Das Glück wächst im Garten - Bruder Felix Weckenmann - E-Book

Das Glück wächst im Garten E-Book

Bruder Felix Weckenmann

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Beschreibung

Bruder Felix hat sein Glück im Garten gefunden. Seine Betrachtungen über das Wachsen, Blühen, Reifen – Werden und Vergehen des Lebens halten uns vor Augen, worum es im Leben wirklich geht und dass wir unser Glück im Einfachen, Ursprünglichen finden können. Seit 38 Jahren ist Bruder Felix Gärtner im Kloster Beuron im Donautal. Als junger Schüler kam er das erste Mal auf einem Ausflug hierher und dachte beim Anblick des Klostergartens direkt: "Dort will ich einmal arbeiten".  Im Winter steht er am Fenster und wartet darauf, dass der Frühling kommt und das Tal neu zu Blühen beginnt. Bruder Felix sät, hegt und erntet, jahraus, jahrein: Gemüse, Kräuter und Blumen. Er ist ein zupackender Mensch und legt doch eine große Feinfühligkeit an den Tag, wenn er sich um die jungen Pflänzchen müht, die im rauen Donautal ihre Wurzeln ins Erdreich strecken. Aus Artischocken macht Felix Creme, aus Ringelblüten Salbe. Von früh bis spät ist er auf den Beinen, gräbt den Acker um, sammelt Blütenblätter, setzt alkoholische Lösungen an. Der Destillierbrenner wird mit Holz beheizt, sorgsam gilt es Temperatur und Füllstand im Blick zu behalten. Zuletzt füllt Bruder Felix per Hand die Flaschen mit Obstbrand. Wer aus den reifen Früchten von Äpfeln, Quitten und Kirschen edle Brände machen möchte, braucht Zeit, Geduld und Liebe zur Sache. Felix hat sie. Und seine Betrachtungen über Wachsen, Blühen, Reifen - Werden und Vergehen des Lebens sind lesenswert. Da ist einer am Werke, der den Dingen auf den Grund geht. Kleidung und Schuhe, Essen und Trinken und ein warmes Bett bekommt er im Kloster. Die Tageszeitengebete gliedern den Tag. Einmal im Jahr macht Bruder Felix eine Woche Urlaub in der kleinen Klause eines befreundeten Klosters im Rheingau. "Der Abt gibt mir dann 100,- Euro mit, damit ich mir etwas zu Essen und zu Trinken kaufen kann. Staunend stehe ich im Supermarkt vor den Regalen und weiß nicht, was ich nehmen soll. Aber ich merke dann: Das alles brauche ich eigentlich gar nicht. Ich bin glücklich mit dem, was ich habe."

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Seitenzahl: 194

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Bruder Felix Weckenmann OSB / Christoph Fasel

Das Glück wächst im Garten

Es braucht nicht viel, um gut zu leben

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Bruder Felix hat sein Glück im Garten gefunden. Seit 38 Jahren ist er Gärtner im Kloster Beuron im Donautal. Bruder Felix sät, hegt und erntet, jahraus, jahrein: Gemüse, Kräuter und Blumen. Aus Artischocken macht Bruder Felix Kräuterwein, aus Ringelblume Hautcreme, aus Früchten Obstdestillate. Wer aus reifen Früchten von Äpfeln, Quitten und Kornelkirschen edle Brände machen möchte, braucht Zeit, Geduld und Liebe zur Sache. Felix hat sie. Und seine Betrachtungen über das Wachsen, Blühen, Reifen – Werden und Vergehen des Lebens halten uns vor Augen, worum es im Leben wirklich geht und dass wir unser Glück im Einfachen, Ursprünglichen finden können.

Inhaltsübersicht

Januar * Warten

Februar * Schätze sammeln

März * Eisblumen

April * Tod und Auferstehung

Mai * Jubilate!

