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Süßes oder Saures? Was wird uns Kult-Komiker Kudernatsch zum Nachtisch aus dem Keller holen? Auf jeden Fall etwas Eingemachtes aus 30 Jahren: Kalauer und Kolumnen, Knittel und Kabarett, Krimis und Katastrophen. Das wird mal saftig und mal deftig. Gut abgehangene Wurstgedichte gehören ebenso zur Auswahl wie kühne Kommentare und Geschichten aus dem Gruselkabinett. Zum Glück aber lauter Sachen zum Lachen. Ja, Kudernatsch gibt sein Bestes.
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2023
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ANDRÉ KUDERNATSCH
... tourt seit vielen Jahren durchs Land und trägt überall seine Geschichten und Reime vor. Er gilt als Deutschlands einziger Wurst-Poet und dichtet jede Kuh in Grund und Boden – oder in die Fleischtheke. Mit Büchern wie »Du wirst nicht alt im Thüringer Wald« oder »Das Beste an Erfurt ist die Autobahn nach Jena« hat er sich in Thüringen viele Freunde und ein paar Feinde gemacht. André Kudernatsch isst am liebsten Birnenkompott.
eBook EPUB ISBN 978-3-96285-185-9
Print ISBN 978-3-96285-057-9
Originalausgabe
1. Auflage 2023
Copyright © by Salier Verlag, Eichberg 21, 98673 Eisfeld
Alle Rechte vorbehalten.
Titelbild: „Die phantastischen Vier“, Marcel Krummrich
Autorenfoto: Alice End
Zeichnungen zu „Suffies Welt“: Thomas Leibe
eBook Gestaltung: Lisa Fröber
Umschlaggestaltung: Jens Korch
www.salierverlag.de
www.schoenebuecher.net
»Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber,
Das ist kein ägyptischer Gott.
Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber,
Das ist nur ein saures Kompott.
Doch mit Zucker bestreut,
Essen’s gerne die Leut’,
Und ich schließe daher,
Bitte sehr:
Rhabarber, Rhabarber, Rhabarber,
Ist so, wie das Leben halt ist.
Auch das ist ja meistens ganz sauer,
Wenn man sich’s nicht etwas versüßt …«
Aus der österreichischen Filmkomödie
»Jetzt schlägt’s 13« von 1950
Das Rezept
Das erste Kompott
Dunkle Früchte (1993-1997)
Grüezi!
Salamibrot
Über ein Wunder, das zu prasslig ist, sich selbst zu bemerken, und den falschen Umgang damit
Die Wander-Veranda
Tropfi
Ich sah die jungen Gurken sterben
Die nächste Geschichte ist so scheußlich, die hat gar keinen Titel
Waidmanns Heil
Bestimmung
Urx und Schnirbel: Too Fast Food
Dog Martin
Gift im Tee
Im Kaufhaus
Daily
Das Loch unterhalb zwischen den Augen und die Zukunft des Bauern Gorisch
Bei Fred Karputzke im Gebüsch
Das zweite Kompott
Süß- und Sauerkirschen (1998 – 1999)
Campus Clip
Tripse an der Trespe und Bubi, der Zeigervogel
Barbie-Cue
Tiffany
Das dritte Kompott
Rote Grütze (2000 – 2004)
Wir spielen Mätschis
Ulli und ich als Kind
Der Kindergartenfasching
Ulli und ich als Kind
Meu goworim po russki
Ulli und ich als Kind
Die Chinesen sind’s nicht gewesen
Ulli und ich als Kind
Zonenrinder. Das Original
Hana Jensel
Skoda vor’m Haus – mach’ dir nichts draus
Ulli und ich bei Onkel Hansi
Guten Morgen
Ulli und ich
Ulli und ich gründen eine Band
Ulli und ich
Das vierte Kompott
Rhabarber-Rhabarber (2005 – 2007)
Die Wurst
Leber Leber
Leberwurst
Ein armes Würstchen
Speck
Die Rotwurst und die Zungenwurst
Bärchenwurst
Beim Schlachtefest
