei Nacht über Gartenzäune zu klettern. Nein, ich meine vielmehr das liederliche Pack, das du mitgebracht und als Untermieter bei dir einquartiert hast.«

Emma ballte die Fäuste. Dieses liederliche Pack, wie es ihre Nachbarin nannte, waren Jule und ihr Freund Sandro. Jule hatte Emma bei der Flucht aus dem Altersheim geholfen und ihr angeboten, in ihrer Wohngemeinschaft unterzutauchen. Mit Hilfe der jungen Leute hatte Emma ihren Sohn aus der Villa vertreiben und nach Hause zurückkehren können. Sie gerieten gemeinsam in Schwierigkeiten, meisterten sie und lernten sich dabei kennen und schätzen. Jule und Sandro wuchsen Emma ans Herz, und es war ihr ein Bedürfnis, die beiden in ihrer Villa, die für sie allein sowieso zu groß war, wohnen zu lassen. Jules unkonventionelle Art passte nicht in das Bild der hiesigen Bewohner, doch Emma gab nichts auf das Gerede der Leute – nicht mehr.

»Ich habe gehört, dass deine neue Freundin früher als Obdachlose auf der Straße gelebt hat. Stimmt das?«, stichelte Patrizia und lächelte verächtlich. »Den Umgang mit solchen verlausten Objekten würde ich mir gut überlegen. Du siehst ja, wohin das führt. Ich werde euch im Auge behalten.« Sie trank einen Schluck Tee.

»Tust du das nicht schon die ganze Zeit? Jedenfalls wackeln deine Gardinen recht häufig, wenn ich zu dir hinüberschaue.« Wenn sie glaubte, Emma aus dem Gleichgewicht bringen zu können, dann täuschte sie sich. »Jule lebte in der Tat einige Jahre auf der Straße«, fügte sie hinzu und erhob sich, »aber an Charakterstärke ist sie euch weit überlegen.« Sie öffnete die Wohnzimmertür und machte eine Handbewegung, die besagte, dass die Teerunde aufgehoben war und die Gäste gehen sollten. »Ich glaube, es ist besser, ihr macht euch auf den Heimweg. Vielen Dank für euren Besuch.«

Rosa stellte die Tasse ab, richtete sich auf und stolzierte gekränkt an Emma vorbei nach draußen. Hanne erhob sich ebenfalls.

»Das ist nicht meine Meinung, und das weißt du«, sagte sie und tätschelte im Vorbeigehen Emmas Arm. »Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.«

Patrizia wartete, bis die beiden Nachbarinnen gegangen waren, stand auf und zupfte ihre Bluse zurecht. »Ich weiß von Konstantin, was du hier spielst«, bemerkte sie süffisant.

»Ach ja?« Emma hob eine Augenbraue.

»Du holst dir dieses Pack in die Villa, weil du allein nicht mehr zurechtkommst. Dein Sohn hat dir den Platz in der Seniorenresidenz nicht umsonst besorgt. Das hatte seine Gründe.«

»Stimmt, doch diese bezogen sich nicht auf mein Wohl, sondern entsprangen eher seiner und meiner Schwiegertochters Habgier. Und jetzt bitte ich dich zu gehen. Sofort!«

Patrizia warf den Kopf in den Nacken.

»Es wird dir noch leidtun, dass du zurückgekommen bist.«

»Raus hier!«

Patrizia stöckelte zum Ausgang und warf die Haustür hinter sich ins Schloss.

Emma zog ihre Schuhe aus und lehnte sich gegen die Hauswand. Sie genoss die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, die Wärme der Steinplatten unter ihren Füßen, die wie Kohlensäure kribbelnd in ihren Körper aufstieg. Sie fühlte sich lebendig und gehörte definitiv nicht in ein Altersheim. Vor zwei Monaten war das noch anders gewesen, da lebte sie allein in dieser Villa und war sich ihrer 73 Jahre an allen Ecken und Kanten bewusst. Sie fürchtete sich, wenn es nachts im Haus knarrte und niemand da war, der nachschaute, ob es nur der Wind oder ein Einbrecher gewesen war. Außer zu ihrem Sohn Konstantin und ihrer Schwiegertochter Barbara hatte sie kaum Kontakt zu anderen Menschen gehabt. Sogar ihre Enkelin Trixi kam nur dann, wenn sie in Geldnot war, und verschwand, sobald sich Großmutters Geldbeutel wieder schloss. Konstantin überredete Emma, in eine Seniorenresidenz zu ziehen, weil es besser für sie sei, wie er behauptete, doch das war nur ein Vorwand, um sich ihre Villa selbst unter den Nagel zu reißen. Dank Jules Hilfe war sie jedoch schneller wieder zu Hause, als Konstantin es sich vorgestellt hatte.

