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Rachel Anne Ridge und ihre Familie waren am Ende. Lange Zeit arbeitete sie als erfolgreiche Künstlerin, doch dann wurden die Aufträge immer weniger. Sie gab sich selbst die Schuld an der ganzen Situation. Wie nur sollte die Familie die Rechnungen bezahlen? Und was würde die Zukunft bringen? Wenn doch Gott irgendwie helfen würde ... Und dann tauchte plötzlich Flash auf. Mitten in ihrer Einfahrt stand eines Tages ein verängstigter, verletzter und stark mitgenommener Esel. Rachel nahm sich seiner an, obwohl sie gerade selbst genug andere Sorgen hatte. Doch diese Entscheidung war eine der besten, die sie je getroffen hat. Das Glück hat lange Ohren erzählt die wahre Geschichte einer Familie mit Esel, die lernen musste, dem Leben und Gott neu zu vertrauen.
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Seitenzahl: 305
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Über die Autorin
Rachel Anne Ridge entdeckte eines Tages beim Bemalen von Weihnachtsgeschenken ihre Liebe zur Kunst und begann daraufhin mit Wandmalereien spontan eine neue berufliche Laufbahn. Als das kleine Unternehmen expandierte, schloss sich ihr auch Ehemann Tom an. Gemeinsam weiteten sie die Dienstleistung auf Raumgestaltung, Grafikdesign, Leitsysteme und kundenspezifisches Artwork aus. Rachel und Tom haben drei Kinder großgezogen und sich durch Verlust, Fehler und Erfolge hindurchmanövriert. Und sie haben einen streunenden Esel adoptiert, der vor ihrem Haus erschien und nie mehr fortging. Die beiden leben mit mittlerweile zwei Eseln in Texas.
Über ihren Esel
Flash liebt es herumzuschlendern, Karotten zu fressen, sich die langen Ohren kraulen zu lassen und laut zu schreien, wenn man es am wenigsten erwartet. Er ist mit dem Management seiner Scheune und Koppel beschäftigt.
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Für Tom, meinen besten Freund.Und für Lauren, Meghan und Grayson,meine größten Geschenke.
Inhalt
Vorwort
Prolog
1. Ein unerwarteter Gast
2. Namen und ihre Bedeutung
3. Der arktische Wind
4. Flash rennt mit Pferden
5. Eine Wiesenromanze
6. Unterwegs auf guten Pfaden
7. Eine Frage des Innern
8. Auf dem Trockenen
9. Scheunenmanagement
10. Veränderung liegt in der Luft
11. Beau
12. Ein besonderer Esel
13. Eine unerwartete Antwort
Bildteil
Vorwort
Gute Bücher sind wie gute Freunde. Schwer zu finden. Viele sehen anfangs vielversprechend aus, enttäuschen uns aber am Ende. Selbst wenn ein Buch von einer Person empfohlen wird, der man vertraut, kann man nie sicher sein, dass man das Gleiche mit dem Buch verbinden wird, dass man es am Ende genauso zu schätzen weiß.
Doch manchmal – häufig aus Gründen, die man nicht genau benennen kann – beschließt man, ein Buch zu öffnen und sich selbst diesem Buch zu öffnen. Und hin und wieder geschieht es, dass man überrascht und dankbar ist für die Wärme, die Freude, die Aufregung und den Genuss, den man in diesem Buch findet.
Ich hatte das Privileg, beides zu finden: gute Bücher und gute Freunde. Und ich kann es kaum erwarten, Ihnen einige davon vorzustellen.
Rachel trat vor mehr als zehn Jahren in mein Leben und schenkte mir eine dicke, beständige und florierende Freundschaft, die einen besseren Menschen aus mir machte. Nicht nur theoretisch, sondern spürbar und ganz praktisch. Sie lehrte mich, Schönheit, die in der Einfachheit verborgen liegt, zu suchen und zu entdecken und wundervolle Details zu erkennen, die andere Menschen versäumen, weil sie zu beschäftigt oder zu müde oder zu sehr von sich eingenommen sind.
Die kleinen Nuancen des Lebens sind Rachels Schätze. Ich habe beobachtet, wie sie das Alltägliche und die Routine, das Gewöhnliche und Schlichte nimmt und daraus Güte und Schwung herauskristallisiert, bis jedermann in ihrem Umfeld von Hoffnung und Liebe erfüllt ist. Sie restauriert, was andere wegwerfen würden, indem sie es in etwas Lohnendes und Unvergessliches verwandelt. Aus ihrer Sicht verbergen sich in allen Dingen endlos viele Möglichkeiten.
Vor zehn Jahren fuhr sie zu einem heruntergekommenen Farmhaus aus den 70er-Jahren, in dem sie aber das blühende Potenzial eines gemütlichen, liebevollen Heims für ihre Familie sah. Sie liebte das Haus und tat alles, damit es zu diesem Heim wurde.
Jahre später, als ihre zweite Tochter den Mann ihrer Träume traf, verwandelte Rachel ein von Unkraut überwuchertes und vernachlässigtes Stück Land in einen üppigen grünen Teppich, geradezu verschwenderisch von Blattwerk umgeben, um 250 Gäste zu empfangen und einen Gang zum Altar zu schaffen.
Und erst der Empfang! Eine alte, unförmige Scheune verwandelte sie dekorativ in ein Juwel mit Lüstern und eleganten, funkelnden weißen Lichtern, die zum Klang der Musik tanzten wie Pusteblumensamen, die in die abendliche Brise gepustet wurden.
So ist Rachel. Sie bringt überall dort ihre Herzensgüte hervor, wo keine zu sein scheint.
Und als Flash auftauchte – als er über ihre Zufahrt zockelte, verloren, verwirrt, verängstigt und hungrig –, schlenderte er geradewegs in die weit geöffneten Arme von Gnade. In die Arme von Rachel Ridge, die überall und in allem Schönheit sieht. Sogar in einem schmutzigen, hungrigen, ungewollten, obdachlosen Esel.