Das Bullenschwein
Tote Oma
Mitternacht
Blutkuchen
Touristenspeckblutwurst
Der Presssack
Kind sei still
(Vom Wurstfreund Bert Hähne)
John Meinel
Das Thekentäubchen
Die Metzgerstochter
Das Tier
Parkplatzkatzen
Frau Wittichs Wellensittich
Der Bär ist heiß
Punk Rock Kuckuck
Der Specht klopft und die Tanne rauscht
Der Wandertipp
Naturverbundene Holzfäller wissen
Jahreszeiten, der Frühling fehlt
Zu Ostern
Made in China
Camel Rallye
Foggy
The Wish of Family Fish
Da draußen
Der Mensch
Zwirnhirn
If
Elizabeth I
Shorties: Fußball
Praktikanten
Stars
Heinz
Mahlzeit
Das fünfte Kompott
Grüne Götterspeise (2008 – 2009)
Der Pantoffelpirat und seine uncoolen Kumpels
Der weiße Elefant
Der blaue Drache
Prinzessin Goldlocke
Der Pantoffelpirat
Der Räuber Klaus-Peter Klaus
Das grüne Schloss
Das sechste Kompott
Thüringer Pflaumen (2010 – 2023)
Erfurt hat nichts
Apolle und Apollo
Ein Fall für Inspektor Clueso
Popel-Tamino und Plaketten-Phöbe
Wo ist die Bratwursthexe?
Du wirst nicht alt im Thüringer Wald
Erfurt ist das neue Leipzig
Hahahaar!
Schöner Singen in der Sonne
No, no, Nordstrand!
Husch, husch, husch, die Eisenbahn …
Die Kühe sind Schweine
Bei der Seniorengymnastik
In der Quarantäne
Furzberammlung im Hof
Das siebte Kompott
Christmas Pudding (2018 – 2023)
Dona nobis Pistazien
Kein Singsang
Ich glaub’, da hängt ein Elch!
Halli Hallo! (Winter ist so schön)
Das war ein Winter, Kinder!
(Da hängt eine) Gurke im Baum
Baum loben
Hohoho!
Im Knollen-Ballett
Danach ist es am schönsten
Nachschlag
Von allem was (2023)
Die Zutaten-Liste
Brenda macht den Deckel drauf
Siebzehn Zentimeter in dreißig Jahren
Süßes oder Saures? Was wird uns Kult-Komiker Kudernatsch zum Nachtisch aus dem Keller holen? Auf jeden Fall etwas Eingemachtes aus 30 Jahren: Kalauer und Kolumnen, Knittel und Kabarett, Krimis und Katastrophen. Das wird mal saftig und mal deftig. Gut abgehangene Wurstgedichte gehören ebenso zur Auswahl wie kühne Kommentare und Geschichten aus dem Gruselkabinett. Zum Glück aber lauter Sachen zum Lachen. Ja, Kudernatsch gibt sein Bestes. Und das gleich sieben Mal – und das wiederum nicht ohne Grund.
Sieben auf einen Streich! Sie hat sieben Häute und beißt alles Leute! Die glorreichen Sieben! Sieben Leben! Oder auch Sand sieben … Es steht viel über die Sieben geschrieben. Ja, die Seven muss der Heaven sein. Darum ist es gar nicht verwunderlich, dass auch der vorliegende Sammelband »Das Kudernatsch Kompott« der Sieben folgt. Denn wie bei den sieben Zwergen oder den sieben Geißlein im Wald, aus dem man nur mit dem siebten Sinn wieder hinausfindet, tauchen Wege auf, die sich gabeln. Das Erstaunliche: Auch Kudernatsch ist von 1993 bis 2023 genau sieben Mal abgebogen.
So werden in diesem Band sieben verschiedene Kudernatsche erscheinen: Zunächst ist es der mit dem schwarzen Humor. Dann verwandelt er sich in einen Popliteraten und in eine »Stimme des Ostens«. Über eine Phase als Lyriker kriegt er gerade noch die Kurve, verheddert sich jedoch als Kinderbuchautor, bevor er endlich Kolumnist wird und schließlich die große Erlösung findet als Festredner, äh, Festschreiber. Übers Weihnachtsfest macht er seinen Frieden mit uns allen. Hoffen wir jedenfalls.
