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Sehnen Sie sich nach einem tieferen Glauben? Nach einer engeren Gottesbeziehung? Nach mehr Erfüllung, Ruhe und Frieden mitten im Alltag? Dann nehmen Sie die Einladung von Rachel Anne Ridge an, gemeinsam mit ihrem Zwergesel Henry spazieren zu gehen. Sie werden staunen, was man alles von einem Begleiter mit flauschigen Ohren und borstiger Mähne lernen kann. Begleiten Sie die Autorin auf dem Weg zu einem unbefangenen Glauben. Es ist ein Weg, der den Blick weitet und Raum für Staunen lässt. Der Ihr geistliches Leben grundlegend verändern kann. Und der Sie daran erinnert, dass das Leben eine Reise voller Wunder ist ...
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Seitenzahl: 293
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Über die Autorin
Rachel Anne Ridge ist Autorin, Bloggerin, Künstlerin und darüber hinaus eine gefragte Rednerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Tom hat sie drei Kinder großgezogen, zwei Esel „adoptiert“ und sich durch Verlust, Fehler und Erfolge hindurchmanövriert. Sie ist dafür bekannt, Geschichten zu erzählen, die auf überraschende Art von Gottes Liebe sprechen. Gemeinsam mit Tom und ihren zwei Eseln lebt sie im US-Bundesstaat Texas.
Über ihre Esel
Henry ist ein kontaktfreudiger und (meist) entzückender kleiner Esel, der sich in seiner Freizeit am liebsten ausgiebig auf der Erde herumwälzt, sein Hinterteil an einem Zaunpfosten reibt und in der Sonne döst.
Flash liebt es herumzuschlendern, Karotten zu fressen, sich die langen Ohren kraulen zu lassen und laut zu schreien, wenn man es am wenigsten erwartet. Am glücklichsten ist er, wenn er Zeit mit seinem Kumpel Henry verbringen und dabei an seinen heiß geliebten gelben Wildblumen herumknabbern kann.
Besuchen Sie Rachels Blog auf www.homesanctuary.com.
Für Tom,meinen Weggefährten unddie Liebe meines Lebens.
Eine Einladung
Vorwort
1. Die Mittel der Gnade
Morgenlob, „Allgemeines Dankgebet“
2. Ich glaube
Allgemeine Gottesdienste, „Über das Glaubensbekenntnis“
3. Mir wird nichts mangeln
Psalm 23
4. Öffne unsere Augen
Allgemeine Anliegen, „Um Freude an Gottes Schöpfung“
5. Was wir unterlassen haben
Morgenlob, „Schuldbekenntnis“
6. Dieser neue Tag
Morgenlob, „Gebet um Gnade“
7. Das Volk seiner Weide
Morgenlob, „Venite: Psalm 95“
8. Führe uns nicht
Morgenlob, „Vaterunser“
9. Vergiftete Herzen
Gebete für die Welt, „Für Einheit unter den Menschen“
10. Heiteres Licht
Abendlob, „Heiteres Licht“ („Phos hilaron“)
11. Der Weg des Friedens
Benedictus – Lobgesang des Zacharias – Lukas 1
12. Bleibe bei uns
Abendlob (alternativ)
13. Ehre sei …
Morgenlob, „Gloria Patri“
Ihr Wegweiser für Gebetsspaziergänge
Anmerkungen
„Es ist gut, kleiner Esel“, flüsterte ich mit leiser, beruhigender Stimme. „Alles gut.“
Ich stand am Gatter der Weide mit einem kleinen blauen Halfter in der Hand und einem geflochtenen Führstrick um den Arm geschlungen. Der so lang herbeigesehnte Tag war endlich da, und mein Herz begann vor Freude zu flattern. Die Schnallen klirrten, als ich das Preisschild entfernte, das noch immer von dem Maulriemen aus Nylon herabbaumelte. Ich wusste, dass das Halfter, das eigentlich für ein Pony bestimmt war, meinem neuen Zwergesel nicht passen würde. Es war oben am Kopf zu eng und ums Maul herum zu lose, aber fürs Erste würde es gehen.
Die heutige Lektion würde kurz ausfallen. Der kleine Esel musste sich an mich gewöhnen und mit meiner Führung vertraut werden. Wir hatten Henry aus dem Tierheim geholt; einen ehemaligen Streuner mit einer unbekannten Vergangenheit, der offensichtlich verunsichert war. Ich tastete in meiner Jackentasche nach den Möhren, die ich als Leckerbissen mitgenommen hatte, und zog das Kettengelenk von dem rostigen Nagel, der aus dem Zaunpfosten ragte.
Übergroße Ohren schwenkten in meine Richtung, als er meinen vorsichtigen Annäherungen lauschte.
„Es ist gut, kleiner Esel“, wiederholte ich. Es klang inzwischen wie ein Singsang. „Alles gut.“ Während die Worte zwischen uns in der Luft hingen, wurde mir bewusst, wie sehr auch ich sie brauchte. Würde auch für mich alles gut werden?
Mein Herz sehnte sich nach Sicherheit.
So vieles war passiert, was zu diesem Tag geführt hatte – und zu diesem Esel. Ich schluckte mühsam und kämpfte gegen die Tränen, die unerwartet in meinen Augen brannten. Hinter meiner ruhigen Fassade verbarg sich ein Durcheinander von Gefühlen: Bedauern. Traurigkeit. Angst. Sorge. Zweifel. Und … ein winziges bisschen Hoffnung. Vielleicht würde dieser kleine schokoladenbraune Esel alles wieder in Ordnung bringen.
Eine große Aufgabe für so einen kleinen Kerl.
