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Zauberhafte Blind Dates im kleinen Büchercafé am Waldrand Frederike will sich mit ihrem kleinen Café am Waldesrand einen Traum erfüllen. Nicht nur Wanderer, sondern auch die Leute aus dem Dorf sollen kommen, als sie zu den »Blind Dates mit einem Buch« einlädt. Nur die Vorbesitzerin Gertrude beäugt das Ganze kritisch. Stattdessen begrüßt sie es, dass der romantische, wilde Garten mit zugewachsenem Teich in der Nähe des Cafés einem Neubaukomplex weichen soll. Ausgerechnet dort hat Frederike vor ein paar Wochen den besten Kuss ihres Lebens bekommen. Natürlich ist sie auf der Seite der Protestler ‒ und kann es kaum glauben, als sie erfährt, wer hinter dem Vorhaben steht.
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Seitenzahl: 260
Zum Buch
Seit Frederike zurückgekehrt ist nach Sagenbrühl, arbeitet sie im Sommerglück. Das Café ist ihr so sehr ans Herz gewachsen, dass sie es auch gern übernimmt, als Gertrude ihr die Teilhaberschaft anbietet. Doch jetzt will Frederike aus dem kleinen Café am Waldesrand etwas Neues machen: einen Ort für Bücherfreunde. Gertrude ist alles andere als begeistert von dem Dichterclub, der sich bald im Sommerglück trifft. Der attraktive David dagegen bestärkt Frederike darin, ihre Träume zu verwirklichen. Aber geht es ihm wirklich um sie, oder will er sie lediglich auf seine Seite ziehen, damit sie sein Bauvorhaben unterstützt?
Zur Autorin
Lena Hofmeister wurde 1985 geboren und lebt in Frankfurt. Neben ihrer Arbeit als Lektorin und Autorin hat sie jahrelang einen ganzen Wald an Zimmerpflanzen großgezogen – bis sie beschlossen hat, fünf buddelwütigen Katzen ein Zuhause zu geben.
Lieferbare Titel
Der Blumenladen der guten Wünsche
Originalausgabe 2021 by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Covergestaltung von Johannes Wiebel | punchdesign, München Coverabbildungen von Twin Design, New Africa, koya979, Jones M, Maple Studio, Pushkarevskyy / Shutterstock E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN E-Book 9783749950751
www.harpercollins.de
Der Mann am Ecktisch las »Vom Winde verweht«. Frederike hatte den Titel erspäht, als sie ihm seinen Kaffee brachte, und nun beobachtete sie, wie er die Stirn runzelte, als sie mit dem Stück Käsekuchen näher kam, das er bestellt hatte.
Er wirkte nicht wie der typische Leser eines solchen Romans, generell wirkte er nicht wie der typische Leser. Auch wenn die Jacke seines Anzugs derzeit über der Lehne des Stuhls neben ihm lag, verriet der perfekte Sitz, dass es sich nicht um Ware von der Stange handelte, und er hatte zumindest den Versuch unternommen, sein Haar sorgfältig zurückzukämmen. Allerdings, ein paar Strähnen rebellierten dagegen und ließen ihn weniger steif, mehr sympathisch wirken.
Und es ging sie natürlich nichts an, aber der Stelle nach zu urteilen, an der er das Buch aufgeschlagen hatte, war er noch nicht allzu weit gekommen. Sie fragte sich, was das Stirnrunzeln wohl verursacht hatte. Scarlett O’Haras Verhalten auf dem Gartenfest vielleicht?
»Bitte schön.« Sie stellte den Teller mit dem Kuchen vor ihm ab und warf ihm neugierig ein Lächeln zu.
Der Mann reagierte nicht. Stattdessen starrte er einen Moment lang weiter auf die Seiten seines Buchs, als hätten sie ihn persönlich beleidigt. Erst als Frederike sich schon wieder abwenden wollte, schaute er auf. Er hatte dunkelgrüne Augen wie die Blätter über einem schattigen Waldweg, und sein Blick traf sie wie ein Schock.
Sie glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick. Das war etwas für Filme mit Rosa im Titel und Jennifer Aniston in der Hauptrolle. Aber dieser Mann hatte eine Präsenz, die ihre gesamte Aufmerksamkeit forderte und ihr Herz schneller schlagen ließ.
»Verzeihung«, sagte er mit einer Stimme, bei der sie an kalte Herbsttage und gemütliche Kaminfeuer dachte. »Danke.«
Für einen Moment war Frederike hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, die Flucht zu ergreifen vor der Intensität des Blicks, und dem, irgendeinen Vorwand für ein Gespräch zu finden. Schließlich siegte ihr Wunsch, mehr über ihn zu erfahren.
Sagte Gertrude nicht immer, sie solle den Gästen ein ganz persönliches Café-Erlebnis bieten? Nun, wenn ihr Lieblingsbuch mit im Spiel war, dann sollte das nicht schwer sein.
»Spannende Lektüre?«, fragte sie.