Und er fand bei ihr ein Zuhause.
Rachel und ihr Mann Tom suchten eine Zeit lang nach Flashs Eigentümer. Nun, wer würde ihnen das vorwerfen? Wer braucht schon einen Esel, den man bürsten und füttern und versorgen muss? Doch die Tage wurden zu Wochen und zu Monaten – und plötzlich waren Jahre vergangen. Flash war zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden. Und er verwandelte sich von einem ambitionierten Haustierprojekt zu einem wahren Geschenk. Zunächst für Rachel, anschließend für mich und ganz bestimmt auch für Sie als Leser.
Es stimmt wirklich: Flash ist ein Geschenk. Ich hätte nie gedacht, dass ich die Art von Frau bin, die mit einem Esel warm werden könnte, doch Flash hat mein Herz erobert – genau wie das Herz meiner drei Söhne, die vom ersten Tag an beschlossen, dass er ihr persönliches Haustier ist. Seine Neigung, ihnen auf dem Fuß zu folgen und sein weiches Maul in ihre Schultern zu bohren, damit er gerieben und gestreichelt wird, gehört zu besonders schönen Momenten, die sie mit ihm verbringen. Flash hält seinen Kopf dann so nahe an ihre Köpfe, dass sie zusammenstoßen. Sie lieben das. Sie lieben ihn. Wenn meine Jungs am Gatter auftauchen und seinen Namen rufen, kommt er sofort begeistert angetrabt. Er hat schon auf sie gewartet, nach ihnen Ausschau gehalten. Und sie haben auf ihn gewartet.
Wie sich herausstellte, haben wir alle auf ihn gewartet, ohne es zu wissen.
Denn Flash brachte Lektionen fürs Leben mit sich. Rachel erzählte mir, wie es ihm immer wieder gelang, durch das einzige Loch in dem Zaun zu entwischen. Oder sie erzählte mir von den Rindern auf den umliegenden Weiden, mit denen er sich angefreundet hatte. Oder von seiner Störrischkeit, wenn er sich weigerte, sich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen, egal, wie fest man ihn am Halfter zog. Oder über seine Beziehung zu Beau, dem Labrador der Familie, mit dem er sich erst nach einer langen Fehde anfreundete.
Mit jedem neuen Abenteuer bekamen wir eine neue Lektion erteilt; ein neues Juwel, das unser Leben bereicherte. Bilder und Einsichten, die jemand anderer als Rachel, der weniger beobachtend und interessiert ist, leicht hätte übersehen können. Doch Rachel sieht all den Glanz, der in den normalen, einfachen Dingen des Lebens verborgen ist. Sie erfasst Details und gräbt aufmerksam nach der Schönheit im Kleinen. Und sie motiviert andere, dasselbe zu tun.
Was im Übrigen den Kern eines gut geschriebenen Buches ausmacht.
Und genau das halten Sie in Händen.
Wir sind Tom und Rachel so dankbar dafür, dass sie eine Unterbrechung ihres Lebens in eine Chance verwandelt haben – als sie einem streunenden Esel ein neues Zuhause und einen neuen Namen gaben, ja, als sie Flash in ihr Leben aufnahmen. Denn als sie das taten, kam Flash auch in unser Leben.
Und nun lässt Rachel diesen Esel auch in Ihr Leben treten.
Jede Lektion, die Sie auf diesen Seiten finden, wird Sie lächeln lassen und zugleich etwas lehren. Und wenn Sie die letzte Seite dieses Buches umblättern, werden Sie überrascht feststellen, dass sie zwei Dinge in einem gefunden haben: ein gutes Buch über einen Esel namens Flash und in einem einfachen Mädchen vom Lande eine gute Freundin namens Rachel. Und sie werden beide nie wieder so ansehen wie zuvor.
Flashs Fan
Priscilla Shirer
Prolog
Unsere Idee schien solide oder zumindest romantisch zu sein. Mein Mann Tom und ich begannen, in den florierenden ersten Jahren des 21. Jahrhunderts in der Gegend von Dallas-Fort Worth ein kleines Unternehmen für dekorative Kunst und Wandmalerei aufzuziehen. Was sollte dabei schiefgehen? Villen im europäischen Stil schossen überall aus dem Boden, als die Wirtschaft boomte. Ein unstillbarer Durst nach dem Besten in Sachen Ausstattung und Dekor füllte unsere Auftragsbücher Monate im Voraus. All das in einer Zeit, in der für anspruchsvolle Kunden Meisterwerke der Innenausstattung kreiert wurden.
Nicht schlecht für ein Unternehmen, das als mein kleines Hobby begonnen hatte. Ich malte Vogelhäuser an und verkaufte sie in Geschäften bei uns im Ort. „Träume groß“ war mein persönliches Motto. Und es war mein Traum gewesen, genug Geld zu verdienen, um mein Haar regelmäßig mit Strähnchen aufhellen zu können, ohne jedes Mal das Familienbudget für Lebensmittel anzugreifen. Meine Güte, wie schrecklich teuer sind diese Strähnchen! Das war ungefähr so hochtrabend wie meine früheren Ziele. Ich kümmerte mich zu Hause um unsere drei Kinder und brauchte dieses kreative Ventil verzweifelt, während Tom viele Stunden in der Elektronikfertigung arbeitete.