Als ich an jenem Morgen auf der Weide neben dem kleinen Tierheim-Esel kniete, konnte ich nicht ahnen, dass ich am Beginn einer Pilgerreise stand.
Nicht jeder kann im Rückblick einen besonderen Moment ausmachen, mit dem alles begann. Und noch seltener kommt es vor, dass man einen Esel als Wegbegleiter zur Seite gestellt bekommt. Doch ich würde mich mit Henry auf den Weg machen. Ich würde laufen, und ich würde zu beten versuchen.
Jedenfalls war das mein Ziel.
Diese Weide würde der perfekte Ort sein, um mich meinen Sorgen und den unerwarteten Glaubenskämpfen zu stellen, die mir seit einiger Zeit zu schaffen machten. Hier draußen auf dem offenen, von Fußpfaden durchzogenen Feld würde ich Raum zum Atmen und zum Loslassen der Ängste finden, die mein geistliches Leben lähmten.
Wenn man neben einem Esel herläuft, kann man keine entschlossenen, ehrgeizigen Schritte tun, sondern nimmt die eher demütige Gangart eines Menschen an, der dazu gezwungen ist, sich dem Tempo seines gemütlichen Gefährten anzupassen. Obwohl ich es in dem Moment noch nicht ahnen konnte, würde ich auf den Wegen, die vor mir lagen, eine völlig neue Dimension der Gegenwart Gottes entdecken, und zwar nicht nur in seiner Schöpfung, sondern auch in den zeitlosen Gebeten der Kirche – in den Stimmen der Gläubigen durch die Jahrhunderte hindurch.
In diesem Buch lade ich Sie dazu ein, mit mir gemeinsam zu laufen (oder zu schlendern oder zu stolpern). Glauben Sie mir, es ist ein langsamer Prozess, es wird Ihnen also nicht schwerfallen dranzubleiben. Es gibt jede Menge Zeit, auf dem Weg Pausen einzulegen, wenn Sie das möchten.
Wissen Sie, ich war immer davon ausgegangen, meine Probleme genau benennen und dann rasch lösen zu können. Ich versuchte, meine Zweifel mit sorgfältig ausgesuchten Bibelversen zu überwinden. Meine Bücherregale quollen von Büchern zum Thema „Einfache Schritte zu einem erfüllten Leben“ über. Ich nahm an Konferenzen und Einkehrtagen teil, hörte mir Predigten an und lauschte Motivationsrednern. Ich legte die Waffenrüstung Gottes an und bekämpfte den Feind. Ich füllte die Lücken in meinem geistlichen Leben mit Aktivitäten und produktiven Übungen aus, um mein inneres Wachstum als Christ zu fördern.
Doch trotz all dieser Geschäftigkeit spürte ich immer mehr, dass irgendetwas fehlte. Ich sehnte mich nach einem Gespür für das Heilige, nach einem unbefangenen Glauben, der für Geheimnisvolles und Staunen Raum lässt.
Ich musste etwas anderes versuchen. Ich wollte über Geschichten nachdenken und einen sicheren Ort finden, um Fragen über Gott zu stellen. Doch ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich keine Worte zum Beten mehr hatte. Vielleicht können mir aufgeschriebene Gebete helfen, dachte ich. Irgendwie gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich mich mit einem Esel und einem Gebetbuch in der Hand auf den Weg machen sollte. Im Passschritt, verbunden mit stiller Reflexion, würde ich das perfekte Gegenmittel zu meinem vollen Terminkalender und meinem von Sorgen erfüllten Dasein finden.
Ein Esel kümmert sich absolut nicht um menschliches Zeitmanagement, glauben Sie mir. Er schert sich nicht um die Meinungen anderer oder darum, was gerade in den sozialen Medien angesagt ist. Er interessiert sich auch nicht für Ihre Theologie. Stattdessen wird er Sie entwaffnen, Sie zum Lächeln bringen und Ihnen dabei helfen, die Tür für Fragen aufzustoßen und Raum für Gespräche zu finden. Mit einem Esel unterwegs zu sein, ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, die manchmal direkt zu den Seiten der Bibel und zu alten Traditionen des Gebets und der Reflexion führt.
Wenn Sie sich in einer ähnlichen Situation befinden wie ich, dann könnte dies ein guter Ausgangspunkt sein. Begleiten Sie mich auf dem Weg, auf dem wir lernen loszulassen, einen tieferen Glauben zu erlangen und einen Weg zum Heiligen zu finden. Es ist ein Weg, der uns daran erinnert, dass das Leben eine Reise ist, die man am besten mit einem Freund zurücklegt – einen Schritt nach dem anderen.
Flash brauchte einen Kumpel an seiner Seite.
Er war seit sieben Jahren bei mir und meinem Mann Tom zu Hause und in seiner typisch gleichmütigen Eselart hatte er sich nie ausdrücklich über sein einsames Dasein auf unserer Weide beschwert. Doch ich konnte an seiner Körperhaltung, seinem herabhängenden Kopf und dem Schlurfen seiner Hufe erkennen, dass er hier draußen und so ganz auf sich gestellt einsam war. Offenbar brauchte er einen Eselfreund.
Es würde nicht leicht werden, Tom von diesem Gedanken zu überzeugen. Meistens stimmte er meinen Ideen zu. Doch einen zweiten Esel anschaffen, um das Wohlbefinden des ersten Esels zu verbessern? Das dürfte selbst für ihn ein Stückchen zu weit gehen. In unserer mehr als dreißigjährigen Ehe hatten wir die Kunst des Verhandelns ständig verfeinert. Ich wusste, dass es mehrere zeitlich geschickt platzierte Gespräche erfordern würde, um die Richtung anzupeilen, bevor es dann richtig zur Sache ging. Sorgfältig überlegte ich, wie ich das Ganze angehen sollte.