»Ich verstehe nicht, wieso sie jemanden heiratet, den sie eigentlich gar nicht will.« Er deutete anklagend auf das Buch.
Ah, diese Stelle also. Die war durchaus frustrierend, andererseits liebte man Scarlett O’Hara auch nicht unbedingt für ihre besonnenen Entscheidungen. »Weil sie eigentlich den Mann will, der ihre Freundin geheiratet hat.« Als das keine besondere Reaktion bei dem Fremden auslöste, fügte sie schulterzuckend hinzu: »Es ist tragisch.«
Nachdenklich wiegte er den Kopf. Der Kuchen vor ihm schien vergessen. »Sie hätte sicher noch jemanden gefunden, den sie tatsächlich heiraten wollte.«
Unwillkürlich musste Frederike lachen. »Ich fürchte, Sie und Scarlett O’Hara werden keine Freunde werden.«
Fast verlegen klappte der Fremde das Buch zu und legte es neben seinen Kuchenteller. Das Lächeln, das er ihr nun schenkte, wirkte beinah schüchtern.
»Sie scheinen ja sehr belesen zu sein.«
Nun war es an ihr, verlegen zur Seite zu schauen. »Nein, Sie lesen nur zufällig mein Lieblingsbuch.«
»Ist das so?«
Dieses Lächeln war selbstbewusster und ließ Grübchen zum Vorschein kommen.
»Dann sollte ich mich wohl lieber nicht mehr allzu laut darüber aufregen.«
Eilig winkte Frederike ab. »Jeder hat doch seine eigene Meinung zu einer Geschichte. Das ist ganz normal. Aber warum lesen Sie es denn, wenn Sie sich darüber aufregen?«
»Arbeit.« Er hob die Schultern.
»Das klingt nach einem ziemlichen Traumjob, wenn ich ehrlich bin.«
»Na ja, es …«
»Verzeihung!« Eine ältere Dame am Nachbartisch lehnte sich in ihrem Stuhl nach hinten, damit sie mit einer Hand wedelnd Frederikes Aufmerksamkeit erhaschen konnte. »Wir würden dann gerne zahlen.«
»Sofort.« Frederike wandte sich wieder dem Fremden zu. »Da wir gerade über Arbeit reden …«
Er lächelte. »Natürlich.« Er zwinkerte ihr zu. »Ich bestelle nachher einfach noch einen Kaffee, dann können wir unser Gespräch fortsetzen.«
Frederike konnte gar nicht anders, als das Lächeln zu erwidern, denn er gefiel ihr von Minute zu Minute besser. Und zum Teil hoffte sie, er meinte es ernst.
Aus einem zweiten Kaffee – mit Milch, ein Würfel Zucker – wurde ein dritter und dann ein vierter. Jedes Mal, wenn Frederike ihm eine neue Tasse brachte, blieb sie für ein Schwätzchen an seinem Tisch stehen.
Beim zweiten Mal stellte er sich als David vor. Beim dritten Mal blickte Frederike sich kurz um. Abgesehen von David war nur eine Gruppe Spaziergänger da, der sie gerade erst neue Getränke gebracht hatte. Also ließ sie sich ihm gegenüber auf einem leeren Stuhl nieder.
Sie diskutierten die Kapitel, die er in der Zwischenzeit gelesen hatte. Er schimpfte zwar immer wieder über Scarlett O’Hara, aber er schien entschlossen zu sein, weiterzulesen.
Kurz darauf allerdings strömten neue Gäste ins Café, und sie musste sich entschuldigen.
Die nächste Stunde war hektisch, und Frederike schaffte es nicht an Davids Tisch. Im Vorbeilaufen sah sie einmal, wie er einen Anruf auf seinem Handy entgegennahm. Aber insgesamt wirkte er, als hätte er alle Zeit der Welt. Es musste schön sein, den Nachmittag lesend in einem Café zu verbringen.
Als sie ihn beim vierten Kaffee darauf ansprach, hob er die Schultern. »Ich kann überall arbeiten.« Er deutete auf sein Handy. »Und es ist gemütlicher hier als in meinem Gasthauszimmer.«
»Normalerweise kriegen wir hier vor allem Wandertouristen, wenn die Leute von weit genug weg herkommen und ein Zimmer in einem Gasthaus brauchen«, merkte Frederike an. Es war das erste Mal, dass jemand über so lange Zeit hinweg einen Kaffee nach dem anderen bestellte. Offenbar hatte er Lust zu reden. Vielleicht konnte sie ihn ja dazu bewegen, ein bisschen mehr über sich selbst preiszugeben.
»Das wäre sicher schön, wenn ich tatsächlich zur Entspannung hier wäre.«
Er warf seinem Handy ähnliche Blicke zu wie vor ein paar Stunden dem Buch, als es um Scarletts Heiratsentscheidung gegangen war. Dabei verwuschelte er sich geistesabwesend mit einer Hand das Haar. Frederike senkte schnell den Kopf, damit er nicht sah, wie liebenswert sie diese Geste fand. Sie ließ ihn jugendlich und frech wirken und erinnerte sie an die Helden aus ihren Lieblingsbüchern.
