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Reagiert ein Kind ängstlich auf laute Geräusche, unbekannte Menschen oder Änderungen im Tagesablauf, könnte es hochsensibel sein. 15 bis 20 Prozent aller Kinder sind auf diese besondere Art und Weise empfindsam – oftmals sind es gerade die klugen, kreativen Kinder. Bei manchen führt die gesteigerte Sensibilität aber auch zu Schüchternheit oder Konzentrationsschwierigkeiten. Elaine N. Aron gibt in diesem Standardwerk Eltern Hilfestellungen, wie sie die Hochsensibilität ihres Kindes erkennen und es seiner besonderen Empfindsamkeit gemäß fördern und begleiten können.
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Seitenzahl: 588
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Für Fragen und Anregungen:
13. überarbeitete Auflage 2024
© 2008 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Die englische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel The Highly Sensitive Child bei Broadway Books, Random House Inc., New York
© 2002 by Elaine N. Aron. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor
Übersetzung: Ursula Bischoff und Sabine Schilasky
Redaktion: Nicole Hölsken, Langenfeld, und Ulrike Kroneck, Melle-Buer
Umschlaggestaltung: Atelier Seidel, Teising
Umschlagillustrationen: Atelier Seidel, Teising
Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech
Druck: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt
Printed in Germany
Print ISBN 978-3-636-06356-4
E-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
E-Book ISBN 978-3-86415-355-6
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Für alle hochsensiblen Kinder dieser Welt und für diejenigen, die sie mit Behutsamkeit erziehen und ihnen beibringen, sich sicher in einer schwierigen Welt zu bewegen.
Mit diesem Buch danke ich zunächst einmal allen Eltern, Lehrern und Kindern, die ich interviewen durfte, die meine Fragebögen ausfüllten und die mir viele wertvolle Erkenntnisse vermittelten, zu denen ich ohne sie niemals gekommen wäre.
Ein großes Dankeschön geht auch an meine tatkräftige Verlegerin Ann Campbell, an meine liebe Agentin Betsy Amster sowie an Jan Kristal, meinen Freund, Berater und Experten zum Thema Temperament.
Und wie immer gilt mein besonderer Dank meinem Ehemann Art, der seiner sensiblen Familie stets mit Fröhlichkeit, Fürsorge und Geduld zur Seite steht, wie auch meinem Sohn, der mich vieles von dem lehrte, was in dieses Buch eingeflossen ist.
Danksagung der Autorin
Einleitung
Ist Ihr Kind hochsensibel? Ein Fragebogen für Eltern
Teil I: Das hochsensible Kind – eine erste Annäherung
Kapitel 1: Sensibilität: Ein besserer Leumund für „schüchterne“ und „nervöse“ Kinder
Kapitel 2: Los geht’s: Die Herausforderungen bei der Erziehung eines außergewöhnlichen Kindes
Kapitel 3: Wenn Sie als Elternteil nicht hochsensibel sind: Was für ein Segen!
Kapitel 4: Wenn Sie und Ihr Kind hochsensibel sind: Was ist mit dem Rest der Familie?
Kapitel 5: Die vier Schlüssel zur Erziehung eines fröhlichen HSK: Selbstachtung, Verminderung des Schamgefühls, sinnvolle Disziplin und das Wissen, wie man sich über Sensibilität unterhält
Teil II: Vom Säugling zum jungen Erwachsenen
Kapitel 6: Der richtige Start: Beruhigung von und Einstimmung auf hochsensible Säuglinge
Kapitel 7: Kleinkinder und Vorschulkinder zu Hause: Anpassung an die Veränderungen und Bewältigung der Überstimulation
Kapitel 8: Kleinkinder und Vorschulkinder in der großen weiten Welt: Wie Sie Ihrem Kind helfen, neue Situationen zu meistern
Kapitel 9: HSK im Schulalter zu Hause: Probleme lösen
Kapitel 10: HSK im Schulalter in der großen weiten Welt: Wie Sie Ihrem Kind helfen, sich im Klassenzimmer und in seinem sozialen Umfeld wohlzufühlen
Kapitel 11: Sensible Heranwachsende und junge Erwachsene: Der schwierige Stapellauf eines hochseetauglichen Bootes
Zwanzig Tipps für Lehrer
Literaturverzeichnis
Über die Autorin
Anmerkungen
Wenn Sie diese Worte lesen, dann haben Sie bereits den begründeten Verdacht, dass Ihr Kind hochsensibel ist. Um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was das bedeutet, empfehle ich Ihnen, die Checkliste auf den Seiten 17 und 64 durchzuarbeiten. Wenn viele der dort aufgelisteten Aussagen auf Ihr Kind zutreffen, lesen Sie weiter … Herzlich willkommen!
Beinahe jeder weiß, dass Kinder von Geburt an eine eigene Persönlichkeit besitzen. Das belegen Aussagen wie: „Sie wusste schon als Baby genau, was sie wollte und setzte ihren Willen durch.“, „Ob man ihn fütterte oder nicht, wickelte oder nicht – es machte keinen Unterschied: Er war immer gut gelaunt.“ Wie jedes andere Kind hat auch das Ihre seine eigene, einzigartige Kombination aus angeborenen Charakterzügen geerbt. Betrachtet man jeden einzelnen Wesenszug separat, ist er wahrscheinlich nicht einzigartig, sondern typisch für eine Vielzahl von Kindern, so dass es nicht schwerfällt, ihm ein bestimmtes Attribut zuzuweisen, wie „willensstark“, „gutmütig“ usw.
Einer dieser häufig auftretenden Charakterzüge, die Kinder erben können, ist die Hochsensibilität, die man bei 15 bis 20 Prozent aller Kinder vorfindet. (Der Prozentsatz liegt bei Jungen und Mädchen gleich hoch.) Einige Säuglinge scheint es kaum zu kümmern, womit sie gefüttert werden oder welche Raumtemperatur herrscht; es stört sie nicht, wenn die Stereoanlage laut aufgedreht ist oder das Licht sehr hell ist. Hochsensible Säuglinge scheinen jedoch jede geringe Veränderung des Geschmacks oder der Raumtemperatur zu bemerken; bei lauten Geräuschen zucken sie zusammen, und wenn ihnen helles Licht in die Augen scheint, weinen sie. Wenn sie größer werden, neigen sie auch auf emotionaler Ebene zu sensiblen Reaktionen: Sie sind schneller verletzt und brechen deshalb eher in Tränen aus als andere. Sie neigen dazu, sich mehr Sorgen zu machen, können aber andererseits auch über alle Maßen glücklich sein, so glücklich, dass „sie es kaum ertragen können“. Sie handeln nicht spontan, sondern überlegt, so dass sie auf ihre Umwelt häufig einen scheuen oder ängstlichen Eindruck machen, obwohl sie lediglich eine beobachtende Haltung einnehmen. Wenn sie älter werden, sind sie oft bemerkenswert liebenswürdig und gewissenhaft. Ungerechtigkeit, Grausamkeit oder Verantwortungslosigkeit bekümmern sie sehr.
Obwohl hochsensible Kinder (HSK) viele Eigenschaften gemeinsam haben, sollte man sich vor Verallgemeinerungen hüten. Dank einer einzigartigen Kombination aus ererbten Wesenszügen einerseits und den verschiedenen Erziehungsmaßnahmen und Schulerlebnissen andererseits ist jedes HSK etwas ganz Besonderes. So kann Ihr HSK kontaktfreudig sein oder lieber allein spielen, vielleicht ist es beharrlich, vielleicht lässt es sich aber auch leicht ablenken, es kann rechthaberisch und fordernd sein oder aber auch so angepasst, dass es „beinahe zu brav“ ist. Trotzdem gibt es einen gemeinsamen Wesenszug der Sensibilität, der all diesen Kindern gemeinsam ist, und den auch Sie in Ihrem Kind erkennen können.
Jetzt ist es wohl an der Zeit, Ihnen ein wenig mehr über meine Studien über Hochsensibilität bei Erwachsenen zu erzählen, und darüber, wie es dazu kam, dass ich meine Arbeit auf Kinder und Kindererziehung ausweitete. Ich arbeite nicht nur in der Forschung, sondern bin auch approbierte klinische Psychologin. Außerdem bin ich ebenfalls eine hochsensible Person und Mutter eines solchen Kindes. Wie in Kapitel 1 beschrieben, begann ich vor zwölf Jahren, den Wesenszug der Hochsensibilität zu erforschen, und habe bislang Hunderte, vielleicht Tausende sensible Erwachsene, Eltern und Kinder interviewt und beraten. Von weiteren tausend Personen habe ich mittels eines Fragebogens Daten gesammelt. Diese Ergebnisse meiner Untersuchung wurden in führenden Fachzeitschriften veröffentlicht. Die Informationen, die Sie in diesem Buch finden, basieren mithin auf gründlichen Untersuchungen. Tatsächlich wird die Problematik der Hochsensibilität im Hinblick auf Kleinkinder und Kinder bereits seit etwa 50 Jahren näher erforscht, wobei jedoch eine andere Terminologie verwendet wurde. Die Psychologen sprachen von niedriger Reizschwelle, angeborener Schüchternheit, Introvertiertheit, Ängstlichkeit, von Hemmungen, einer negativen Grundhaltung oder Furchtsamkeit. Einer der Hauptgründe, warum ich dieses Buch schrieb, lag also in der Notwendigkeit, diesem Wesenszug einen neuen Namen zu geben, da die veraltete Terminologie den Kindern nicht gerecht wurde. Die neue Begrifflichkeit ermöglicht uns nicht nur eine wesentlich genauere Beschreibung, sondern sie eröffnet uns auch neue Wege, unsere hochsensiblen Kinder besser zu verstehen.