„Schau mal, irgendwie sieht Flash traurig aus“, erwähnte ich beiläufig, während ich meinen Morgenkaffee schlürfte.
Schritt Nummer eins.
Tom blickte flüchtig durch das Fenster auf den großen zotteligen Esel, der nahe beim Gatter der Weide hinter unserem Garten stand. Mit dem warmen Frühling begann sein braungraues Fell Haare zu verlieren, sodass er besonders zerzaust aussah. Wie aufs Stichwort ließ er seinen Kopf hängen und schob die Unterlippe vor.
Brav, Flash.
„Nein, wir werden keinen zweiten Esel anschaffen.“ Tom nahm keine Rücksicht auf meinen sorgfältig ausgearbeiteten Plan und preschte direkt zur Ziellinie vor.
Mist! Er hat mich durchschaut. Schade, dass Lauren, Meghan und Grayson nicht hier sind.
Unsere drei Kinder hätten mich nach Kräften unterstützt, und wir hätten gemeinsam überzeugend für einen weiteren Esel argumentiert. Doch die drei waren erwachsen und aus dem Haus: Lauren und Meghan waren beide verheiratet, und Grayson war vor Kurzem ausgezogen, um zu studieren.
Als Flash damals in unserer Auffahrt aufgetaucht war, hatten wir unser Bestes gegeben, um Tom dazu zu bringen, den Streuner aufzunehmen, der offenbar von niemandem vermisst wurde. Letztendlich musste Tom gar nicht überzeugt werden, denn er war dem Charme des Esels selbst erlegen. Flashs flauschige Ohren, seine sanften braunen Augen und seine liebenswerte Art hatten uns die Entscheidung leicht gemacht, und wir hatten es nie bereut, ihn in unsere Familie aufgenommen zu haben.
Nun ja, vielleicht hatten wir einmal, höchstens zweimal leise Zweifel gehabt. Flash war nun mal neugierig und eigensinnig – und er wog rund zweihundertfünfzig Kilo. Es war einfach so, dass diese Eigenschaften ihn manchmal in Schwierigkeiten brachten.
Tom sah mich an und grinste. „Weißt du noch, wie Flash einmal in die Sattelkammer eingebrochen ist und einen ganzen Eimer Getreide verputzt hat? Er hat eine unglaubliche Schweinerei in der Scheune angerichtet, und es hat ihn überhaupt nicht interessiert, dass seine schlammigen Hufabdrücke als Beweise am Tatort zurückblieben.“
„Ich dachte damals, er würde bestimmt krank werden!“, erwiderte ich.
Heute konnte ich darüber lachen, aber als Flash kurz nach diesem Vorfall über einen Baumstumpf gestolpert war, hatte ich befürchtet, seine Schlemmerei hätte zu Futterrehe geführt, einer Krankheit, die zu Lähmungen und sogar zum Tod führen kann. Doch glücklicherweise hatte Flash offenbar einen sehr resistenten Magen – abgesehen von Blähungen war er gesund geblieben.
Im Grunde genommen war Flash zwar offiziell „mein“ Esel, doch Tom war derjenige, den er anhimmelte. Tom hatte anfangs viel Zeit mit Flash verbracht, um ihm dabei zu helfen, seine Angst vor Menschen zu überwinden und uns zu vertrauen. Tag für Tag, oft vier Stunden am Stück, hatte Tom neben Flash auf der Weide gesessen. Zwischen den beiden bestand ein ganz besonderes Band, das Toms vollem Terminkalender und Flashs Neigung, in Schwierigkeiten zu geraten, standhielt.
Doch ganz abgesehen von den Verhandlungstricks – ich machte mir wirklich Sorgen um Flash. Esel sind von Natur aus sehr gesellig. Ohne die Gesellschaft eines anderen Tieres, vorzugsweise eines Esels oder Pferdes, gedeihen sie nicht so, wie sie sollten. Sie können deprimiert werden (tatsächlich ein Begriff aus der Tiermedizin), ihren Appetit oder das Interesse an ihrer Umgebung verlieren und krank werden. Einsame Esel können gelangweilt sein, sich destruktiv verhalten und an Zäunen, Scheunen und allem Möglichen knabbern. Flash hatte begonnen, all diese Symptome zu zeigen.
„Wir müssen unbedingt darüber reden“, sagte ich. „Ich glaube, Flash vermisst noch immer –“
„Ja, es wird schlimmer mit ihm“, unterbrach mich Tom. Er wollte es mir nicht schwer machen. „Er kann einfach nicht widerstehen und versucht, meine Seile und Verlängerungskabel kaputt zu machen. Er stellt sich mit den Hufen darauf und zieht dann mit seinen Zähnen daran. Ich kann nichts mehr draußen liegen lassen.“
Er sah mich an und zwinkerte mir zu. „Vielleicht sollten wir uns von ihm trennen.“
Schwätzer. Ich kniff ihm in den Arm (er gab keinen Laut von sich) und begann, mich über Eselgefährten schlauzumachen.