»Eigentlich hätte ich heute ein Meeting gehabt«, erzählte er weiter. »Aber sie haben mich erst warten lassen und schließlich abgesagt.«
»Dann hättest du ja jetzt Zeit, dir unser schönes Städtchen ein bisschen anzusehen.« Frederike bemühte sich, betont fröhlich zu klingen, und schenkte ihm ihr bestes Lächeln. Sie wollte ihn gerne aufmuntern, hatte er doch ihren heutigen Arbeitstag besonders interessant gemacht.
David lachte. »Ich will ja niemanden beleidigen, aber so viel gibt es hier nicht zu sehen.«
Damit hatte er durchaus nicht unrecht, doch gleichzeitig hatte er sie nun bei ihrem Lokalpatriotismus gepackt. »Na ja«, sagte sie und überlegte fieberhaft, was sie als interessante Sehenswürdigkeit anpreisen könnte. »Wir haben den Dorfplatz mit der Kirche, die ist immerhin um die fünfhundert Jahre alt. Und ganz in der Nähe hat letztes Jahr eine Bar aufgemacht, dort gibt es echt gute Cocktails.«
»Tatsächlich?«
Er wirkte nicht allzu enthusiastisch, aber immerhin lächelte er nun versöhnlich.
»Ich nehme alles zurück. Wenn Sagenbrühl sogar ein Nachtleben hat, was mehr könnte ich mir wünschen?«
Nun musste Frederike lachen. Weitere Worte lagen ihr auf der Zunge. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sprach sie aus: »Ich habe gleich Feierabend. Falls du noch jemanden suchst, mit dem zusammen du das aufregende Nachtleben von Sagenbrühl erkunden kannst …«
So viel Direktheit war normalerweise nicht ihr Stil, aber der Gedanke, ihn einfach so gehen zu lassen, verursachte leichte Panik bei ihr. Außerdem würde sie tatsächlich gleich ihre Schicht beenden. Und je mehr sie über ihn erfuhr, desto spannender fand sie David.
Sie wollte nicht riskieren, dass sie auseinandergingen und nie wieder voneinander hörten, wenn zumindest eine kleine Chance bestand, dass er mehr Zeit mit ihr verbringen wollte. Immerhin unterhielt er sich gern mit ihr, und vielleicht fühlte er ähnlich wie sie und war froh über eine Gelegenheit, ihr Zusammensein zu verlängern.
Angeblich sollte es ja auch anständige Männer geben, die wussten, dass man sich nicht an Kellnerinnen während ihrer Arbeitszeit heranmachte. Das hieß, den ersten Schritt zu machen lag an ihr. Und ihre Mutter würde ihr verzeihen, dass sie einen Abend nicht bei ihr verbrachte. Sie sagte doch immer, sie solle mehr aus dem Haus kommen. Frederike würde auf dem Heimweg schnell nach dem Rechten bei ihr sehen.
Tatsächlich hellte sich Davids Miene auf. »Wenn das so ist, wie wäre es mit einem Abendessen, bevor wir uns ins Nachtleben stürzen?«
Ein wahrer Gentleman. Frederikes Herz schlug schneller. »Sehr gerne. Ich muss nur kurz noch mal nach Hause.« Sie wollte nicht unbedingt in ihrer Arbeitskleidung in der schicken Cocktailbar sitzen.
David nickte. »Ich bin im Gasthaus Schwanen. Treffen wir uns einfach in einer Stunde dort?«
Ein Date! Sie hatte ein Date mit diesem interessanten Mann, bei dessen Anblick ihr Herz jedes Mal höher schlug. Frederike konnte nicht anders, sie strahlte ihn an. »Sehr gern.«
»Kann ich dann zahlen?«, fragte David mit einem Lächeln. »Ich habe in einer Stunde eine Verabredung mit einer wundervollen Frau und kann da nicht so auftauchen.« Er deutete an sich hinab, als gäbe es an seiner Erscheinung irgendetwas auszusetzen.
Frederike lachte. Sie hätte ihm gern gesagt, dass er umwerfend aussah, wagte es aber dann doch nicht. Zu offensichtlich wollte sie ihr Interesse auch nicht zeigen. Schließlich sollte er nicht glauben, dass sie sich ihm an den Hals warf. Stattdessen brachte sie ihm die Rechnung und blickte ihm hinterher, als er ging.
Jede verbleibende Minute ihrer Schicht kam ihr danach wie eine Ewigkeit vor. Die meisten Männer im Dorf waren eher langweilig. Sie wollten über Fußball reden oder hielten es für ein spannendes Date, sie auf der Sagenbrühler Erntekirmes ins Bierzelt mitzunehmen.
Während ihrer Ausbildung, für die sie Sagenbrühl verlassen hatte, hatte sie in Heilbronn einen Bibliothekar kennengelernt. Mit ihm hatte sie anfangs gut über Bücher reden können. Aber es war sehr schnell klar geworden, dass er mehr daran interessiert war, seine eigene Stimme zu hören als ihre Meinung.
