Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Älterwerden ist kein Kinderspiel. Verängstigendes dringt täglich an unsere Ohren. Dr. Markus Müller macht Schluss mit lebensfeindlichen Vorurteilen und entdeckt die Kostbarkeiten dieser Lebensphase, die mit 46 Jahren beginnt. Erfolgsfaktoren für glückliches Älterwerden werden genauso thematisiert wie verbreitete Ängste und die Bedeutung von Prägungen durch Familie und Beruf. Das Alter wird in fünf Phasen unterteilt. Jeder dieser Phasen liegt eine Berufung zugrunde. So wird deutlich: Alter ist Chance, nicht Problem. Und es lässt sich feiern, denn: Das Beste kommt noch!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 271
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7441-1 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5906-7 lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI GmbH, Leck
© 2019 SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]
S. 217/218 Auszug aus: »Da geht noch was. Mit 65 in die Kurve«
von Christine Westermann © 2013, 2015 Verlag Kiepenheuer & Witsch
GmbH & Co. KG, Köln
Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Bibeltext der Schlachter Bibelübersetzung. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung.
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: Designed by Freepik
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Über den Autor
Danke!
Was Sie in diesem Buch erwartet
Teil 1
1 | Zwölf Lügen und vier Erfahrungen
2 | Weichenstellungen
3 | Etappen innerhalb der Champions League des Lebens
4 | Erfolgsfaktoren für die Königsklasse
5 | Gespenster
Teil 2
6 | Mann und Frau altern unterschiedlich
7 | Berufliche Prägungen
8 | Mit anderen Generationen unterwegs
9 | Finale
Teil 3
10 | Bedenken und bedenkenswerte Perspektiven
11 | Die christliche Gemeinde als Trainingslager
12 | Zielpunkt: Nimm es sportlich
Abschließender Dank
Literaturverzeichnis
Anmerkungen
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
DR. MARKUS MÜLLER, Jahrgang 1955, studierte Erziehungswissenschaft und promovierte in Behindertenpädagogik. Er war Direktor von »Chrischona International« und arbeitet derzeit als Heimpfarrer in einem Alters- und Pflegezentrum in der Nähe von Winterthur/Schweiz. Er ist Autor mehrerer Bücher.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Ich danke allen 46-Jährigen. Sie sind laut Statistik diejenigen, die am Tiefpunkt ihrer Lebenszufriedenheitskurve angelangt sind. Ab sofort geht es aufwärts. Danke, dass Ihr nicht resigniert habt!
Ich danke allen 50-Jährigen. Sie sagen zu recht, dass wohl der längere Teil ihres Lebens hinter ihnen liegt. Eine Wohltat, wenn Ihr mutig nach vorne schaut. Danke!
Ich danke allen 65-Jährigen. Ihr steht vor jenen 10 Jahren, über die gesagt wird, dass sie die glücklichsten Jahre des Lebens sind. Spannend, mitbekommen zu dürfen, wie Ihr diese Zeit leidenschaftlich gestaltet.
Ich danke allen 75- bis 90-Jährigen. Nicht nur Mündigkeit, Weisheit und Reife sind sichtbar, sondern (oft) auch ein beglückendes Erfülltsein. Man sagt, dass man in dieser Lebensphase »sehend« wird. Danke, dass Ihr das, was Ihr seht, nicht für Euch behaltet, sondern in den Erfahrungsschatz unserer an so vielen Stellen gebeutelten Gesellschaft einfließen lasst!
Ich danke allen, die auf das Alter von 100 zugehen. Eine über 100-jährige Frau antwortete in einem persönlichen Gespräch auf die Frage, wie sie denn mit all dem Schwierigen ihres Lebens zurechtgekommen sei: »Wissen Sie, alles Schwierige im Leben braucht sein Parkplätzlein, dann kommt es gut.« Danke für alles Mutmachende und Hoffnungsstiftende – auch im hohen Alter.
Viele solche Menschen, jüngere und ältere, Männer und Frauen, haben mein Leben bereichert. Viele von ihnen sind für mich wie zu einem Navi in meinem eigenen (Lebens-)Auto geworden. Gewollt und ungewollt, mit oder ohne Worte habe ich Botschaften vernommen wie: »An der nächsten Kreuzung bitte links abbiegen (um nicht in einer Lebens-Sackgasse zu landen)!« Oder: »Die Fahrt verzögert sich wegen Bauarbeiten und Stau (wenn ich in Gefahr bin, die Geduld mit mir und meinen Begrenzungen zu verlieren)!« Selten klingt es aufdringlich und unangenehm: »Bitte wenden (wenn mein Leben eine wenig konstruktive Richtung einzuschlagen droht)!« Am schönsten ist es, wenn es heißt: »Folgen Sie der Straße, das Ziel liegt rechts (dies höre ich etwa, wenn ich dabei bin, eine der verschiedenen Lebensphasen im Laufe meines Älterwerdens abzuschließen).«
Ich selber lebe und arbeite fast täglich ganz konkret mit alten, sehr alten und sterbenden Menschen. Ein Riesenvorrecht! Es ist ein unüberbietbares Geschenk, sehen zu dürfen, was am Ende des Lebens geworden ist. Ich staune. Ich sehe, was diese Personen mit dem Leben gemacht haben, wie sie mit großen und kleinen Herausforderungen umgegangen sind, wie sie Höhen und Tiefen im Leben verarbeitet haben und noch verarbeiten, welche Hoffnungen sie früher und heute in sich tragen und welches Vermächtnis sie gerne hinterlassen. Ohne diese Menschen und das Teilhaben-Dürfen an schier unendlich vielen ihrer Erfahrungen würde ich es niemals wagen, dieses Buch mit dem gleichnishaften Titel »Die Champions League des Lebens – Warum Älterwerden das Beste ist, was uns passieren kann« zu schreiben.