Das ist viel aus drei Jahrzehnten. Aber dennoch soll dies hier nicht ein Buch mit sieben Siegeln sein. Sondern eins, das Friede, Freude, Eierkuchen bringt. Letztere gehören nicht zum Lieferumfang. Dafür gibt’s die Einteilung als Kompott.
Wohl bekomm’s – um nun vor oder nach Sieben.
André Kudernatsch & Bastian Salier
Juli 2023
Kudernatsch wurde bereits mit Brille und Stift geboren, berichten verschiedene Quellen in Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) übereinstimmend … Rasch benutzte er beides und brachte in jungen Jahren possierliche Geschichten über seinen Vogel, seine Katze und seinen Hund zu Papier … Er war auf einem guten Weg zu einem braven Wald- und Wiesendichter. Neckische Begebenheiten im Heimatdorf wurden von ihm originalgetreu festgehalten, wie diese Begegnung im Tante-Emma-Laden, die bei ihm jedoch Else heißt:
- Nu, was möchste denn, Helmut?
- Zweimal Butter in’n Kasten, und dann soll ich och noch Majarine hol’n.
- Was’n for’ne Sorte? Marina oder Sonja?
- Ach jipp mich doch alles beedes, Else.
- So, des macht denn jenau …
- Nimm’s dich ma raus aus mei Portmonee, wie des brauchst.
- So, jetze stimmt’s.
- Mach’s jut, Else.
(Aus: Im Laden von Tante Else. Kudernatsch 1984)
Anonym bleibende Zeitzeugen bestätigen: »Ja, er war damals ein guter Junge. Reicht das, oder muss ich noch mehr sagen?«
Alles schien geregelt. Doch dann verschlug es ihn 1993 nach Schottland. Was auch immer dort geschah, es kam ein anderer Kudernatsch wieder als der, der aufgebrochen war. Plötzlich war er dünn. Aber das ist nicht gemeint. Ganz in Schwarz gewandet tönte er:
Ich trooche meen Halstuch schief,
Denn ich bin alternativ.
Ich bin anners wie die andern
Un tu alles unterwandern.
Ich habe schwarze Sachen an,
Dass man mich gleich erkennen kann.
Ich rauche Gros mit Düsterblick
Un hör’ annere Musik.
(Aus: We cum frum Cunnewitz. Kudernatsch 1995)
Er hörte fortan »annere« Musik und umgab sich mit finsteren Gestalten – wie Makarios und Gumpi, Mitglieder der dunklen Indie-Band »Die Art«, die damit kokettierten, aus einem Heim für alternde Jugendliche zu stammen … So schlitterte er in das hinein, was er selbst verniedlichend seine »Grufti-Schnufti«-Zeit nannte …
Anfangs verbrachte er sie nahezu unbemerkt in der bayerischen Provinz, dann ab 1996 jedoch in Leipzig. Die Großstadt ergriff mehr und mehr Besitz von ihm. Die dunklen Früchte schmeckten ihm am besten. Und damit: Abra Makabra!
Spätsommer in der Schweiz. Die Berge schämen sich nicht, wie auf kitschigen Hochglanzpostkarten herumzuposieren. Blühend zeigen sie sich und darüber blauer Himmel und darauf schläfrige Kühe und irgendwo darunter die verschanzte Schweizer Garde. Ein Bächlein rauscht am größten Berg hinunter, springt ihm aus der Schulter und schneidet sich ins massive Fleisch.
Da steht eine unscheinbare Hütte – lächerlich klein, zwergenhaft, verborgen. Wie ein Utensil – vergessen und liegengelassen. Und doch findet der mutige Wanderer immer wieder solche Häuschen in der Wildnis, die sich trotzig behaupten. Frech und ein wenig vorlaut, so kann man wohl meinen.
Sie verspotten still die protzigen Hotelbauten – wie etwa das kreativ betitelte »Panorama«, das gut situiert auf einem bescheidenen Hochplateau thront.
Zurück in unsere Bergidylle. Dort tut sich etwas:
Ein weißes Sportflugzeug frisst sich leicht hustend in das Blau. Es umtanzt die Berge und knattert ihnen etwas vor (umgekehrt wär’s undenkbar). Missmutig blicken die Kühe nach oben – das Geknatter übertönt ihr Glockengebimmel. Bisher hat das nur das Knallen des achtfingrigen Sprengmeisters geschafft, der seit zwei Jahren einsatzfreudig am Kabelgraben zum »Panorama« bastelt.