Danach hatte Frederike sich erst einmal lieber auf die Pflege ihrer Mutter konzentriert. Diese hatte schon ihr ganzes Leben Multiple Sklerose, aber lange dank der richtigen Medikamente wenige Beschwerden damit gehabt. Vor einem Jahr allerdings war sie nach einem schweren Ausbruch querschnittsgelähmt zurückgeblieben.
Dass nun der Zufall einen so freundlichen und weltgewandten Mann in Frederikes Leben wehte, war womöglich ein Wink des Schicksals.
Eine halbe Stunde später stürmte sie nach einem kurzen Besuch bei ihrer Mutter förmlich nach Hause, um sich umzuziehen. Sie konnte den Abend kaum erwarten. Sie hatte einen Mann getroffen, der gerne über Bücher redete – ihre Lieblingsbücher! Wie viel perfekter konnte es werden?
Das ans Gasthaus Bergblick angeschlossene Restaurant war ganz sicher nicht das nobelste Etablissement, das man in der Umgebung Stuttgarts finden konnte, aber ein solches gab es in Sagenbrühl auch nicht. Allerdings saßen sie und David dort sehr gemütlich in einer Nische.
»In meiner Firma denken wir gerade über ein neues Projekt nach, in dem es darum geht, Mode zu entwerfen, die ein Literatur-Thema hat. Deshalb lese ich das Buch.«
»Das klingt wirklich sehr nach einem Traumjob, muss ich gestehen.« Frederike konnte nicht anders, sie war ein wenig neidisch. Zwar war sie gern Kellnerin und genoss den Kontakt mit Menschen, aber auf diese Weise Dinge, die sie liebte, mit ihrer Arbeit zu verbinden, davon konnte sie nur träumen.
Offenbar etwas verlegen rieb David sich den Nacken. »Vielleicht. Ich schätze, ich kann mich wirklich nicht beklagen. Immerhin habe ich so die Gelegenheit, in einem Café zu sitzen und interessante Bücher zu lesen.«
»Ich sage meiner Chefin ja immer, dass wir mal Literaturabende im Café veranstalten sollten«, erzählte sie. »Aber sie glaubt, da kämen nicht genug Leute, damit es sich lohnt.«
»Eventuell hat sie recht«, sagte David. »Es ist ein kleiner Ort. Lesungen sind eher etwas für eine Stadt.«
Genau genommen fand Frederike, dass es mit Lesungen allein nicht getan wäre. Was ihr vorschwebte, war mehr eine Mischung aus einer Buchhandlung und einem Café, sodass man nicht sein eigenes Buch dabeihaben musste, um den Nachmittag lesend zu verbringen. Sie stellte sich einen Ort vor, an dem man abends über das diskutieren konnte, was man gelesen hatte. Wo man sich vielleicht traf, um selbst etwas zu schreiben und sich darüber auszutauschen.
Das letzte Mal allerdings, als sie diesen Traum in Worte gefasst hatte, hatte ihre Chefin Gertrude ihn mit einer Handbewegung beiseitegewischt und gesagt: Man muss sich auf eine Sache konzentrieren, Frederike, und die Leute kommen wegen Kaffee und Kuchen her. Und auch mal für ein Bier nach dem Wandern.
Diese Diskussion wollte sie nicht noch einmal führen. Nicht, da dieser Abend doch Spaß machen sollte. Also hob sie nur die Schultern. »Vielleicht.« Dann wechselte sie das Thema: »Mir ist übrigens noch eine Sehenswürdigkeit eingefallen. Kennst du schon das Kleeblatt?«
»Das Kleeblatt?«, fragte David.
Frederike nickte. Das versprach immerhin lustig zu werden. »Ich zeige es dir auf dem Weg zur Cocktailbar.«
Vor zwei Jahren ungefähr hatte der Bürgermeister von Sagenbrühl beschlossen, dass der Ort attraktiver werden solle. Aber nicht etwa, indem man die Post-Filiale wieder eröffnete, die vor zwanzig Jahren geschlossen hatte, sodass seitdem alle Leute gezwungen waren, mit ihrer Post in den Nachbarort zu fahren. Oder indem man mehr Kita-Plätze schuf. Sondern man wollte Sagenbrühl als Kulturstätte präsentieren und hatte deshalb einen Künstler aus der Region beauftragt, eine Skulptur zu schaffen.
Auf halber Strecke zwischen dem Gasthaus und dem Marktplatz stand David nun daher vor einem großen Betonblock, runzelte die Stirn und starrte ihn an.
Er sah dennoch gut aus, musste Frederike zugeben, sogar wenn er mit etwas unzufrieden war. Ihr gefiel die Art, wie sich seine Brauen zusammenzogen und wie er das Objekt seiner Enttäuschung anstarrte, als erwartete er, genügend Missbilligung würde es dazu bewegen, sich besser zu verhalten. Sie war sich sicher, er war ein Mann, der meistens seinen Willen bekam.