Wieso nicht genauer hinschauen? Wieso sich nicht herausfordern lassen? Wieso nicht Ungewöhnliches denken und tun? Ich meine, dass genau dies der Generation, die nach 1950 geboren ist, liegt. Wir sollten es tun und wagen. Alter ist Königsklasse. Damit dürfen wir rechnen – lieber heute schon als erst morgen.
Beim Schreiben träumte ich davon, dass Sie als Lesende, sei es am Strand oder vor dem Kaminfeuer, meinetwegen auch am Schreibtisch oder vor dem Einschlafen, etwas vom Grundgefühl spüren, was es heißt, in die Champions League einzuziehen und in der Champions League zu spielen. Ein Blick in die Welt des Sports verrät mir etwas von der einzigartigen Freude, die eintritt, wenn man zum ersten Mal in dieser über das Übliche hinausgehenden Liga mitspielen darf. Betroffene erzählen ihr Leben lang davon. Wieso nicht genauer hinsehen? Älterwerden könnte ganz anders sein, als die meisten von uns denken.
Markus MüllerIm September 2018
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Champions League? Spannende Angelegenheit! Welcher Sportler, egal ob Mann oder Frau, träumt nicht davon, in der Liga der Champions – früher Königsklasse genannt – mitspielen zu dürfen?
Ich selber bin weder Held im Sport noch Meister im Verstehen all der Zusammenhänge rund um sportliche Angelegenheiten. Aber irgendwie fasziniert mich dieses einzigartige Ereignis »Champions League«.
Es lässt nun einfach mal nicht kalt.
Da gibt es die Gänsehaut bei der Hymne, da gibt es sinnvolle und manchmal überraschende Aufstellungen, monate-, meist jahrelange Vorbereitungen, da gibt es No-Gos, Devisen, Leitsätze und Mottos, da gibt es Risiken und Chancen, verarbeitete und manchmal unverarbeitete Niederlagen, da gibt es Vorbehalte und Anfeindungen, eine alles entscheidende Mentalität und den hartnäckigen Siegerwillen, da gibt es Träume und Sehnsüchte, Trost und Ermutigung, gesunden und lähmenden Respekt vor dem Gegner, da gibt es unbändige Vorfreude auf Kommendes und unvergessliches Feiern. Vom Ganzen geht etwas Geheimnisvolles aus, eine Atmosphäre, eine Aura, eine Melodie. Wer will und kann dies übersehen oder überhören? Wenn der achtjährige Junge erzählt, hat sogar der 90-jährige Uropa einen höheren Puls.
Ich selbst bin jetzt etwas über 60 Jahre alt. Von meiner altersmäßigen Herkunft her zählt man mich zur »Generation Babyboomer« (alles boomte, als ich Kind war, auch das Kinderkriegen). Geboren wurden wir Babyboomer zwischen 1955 und 1968. Erlebt haben wir fast ausschließlich eine Welt, die schneller, besser, bequemer und schöner wurde. Wir kannten in der Regel weder Armut noch Hunger noch Krieg. Die Welt des Aufwärts haben wir inhaliert. Und jetzt? Es ist eine der spannendsten und eine der sowohl individuell wie auch gesellschaftlich existenziellsten Fragen für uns Babyboomer: Wie wollen wir es mit dem Älterwerden halten?
Nein danke, sagen fast alle! Logisch eigentlich, dass wir als Menschen, deren Leben immer besser, schneller und (meist) angenehmer wurde, vom Älterwerden nichts wissen wollen. Wenn es etwas gibt, das dem Lebensentwurf, den wir von klein auf inhaliert haben, völlig zuwiderläuft, dann das Älterwerden. Herannahendes Alter kann in unserer Vorstellung nur ein schadenfroher Spielverderber, ein hinterlistiger Freudenkiller und ein schonungslos gemeiner Lebensräuber sein. Sollte sich der unliebsame Gast A wie Alter trotzdem unaufdringlich oder auch mal sehr aufdringlich bemerkbar machen, geben wir uns lieber sprachlos, wirken ohnmächtig und meiden – tendenzmäßig vor allem wir Männer – das Thema. Insgeheim hoffen wir, dass Älterwerden Sache der anderen ist und bleibt.
Doch Stopp! Tief in unserem Innern wissen wir – wir Babyboomer vermutlich mehr als alle anderen –, dass es eine Alternative zu diesem distanzierten, passiv-resignativen Abwarten und tendenziellen Opferdasein geben muss und wird. Zahllos waren und sind unsere Versuche während der vergangenen 50 Jahre, diese Welt zu verändern, sie nach unseren Wünschen einzurichten, ihr Perspektive und Sinn zu geben – technisch, soziologisch, philosophisch, politisch, in der Kunst, in der Medizin, in der Theologie und ganz lebenspraktisch. Niemand würde und könnte uns verstehen, wenn wir vor dem, was uns existenzieller als alles andere betrifft, eben dem Älterwerden, plötzlich in ein passives, schicksalsorientiertes, leidenschafts- und lustloses »Mal sehen – bitte Themawechsel« verfallen würden.