Juni * Neue Horizonte

Juli * Refugium

August * Gedanken in der Sommerhitze

September * Zeit der Reife

Oktober * Goldene Tage

November * Wasser und Licht

Dezember * Erwartung und Erfüllung

Nachklang

Januar * Warten

 

© Br. Felix Weckenmann

 

Ein Mann steht am Sprossenfenster der Klosterbibliothek. Sein Blick streift die schneebedeckten Dächer von Kloster Beuron und bleibt an vereisten Bäumen und Sträuchern hängen. Der Winter lässt die Natur erstarren, nur die Donau fließt unermüdlich, verliert sich in kleinen Flussarmen und trägt Eis und Treibholz flussabwärts. Sie ist in diesem Abschnitt des Tals, an dem sie die südwestliche Schwäbische Alb durchbricht, noch ein recht schmaler Fluss, keine acht Stunden alt, einer Quelle im Schwarzwald entsprungen. Die Erosion hat auf beiden Seiten des Tals Felswände aus Kalkstein freigelegt, teilweise sind sie nahezu senkrecht und über hundert Meter hoch.

Es ist der 6. Januar, das Fest der Heiligen Drei Könige. Der Mann am Fenster trägt den schwarzen Habit der Benediktiner. In seinem ersten, weltlichen Leben hieß er Ewald Weckenmann. Seinen Ordensnamen lebt und atmet er: Bruder Felix – der Glückliche.

*

Schwer hängt der Schneehimmel über dem Donautal, Wolken schieben sich zwischen die Kalkfelsen und senken sich über das Ufer. Es ist ein eiskalter Tag, das Thermometer zeigt minus 12 Grad. Kleine Nebelschwaden lösen sich aus dem Fluss und wabern über die Wasseroberfläche. Die Natur schläft, und ich wache.

Ich wache über die Pflanzenanzucht in den Gewächshäusern, achte auf die Temperaturen und reguliere die Heizung. Frost würden die Keimlinge nicht überstehen.

Vor einigen Tagen hatte es stundenlang geschneit, und ich sorgte mich um die Glasdächer. Ein Kubikmeter Neuschnee wiegt bis zu zweihundert Kilogramm, irgendwann wird es vielleicht zu schwer für die Dachkonstruktion der Gewächshäuser. Br. Markus und ich schoben den Schnee hinunter. Trotz der schweren Arbeit musste ich dabei lächeln. Eine Kindheitserinnerung stieg in mir auf: Als kleiner Junge schippte ich zusammen mit meinen Brüdern Schnee vom Elternhaus und der Werkstatt meines Vaters in meinem Heimatort Dormettingen.

Knapp vierzig Kilometer sind es von dort bis nach Beuron. Kurvenreich führt die Straße über die Zollernalb und durch das Bäratal bis auf die Höhe über dem ehrwürdigen Kloster – und dann steil bergab ins Tal.

Fünf Jahrzehnte liegen zwischen diesen Bildern, und dennoch fühlt es sich nah an.

*

Die Bäume im Oberen Donautal krallen sich mit ihren Wurzeln in das Erdreich und jede Spalte. An den Hängen rings um das Kloster wachsen Ahorn, Buche, Eiche, Esche, Fichte, Hainbuche, Kiefer, Lärche, Linde, Ulme, Weißtanne und Wildkirsche.