• • •
„Ich glaube, ich habe einen Kumpel für Flash gefunden“, schrieb mir Doc Darlin in einer privaten Facebook-Nachricht. Er hieß eigentlich David C. Duncan, aber im Concho Valley in Westtexas war er als „Doc Darlin“ bekannt. Der Name passte zu ihm. Er war ein Eselhirte, der in einer Auffangstation für Esel in San Angelo, Texas, arbeitete, wo ich ihn ein Jahr zuvor kennengelernt hatte, als ich auf der Suche nach Informationen zur Eselhaltung auf diese Ranch gestoßen war. Es handelt sich dabei um den Hauptsitz der „Peaceful Valley Donkey Rescue“, der größten Organisation dieser Art in den Vereinigten Staaten, die sich um die Pflege, Erziehung und Vermittlung von Tausenden Eseln kümmert.
Als ich an jenem Tag mein Auto geparkt hatte, war Doc gerade auf der Weide mit einem zotteligen braunen Esel beschäftigt gewesen. Offenbar versuchte er, ihm beizubringen, am Führstrick zu gehen. Der Esel wollte davon nichts wissen. Seine Hufe waren in den Boden gestemmt, und sein Kopf hing herunter. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Doc ließ das Seil lockerer und beugte sich zu den Ohren des Esels. Er flüsterte ihm etwas zu, das ich nicht verstand. Der Esel hielt den Kopf hoch, schien einen Moment zu überlegen und ging dann wie von Doc verzaubert los. Ich war beeindruckt.
Mark, der Gründer der Organisation, stellte uns einander vor. „Doc ist unsere öffentliche Kontaktperson, Sie werden also in Zukunft mit ihm zu tun haben.“ Doc tippte kurz an die Krempe seines Cowboyhutes und lächelte unter seinem Schnurrbart. Ich mochte ihn sofort und begann, ihm Flashs Geschichte zu erzählen.
Doc war fasziniert davon, wie Flash scheinbar aus dem Nichts in mein Leben getreten war. Als ich ihm erzählte, unser Bezirkssheriff habe uns gesagt, Flash werde bei einer Versteigerung keine fünf Dollar erzielen, zog Doc eine Grimasse. Solche Geschichten hatte er schon Hunderte Male gehört.
„Flashs Abenteuer auf unserer kleinen Farm in Texas haben mich zu einem Buch inspiriert“, hatte ich schließlich erklärt.
„Na so was“, hatte Doc erfreut mit dem Kopf schüttelnd gesagt. „Das ist ja unglaublich!“
Nun starrte mich Docs Nachricht vom Computerbildschirm an. Es war die Antwort auf eine Anfrage, die ich einige Wochen zuvor an ihn geschickt hatte. In meiner E-Mail hatte ich ihn an Flash erinnert und erklärt, dass ich nach einem Gefährten für ihn suchte, vorzugsweise einen Zwergesel, der an andere Esel gewöhnt war. Ich brauchte einen Esel, der sich tagsüber mit Flash auf der Weide herumtreiben und ihn bei öffentlichen Events begleiten würde, damit er nicht zu nervös wäre. Zwar war Flash bisher noch nicht zu öffentlichen Events eingeladen worden, aber ich wollte mich auf diese Möglichkeit vorbereiten.
Den Hauptgrund, warum Flash einen Gefährten brauchte, verschwieg ich Doc allerdings. Ich konnte ihm nichts von Flashs Kummer – und von meinem eigenen – sagen, jedenfalls jetzt noch nicht.
Docs Nachricht ging so weiter: „Es ist ein Zwergesel, der mit einer Gruppe von zwanzig Streunern in Henderson County zusammengetrieben wurde. Der Sheriff hat ihn als ‚Nummer zehn‘ eingeloggt. Ich habe ein Foto beigefügt.“
Ein Blick auf den Streuner Henderson Nummer zehn mit dem süßen Babygesicht reichte: Ich war verloren. Er stand neben einem klassischen Esel und wirkte so winzig! Mit seiner Schulterhöhe von rund neunzig Zentimetern sah er klein genug aus, um in eine Reisetasche zu passen. Seine steife Mähne stand senkrecht in die Höhe, und seine dunklen Augen blickten direkt in mein Herz. Er war einfach perfekt!
Mit einigen weiteren Überredungsversuchen gelang es mir schließlich, Tom für die Sache zu erwärmen, und gemeinsam kümmerten wir uns darum, einen Pferdeanhänger vom Freund eines Freundes auszuborgen. Tom würde fahren; wir hofften, die zehnstündige Hin- und Rückfahrt an einem einzigen Tag zu bewältigen, und ohne ihn würde ich das nie schaffen. Der Anhänger war gigantisch – groß genug für zwei Zugpferde mitsamt Sattel- und Zaumzeug –, doch als der Tag kam, machten wir ihn an unserem Suburban mit einem Schulterzucken nach dem Motto „In der Not schmeckt jedes Brot“ fest.
Als wir in der Morgendämmerung über den Highway rumpelten, drehte ich den Kopf zu Tom und sagte: „Ich wünsche mir so sehr, dass dieser neue Esel ein guter Freund für Flash wird.“
Doch tatsächlich meinte ich: Ich wünsche mir, dass er alles in Ordnung bringt.
Tom nahm meine Hand und drückte sie. „Es wird alles gut. Du wirst sehen.“
1.Die Mittel der Gnade
Allmächtiger Gott, Vater aller Barmherzigkeit. Wir, Deine unwürdigen Diener, sagen Dir demütig und von Herzen Dank für all’ Deine Güte und Freundlichkeit, die Du uns und allen Menschen erwiesen hast. Wir preisen Dich für unsere Erschaffung, Erhaltung und alle Wohltaten dieses Lebens, aber vor allem für Deine unermessliche Liebe in der Erlösung der Welt durch unseren Herrn Jesus Christus, für die Mittel der Gnade und für die Hoffnung der Herrlichkeit. Und wir bitten Dich: Gib uns den rechten Sinn für all’ Deine Segnungen, damit unsere Herzen aufrichtig dankbar sind und wir Dein Lob nicht nur mit unseren Lippen, sondern auch durch unser Leben verkünden. Wir wollen uns in Deinen Dienst stellen und alle unsere Tage in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Dir leben. Durch Jesus Christus, unseren Herrn, dem mit Dir und dem Heiligen Geist alle Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit gebührt. Amen.