Jule und Sandro alberten im Pool und bespritzten sich gegenseitig mit Wasser. Emma genoss jede Minute, die sie mit dieser jungen und liebenswerten Frau verbrachte, egal, ob sie in einen Mord verwickelt oder mit Jules Vergangenheit konfrontiert wurde. Die Begegnung mit ihr hatte aus Emma einen anderen Menschen gemacht. Sie hatte das Grau ihrer Haare gegen ein Kastanienbraun getauscht, das triste Omabeige aus ihrem Kleiderschrank verbannt und einen Detektiv auf Konstantin angesetzt. So war sie an Fotos gelangt, die Konstantin eindeutig mit Tierschmuggelei und Mord in Verbindung brachten. Die Indizien würden für ein paar Jahre Gefängnis ausreichen, und seine berufliche Karriere wäre im Eimer, gerade jetzt, da er zum Juniorpartner im Architekturbüro ernannt werden sollte. Mit dem Versprechen seiner Mutter, die Fotos niemals der Polizei auszuhändigen, musste Konstantin notgedrungen die Villa räumen. Emma bewahrte die Beweisaufnahmen als Sicherheit in ihrem Tresor auf.

Jule stand mitten im Pool und schaufelte Wasser in Sandros Gesicht. Ihre Rastalocken wirbelten durch die Luft und zogen einen Schweif funkelnder Wasserspritzer hinter sich nach. Ihre blasse Haut färbte sich auf den Schultern im Sonnenschein rosa.

Sandro kam auf sie zu, drückte ihren Kopf unter Wasser und lachte. Sie ruderte mit den Armen und tauchte gleich darauf wieder auf.

»Warte nur, du italienischer Macho«, rief sie, »ich krieg dich, und dann vergeht dir das Lachen.« Sie stellte ihm nach und versuchte, ihn ebenfalls unter Wasser zu drücken, doch Sandro wehrte ihre Attacken mit Leichtigkeit ab. Emma lächelte. Sie war von diesem jungen Mann sehr eingenommen. Seine dunklen Locken glänzten nass in der Sonne. Sie konnte sich an ihm einfach nicht sattsehen. Er löste etwas in ihr aus, das sich gut anfühlte.

Sandro nahm Jule in den Arm und küsste sie. Emma seufzte. Sie war glücklich, dass die beiden bei ihr eingezogen waren. Sie verzauberten das ganze Haus, ihr ganzes Leben. Mit einem Mal war alles leicht und unbeschwert. Die Energie der Jugend war auf Emma übergesprungen, und sie genoss diesen Zustand in vollen Zügen.

Sandro löste sich von Jule und kletterte die verchromte Leiter nach oben. Er war nackt, und das Wasser perlte in kleinen Tröpfchen von seinem sonnengebräunten Astralkörper. Erst als er sich ein weißes Frotteetuch um die Hüften schlang, bemerkte Emma, dass sie ihn die ganze Zeit mit offenem Mund angestarrt hatte. Wie peinlich war das denn? Sie atmete tief durch, zählte zur Abkühlung ihrer überhitzten Gedanken bis drei und lief auf den Pool zu.

»Hallo, ihr beiden«, rief sie, während sie sich um einen unbekümmerten Tonfall bemühte.

Jule legte sich mit dem Rücken auf das Wasser und ruderte mit den Armen durch das Becken. Ihre Rastalocken schwammen wie Schlangen um ihren Kopf herum. Wie zerbrechlich dieses Mädchen wirkte. Ihre Hüftknochen zeichneten sich deutlich ab. Sie trug einen knappen Bikini mit Totenköpfen, der den Kontrast zu ihrer hellen Haut noch verstärkte. Ihre Finger- und Fußnägel waren schwarz lackiert.

Emma setzte sich auf eine Gartenliege am Rand des Beckens und reckte ihre Nase in die Sonne. Sandro streckte sich auf dem Liegestuhl neben ihr der Länge nach aus, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und schloss die Augen. Emma ertappte sich dabei, wie sie ihn beobachtete. Er war wunderschön, seine Gesichtszüge waren fein geschnitten, und er hatte Lachfältchen um die Augen. Die schwarzen Locken, seine gebräunte Haut und sein muskulöser Körper waren unwiderstehlich. Jedes Mal, wenn Emma ihn betrachtete, vergaß sie, dass sie seine Großmutter hätte sein können. Stattdessen kribbelte es in ihrem Bauch, als ob darin 1000 Schmetterlinge flatterten. Jule hatte ihr eines Tages auf den Kopf zugesagt, dass sie wie ein Teenager jeden Südländer anhimmelte, der ihr über den Weg lief, aber was sollte sie dagegen tun? Jule war so erschreckend direkt und das Schlimmste daran – sie hatte recht. So etwas gehörte sich nicht für eine Frau in ihrem Alter. Wirklich nicht? Wer sollte sie daran hindern, glücklich zu sein und das zu fühlen, wonach ihr zumute war? Niemand! Es gab nur ein kleines Problem. Sie hatte ein Faible für junge und knackige Südländer, doch würden die sich im Gegenzug eine 73-jährige Frau auswählen wollen? Ihr Körper war nicht mehr perfekt, Fältchen hier, Fältchen dort, aber im Grunde noch sehr ansehnlich, und seit sie mit Jule und Sandro verkehrte, spürte sie wieder ein Leuchten in sich. Es kam doch gar nicht auf die äußere Hülle an. Viel wichtiger war der Mensch darin und was er ausstrahlte, und Emma konnte mit der Sonne um die Wette strahlen, so glücklich, wie sie mit Jule und Sandro war.