Das Tal ist ein Ort der Mythen und Geschichten. Die Namen der Felsformationen spiegelten die Vorstellungskraft der Menschen wider: Eichfelsen, Knopfmacherfelsen oder Bischofsfelsen. Majestätisch erheben sich Säulen und Kalkplatten über dem Donauufer. Die schroffen Felsen zwingen die Donau, sich durch die Landschaft zu schlängeln. Schon vor über 900 Jahren gründeten Augustiner-Chorherren ihr erstes Kloster im Talkessel. 1863 kamen die Benediktiner und bauten das inzwischen verlassene Kloster wieder auf. Das Anwesen liegt in einer Flussschleife. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden hier knapp zwei Dutzend Gebäude: die ehrwürdige Klosterkirche und die prächtig ausgestattete Gnadenkapelle, die Klausur der Mönche und die große Bibliothek, der Klerikatsbau, in dem früher die Theologiestudenten wohnten, und das Refektorium, in dem die Gemeinschaft zum Essen zusammenkommt. Dazu der Gastflügel und die Wirtschaftsbetriebe des Klosters – der Kunstverlag, die Buchhandlung und die Gärtnerei. In einem eigenen Gebäude ist die Mosterei untergebracht. Nach Westen erstrecken sich der Klostergarten sowie die Obstwiesen, und die Felder grenzen an das Flussufer. Im Garten liegt das Bienenhaus im Winterschlaf, es leuchtet mit seinen farbigen Klappen. In der kalten Jahreszeit ziehen sich dieBienen allmählich zwischen Flugloch und Futtervorräten zu einer Wintertraube zusammen. Wenn es den außen sitzenden Bienen zu kühl wird, drängen sie nach innen, und andere übernehmen ihre Rolle. DieBienen sind im Winter langsamer unterwegs, aber doch ständig in Bewegung. Sie tauschen die Plätze, zehren den Futtervorrat auf und warten darauf, wieder ausschwärmen zu können. Im Februar ist für sie die Zeit der Ruhe vorbei.

Die Tallage des Klosters strahlt durchaus Geborgenheit aus. Aber wenn die Sonne nicht durch den feuchtkalten Winternebel dringt, wirken die langen Schatten der großen Steinformationen ringsum durchaus bedrohlich. Jetzt beißt sich in den Felsen die Kälte fest.

 

Schon als Novize faszinierten mich die Felsriesen. Immer noch kraxele ich mit meiner Kamera durch den steilen Wald, um sie zu besuchen – auch im Winter, bei Nebel, Schnee oder Eis. In meinen wenigen freien Stunden suche ich den besonderen Moment, warte auf ihn und fange ihn mit der Kamera ein. Licht und Jahreszeit schaffen ihre jeweils eigene Atmosphäre. Selbst vertraute Orte offenbaren immer wieder neu Vielfalt und Schönheit.

Der Januar ist für mich als Gärtner die Zeit des Innehaltens und der Bestandsaufnahme. Wie lief es im letzten Jahr? Was ist gelungen? Welche Mengen konnten wir ernten und verarbeiten? Ich sitze an meinem Schreibtisch über Notizen und Tabellen und rechne die unterschiedlichen Posten zusammen. Hinter den Zahlenreihen verbergen sich viele Stunden, Tage und Wochen, die ich im Garten verbracht habe. Körbe voller Artischocken und Ringelblumen, Säcke voller Kartoffeln, Steigen voller Gemüse, Tomaten, Gurken, Salat und Kräuter.

Konnten wir durch den Verkauf von Likören, Cremes, Tees, Destillaten, Essig und manchem mehr genug Geld erwirtschaften, um einen Beitrag zu leisten, das riesige Kloster weiterhin zu unterhalten? Oder haben wir etwas versäumt?

 

Es gilt bei allem Wirtschaften immer auch mit den vorhandenen Ressourcen, auch mit den eigenen Kräften, zu haushalten. Wir sind im Garten nur zwei Brüder – Br. Markus und ich. Und wir sind auch nicht mehr die Jüngsten. Mit Eberhard Maier und Edgar Schömbucher, unseren zwei Angestellten, die jeweils halbtags arbeiten, und Br. Wendelin im Obstbau können wir einiges bewegen. Aber wir müssen auch aufpassen, uns nicht zu übernehmen.

Letztendlich geht es um Harmonie – die richtige Balance zwischen Arbeit und Ruhe, Herausforderungen und Routine – denn die Seele muss bei allem mitkommen.

Es gilt, die eigenen und die fremden Ansprüche mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Zu klären, was nötig und wichtig ist – und was eben nicht. Eine wesentliche Frage bei der Betrachtung der Sinnhaftigkeit allen Tuns lautet: Wozu bin ich hier? Und was kann, was muss ich leisten? Wir leben in einer Zeit, die sehr dynamisch ist. Da braucht es innere Stabilität.