So neigen wir beispielsweise dazu, ein eher beobachtendes Kind für scheu oder ängstlich zu halten, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sein Verhalten die angeborene Neigung eines sensiblen Individuums ist, erst einmal innezuhalten und zu beobachten, bevor es aktiv wird. Von wieder anderen Kindern heißt es, dass sie „überreagieren“ oder „unwichtige Informationen nicht aussortieren können“, weil sie eine Antenne für jede Stimmung und jedes Detail Ihrer Umwelt haben. Aber was ist falsch daran, wenn unser Nervensystem die feinen Nuancen einer jeglichen Situation zu erkennen vermag? (Außerdem: Wer kann letztendlich beurteilen, was wirklich unwichtig ist? Menschen, die den Notausgang fest im Blick behalten, werden von ihrer Umwelt gern als zu „detailfreudig“ verurteilt – bis das Feuer ausbricht, das ihnen Recht gibt.)
Ein Grund, warum ich dieser psychologischen Disposition einen neuen Namen geben wollte, lag darin, dass ich selbst hochsensibel bin und weiß, was im Inneren eines Betroffenen vor sich geht. Es ist richtig, dass wir dazu neigen, uns in unangenehmen Situationen schüchtern oder ängstlich zu verhalten, aber ich bin davon überzeugt, dass der dafür verantwortliche fundamentale Wesenszug Sensibilität ist, und nicht Schüchternheit oder Ängstlichkeit. Des Weiteren haben sowohl meine eigenen Untersuchungen als auch die anderer Experten gezeigt, dass in erster Linie die elterliche Erziehung darüber entscheidet, ob der Ausdruck von Sensibilität einen Vorteil oder eine Quelle der Angst darstellt. Es gibt einfach zu viele hochsensible Individuen – wie bereits gesagt, sind es etwa 20 Prozent der Bevölkerung –, dass dieser Wesenszug einen bleibenden Nachteil darstellen könnte. Das hätte die Evolution nicht zugelassen. Wenn wir nicht mehr von Schüchternheit, sondern von Sensibilität sprechen, erkennen wir plötzlich die zahllosen positiven Seiten dieses Wesenszuges. Wir sehen, dass viele sensible Individuen gut und erfolgreich leben, wir sprechen in der richtigen Weise über diese Charaktereigenschaft und sind plötzlich in der Lage, als Erziehende besser auf unsere sensiblen Kinder einzugehen.
Die beste Rechtfertigung für diese terminologische Veränderung liefert jedoch die Reaktion der unzähligen Leser meiner Bücher Sind Sie hochsensibel? und Hochsensibilität in der Liebe. Oft schrieben sie mir: „Das bin ich – das passt ganz genau auf mich, und ich wusste bisher nicht, dass es auch andere Menschen mit diesen Gefühlen gibt … mit diesem starken Verlangen nach Zeit und Ruhe. Ich hatte keine Ahnung, dass andere Menschen sich ihrer Umwelt ebenfalls ständig bewusst sind und sich – genau wie ich – ständig fragen, ob sie auch wirklich alles richtig machen.“ (Derlei Aussagen sind keineswegs trivial, sondern gelten für viele Menschen. Mein erstes Buch Sind Sie hochsensibel? ist mittlerweile ein Bestseller und wurde in die holländische, japanische, chinesische, griechische und polnische Sprache übersetzt.) Viele der Menschen, die Kontakt mit mir aufnahmen, wünschten sich im Nachhinein, auch ihre eigenen Eltern hätten über Hochsensibilität Bescheid gewusst. Manche erbaten auch Ratschläge, um ihr eigenes sensibles Kind optimal zu fördern.
Deshalb erschien es mir wichtig, Das hochsensible Kind zu schreiben, vor allem, weil die Ratschläge in den vielen – meist guten, aber allgemein gehaltenen – Erziehungsratgebern die Themen vernachlässigen, die für HSK wichtig sind, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach einem konstanten optimalen Stimulationsniveau, und der Methode, wie man dieses erreichen kann. Bei hochsensiblen Kindern ist es von ungeheurer Bedeutung, den Punkt der Erregung, also die Reaktion auf innere und äußere Reize, richtig einzuschätzen. Fehleinschätzungen führen hier oft zu ernsten Problemen. Werden in einem Buch beispielsweise disziplinarische Maßnahmen empfohlen, die HSK stark übererregen, so sind diese Kinder viel zu aufgewühlt, um die moralische Lektion hinter der Zurechtweisung zu erkennen. Deshalb sind herkömmliche Erziehungsratgeber für die Eltern von HSK nicht sinnvoll.
Vor allem habe ich dieses Buch geschrieben, weil ich weiß, dass viele von Ihnen enorme Probleme bei der Erziehung ihres hochsensiblen Sprösslings haben. Das sollte nicht so sein. Vielleicht sind Sie sogar zu dem Schluss gekommen, dass mit Ihrem Kind oder mit Ihnen als Elternteil etwas nicht in Ordnung ist. Dieses Buch wird Ihnen mit Sicherheit helfen, dieses Gefühl abzubauen. Sie werden entspannter mit Ihrem Kind umgehen, so dass auch Ihr Kind sich entspannen kann.
Lesen Sie dieses Buch ganz. Die erste Hälfte handelt von Sensibilität, davon, wie Ihre Kindererziehung von Ihrem eigenen Temperament beeinflusst wird, und von den wichtigsten Problemen, die im Umgang mit HSK auftauchen, unabhängig vom Alter Ihres Kindes. In der zweiten Hälfte werden spezifische Altersgruppen behandelt, vom Säugling bis zum jungen Erwachsenen, der bereits das Haus verlassen hat. Ich empfehle Ihnen die Lektüre sämtlicher Altersstufen, denn erstens liefert Ihnen jedes Kapitel neue Ideen, die sich auch auf Kinder in anderen Lebensabschnitten anwenden lassen. Und zweitens können HSK unter Stress zu ihren Verhaltensweisen und Problemen aus jüngeren Jahren zurückkehren; geht es ihnen jedoch gut, sind sie ihrem Alter häufig voraus. Auch wenn Ihr Kind sich also nicht in der betreffenden Altersgruppe befindet, kann der für diese Phase gültige Ratschlag Ihnen von Nutzen sein. Drittens trägt die Gesamtlektüre dazu bei, dass Sie nicht nur die Vergangenheit besser verstehen, sondern auch einschätzen lernen, wie die Zukunft aussehen wird, was sich auf den gegenwärtigen Umgang mit Ihrem Nachwuchs nur förderlich auswirken kann.
Die Abschnitte am Ende einiger Kapitel, die ich mit der Überschrift „Wenden Sie an, was Sie gelernt haben“ versehen habe, sind natürlich optional, aber hilfreich und unterhaltsam. Die von mir geschilderten Fallstudien beruhen auf realen Eltern und Kindern, wobei ich natürlich deren Namen und kennzeichnende Details verändert habe.
Vor allem hoffe ich, dass Sie Freude an der Arbeit mit diesem Buch haben. Ein HSK zu haben ist ein großer Segen. Ja, es gibt einige Schwierigkeiten, weil Ihr Kind „anders“ ist. Am besten machen Sie sich mein persönliches Erziehungsmotto zu eigen, das gleichzeitig das Motto dieses Buches ist: Um ein außergewöhnliches Kind großzuziehen, muss man bereit sein, sich auf ein außergewöhnliches Kind einzulassen. Sie haben ein solches außergewöhnliches Kind. Und dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie Sie es erziehen können, damit es nicht nur außergewöhnlich, sondern auch gesund, liebenswert, ausgeglichen und glücklich wird.
Bitte beantworten Sie jede Frage so gut Sie können. Kreuzen Sie „j“ (ja) an, wenn die Aussage genau oder zumindest mit Einschränkungen auf Ihr Kind zutrifft oder in der Vergangenheit längerfristig auf Ihr Kind zugetroffen hat. Kreuzen Sie „n“ (nein) an, wenn die Aussage weniger oder gar nicht auf Ihr Kind zutrifft oder zugetroffen hat.
Mein Kind …
1.
j
n
erschrickt leicht
2.
j
n
hat eine empfindliche Haut, verträgt keine kratzenden Stoffe, keine Nähte in Socken oder Etiketten in T-Shirts
3.
j
n
mag keine großen Überraschungen
4.
j
n
profitiert beim Lernen eher durch sanfte Belehrung als harte Bestrafung
5.
j
n
scheint meine Gedanken lesen zu können
6.
j
n
hat einen für sein Alter ungewöhnlich gehobenen Wortschatz
7.
j
n
ist geruchsempfindlich, sogar bei sehr schwachen Gerüchen
8.
j
n
hat einen klugen Sinn für Humor
9.
j
n
scheint sehr einfühlsam zu sein
10.
j
n
kann nach einem aufregenden Tag schlecht einschlafen
11.
j
n
kommt schlecht mit großen Veränderungen klar
12.
j
n
findet nasse oder schmutzige Kleidung unangenehm
13.
j
n
stellt viele Fragen
14.
j
n
ist ein Perfektionist
15.
j
n
bemerkt, wenn andere unglücklich sind
16.
j
n
bevorzugt leise Spiele
17.
j
n
stellt tiefgründige Fragen, die nachdenklich stimmen
18.
j
n
ist sehr schmerzempfindlich
19.
j
n
ist lärmempfindlich
20.
j
n
registriert Details (Veränderungen in der Einrichtung oder im Erscheinungsbild eines Menschen etc.)
21.
j
n
denkt über mögliche Gefahren nach, bevor es ein Risiko eingeht
22.
j
n
erzielt die beste Leistung, wenn keine Fremden dabei sind
23.
j
n
hat ein intensives Gefühlsleben
Auswertung:
Wenn Sie dreizehn oder mehr der Aussagen mit „Ja“ beantwortet haben, ist Ihr Kind wahrscheinlich hochsensibel. Kein psychologischer Test ist jedoch so genau, dass Sie Ihre Erziehung allein an diesem Ergebnis ausrichten können. Wenn nur eine oder zwei der oben genannten Aussagen auf Ihr Kind zutreffen, dafür aber in extremem Maße, so ist es unter Umständen ebenfalls gerechtfertigt, Ihr Kind als hochsensibel zu bezeichnen.