So sieht das Tal den blauen Himmel, seine Kühe und die Hütte – und an diesem Tag noch das Flugzeug. Dessen Motor fängt unerwartet an zu stottern, es taumelt und taumelt und fällt dann wie ein Stein. Es schlägt in der fladenbesäten Wiese ein. Eine mittelschwere Kuh ist sofort tot, ihr harmonisches »Muh« – zuvor bimmelig unterlegt – verstummt. Die Maschine explodiert nicht, erst in das entsetzt-empörte Aufbrüllen der Weidgenossen platzt der dumpfe und feurige Plauz. Etwas wird dabei aus dem Flugzeug herausgeschleudert – ein Körper, der schlaff auf einen wohlplatzierten Felsbrocken fällt, der vom Autor dieser Geschichte eigens dafür dorthin gelegt wurde. Die Kühe stieben verschreckt auseinander und rennen desillusioniert durchs Tal.
Da wird das einzige und freilich arg karge Gebüsch neben der schiefen Hütte zerteilt, und ein kauziger Alter tritt hervor. Verhutzelt, verkeimt, Tabak kauend, Feldstecher um den Hals. In den Händen dreht er eine schwere und unheimlich großkalibrige Waffe. Zufrieden äugt er aus winzigen Augen auf das brennende Wrack und läuft auf den Körper zu, der leblos einiges Stück danebenliegt.
Als er davor steht, kichert er und zieht ein Messer aus dem Gürtel. Richtig, ein Schweizer Messer ist es! Kurz nur setzt der Gute an – und schneidet dem toten Flieger den wuchernden Vollbart ab. Er befühlt ihn fachmännisch, nickt und trägt ihn zur Hütte. Dort hängt der bergige Freund die Trophäe neben sechs andere Kleinpelze an die Wand.
Das sind seine Schätze, auf die er mitunter jahrelang warten muss: Bärte. Von wackeren Wanderern, Autofahrern – die die Passstraße verpasst hatten – und nun gar von einem Piloten. Alle selbsterlegt.
Der Alm-Öhi stutzt, fingert sich am Kinn herum. Ein Ruck – und er ist nackt im Gesicht. Um den Mund herum grämen sich nur vereinzelt-spärlich echte Härchen. Um diesen krankhaften Zustand wieder zu überdecken, nimmt er das Fliegerfell – das leicht angesengt wirkt, so nur zweite Wahl ist, aber aufgrund seiner Buschigkeit dennoch besticht – vom Haken und klebt sich diese neueste Errungenschaft ans Kinn.
Dann schreitet er ins Tal hinaus. Er gräbt ein ziemlich großes Loch, macht dabei Päuschen und fährt sich durch den frischen Bart.
Inzwischen fliegt ein Vogel über das schwelende Flugzeugwrack. Einige Tage später stirbt er an Rauchvergiftung und fällt vom Baum. Einfach so.
Salamibrot, Salamibrot,
Ein Rindvieh ist deswegen tot.
Es liegt nun da, in Scheiben geschnitten,
Haltbar bis zum achten Dritten.
Darum war’s im Angebot:
Salamibrot, Salamibrot.
Marlene ging in den Garten, um Kohlköpfe für die Suppe von morgen zu schneiden. Sie bückte sich tief über das Beet, das lange Küchenmesser in der Hand.
»Mich bitte nicht«, sagte einer der Kohlköpfe.
»Wie?«, fragte Marlene das Beet.
»Na, hallo!«, sagte der Kohlkopf und versuchte, ihr in den Ausschnitt zu schielen. Marlene erwischte ihn dabei und hob ihn hoch.
»Du bist mir ja ein Schlingel!« Sie dreht ihn hin und her. »Aber du bist ja gar kein … du bist ja …« Vor Schreck ließ sie ihn fallen.
»Aua!«, sagte der Kopf.
»Entschuldigung.« Marlene war es peinlich. Schnell hob sie den Kopf wieder auf und musterte ihn. Graues Haar kräuselte sich am Rande seiner Glatze. Unter der faltigen Stirn hatte er blaue Augen.