 

© Br. Felix Weckenmann

 

Ich schaue zurück und gleichzeitig nach vorn: Was wollen wir im neuen Jahr anders und vielleicht besser machen? Gibt es etwas, was wir noch nicht ausprobiert haben? Will ich mich vielleicht noch einmal an etwas ganz Neues wagen?

Vor drei Jahrzehnten versuchte ich es mit dem Anbau von Artischocken. Meine Mitbrüder schüttelten nur den Kopf, als ich das mediterrane Gemüse im eisigen Donautal anbaute. Ihre Bedenken waren berechtigt, aber der Versuch glückte. Aus den Blättern der Artischocken stellen wir ein weinhaltiges Getränk her und verkaufen dieses im Klosterladen und anderswo.

Seit der Antike ist die Artischocke als Heilpflanze bekannt. Artischockenblätter enthalten Polyphenole und Flavonoide, die den Cholesterinspiegel senken und den Fettstoffwechsel anregen. Ihre Bitterstoffe helfen auch bei Magen-Darm-Beschwerden.

Auch Lavendel, Beinwell, Kamille und Ringelblume wachsen bei uns im Tal. Aus ihnen stelle ich alkoholische Auszüge her, die dann für unsere kosmetischen Cremes verwendet werden.

Auf den Anbau exotischer Früchte wie Ananas werde ich mich nicht einlassen. Kein vernünftiger Gärtner im Donautal würde das tun. Wir bauen im Klostergarten nur Pflanzen an, die sich bei uns wohlfühlen und gut wachsen und gedeihen können.

 

Früher war es im Winter oft besonders hart für uns Gärtner, weil das Gewächshaus noch mit einem großen Ofen beheizt wurde, der nicht ausgehen durfte. Mehrmals am Tag und auch spätabends war es notwendig, Koks und Holz nachzulegen. Doch diese Zeit ist zum Glück vorbei. Irgendwann hat der alte Ofen seinen Geist aufgegeben. Und mit dem Bau eines neuen Gewächshauses kam auch eine neue, moderne Heizungsanlage. Aber auch heute gilt es, das Ganze im Auge zu behalten. Denn jede Technik versagt irgendwann. Und dann muss man gegensteuern.

Ich kämpfe mich durch das Schneetreiben bis zum Eingang des Gewächshauses. Momentan säe ich hier nur Feldsalat, Rucola und Petersilie aus. Diese Pflanzen brauchen nicht meine ständige, intensive Fürsorge. Daher ist für mich jetzt auch die Zeit reif dafür, längere Pausen zu machen, um Kraft für neue Aufgaben zu sammeln.

*

Der Wechsel zwischen Arbeit und Gebet, Aktion und Ruhe, Reden und Stille bestimmt den Tagesablauf im Kloster Beuron. Wie in allen Benediktinerklöstern prägt auch bei uns der Geist der Regula Benedicti, der Ordensregel, die Benedikt von Nursia vor mehr als 1400 Jahren verfasst hat, das gemeinschaftliche Leben im Konvent.

Jeder von uns Mönchen im Donautal versucht seinen eigenen Weg der Gottsuche zu gehen, seine Begabungen einzubringen und mit seinem Leben dem einen Ziel der Benediktsregel zu entsprechen: dass in allem Gott verherrlicht werde. Zur Klostergemeinschaft, die vom Erzabt geleitet wird, gehören derzeit 17 Brüder, das heißt Mönche ohne Priesterweihe, und 16 Patres.

Jeden Tag weckt uns um 4:40 Uhr  die Hausglocke zum Morgenlob. 20 Minuten später ziehen wir in den Chor ein und beginnen den Tag mit der Bitte: Herr, öffne meine Lippen, damit ich deinen Ruhm verkünde! Wir singen die alten, überlieferten Psalmen, hören Texte aus der Heiligen Schrift und aus der kirchlichen Tradition. Und wir schweigen, um auch in der Stille die Erfahrung von Gottes Gegenwart zu machen.