Emma lächelte. Plötzlich spritzte eine Wasserfontäne auf ihre Beine. Sie schrie erschrocken auf und sprang in die Höhe. Ihre Hose war nass. Ermahnend hob Jule den Zeigefinger. »Du sollst nicht ständig meinen Freund anglühen«, sagte sie mit gespielter Strenge und legte die Unterarme auf dem Beckenrand ab.

Sandro blieb reglos liegen. Er öffnete nur ein Auge, schielte zu Emma und grinste. Im nächsten Moment traf auch ihn eine nasse Fontäne mitten auf den Oberkörper.

»Und du genießt das auch noch, du Drecksack?«, rief Jule.

Sandro schnellte in die Höhe. Sein Handtuch löste sich und glitt zu Boden. Er kümmerte sich nicht darum und sprang kopfüber in den Pool. Jule schrie und versuchte, ihm zu entkommen, doch er packte sie, drückte sie unter Wasser und tauchte ebenfalls unter.

Emma erkannte nur ein wildes Zappeln von Armen und Beinen. Kurz darauf kamen beide wieder an die Oberfläche, bliesen Wasser aus dem Mund und strichen sich die Haare aus dem Gesicht. Jule legte ihre hellen Arme um seinen braunen Nacken und küsste ihn. Emma schluckte. Herrgott noch mal, alte Frau, reißdich zusammen! Sie hob Sandros Handtuch auf und legte es auf den Liegestuhl. Ihre Hände brauchten etwas zu tun.

»Ich glaube, ich gehe mich umziehen«, sagte sie.

Jule löste sich aus der Umarmung. »Wie spät ist es? Müssen wir schon los?«

»Wir haben noch zwei Stunden Zeit, aber ich muss mir überlegen, was ich anziehen soll für den ›lebenshungrigen 70er im Ruhestand, der eine aktive Partnerin für den aufregenden Spätsommer seines Lebens sucht‹.«

»Du musst dich nicht umziehen, schau dich doch an.«

Emma blickte an sich herunter. Sie trug eine weite Leinenhose und eine Tunika mit roten Mohnblüten. Dazu hatte sie ein rotes Armband mit großen Plastikkugeln übergestreift und die passende Halskette ausgewählt. Früher hatte sie nie billigen Modeschmuck getragen. Kurt, ihr verstorbener Mann, hatte ihr wertvolle Brillantcolliers geschenkt. Emma liebte jedes einzelne dieser Stücke in ihrer Schatulle. Sie waren alle mit Erinnerungen verbunden, doch jetzt war ihr nach Neuem, bunt und leicht sollte es sein. Genau so, wie sich ihr Leben plötzlich anfühlte.

»Der Typ sucht ’ne Frau für seinen Spätsommer. Hallo? Mit den Mohnblüten machst du ihm den Frühsommer. Mal sehen, was er dazu sagt.« Jule lächelte. »Ich meine, willst du etwa Spätsommer? Das klingt nach Trockenblumen und ausgedörrten Wiesen.«

Jule brachte es genau auf den Punkt. Emma war gerade in einer zweiten Frühlingsphase angekommen, hatte ihr Leben neu entdeckt, auch wenn ihr Körper an der einen oder anderen Stelle bereits im tiefsten Winter steckte. Sie suchte einen Mann, mit dem sie auf Wolke sieben schweben und die Schmetterlinge im Bauch fühlen konnte. Sandro wäre genau der Richtige, dachte sie und schämte sich sofort für diesen Gedanken. Sie musste aufhören, ständig an ihn und seinen Körper zu denken.

»Du hast recht«, sagte Emma. »Zeigen wir dem ›lebenshungrigen 70er‹, was ich mir vorstelle. Ich gehe mich trotzdem noch ein wenig frisch machen«, sie deutete auf ihre Beine, »und mir eine trockene Hose anziehen. Ihr seid mir nicht böse, wenn ihr noch ein paar Momente für euch habt?«

Sandro grinste und zog Jule an sich.

Emma saß an einem runden Tisch in dem Bistro, in welchem Jule als Kellnerin arbeitete, und wartete auf ihre Verabredung. Giorgio, der Wirt, hantierte hinter der Theke an der Espressomaschine. Sie dampfte und zischte. Emma lehnte sich in ihrem kaffeebraunen Ledersessel zurück, legte die Arme auf die halbrunde Lehne und wartete. Für den Fall, dass ihr Date aufdringlich oder ungemütlich werden sollte, hatte sie mit Jule ein Zeichen verabredet. Sobald Emma einen Grappa bestellte, würde Jule in das Gespräch eingreifen und den Verehrer hinauskatapultieren. Sie hatte lange genug auf der Straße gelebt und wusste, wie man sich einen Mann vom Hals schaffte.

Bei jedem ihrer bisher drei Treffen mit Männern, die sie über Kontaktanzeigen ausgewählt hatte, war Emma eine Viertelstunde früher zum vereinbarten Treffpunkt gekommen. So hatte sie die Möglichkeit, die Kandidaten genau zu beobachten, ehe sie sich zu ihr an den Tisch setzten. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass die Männer zu ihr kamen, statt dass sie wie eine Bittstellerin ihnen hinterherlaufen musste. Ein kleiner, für ihr Selbstwertgefühl jedoch wichtiger Unterschied.