Auf den folgenden Seiten lade ich Sie zu einem abenteuerlichen Unterfangen ein, betitelt mit »Die Champions League des Lebens – Warum Älterwerden das Beste ist, was uns passieren kann«.
Älterwerden als Champions League des Lebens? Ja. Denn zahllos sind die Parallelen, zwar vielleicht nicht auf den ersten, aber doch auf den zweiten oder dritten Blick. Mag sein, dass wir den einen oder anderen Vorhang zur Seite ziehen müssen. Genau dies ist aber die Absicht auf den folgenden Seiten. Wir wagen den zweiten Blick – mit dem einen Ziel, mehr Licht in manchmal nicht so leicht durchschaubare Zusammenhänge des Älterwerdens hineinleuchten zu lassen.
Weil die jetzt 50- bis 65-Jährigen als Babyboomer die größte gesellschaftliche Gruppe darstellen, habe ich beim Schreiben vor allem diese Gruppe von Menschen vor Augen. Ich rechne schwer damit, dass Sie Freude am Unerwarteten haben und dass Sie über Bereitschaft zu neuem Denken, neuem Empfinden und neuen Lebensentwürfen verfügen (falls nicht: Sie dürfen trotzdem weiterlesen – wer weiß denn schon, ob Sie nicht trotzdem urplötzlich von einer sehr gesunden Leidenschaft für das Alter gepackt werden).
Liebend gerne nehme ich Sie mit auf eine Entdeckungsreise, immer wieder geleitet vom gleichnishaften Bezug zur Champions League. Die Reise hat drei Teile. In jedem der zwölf Kapitel stellen wir uns, bildlich gesprochen, vor den Spiegel, immer mit der Absicht, die zerzauste Gedanken- und Empfindungswelt hinsichtlich Alter zu ordnen, auszurichten und zu »kämmen«. Wie mein Haar am Morgen wird mein Denken in etwas Schönes und Ansehnliches verwandelt. Wäre es nicht ein einzigartiges Erleben, wenn Menschen um mich herum nicht nur im Anblick meines Äußeren, sondern auch im Hinblick auf mein Inneres, also meine Denk-, Vorstellungs-, Gefühls- und Empfindungswelt, sagen würden: »Gut schaust du aus!«
In Teil 1 werden wir vor allem fünf Erlebniswelten aufleuchten lassen. Kapitel 1 befragt unsere eigenen Alters-Anschauungen. Gängige Lügen werden benannt und Hoffnungsspuren anhand konkreter Beispiele dagegengesetzt. In Kapitel II gehen wir auf unsere je individuelle Lebensgeschichte ein. Im Brennpunkt: die Weichenstellungen, die wir in unserem bisherigen Leben bewusst und unbewusst bereits vorgenommen haben. Was, so fragen wir, waren diese Weichenstellungen, und wie ziehen wir – mit und trotz all dem, was hinter uns liegt – ohne allzu viel unnötigen Ballast in die Champions League des Lebens ein?
Kapitel 3 zeigt auf, welche Lebensphasen in und während dieser Champions League unterscheidbar sind. Es werden fünf Phasen unseres Älterwerdens beschrieben. Ob jeder Lebensphase so etwas wie eine Berufung zugrunde liegt?
Teil 1 mündet in den Schwerpunkt »Entscheidende Erfolgsfaktoren« bzw. »Sieben Schlüssel zum Bestehen in der Königsklasse« (Kap. 4) sowie in das Thema »Erfolgskiller« bzw. (keine) Angst vor Demenz, (keine) Angst vor Abhängigkeit, (keine) Angst vor Krankheit und (keine) Angst vor dem Pflegeheim (Kap. 5).
Teil 2: Wir sind und bleiben Mann und Frau, zum Glück. Meist haben wir viel miteinander erlebt, sei es als Verheiratete oder als Nichtverheiratete (Kap. 6). Zudem haben oder hatten wir in der Regel einen Beruf (Kap. 7). Auch hier hat jeder von uns hilfreiche und weniger hilfreiche Lebensmuster bewusst und vor allem unbewusst eintrainiert. Was nun hilft von alledem, ein gutes Unterwegssein in der Champions League des Lebens sicherzustellen? Klar ist: Da geht es um Existenzielles. Nicht unbedeutend sind zudem die Menschen auf der »Tribüne« (Kap. 8). Dies sind die uns vorangehenden und die uns nachfolgenden Generationen. Sie schauen zu, manchmal leiden sie ganz betroffen mit, oftmals feuern sie uns an. Und manchmal zittern sie im fortwährenden Auf und Ab einfach mit: Ob das Spiel wohl erfolgreich ausgehen wird? Wir fragen: Wollen wir ihnen nicht etwas Sehenswertes bieten? In Kap. 9 schließlich geht es um das Finale der Champions League. Auch das Beste im Leben hat ein Ende. So ist diese irdische Welt eingerichtet. So funktioniert sie. Bis zur letzten Sekunde, so kennen wir es aus dem Sport, wird mit den allerletzten verfügbaren Kräften um den Sieg gekämpft. Erlösend, wenn der Schlusspfiff dann erfolgt. Ab jetzt kann gefeiert werden, unendlich und grenzenlos. Vorher abbrechen? Nie und nimmer! Oder das Spiel unendlich verlängern? Auch das wohl kaum eine wirklich erstrebenswerte Variante, weder für Spieler noch für Zuschauer.