An die einstündige Morgenhore schließt sich eine Zeit der persönlichen Stille und Textbetrachtung an. In dieser Zeit steht im Refektorium auch schon das Frühstück bereit. Wir essen im Schweigen. Um halb acht kommen wir zur Terz – dem Gebet zur dritten Stunde – wieder im Chor zusammen. Danach begibt sich jeder an seinen Arbeitsplatz. Um 8 Uhr treffe ich mich mit Br. Markus und unseren beiden Angestellten, vorher streife ich mir meine grüne Arbeitskleidung über. Gemeinsam gehen wir, nachdem wir kurz besprochen haben, was an diesem Tag zu tun ist, ans Werk.

 

Um Viertel vor elf unterbrechen wir Mönche unsere Arbeit, sammeln uns im Kreuzgang und ziehen dann zur feierlichen Konventmesse in die Klosterkirche ein. Der gregorianische Choral gibt dem Gottesdienst ein besonderes Gepräge. Gemeinsam feiern wir auf diese Weise täglich die Gegenwart Gottes in der Eucharistie.

An die Mittagshore, die wir um Viertel nach zwölf wieder im Chor beten und singen, schließt sich das gemeinsame Mittagessen im Refektorium an. Während des Essens, das wir wieder im Schweigen einnehmen, gibt es eine Tischlesung aus der Heiligen Schrift, der Regel des heiligen Benedikt, dem Heiligenkalender, aber auch aus anderen Büchern: Biografien, Reiseberichte, Geschichtliches, Wissenswertes aus Kirche und Gesellschaft wechseln einander ab. Den Tischdienst und auch das Vorlesen übernehmen abwechselnd verschiedene Brüder.

Von 13 bis 14 Uhr ist Mittagsruhe. Danach kehrt jeder Mönch an seinen Arbeitsplatz zurück. Wir arbeiten bis etwa Viertel vor sechs, dann kommen wir aus allen Richtungen wieder im Kreuzgang zusammen, bevor wir zur Vesper, dem auf Lateinisch gesungenen Abendlob, in das Chorgestühl der Kirche ziehen.

 

© Br. Felix Weckenmann

 

Dank sagen für alles, was uns an diesem Tag zuteilwurde oder was wir recht vollbracht haben, wie es der heilige Basilius formuliert – darum geht es.

*

Auch beim Abendessen im Refektorium wird vorgelesen. Anschließend sind alle zum Austausch über den Tag eingeladen, wir nennen diese Zeit »Rekreation«. Im Sommer treffen wir uns dazu im Garten, bei schlechtem Wetter und in der kühleren Jahreszeit in einem gemütlich eingerichteten Raum im Kloster. Jeder kann erzählen, was er heute erlebt hat. Fünf Minuten vor acht ruft die Glocke zum Nachtgebet, der Komplet. Damit klingt der Tag aus. Wir legen den Tag zurück in Gottes Hand und bitten um Schutz für die Nacht. Dann heißt es Silentium – still gehen wir in unsere Klosterzellen. Dies ist eine sehr schöne Zeit für mich. Ich kann nachdenken oder mich mit meinen Fotografien beschäftigen.

Manchmal lese ich noch einen Moment und schlafe oft dabei ein.

*

Das Leben im Kloster ist einfach und anspruchsvoll zugleich. Auch nach 38 Jahren in Beuron bleibe ich als Mönch ein Suchender. Zeiten der Stille und der geistlichen Auseinandersetzung, ganz persönlich und im gemeinsamen Gottesdienst, wechseln mit der alltäglichen Arbeit ab. Ora et labora – bete und arbeite. Ich folge meiner Berufung, die ich heute noch genauso empfinde wie damals, als ich mich für das Klosterleben entschieden habe. Unsere Gemeinschaft ist inzwischen leider, wie fast alle Benediktinerkonvente in Deutschland, überaltert. Ich gehöre mit meinen 60 Jahren noch zu den jüngeren Brüdern. Im Schnitt nehmen wir derzeit nur jedes dritte oder vierte Jahr einen Novizen in unsere Gemeinschaft auf, wenn überhaupt. Und natürlich bleibt nicht jeder dabei. Auch von den Älteren sind schon welche ausgetreten.