Als ich Anfragen für größere und anspruchsvollere Malprojekte erhielt, wurde mein Hobby auf einmal mehr, als ich bewältigen konnte. Ich brauchte Hilfe, um es zu schaffen, und mein Mann war genau die richtige Person dafür. Tom liebte es, abends und an den Wochenenden mit mir Kunst zu kreieren, indem er mir seine Talente und seine Muskelkraft zur Verfügung stellte, denn mittlerweile arbeitete ich mit Staffeleien, und schweres Zubehör musste getragen werden. Toms Kreativität war in einer präzise funktionierenden Industrie gefangen, und im Stillen sehnte er sich danach, die Tretmühle seines Unternehmens zu verlassen und etwas mit seinem künstlerischen Talent anzufangen. Und als sein Job im Zuge des konjunkturellen Abschwungs gestrichen werden sollte, schien der perfekte Zeitpunkt gekommen zu sein, unseren Traum gemeinsam zu verwirklichen.
Es konnte nur göttliche Fügung sein, nicht wahr?
Es war der richtige Moment, um ein Abenteuer zu beginnen, auf das wir nicht vorbereitet waren. Wir würden improvisieren müssen.
Wir wollten schöne Dinge kreieren und malen und die Leute glücklich machen. Es war ein einfacher Traum. Und es funktionierte, jedenfalls größtenteils. Doch die konjunkturbedingte Situation des Immobilienmarktes stellte eine größere Herausforderung für uns dar, als wir angenommen hatten. Wir wussten, dass Phasen des Reichtums und Phasen des Mangels die Voraussetzungen für unternehmerischen Triumph sind. Doch das zu tun, was wir liebten, machte jeden Tag zu einem Abenteuer. Wir wachten morgens begeistert auf mit dem Gedanken, Kunst zu schaffen, die von den Leuten geschätzt wurde. Wir hatten unsere drei Kinder und unseren Hund und unseren Traum und wir sagten uns: „Das reicht uns.“
Mehrere Jahre lang war unser Leben genau so. Genug. Wir schwelgten in dieser Erfahrung. Doch dann setzten dunkle Vorahnungen ein, bis schließlich die Immobilienblase platzte. Unser Schwelgen wurde zu einem Taumeln.
Es ist eigenartig, wenn sich Erfolg plötzlich in Scheitern verwandelt. Das Leben sieht auf einmal völlig anders aus, wenn die Gedanken ständig um Fragen kreisen wie: Wie sollen wir die Rechnungen bezahlen? Wie können wir die kieferorthopädische Behandlung unserer Kinder bezahlen? Wie kann ich Reis und Bohnen bis zum nächsten Gehalt schmackhaft zubereiten? Und wäre es wirklich so schlimm, in einem Zelt zu leben? Ich vergaß, den Himmel und die Wolken und die Art und Weise wahrzunehmen, wie die Sonne auf dem roten Haar meiner Tochter glänzt, und ich begann zu sehen, dass jedes Auto ein glänzend neuer BMW ist und wie gut besucht die teuren Restaurants sind. Zunächst konnte ich es nicht glauben, dass unsere Freunde sorgenfreie Ferien in Mexiko verbrachten, doch da war der Beweis – Fotos auf Facebook, die zeigten, wie sie ihren Wohlstand genossen. Ich vergaß, mit dem Hund nach draußen zu gehen, obwohl es mir sehr gutgetan hätte, mich ein wenig zu bewegen, und ich aß Fastfood, weil es einfach war und weil es so kompliziert zu sein schien, gesundes Gemüse zu schälen und zu schneiden. Leichtfertigkeit und Spontaneität standen nicht mehr auf meinem Programm, nicht etwa, weil ich keine Zeit dafür gehabt hätte, sondern weil das Luxus ist, den sich reiche Leute leisten. Und ich wusste, dass der „kleine Wochenendausflug“ bedeutet hätte, dass ich nicht mehr genug Geld für das nächste Projekt haben würde.
Vor allem fragte ich mich, warum Gott uns fallen ließ, obwohl wir nichts anderes wollten, als das zu tun, wofür wir geschaffen sind. Ich spürte Risse in meiner Seele, die früher so unerschütterlich zu sein schien. Ich richtete meine Fragen an den Himmel, doch meine Gebete wurden immer schwächer, da sie offenbar nicht beantwortet und beachtet wurden.
Ich fühlte mich allein.
Scheitern fühlt sich wie ein nasser Wollmantel an einem Sommertag an, der das mit Rüschen besetzte Partykleid des Optimismus unter seinem Gewicht begräbt. Überleben, existieren und funktionieren schien das Beste zu sein, was ich tun konnte. Manchmal ist das sogar alles, was man tun kann. Man geht zur Arbeit, stellt das Essen auf den Tisch, hilft den Kindern bei den Hausarbeiten, man lächelt und spornt die Kinder beim Hockeyspiel an und nachts sucht man nach der Hand unter der Bettdecke. Man klammert sich an jeden schönen Moment, den man erleben darf. Doch neben all der Aktivität und Geschäftigkeit wusste ich, dass sich etwas ändern musste, sonst würden wir nicht überleben.
Genau zu diesem Zeitpunkt tauchte bei uns der Esel auf.
1.Ein unerwarteter Gast
Tom bremste scharf. Er brachte unseren zehn Jahre alten Ford Explorer abrupt auf dem Schotter zum Stehen. Der von den Reifen aufgewirbelte Staub flog an uns vorbei und um die Silhouette des Tieres herum, das vor uns im Scheinwerferlicht stand, ähnlich wie Kunstnebel während einer Bühnenshow.
Es war ein Esel. Mitten auf unserem Zufahrtsweg.
„Was um alles in der Welt …?“, murmelte mein Mann, während wir beide durch die Windschutzscheibe auf das Tier mit den riesig langen Ohren starrten. Es hielt im Kauen inne und schien genauso überrascht zu sein wie wir. Nur sechs Meter von unserer Stoßstange entfernt blinzelte es in das grelle Scheinwerferlicht. An den beiden Seiten seines Mauls stand Gras hervor und seine unübersehbar langen Ohren waren nach vorn gerichtet. Wir starrten es an, während es seinen Bissen herunterschluckte und zurückstarrte. Dann schwenkten die Ohren herum, es machte kehrt und lief Richtung Dunkelheit.
