Das Gigolo-Spiel - Markus Müller - E-Book

Das Gigolo-Spiel E-Book

Markus Müller

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Beschreibung

"Manchmal träumen wir uns ein Leben. Und manchmal träumt das Leben uns." Vier kurze Geschichten über etwas, das manchmal Liebe ist. Und manchmal auch nicht. Es treten unter anderem auf: Ein vergilbter Millionär. Eine mystische Känguruh-Armee. Eine Ziege namens Elvis. Das Meer. Jede Menge Gefühle, wenngleich nicht alle davon angenehm. Happy Endings: Waren leider gerade aus …

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Markus Müller

Das Gigolo-Spiel

und andere Erzählungen

2. Auflage

Oktober 2015

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Alle Rechte vorbehalten.

© 2015 Markus Müller

http://books.theunicorn.de

ISBN 978-3-7380-4043-2

Das Gigolo-Spiel

Ich will sterben.« Cocos Stimme, nur ein Flüstern. Ihr Blick irrt unter halb geschlossenen Lidern umher, alles an ihr tränenschwer, gefesselt in der Schwerkraft von Wodka und Dexedrin.

»Du wirst nicht sterben«, antwortet Alex leise. Jede Silbe ringt furchtsam um Überzeugung. »Ich lasse dich nicht sterben.« Er streichelt zärtlich über ihre Stirn, lässt seine Finger durch ihr wirres, kirschholzfarbenes Haar gleiten, alles in ihm in stillem Aufruhr. Ihr Kopf in seinem Schoß bewegt sich, wälzt sich herum auf einer unbarmherzigen Erektion.

»Ich bin schon tot.« Ihr Blick wandert zu ihm hinauf. Ein Ruck geht durch ihren Körper. Ihre Füße scharren über die fleckige Schaumstoffmatratze. In der Stille hört er das Singen ihrer Haut, als nackte Oberschenkel gegeneinander reiben. Seine Augen wandern, erhaschen einen Blick auf ihre Beine, die aus dem Saum des schwarzen T-Shirts herauswachsen. Werden magisch angezogen von dem flüchtigen Dunkel ihrer Schamhaare, das dazwischen aufblitzt. In seinem Kopf rotieren Hoffnung und Verwunderung über diese Intimität, die gedankenlose Folter blinden Vertrauens.

»Natürlich kannst du bleiben«, hatte er gesagt, als sie vor seiner Tür gestanden hatte, vollgedröhnt und zerrissen vom Schmerz über irgendeine Trennung von etwas, das nicht Liebe war. Heimgekehrt zu Alex, dem Samariter, der geduldigen Sickergrube für ihre Verzweiflung. Sie hatte getobt, geweint, und immer wieder vom Sterben geredet. Hatte ihre Wut und Verzweiflung gegen die kahlen Wände versprüht, sich einfach fallen lassen in diesen düsteren Kokon vorübergehender Sicherheit und ihr Herz in alle Richtungen gespien. Jetzt ist sie erschöpft, hängt zitternd und mit blutenden Fingern an jenem dünnen Drahtseil, das Verstand und Zähigkeit über den Abgrund ihrer Seele gespannt haben. Vielleicht beruhigt sie sich irgendwann so weit, dass sie etwas schlafen kann. Eine unbedeutende Verschnaufpause, bevor sie ihren Körper erneut den Torturen einer niemals endenden Flucht aussetzt.

»Ich bin so froh, dass du da bist«, flüstert sie jetzt. Ihre Hand streichelt sanft über sein Gesicht. Kühle Finger, seidengiftig auf seiner Haut. Ihr Gesicht hebt sich langsam seinem entgegen. Eine Zungenspitze schimmert feucht zwischen kleinen Zähnen. Vielleicht hat er unbewusst den Kopf gedreht. Vielleicht hat sie im Rausch seinen Mund verfehlt. Vielleicht hat sie sich im letzten Augenblick besonnen. Ihre Lippen legen sich auf seine Wange, verharren dort für einen unendlich zärtlichen Moment, ein sanfter Bruderkuss, mörderisch in seiner Unschuld, wie ihre Finger, die ihre Spuren in die Linie seines Wangenknochens brennen. Ihre freie Hand tastet suchend umher, ergreift dann die seine, legt sie auf ihre kleine feste Brust, dort, wo er durch den dünnen Stoff hindurch ihre Brustwarze unter seinen Fingern fühlen kann. Ihre grauen Augen verschleiert, sie sieht ihn gar nicht, sieht irgendwen oder gar nichts, vielleicht ein Gespenst ihrer Ängste und Sehnsüchte, die durch ihren viel zu dünnen Körper kriechen, sich dort zusammenballen, wo in diesem Augenblick lautlos ihre Schenkel auseinander fallen.

Er weiß, sie will nicht ihn. Will nur das Gefühl begehrt zu sein. Will sich hingeben und vergessen in dem Verschlingenlassen jenes Körpers, in dem sie sich so fremd fühlt. Als könnte dieses Ertrinken eine Verbindung herstellen zwischen ihrem zitternden, porzellanweißen Fleisch und dem unstillbaren anderen Durst, der tief innen tobt, jenseits ihrer Haut, die so weich und warm unter seiner Hand vibriert. Jene Haut, die in ihrer eigenen Sprache Cocos ganzen Schmerz zu ihm trägt. Die ihn schaudern lässt in einer Sehnsucht zu küssen und zu lieben und zu weinen. Doch nichts davon will geschehen.