Teil 3: Ob bisher Gesagtes und Angesprochenes wie ein Traum klingt? In der Schlussetappe unseres Nachdenkens werden wir nochmals über dem Ganzen unserer bereits stattfindenden und noch kommenden Champions League des Lebens innehalten und uns auf die kommenden Jahre und Jahrzehnte ausrichten. Im Mittelpunkt steht die kommende Gesellschaft und mit ihr auch die christliche Gemeinde. Letztendlich: Was gilt es in den kommenden Jahren zu tun? Worauf wird es gesellschaftlich und kirchlich ankommen? Und: Welchen Beitrag kann ich selber, ganz persönlich, leisten?
Zwei Hintergründe meinerseits, bevor Sie tiefer in die Lektüre einsteigen:
Erstens: Mein weltanschaulicher Hintergrund. Mein berufliches Schaffen findet täglich im Rahmen des Miteinanders von Menschen aus unterschiedlichsten Religionen und kulturellen Hintergründen statt. Ich genieße es. Das Kostbarste in meinem Leben allerdings ist das Evangelium. Es ist mir ein täglicher Mutmacher und Trostspender. Es vermittelt mir Hoffnung und gibt mir Sicherheit. Es richtet mich aus, für die Zeit vor dem Tod und für die Zeit nach dem Tod. Ich ringe auch im Schreiben dieses Buches darum, dass der einzigartige Reichtum der biblischen Botschaft in einer gewinnenden Art aufleuchtet und dass deutlich wird, welch wegweisenden Schatz wir vom Evangelium her auch im Zusammenhang unseres Älterwerdens haben.
Zweitens: Ein Ansporn. Der Begriff »Jugend« existierte bis 1904 nicht. Es gab zwar immer Menschen im Alter zwischen 12 und 18. Über diese Lebensspanne nachzudenken oder diese Zeit als vollwertige, wichtige Zeit zu sehen erschien jedoch unnötig. Rund um die Jahrhundertwende war es dann der Psychologe und Gründer der »American Psychological Association«, Granville Stanley Hall, der die Phase erforschte. Er veröffentlichte in besagtem Jahr 1904 das Buch »Adoleszenz«. Die brillante Idee: Es gibt die Teenager zwischen Kindheit und Erwachsensein, nicht als »Anhängsel« der Kindheit oder als »Zwischending« vor dem Erwachsensein, sondern als lebens- und erstrebenswerte, eigenständige, vollumfänglich akzeptierte und gesellschaftlich entscheidende Lebensphase. 1941 findet man den Begriff »Jugend« als Lebensphase erstmals in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift, und 1944 erscheint folgerichtig weltweit die erste Jugendzeitschrift (magazine »Seventeen« in den USA). Im deutschsprachigen Raum, es war nur noch eine Frage der Zeit, erschien 1956 die erste Ausgabe von »BRAVO« – mit einer Rekordauflage von 1,83 Mio. Exemplaren im Jahre 1979. Ob wir Alten« auch so lange – konkret 75 Jahre – benötigen, bis das Alter ebenso als erstrebenswerte, vollumfänglich akzeptierte, normale und selbstverständliche, in sich lebenswerte Lebensphase gilt? Ich glaube, es könnte und müsste schneller gehen.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Ein Glück, dass im Laufe der vergangenen Jahre das Thema Älterwerden in unserer Gesellschaft verstärkt und überraschend mutmachend zur Sprache gekommen ist. Journalisten, Fernsehmoderatoren, Philosophen und andere schreiben Bestseller und betonen, wie auch nach 65 »noch was geht« (so beispielsweise im Titel des Spiegel-Bestsellers von Christine Westermann). Hört man auf diese Stimmen, ahnt man: »Restzeit« könnte »Bestzeit« werden (so Horst W. Opaschowski im Buch »Das Abraham Prinzip. Wie wir gut und lange leben«).
Doch langsam! Stimmen diese Gleichsetzungen überhaupt? Trifft diese unheimliche Diagnose des Älterwerdens zu?
Bevor Sie weiterlesen, achten Sie einen kurzen Moment auf das, was Sie selber im Hinblick auf das Alter empfinden! Sicher haben auch Sie Erfahrungen (mit Opa oder Oma, vielleicht mit den eigenen Eltern, mit Freunden, mit Menschen in der Nachbarschaft, im Supermarkt, auf dem Bahnhof oder wo auch immer). Wozu tendieren Sie spontan, wenn Sie an alte Menschen, die Sie zumindest von ferne kennen, denken? Was würden Sie ehrlicherweise nach Bauchgefühl ankreuzen: Ist das Alter eher
☐ ein Abstieg
oder
☐ ein Aufstieg?
☐ ein »nicht mehr«
oder
☐ ein »noch nicht«?
☐ vermeidenswert
oder
☐ liebenswert?
☐ ein »Verlieren«
oder
☐ ein »Gewinnen«?
☐ ein »bloß schwächer werden«
oder
☐ »das Beste, das mir passieren kann«?
Kreuzen Sie mutig an!