Dieses Kapitel hilft Ihnen dabei, festzustellen, ob Sie ein hochsensibles Kind haben und erklärt den Wesenszug ausführlich. Zudem vermittelt es alles Wissenswerte über das ererbte Temperament Ihres Kindes. Dabei wollen wir Sie von sämtlichen Irrtümern befreien, die über sensible Kinder in Umlauf sind. Schließlich werden wir nachweisen, dass es sich bei Hochsensibilität um eine charakterliche Disposition, nicht aber um eine psychische Störung handelt.
„Also, wenn das mein Kind wäre, würde es essen, was es vorgesetzt bekommt.“
„Deine Tochter ist so still – habt ihr schon daran gedacht, mit ihr zum Arzt zu gehen?“
„Er ist so reif, so klug für sein Alter. Aber er scheint zu viel nachzudenken. Belastet es euch nicht, dass er nicht glücklicher und sorgloser ist?“
„Jodie ist so leicht verletzlich. Sie weint sogar, wenn andere Kinder gehänselt oder verletzt werden. Oder bei traurigen Geschichten. Wir sind da ganz hilflos.“
„In meiner Kindergartengruppe nehmen alle an den gemeinsamen Aktivitäten teil, nur Ihr Sohn weigert sich. Ist er zu Hause auch so starrköpfig?“
Kommen Ihnen solche Bemerkungen bekannt vor? Den Eltern, die ich für dieses Buch interviewt habe, waren sie allesamt sehr vertraut. Derlei wohlmeinende Kommentare hörten sie ständig von Verwandten, Lehrern oder Eltern und sogar von psychologisch geschulten Fachkräften. Wenn auch Sie immer wieder ähnliche Anmerkungen zu hören bekommen, so ist das ein fast sicheres Zeichen dafür, dass Sie ein hochsensibles Kind in Ihrer Obhut haben. Natürlich beunruhigt es Sie, dass etwas merkwürdig oder falsch an Ihrem Kind sein soll. Sie selbst erleben Ihr Kind als erstaunlich lebendig, mitfühlend und sensibel. Außerdem wissen Sie, dass Ihr Kind leiden würde, wenn Sie es zwingen würden, etwas zu essen, das es nicht mag, sich mit anderen zu treffen, wenn ihm nicht danach zumute ist, oder wenn Sie es zu einem Psychiater bringen würden. Wenn Sie sich hingegen nach seinen Bedürfnissen richten, fühlt es sich wohl. Trotzdem sehen sich immer wieder mit den kritischen Äußerungen Ihrer Umgebung konfrontiert und fragen sich allmählich, ob Sie eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater sind, und ob das Verhalten Ihres Kindes Ihre Schuld ist. Diese Geschichte habe ich immer und immer wieder gehört.
Kein Wunder, dass Sie sich fragen, ob Sie etwas falsch machen. Sie haben niemanden, der Ihnen hilft. Wahrscheinlich haben Sie schon bemerkt, dass die meisten Erziehungsratgeber sich auf „problematisches Verhalten“ konzentrieren, wie Ruhelosigkeit, leichte Ablenkbarkeit, besonders wildes Verhalten und Aggressivität. Und wahrscheinlich macht Ihnen Ihr Kind in dieser Beziehung keinerlei Schwierigkeiten. Sie haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, über die in diesen Büchern nur wenig zu finden ist – Probleme mit dem Essen, Schüchternheit, Albträume, Kümmernisse und intensive Gefühlsausbrüche, die sich gegen keine Person richten, sondern einfach da sind. Doch bei Ihrem Kind lässt sich das ungewollte Verhalten nicht durch „Konsequenzen“ bekämpfen. Im Gegenteil: Bei Kritik oder Strafe ist Ihr Kind am Boden zerstört.
Die Ratschläge, die Sie in diesem Buch erhalten, gelten ausschließlich für hochsensible Kinder. Sie stammen von Eltern solcher Kinder (einschließlich meiner selbst) sowie von psychologisch geschulten Spezialisten auf diesem Gebiet. Unser erster Rat lautet: Glauben Sie niemandem, der behauptet, dass mit Ihrem Kind etwas nicht in Ordnung sei. Vor allem aber lassen Sie nicht zu, dass Ihr Kind so etwas glaubt. Und geben Sie sich nicht die Schuld für die Andersartigkeit Ihres Kindes. Natürlich kann man an der Erziehung immer etwas verbessern, und dieses Buch wird mehr zu dieser „Verbesserung“ beitragen als andere Ratgeber, weil sein ausschließliches Augenmerk auf Ihrem „andersartigen“ Kind liegt, trotzdem sollten Sie nicht dem Irrtum anheimfallen, dass Probleme grundsätzlich auf Fehler der Eltern oder Kinder zurückzuführen sind.
Aufgrund des allgemeinen Forschungsstandes und meiner eigenen Berufserfahrung kann ich Ihnen eines versichern: Das angeborene Temperament Ihres Kindes liegt absolut im Normbereich. Es gehört zu jenen 15 bis 20 Prozent aller Menschen, die hochsensibel auf die Welt kommen – das sind viel zu viele, um diese Varianz als „anormal“ zu bezeichnen. Soviel ich weiß, kann man diesen Prozentsatz sensibler Individuen in jeder Spezies antreffen. Da dies eine evolutionsbedingte Entwicklung ist, muss es einen guten Grund für die Existenz dieses Wesenszugs geben. Dazu kommen wir später. Zuerst möchte ich noch ein paar Worte über diese „Entdeckung“ verlieren.
1991 begann ich mit der Erforschung der Hochsensibilität, nachdem eine Kollegin mir eröffnet hatte, dass ich hochsensibel sei. Meine Neugier hatte persönliche Gründe – ich plante weder ein Buch zu schreiben noch wollte ich meine Erkenntnisse mit anderen teilen. So bat ich in meiner Gemeinde und an der Universität, an der ich lehrte, lediglich darum, einige Personen interviewen zu dürfen, die auf „physische oder emotionale Reize hochsensibel reagierten“ oder „besonders introvertiert“ waren. Zuerst ging ich nämlich davon aus, dass sensible Menschen automatisch introvertiert sind, also eher kontakt- und menschenscheu, mit höchstens ein oder zwei guten Freunden, mit denen sie tief schürfende Gespräche führen können. Den Gegensatz hierzu bildeten extrovertierte Personen, die sich in großen Gruppen wohlfühlen, neuen Kontakten sehr aufgeschlossen sind und viele Freunde haben, mit denen sie allerdings kaum intime Gespräche führen. Doch es stellte sich heraus, dass man Introversion nicht mit Hochsensibilität gleichsetzen kann. Obwohl 70 Prozent der hochsensiblen Personen (HSP) introvertiert sind – vermutlich wollen sie durch die Reduzierung ihrer Außenkontakte eine Reizüberflutung verhindern –, existieren immerhin noch 30 Prozent eher extrovertierte Hochsensible. An dieser Stelle wurde mir klar, dass ich etwas Neues entdeckt hatte.
Warum ist eine hochsensible Person extrovertiert? Meinen Interviews zufolge wuchsen solche Menschen oft in engen, liebevollen Gemeinschaften auf – in einem Fall sogar in einer Kommune. Menschengruppen waren ihnen vertraut und bedeuteten Sicherheit. Andere hatten innerhalb ihrer Familien gelernt, sich kontaktfreudig zu verhalten. So betrachteten sie Kommunikation als ihre Pflicht und als gute HSPs versuchten sie, die Erwartungen, die man an sie hatte, zu erfüllen. Bei wieder anderen führte eine bewusste Entscheidung zu extrovertiertem Verhalten. So konnte sich eine Frau beispielsweise genau an den Tag und die Stunde erinnern, als sie beschloss, stärker auf andere Menschen zuzugehen. Sie hatte ihre beste und einzige Freundin verloren und fasste den festen Vorsatz, sich niemals mehr nur auf nur eine Person zu verlassen.
Seitdem ich entdeckt habe, dass der Wesenszug der Sensibilität nicht mit Introversion gleichzusetzen ist, habe ich noch weitere Beweise gefunden, dass sensible Personen nicht von Geburt an scheu oder „neurotisch“, also ängstlich und depressiv sind. Derlei Attribute beschreiben sekundäre, nicht ererbte Wesenszüge, die sowohl hochsensible als auch nicht-hochsensible Personen aufweisen.
Als ich verlautbaren ließ, dass ich sensible Menschen interviewen wollte, konnte ich mich vor Freiwilligen kaum retten. Schließlich führte ich Einzelgespräche mit 40 Männern und Frauen aller Altersklassen und sozialer Schichten, die jeweils drei Stunden dauerten. Sie alle hatten das Bedürfnis, mit mir über dieses Thema zu sprechen – über den Begriff der Hochsensibilität und warum er ihnen in dem Moment, als sie ihn gehört hatten, so viel bedeutet hatte. (Viele Erwachsene kaufen das Buch Sind Sie hochsensibel?, weil sie sich in dem Titel wiedererkennen, ebenso wie Sie selbst das vorliegende Buch vielleicht gekauft haben, weil Sie Ihr Kind in dem Titel wiedererkannt haben.)
Durch die Interviews enthüllten sich mir zahlreiche Einzelaspekte der Hochsensibilität, so dass ich einen umfangreichen Fragebogen zu diesem Thema entwickeln konnte. Später fasste ich die wichtigsten Merkmale noch einmal in einem kürzeren Fragebogen zusammen (siehe Seite 64-69). Seitdem habe ich diesen Fragebogen Tausenden von Probanden vorgelegt. Hochsensible Personen erfassten sofort, dass es bei der Beantwortung der Fragen um sie und ihre psychische Disposition ging. Die übrigen 80 Prozent der nicht-hochsensiblen Personen fühlten sich nicht weiter angesprochen. Manche beantworteten sogar sämtliche Fragen mit „nein“. Bei einer Telefonbefragung nach dem Zufallsprinzip erhielt ich die gleichen Ergebnisse. Sensible Menschen sind einfach anders.