 

© Br. Felix Weckenmann

 

Manchmal denke ich, wir müssen als Klostergemeinschaft einfach noch eine Weile überwintern, auf bessere Zeiten warten. Früher war es anders, das Kloster kennt durchaus lange Zeiten der Blüte. Nachdem die Benediktiner vor fast 160 Jahren die Abtei wiederbesiedelten, begann ein unheimliches Wachstum. Zeitweise lebten fast 300 Mönche in der Erzabtei St. Martin, dem Stammkloster der Beuroner Kongregation, zu der 18 Klöster gehören. Es waren so viele Mitbrüder hier, dass das Kloster mehrfach erweitert werden musste – und man schickte Brüder und Patres aus, um andere Orte zu besiedeln. Heute sind wir noch 33 Mönche im Kloster Beuron.

*

»Ist das still hier«, sagen manche Besucher, die als Gast über Nacht bei uns bleiben.

Neben der Feier des Stundengebets gehört die Aufnahme von Gästen zu den wichtigsten Aufgaben der Benediktiner. Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus, heißt es dazu in der Benediktsregel. Und das versuchen wir zu leben. Jede und jeden mit einem Lächeln zu begrüßen.

Außerdem arbeiten wir als Brüder und Patres in den verschiedenen Bereichen und Werkstätten der Erzabtei; beispielsweise an der Klosterpforte, im Gästehaus, im Verlag, dem Archiv, der Schreinerei, Buchbinderei oder Elektrowerkstatt, im Garten, der Obstplantage, dem Mostkeller oder der Imkerei. Jeder Einzelne trägt auf seine Weise zum Leben der Gemeinschaft bei.

Aber weil es in Beuron immer weniger Mönche sind, die sich die Arbeit aufteilen, die getan werden muss, wird es nicht einfacher, angesichts der Fülle von Aufgaben persönlich die Ruhe zu bewahren. Den Wandel auszuhalten. Das Schwinden der Kräfte und die immer neuen Herausforderungen des Alltags in einem Kloster, das für viele Außenstehende aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Von manchem Vertrauten gilt es Abschied zu nehmen, weil wir dafür nicht mehr ausreichend personelle oder finanzielle Substanz haben. Das klingt nach Verlust.

Doch ich wage eine andere Sichtweise: Wenn unser Konvent Häuser und Grundstücke verkaufen muss, ist das nicht nur negativ. Im Gegenteil: Es ist eine Chance, Last loszuwerden.

 

Ich glaube an die Gnade der Veränderung. An die Kraft des Neuanfangs aus alten Wurzeln. Einen Weidenbaum oder einen Buchsbaum kann man sehr stark beschneiden, und doch wird er wieder neu austreiben und wachsen.

Der Wandel gehört zum Leben dazu. Das Blühen, Wachsen und Vergehen sind ein ewiger Kreislauf und ein Ringen. Der Garten zeigt mir die Vergänglichkeit, überall spiegelt sie sich wider, im Welken der Blumen, im Verdorren alter Triebe. Und an anderen Stellen blüht es neu auf. Es sind die Gegensätze, die Spannung erzeugen und uns wissen lassen, dass wir lebendig sind. Das Paradies, in dem uns alles ohne Mühe zufällt und miteinander im Einklang steht, bleibt ein Sehnsuchtsort – ein Ort, auf den wir uns erst im Jenseits freuen dürfen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob dann, wenn wir meinen, angekommen zu sein, nicht doch irgendetwas stört. Wir Menschen suchen oft den Fehler, auch wenn eigentlich alles perfekt zu sein scheint. Das Einzige, was wir endlos ertragen können, ist vermutlich die vollkommene und wahre Liebe Gottes. Das Leben im Diesseits wird immer bruchstückhaft bleiben.

*

Als Benediktinermönch habe ich mich an einen Ort gebunden – das Kloster Beuron. Unsere Ordnung, auf die ich mich verpflichtet habe, spricht von der »stabilitas loci«. Es geht um Beständigkeit. Damit ist nicht nur der geografische Ort gemeint, sondern auch die innere Einstellung – das Bei-etwas-bleiben-Wollen.