Wenn wir schon dabei sind, einen Moment innezuhalten, das Tempo zu reduzieren und auf unsere ganz persönlichen Einschätzungen zu achten, dann betrachten Sie kurz folgende Rechnungen:
17–5
12
15+8
24
5x7
35
18:3
6
Falls Sie wünschen, hier noch etwas mehr Denk-Nachschub: Bestimmt kennen Sie das folgende Bild:
Meine Frau und meine Schwiegermutter1
Was sehen Sie? Bloß die Frau oder bloß die Schwiegermutter, oder beides?
Sie merken, die gleiche Wirklichkeit lässt sich unterschiedlich wahrnehmen und deuten. Zu schnell passiert es uns, dass wir nur die eine Seite einer Medaille sehen – und unbeeindruckt weitergehen. Fatal, wenn uns das im Hinblick auf unser eigenes, insbesondere kommendes Leben passiert. Dummerweise ist gerade das Alter hervorragend geeignet, von einseitigen Wahrnehmungen und falschen Grundannahmen auszugehen.
Gut, dass Sie sich etwas Zeit gelassen haben, um sich Ihrer eigenen Bilder, Einschätzungen und Beurteilungen bewusst zu werden.
Alter ist Neuland. Die Entdeckerfreude hält sich allerdings meist in Grenzen. Im Moment nennen noch die wenigsten Menschen das Neuland Alter ein Chancenland. Die wenigsten wagen den Aufbruch. Sehr viel öfter blockieren uns eine Reihe von lähmenden Vorannahmen. Schwarzseher haben Hochkonjunktur.
Mir scheint es als Erstes angemessen zu sein, einige der häufigsten Lügen zu nennen, sie zu entlarven oder in ihrer Wucht zu entmachten. Sie nämlich drohen, Entdeckerfreude von vornherein lahmzulegen. Solches jedoch wäre zu schade für ein derart existenzielles Thema wie das Älterwerden.
Der nächste Abschnitt enthält zwölf der verhängnisvollsten Lügen. Prüfen Sie, welche dieser Lügen bei Ihnen vorhanden sind. Freuen Sie sich, wenn Sie davon nicht betroffen sind!
Lüge 1: Jugend ist schön, Alter bloß eine schwer zu tragende Last. Kennen Sie das Bild mit dem Titel »Der Jungbrunnen« von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahre 1546? Es befindet sich in der Gemäldegalerie in Berlin.
Der Jungbrunnen, Lucas Cranach der Ältere, 15462
Der Inhalt des Bildes: Klapprige Alte werden in Schubkarren und auf Pferdefuhrwerken zum »Jungbrunnen« in Form eines Schwimmbeckens gebracht. Darin dürfen sie einen Moment baden und entsteigen danach tanzend dem angeblich heilenden Wasser als Jünglinge und jung-dynamische Frauen. Am Traum »Jugend« hat sich seit Lucas Cranach kaum etwas geändert. Zwar glaubt man nicht mehr so sehr nur an heilende Bäder. Im Vordergrund stehen eher schönheitsrelevante Salben, verjüngende Tröpfchen, hautstraffende Operationen und befindlichkeitsverändernde Pülverchen. Die Entwicklung des Anti-Aging-Marktes ist atemberaubend. Demgegenüber steht die Aussage von Sabina Misoch, ehemals Jugendforscherin und aktuell Leiterin des »interdisziplinären Kompetenzzentrums Alter« in St. Gallen.3 Misoch konstatiert im Bildungsmagazin »substanz« der Fachhochschule St. Gallen (Nr. 1, 2018) kurz und knapp: »Das Alter ist spannender als die Jugend.« Fazit: Das Alter könnte mindestens so schön sein wie die Jugend, und vielleicht wesentlich weniger Last als gedacht.
Lüge 2:Die Jüngeren sind den Älteren in allem überlegen. Auf den ersten Blick mag es stimmen: Jüngere rennen schneller, denken schneller und lernen schneller! Auch im Bewältigen von Rechenaufgaben und Vokabellernen unterliegen in der Regel die Älteren. Zwei Fragen drängen sich allerdings auf: Wer sagt denn, dass schneller immer besser ist, und wer sagt denn, dass Ältere nicht eine ganze Reihe von Dingen einfach besser können als Jüngere? Zu Letzterem: Hirnforscher und Neuropsychologen (etwa Martin Korte mit seinem Buch »Jung im Kopf« oder André Alemann mit »Wenn das Gehirn älter wird«) haben keine Mühe, uns Übersichten zu Lebensbereichen zu liefern, in denen Ältere besser als die Jüngeren sind. Beispiele: Neben mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Friede, mehr Gelassenheit und mehr Erfahrung sind es unter anderem die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, das schlussfolgernde Denken, das Herstellen von Zusammenhängen, der Weitblick, das Ja-Sagen zu widrigen Umständen, die räumliche Orientierung, die emotionale Intelligenz und die Suche nach langfristigen Lösungen bei Problemen.