Die letzten Rendezvous waren das reinste Fiasko gewesen. Der erste Bewerber war ein kleiner runder Mann mit wulstigen Händen. Emma hatte Mühe, ihre Enttäuschung über seine Erscheinung zu verbergen. Der zweite Kandidat war groß, schlank und auf den ersten Blick sehr sympathisch. Für seinen Lebensabend hatte er genaue Pläne, die er wie eine Checkliste abarbeiten wollte. Emma fragte sich, ob sie bei diesem Mann auch eigene Wünsche äußern dürfte. Der dritte Anwärter erzählte nur von körperlichen Gebrechen, und Emma bestellte sofort einen Grappa.

Ihre Hände waren feucht, ihr Bauch rumorte. Unablässig starrte sie auf die Eingangstür und nippte an ihrem Milchkaffee. Gelegentlich zupfte sie ihre kurzen Haare oder den Kragen ihrer Bluse zurecht. Jule trat zu Emma an den Tisch und lächelte.

»Sei nicht so nervös.« Sie hatte ihre Rastalocken zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre grünen Augen strahlten. Sie trug ein schwarzes Poloshirt mit dem Logo des Bistros und über ihrer Jeans eine weinrote, bodenlange Wickelschürze. »Ganz egal, was für ein Typ jetzt kommt, du hast die Fäden in der Hand, vergiss das nicht. Ist doch cool, du kannst die Macker aussortieren wie faules Fallobst.«

»Danke, dass du mich so charmant an mein Alter erinnerst.«

»Komm schon, so war das nicht gemeint«, lachte Jule und klopfte mit ihrem runden Tablett gegen den Oberschenkel. »Ich glaube sowieso, dass du nie und nimmer so ’nen alten Sack nimmst. Ups, also nicht einen Mann deines Alters wählst.«

»Warum sollte ich nicht? Ich bin doch auch ein alter Sack.« Emma schmunzelte. Hatte Jule nicht kurz nach ihrer ersten Begegnung festgestellt, dass ihre Hände knochig wie die eines Skeletts waren?

»Wegen deines Alters vielleicht schon, aber so, wie du drauf bist, und so, wie du Sandro, Giorgio oder all den anderen südländischen Knackärschen nachschaust, wird das hier nie was.«

»Jule, bitte!«

»Wass ’n? Is doch so.« Sie zog die Schultern in die Höhe. »Kannste dir vorstellen, morgens neben so einem verstaubten Grufti aufzuwachen und ständig Angst haben zu müssen, dass er nicht mehr lebt, weil er nach eurer heißen oder vielleicht doch nur noch lauwarmen Liebesnacht den letzten Atemzug gemacht hat?«

»Bitte fang nicht schon wieder an, über mein Liebesleben zu spekulieren. Das ist mir peinlich.« Emma errötete und blickte zu Boden.

»Hab ich wohl recht, dass in deinem Alter auf dem Gebiet nichts mehr läuft?«, bohrte Jule.

»Was da noch läuft und was nicht, das überlasse bitte mir.«

»Wieso? Ist doch nicht schlimm, darüber zu reden.« Jule schmunzelte. »Wenn gleich dein Typ reinkommt, dann schau ihn dir an. Stell ihn dir nackt vor und entscheide, ob du mit ihm ins Bett gehen möchtest. Kannste das mit ›Ja‹ beantworten, dann ist es der Richtige. Ich wette mit dir, dass du keinen von diesen alten Säcken wirklich haben willst.«

Emma schüttelte entsetzt den Kopf. »Du bist unmöglich! Ich werde doch nicht beim ersten Treffen mit einem Mann gleich darüber nachdenken, wie es wäre, mit ihm Körperkontakt zu haben.«

»Warum denn nicht? Das ist doch der Sinn der ganzen Aktion.«

Für Jule war immer alles ganz einfach. Emma suchte keinen Mann, nur um mit ihm ins Bett zu gehen. Es gab noch viele andere Dinge, die sie mit einem neuen Partner an ihrer Seite teilen wollte. Sie könnten miteinander verreisen, lachen, gute Gespräche führen und das Leben genießen. Warum nur schlich sich plötzlich das Bild von Sandro, wie er nackt aus dem Pool stieg, in ihre Gedanken?

»Himmel, Jule, du machst mich ganz verrückt.«

»Ich? Ich glaube, das machst du selbst.« Sie blickte zur Uhr. »Ich lasse dich jetzt besser allein. Es ist gleich so weit.« Sie wollte zurück zum Tresen laufen, hielt plötzlich inne und wandte sich nochmals um. »Achte mal darauf, an was du zuerst denkst, wenn der Typ sich an deinen Tisch setzt.«

Emma seufzte, denn sie wusste, wenn man auf keinen Fall an etwas denken wollte, dann tat man es gerade deswegen.

Der Minutenzeiger der großen Wanduhr über dem Spiegelregal voller Spirituosen sprang auf zwölf. 18 Uhr. Genau im selben Moment öffnete sich die Bistrotür, und ein Mann trat ein. Er war groß und schlank, für sein Alter gut trainiert und braun gebrannt, seine Haare kurz geschnitten, beinahe schneeweiß. Er trug eine helle Hose und ein rotes Poloshirt, das ihn sehr gut kleidete. Über die Schulter hatte er einen dunkelblauen Pullover gelegt und die Ärmel vor der Brust miteinander verknotet. Er schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. In der Hand hielt er eine rote Rose, das vereinbarte Erkennungszeichen.