Zu wissen, wohin man gehört, das erleichtert vieles. Ich muss mir keine Gedanken machen, wo und wie ich leben könnte. Ob ich Arbeit habe, was ich verdiene. Ich arbeite viel und bekomme keinen Lohn. Essen, Trinken, Kleidung, Schuhe, etwas zu lesen – das habe ich. Dafür bin ich dankbar. Was braucht es mehr? Das meiste, an dem ich mich erfreue, bekomme ich geschenkt. Einfach so.

In der Natur unterwegs zu sein, das macht mich glücklich. Und ich nehme die Stille des Winters gerne an: Die klirrende Kälte, das Knacken der Äste unter der Schneehaube, die sich auf die Bäume legt, die klare Luft, der eisige Wind, der durch das Tal fegt – all das mahnt zur Demut und zum Respekt. Ich staune über die Schönheit der Eiskristalle am Fenster, die feinen Schlieren auf dem gefrorenen Wasser, das sich in den steinernen Becken der Gartenbrunnen sammelt.

Jeder Tag ist ein Neubeginn der Schöpfung. Selbst meine Schritte klingen auf dem Schnee oder gefrorenen Boden anders.

Mein Gang wirkt heute früh gedämpft, meine Schritte lassen die Eisdecke unter den Füßen knistern. Ich hinterlasse Spuren im Schnee auf dem Weg zum Fluss. Der Wind treibt die Schneeflocken vor mir her und verwischt die Fährten der Tiere, die vor mir auf den gefrorenen Wiesen unterwegs waren.

 

Der Wechsel der Jahreszeiten lehrt mich auch, gnädig zu sein gegenüber mir, anderen Menschen und gegenüber Umständen, die mir nicht gefallen. Die Widrigkeiten gehören zum Leben dazu – das Raue, Harte, Unerbittliche ebenso wie die Schönheit und das Glück. Sanfte Momente voller Freude, die daherkommen wie ein Windhauch im Frühling, der nach Blüte riecht.

Ich denke an den herrlichen Geschmack einer Scheibe frischen Brotes, den würzigen Duft eines Kräutertees, den morgendlichen Gesang in der Klosterkirche und den Lichtschein, der auf die Bankreihe vor mir fällt. An ein strahlendes Lächeln, das Gefühl, jetzt und hier genau an der richtigen Stelle zu sein.

Die Schattenseiten gilt es anzunehmen: Spannungen in der Gemeinschaft, über die man nicht gern redet. Ungelöste, verschleppte Konflikte, die vor sich hin schwelen. Auch das ist Klosteralltag. »Es menschelt halt überall …« Und es braucht Geduld und Barmherzigkeit mit Blick auf den anderen.

Wenn einer mit dem ihm anvertrauten Material schlampig umgeht, wenn Werkzeuge nicht richtig gereinigt werden und deshalb rosten – dann regt mich das auf. Oder wenn etwas verdirbt, beispielsweise gutes Obst oder Gemüse, weil ich mich selbst nicht sorgfältig genug darum gekümmert habe.

Auch der Garten braucht Pflege, Zuwendung und Geduld. Es gilt wachsam zu sein, selbst kleinste Veränderungen wahrzunehmen und immer wieder anzupacken. Aber erzwingen lässt sich nichts, vor allem kein Wachstum. Und Störungen gehören dazu: Heftige Regelfälle, andauernde Hitze, Frost oder Hagel setzen den Pflanzen zu. Ein Unwetter kann eine ganze Ernte vernichten. Schädlinge machen sich über die Pflanzen her, Schnecken fressen sich durch die frischen Triebe und hinterlassen eine hässliche Spur der Verwüstung im Salatbeet.

Wenn es gelingt, viele Setzlinge großzuziehen und am Ende eine gute Ernte einzubringen, ist dies immer auch ein Stück ein Geschenk.

