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Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Theorien, Modelle, Begriffe, Note: 1,3, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Kunst- und Kulturwissenschaft), Veranstaltung: Kanonische Texte? Basistexte der Medienwissenschaft, Sprache: Deutsch, Abstract: Spätestens seit Gutenbergs genialer Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und erst recht mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert, gilt die Sprache und insbesondere das geschriebene Wort als das etablierteste Kommunikationsmittel menschlicher Existenz. Sie ersetzte die vierdimensionale Wirklichkeit, setzte sich gegen die dreidimensionale Baukunst durch und machte den zweidimensionalen Bildern ihren Platz in der anthropomorphen Welt streitig. Selbst Mimik und Gestik, die nicht minder wichtig für Gedankenübertragung sind, wurden von der Sprache überflügelt. Auch heute, in einer wesentlich telematischeren Gesellschaft, ist der Text vorherrschend. Die Sprache ist immer noch omnipräsent. Sie steht sogar noch hinter den technischen Medien, indem sie Drehbücher, Werbeslogans, Videotexte und Internetchats dominiert. [...] Die nun folgende Abhandlung soll den berühmten Medienphilosophen Vilém Flusser und dessen Werk genauer beleuchten und stellt sich dabei als Aufgabe, im Vergleich zu anderen Medientheorien, zu erörtern, ob Flussers Ideen tatsächlich brauchbar für die uns nahende Zukunft sind. Um dies auch tatsächlich umzusetzen, sei zunächst die Entwicklung seines Denkens anhand seiner Biographie erläutert. Daran anschließen wird sich eine konkrete Analyse seines spezifischen Lösungsversuches, aus dem die einzelnen Lösungsschritte herausgelöst und einzeln diskutiert werden sollen. Darauf folgend wird versucht, die entstandene Konklusion Flussers in den Kontext zu seinen medientheoretischen Zeitgenossen einzubauen, um anhand dieser Konfrontation zu klären, wie hoch die Prägnanz der Verlautbarungen des berühmten Kommunikologen ist. In einem abschließenden Teil, der ebenfalls einer kurzen Zusammenfassung des Flusserschen Gedankengutes, wie auch einer knappen Autorenwertung dient, wird ein Zukunftsausblick gegeben, der mit der gegenwärtigen Realisierbarkeit zu kombinieren ist. Dadurch soll sich zeigen, ob Flussers Prophezeiungen tatsächlich eintraten oder zumindest noch zu erwarten sind. Das im letzten Abschnitt beinhaltete Resümee wird dann hoffentlich klären, ob „Flusser, der Fremde in der Welt, der Vaterlandslose par excellence“ die Frage, die er sich Zeit seines Lebens stellte, erfolgreich und für die Medienwissenschaft relevant klären konnte.
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Spätestens seit Gutenbergs genialer Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert und erst recht mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert, gilt die Sprache und insbesondere das geschriebene Wort als das etablierteste Kommunikationsmittel menschlicher Existenz. Sie ersetzte die vierdimensionale Wirklichkeit, setzte sich gegen die dreidimensionale Baukunst durch und machte den zweidimensionalen Bildern ihren Platz in der anthropomorphen Welt streitig. Selbst Mimik und Gestik, die nicht minder wichtig für Gedankenübertragung sind, wurden von der Sprache überflügelt. Auch heute, in einer wesentlich telematischeren Gesellschaft, ist der Text vorherrschend. Die Sprache ist immer noch omnipräsent. Sie steht sogar noch hinter den technischen Medien, indem sie Drehbücher, Werbeslogans, Videotexte und Internetchats dominiert. Das Wort ist ohne Zweifel präsent, und dennoch scheint sich etwas zu verändern. Es ist anders präsent als früher. Es ist regelrecht inflationär präsent.1Kann man also sagen, dass die Vorherrschaft des geschriebenen und gesprochenen Wortes auf dem absteigenden Ast ist? Möglich wäre dies allemal. Man betrachte sich nur das 20. Jahrhundert und man wird merken, dass das Phänomen der Sprachlosigkeit nicht gerade Seltenheitswert besaß. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich z. B. eine Blütezeit für„sprachlose“Autoren, die ihren Texten bezeichnend den, von Heinrich Böll geprägten, Titel„Trümmerliteratur“2gaben. Dem Namen entsprechend gestaltete sich die Sprache auch. Sie war förmlich in Fragmente zertrümmert. Sie war schlicht und ergreifend einer Art„Kahlschlag“3unterworfen, wie es Wolfgang Weyrauch einst so treffend formulierte. Ist aber das Sprachproblem der Nachkriegsautoren gleichbedeutend mit dem Sprachproblem, welches sich derzeit viel existenzieller über unsere Kommunikation hermacht? Autoren, wie Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll und Wolfgang Borchert, schrieben schließlich derartig reduziert, um die Kriegsschrecken zu verdauen und sie gleichermaßen in ihre Texte zu integrieren. Die Schrift war eben lediglich so kahl und leer, wie die zerbombten Städte, in denen ihre Autoren lebten. Die Kriegsgeschehnisse kann man jedoch nicht als den einzigen Grund für die Spracharmut des 20. Jahrhunderts angeben. Das Sprachproblem dieses Säkulums ist viel umfassender, als man damals vielleicht annahm, was allein daran zu sehen ist, dass auch die Generationen vor dem 2. Weltkrieg und die Generationen danach ähnliche Konflikte in ihrer Textproduktion hatten. Bereits in den goldenen Zwanzigern sprach man - um Gottfried Benns
1Vgl. Flusser, Vilém: Umbruch der menschlichen Beziehungen?, in: ders.: Kommunikologie, Fischer
Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 101
2Böll, Heinrich zit. in:http://www.nrw2000.de/nrw/boell.htm,Zugriff: 03. März 2005
3Weyrauch, Wolfgang zit. in:www.kultur-netz.de/archiv/literat/gruppe47.htm,Zugriff: 03. März 2005
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Sinn, Zweck und Zukunft der Sprache für die neuartige Gattung der Dichtkunst und sah in ihrer Mixtur aus„Sprachknochensplittern“8und„geschmäcklerischer Wanddekoration“9eine Möglichkeit, die Krise von Wort und Wert zu überwinden. Die Lage der Sprache im 20. Jahrhundert war diese:„Alles zerbricht in Teile und die Teile wieder in Teile, die Wörter schwimmen um ihn [Lord Chandos] herum und gerinnen zu Augen, die ihn anstarren und in die er zurückstarren muss, es sind Wirbel, in die hinabzusehen ihn schwindelt, sie drehen sich, durch sie hindurch kommt man ins Leere.“10Eben diese Teile, die Hugo von Hofmannsthal in seinem Chandos-Brief beschreibt, diese„Quanten“11und„Bits“12, wie sie Vilém Flusser wiederum bezeichnen würde, sollen in der„konkreten Poesie“neu zusammengefügt werden - jedoch nicht in Texte, sondern in Bilder. Das selbiges nicht der beste Weg war, um die Kommunikation zu retten, erkannte Flusser in seinem brasilianischen Exil jedoch schnell und wandte sich bald den technischen Bildern zu, denn auch in ihnen fügen sich die zersplitterten Teile - die Pixel - zu einem Mosaik zusammen. Die schillernden, chamäleonartigen Bilder wurden Flussers Metier, in dem er sich nach Herzenslust austobte. Dabei schaute er jedoch nicht nur„in die Röhre“,sondern auch dahinter, um aufzudecken, wie das Technobild funktioniert, warum es die Schrift als vorherrschendes Kommunikationsmittel substituieren wird, und um ihm die neue Art der Verständigung, die neue Bewusstseinsform zuzuweisen. Die nun folgende Abhandlung soll den berühmten Medienphilosophen Vilém Flusser und dessen Werk genauer beleuchten und stellt sich dabei als Aufgabe, im Vergleich zu anderen Medientheorien, zu erörtern, ob Flussers Ideen tatsächlich brauchbar für die uns nahende Zukunft sind. Um dies auch tatsächlich umzusetzen, sei zunächst die Entwicklung seines Denkens anhand seiner Biographie erläutert. Daran anschließen wird sich eine konkrete Analyse seines spezifischen Lösungsversuches, aus dem die einzelnen Lösungsschritte herausgelöst und einzeln diskutiert werden sollen. Darauf folgend wird versucht, die entstandene Konklusion Flussers in den Kontext zu seinen medientheoretischen Zeitgenossen einzubauen, um anhand dieser Konfrontation zu klären, wie hoch die Prägnanz der Verlautbarungen des berühmten Kommunikologen ist. In einem abschließenden Teil, der ebenfalls einer kurzen Zusammenfassung des Flusserschen Gedankengutes, wie auch einer knappen Autorenwertung dient, wird ein Zukunftsausblick gegeben, der mit der gegenwärtigen Realisierbarkeit zu kombinieren ist. Dadurch soll sich zeigen, ob Flussers
8Vgl. Gloor, Beat:www.kontrast.ch,Zugriff: 21. Februar 2005
9Ebd.
10von Hofmannsthal, Hugo: Chandos-Brief, zit. in:www.kontrast.ch,Zugriff: 21. Februar 2005
11Vgl. Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder, European Photography, Göttingen 2000, S. 37
12Ebd.
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Prophezeiungen tatsächlich eintraten oder zumindest noch zu erwarten sind. Das im letzten Abschnitt beinhaltete Resümee wird dann hoffentlich klären, ob„Flusser, der Fremde in der Welt, der Vaterlandslose par excellence“13die Frage, die er sich Zeit seines Lebens stellte, erfolgreich und für die Medienwissenschaft relevant klären konnte.