Das Kleeblatt allerdings ließ sich von seinem Blick nicht erweichen.
»Ich hatte etwas erwartet, das mehr nach einem Kleeblatt aussieht«, sagte er schließlich und lächelte schief.
Frederike kicherte. »Sieh dir mal die rechte Ecke an.«
David ging zwei Schritte um den Block aus Beton herum, und sie folgte ihm. Dort war der Beton an der Kante gesprungen. Was erst nach einem Unfall aussah, entpuppte sich allerdings als Absicht, sobald man das winzige bronzene Kleepflänzchen entdeckte, das aus der Spalte wuchs.
»Oh«, sagte David. Nun spiegelte sein Blick volle Missbilligung. »Sehr modern, schätze ich.«
Frederike lachte. »Sehr diplomatisch ausgedrückt.«
»Wenn man nicht weiß, wonach man sucht, würde man nicht mal vermuten, dass es Kunst ist«, fuhr er schon weniger diplomatisch fort. »Es sieht aus, als hätte jemand einen Sockel für irgendetwas an den Straßenrand gesetzt und ihn dann vergessen, oder?«
Frederike nickte. »Es soll symbolisieren, dass man selbst in aller Trostlosigkeit noch Hoffnung und Glück findet, wenn man genau hinschaut, glaube ich. In einer Kunstgalerie wäre das vielleicht nett, aber den Ort hier verschönert es nicht unbedingt.«
Nun drehte David sich zu ihr um, und sofort verschwand die Missbilligung aus seinem Blick. »Weshalb du es mir unbedingt zeigen wolltest?«
Frederike hob die Schultern. »Es ist unterhaltsam, oder nicht?«
David lächelte. »Ich schätze schon.« Dann bot er ihr seinen Arm zum Unterhaken an, wie sie es sonst nur aus alten Filmen kannte. »Wollen wir weiter? Ich habe etwas von Cocktails gehört.«
Als Frederike die Hand in seine Armbeuge legte, spürte sie seine Körperwärme durch den Stoff des dünnen Sommermantels und erschauerte. Was für ein herrlicher Abend. »Die Cocktails kommen sofort. Die Bar ist nur zehn Minuten von hier.«
Die Cocktailbar war im Keller des alten Rathauses untergebracht. Gewölbedecken aus groben Steinen hingen niedrig über ihren Köpfen, als sie sich einen Weg zur Bar bahnten. Die Dorfjugend stand schon dicht gedrängt an den kleinen Tischen. Ansonsten gab es ja nichts, wohin man gehen konnte. Die Bar war im Kontrast zu den alten Wänden mit bunten Neonlichtern bestückt.
Der Caipirinha war hier nicht nur lecker, sondern verführte sie dazu, mehr zu trinken, als vielleicht gut gewesen wäre. Und so dauerte es nicht lange, und Frederike war ein bisschen beschwipst, was es ihr erleichterte, ihrer Sehnsucht nachzugeben und den Kopf an Davids Schulter zu legen. Wahrscheinlich lachte sie auch etwas zu laut über seine Witze.
Ihn schien das allerdings nicht zu stören, der Art nach zu urteilen, wie er einen Arm um sie legte und sie an sich zog. Seine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, und hin und wieder beschrieb er mit dem Daumen dort kleine Kreise. Jedes Mal rieselte bei dieser Bewegung ein behagliches Kribbeln durch ihren Körper.
»Ich muss zugeben«, flüsterte er ihr ins Ohr, »mein Aufenthalt in Sagenbrühl ist deutlich angenehmer geworden, als ich heute Morgen erwartet hätte.«
»Das liegt doch nicht etwa an mir?«, fragte Frederike keck. Ermutigt vom Alkohol und seinen Worten, kuschelte sie sich noch ein wenig enger an ihn.
»Das liegt einzig und allein an dir.«
Die Worte bewirkten, dass ein wohliger Schauer ihren Rücken hinabrann.
Je weiter der Abend fortschritt, desto lauter wurde die Musik in der Bar, bis man sich aneinanderlehnen musste, um sich zu verstehen. Nicht, dass sie das auch nur im Geringsten störte. Im Gegenteil, Frederike genoss das aufregende Kribbeln, das sie bei jeder Berührung verspürte, und konnte gar nicht genug davon bekommen.
»Wie wär’s«, schrie David ihr schließlich ins Ohr, »wenn wir irgendwohin gehen, wo es ruhiger ist?«
»Sehr gern«, schrie Frederike zurück.
Sein Arm blieb um ihre Taille geschlungen, als sie langsam die Straße hinuntergingen. Frederike wusste nicht, wohin sie sich wenden konnten, aber David schien eine Idee zu haben, also ließ sie sich einfach von ihm führen. Dennoch schaffte sie es, über einen losen Stein im Bürgersteig zu stolpern und beinahe hinzufallen. David hielt sie fest, damit sie nicht fiel, und plötzlich standen sie voreinander, nur Zentimeter voneinander entfernt.