Emma hatte mit ihm ausgemacht, dass sie sich zu erkennen gab, sobald sie ihn entdeckte. Das verschaffte ihr im Falle eines totalen Reinfalls die Option, einfach nichts zu sagen und still hinter ihrer Tageszeitung zu verschwinden. Doch sie hatte die Rechnung ohne Jule gemacht, denn sie begrüßte den Mann im Vorbeigehen, lächelte ihm zu und deutete auf Emma. Er bedankte sich für den Hinweis und kam direkt auf Emmas Tisch zu. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Auf den ersten Blick war er sympathisch. Seine Bewegungen waren leicht und dynamisch. Und genau in diesem Augenblick malte sich Emma aus, wie er wohl nackt aussah. Ihr schoss das Blut in den Kopf, und sie wurde puterrot. Jule bemerkte es. Sie schlug sich vor Lachen auf die Schenkel, und Emmas Gesicht färbte sich noch intensiver. Der Mann musste sie für eine komplette Idiotin halten. Sie versuchte zu lächeln und streckte ihm wie ein pubertierendes Mädchen die Hand entgegen.

»Emma?«, fragte er und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken.

Ihre Stimme versagte. Sie räusperte sich, nahm einen zweiten Anlauf und brachte nur ein spärliches »Ja« hervor.

Der Mann deutete auf den freien Stuhl an ihrem Tisch. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

»Natürlich, bitte.« Emma schämte sich für ihre Verlegenheit.

»Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Herbert Mahlinski.« Er legte seine Hand auf die Brust und deutete eine Verbeugung an. Sein Lächeln hatte etwas Verschmitztes.

Emmas Wangen gewannen wieder Normaltemperatur, und ihr Körper entspannte sich. Wenigstens war der Mann auf den ersten Blick keine totale Niete.

Jule stand am Tresen und beobachtete die beiden. Emma winkte ihr zu, damit Herr Mahlinski seine Bestellung aufgeben konnte.

»Darf ich Sie zu einem Cocktail einladen?«, fragte er.

»Einem Cocktail? Ja, warum eigentlich nicht?«

»Wie wäre es mit einem Zombie oder Ladykiller?«, fragte Jule und grinste verschwörerisch.

Emma begriff die Doppeldeutigkeit und zögerte. Herr Mahlinski musste das falsch verstanden haben und half ihr aus der peinlichen Situation. »Wir nehmen zwei Ladykiller. Einverstanden?«

Jule verzog das Gesicht hinter seinem Rücken. »Der Wahl des Herrn kann ich nur zustimmen«, sagte sie, »damit wird jede Lady willenlos.«

Entsetzt riss Emma die Augen auf. »Gut, dann nehme ich den Zombie«, entschied sie kategorisch. Willenlos wollte sie auf keinen Fall werden.

Jule marschierte mit ihrem Auftrag davon.

»Darf ich Ihnen ein Kompliment machen, Emma?«

»Bitte.«

»Sie sehen fabelhaft aus. Sie wirken voller Energie, so jugendlich. Das sieht man leider selten bei Frauen Ihres Alters.« Er lächelte im Dauermodus.

»Meines Alters? Was wollen Sie damit sagen, Herr Mahlinski?« Emma wusste noch nicht, ob sie diesen Mann mögen oder verabscheuen sollte.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob brüskiert die Hände. »Um Himmels willen, nein, so habe ich das nicht gemeint, wie dumm von mir. Entschuldigen Sie, bitte. Ich bin schon eine Weile auf der Suche nach der richtigen Frau und traf doch sehr, sagen wir, unterschiedliche Persönlichkeiten an. Sie stechen daraus hervor wie eine«, er betrachtete ihre geblümte Bluse, »wie eine Mohnblüte aus einem vertrockneten Kornfeld.«

Emma zeigte sich versöhnlich. Der Vergleich war nicht der Gelungenste, aber sie fühlte sich trotzdem geschmeichelt und ertappte sich bei dem Gedanken, wie es sein mochte, diesem Mann körperlich näherzukommen. Sie wollte nicht darüber nachdenken, aber Jule hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, und er ließ sich nicht mehr abschütteln.

Herr Mahlinski erzählte, dass er bereits zwei Mal verheiratet gewesen war und seine letzte Frau leider verstorben sei. Er arbeitete vor seinem Ruhestand als kaufmännischer Angestellter, war kinderlos und lebte in einem Neubaugebiet am Rande der Stadt. Nichts Außergewöhnliches.

Emma hielt sich bedeckt. Sie hatte weder ihren Nachnamen genannt noch von ihrer Villa und ihrem Vermögen erzählt.

»Einen Zombie für die Dame.« Jule servierte die Cocktails. »Einen Ladykiller für den Herrn. Zum Wohl, die Herrschaften, und lassen Sie mir die Dame leben«, sagte Jule und stieß Herrn Mahlinski mit dem Ellenbogen gegen den Oberarm.