Ich drehte mich zu Tom, wobei meine Nylonjacke laut knisterte.
„Hey, das ist ein … das ist ein …“
„Esel“, beendete er den Satz für mich. Ich schloss meine Augen und öffnete sie rasch wieder, nur um ganz sicherzugehen. Ja, er war noch immer da. Und immer noch ein Esel. „Was um alles in der Welt tut ein Esel hier?“
Tom lehnte sich vor und spähte durch die Dunkelheit auf den plumpen Umriss, der sich nun außerhalb des Scheinwerferlichts ein weiteres Büschel Frühlingsgras schmecken ließ. Tom rieb sich das Kinn und versuchte, die Situation einzuschätzen. Er stellte die Automatikschaltung auf „Parken“ und kam zu einem Schluss, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte.
„Jemand wird ihn anfahren, wenn wir ihn nicht einfangen“, sagte er. Tom war bereits so müde, dass er die Worte kaum herausbekam. Die engen, gewundenen Straßen hier in dieser ländlichen Gegend von Texas, eine dunkle Märznacht, zu schnell fahrende Anwohner und ein herumstreunender Esel … ein Unfall war quasi vorprogrammiert. Und weder dieser noch das Einfangen eines Esels standen auf unserer Wunschliste am Ende dieses langen und anstrengenden Tages.
„Lass ihn einfach“, schlug ich vor. „Ich bin sicher, jemand sucht nach ihm und wird ihn nach Hause bringen.“ Ich schaute dem streunenden Esel zu, wie er seinen Kopf in ein weiteres Grasbüschel versenkte, das Gras herausriss und vor sich hin kaute. Dann wurde er vom Flutlicht unseres Nachbarn erleuchtet, und ich konnte sehen, dass er arg zerschrammt war. Vielleicht hatte er bereits einen Unfall gehabt. Vermutlich brauchte er unsere Hilfe, aber ich konnte an nichts anderes denken als an eine heiße Dusche und meinen Schlafanzug. Es war schon fast zehn Uhr abends und wir hatten unsere Kinder seit dem Frühstück nicht mehr gesehen. Wir waren erschöpft und wollten diesen schrecklichen Tag einfach nur hinter uns lassen.
Ich musste an den Morgen zurückdenken. Er hatte für Tom und mich im Badezimmer einer Kundin begonnen, die dort auf dem Boden vor der Toilette ihr Mieder und ihren BH hat liegen lassen. Die stramme Shapewear war uns ein peinliches Hindernis, das unsere „glamouröse“ Arbeit behinderte, während wir die Wände in eine italienische Landschaft verwandelten und uns in Richtung Toilette vorarbeiteten, um die wir herummalen mussten. Tom benutzte schließlich einen Pinsel, um die Unterwäsche aufzuspießen, hielt sie auf Armlänge von sich entfernt und sah wie ein Gentleman zur Seite, während er sie auf der Badewannenkante ablegte, sodass er das Meisterwerk an der Wand und rund um die Toilette fortsetzen konnte. Meine Güte, ist das heiß hier. Warum ist der Thermostat so hoch eingestellt? Und warum braucht Unterwäsche eigentlich so viel Spitzenverzierung?
Der Tag endete unter der Kuppeldecke der Eingangshalle unserer Kundin, wo wir auf Ausziehleitern balancierten und heftig ins Schwitzen kamen, während wir mit unseren Pinseln „nur ein paar zusätzliche Details“ anbrachten, um die die Kundin noch bei einer Arbeit gebeten hatte, die wir eigentlich bereits beendet hatten. Eine Forderung, die weit über unsere Vereinbarung hinausging. Und irgendwo zwischen diesen beiden Ereignissen ereilte uns die furchtbare Erkenntnis, dass dieser Auftrag wohl nicht für das Zahlen unserer Miete reichen würde.
Wir lebten zwar unseren Traum, doch er war zum Albtraum geworden.
Tom und ich sprachen nicht viel miteinander, als wir unsere Leitern und Malutensilien einsammelten und nach Hause aufbrachen. Unsere Kinder – die beiden, die noch unter unserem Dach lebten – hatten ohne uns zu Mittag gegessen. Getreideflocken. Wir hofften, dass sie nachmittags ohne unsere Aufsicht irgendetwas Konstruktives getan hatten. Sie hatten mir versichert, dass die Hausaufgaben erledigt würden, während ich sie mehrmals von meinem gefährlichen Platz auf der Leiter angerufen hatte, wobei ich mein Handy vorsichtig aus meiner rechten Hosentasche an mein linkes Ohr geführt hatte, ohne mein Gleichgewicht zu gefährden. Doch wie alle berufstätigen Eltern konnte ich nicht sicher sein, dass es stimmte, bevor ich nicht nach Hause kam und es mit eigenen Augen sah.
Grayson, unser zwölfjähriger Sohn, ließ sich leicht von einem kniffligen Lego-Projekt oder einem Modellflugzeug ablenken, zwei seiner Hobbys neben dem Eishockey. Meghan, die bereits die Oberstufe der Highschool besuchte, konnte einen ganzen Abend damit verbringen zu telefonieren, Musik für ihre Band zu schreiben oder ihr Outfit für den nächsten Tag herauszusuchen. Und unsere älteste Tochter Lauren war Erstsemesterstudentin für Grafikdesign an einer nahe gelegenen Universität und plante bereits ihre eigene Hochzeit mit ihrem Freund aus Highschool-Tagen. Zwischen den Aktivitäten unserer Kinder und unserer Arbeit vergingen die Tage meistens wie ein sich drehender Kreisel. Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein Seufzer entfuhr.