Lüge 3:Als alter Mensch kann ich nichts mehr zum Gelingen unserer Gesellschaft beitragen. Ältere Menschen beklagen tatsächlich da und dort, dass das, was sie tun, keinen Wert (mehr) habe. Echt gut, wenn wir beim Aufkommen solcher Gedanken uns einige Momente gönnen, zugrunde gelegte Wertmaßstäbe kritisch zu betrachten. Ich frage gelegentlich alte Menschen, ob sie, vielleicht früher, mal ein herzhaft lachendes Kind und die Reaktion des Umfeldes beobachtet hätten. Was, so die Frage, ist Ihnen dabei aufgefallen? Die Antworten lassen meist nicht lange auf sich warten. Nicht hart erarbeitetes Können oder unter Druck eintrainierte Fertigkeiten des Kindes, sondern das ergreifende Herz und die beherzte Schlichtheit haben überwältigt. Könnte es sein, frage ich dann, ob Sie als alter Mensch nicht auch eine ähnliche Wirkung haben könnten: mit Ihrem Lachen, mit Ihrer Unbekümmertheit, mit Ihrer Dankbarkeit, mit Ihrem guten Denken, mit Ihrem wohlwollenden Reden über die Welt, über Gott und über andere Menschen? Genau dies verändert mehr als alles andere die manchmal trübe, rationale, leistungsversessene Welt. Die Alten als Weltveränderer? Ich bin von ihrer Gestaltungskraft und ihrer Fähigkeit, die Welt zu verändern, überzeugt.
Lüge 4:Wir müssen nur die Umstände verbessern, dann geht es uns im Älterwerden besser. Unüberschaubar, was heute im Hinblick auf das Älterwerden von unterschiedlichster Seite alles gefordert wird: mehr Geld, mehr Raum, bessere Pflege, weniger Schmerz, mehr Zeit, weniger Zumutung, mehr Wertschätzung und so weiter. Keine Frage: All dies hat seine Berechtigung. Doch ist dies alles? Es waren einige Psychologen seit Beginn des 20. Jahrhunderts (allen voran Alfred Adler oder etwas später Victor Frankl), die unmissverständlich klarmachten: Nicht die Gegebenheiten in unserer Welt, auch nicht unsere Behinderungen und Einschränkungen und Begrenzungen entscheiden über unser zukünftiges Leben. Vielmehr sind es unsere Einstellungen, unsere Deutungen und die Art, wie wir mit den Gegebenheiten umgehen, die die Spur legen, wie persönliches Glück und gemeinschaftliches Leben gelingen können. Schlussfolgerung: Nicht an den Umständen gilt es zuerst zu arbeiten, sondern an der Art unseres Umgangs mit diesen Umständen.
Lüge 5:Ich kann als 50- oder 60-Jähriger genau beurteilen, wie es einem 95-Jährigen geht. Es geschieht immer mal wieder, dass Angehörige, wenn sie ihren Vater oder ihre Mutter zu uns ins Pflegeheim bringen, sich über die Unzumutbarkeit der Umstände, in die hinein ihre Mutter oder ihr Vater zu geraten droht, beklagen. Da und dort gelingt es, mit solchen Angehörigen jene Menschen, die schon länger mit uns leben, zu befragen, wie sie mit diesen anscheinend unzumutbaren Gegebenheiten zurechtkommen. Antworten, die ich dabei gehört habe: »Ihr habt keine Ahnung – was ich hier erlebe, ist die schönste Zeit meines Lebens.« Oder: »Ich habe mich zu diesem Haus ›bekehrt‹. Zuerst fand ich es abscheulich. Nach drei Monaten war ich hier total zu Hause!« Schließlich: »Ich weiß, von außen ist das alles abstoßend. Aber ich war noch nie so wenig einsam, ja, ich habe Freunde bekommen und erlebe wahre Freude.« Fazit: Aus den Schuhen eines betroffenen Menschen sieht die Welt anders aus als bei Menschen, die lediglich auf die Schnelle hinschauen. Was sich für den einen schrecklich anhört, muss für jemand, der selbst davon betroffen ist, nicht schwierig sein – und umgekehrt. Nicht dass die Welt so schlimm ist, muss ich entsprechend entdecken und verstehen, sondern dass meine Urteile zu oft und zu schnell voreilig sind.
Lüge 6:Glücklich in Abhängigkeiten: Das geht gar nicht! Gewaltiger Irrtum. Eine 85-jährige, ehemalige Chefin einer Ladenkette meinte: »Wie bin ich doch am Genießen, dass ich nicht mehr alles selber entscheiden muss!« Jemand anderes, keineswegs ein Mauerblümchen, ergänzt: »Wie gut, dass ich jemand anderem meine Finanzen und die Grundentscheidungen über meine Zukunft anvertrauen darf. Das macht mich für das Heute frei.« Etwas selbstreflektierend sage ich selber: Ich bin ganz glücklich, wenn meine Tochter am Steuer unseres Autos sitzt. Trotz restloser Abhängigkeit bin ich völlig entspannt. Könnte es sein, dass es ein Glück gibt, abhängig zu sein – altersgemäß als Kleinkind, als Mensch in der Lebensmitte, und als alter Mensch? Denkbar ist, dass wir in unserer westlichen Kultur dieses Glück gesunder Abhängigkeit nochmals, für alle Lebensphasen, neu zu entdecken haben.