Seitdem habe ich habe ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit als Wissenschaftlerin und Dozentin ausführlich mit dem Thema befasst. Schon bald sah ich ein, dass ein Buch über die Erziehung hochsensibler Kinder nottat. Es gab zu viele traurige Geschichten von Erwachsenen über eine schwierige Kindheit, in der wohlmeinende Eltern ihnen enormes Leid zugefügt hatten, einfach weil sie keine Ahnung hatten, wie man ein hochsensibles Kind optimal begleitet. Also interviewte ich Eltern und Kinder und entwickelte auf der Basis dieser Gespräche einen weiteren Fragebogen, den ich an über hundert Eltern von Kindern aller Art verteilte. Die Untersuchung konzentrierte sich zunächst einmal auf die Frage, wie man hochsensible Kinder von nichthochsensiblen Kindern unterscheiden kann. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist der Fragebogen, den Sie am Ende der Einleitung finden.
Hochsensible Individuen haben die angeborene Neigung, ihre Umgebung deutlicher wahrzunehmen und gründlich nachzudenken, bevor sie handeln. Nicht-hochsensible Personen nehmen im Vergleich dazu weniger wahr und handeln rasch und impulsiv. Hochsensible Erwachsene und Kinder sind meist mitfühlend, klug, intuitiv, kreativ, umsichtig und gewissenhaft. (Sie vermeiden Missetaten, weil sie sich ihrer Auswirkungen stärker bewusst sind als andere.) Hochsensible Personen fühlen sich häufig überwältigt, sei es von einem „starken Geräuschpegel“ oder einem Übermaß an anderen äußeren Reizen, die auf sie einströmen. In dem Versuch, eine Überforderung zu vermeiden, machen sie einen scheuen und furchtsamen Eindruck und werden nicht selten als „Spaßbremsen“ bezeichnet. Wenn es ihnen nicht gelingt, der Reizüberflutung Herr zu werden, wirken sie „leicht erregbar“ und „zu sensibel“.
Obwohl HSK mehr wahrnehmen als andere Menschen, haben sie nicht zwangsläufig bessere Augen und Ohren, einen besseren Geruchssinn oder bessere Geschmacksknospen. Allerdings berichten einige, dass zumindest ein Sinnesorgan bei ihnen außerordentlich gut ausgebildet ist. In erster Linie aber verarbeitet ihr Gehirn Informationen viel gründlicher als dies bei anderen der Fall ist. Doch nicht nur das Gehirn ist aktiver. Sensible Personen – Kinder und Erwachsene – besitzen zudem auch schnellere Reflexe (die normalerweise vom Rückenmark ausgehen). Sie sind schmerzempfindlicher und reagieren stärker auf Medikamente und Genussmittel. Ihr Immunsystem ist reaktionsfähiger, und sie leiden häufiger unter Allergien. In gewisser Weise ist ihr gesamter Körper darauf ausgerichtet, alles, was geschieht, besser zu erfassen und zu verstehen.
Als ich klein war, besuchte unser Vater gern Fabriken mit uns, wo er dann den Geschäftsführer dazu überredete, uns alles zu zeigen. Das Stahlwerk und die Glasmanufaktur fand ich – als hochsensibles Kind – natürlich überwältigend. Dort war es zu laut, zu heiß und zu glühend. Ich begann zu weinen und mich vor diesen Ausflügen zu fürchten. Die nicht-sensiblen Mitglieder meiner Familie waren verärgert über mein Verhalten, weil sie die Besichtigungstouren deshalb oft abbrechen mussten. Doch einer dieser Ausflüge ist mir positiv in Erinnerung geblieben – die Fabrik, in der Orangen verpackt wurden. Mir gefiel die geniale Erfindung des rüttelnden Fließbandes, mit dem die Orangen transportiert wurden, bis sie in einen von drei unterschiedlich großen Schächten fielen – einen kleinen, einen mittleren und einen großen.
Diese Erfahrung gibt uns Aufschluss über die Funktionsweise des Gehirns eines hochsensiblen Kindes. Statt der drei Schächte, in denen sie das verarbeiten, was auf dem Fließband auf sie zukommt, besitzen HSK 15 Schächte, um sehr feine Unterschiede machen zu können. Alles läuft gut, bis zu viele Orangen gleichzeitig auf dem Förderband auf sie zukommen. Dann kommt es zu einem gewaltigen Stau.
Kein Wunder also, wenn hochsensible Kinder etwas gegen die laute mexikanische Musik im Restaurant haben, wenn sie lärmende Geburtstagspartys und schnelle Teamsportarten verabscheuen oder im Boden zu versinken drohen, wenn die ganze Klasse sie anstarrt, während sie dem Lehrer Rede und Antwort stehen sollen. Aber für das Stimmen einer Gitarre, für eine kluge Idee, welches Mitbringsel für den Gastgeber einer Party geeignet wäre oder für ein witziges Wortspiel sind sie ebenso zu haben wie für ein Spiel wie Schach, bei dem man die Konsequenzen im voraus abwägen und auf die Feinheiten achten muss.
Kann Ihr Kind auch ein kleines bisschen sensibel sein? Einige Wissenschaftler behaupten, dass man diesen Wesenszug entweder aufweist oder nicht1, andere sprechen von einem Kontinuum2. Meine eigenen Forschungen bestätigen beides – d.h. manche HSK schienen sensibler als andere, was wahrscheinlich auf das Umfeld zurückzuführen ist, in welchem der Ausdruck von Hochsensibilität auf vielfältige Weise verstärkt oder unterdrückt werden kann. Trotzdem handelt es sich nicht wirklich um ein Kontinuum, vergleichbar der Körpergröße oder dem Gewicht. Man entwickelt die Hochsensibilität nicht wirklich weiter.
Versuchen wir, uns in ein hochsensibles Kind hineinzuversetzen. Es nimmt mehr Einzelheiten wahr als andere Kinder, hat oft aber auch einen speziellen Bereich, auf den sich seine Wahrnehmung besonders konzentriert. Manche Kinder haben eine feine Antenne für den zwischenmenschlichen Bereich, vor allem für Stimmungen, Mimik oder Beziehungen. Andere nehmen die Natur sehr genau wahr, Wetterwechsel etwa oder die Eigenschaften von Pflanzen. Auffallend häufig können solche Kinder sogar mit Tieren kommunizieren. Wieder andere fallen durch besonderen Scharfsinn auf, durch einen ausgeprägten Sinn für Humor oder Ironie. Und während manche in neuer Umgebung außergewöhnlich wachsam sind, reagieren andere eher verstört auf Veränderungen oder Unvertrautes. All diesen Kindern gemeinsam ist die Tatsache, dass sie ihre Umwelt intensiver wahrnehmen als andere Menschen.
Ein HSK denkt mehr als andere Kinder über seine Umwelt nach, wobei es natürlich auch hier eine gewisse Bandbreite gibt. Manche Kinder denken eher über soziale Konflikte nach. Sie stellen Fragen, warum Sie dies oder jenes getan haben, warum ein Kind ein anderes ärgert oder sorgen sich sogar um größere gesellschaftliche Probleme. Andere hochsensible Kinder wiederum konzentrieren sich eher auf die Lösung schwieriger Mathematik- oder Logik-Rätsel, oder sie ängstigen sich vor dem „Was wäre, wenn“, denken sich Geschichten aus oder stellen sich vor, was ihre Katze denkt. Natürlich tun dies alle Kinder bis zu einem gewissen Grad, aber bei HSK ist diese Neigung ungleich intensiver.
Über „neue Informationen“, speziell über das, was es sieht oder hört, denkt ein hochsensibles Kind bisweilen ziemlich bewusst und offensichtlich nach, beispielsweise wenn es um längere Bedenkzeit bittet, bevor es eine Entscheidung fällt. (Wahrscheinlich ist Ihnen aufgefallen, dass einem HSK eine schnelle Entscheidung abzuringen ungefähr so schwierig ist, wie einen Rüden zügig an einem Hydranten vorbeizuführen.) Oft aber verarbeitet ein HSK Erlebtes vollkommen unbewusst und ahnt rein intuitiv, was mit seinen Mitmenschen los ist. Intuition lässt sich als Wissen definieren, dessen Ursprung man nicht kennt, und hochsensible Menschen sind im Allgemeinen sehr intuitiv.
Die Verarbeitung von Wahrgenommenem kann sehr rasch erfolgen, wenn ein Kind zum Beispiel sofort bemerkt, „dass etwas los ist“, oder dass Mutter „das Bett frisch bezogen“ hat, was anderen Kindern gar nicht auffällt. Andererseits wird vieles nur sehr langsam verarbeitet; sie denken stundenlang über einen Sachverhalt nach, bevor sie dann allerdings zu erstaunlichen Erkenntnissen gelangen.
Schließlich bewirkt die erhöhte Aufmerksamkeit und intensivere Verarbeitung, dass Ihr HSK in Situationen, die eine emotionale Reaktion hervorrufen (was alle Situationen zu einem gewissen Grade tun), stärker reagiert. Manchmal kann sich das in heftiger Liebe, aber auch in Bewunderung oder Freude ausdrücken. Weil aber alle Kinder tagtäglich mit neuen, Stress verursachenden Erlebnissen konfrontiert werden, machen den HSK auch Angst, Wut und Traurigkeit zu schaffen, zumal sie sie weit intensiver empfinden als andere Kinder.