Morgenlob, „Allgemeines Dankgebet“, Das allgemeine Gebetbuch, Erster Teil
Wird unser neuer Esel sein neues Zuhause mögen? Der lange, nach Westen führende Highway lag flach vor uns, als wir die Hügellandschaft und die Bäume von Nordmitteltexas hinter uns ließen. Ich hatte jede Menge Zeit, mir die ersten Eindrücke unseres neuen Esels auszumalen. Ich hoffe, er mag uns!
Mit der aufgeregten Vorfreude eines künftigen Eselbesitzers hatte ich seinen Lebensraum sorgfältig vorbereitet: frisches Wasser in einem großen Kübel, von Ästen und Schmutz befreiter Unterstand und bereitgelegtes Heu, von dem er fressen konnte. Ich wusste, dass er nur die Scheune und die Weide sehen würde, doch in meiner nervösen Vorfreude hatte ich das ganze Haus und den Übergang zwischen den Gebäuden geputzt, nur für den Fall, dass er sich alles anschauen wollte. Man kann ja nie wissen …
Es war Samstag, der offizielle Tag für Erledigungen im Haushalt der Familie Ridge. Als ich den Betonboden auf dem Übergang zwischen den Gebäuden fegte, klickte ich mich mental durch die Aufgaben auf meiner To-do-Liste. Da nur noch Tom und ich im Haus waren, gab es weniger aufzuräumen und zu putzen, und es gab auch niemanden, den man für die draußen gelassenen Schuhe und den Abwasch im Spülbecken verantwortlich machen konnte. Nun ja, ein kleines bisschen von all dem war auf meine Wenigkeit zurückzuführen. Was soll ich sagen? Ich bin nur ein demütiges Werkzeug in den Händen des Herrn, um dem Ordnungsfanatiker, den ich geheiratet habe, Geduld beizubringen.
Ich stützte mein Kinn auf den Besenstiel und dachte an jenen denkwürdigen Haushaltstag vor einigen Jahren zurück, als Meghan und Grayson noch zu Hause wohnten. Ich hatte sie damit beauftragt, ihre zu Müllhalden verkommenen Zimmer aufzuräumen und zu putzen, während ich mich auf den Hauptwohnbereich konzentrierte. Toms Aufgabe an jenem Tag bestand darin, den Gurt des Fahrersitzes in unserem (damals) fünfzehn Jahre alten Ford Explorer auszuwechseln. Ich spürte, dass sein Geduldsfaden kurz vor dem Zerreißen war, als er ins Haus kam, um ein Glas Wasser zu trinken, und geradeheraus sagte: „Frag erst gar nicht, okay?“
Ich leistete dem Befehl Folge und arbeitete mich von Zimmer zu Zimmer weiter. Ich sah nach, wie weit die Kinder gekommen waren, und zeigte mit dem Finger erst auf Meghan und dann auf den Staubsauger, bevor ich Grayson einen Blick zuwarf, der ohne Worte sagte: Leg die Legos hin und mach dich an die Arbeit! Es ist mir schnurzegal, ob du gerade Hunger hast!
Plötzlich hörte ich ein Geräusch von draußen und sah auf: Tom schlug an die gläserne Schiebetür, die vom Durchgang zum Haus führte.
Ich traute meinen Augen nicht. Das Gesicht meines Mannes war deformiert und voller Blut!
Lieber Gott, man hat auf ihn geschossen! Oh Herr!
Meine Gedanken rasten in tausend Richtungen, aber mein Körper war wie festgefroren. Ich wusste, dass Tom jeden Moment umfallen konnte, allein wegen des Blutverlusts.
Ich begann, zu weinen und zu beten und nach meinem Telefon zu suchen, damit ich den Notruf wählen konnte. Der Schuss musste aus nächster Nähe mit einer Schrotflinte abgegeben worden sein.
Wie kommt es, dass er immer noch aufrecht steht?
Und dann hörte ich …
„Es ist F-F-FARRBE! Ich habe aus Versehen eine rote Spraydose angestochen, und sie ist auf dem Rücksitz explodiert. Ich kann nichts sehen! Die Farbe ist in meiner Nase und in meinem Hals und überall im Wagen!“
Kein Blut – nur Farbe.
Wir machten uns eilig an die Arbeit. Während Tom sich mit dem Schlauch abspritzte und mühsam versuchte, die Farbe abzuwaschen, griffen Meghan, Grayson und ich nach Gummihandschuhen und Farbverdünner. Wir zerrissen alte Handtücher zu Putzlappen und begannen, so schnell wie möglich den Wagen abzuwaschen. Die Rückbank, der Fußboden, die Lehnen der Vordersitze und die Decke waren tiefrot, während die Türen und Fenster von innen mit Spritzern der rasch trocknenden Lackfarbe übersät waren.
Wir waren wie ein Ermittlerteam an einem grauenvollen Tatort, das stundenlang in der brütenden Hitze schuftete, ohne ein Wort zu sagen, abgesehen von der hin und wieder geflüsterten Bitte: „Gib mir mal den Lackverdünner.“
Schließlich fragte Meghan: „Passieren solche Sachen eigentlich auch anderen Leuten?“
Da saßen wir – verschwitzt, schmierig, mit roter Farbe bedeckt und mit sich an den Fingerspitzen abschälenden Gummihandschuhen – und fühlten uns wie die Überlebenden der Französischen Revolution in Les Misérables. Du liebe Zeit! Wir waren wirklich ein mitleiderregender Anblick.