»Entschuldigung.«
»Schon gut«, sagte der Kopf. »Eigentlich muss ich mich entschuldigen, dass ich hier so eindringe.«
»Darf man fragen, wo Ihr Rest ist?« Marlene gab sich jetzt besonders Mühe, höflich im Kohlbeet zu sein. Sie hielt den Kopf so, dass er ihr ins Gesicht schauen konnte. Er blieb nicht dabei und ließ den Blick über sie wandern. Sie errötete, da sie keine Hand freihatte, die Schürze glattzustreichen.
»Ihr Rest, wo ist der?«, fragte Marlene schnell und schüttelte den Kopf, was ihr sofort leidtat.
»Hm, ich weiß nicht recht. Vielleicht vor Ihrem Garten?« Der Kopf zog die Augenbrauen hoch.
Marlene sagte zuversichtlich: »Na, schauen wir mal!«
Sie trug ihn aus dem Beet zur Gartenmauer. Dort hievte sie den Kopf hoch über ihre gesteckte Frisur, dass er über die Mauer blicken konnte.
»Mal ein bisschen weiter nach links«, sagte der Kopf. Marlene drehte ihn. »Nein, ich sehe nichts.«
Enttäuscht holte Marlene den Kopf runter. Dieser ließ die Mundwinkel hängen. »Der Rest muss doch da sein!«
Weit konnte er nicht sein, fand Marlene. Sie brachte den Kopf in die Veranda und zog sich die Strickjacke über.
»Schön haben Sie es hier«, sagte der Kopf.
Marlene lächelte ihn an und nahm ihn wieder mit hinaus. Sie holte das Fahrrad aus dem Schuppen, setzte den Kopf vorn ins Körbchen und fuhr los. Zur Schule, zum Dorfplatz, zur Post und sogar zum Schweinestall am anderen Ende. Doch vom Rest bekamen sie nichts zu sehen. Auch die Leute, die sie trafen, konnten nicht weiterhelfen. Marlene schob das Rad erschöpft nach Hause und sagte zum Kopf, der Löcher in der Luft starrte: »Ich mache uns erstmal einen Tee.«
»Ich kann doch nicht«, sagte der Kopf, und eine Träne rollte ihm über die Wange.
»Na, das macht doch nichts. Das wird schon wieder. Wir können ja ein bisschen fernsehen.« Marlene streichelte ihm übers Gesicht und trug ihn in ihre gute Stube. Ohne hinzugucken, stellte sie den Apparat an. »Glücksrad« kam, Maren Gilzer drehte Buchstaben um.
»Oh, nee!«, sagte der Kopf und fiel vom Nähmaschinentischlein. Er war hinüber. Marlene drückte ihm die Augen zu. Dann hielt sie ihn ganz fest und schaute aus dem Fenster in den Abend hinein. Irgendwann war ihr so, als würde sie einen Rest über die Straße taumeln sehen.
»Hierher, hierher!«, rief Marlene. Aber der Rest konnte sie nicht hören.
… ist mal hier und ist mal da,
Mal am Giebel, mal im Garten
Und mal gar nicht zu erwarten.
Neulich stand sie an der Straße,
Dann mal mitten in der Gasse.
Sogar im Wald sah man sie laufen
Und im KARSTADT sich was kaufen:
Die Wander-Veranda.
Gestern machte ich mir eine Leberwurststulle. Die war klitzeklein und konnte kaum über den Tellerrand gucken. Außerdem gab es fettreduziertes Hähnchenbrustfilet, gewürfelt, in Scheiben, in Aspik. Beides mundete mittelmäßig. Daher trat ich ans Fenster und verfütterte diese ohnehin überflüssige Zwischenmahlzeit an vorbeieilende Vögel. Ein Hund war auch dabei. Er kam ein wenig später und hechelte sich die lila Zunge auf das orange Brustfell raus. Dazu hielt er den Kopf schief, die Zunge blieb jedoch im Lot hängen. Da sie stark tropfte, weiß ich nun, was »Sapperlot« bedeutet.