Ich presste meine Stirn an die kalte Scheibe des Beifahrerfensters im Wagen und ließ mich von der Müdigkeit übermannen. So hatte ich mir unser Abenteuer, das Verwirklichen unseres Traums, keineswegs vorgestellt. Wir waren an einer Stelle angelangt, von der weder Motivationsbücher noch Seminare etwas hatten verlauten lassen. Nämlich dort, wo man inmitten des Auslebens seiner Leidenschaft immer noch Geld für Essen und Miete braucht. Hinzu kamen die Kosten für den Kieferorthopäden und die Schulgebühren. Mit der Wirklichkeit des Lebens konfrontiert zu sein, kann einem das eigene Träumen gründlich vermiesen.
Während unserer Fahrt über die mit Schlaglöchern gespickten Straßen hatten Tom und ich uns in unsere jeweils eigene Welt stummer Niederlage und gegenseitiger Vorwürfe zurückgezogen. Wir brauchten beide eine heiße Dusche und eine anständige Mütze voll Schlaf, um am nächsten Morgen einigermaßen objektiv über unsere Situation nachdenken zu können. Doch als wir den Wagen auf unseren Zufahrtsweg lenkten, um die letzte staubige Viertelmeile nach Hause zurückzulegen, stand dort im Licht der Scheinwerfer jener Esel.
Wir sahen ihn noch einige Minuten an, dann schaltete Tom den Motor ab und öffnete die Fahrertür. „Es wird nicht lange dauern, Rachel“, rief er mir über die Schulter zurück zu. „Bleib einfach sitzen und wirf ein Auge auf ihn. Ich komme gleich mit einem Seil zurück, um ihn einzufangen. Wir werden ihn heute Nacht auf unsere Koppel lassen und morgen nach seinen Besitzern suchen. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass jemand verletzt wird, wenn er angefahren wird.“
Gehorsam blieb ich sitzen und beobachtete, wie der Esel gefräßig seine Grasmahlzeit fortsetzte. Was für ein unnützes Tier, dachte ich, aber irgendwie süß. Wie versprochen kam Tom schon bald mit einem Nylonseil zurück – und mit einem Eimer. Der Esel, obgleich argwöhnisch gegenüber diesem fremden Menschen, zeigte sofort Interesse am Inhalt des Eimers, den Tom so verlockend hin- und herschwenkte, und er kam näher, um ihn zu inspizieren. Bingo!
In dem Moment dachten wir etwas vermessen, „dass das einfach werden würde“.
Ein klassischer Anfängerfehler.
Einen streunenden Esel für Hafer zu interessieren, ist einfach. Ihm ein Seil umzuschlingen und ihn dazu zu bewegen, einem zu folgen, ist … etwas ganz anderes. Dennoch: Tom als robuster Naturbursche mit einer Schwäche für alles, was Hilfe benötigt, schien der Aufgabe trotz seines langen Arbeitstages gewachsen zu sein.
Vorsichtig näherte er sich dem nervösen Esel und schlang das Seil behutsam über dessen riesigen Kopf und Hals. Beruhigend redete er auf ihn ein und hielt den Daumen in die Höhe, als der Esel die ersten zögerlichen Schritte unternahm. Sieh an, es würde wirklich einfach sein!
„Bravo!“, rief ich mit erheitertem Gesicht und hielt meine Daumen demonstrativ in die Höhe. Doch plötzlich stoppten die kleinen Hufe und gruben sich in die Erde. Der kleine Kerl lehnte sich zurück und weigerte sich, auch nur einen weiteren Schritt zu machen.
Tom redete ihm gut zu und zog sanft am Seil. Der Esel scheute.
Tom gab ihm Haferhäppchen. Der Esel ging zwei Schritte weiter … yes! Dann fünf Schritte zur Seite … no! Tom zog. Doch der Esel zog heftiger in die andere Richtung. Offensichtlich funktionierte das nicht so, wie Tom gehofft hatte.
Tom forderte mich auf mitzuhelfen. Er gab mir das Seil und stellte sich hinter den Esel. Mit einem tiefen Atemzug wollte er ihn anschieben. Ich zog.
Nichts.
Tom presste seine Schulter an das Hinterteil des Tieres, stützte seine Füße ab und stemmte sich mit seinen Beinen gegen den Esel, während ich noch fester am Seil zog.
Doch der Esel bewegte sich keinen Zentimeter.
Wir stemmten unsere Hände in die Hüften und fingen an, eine Strategie zu entwerfen. Tom hatte eine glänzende Idee. „Lass uns die Plätze tauschen“, schlug er vor, aber ich hatte meine Zweifel.
„Ich hoffe, dass er keinen fahren lässt!“, sagte ich. Ich stellte mich also hinter den Esel und platzierte meine Turnschuhe so weit wie möglich von seinem Hinterteil entfernt, um etwaigen Stößen oder Furzen ausweichen zu können, während Tom das Seil am Kopf des Esels ergriff. Noch immer kein Vorankommen. Der Esel rührte sich nicht von der Stelle. Er sah uns einfach nur an durch seine schweren Lider, so als wollte er sagen: „Macht weiter. Es ist sehr unterhaltsam.“ Und er kaute den Hafer, als hätte er alle Zeit der Welt.
Zu unserer Verzweiflung führte all das Zureden, Ziehen, Schieben, Locken und Antreiben nur dazu, dass der Esel schließlich weiter von unserem Gatter entfernt war als zu Beginn.