Die Frage hing in der dampferfüllten Luft – bis wir zu lachen begannen …
Als wir uns wieder beruhigt hatten, versicherte ich: „Oh nein, mein Schatz! Solche Dinge passieren nur uns.“
Und wir brachen wieder in hysterisches Gelächter aus.
Genau in dem Moment, als wir uns in unserem Elend allein fühlten, entzündete sich dieser Lichtfunken.
Ich brauchte ihn so sehr.
Wie oft habe ich mich in besonders anstrengenden Umständen allein gefühlt? Sicherlich gibt es außer mir niemanden, der in einem fünfzehn Jahre alten Wagen mit einem kaputten Gurt fahren muss. Niemand sonst muss explodierte Lackfarbe entfernen. Niemand sonst hat sich durch Versagen und Verlust kämpfen müssen wie ich. Niemand sonst hat irgendetwas von dem erlebt, was ich durchmache …
Manchmal frage ich mich einfach: Bin ich die Einzige?
Denn genauso fühlt es sich an.
Und gerade dann, wenn ich am wenigstens damit rechne, bricht ein kleiner Lichtstrahl durch die Dunkelheit und bietet einen flüchtigen Blick auf die Güte. Vielleicht eine kleine Erinnerung daran, dass ich nie wirklich allein bin.
Gnade ist da.
Und wenn Gnade da ist, dann ist auch Gott da.
Doc kam auf uns zu, als wir mit dem Wagen anhielten, und wies Tom an, den Anhänger auf einen Platz neben einem der Außengebäude zu fahren. Wir kletterten aus dem Wagen und streckten unsere Beine nach der langen Fahrt aus, wobei wir die Szene um uns herum betrachteten. Esel jeder Form, Farbe und Größe schlenderten in Gehegen und auf trockenen Weiden umher. Große Esel, kleine Esel, Esel mit Fohlen, alte Esel. Mehr als tausend Esel gleichzeitig auf einem Raum zu sehen, ist beinahe unfassbar. Es ist laut, staubig und ausgesprochen überwältigend.
Ich musste sofort an Abraham und seine Schaf- und Gänseherden denken, an seine Rinder und Esel, die in der Bibel genannt werden. Hat sein Nomadenreich tatsächlich so ausgesehen?
Und dann schossen mir lauter Fragen durch den Kopf: Woher bekamen sie Wasser? Was fraßen sie? Wie haben Abrahams Gehilfen dafür gesorgt, dass die Tiere nicht weglaufen? Was machten sie mit all dem Kot? Was für ein gigantisches Unternehmen!
„Hallo!“ Doc schüttelte uns die Hände und stellte sich Tom vor. Er trug einen Cowboyhut mit einer zerknautschten Krempe, ein rotes Halstuch und abgenutzte Westernstiefel und sah aus, als wäre er geradewegs einem Geschichtsbuch entstiegen. Wir waren keineswegs erstaunt zu hören, dass er manchmal an historischen Nachstellungen der Ära des neunzehnten Jahrhunderts mitwirkte. Er war wie gemacht für die Rolle eines Soldaten im Amerikanischen Bürgerkrieg oder eines Cowboys aus dem Wilden Westen.
„Ich weiß, dass Sie darauf gespannt sind, Ihren neuen Esel kennenzulernen, also lassen Sie uns direkt zu ihm gehen“, sagte Doc mit einem Lächeln. „Ich werde Ihnen etwas Zeit geben, miteinander Bekanntschaft zu machen, und dann gehen wir ins Büro und füllen die Formulare aus.“
Wir gingen um die Ecke, und da stand er: Henderson Nummer zehn. Er war frisch gebürstet und herausgeputzt, mit einem Führstrick gehalftert und fraß heißhungrig Grasbüschel auf der Weide. Ich streckte ihm meine Hände hin, damit er daran schnuppern konnte, während mir eine ehrenamtliche Mitarbeiterin namens Margaret, die seinen Führstrick in der Hand hielt, das wenige berichtete, was die Organisation über den kleinen Esel wusste.
„Wir wissen nur, dass er gefunden wurde, als er mit ein paar anderen Eseln in Henderson County herumstreunte. Er war der einzige Zwergesel der Gruppe, was bedeutet, dass er sich zu behaupten weiß. Wir glauben nicht, dass er viel Erziehung erfahren hat, aber er hat eine einnehmende Persönlichkeit und fürchtet sich nicht vor Menschen“, sagte sie, während sie seine Ohren kraulte. Margaret sah wie ein echter Tierfreund aus, und es war offensichtlich, dass sie diesen kleinen Kerl besonders mochte.
Der Esel ignorierte meine ausgestreckten Hände, um weiter Gras zu fressen, und ich kniete mich neben ihn und begann, seinen Nacken zu streicheln. Sein dunkles Sommerfell war weich und glänzend und hatte ein dunkleres „Kreuz“ auf den Schultern. Seine stämmigen Beine wiesen unterhalb der Knie blasse Streifen auf, und sein Schweif scheuchte ohne großen Erfolg die Fliegen fort. Seine weichen Ohren standen in verschiedene Richtungen ab, woran ich erkennen konnte, dass er, obwohl er scheinbar ganz auf seine Mahlzeit konzentriert war, gleichzeitig auch meiner Stimme und Präsenz Aufmerksamkeit schenkte. Sein Maul hatte einen warmen Grauton und passte gut zu den hellen Kreisen um seine Augen. Kurz gesagt: Er war bezaubernd.