Tief in seinem Inneren entfaltet ein dunkles, altvertrautes Etwas machtvoll seine Schwingen: Der Schmetterling. Der Verräter. Das gezackte Ungeheuer, grausiges Insekt mit Flügeln aus Glasscherben und Stacheldraht, das mit jedem Flügelschlag eine Botschaft des Verlangens tief in seine Eingeweide kratzt.

Im Zentrum des Verlangens der eisgraue Schleier ihrer Augen. Ihr Gesicht ein verblassendes Abbild von Schönheit hinter den Spuren der Selbstzerstörung, aschgrau im Halbdunkel, die Züge weich und unbestimmt, die Augen zu alt, und plötzlich hat er das Gefühl, als berühre er eine Tote, davon geschwommen in einem Fiebertraum, unerreichbar und ängstlich.

In ihrem Blick flackert etwas. Nicht Begehren. Furcht.

Furcht davor, ein Monster zu füttern, das sie beide am nächsten Morgen ausspeien und in einer Pfütze unbestimmten Schmerzes zurücklassen würde.

»Nein«, sagt er leise und bestimmt, als spräche er mit einem Kind, und zieht seine Hand fort. »Ich bin´s nur. Alex.«

»Ich weiß, verdammt!« Sie explodiert in plötzlicher Bewegung, fort von ihm, ans andere Ende der Matratze, wo sie hocken bleibt, eine in unsichtbare Eisenketten geschmiedete Elfe. Ihre Schultern beben in einem plötzlichen Weinen, dann schluchzt sie auf, ein trauriger, geisterhafter Ton.

»Es tut mir leid«, sagt sie, und Tränen malen ein silbernes Gitterwerk über die Linien ihres Gesichts. »Ich bin ein Monster. Ich bin grausam zu dir.«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, antwortet er fast automatisch, bemüht, ihr die Angst zu nehmen.

Sie stürzt auf die Matratze wie eine Sterbende, versinkt in einer stummen Agonie, achtet nicht mehr darauf, dass ihr T-Shirt nach oben rutscht, ihren feucht schimmernden Schoß seinen verschämten Blicken preisgibt. Ihre Finger tasten über die grauen Poren des Schaumstoffs, finden schließlich seine Hand, krampfen sich darum. Er rührt sich nicht, bleibt an die Wand gelehnt sitzen, unfähig sich zu bewegen oder zu sprechen. Sie erhebt sich mühsam, kriecht auf allen Vieren zu ihm hin, jede Bewegung gebremst vom Gift, das durch ihre Adern tobt. Ihre Lippen zittern, alles an ihr zittert, ankämpfend gegen das Weinen und die Kraftlosigkeit. Die flache Wölbung ihres weißen Bauches, ihre schmalen Hüften, die flirrende Linie ihres Schenkels glänzen im schwachen Schein der Lampe wie Bögen einer fremden Architektur, ein Leuchtfeuer aus Fleisch, das sie vom Hintergrund des Zimmers trennt, danach verlangend, von seinen vorsichtigen Händen liebkost zu werden. Dann ist sie bei ihm, presst sich wie panisch an seinen Körper, und seine Fingerspitzen fallen vorsichtig auf ihre Hüfte, ertasten verstohlen die seidige Haut. Sie schlingt ihre Arme um ihn, ihre Hände kriechen Halt suchend über seinen Rücken, durch sein Haar, sie ist jetzt ganz nah, ihre Lippen kühl auf seiner Wange, ihr flacher Atem warm an seinem Ohr, ihre Tränen wie schwarzer Tau auf seiner Haut. Als wolle sie in ihn hineinkriechen, presst sie sich an ihn, legt alle verbleibende Kraft in diese verzweifelte Umarmung ihres einzigen Vertrauten, von dem sie weiß und fürchtet, wie gerne er ihr Geliebter wäre, nur für eine Nacht.

»Bitte, tu mir nicht weh«, flüstert sie.

»Ich würde dir nie wehtun«, antwortet er, seine Stimme nur noch ein leises Krächzen.

Sie schmiegt sich erschöpft an ihn, lässt sich an ihm herabgleiten, liegt dann kraftlos auf dem Rücken vor ihm, und ihre Lider flattern ein letztes Mal.

»Ich weiß«, flüstert sie, und dann ist sie eingeschlafen, vielleicht auch bewusstlos, liegt da wie ein Stein, und er legt sich neben sie. Er wagt es nicht, sich zu dicht an sie zu schmiegen, liegt einfach nur da, neben ihr aufgespannt wie eine Klaviersaite, zitternd und hilflos, während das Verlangen unaufhaltsam durch sein Blut kocht. Jeder Atemzug ein Kraftakt, und durch sein Hirn toben die süßen, verbotenen, geilen Bilder dessen, was der Schmetterling, der Verräter, gerne täte, wären seine Flügel nicht aus Glasscherben und Stacheldraht, zu grob und scharfkantig für das feine Gespinst, das Coco ist. Das schon zu oft von anderen zerrissen wurde, ein vernarbter, zerschlissener Vorhang aus Licht, und er kann nicht hindurch, weil sie sonst für alle Zeit zerreißen würde.