Aufgrund ihrer starken Gefühle und tiefschürfenden Gedanken sind die meisten HSK ungewöhnlich empathisch. Folglich leiden sie mehr, wenn andere leiden und interessieren sich schon früh für soziale Gerechtigkeit. Sie sind außerdem brillant darin, zu deuten, was in allem vorgeht, das sich nicht verständlich machen kann – in Pflanzen, Tieren, Körperorganen, Babys, Angehörigen anderer Völker und Kulturkreise und alten Menschen, die an Demenz leiden. Sie neigen zu einem regen Gefühlsleben. Außerdem sind sie ungewöhnlich gewissenhaft für ihr Alter. Einen Hinweis wie „Was, wenn das hier jeder täte“ verstehen sie sofort. Sie können sich mühelos vorstellen, welche Konsequenzen das hätte. Zudem neigen sie dazu, sehr früh nach einem Sinn in ihrem Leben zu suchen.
Sie sollten sich allerdings hüten, HSK zu Heiligen zu verklären. Das sind sie nicht. Vielmehr können sie infolge einiger schlechter Erfahrungen leichter als andere zu schüchternen, ängstlichen oder gar depressiven Menschen werden. Mit ein wenig sanfter Anleitung hingegen sind sie außergewöhnlich kreativ, kooperativ und freundlich – man darf sie nur nicht überfordern. Und egal, wie sie sich verhalten, HSK sind zwar keine „Problemkinder“ im eigentlichen Sinne, fallen aber grundsätzlich auf.
Lange bevor ich wusste, dass mein Kind „hochsensibel“ war, war mir intuitiv klar, dass mein Sohn „anders“ war. Er ist aufmerksam, unglaublich kreativ, gewissenhaft, vorsichtig, wenn er mit neuen Situationen konfrontiert wird, sehr verletzlich, wenn seine Freunde grob zu ihm sind; er hält nichts von spielerischen Rangeleien oder rauen Sportarten und empfindet Gefühle intensiver als andere. In mancherlei Hinsicht war es schwierig, ihn aufzuziehen, in anderer wiederum leicht. Er fiel überall auf, und sei es nur als das Kind, das nicht mitmachte. Also fand ich letztlich zu dem Motto, das ich bereits in meiner Einleitung erwähnte: Um ein außergewöhnliches Kind großzuziehen, muss man bereit sein, sich auf ein außergewöhnliches Kind einzulassen.
Doch mit seitenlangen Lobeshymnen über hochsensible Kinder ist Ihnen nicht gedient. Sie suchen Hilfe. Leider neigen die meisten Menschen – einschließlich der Eltern – dazu, vor allem die Schattenseiten der Hochsensibilität wahrzunehmen. Das liegt in erster Linie daran, dass HSK sich schnell über Dinge aufregen, die andere Kinder gar nicht bemerken, und in lauten, schwierigen, sich stetig verändernden Situationen leicht vollkommen überfordert sind, beispielsweise in einem Klassenraum oder bei einer Familienfeier, zumal wenn sie solchen Situationen zu lange ausgesetzt sind. Kein Wunder, wenn so viele Reize auf einmal auf sie einströmen. Da HSK jedoch gesamtgesellschaftlich in der Minderheit sind, wirken ihre Reaktionen und Lösungen oft irritierend auf andere. Deshalb legt man den Eltern häufig nahe, dass das Kind nicht normal ist – manchmal hegen Eltern sogar selbst diesen Verdacht.
Wie sehen einige der Methoden aus, mit denen HSK versuchen, auf Reizüberflutung zu reagieren? Kein Kind wird sie alle aufweisen, aber manche kommen Ihnen wahrscheinlich bekannt vor. Oft beklagen sich HSK sehr viel – es ist zu heiß, zu kalt, der Stoff ist zu kratzig, das Essen zu scharf, im Zimmer riecht es merkwürdig –, Dinge, die andere Kinder überhaupt nicht registrieren. Oder aber sie spielen lieber für sich, beobachten andere schweigend vom Rand aus, essen nur, was sie kennen, oder halten sich vornehmlich in einem bestimmten Raum, drinnen oder an einem festen Platz draußen auf. Sie können sich über Minuten, Stunden, Tage oder gar Monate weigern, mit Erwachsenen, Fremden oder in der Klasse zu sprechen. Oder sie meiden typische „Spaßaktivitäten für Kinder“ wie Sommerlager, Fußballspiele, Partys oder Verabredungen mit anderen.
Manche HSK bekommen Tobsuchtsanfälle oder Wutausbrüche, wenn etwas sie zu überwältigen droht. Andere versuchen, keinen Ärger zu machen, vollkommen gehorsam zu sein, weil sie hoffen, so nicht bemerkt oder gefordert zu werden. Einige sitzen den ganzen Tag vor dem Computer oder vor einem Buch, ziehen sich also vollkommen in ihre kleine Welt zurück. Wieder andere versuchen, ihre mutmaßlichen Defizite zu überkompensieren, indem sie nach Perfektion oder herausragenden Leistungen streben.
Einige überstimulierte HSK laufen ständig gegen die Wand. Sie scheinen am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) zu leiden. (Aber um ihre Aufmerksamkeit ist es bestens bestellt, sobald sie nicht überreizt sind und klare Prioritäten setzen – dazu später mehr.) Manche „rasten aus“, werfen sich zu Boden und schreien. Andere werden ganz still und ziehen sich zurück, wenn sie überwältigt sind. Wieder andere bekommen Bauch- oder Kopfschmerzen – eine körperliche Reaktion auf Überforderung und zugleich eine kurzfristige Lösung ihres Problems, denn sie liefert ihnen einen Vorwand, sich auszuruhen.
Und schließlich fühlen sich manche HSK, wie wir noch sehen werden, als hätten sie alles versucht, und geben auf. Sie werden ängstlich, verzagt und verlieren jegliche Hoffnung.
Kinder können jede dieser Verhaltensweisen aus unterschiedlichen Gründen zeigen, und jedes Kind kann überstimuliert werden, ohne ein HSK zu sein. Aber wenn Kinder in Wut geraten, depressiv werden, gegen die Wand laufen, Bauchschmerzen bekommen oder zu hoffnungslos gestressten Überfliegern werden, denken Eltern oft an alles andere, nur nicht an Hochsensibilität. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch möglichst vielen Eltern die Augen öffnet. Am Ende des Kapitels werde ich darauf eingehen, wie man übererregte HSK von Kindern, die nicht hochsensibel sind, und von solchen mit ernsteren Problemen unterscheidet.
Heute wissen wir, dass über 50 Prozent der Persönlichkeit durch angeborene Temperamentsunterschiede wie z.B. Hochsensibilität geprägt sind. Die anderen fünfzig Prozent gehen auf Erfahrungen oder die „Umwelt“ zurück. Vor nicht allzu langer Zeit jedoch glaubten Psychologen noch, dass die Persönlichkeit eines Menschen ausschließlich von seinen Erfahrungen, insbesondere innerhalb der Familie, bestimmt wird.
Als die Psychologie begann, sich mit dem Thema Temperament zu beschäftigen, war es zunächst leicht, die Handlungen und Gefühle aktiver Kinder zu beschreiben, wie man sie in Forschungseinrichtungen oder in Schulen beobachtete. Schwieriger jedoch war es bei Kindern, die eher zurückgezogen und still waren. Sie waren eben weniger aktiv – den Unterschied zwischen aktiven und passiven Menschen gibt es in allen Kulturen – aber sie waren am schwersten zu beschreiben. Die Wissenschaftler neigten zunächst zu der Annahme, dass die Ruhigen scheu, ängstlich, kontaktscheu oder gehemmt waren. Erst seit wir diesen Wesenszug als Hochsensibilität erkennen, können wir die Verhaltensweisen solcher Kinder genauer analysieren.
Meiner Ansicht nach gibt es keine Beweise dafür, dass Kinder ängstlich, schüchtern, scheu (mit Angst vor sozialer Beurteilung), mit einer negativen Grundhaltung oder der Neigung, ihren Mitmenschen aus dem Weg zu gehen, auf die Welt kommen. Eine solch angeborene Furcht wäre ein fataler Defekt bei einer sozialen Spezies wie der unseren. Deshalb hätte sie wohl kaum die Selektionsprozesse der Evolution überstanden und sich von Generation zu Generation weitervererbt, was bei diesem Wesenszug eindeutig der Fall ist. Die genannten Reaktionen oder Merkmale lassen sich vielmehr als eine Art Verletzlichkeit deuten, die auf etwas viel Grundlegenderes zurückzuführen ist, nämlich auf Sensibilität. (Bei nicht-sensiblen, schüchternen, ängstlichen, gehemmten Menschen hingegen sind sie eine Folge schlechter Erfahrungen und somit nicht genetisch bedingt.)
Deshalb ist die richtige Benennung dieses Wesenszuges auch so überaus wichtig. Terminologische Zuordnungen verraten uns, womit wir es zu tun haben, und beeinflussen die Art und Weise, wie wir unsere Kinder beurteilen und wie sie sich selbst sehen. Natürlich hat die Mehrheit der nicht-sensiblen Personen Theorien darüber entwickelt, was in sensiblen Kindern vor sich geht. Bisweilen handelt es sich sogar um eine Art von Projektion, bei der den sensiblen Personen diejenigen Eigenschaften zugeschrieben werden, die die nicht-sensible Person an sich selbst ablehnt (zum Beispiel Angst oder das, was der Betreffende für Schwäche hält). Sensible Kinder und ihre Eltern aber kennen die gesamte Wahrheit: diese Kinder sind sensibel.
Falls Sie es noch nicht getan haben, füllen Sie jetzt den Fragebogen am Ende der Einleitung aus. Jedes „ja“, das Sie ankreuzen, ist ein Hinweis, dass Ihr Kind hochsensibel ist. Die Fragen sind das Ergebnis von Untersuchungen an Tausenden von Kindern. Dennoch werden nicht alle Beschreibungen auf jedes HSK zutreffen. Genau wie bei Erwachsenen gibt es bei Kindern die verschiedensten Variationen, sowohl in Bezug auf ihre ererbten Wesensmerkmale als auch in Bezug auf das Umfeld, in dem sie aufwachsen. Doch nicht nur besagter Fragebogen, sondern auch die Lektüre dieses Kapitels kann Ihnen bei der Entscheidungsfindung, ob Ihr Kind hochsensibel ist, helfen.