Mittlerweile war es auch windig geworden, und die Zweige der Bäume schwankten in einem gespenstischen Tanz hin und her, der unseren langohrigen Eindringling wohl verängstigte. Er rannte plötzlich auf einen nahe gelegenen Garten zu und zog Tom mit sich, der neben ihm herrannte und sich verzweifelt an dem Seil festhielt. Eine Nachbarin kam im Bademantel heraus, um zu sehen, was da los war, und wir beide standen mit dem Rücken zum Wind und betrachteten das Katz-und-Maus-Spiel. Drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Ein Schritt vor, drei Schritte zur Seite. Liebkosend, schiebend, flehend, jagend. Du liebe Zeit, es war schwer, nicht zu lachen. Doch als ich sah, wie Tom seine Baseballkappe vom Kopf riss und voller Frust auf den Boden warf, unterdrückte ich mein Kichern. Sein kleiner Akt der Barmherzigkeit war zu einem Kampf zweier gegensätzlicher Willen geworden. Ich ging zu unserem Wagen zurück, holte einen Müsliriegel aus meiner Tasche und machte mich bereit, mir die Fortsetzung des Spektakels anzusehen.
Ich beobachtete, wie die beiden langsam den Asphaltweg entlanggingen und zu unserer langen Zufahrt zurückkehrten. Eine Gartenlampe beleuchtete ihre Körper von hinten, sodass sie wie dunkle Silhouetten aussahen, und ich musste laut lachen. Ich sah Toms dunkle Gestalt, die mit aller Kraft an dem Seil zog, bis sein Körper fast parallel zum Boden war. Und dann war da die dunkle Silhouette des Esels, dessen Vorderhufe sich sperrten, dessen Nacken nach vorn gezogen wurde und der trotzig mit dem Hinterteil die Erde berührte. Es sah wirklich aus wie auf einer alten Samtmalerei, die ich einmal gesehen hatte und die einen Jungen und einen störrischen Esel in genau derselben Pose abgebildet hatte. Hätte ich doch nur dieses Bild für diesen besonderen Augenblick gekauft!
Tom fand schließlich einen Rhythmus, der den Esel zum Kooperieren brachte, und beide bewegten sich die Auffahrt hinunter, die an einem Teich vorbei und durch einen Tunnel aus sich wiegenden Bäumen führte. Tom hatte einen Arm um den Nacken des Esels gelegt und sprach leise in eines der riesigen Ohren, wobei er sich gegen den Esel lehnte und ein Knie unter ihm hervorzog.
Als der Esel versuchte, sein Gleichgewicht zu halten, nutzte Tom seinen Vorteil und zog ihn ein paar weitere Schritte nach vorn. Stoßweise erreichte das Duo schließlich so die Koppel und Tom schloss das Gatter hinter dem spindeldürren Tier – ganze drei Stunden später!
„Geschafft!“, rief er. „Ich kann es kaum erwarten, ihn morgen wieder los zu sein. Das war eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens! Morgen früh werden wir als Erstes den Sheriff benachrichtigen.“
• • •
Am nächsten Morgen standen Tom und ich zusammen mit Meghan und Grayson auf der Koppelweide, um unseren unwillkommenen Gast im Tageslicht zu begutachten.
Er sah katastrophal aus!
Schlamm- und Schorfkrusten hatten sein zotteliges Winterfell in einen hässlichen, verfilzten Mantel verwandelt. Überall, vom Kopf bis zu den Hufen, waren frische Schnittwunden von Stacheldrahtzäunen zu sehen, sie nässten und bluteten. Kratzer zogen sich über seinen Kopf und seine Beine und eine etwa ein Zentimeter tiefe Wunde hatte sich in seine breite Brust gegraben. Diese Wunden mussten sofort versorgt werden, also reinigten wir sie und bestrichen sie mit Heilsalbe, während der Esel in unserer dreieckigen Scheune zitterte. Zwar sah es so aus, als würde er begreifen, dass wir ihm helfen wollten, doch er ließ nur kurze Berührungen zu, ehe er ihnen ungebärdig auswich. Sein Maul zitterte und sein Schwanz zuckte nervös hin und her. Wir bewegten uns ganz langsam wie in Zeitlupe und sprachen leise und beruhigend, während wir an ihm arbeiteten.
„Es ist in Ordnung, Esel. Alles ist gut“, versuchten wir ihn zu beruhigen. Was war ihm bloß zugestoßen, bevor er plötzlich hier auftauchte? Und wir fingen an, über seine Vergangenheit zu spekulieren.
Unter dem Schmutz befand sich helles, braungraues Fell mit einem weißen Maul, das so aussah, als sei es in einen Eimer Buttermilch getaucht worden. Ein dazu passendes Cremeweiß umrundete seine großen, braunen Augen und bedeckte seinen Unterleib. Die robusten Beine waren mit blassen Streifen verziert und das ganze Tier war nicht größer als 1,20 Meter. Eine dünne Mähne fiel über den breiten Hals, und sein Schwanz war – anders als bei einem Pferd – ein quastenartiges Gebilde aus Muskeln und Knochen mit langen Strähnen borstiger Haare, die auf halbem Weg nach unten fielen. Ein langer, dunkler Streifen unterhalb der Mitte seines Rückens zog sich von der Mähne bis zum Schwanz. Aus nächster Nähe waren seine Ohren nun noch länger, als ich sie vom Vorabend in Erinnerung hatte. Sie waren dick und beweglich und blieben nie lange in derselben Richtung stehen. Der karamellfarbene Flaum, der sie bedeckte, wurde an den Ecken von schwarzen Haaren und innen von einem Cremeweiß umrahmt. Seine glatten, schwarzen Augenlider gaben ihm irgendwie ein trauriges Aussehen, was aber möglicherweise daran lag, dass sein großer Kopf auf eine Weise herabhing, die ihm einen melancholischen Ausdruck verlieh.