Und ich war ganz und gar verzaubert!
Nun ließ sich Doc vernehmen: „Wir gehen davon aus, dass er sieben oder acht Jahre alt ist. Er hat ein sehr angenehmes Temperament. Da er daran gewöhnt war, in einer Herde zu leben, wird er keinerlei Schwierigkeiten haben, sich mit Flash anzufreunden. Er wird es sehr wahrscheinlich genießen, nur einen einzigen Freund zu haben.“
„Was ist mit seinem Bauch?“, fragte Tom.
„Ja, er ist ziemlich rund“, lachte Doc. „Aber das ist ganz normal. Zwergesel haben nicht viel Platz für ihre Organe und den Magen, deshalb sehen sie ein bisschen dick aus.“
Moment mal, Sie sprechen über meinen Esel! Ich war schon fast in der Defensive.
Doc fuhr fort: „Da wir wussten, dass er möglicherweise bei Events von vielen Leuten umgeben sein wird, haben wir ihn letztes Wochenende in einer Parade mitlaufen lassen. Er war fantastisch! Er lief einfach mit und schien genau zu wissen, was er zu tun hatte. Er hat nicht gescheut oder Schwierigkeiten gemacht.“
Meine Brust schwoll vor Stolz an. Mein Esel ist in einer Parade mitgelaufen, und er hat nicht gescheut!
Und nicht nur das: Henderson Nummer zehn sprang wie ein Profi in den Pferdeanhänger, nachdem der Papierkram erledigt war und wir aufbrechen konnten. Der Esel sah in dem riesigen Teil lächerlich klein aus. Die weichen Spitzen seiner braunen Ohren reichten gerade mal an das untere Ende der Anhängerfenster. Tom schloss die Tür und verriegelte sie.
„Noch eine kleine Warnung“, sagte Doc. „Wenn Esel nervös werden, können sie heftigen Durchfall bekommen. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn das passiert. Er hat schon alles Mögliche durchgemacht, und er muss sich an viel Neues gewöhnen, allem voran an Flash.“
Er klopfte ein paarmal auf den Anhänger und lächelte. „Und jetzt viel Glück!“
Gnade.
In diesem Augenblick nahm die Gnade die Gestalt eines bezaubernden Zwergesels in einem großen, alten Pferdeanhänger an, der in der Abenddämmerung Texas durchquerte. Es erschien mir eine gute Gelegenheit, einige Scherben aufzulesen und neu zu beginnen.
Ein Künstler, den ich bewundere, hat einmal gesagt:
„Ich habe festgestellt, dass durch Versagen, Leid und Enttäuschung etwas geweckt wird. Es ist ein Ort des Lernens und potenzieller Kreativität. In solchen Momenten kann man sich in Verzweiflung und Leugnen verlieren oder aber man kann das Versagen anerkennen und die Hoffnung auf etwas Neues umarmen.“1
Ich habe die Gnade Tausende Male in meinem Leben erfahren, und ich habe sie tausend weitere Male übersehen. Das liegt vielleicht daran, dass sich die Gnade selten mit lautem Trara zeigt. Doch in gewisser Weise ist sie immer da.
Nach allem, was wir durchgemacht hatten, um schließlich Henderson Nummer zehn zu uns zu holen, hatte ich Hoffnung, dass sich die Gnade wieder zeigen würde.
Ich lehnte mich im Beifahrersitz zurück und legte mir das Kissen auf meinem Schoß zurecht. (Ja, ich habe ein Kissen auf dem Schoß, damit ich meine Arme während der Fahrt darauf ruhen lassen kann. Machen das nicht alle so?) Während wir unserem langen Schatten auf dem Highway nach Hause folgten, holte ich ein kleines rotes Notizbuch hervor und blätterte zu den ersten Seiten. Dort hatte ich ein Gebet aufgeschrieben, das ich auswendig lernen wollte – bis heute ist das „Allgemeine Dankgebet“ mein Lieblingsgebet, vielleicht weil es mich an diese lange Heimfahrt mit unserem kleinen Beifahrer im Anhänger erinnert und tiefe Dankbarkeit in mir weckt.
Ich verweilte bei den folgenden Worten und ließ sie in meiner Seele nachklingen:
… aber vor allem für Deine unermessliche Liebe in der Erlösung der Welt durch unseren Herrn Jesus Christus, für die Mittel der Gnade und für die Hoffnung der Herrlichkeit.
Die Mittel der Gnade.
Unser kleiner Esel, den wir aus einer Menge von rund tausend Eseln herausgeholt hatten, war auf dem Weg zu einem guten Zuhause. Er war für eine besondere Aufgabe ausgesucht worden. Er war handverlesen worden, um Teil unseres Lebens und ein Freund für Flash zu werden. Ich denke, das kann man als eine Art Gnade bezeichnen.
Ich musste wieder an Abraham denken. In seiner großen Herde gab es einen speziellen Esel, den er für seinen persönlichen Gebrauch ausgewählt hatte. Kräftig, trittsicher und tüchtig, wie er war, hatte dieser Esel keine Ahnung, dass er einmal Teil eines der wichtigsten prophetischen Ereignisse in der biblischen Geschichte sein würde.