Der tropfende Hund hatte alles verpasst. Die Vögel waren längst vollgefressen abgezwitschert. Auf einem benachbarten Ast hingen sie herum und taten ihre Verdauung. Im Ergebnis käckerten sie, einer sogar keck knapp neben den harrenden Hund. Flatsch!
Den Hund störte das nicht, er guckte weiter zu dem Fenster mit mir drin und tropfte von der Zunge runter auf den Gehweg. Steinerweichend. Ich blickte in die dunklen Hundeaugen und überlegte nicht lange, sondern schaute im Kühlschrank nach, was ich für Tropfi – so nannte ich meinen Freund – tun könnte. Da lag der Rest der Leberwurst, der sich eben sowieso langweilte. Ich packte ihn entschlossen, grinste ihn an und schleuderte ihn mit einem wohligen Gefühl Tropfi vor die Nase. Genau in die Pfütze, die sich unter der Zunge gebildet hatte. Flatsch!
Das gab eine Freude. Tropfi überschlug sich richtig beim Schnappen des Zipfels, biss sich aber wider Erwarten nicht die Zunge ab.
Allerding stellte sich mein Wurststummel als ein bisschen zu stummelig heraus. Mehr oder weniger machte Tropfi nur »Hadschuff« – und fort war die Wurst.
Ich hatte verpasst, gleich vom Fenster wegzutreten. So sah ich nun wieder, wie Tropfi tropfte. Als wenn es die Leberwurst nie gegeben hätte. Zum Glück waren mir, als ich diese aufgestöbert hatte, auch vier Würstchen ins Auge gefallen. Nicht direkt – sie standen schon noch im Kühlschrank. Ich zuckte mit den Schultern, holte sie da raus und ließ sie nach und nach auf Tropfi runterplumpsen.
Es folgten meine letzten Scheiben Brot, ein angefaulter Apfel, ein Nimm-Zwei-Bonbon – von dem nur noch eins da war – und der Plastikbecher mit meiner Frühstücksmarmelade. Tropfi fraß alles. Selbst einen Topflappen, den ich irrtümlicherweise nach draußen warf, obwohl ihn meine Mutter an drei Winterabenden geduldig selbst gehäkelt hatte.
Dass Tropfi sogar diese Handarbeit verspeiste, machte mich baff. Obwohl er wieder steinerweichend guckte und tropfte, ging ich in eine Pause. Dann probierte ich es einfach. Ich warf ihm eine leere Blechdose zu, in der sich bis vor kurzem noch die Würstchen in Tunke aneinandergedrängt hatten. Tropfi schnüffelte kurz an der Dose. Er machte »Hadschuff« – und weg war sie.
Vorsichtig unternahm ich einen zweiten Versuch. Ich bot Tropfi ein herumliegendes Stuhlbein an. »Hadschuff« folgte – und Tropfi hatte es hinuntergewürgt. Kaum fertig damit, guckte er wieder und tropfte.
Ich klatschte in die Hände. Dieser Hund war klasse. Ich kratzte all meinen Müll zusammen und feuerte ihn zum Fenster hinaus. Einen alten Teppich, auf dem Schimmel grinste, einen Garderobenständer, der kippelte und umfiel, drei Schallplatten mit böhmischer Blasmusik – mit denen ich früher unliebsame Gäste unterhielt, nun kam kein Besuch mehr – und eine Kiste mit Eisenteilen.
Alles raus aus dem Fenster, runter zu Tropfi.
Aber ich hätte aufpassen sollen, wohin ich den Mist schmeiße. Denn kaum war die wuchtige Kiste draußen, war von Tropfi nichts mehr zu sehen. Ich pfiff und warf eine schmackhafte Socke hinterher – umsonst. Ich lief hinunter und schaute nach.
Da sah ich ihn. Kurz neben dem anderen Gerümpel war die Kiste niedergegangen – und genau auf Tropfi drauf. Flatsch! Er hatte nicht einmal mehr jaulen können, die Zunge hing immer noch raus.
Ich musste meinen Müll wieder zusammensammeln. Dazu hatte ich gleich noch ein Teil mehr zu entsorgen – einen platten Hund. Biomüll, Restmüll, Sondermüll? Ich wusste es nicht.
Ich sah
Die jungen Gurken sterben.