Für einen Moment geschah nichts, außer dass Frederike in seinem Blick aus schattengrünen Augen versank. Schließlich lächelte David – und beugte sich vor.
Automatisch kam Frederike ihm entgegen. Ihre Lippen trafen sich, und das Kribbeln, das jede seiner Berührungen den Abend über durch ihren Körper gejagt hatte, erfasste sie nun vollends. Zufrieden stieß sie einen Seufzer aus, den er mit seinen Lippen aufnahm. David schlang die Arme enger um ihre Hüften und zog sie fest an sich.
Bis eben hätte sie es sich nicht eingestanden, doch danach hatte sie sich den ganzen Abend gesehnt. David schmeckte verführerisch nach Caipirinha und Abenteuer. Und er sah so gut aus. Ein Mann zum Träumen.
Als sie sich schließlich voneinander lösten, fühlte Frederike sich, als würde sie schweben. »Ich glaube«, sagte sie und sah ihn an, »wir sollten nicht hier stehen bleiben.«
David grinste. »Das musst du mir nicht zweimal sagen. Komm.«
Als Frederike am nächsten Morgen erwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Nur langsam kam die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück.
Oh Gott, war sie wirklich mit einem Mann, den sie erst einen Tag lang kannte, auf sein Hotelzimmer gegangen?
Ganz offensichtlich, denn sie lag in einem Bett mit einem für Gasthauszimmer üblichen extrem gestärkten Laken. Ein Nachttisch mit einer Lampe stand daneben. Von ihrer Warte sah sie außerdem einen der typischen Hotelzimmer-Schreibtische, die ja kaum mehr waren als ein waagerechtes Brett an einer Wand.
Sie schloss die Augen und erinnerte sich genüsslich an ihre heiße Nacht mit David, an seine Berührungen, seine Zärtlichkeiten und ihre wilde Ekstase.
Lag er neben ihr, oder stand er vielleicht schon im Bad unter der Dusche?
Frederike wagte es nicht, sich umzudrehen, wollte zuerst einmal ihre Gedanken sortieren. Wie verhielt man sich nach so einer Nacht? Sie hatte keine Ahnung.
Für eine Weile starrte sie den Tisch an und forschte in ihren Gefühlen. Ja, One-Night-Stands waren nicht ihr Stil, aber bereute sie, was sie getan hatte? Es war ein fantastischer Abend gewesen, und David war ein fantastischer Mann. Die Erinnerung an die pure Leidenschaft, die sie in der vergangenen Nacht erlebt hatte, ließ sie zwar erröten, aber auch lächeln. Außerdem, sie konnte es sich gönnen, mal ein bisschen zu leben, oder nicht?
Mit diesem Gedanken drehte sie sich im Bett um, auf ihren Lippen lag ein Lächeln.
Nur um festzustellen, dass sie alleine war.
Verwirrt setzte Frederike sich auf. Die Tür zu dem kleinen Badezimmer stand offen. Dort war alles dunkel, offensichtlich hatte es kein Fenster. Und je mehr sie sich umschaute, desto deutlicher wurde, dass nirgendwo im Zimmer Gepäck herumstand, keine Spur von David mehr.
Offenbar war er einfach gegangen, hatte sich davongeschlichen – bereute er, was gestern geschehen war?
Womöglich tat er das ja.
Mit einem Mal wurde ihr übel. Frederike weigerte sich, darüber nachzudenken, ob es am Alkohol lag oder an ihrer Enttäuschung. Vielleicht war es aber auch Wut.
Sie hatte gedacht, sie bedeutete ihm etwas. Wie konnte er nur so egoistisch sein?
Eilig kletterte sie aus dem Bett und suchte ihre Kleidung zusammen, die ordentlich auf dem einzigen Stuhl im Raum lag. War sie das gewesen oder David heute Morgen? Sie wollte nicht darüber nachdenken. Stattdessen zog sie sich schnell an. Je eher sie hier wegkam, desto eher konnte sie die ganze Sache vergessen.
Bei dem Gedanken, wie naiv sie gewesen war, wurde ihr Gesicht heiß vor Scham. Schließlich wusste sie so gut wie gar nichts von dem Mann. Schlimmer war nur noch, dass sie sich wie ein dummer Teenager aufgeführt hatte.
Außerdem wurde sie nun garantiert das Gesprächsthema Nummer eins im Dorf, denn irgendjemand würde sie sicher sehen, wenn sie gleich durch den Schankraum nach draußen ging.
Als sie in ihre Schuhe schlüpfte, klingelte ihr Handy, und ihr Herz machte einen Satz.
Hatte sie David ihre Nummer gegeben?
Sie war sich nicht sicher, dennoch keimte Hoffnung auf. Vielleicht hatte er eilig weggemusst, einen Zug erwischen oder so, und meldete sich nun, um sich zu entschuldigen. Sie kramte hektisch in der Handtasche, bis sie das Handy fand. Sofort machte sich Enttäuschung breit.
Es war Gertrude, ihre Chefin.