Empört über so viel Dreistigkeit schaute er böse zu Jule und wollte etwas erwidern. Emma kam ihm zuvor: »Darf ich vorstellen? Das ist Jule, meine Enkelin.«

Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte. Es war aus einem Impuls heraus geschehen, den sie nur damit erklären konnte, dass sie Jule liebend gern als Enkelin gehabt hätte. Sie war das verrückteste Mädchen, das sie kannte, vulgär und herzensgut gleichermaßen. Jule strahlte glücklich.

Herr Mahlinski entspannte sich und lachte. »Versprochen, junge Frau, ich werde nichts tun, was Ihre Großmutter nicht möchte.«

»Genau davor habe ich ja Angst.« Jule klopfte Emma auf die Schulter.

»Schaff dich fort und arbeite, damit du deine Miete bezahlen kannst«, erwiderte Emma lächelnd.

Das Rendezvous verlief sehr entspannt. Obwohl Herr Mahlinski Emma gelegentlich mit einem ernsten Gesichtsausdruck bedachte und seine Augen sich dabei ein klein wenig verengten, fühlte sie sich in seiner Gesellschaft wohl. Er bat sie, ihn Herbert zu nennen. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt, lachten und speisten miteinander. Trotzdem wollte sich Emma nicht sofort auf ihn einlassen. Was sagte schon ein erstes Treffen über einen Menschen aus? Er konnte sich verstellen oder ein finsteres Geheimnis verbergen. Sie schlug vor, dass sie sich in der nächsten Zeit zu einem Theaterbesuch oder Spaziergang im Park treffen könnten. Herbert fand die Idee wundervoll und respektierte Emmas Wunsch, ihre Bekanntschaft langsam angehen zu lassen.

»Obwohl, meine Liebe«, hauchte er im Gehen mit einem Kuss auf ihren Handrücken, »wir wissen nicht, wie viel Zeit uns in unserem Leben noch bleibt. Lass uns nicht zu lange warten und die Chance nutzen.« Er schaute sie eindringlich an.

Hätte Sandro sie so angeschaut, hätte ihr Herz stillgestanden. Es hätte ihr den Boden unter den Füßen fortgerissen, und sie hätte ihm alles versprochen. Bei Herbert überfiel sie nur eine kurze Verlegenheit, dafür aber die endgültige Gewissheit, dass er nicht der Richtige für sie war.

»Wir werden sehen, Herbert. Danke für den netten Abend.«

Er verabschiedete sich und verließ das Bistro.

Durch das Fenster beobachtete Emma, wie er den Fußweg entlanglief. Er schaute sich ein paar Mal nach ihr um und winkte über die Dächer der parkenden Autos.

»Und?« Jule stürmte sofort an Emmas Tisch.

»Ich weiß nicht, nett ist er, aber irgendetwas fehlt mir an ihm.«

»Er hat keinen Knackarsch«, stellte Jule fest und schaute Herbert niedergeschlagen hinterher.

»Jule, als ob es immer nur darum ginge!«

»Tut es das nicht?«

»Wie war dein Date?«, fragte Sandro und bog von der Hauptverkehrsstraße in eine dicht beparkte Seitenstraße ab.

Emma hatte nicht warten wollen, bis Jules Schicht im Bistro zu Ende war, und ließ sich von Sandro mit dem Wagen abholen.

»Nett.« Emmas Tonfall sagte etwas anderes.

»Das klingt nach dem Märchenprinzen schlechthin.« Sandro lachte.

Emma betrachtete ihn von der Seite. Einen Mann wie ihn würde sie für sich jedenfalls nicht mehr finden, selbst wenn man nur so alt war, wie man sich fühlte. Die Realität der gnadenlosen Erdanziehung und des körperlichen Verfalls konnte man nicht ignorieren.

»Von diesem Gedanken muss ich mich wahrscheinlich verabschieden«, seufzte sie.

»Wieso?« Sandro blickte kurz zu ihr hinüber und richtete seinen Blick wieder auf die Fahrbahn.

»Weil mein Traummann nicht meinem Alter entsprechen würde und mein Alter wiederum nicht den Vorstellungen meines Traummannes.«

»Wie war das?«

»Ist doch ganz einfach. Ich hätte lieber einen knackigen jungen Mann und keinen alten verschrumpelten Opa.« Kaum hatte Emma das ausgesprochen, errötete sie. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und schämte sich. Warum musste sie das ausgerechnet Sandro erzählen? Und warum sagte er nichts, sondern lächelte nur und fuhr schweigend weiter?

Während der Fahrt bis nach Hause starrte Emma verbissen zum Fenster hinaus. Autos, Bäume oder bunte Geschäfte, sie nahm nichts von alledem wahr, sondern verlor sich in ihren Gedanken. Erst als Sandro in die Einfahrt ihres Anwesens bog und den Wagen vor dem Garagentor stoppte, schreckte sie aus ihrer Lethargie.

»Sandro, was ich vorhin gesagt habe, ist mir so peinlich.«

»Was denn?« Er lächelte verschmitzt.

»Das weißt du ganz genau.« Emma senkte den Kopf.

Er tätschelte ihr Knie. »Ich kann ja mal schauen, ob ich noch einen Freund habe, der in dein Beuteschema passt.«

Emma verschlug es die Sprache, und sie zog die Strickjacke über ihren Kopf. Sie wollte vor Scham im Erdboden versinken. Sandro lachte und stieg aus.