Lüge 7: Die Vergangenheit wird immer mehr und stärker, die Zukunft kleiner und unbedeutender. Immer mehr Vergangenheit, immer weniger Zukunft. So lautet eine klassische Umschreibung des Älterwerdens. Die Annahme eines zukunftslosen Alters, umhüllt von absterbender Lebensfreude, ist in einer auf Machbarkeit beruhenden, gegenwartsversessenen, optimierungsfixierten Zeit naheliegend. Zwingend dann, dass Zukunftslandschaft verkümmert. Meine Beobachtung allerdings: Merkwürdig, manchmal geheimnisvoll, sehen alte und sehr alte Menschen Dinge der Zukunft, die sie wesentlich stärker leiten als alles Vergangene. Eine weit über 90-jährige, pflegebedürftige Frau nahm eine kommende Mondfinsternis Ende Juli 2018 zur Kenntnis. Dieses vor ihr stehende Ereignis hatte über Wochen hinweg ein weit größeres Gewicht als alles Vergangene oder Gegenwärtige. Zukunft siegt, auch im hohen Alter.
Lüge 8:Mein Leben ist mit 70 gelaufen, da lässt sich nichts mehr ändern. Falsch. Natürlich lässt sich an unserem vergangenen Leben nichts, gar nichts, korrigieren. Und doch: Niemand hat eine größere eigene Erfahrungswelt, die er jetzt bewerten und einordnen kann, als der alte Mensch. Manchmal sehen wir alte Frauen und Männer, anscheinend untätig, auf einem Bänklein im Park oder vor dem Haus vor sich hinsinnieren. Könnte es sein, dass sie in diesen Momenten – vielleicht bloß halb bewusst – nochmals ihr vergangenes, gelebtes Leben betrachten, bearbeiten und neu ordnen? Könnte es sein, dass gerade deshalb Bänklein in Parks oder wo auch immer eine geradezu magische Anziehungskraft besitzen? Vergangenes wird geordnet, Gegenwärtiges verstanden, Künftiges vorausgeahnt. Nichts, gar nichts ist »mit 70 gelaufen«.
Lüge 9:Älterwerden heißt nur noch loslassen und verlieren – Gewinnen ist vorbei. Kennen Sie Hunde? Etwas schonungslos wage ich zu fragen: Wie bekommen Sie es hin, dass ein Hund einen abgenagten Knochen hergibt (was er eigentlich nie tut)? Ich verrate es: Halten Sie ihm ein zartes Stück Fleisch hin! Ohne Zögern und ohne Druck wird er in Sekundenschnelle seinen alten Knochen fallen lassen. Das Lehrstück: Die Kunst des Loslassens besteht darin, dass jemand das Wertvollere, das er gewinnen kann, zu sehen vermag. Nicht das Loslassen, sondern der Mangel an attraktiver Vorstellung dessen, was in Zukunft sein kann und sein wird, ist das Problem – nach der Lebensmitte genauso wie längst vor der Lebensmitte. Die Frage ist: Was sehen Sie?
Lüge 10: Im Alter ist man zunehmend einsam. Dass sich der Radius des Lebens im Alter automatisch verkleinert, ist unwidersprochen. Trotzdem: Es gilt als erwiesen, dass alte Menschen im Durchschnitt ein weit geringeres Risiko haben, einsam zu sein, als Menschen im mittleren Alter. Die Regel: Nicht nach, sondern vor 50 sind soziale Netze fragil. Hans-Werner Wahl fasst in seinem Buch »Die neue Psychologie des Alterns« zusammen: In öffentlichen Diskussionen und sozialen Medien wird zwar immer wieder gesagt: »Das größte Problem im Alter ist die Einsamkeit. Empirisch aber wissen wir …: Nicht alle Älteren sind einsam, … die meisten Älteren sind nicht einsam« (S. 111). Selbst hochaltrige Menschen schaffen es offensichtlich ziemlich gut, die ihnen wertvollen Beziehungen zu erhalten.4
Lüge 11:Die Kosten des Altwerdens legen es nahe, freiwillig aus dem Leben zu gehen. Die Diskussion rund um Sterbehilfe ist eine happige Diskussion. Es ist, als ob sich subjektives Wohlergehen und gemeinschaftliche Nützlichkeit erfolgreich als Leitwerte unseres gesellschaftlichen Denkens und Handelns durchgesetzt hätten. Doch ist solches Denken wirklich zukunftsträchtig? Nein, muss festgehalten werden, vielmehr lebensbedrohlich für uns alle. Es ist fatal, naiv und verlogen, blumig von einem »sozial verträglichen Frühableben« zu sprechen oder diesbezüglich sogar um Spenden zu werben (wie im Mai 2018 für »die neue Sterbehilfe-Ikone«, den 104-jährigen Wissenschaftler David Goodall, der als Australier die Sterbehilfe in der Schweiz nutzte). Zum einen rauben wir einer betroffenen Person ihren eigenen Sterbeprozess. Sterben und Tod sind ein letzter, geheimnisvoller Reifeprozess im Leben eines Menschen. Zum anderen berauben wir uns als Gemeinschaft, hinterlassen uns doch gerade sterbende Menschen im Moment ihres Strebens ein nie ersetzbares, oft hoffnungsstiftendes Vermächtnis.