Eltern bemerken oft sehr frühzeitig, dass sie ein ungewöhnlich sensibles Kind haben. Jedes Neugeborene kann quengelig sein oder zu Koliken neigen, aber sensible Säuglinge weinen vor allem, wenn (für ihr Empfinden) um sie herum zu lange zu viel passiert. Für sensible Säuglinge ist es viel schneller „zu viel“ als für andere Kinder. Sensible Kinder reagieren überdies stärker auf die Stimmungen ihrer Eltern – beispielsweise auf Sorgen oder Ängste. Sie können sich den daraus resultierenden Teufelskreis sicher vorstellen – mehr darüber in Kapitel 6.
Wieder andere sensible Babys weinen nur sehr selten. Ihre Eltern haben sich auf die Empfindlichkeit ihres Säuglings eingestellt, vielleicht weil sie selbst hochsensibel sind, und sorgen für ein möglichst ruhiges, reizarmes Umfeld. Auch diese Säuglinge aber erkennt man sofort als hochsensible: Sie scheinen allem mit den Augen zu folgen, reagieren auf jedes Geräusch und jede Veränderung der Stimme ebenso wie auf Stoff auf ihrer Haut oder die Temperatur ihres Badewassers. Und je größer sie werden, umso mehr Details registrieren sie – dass Sie ein neues Hemd tragen, dass beim Mittagessen etwas von der Tomatensauce irrtümlich auf dem Broccoligemüse gelandet ist, dass in der Gegend, durch die Sie gerade fahren, keine Bäume wachsen oder dass die Großmutter ihr Sofa an einen anderen Platz gerückt hat. Zugleich werden sie mit zunehmendem Alter immer leichter überfordert, weil sie so viel mehr erleben, weil das, was sie sehen ihnen fremd ist und weil sie ihre Sinneseindrücke einfach noch nicht richtig filtern können.
Jeder Wesenszug ist ein genetisch bedingtes und mithin ein grundlegendes Verhaltensmerkmal. Derlei angeborene Temperamentsunterschiede finden sich nicht nur bei Menschen, sondern auch bei höheren Tierarten. Denken wir doch nur an die typischen Merkmale verschiedener Hunderassen – an den freundlichen Labrador, den aggressiven Pitbull, den beschützenden Schäferhund, den stolzen Pudel. Wie sie erzogen werden, ist natürlich ebenfalls von Bedeutung, aber Sie können eine Bulldogge nicht dazu bringen, sich wie ein Chihuahua zu benehmen. Ihre Eigenart oder auch Persönlichkeit hat sich entwickelt oder wurde von Züchtern gefördert, damit sie sich bestimmten Situationen ideal anpassen. Folglich handelt es sich nicht um eine Störung oder Schwäche. Sie alle sind vollkommen normale Hunde.
Früher ging man in der Biologie davon aus, dass die Evolution jede Spezies zu einem perfekt angepassten Prototyp innerhalb der jeweiligen ökologischen Nische ausgebildet hat: Nur der perfekte Elefant, der die richtigen Merkmale aufwies – die richtige Rüssellänge, Größe und Hautdicke, konnte dieser Auffassung zufolge überleben, während diejenigen, die diese Eigenschaften nicht mitbrachten, zum Aussterben verurteilt waren.
Wie sich jedoch herausgestellt hat, finden wir bei den meisten oder vielleicht sogar allen Tierarten zwei „Persönlichkeiten“. Eine beträchtliche Minderheit ist wie Ihr Kind – sensibler, aufmerksamer, vorsichtiger –, während die Mehrheit forsch voranschreitet, ohne der Situation oder ihrem Umfeld sonderlich große Aufmerksamkeit zu schenken.
Warum gibt es diese Unterschiede? Stellen Sie sich zwei Rehe am Rande einer Lichtung vor, deren Gras besonders nahrhaft aussieht. Das eine Reh bleibt längere Zeit stehen, um sicherzugehen, dass dort keine Raubtiere lauern. Das andere bleibt kurz stehen, prescht dann vor und beginnt zu äsen. Wenn das erste Reh recht hatte, wird das zweite getötet. Wenn das zweite recht hatte, entgeht dem ersten das beste Gras. Kommt so etwas häufiger vor, wird Letzteres irgendwann an Unterernährung zugrunde gehen. Das Zusammenspiel beider Strategien, also zwei „Sorten“ von Rehen innerhalb eines Rudels, erhöhen die Überlebenschancen der ganzen Gruppe, ganz gleich, was an jenem Tag auf der Lichtung passiert.
Interessant ist, dass man diesen Unterschied sogar bei Fruchtfliegen3 nachweisen konnte – bis hin zu dem Gen, das ihn verursacht. Manche Fruchtfliegen besitzen in ihrem „Futtersuch-Gen“ ein Merkmal, das sie zur Bewegungsarmut verdammt. Solange Futter in der Nähe ist, werden sie nicht sonderlich aktiv. Andere werden als „Wanderer“ bezeichnet und wagen sich auf der Futtersuche weit vor. Besonders interessant ist hier, dass die passiveren Fliegen ein sensibleres, höher entwickeltes Nervensystem besitzen!
In einem anderen Tierversuch zu „Persönlichkeitstypen“ beim gemeinen Sonnenbarsch wurde ein Teich mit Fallen versehen. Den Wissenschaftlern zufolge verhielt sich die Mehrheit der Fische „forsch“ und „normal“, indem sie in die Fallen schwamm, während eine Minderheit, die „scheuen“ Fische, den Fallen auswich. (Ich würde gern wissen, warum man die beiden Typen nicht nach dummen und klugen Sonnenbarschen unterschied – oder zumindest nach sensiblen und unsensiblen!)
In menschlichen Gruppen hat es enorme Vorteile, eine große Minderheit zu haben, die nachdenkt, bevor sie handelt. Sie entdeckt potenzielle Gefahren früher, welche die Forscheren dann aus dem Weg räumen können (was Letztere sogar noch als aufregend empfinden). Die Sensiblen denken außerdem gründlich über mögliche Folgen nach und bestehen oft darauf, gemeinsam erst einmal abzuwarten, sich die Konsequenzen vor Augen zu führen, und dann die beste Strategie zu entwickeln. Erst die Zusammenarbeit der beiden Gruppen führt zum besten Ergebnis.
Zu sensiblen Menschen gehören traditionell Wissenschaftler, Berater, Theologen, Historiker, Anwälte, Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer und Künstler (früher endeten solche Menschen gern als Schulmeister, Pfarrer oder Dorfarzt). In jüngster Zeit werden sensible Menschen zusehends aus diesen Bereichen vertrieben, was auf einen Kreislauf zurückzuführen ist, der damit beginnt, dass Nicht-Sensible sich aggressiv in die entscheidenden Positionen drängen, wo sie, entsprechend ihrem natürlichen Wesen, umsichtige Entscheidungen abwerten, auf kurzfristige Gewinne oder Aufsehen erregende Resultate setzen, die sie stolz präsentieren, statt auf anhaltende Qualität oder langfristige Konsequenzen zu achten. Zudem benötigen sie kein ruhiges Arbeitsumfeld und keine vernünftigen Arbeitspläne, weshalb sie beides abschaffen. Sensible Menschen werden herabgestuft, haben weniger Einfluss, leiden oder kündigen, sodass die Nichtsensiblen noch mehr Kontrolle in diesen Bereichen bekommen.
Meine Beschreibung des Kreislaufs soll keine Beschwerde sein – lediglich eine Beobachtung, was der mögliche Grund sein mag, weshalb all diese Berufe zusehends profitorientierter werden und weniger zufriedenstellende Ergebnisse produzieren. Im Grunde ist die ganze Welt in Gefahr, wenn die Entscheidungsträger nicht hinreichend über Konsequenzen nachdenken und der Einfluss von Sensiblen und Nicht-Sensiblen ungleich gewichtet ist. Deshalb ist es für uns alle wichtig, dass Ihr hochsensibles Kind zu einem zuversichtlichen und selbstbewussten Menschen heranwächst, damit es seine Gaben sinnvoll einbringen und einen stabilisierenden Einfluss auf andere ausüben kann.
Nachdem ich nun dargelegt habe, warum „Sensibilität“ der beste Terminus für diesen Wesenszug ist, lassen Sie mich noch ein Wort darüber verlieren, welche Probleme eine solche „Etikettierung“ mit sich bringt. Vielfach glauben wir doch, dass wir einem Umstand nur einen Namen geben müssen, um darüber Bescheid zu wissen, egal, ob es sich um eine Kamelie, einen deutschen Schäferhund oder ein HSK handelt. Dabei wissen wir eigentlich sehr wenig über jede einzelne Kamelie, jeden einzelnen Schäferhund oder jedes einzelne HSK.
Als ich Eltern und Kinder gezielt für dieses Buch befragte, war ich sprachlos angesichts der Einzigartigkeit eines jeden HSK – weit sprachloser als bei den erwachsenen Hochsensiblen. Und wieder einmal stimmte ich Margaret Mead zu, die darauf hinwies, dass Kinder mit ebenso vielen Wesenszügen geboren werden wie die verschiedenen Schattierungen auf einer Palette, dass aber die Kultur nur ganz bestimmte Züge fördert4. Die anderen werden ignoriert oder schlicht unterdrückt, sodass man bei Erwachsenen eine deutlich geringere Bandbreite findet.