»Wo kommst du denn her?«, hörte Emma Sandro rufen.

»Hatte Stress mit meinen Eltern.«

Das war Trixis Stimme. Emma zog die Jacke vom Kopf und tauchte aus ihrem Versteck hervor. Ihre Enkelin saß auf der Stufe vor der Haustür, daneben stand ihr Rucksack. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten.

»Kann ich heute bei euch pennen?«, fragte sie.

»Klar.« Sandro schloss die Tür auf und verschwand im Haus.

Emma stieg aus dem Auto. Sie hatte Trixi das letzte Mal gesehen, als sie sie aus den Händen skrupelloser Entführer befreit hatten. Das sonst so biestige und verzogene Mädchen verliebte sich dabei ausgerechnet in Kalle, einen Mitbewohner aus Jules WG, den Emma als fürchterlich verklemmt, introvertiert und mit Hang zu sexuell eigenartigen Neigungen kennengelernt hatte. Diese Romanze gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie hatte sich für ihre Enkelin einen geeigneteren jungen Mann gewünscht.

Als Trixi ihre Großmutter entdeckte, sprang sie vom Treppenabsatz auf. Sie lief die wenigen Schritte über die Pflastersteine und umarmte Emma stürmisch. Das hatte sie noch nie getan, selbst dann nicht, wenn sie Geld brauchte. Trixi war dünn, und ihr feines, blondes Haar wehte im Abendwind.

»Was ist denn los?« Emma hielt sie auf Armlänge von sich und musterte ihr blasses Gesicht. »Gab es Ärger daheim?«

Trixi nickte und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie drehte sich um, rannte zur Haustür, schnappte dort ihren Rucksack und verschwand im Flur. Was auch immer ihre Enkelin auf dem Herzen hatte, es schien nichts Gutes zu sein. Trixi war launisch und gab erst Ruhe, wenn sie das bekam, was sie wollte. Im Moment sah es aus, als ob sie weit davon entfernt wäre.

Emma schloss die Wagentür und lehnte sich gegen das Auto. Eine Amsel saß auf der Dachrinne und sang ihr Abendlied. Der kleine Springbrunnen im Vorgarten plätscherte. Die Luft war erfüllt vom Duft der Rosen und des Sommers. Emma lächelte und genoss einen Moment die Ruhe vor dem Sturm, der unweigerlich losbrechen würde, sobald sie die Schwelle ins Haus überschritt. Plötzlich nahm sie eine Bewegung draußen auf der Straße wahr. Als sie genauer auf den Fußweg hinausschaute, war nichts mehr zu sehen. Ihr Anwesen war von einem schmiedeeisernen Gartenzaun und einer blickdichten Hecke umgeben. Das hatte ihr bisher das Gefühl von Sicherheit verschafft, doch seit der Einbruchserie in der Nachbarschaft war das anders geworden.

Emma lief zum Gartentor und schaute die Straße entlang, nach links und nach rechts. Außer den parkenden Autos auf dem Gehweg war nichts zu sehen. Sie schloss die beiden Portale der Pkw-Einfahrt mit einem leisen Quietschen. Wie so oft in den vergangenen Tagen hatte sie das Gefühl, als ob jemand sie beobachtete. Emma fröstelte. Die Gardine in Patrizia von der Schleichs Wohnzimmer bewegte sich.

Trixis Stimme war schon von weitem zu hören. Emma atmete tief durch und begab sich in die Höhle des Löwen. Ihre Enkelin war verzogen und egozentrisch, genau wie ihre Mutter. Schon als Kind setzte sie ihren Willen mit lautem Geschrei durch. Barbara war hoffnungslos überfordert und kaufte ihr alles, was sie verlangte, nur um endlich Ruhe zu haben. Emmas Warnungen, dass sie ihrer Tochter damit keinen Gefallen tat, wurden schnippisch in den Wind geschlagen. Aus einem brüllenden Windelmonster wurde über die Jahre hinweg eine verzogene Göre, die vor niemandem Respekt hatte, die Menschen schikanierte und es liebte, sie bloßzustellen. Emma machte sich Vorwürfe, dass sie nicht schon viel früher eingegriffen hatte. Trixi war immerhin ihre einzige Enkeltochter, und als sie von Paul Behnke und seinem Komplizen entführt und gefangen gehalten wurde, begriff Emma, dass ihr das Mädchen weit mehr am Herzen lag, als sie sich bislang eingestehen wollte.

Emma erreichte die Küchentür.

»Die sind total unfair! Ich will eine heiße Schokolade, mit Sahne und Schokostreusel obendrauf«, lamentierte Trixi.

Milena Herzig, Emmas Haushälterin, schnaubte und machte sich kommentarlos an die Arbeit. Sie stellte einen Topf auf den blitzblank polierten Herd und schüttete Milch hinein. Aus dem Schrank nahm sie eine weiße Bechertasse und stellte sie auf die Anrichte.

Sandro öffnete den Kühlschrank und holte eine Dose Cola heraus. Er und Milena standen mit dem Rücken zu Trixi, die am Küchentisch saß und wartete, bis man sie endlich bediente. Sandro verzog das Gesicht zu einer Grimasse und verdrehte die Augen. Milena lächelte müde.