„Oh, schaut mal!“ Grayson zeigte von seinem Hochsitz auf dem Zaun aus mit dem Finger auf den Esel. „Er hat ein Kreuz auf dem Rücken!“ Ein schokoladenbraunes Muster aus Haaren schmückte seine Schulter und überkreuzte klar sichtbar den dunklen Aalstrich auf seinem Rücken. Der Legende nach trägt jeder Esel an seinem Körper dieses Schulterkreuz als ein Symbol Christi zu Ehren dessen triumphalen Einmarsches in Jerusalem vor der Kreuzigung. Als wir nun zum ersten Mal diesen Esel aus der Nähe sahen, mussten wir unweigerlich an die biblische Geschichte denken. Unsere Augen verweilten auf dem Schulterkreuz und glitten anschließend über seine zahlreichen Wunden. Er war ziemlich übel zugerichtet.
Tom legte seinen Arm um Graysons Schultern, als wir durch das hohe Gras zum Haus zurückgingen, während Meghan in der Scheune blieb, um dem Esel noch etwas Gesellschaft zu leisten. Meghan war schon als Kleinkind verrückt nach Tieren gewesen und hatte einst sogar behauptet, mit ihnen reden zu können. Obwohl der Esel nun wesentlich größer war als die Hamster und Sittiche, mit denen sie zuvor kommuniziert hatte, schien er doch eine Freundin gut gebrauchen zu können.
Meghan saß auf einer Holzstufe in der Scheune nah bei dem scheuen Esel, das Kinn in die Hand gestützt, und hörte dem Gesang der Vögel in den Dachsparren zu, während sie den Esel beobachtete. Der Esel sah sie mit argwöhnischen Augen an und hielt Abstand, blieb jedoch in der Scheune, statt auf die Weide zu laufen. Nachdem ein paar Minuten vergangen waren, machte er einen zögerlichen Schritt auf das schlanke, rothaarige Mädchen zu. Dann blieb er stehen, so als müsste er nachdenken.
Dann noch einen Schritt. Ein bisschen näher.
„Alles in Ordnung, Kumpel“, murmelte Meghan. Sie drehte als stillen Wink eine Handfläche nach oben.
Noch ein Schritt.
Eine lange Minute verstrich. Zuckende lange Ohren. Heftiges Schnauben. Die zwitschernden Vögel nahmen nichts von dem langsamen Tanz unter sich wahr.
„Ich tu dir nicht weh.“
Näher.
„Du bist in Sicherheit.“
Noch ein wenig näher … bis die zaghaft tastenden Nüstern ihre Knie berührten.
„Alles in Ordnung.“
Er schnupperte ihren Geruch und hielt wieder inne. Seine langen Ohren richteten sich auf. Der Schwanz verscheuchte die Fliegen. Schließlich schloss der Esel die Augen, tat einen letzten Schritt und ließ seinen riesigen Kopf mit einem tiefen Schnauben in ihren Schoß sinken. Meghans Hand strich sanft über sein Gesicht und seine Ohren. Sie tätschelte seinen Hals und flüsterte ihm Dinge ins Ohr. Seine Unterlippe sank schlaff herab, als er sich zum ersten Mal seit seiner Ankunft entspannte. Der Esel und Meghan verweilten lange in dieser Position. Der Kopf des Esels lag auf ihren Beinen, während sie ihn streichelte und seine verfilzte Mähne sanft entwirrte.
Ich war in der Küche, als Meghan durch die Tür stürmte. „Oh Mama! Er ist so süß!“, rief sie, bevor sie mir die Momente in der Scheune beschrieb. Sie endete mit der atemlos hervorgebrachten Frage: „Können wir ihn behalten? Bitte!“
Ich rieb meine Hände an einem Handtuch trocken und sah in ihr bittendes Gesicht. Okay. Ich hätte wissen müssen, dass das kommen würde.Süß oder nicht, wir wissen, dass er irgendjemandem gehört. Sicherlich. Ich meine, wer würde schon einen Esel aussetzen? Seine Besitzer müssen nach ihm suchen.
„Meggie, du darfst dein Herz nicht zu sehr an ihn hängen. Du weißt, dass er nicht lange hierbleiben wird.“ Ich strich über ihre vor Enttäuschung gerunzelte Stirn und fuhr fort: „Er wird uns verlassen, sobald wir herausgefunden haben, wo er hingehört. Und ich will nicht, dass er dir dann das Herz bricht.“
„Aber wenn er niemandem gehört und sich niemand meldet?“, fragte sie. „Können wir ihn dann behalten?“
„Schatz, ich glaube nicht, dass wir für einen Esel geeignet sind. Wir haben keine Ahnung von Eseln. Und wir haben ganz sicher keine Verwendung für einen. Und übrigens überstürzt du die Dinge. Wir müssen tun, was wir können, um sein Zuhause zu finden, bevor wir irgendwelche Pläne schmieden können.“ Doch insgeheim hatte ich mir schon die gleiche Frage wie Meghan gestellt.
Im selben Moment hörten wir Lärm von draußen. Wir eilten hinaus, um zu sehen, was los war. Unser Labrador Retriever, Beau, wackelte mit dem ganzen Körper und bellte und winselte vor Aufregung. Ein neuer Freund! Er konnte seine Freude kaum zähmen. Der Esel, der die Scheune verlassen hatte und auf unser Haus zuschritt, sah überrascht hoch.
„Beau will ihn unbedingt begrüßen“, sagte Grayson, der um die Ecke kam und versuchte, Beau am Halsband zu fassen, um ihn etwas zu beruhigen. Doch der fast fünfzig Kilo schwere Hund hatte bereits seinen mächtigen Körper unter dem Gatter hindurchgeschoben und lief über die Weide auf den Esel zu, der vor Schreck wie gelähmt war. Beaus kräftiger Schwanz wedelte heftig, während er sich dem Esel mit schamloser Neugier näherte und ihn willkommen hieß.