Selbst innerhalb der Gruppe der HSK ist die Bandbreite beträchtlich. Betrachten wir zum Beispiel Rhodas Familie. Rhoda ist selbst hochsensibel und hat drei hochsensible Kinder im Alter von zweiundzwanzig, zwanzig und sechzehn Jahren. In jüngeren Jahren reagierten sie allesamt sehr viel empfindlicher auf Umweltreize als ihre Spielkameraden. Sie benötigten mehr Ruhe oder „Auszeiten“ als Gleichaltrige. Entsprechend oft wurden sie als „überempfindlich“ verurteilt. Jedes der drei Kinder bringt heute seine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit auf künstlerischem Gebiet zum Ausdruck.
Allerdings auf sehr unterschiedliche Weise! Ann, die Älteste, ist Fotografin. Sie liebt es, neue Erfahrungen zu machen; sie fährt Motorrad und springt Fallschirm. Andrew, der Mittlere, ist zurückhaltend, eigen und sehr wählerisch. Er ist Maler, und seine Bilder sind sehr detailliert und sorgfältig gearbeitet. Von Geburt an reagiert er besonders sensibel auf Geräusche und Gerüche.
Alle drei sind sehr emotional, was Ann und Andrew allerdings eher zu verbergen suchen. Tina, die Jüngste, hingegen hat einen Hang zum Drama und brachte ihre Gefühle immer schon deutlich zum Ausdruck. Als Kind neigte sie zu Wutanfällen, als Teenager litt sie an Depressionen. Ihre Kunstform ist die Poesie – etwas, das sie laut vorlesen kann. Ihre Erkältungen verwandeln sich gern in eine Bronchitis oder gar in eine Lungenentzündung, weshalb sie häufiger beim Arzt ist.
Einer der Gründe für die Vielfalt unter HSK ist, dass der Wesenszug durch mehrere Gene bedingt zu sein scheint, die sich alle gegenseitig verstärken5. Entsprechend können unterschiedliche Arten von Sensibilität – gegenüber subtilen, überwältigenden, neuen, emotionalen, sozialen oder körperlichen Phänomenen – von unterschiedlichen Genen hervorgerufen sein. Dennoch haben all diese verschiedenen Formen etwas gemein und können sogar in der bestehenden Konstellation ererbt sein.
Deswegen ist es an dieser Stelle sinnvoll, Ihnen weitere Beispiele für die Bandbreite unter hochsensiblen Kindern vorzustellen. Ja, Rhodas Jüngste, Tina, litt – wie viele hochsensible Kinder angesichts von Reizüberflutung – unter Wutausbrüchen. Alice hingegen ist drei Jahre alt ist und hatte noch nie einen Wutausbruch. Sie ist ebenso entschlossen wie eigensinnig, aber sie bringt ihre Wünsche auf eine dermaßen reife Weise zum Ausdruck, dass es schon fast unheimlich ist.
Walt wiederum ist sieben Jahre alt, hasst Sport und liebt Schach. Der neunjährige Randall wiederum spielt ausschließlich Baseball, aber nur, wenn seine Mutter das Team trainiert. Ganz im Gegensatz zu Chuck, gleichfalls neun, der jede Sportart treibt und gut darin ist. Er klettert und liebt Skifahren, kennt seine Grenzen und sein Terrain jedoch genau. (Vor Kurzem wurde Chuck bei einem Skiausflug von einem Schneesturm auf dem Gipfel überrascht. Er weinte vor Stress, bestand aber trotzdem darauf, den Hang hinunterzufahren.)
Chuck ist ein desinteressierter Schüler, Walt und Randall hingegen machen sich sehr gut in der Schule. Catherine hat zahlreiche Schuljahre übersprungen. Und Maria hielt die Abschlussrede an ihrer Highschool und graduierte mit Summa cum laude in Chemie an der Harvard University.
Chuck ist genauso extrovertiert wie Tina und dazu noch besonders beliebt bei den Mädchen. Im Gegensatz zu ihm hat Randall nur wenige Freunde, vor allem weil er nicht gern in fremde Häuser geht – ihm widerstreben die unbekannten anderen Familienmitglieder, das Essen und der ungewohnte Tagesablauf.
Was Eltern oft am stärksten auffällt, ist die Sensibilität ihres Kindes auf emotionalem Gebiet. River zum Beispiel ist ein Teenager mit so viel Einfühlungsvermögen, dass er eines Tages seine Mutter anflehte, einen Obdachlosen aufzunehmen, den er im Park traf. (Seine Mutter beschloss, seinem Drängen nachzugeben, bis ihr Sohn von selbst einsah, dass eine solche Situation nicht unproblematisch war. Nach drei Monaten hatte er ein Einsehen und fand eine andere Lösung.)
Melanie, acht, ist ein weiteres HSK, deren Sensibilität sich vornehmlich auf emotionaler Ebene äußert. Sie weint, wenn sie verlegen ist oder jemand anders geärgert wird. Ihre Sensibilität erstreckt sich zudem auch auf physischen Schmerz. Aus Angst, sie könnte fallen, lernte sie Fahrradfahren mit Stützrädern erst gleichzeitig mit ihrer um drei Jahre jüngeren Schwester. Es war ihr Stolz, der sie zwang, das Risiko auf sich zu nehmen.
Walt reagiert vor allem auf neue Situationen und Menschen sensibel. Seine erste Erfahrung mit Gras sah folgendermaßen aus: Er krabbelte an den Rand einer Decke, geriet auf den Rasen und weinte vor Schreck. Seine Mutter erinnert sich, dass seine kleine Schwester zwei Jahre später von der Krabbeldecke auf Gras gelangte und einfach weiterkrabbelte.
Larry, der heute dreizehn ist, reagiert vor allem auf Geräusche, Kleidung und Nahrung. Bis zum Kindergarten trug er nur Sweatshirts und Sweathosen; Jeans waren für ihn unerträglich grob. Wie Walt liebt auch er keine neuen Situationen – er weigert sich, ins Ferienlager zu fahren oder längere Urlaubsreisen mitzumachen.
Der fünfjährige Mitchell scheint sämtliche Merkmale eines HSK aufzuweisen. Er reagiert vornehmlich auf soziale Veränderungen, weshalb ihm der Übergang zur Schule besonders schwerfiel. Er mag keine Geburtstagspartys und zieht sich an Halloween kein Kostüm an, weil er keine Aufmerksamkeit erregen will. Er spricht sehr langsam, und denkt genau nach, bevor er etwas sagt. Nach dem Besuch seiner älteren Cousins fing er sogar vorübergehend an zu stottern, weil er Mühe hatte, genauso schnell zu sprechen wie sie. Darüber hinaus ist er physisch sensibel: er mag kein vermischtes Essen und keine Socken, die ihn kratzen. Seine Mutter schneidet sämtliche Schilder aus der Kleidung, um ein Kratzen im Nacken oder an der Hüfte zu vermeiden.
Der siebenjährige Emilio ist zwar nicht so wie die anderen Kinder, „fühlt“ sich jedoch nicht anders. Er ist sehr gesellig und hat keine Schwierigkeiten, neue Leute kennenzulernen. Er isst bereitwillig alles und ist bei seiner Kleidung nicht wählerisch. Trotz seiner Extrovertiertheit aber stören ihn Lärm und Partys. Er braucht viel Ruhepausen und einen festen Tagesablauf. Seine Sensibilität manifestierte sich in frühen Jahren in einer von ihm selbst entwickelten – geradezu genialen – Lösung, die ihn vor Reizüberflutung bewahrte:
In den ersten zwei Monaten seines Lebens weinte Emilio jede Nacht zur selben Zeit, pünktlich wie ein Uhrwerk, und war offensichtlich kreuzunglücklich. Dann kauften seine Eltern einen Laufstall. Von diesem Zeitpunkt an war er nur dort wirklich glücklich. Er aß in dem Laufstall, schlief in ihm und spielte in ihm. Sobald seine Mutter ihn herausnahm, weinte er, und kaum war er alt genug, krabbelte er jedes Mal direkt wieder zurück. Er wollte weder die Schränke noch die Abstellkammern erkunden. Er wollte seinen Laufstall!
Nachbarn und Verwandte hatten Mitleid mit ihm und rieten Emilios Mutter, dieses Babygefängnis wegzuräumen und den Kleinen auf diese Weise zur Neugier anzuspornen – ein wunderbares Beispiel für die gut gemeinten Ratschläge, die wir alle kennen und die uns einreden, dass etwas mit uns selbst oder unserem Kind nicht stimmt.
Aber Emilios Mutter brachte es nicht übers Herz, ihr Kleinkind von seinem Laufstall zu trennen. Es war viel zu glücklich darin. Der Laufstall stand im Wohnzimmer, so dass sich ein Großteil des Familienlebens in seiner Umgebung abspielte, und Prinz Emilio betrachtete ihn offensichtlich eher als Burg denn als Kerker. Also beschloss seine Mutter, es nicht als Problem zu betrachten, zumindest solange der Boden nicht unter den Hüpfern ihres pummeligen Sohnes nachgab! Sie wusste, dass er kaum bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr in dem Laufgitter bleiben würde, und tatsächlich gab er es freiwillig auf, als er zweieinhalb Jahre alt war und sein jüngerer Bruder dort Einzug halten sollte. Schließlich war er ja kein Baby mehr!
Ein weiterer Grund für das unterschiedliche Verhalten von HSK wird durch ein wissenschaftliches Modell nahegelegt, demzufolge die Ursache von Hochsensibilität darin liegt, dass sensible Personen ein sehr aktives „Verhaltenshemmsystem“ aufweisen. Alle Gehirne verfügen über dieses System, aber bei Hochsensiblen nimmt man an, dass es besonders stark ausgeprägt ist. Man verbindet das System mit einer aktiven rechten Hemisphäre des denkenden Gehirnteils (dem Frontalkortex), und vermutet, dass Babys mit vermehrter elektrischer Aktivität und Blutzirkulation auf der rechten Hirnseite eher HSK sind.