Lüge 12:Das Alter –da muss man durch! Der moderne Mensch – und wer von uns ist nicht Kind dieses Denkens – neigt dazu, Erfolg zu bewundern, Begrenzung, Schwäche und Scheitern jedoch mit aller Kraft zu bekämpfen, notfalls schicksalhaft über sich ergehen zu lassen. Zweifelsohne hat Alter etwas mit Schwerem und Unausweichlichem zu tun. Könnte es allerdings sein, dass der ganz persönliche Schlüssel zum Glücklichsein weder in der Beseitigung negativ empfundener Gegebenheiten noch im zähneknirschenden Ertragen dieses schwer Empfundenen besteht, sondern im Entdecken einer gesunden und mündigen Art des Umgangs mit Begrenzung, Notvollem und Belastendem? Ein knapp 95-jähriger Mann, mit Schwerem gut vertraut, bemerkte ohne Umschweife: »Noch nie hatte ich so viel Verfügungsmacht über mein zukünftiges Leben!« Alter beinhaltet mehr Freiheit, als man im ersten Moment annimmt. Besagter Mann ahnt etwas davon. Alter: Da muss man nicht durch – da darf man hin!
So weit der Versuch, einige gängige, meist unreflektierte Vor-Urteile oder eben »Lügen« bewusst zu machen. Erschlagend? Zutreffend? Noch nie gedacht?
Ich hoffe, Sie haben bereits jetzt etwas von der »Melodie Veränderbarkeit« vernommen, weniger der Veränderbarkeit von Umständen als vielmehr der Veränderbarkeit eigener Anschauungen und Einstellungen. Die naheliegende und sich aufdrängende Frage: Wie nun lassen sich solche Lügen entmachten, wenn immer möglich gänzlich entsorgen? Dazu drei Vorschläge.
Vorschlag 1 besteht darin, sich die jeweils gegenteilige, immer auch wahre Wirklichkeit vor Augen zu führen und den Blick darauf gut einzuüben. Erinnern Sie sich an das Bild mit »der Frau und der Schwiegermutter«? Es sind diese faszinierenden »Aha-Erlebnisse«, in denen Sie plötzlich die andere Wirklichkeit sehen. Dann aber ist es, wir alle kennen das, ernüchternd, wenn wir es plötzlich doch nicht mehr schaffen, diese andere Wirklichkeit zu sehen. Die Erfahrung aber: Je öfter Sie die bisher nicht gesehene Wirklichkeit des Bildes bewusst nachvollziehen und »nach-sehen«, desto leichter wird es, genau diese Deutung als ebenso selbstverständlich zu sehen. An bisherigen, halb wahren Selbstverständlichkeiten wird gerüttelt – das Neue schließt sich auf.
Vorschlag 2 besteht darin, sich die bei uns allen vorhandene, eigene Prägung vor Augen zu halten. Bestimmt kennen Sie Menschen, die fast ausschließlich eine Rosa-Brille tragen. Alles ist schön, lustig und leicht. Dies wird im Leben und Älterwerden nicht immer hilfreich sein, genauso wenig wie die dunkelbraun eingefärbte Brille mit dem steten Nachsatz »ja, aber …«. Wagen Sie doch einfach mal die Frage an zwei oder drei Ihrer Freunde: Wie, denkst du, ist meine Brille, durch die ich die Wirklichkeiten sehe, eigentlich eingefärbt? Sag’s mir bitte ganz ehrlich! Ich will an meinen Deutungen und Einschätzungen der Wirklichkeit arbeiten. Wollen wir einander nicht helfen, diese Brillen abzusetzen? Wieso nicht mit dieser Absicht nochmals die zwölf genannten Lügen durchgehen?
Vorschlag 3 zu mündiger Lügenentsorgung befragt das Ziel, das jeder Mensch je mit bestimmten Anschauungen verfolgt. Befriedigt es uns nicht da und dort, einfach mal die komplexe Wirklichkeit massiv zu vereinfachen? Beispiele: Bereich Umwelt, oder Bereich Flüchtlinge und Ausländer, oder Bereich Politiker – wie einfach zu sagen: »Der ist dumm«, oder: »Der oder die ist zu nichts imstande!« Schnell- und Vorurteile schaffen fühlbare Entlastung. Bezüglich Alter: Ein bisschen Mitleid bei der Aussage, wie bedrückend das Alter ist, tut ja schon ganz gut. Für einige Momente lässt sich bedeutungsvoller leben. Ein reizvolles Ziel? Oder doch vielmehr ein verhängnisvolles Fehlziel, das man besser schnellstmöglich revidiert? Weder Gewinn durch Vereinfachung noch das Erregen von Mitleid sind weiterbringende Absichten. Die hilfreiche Frage ganz persönlich: Was eigentlich gewinne ich mit dieser oder jener Anschauung (des Alters), und was verliere ich mit dieser oder jener Anschauung (des Alters)?
Hoffnungsspuren im Älterwerden als Kontraste zu gängigen Fehlannahmen? Ich erzähle Ihnen einige beliebig ergänzbare, kurze Erlebnisse mit Menschen, die sich mitten in der Champions League des Lebens oder sogar kurz vor dem Finale befinden. Die Beispiele ermutigen, machen manchmal stutzig, überraschen und hinterlassen gelegentlich sogar ein Schmunzeln. Ob Sie sich für die Champions League des Lebens anstecken lassen? Am Rande: Ich führe persönlich eine Datei mit Aussprüchen, Erfahrungen und Erkenntnissen, die mir merk- und denkwürdig erscheinen und die möglicherweise mir selber zu späterer Zeit eine Hilfe in meinem eigenen Älterwerden sein werden.
Beispiel 1: Ein Mann, seit 65 Jahren