Frederike biss die Zähne zusammen. Stell dich nicht so an, sagte sie sich. Du hattest einen schönen Abend, das war’s. Nun hak es ab.
Leider war das leichter gesagt als getan. Ihr Kopf konnte dieser Logik zwar folgen, ihr Herz blutete allerdings.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und nahm das Gespräch an.
»Hey, Frederike, ich weiß, heute ist dein freier Tag, aber kannst du trotzdem kommen? Ich sitze nämlich beim Arzt.«
»Oh Gott, geht es dir gut?« Was für eine dumme Frage. Wenn Gertrude zum Arzt musste, ging es ihr natürlich nicht gut. Sie war ja sonst kaum hinter der Theke wegzubekommen.
»Was weiß ich. Sie sagen, da ist irgendwas mit der Lunge und ich soll Anstrengung vermeiden und so. Ist sicher alles übertrieben. Du weißt ja, wie Ärzte sind. Mir geht’s bestimmt bald wieder gut.«
Nun, da Frederike darauf achtete, klang Gertrude tatsächlich kurzatmig.
»Aber ich brauche jemanden, der alles managed.«
Frederike war mehr nach einem entspannenden Bad und einem guten Buch, mit dem sie sich verkriechen und ihre Schmach vergessen konnte. Doch sie konnte Gertrude schlecht im Stich lassen. Heute war wirklich nicht ihr Tag. »Bist du sicher, dass ich …?«
»Du hast die meiste Erfahrung, du kriegst das schon hin. Also? Hast du Zeit?«
Was sollte sie sagen? »Klar. Ich kann in einer Stunde da sein.«
»Gut, so lange kommt Larissa da schon zurecht. Ich hab auch noch Sören angerufen, ob er einspringen kann, aber hab ihn nicht erreicht. Wusste aber, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Nachdem David gerade ihre leise Hoffnung, dass aus dieser einen Nacht mehr werden könnte, so grob vernichtet hatte, tat es gut, von jemandem gebraucht zu werden.
Lesen ist eine Wohltat für die Seele.
Kapitel 1
Café Sommerglück war nicht allzu groß. Die eine Hälfte des Gastraumes nahm fast vollständig die Kuchentheke ein, in der von Gertrude selbst gebackene Kuchen standen. Rechts vom Eingang gab es einen Erker mit der Glasfront, und im Sommer konnte man von dort direkt auf die Terrasse spazieren. Tische, Stühle und blau-gelbe Sonnenschirme standen draußen bis zur Straße, die von hier direkt in den Wald zu den Wanderwegen führte. Zwischen dem Café und dem Wald lag nur das verwilderte Grundstück mit der alten Mühle.
Leider verirrten sich nicht mehr allzu viele Touristen hierher. Es gab beliebtere Wanderrouten, was Frederike nicht verstand. Ihrer Meinung nach gab es kein schöneres Fleckchen Erde als Sagenbrühl.
Zum Glück hielten die Stammgäste und der Strom sommerlicher Spaziergänger das Café immer noch über Wasser.
Dennoch starrte Frederike nachdenklich auf die Kassenbilanz an diesem Juniabend. Es war drei Monate her, seit Gertrude an einem Dienstagvormittag mit Kurzatmigkeit zum Arzt hatte gebracht werden müssen. Damals wurde bei ihr beschädigtes Lungengewebe festgestellt, und ihr war jede Art der Anstrengung verboten. Sie fuhr nun oft ins Katherinenhospital in Stuttgart, daher blieb ihr nicht mehr genug Zeit, sich um das Café zu kümmern.
Das war inzwischen Frederikes Aufgabe. Sie war anteilige Besitzerin geworden und hatte sich überreden lassen, es eines Tages ganz zu übernehmen, auch wenn sie hoffte, dass das in weiter Ferne lag.
»Bei dir weiß ich zumindest, dass dir das Geschäft am Herzen liegt«, hatte ihre Chefin gesagt.
Das tat es. Frederike mochte Sagenbrühl. Sie hatte ihr ganzes Leben hier verbracht und kannte die Leute. Während die meisten ihrer Kollegen nur auf ihre Chance warteten, in die große Stadt zu ziehen, war sie glücklich mit dem, was sie hier hatte. Sie hielt gerne Schwätzchen mit den Kunden und nahm sich Zeit für jeden Einzelnen. Hier war das Leben deutlich weniger anonym als in der Stadt.
Und das Café …
Frederike blickte von der Kassenabrechnung auf in den nun leeren Schankraum. Larissa wischte gerade den Boden und stellte dabei die Stühle auf die Tische.
Eines Tages könnte sie vielleicht eine Leseecke im Erker einrichten. Und irgendwann würden die Leute hier zu ihrem Kaffee vielleicht ein passendes Buch dazubestellen können. Sie träumte davon, das Café zu einem Ort zu machen, den man als sein zweites Zuhause ansah. Ein Ort, der viel mehr war als irgendein Café, in dem man mal eben Kaffee und Kuchen bekam.