Ich sah die Szene genau vor mir: Eines Morgens stand Abraham auf und sattelte den Esel für eine Dreitagesreise zum Berg Moria. Er nahm seinen Sohn Isaak und zwei Knechte mit. Außerdem hatte er ein wenig Holz dabei, um Gott ein Brandopfer darzubringen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Abraham Isaak auf seinen Esel setzte (es war üblich, dass Frauen und Kinder auf Eseln ritten, während die Männer zu Fuß gingen) und ihn auf dem langen Weg führte.
In der ersten Nacht kampierten sie unter einem Himmel voll funkelnder Sterne, ebenjene Sterne, die einst dem damals Abram genannten Mann solche Hoffnung gegeben hatten. Abraham hielt die Augen krampfhaft geschlossen und versuchte, seine Erinnerung an Gottes Verheißung, dass seine Nachkommen so zahlreich wir die Sterne sein würden,2 auszublenden. Während er auf seinem provisorischen Bett lag, hörte er Isaak im Schlaf sprechen und den Esel im Busch rascheln. Nur noch zwei Tage bis zum Berg Moria, dachte er.
Ob Abraham sich wohl fragte, ob Gott, den er zu kennen glaubte, seine Meinung bezüglich seiner Verheißung geändert hatte? Es war vermutlich eine schlaflose Nacht. Soweit Abraham sehen konnte, hatte er keine andere Wahl, als Gottes Befehl zu gehorchen und seinen Sohn zu opfern.
Vielleicht lief Abrahams Esel bereitwillig in der kleinen Reisekarawane mit: Abraham, der Esel, der Isaak trug, ein Diener, der das Holz trug, ein weiterer Diener, der den Proviant trug … sie alle trotteten durch die Wildnis.
Aber ich kenne Esel: Es muss einfach ein paar Momente gegeben haben, in denen er bockte.
Sich widersetzte.
Die ganze Prozession aufhielt.
Ich sehe es im Geiste vor mir: eine Pattsituation zwischen Tier und Mensch. Doch statt sich über den widerborstigen Esel zu ärgern, streichelte Abraham dem Lasttier über den Kopf. Er kraulte seine Ohren. Abrahams Schritte waren vor Kummer schwer, und er genoss jeden weiteren Augenblick, den er mit seinem Sohn Isaak geschenkt bekam. Der Vater konnte warten. Er konnte dem Esel die Möglichkeit geben, seine Gedanken zu sammeln und sich zu entscheiden, wann er sich wieder bewegen wollte.
Genau das passiert, wenn man mit einem Esel unterwegs ist: Man rechnet damit, hin und wieder stehen zu bleiben.
An den meisten Tagen, so stelle ich mir vor, war Abraham ungeduldig mit seinem störrischen Esel.
Doch während dieser drei Tage genoss er jede Pause.
Er betrachtete seinen Sohn, diesen wundervollen Jungen, wie er da auf dem Rücken des Esels seines Vaters saß. Vielleicht trauerte Abraham innerlich darüber, dass Isaak nie seinen eigenen Esel haben würde – einen speziellen Esel, den Abraham bereits für ihn ausgesucht hatte. Dieser Esel hier war nur ein ausgeborgter Esel für den über alles geliebten Sohn auf dem Weg zum Opferaltar. Es würde keinen anderen Esel geben.
Abrahams Geschichte hätte tragisch geendet, doch dann geschah etwas: Gnade kam ins Spiel!
Gnade ist die unerwartete Wendung in dieser Geschichte, und sie ist die unerwartete Wendung in jeder Geschichte! Der überraschende Ausgang, auf den wir kaum zu hoffen wagten.
Im letzten Augenblick schritt Gott ein und beendete den Albtraum. Gott stellte für das Opfer einen Widder bereit, dessen Hörner sich im Gestrüpp verfangen hatten. Isaak, Abrahams Augapfel, wurde verschont – und später eine Quelle des Segens für die ganze Welt.
Es war ein dramatischer Augenblick, an den sich die Nachkommen Abrahams über Tausende Jahre hinweg erinnern sollten: So ist unser Gott.
Unser Gott ist voller Überraschungen.
Unser Gott ist gnädig.
Unser Gott segnet.
Unser Gott kümmert sich.
Unser Gott sorgt für uns.
Jahwe-Jireh.
Es war Zeit für eine Pause. Tom fuhr vom Highway ab und parkte vor einem Fast-Food-Restaurant. Wir waren hungrig und wollten außerdem nachsehen, wie es unserem kleinen Passagier ging. Der Anblick von zotteligen, emporragenden Ohren und der Klang kleiner Hufe im Anhänger weckten die Aufmerksamkeit einiger Leute, die näher kamen, um zu sehen, was darin war.
Eine Frau stellte sich auf die Stoßstange des Anhängers und spähte ins Innere. „Oh, ein kleiner Esel!“, rief sie begeistert aus. Die braunen Augen von Henderson Nummer zehn starrten sie an, seine Ohren waren nach vorn gestellt. „Wie süß er ist!“
Dann wandte sie sich zu mir um. „Esel machen mich immer so fröhlich“, sagte sie. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich das heute brauchte.“ Sie drückte meine Hand und ging ohne ein weiteres Wort fort.
Mehr war auch nicht nötig. Ich verstand sie.
Gerade wenn man denkt, man ist am Ende, zeigt sich die Gnade in ihrer ganzen unerwarteten Herrlichkeit.
Manchmal bringt die Gnade einen Augenblick der Freude mitten in der Verzweiflung.
Manchmal verfangen sich die Hörner der Gnade im Gestrüpp, gerade im richtigen Moment.
Und manchmal hat die Gnade zottelige Ohren, eine borstige Mähne und schenkt dir neue Hoffnung.
2.Ich glaube
Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist;
die heilige, allgemeine/katholische Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Amen.