Eine Sekunde lang hielt der Esel still, dann wirbelte er wie der Blitz herum und trat mit seinem linken Hinterhuf zu. Beau jaulte vor Schreck laut auf und schlitterte auf seinem Po nach hinten. Der Esel drehte sich um und senkte den Kopf, schwer atmend, während Beau aufstand und winselte. Die beiden umkreisten sich mit halb geschlossenen Augen. Der Esel mit flach angelegten Ohren, gesenktem Kopf und geweiteten Nüstern. Unser Hund mit nach vorn gelegten Ohren, gesträubtem Fell und zuckender Nase. Der Huftritt hatte Beaus Brust verfehlt, doch die Botschaft war klar: Bleib mir vom Leib. Zurückgewiesen kam unser Hund schließlich zum Gatter zurück und sah mit eingezogenem Schwanz über die Schulter nach dem Esel zurück. In seinen Augen sah man Verwirrung. Armer Beau! Er war nie zuvor in seinem Leben so deutlich abgelehnt worden!
„Beau muss lernen, es langsamer angehen zu lassen“, sagte ich, während wir ihn kraulten, um ihn zu trösten. Ich sah zum Esel, der noch immer heftig atmete und nervös war. „Beau hat den armen Kerl mit seiner Energie beinahe zu Tode erschreckt!“ Das war einfach zu viel für ihn und sicher auch viel zu früh gewesen.
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Nun wurden wir aktiv. Wir stellten Schilder auf, nahmen zu den Behörden Kontakt auf und wandten uns an die örtlichen Tierfutterverkaufsstellen. Wir suchten überall nach den Besitzern des Esels. Doch niemand schien einen Esel zu vermissen. Man hätte meinen können, er wäre vom Himmel gefallen – auf unseren Grund und Boden. Hervorgezaubert wie ein Kaninchen aus dem Hut.
Als der Bezirkssheriff bei uns vorbeischaute, erfuhren wir, dass unsere Situation keine Ausnahme war: Manche Leute setzen ihren Esel einfach an einer Landstraße aus, wenn sie sich nicht mehr um ihn kümmern wollen. Ein Esel kann dreißig bis vierzig Jahre alt werden! Dürreperioden bringen stets eine Anzahl streunender Tiere mit sich und wir befanden uns gerade in einer solchen. Viele Leute können es sich einfach nicht leisten, diese putzigen, jedoch viel Gras konsumierenden Tiere zu behalten, die mit Rindern um Grasland konkurrieren. Sie setzen dann die Esel einfach aus, ohne viel Aufhebens darum zu machen.
„Ja, Neues nutzt sich schnell ab“, erklärte der Sheriff. „Wir erleben hier viele solcher traurigen Geschichten.“ Er rückte seinen breitkrempigen Hut gerade und betrachtete den Esel. „Nun, dieser Kerl hier ist noch jung. Er ist noch kein ausgewachsener Hengst, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Er räusperte sich, während wir die Bedeutung von „ausgewachsener Hengst“ verdauten und unter den flachen Bauch des Esels spähten, um nachzusehen, was der Sheriff meinte. Ah, ja.
Der dicke Schnäuzer des Ordnungshüters zuckte, als er fortfuhr: „Es ist typisch, dass es sich um einen Hengst handelt, denn Eselstuten werden weniger häufig ausgesetzt. Sie eignen sich besser dafür, Kojoten von Kühen und Gänsen fernzuhalten, aber ein Hengst – nun, bei einer Auktion bekommt man noch nicht einmal fünf Dollar dafür. Niemand will sie haben. Im Grunde sind es nutzlose Tiere.“
„Aber was passiert mit ihnen, wenn bei der Auktion niemand zugreift?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort gar nicht hören wollte.
Er machte eine kleine Pause. „Dann versuchen wir, eine Tierschutzorganisation zu finden, die sie aufnimmt. Es gibt einige hier in der Gegend, die einen guten Ruf haben. Sie sind uns eine große Hilfe. Das Problem ist nur, dass sie zurzeit überfüllt sind, und es ist schwierig, einen neuen Streuner unterzubringen. Lassen Sie uns lieber nicht darüber nachdenken, was dann mit ihnen geschieht. Aber Tatsache ist, dass der Staat es sich nicht leisten kann, sie bis auf unbestimmte Zeit durchzufüttern.“
Die langen Ohren des Esels waren in unsere Richtung aufgestellt, so als ob er das Gespräch über sein Schicksal verfolgen würde.
Erschrocken von dem Geschilderten sah ich Tom Hilfe suchend an und schlug vor: „Wie wäre es, wenn wir ihn hierbehalten, bis seine Besitzer den Sheriff kontaktieren?“ Tom nickte zustimmend und der Sheriff strahlte.
„Klingt wunderbar. Wirklich wunderbar. Denn ich habe da noch drei andere Hengste in meiner Obhut …“ Er verstummte und hob sichtlich fragend die Augenbrauen.
Daraufhin bedankte sich Tom flugs für seine Zeit und sagte, dass wir uns auf seinen Anruf freuten. Wir verabschiedeten uns voneinander, ehe die ganze Rettungsaktion für uns völlig aus dem Ruder zu laufen drohte.
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Die Wochen vergingen und Lauren, unser ältester Rotschopf, kehrte vom College nach Hause zurück, um weitere Vorbereitungen für ihre Hochzeit mit Robert zu treffen. Das Ereignis würde in wenigen Monaten stattfinden und es gab noch einiges zu tun. Zu fünft fühlten wir uns wieder komplett, unsere kleine Familie, die sich gerade in einem rasant fließenden Flow von Arbeitsaufträgen und Anziehproben befand. Irgendwie schrammten wir an dem finanziellen Desaster vorbei, das sich noch in jener Nacht, als der Esel bei uns auftauchte, am Horizont abgezeichnet hatte. Es gelang uns, Dinge zu verhandeln, zu tauschen und die Hochzeitsvorbereitungen nach dem Motto „do it yourself