Emma mochte die junge Frau. Sie war fleißig und äußerst zuverlässig. Es wurde Zeit, sie zu erlösen und in den verdienten Feierabend zu schicken, statt sie Trixis Launen auszusetzen.

»Ich mache das schon«, sagte Emma. »Gehen Sie ruhig nach Hause.«

»Danke«, sagte Milena. Sie knotete ihre Schürze auf und hängte sie an einen Haken an der Wand. Bevor sie die Küche verließ, bohrte sie mit ihrem Zeigefinger in der Erde des Basilikumstocks auf der Fensterbank. Seine Blätter hingen schlaff nach unten. Milena nahm den Blumentopf, hielt ihn unter den Wasserhahn und stellte ihn wieder zurück, bevor sie sich verabschiedete.

»Dauert das noch lange mit meiner Schokolade?«, drängelte Trixi und fuhr mit dem Fingernagel die Maserung des Holztisches nach.

»Du wirst dich gedulden müssen, bis die Milch heiß ist.«

»Dann stell sie doch in die Mikrowelle, oder hast du so etwas in deinem antiken Haushalt nicht?« Trixi schlug die Beine übereinander und warf ihre blonden Haare in den Nacken.

Sandro hob die Hände abwehrend und trat den Rückzug mit einem Gesichtsausdruck an, der verriet, was er von Trixis pubertierendem Gehabe hielt.

»Mein antiker Haushalt, liebes Fräulein«, begann Emma und setzte sich neben ihre Enkelin an den Tisch, »ist immerhin gut genug, um dir Unterschlupf zu bieten, wenn es daheim ungemütlich wird. Also, was ist los?«

»Ach, die können mich mal.« Trixi starrte zum Fenster hinaus. Die Sonne war bereits untergegangen, und die Schatten im Garten wurden größer.

»Habt ihr gestritten?« Emma ließ nicht locker und packte Trixis Handgelenke. Sie schaute ihr in die Augen. Trixi zwinkerte eine Träne fort und schwieg.

»Wenn du schon hierherkommst, dann will ich auch wissen, was los ist.«

»Dauert das noch lange mit meiner Schokolade?«, blaffte Trixi stattdessen und schaute zum Herd. Die Milch hatte bereits eine Haut gebildet und stieg in die Höhe.

»Herrje!« Emma sprang auf und zog den Topf von der heißen Platte.

»Hatte Mama wohl doch recht, dass du nicht mehr allein zurechtkommst«, kommentierte Trixi gehässig.

Emma fuhr herum und erwiderte scharf: »Wenn du nur gekommen bist, um mich zu beleidigen, kannst du gleich wieder gehen.«

Trixi schaute zu Boden. »Sorry. Das ist nur, weil ich so …«

Sie biss sich auf die Lippen und starrte zum Fenster hinaus. Emma ließ sie in Ruhe. Sie goss die Milch in den Becher und rührte Schokoladenpulver unter. Dann stellte sie die Tasse vor Trixi auf den Tisch und setzte sich wieder zu ihr.

»Komm schon, was ist los?«, fragte sie.

»Und wo ist die Schlagsahne?«

»Im Kühlschrank, und da bleibt sie auch, jetzt rede endlich.«

Trixi umklammerte den Becher mit beiden Händen, als ob er ihr den Halt geben könnte, den sie suchte, und blies in den Dampf.

»Kann ich heute Nacht bei euch schlafen?«

»Natürlich, aber willst du mir nicht endlich erzählen, was passiert ist? Wie oft soll ich denn noch fragen? Wissen deine Eltern, dass du bei uns bist?«

»Das ist mir egal. Ich bin ihnen doch auch egal.« Trixi nippte an der Schokolade.

»Das bist du nicht, und das weißt du.«

Emma wollte ihr über die Wange streichen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne, weil sie nicht wusste, ob sie die Geste trösten oder vielmehr zu einer weiteren Gemeinheit verleiten würde. Einen Kaktus zu umarmen war verdammt schwer.

Plötzlich klingelte das Telefon.

»Warte, ich komme gleich wieder.« Emma stand vom Stuhl auf und lief in den Salon. Sie hob ab und hörte Barbaras hysterische Stimme. »Ist sie bei euch?«, kam sie gleich zur Sache, ohne auch nur ein Wort der Begrüßung zu verlieren.

»Guten Abend, Barbara.«

Trixi musste den Namen ihrer Mutter gehört haben. Sie rannte durch den Flur und gestikulierte, wobei sie mit ihrem Daumen quer vor ihrer Kehle entlangzog und heftig mit dem Kopf schüttelte. Emma verstand. Mutter war momentan nicht angesagt.

»Wen meinst du?«, fragte sie scheinheilig.

»Hör auf mit dem Quatsch. Ist Trixi bei euch oder nicht?«

»Du glaubst, sie will uns besuchen kommen?«, manövrierte sich Emma an einer Lüge vorbei. »Das wäre schön. Wie geht es ihr denn?«

»Wenn du sie siehst, dann sag ihr, sie soll sofort nach Hause kommen. Ich lasse mir das nicht von ihr bieten.«