Ich selbst nenne dieses System lieber das „Innehalten-und-nachdenken-System“, weil es genau das bewirkt. Es ist dazu da, die Situation, in der man sich befindet, zu betrachten und zu prüfen, ob sie bereits erlebten Situationen ähnlich ist, die unser Gedächtnis abgespeichert hat. Entsprechend ruft es nur für einen kurzen Moment eine „Hemmung“ hervor – es sei denn, die vorherige Situation war bedrohlich. Andernfalls beschließt man nach einer kurzen Bedenkpause voranzuschreiten.
Bei Hochsensiblen ist der Wunsch nach Bedenkzeit wahrscheinlich deshalb so stark, weil sie in jeder Situation so viel zu verarbeiten haben. Nehmen wir noch einmal die beiden Rehe am Rande der Lichtung. Das hochsensible Reh nimmt die schwachen Gerüche, die Schatten, die Farbschattierungen und die winzigen Bewegungen wahr, die vom Wind verursacht werden – oder vielleicht auch von einem Raubtier. Das weniger sensible Reh registriert nichts von alldem und hat daher weniger zu verarbeiten, mithin auch weniger Bedarf an Bedenkzeit.
Das weniger sensible Reh verfügt über ein stärkeres „Verhaltensaktivierungssystem“ – es sieht schmackhaftes Gras auf der Wiese und stürzt sich nach einer kurzen Prüfung der Lage darauf. Dieses System, das ich „Hol’s-dir-System“ nenne, sorgt dafür, dass wir bereitwillig neue Wege erkunden, Erfolg haben und nach den guten Dingen im Leben streben. Es steuert unseren Wunsch nach neuen Erfahrungen, und zwar um Wissen, Erfolg und Genuss zu sammeln.
Jeder trägt beide Systeme in sich, und beide Systeme werden von unterschiedlichen Genen kontrolliert. Folglich kann man entweder ein sehr starkes Hemmsystem oder ein sehr starkes Aktivierungssystem haben oder beides gleichzeitig oder weder noch. HSK, bei denen beide Systeme stark ausgeprägt sind, sind wie Ann oder Chuck – sie erforschen ihre Umwelt, sie probieren neue Dinge aus und wollen immer höher hinaus. Da sie aber nun einmal hochsensibel sind, handeln sie überlegt und gehen gewöhnlich keine großen Risiken ein. Sie kennen ihre Grenzen.
Eine weitere ausschlaggebende Ursache für die unterschiedlichen Merkmale bei HSK ist also das Kräfteverhältnis der beiden Systeme. Auf dieses Thema werde ich im dritten Kapitel noch einmal näher eingehen.
Neben den unterschiedlichen Genen, die für die unterschiedlichen Arten von Sensibilität sowie für die Gewichtung der vorgenannten Systeme verantwortlich sind, liegt eine weitere Ursache für die große Variationsbandbreite unter hochsensiblen Kindern in den anderen Wesenszügen, die Ihr Kind geerbt hat. Auf dem Gebiet der Temperamentsforschung haben Wissenschaftler viele verschiedene Listen zusammengestellt. (Mir kommen sie wie viele unterschiedliche Methoden vor, denselben Kuchen zu schneiden.) Die bekannteste ist wohl die von Alexander Thomas und Stella Chess erarbeitete Liste der neun Merkmale. Wenn Sie Ihr HSK besser verstehen wollen, ist es wichtig, dass Sie etwas über diese anderen Wesensmerkmale wissen. Deshalb sehen wir sie uns im Einzelnen an, und zwar im Lichte der Hochsensibilität (die Definitionen stammen aus Jan Kristals The Temperament Perspective6).
1. Niedrige sensorische Schwelle. Auf der Liste von Thomas und Chess entspricht die niedrige sensorische Schwelle der Hochsensibilität. Dieser von den beiden Psychologen gewählte Terminus scheint jedoch zu implizieren, dass die fünf Sinne die Hauptursache für den Wesenszug sind. Die intensive Verarbeitung von Erfahrungen, von eingebildeten oder tatsächlichen Erlebnissen mit all ihren emotionalen Konsequenzen wird hier vollkommen vernachlässigt.
2. Aktivitäts- oder Energiespiegel. Aktive Kinder zeigen große Lebensfreude. Sie sind unabhängig und reagieren auf ihre Umwelt mit wachem Verstand und Körper. Sie sind gewöhnlich gut koordiniert, schnell im Laufen und Sprechen, lernwillig, aber anstrengend für die Eltern. Weniger aktive Kinder sind ruhig, selten zappelig oder rastlos, besser in fein- als in grobmotorischen Fertigkeiten und nie in Eile. HSK können hierin genauso variieren wie andere Kinder (abhängig von der Ausprägung des „Hol’s-dir-Systems“). Hohe Aktivitätswerte können einem HSK helfen, sich in die Welt hineinzuwagen. Allerdings ist es mir wichtig, bei Aktivität sowohl die innere als auch die äußere zu betrachten. Gerade hochsensible Kinder sind äußerlich häufig völlig ruhig, während es in ihrem Kopf rumort.
3. Intensität der emotionalen Reaktion. Kinder, die hier hohe Werte aufweisen, investieren beachtliche Energie in den Gefühlsausdruck. Sie reagieren laut und dramatisch. Auf jeden Fall braucht niemand zu raten, wie sie sich fühlen. Kinder mit niedrigen Intensitätswerten sind verschlossen, zeigen ihr Missfallen eher verhalten und bekommen nie Wutausbrüche. Die meisten HSK reagieren sehr intensiv, und doch werden viele von ihnen hier niedrig eingestuft, weil sie ihre Reaktionen seltener nach außen hin zeigen, indem sie dramatisieren, sondern eher nach innen richten, was sich in Bauchschmerzen oder Ängstlichkeit äußern kann. Einem aufmerksamen Beobachter wird ihre intensive Reaktion so leicht nicht entgehen. Natürlich gibt es auch hochsensible Kinder, die sich so verhalten. Sie haben immerhin den Vorteil, dass die Welt genau weiß, wann sie überfordert sind.
4. Rhythmik. Kinder mit diesem Merkmal sind sehr vorhersehbar. Sie wissen, wann sie Hunger haben, müde sind oder Blähungen haben. Wenn sie älter sind, werden sie zu Gewohnheitsmenschen, halten ihre Zimmer in Ordnung, nehmen regelmäßig ihre Mahlzeiten und Snacks ein und erledigen ihre Aufgaben pünktlich. Die meisten HSK dieser Kategorie sind ziemlich vorhersagbar, wahrscheinlich weil sie nach Ordnung streben. Für Sie und Ihr Kind kann das ein großer Vorteil sein. Aber wie immer gibt es auch durchaus unvorhersagbare hochsensible Kinder.
5. Anpassungsfähigkeit. Kinder, die sich sehr leicht anpassen, schwimmen mit dem Strom. Sie können mit Veränderungen, Übergangssituationen und Unterbrechungen umgehen. Auf Reisen sind sie recht unkompliziert. Kinder, die sich langsam anpassen hingegen, müssen genau wissen, was sie zu welchem Zeitpunkt erwartet und mögen keine plötzlichen Veränderungen. Eine simple Ankündigung wie: „Jetzt ist Zeit zum Essen!“ kann Verweigerung oder einem Wutausbruch auslösen. Die meisten HSK scheinen sich nur schlecht anpassen zu können. In Wirklichkeit ist ihr Verhalten darauf zurückzuführen, dass von ihnen zu viel Anpassung verlangt wird. Sie sind überfordert oder haben Angst vor Überforderung, weil so viele neue Reize auf sie einwirken, die sie alle erst verarbeiten müssen, ehe sie sich entspannen können. Andererseits begreifen HSK, welche Konsequenzen es hat, wenn sie sich nicht anpassen, sowohl für sie selbst als auch für die Menschen in ihrer Umgebung, und sie bemühen sich nach Kräften, flexibel zu sein. Das ist besonders anstrengend für die Eltern, weil sich diese Kinder außerhalb der Familie zusammennehmen, zu Hause aber bereits „ausflippen“, sobald man auch hier eine Kleinigkeit von Ihnen verlangt. Solch ein Verhalten ist ein klares Indiz dafür, dass sie ihre Fähigkeit, mit Veränderungen klarzukommen, überschätzt haben. Nur zu Hause haben sie das Gefühl, ihrer Frustration freien Lauf lassen zu können.
6. Erste Reaktion. Das eine Kind begegnet neuen Situationen offensiv, ein anderes hingegen kann sich nur langsam und zögerlich darauf einlassen. Die meisten HSK halten zunächst einmal inne und überlegen, HSK mit einem ausgeprägten „Hol’s-dir-System“ indes lassen sich ziemlich schnell auf neue Menschen oder Dinge ein, sofern sie sich sicher fühlen.
7. Durchhaltevermögen. Manche Kinder konzentrieren sich auf eine Aufgabe, ganz gleich, wie sie aussieht. Sie wollen das beenden, was sie einmal begonnen haben. Sie üben so lange, bis sie etwas richtig beherrschen. In einem solchen Fall loben wir ihre lange Aufmerksamkeitsspanne. Es sei denn, ihre Beharrlichkeit wird für uns zum Problem, dann sprechen wir von Dickköpfigkeit. Andere Kinder hingegen können sich immer nur kurz auf eine spezifische Aktivität konzentrieren, ehe sie sich der nächsten zuwenden. Solche Kinder sind oft leicht frustriert und geben schneller auf. Dieses Verhalten ist keineswegs ein klassisches Sensibilitätsmerkmal, wenngleich es von Sensibilität beeinflusst wird. Da HSK alles sehr gründlich verarbeiten, besitzen sie in der Regel viel Durchhaltevermögen. Aber ihr Perfektionismus führt bei Misserfolgen schnell zu Frustration. Die Folge sind Überreizung und das Gefühl, ein Versager zu sein, sodass sie lieber aufgeben und nicht länger durchhalten wollen. Manchmal geben Sie auch sofort auf, wenn sie erkennen, dass etwas ganz anderes von ihnen erwartet wird, als sie bislang geleistet haben.
8. Ablenkungsbereitschaft.