Demut gehört zum Gärtnersein dazu. Zu wissen, dass man nicht alles selbst in der Hand hat. Ich habe Respekt vor dem Anderssein, dem Unverfügbaren. Und ich weiß um den Wert des Ungewollten und des Überraschenden. Da wächst an einer Stelle, an der man es nie vermutet hätte, plötzlich eine reiche Ernte heran. Und es wird einem so viel geschenkt!

Ohne ein gewisses Maß an Gelassenheit könnte ich die Arbeit im Garten nicht genießen.

*

Eine schwache Kerzenflamme strahlt im Dunkel, und eine einfache Speise wird zu einem Festmahl, wenn man hungrig ist. Die Sonnenstrahlen nach eisigen Wintertagen berühren Körper und Seele. Die Ruhe nach einem Sturm macht uns besonnen. Den äußeren Wandel mit allen Sinnen wahrzunehmen ist entscheidend, um das Glück im Augenblick zu finden. Es sind die Übergänge vom einen zum anderen, die es braucht, damit die Seele mitkommt.

*

Wie sehne ich mich an kalten Wintertagen nach den ersten Vorboten des Frühlings: Schneeglöckchen, zarten Trieben an Büschen und Bäumen oder den Schwänen, die aus dem Süden zurückkommen. Aber ich genieße auch die Schönheit des Moments, so wie im Januar das Eisblau des Himmels.

 

Der Wechsel von Wetter und Temperaturen, Naturgewalten und Ruhe, Wachstum und Stillstand macht das Dasein auf der Erde erst spannend.

Die Schöpfung ist ungezähmt, und doch folgt sie einem Grundprinzip: Leben weiterzugeben. Jede Pflanze hat ihren eigenen Rhythmus und weiß um den richtigen Zeitpunkt zum Keimen, Wachsen, Gedeihen, Blühen und Reifen – und um zu vergehen. Das eine folgt auf das andere in einer natürlichen Abfolge.

Jedem Gärtner ist bewusst: Das Absterben ist Voraussetzung für neues Leben. In der Natur gedeihen artenreiche Biotope im Totholz. Moose und Pilze ziehen ihre Lebenskraft aus Tierkadavern. Zwischen Zersetzungsprozessen und neuem Leben gibt es fließende Übergänge.

Die Natur lehrt mich, das Sterben anzunehmen und zu bejahen. Sie hilft mir, geduldig zu sein und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, denn was dauerhaft sein soll, entsteht allmählich. Die Bibel stimmt damit überein und lehrt, dass alles Leben klein anfängt, Zeit braucht, um zu wachsen. Und dass wir es letztlich nicht in der Hand haben. Jesus erzählt dazu ein Gleichnis: Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen es. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat. Ein anderer Teil aber fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. Wer Ohren hat, der höre! (Mt 13, 3ff.)

*

Es scheint, als wenn Pflanzen auf ihren Wandel warten, jede Veränderung wahrnehmen und darauf reagieren, als wären sie hellwach.

 

© Br. Felix Weckenmann

 

Ich blicke über den vereisten Klostergarten und spüre, dass in ihm alles ruht, was zum Leben und Überleben nötig ist. Aber alles hat seine Zeit, und dann geschieht, was geschehen soll. Samen keimen nur, wenn Temperatur und Feuchtigkeit stimmen. Es hat keinen Zweck, sie auszugraben, um nachzusehen, wie groß der Keimling ist. Das Wachstum eines Schösslings kann ich nicht beschleunigen, indem ich an ihm ziehe. Er wächst auf diese Weise nicht schneller – im Gegenteil: Ich erschwere und verlangsame seine Entwicklung. Pflanzensamen werden vom Wind verbreitet, von Tieren weitergetragen oder vom Wasser weitergeschwemmt. Pflanzen tragen die Schöpfungssehnsucht nach Leben, Veränderungen und Neuanfängen in sich.

Wenn eine Staude ausgetrocknet ist, wird sie den nächsten Regen nicht verpassen, weil sie gerade mit etwas anderem beschäftigt ist. Sie wird das Wasser mit allem, was sie nutzen kann, aufsaugen, weiterleiten und speichern, um weiterzuleben.