»Wie sieht’s aus?«
Gertrudes Stimme holte sie aus ihren Gedanken. Die alte Frau kam langsam um die Theke herum. Jede schnellere Bewegung brachte sie außer Atem.
»Solltest du nicht schon zu Hause sein?«, fragte Frederike. Sie mochte ihre Chefin – oder besser gesagt, ihre Geschäftspartnerin. Gertrude steckte ihr Herzblut in das Café. Man merkte, wie sehr ihr das kleine Geschäft am Herzen lag. Wenn sie nur nicht so stur wäre …
Gertrude winkte ab. »Was soll ich denn da? Fernsehen gucken? Nachher ende ich noch wie die Annegret. Jedes Mal, wenn die anruft, hat sie nichts zu erzählen, außer was gerade in ihren Soap Operas passiert.«
Das verstand Frederike durchaus, aber konnte die Frau sich nicht wenigstens ein bisschen schonen? Noch immer gab sie sich größte Mühe, täglich zumindest einen selbst gebackenen Kuchen in der Auslage zu haben. Als Gertrude, die Anfang sechzig war, sie nur abwartend ansah, seufzte Frederike und blickte auf ihre Zahlen hinunter. »Wir haben die Ausgaben für heute wieder reingeholt.« Positiver konnte sie es leider nicht klingen lassen.
Gertrude hob die Schultern. »Na ja, die Touris kommen schon noch, warte nur ab. Das Wetter war bisher einfach schlecht, aber das wird noch. Und wenn wir bis dahin keine Miesen machen, ist alles gut.«
»Wir verdienen bis dahin leider auch nichts, das wir investieren könnten.«
»Du denkst wieder über die Sache mit den Büchern nach, was?« Gertrude trat näher und klopfte ihr auf die Schulter. »So ist das im Leben. Man kann nicht alles haben. Sei glücklich mit dem, was du hast. Das Sommerglück ist doch ein schönes Café, oder nicht?«
Frederike nickte. Auf keinen Fall wollte sie kritisieren, was Gertrude Zeit ihres Lebens aufgebaut hatte. »Natürlich ist es das.«
»Na siehst du. Und du kannst damit machen, was du willst, wenn ich nicht mehr bin. Aber du wirst schon sehen, in unserem Geschäft kann man sich keine Traumtänzerei leisten. So nett das auch wär.«
Das war die übliche Rede, die Gertrude ihr immer hielt. Frederike rang sich ein Lächeln ab. »Du weißt es am besten.« Sie heftete die Kassenbilanz in den Ordner für die Buchführung. »Aber jetzt sollten wir dich mal nach Hause bekommen. Ich laufe den Weg mit dir, okay?«
»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte Gertrude. »Wartet die nicht schon auf dich?«
Frederikes Mutter saß im Rollstuhl und langweilte sich den Großteil des Tages über sehr. Sie blieb immer lange genug auf, damit Frederike noch bei ihr vorbeischauen und ihr die Neuigkeiten des Tages erzählen konnte.
»Meine Mutter ins Spiel zu bringen, ist schon ein hinterhältiger Trick.« Frederike lächelte, um den Worten die Schärfe zu nehmen. »Aber die würde mir nie verzeihen, wenn ich dich im Dunkeln allein nach Hause gehen lasse. Nun komm.«
Der Umweg über Gertrudes Wohnung hatte den Vorteil, dass sie nicht am Kleeblatt vorbeikam. Denn jedes Mal, wenn Frederike in den vergangenen Monaten dort gewesen war, hatte sie an David gedacht. Sie hatte versucht, den Abend mit ihm zu vergessen, aber manchmal hatte sie sein Lachen noch im Ohr. Manchmal sehnte sie sich danach, seine Hand wieder an ihrer Hüfte zu spüren, wo sein Daumen kleine, wohltuende Kreise beschrieben hatte.
Manchmal war sie einfach dumm.
Als Frederike mit Gertrude in die Straße bog, die nicht zum Kleeblatt führte, schüttelte sie den Kopf, um alle Gedanken an David loszuwerden. Sie verstand nicht, dass ihr gemeinsamer Abend für ihn offenbar nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen war, während sie sich so wunderbar gefühlt hatte wie lange nicht mehr …
Er hatte sich davongeschlichen und sich nie wieder gemeldet. Er verdiente es nicht, dass sie auch nur einen Gedanken an ihn verschwendete. Er verdiente es auch nicht, dass sie ihren Heimweg seinetwegen änderte. Die Zurückweisung schmerzte dennoch, und sie schämte sich wegen ihrer Naivität.
Frederike holte tief Luft. »Noch mal zu den Investitionen …«, begann sie, um sich von allem abzulenken, was mit David zu tun hatte. »Ich meinte auch, dass wir Rücklagen brauchen, falls mal was repariert werden muss.«
Das war, was sie jedes Mal gemacht hatte in den letzten drei Monaten. Wann immer der Gedanke an den schmachvollen Abend aufkam, stürzte sie sich in die Aufgaben, die das Café mit sich brachte, statt an David zu denken. Und das waren zum Glück nicht wenige.
»Frederike …«