Ich sah
Ihr grünes Licht.
Ich sah
Das Grün zerfall’n in Scherben
Ich sah
Es. Und ich aß den Salat nicht.
Ein grässliches Untier streifte durch die Wälder rund um unser Dorf. Die Wälder waren grün und geräumig, die Kirche unseres Ortes rot und gebrechlich – nur dieses grässliche Untier hatte nie jemand gesehen. Und die es gesehen hatten, die hatte man nie mehr gesehen. Gewissermaßen konnte man von einem unsichtbaren Untier sprechen. Ungeheuer unser unsichtbares Untier!
Obwohl es niemand gesehen hatte, keiner also seine Größe oder Farbgebung kannte, nannten es die Leute den Sumpftiger. Einige behaupteten, das Untier fauchen gehört zu haben. Manchmal lief es nachts durchs Dorf, den Gehweg entlang und hinterließ Kratzer am Bushäuschen. Der angeklebte Fahrplan wurde in Mitleidenschaft gezogen und hing so zerfranst herum, dass es unmöglich war, ihn zu lesen. Die Leute kamen zu spät zur Haltestelle und verpassten den Bus. Der Sumpftiger war eine Katastrophe für unseren Ort.
Am schlimmsten war jedoch, dass er die Rentnerin Gerda Tucharsky auf dem Weg zum Supermarkt fraß. Ihr Haus lag abseits – heute steht es kahl und leer.
Gerda Tucharsky war in Hausschuhen und Kittelschürze losgezogen, mit ihrem Einkaufszettel in der Hand. Plötzlich drang vom Waldrand ein Geräusch herüber, einfach grässlich – wie eben von einem grässlichen Untier. Ein Schrei folge, ein Fauchen – dann war Ruhe. Ein mutiger Traktorist rannte zuerst zum Unglücksort. Wie leicht hätte er da in sein Unglück rennen können.
Von Gerda Tucharsky war nichts geblieben, außer den Bommeln ihrer Pantoffeln und einem gesprungenen Brillenglas, an dem angeblich Tigerblut klebte. Der Traktorist fand das Zettelchen mit Gerdas letzten Worten: »1 Milch, 1 Margarine, 200 Gramm Gehacktes.«
Mir reichte es. Ehe die Sondereinheiten der Polizei die Wälder durchkämmten, brach ich auf. Mit einem »United-Colors-of-Benetton-Rucksack«, »Adidas-Schuhen« und »Nike-T-Shirt« (Diese Werbeeinblendung wird diesen Text zu einer Veröffentlichung bringen, wir sprechen uns wieder!). Dazu hatte ich eine Dose »Mückentötolin« und einen dicken Knüppel. So ausgerüstet zog ich los, das grässliche Untier, den vermeintlichen Sumpftiger, zu fangen. Als Talisman trug ich Gerda Tucharskys Einkaufszettel bei mir.
Tief im Wald entdeckte ich die Spuren, die das Untier hinterließ – es waren Dreiecke. Ein wenig konnte ich der Fährte folgen, dann endete sie. Ich schaute hoch in die Baumkronen. Da war nichts. Dort oben saß kein grässliches Untier. Plötzlich bemerkte ich diesen Gestank. Vor Angst hatte ich bisher vergessen zu riechen. Ich blickte nach rechts – und stand tatsächlich vor … vor der Müllhalde. Viel Gerümpel lag da herum und ein riesiger Schrotthafen. Ein ausrangierter Container bildete das Zentrum, rostige Winkeleisen steckten darunter, Zahnräder, Hydraulikschläuche hingen an den Seiten, Kolben und Pleuelstange klemmten daran – ebenso Kronmuttern, Rohre, vergammelte Elektrogeräte und ein Kotflügel.
Ich schüttelte den Kopf, da zuckte etwas in dem Haufen. Eins der Winkeleisen winkte mir zu. Ein Zahnrad begann sich zu drehen, die Hydraulikschläuche zischten leise. Ihr Zischen wurde zum Fauchen, bis sämtliche Zahnräder surrten. Die Pleuelstangen setzten ein, und die Kolben stampften. Der Container in der Mitte klapperte mit dem Deckel – und der Haufen richtete sich auf.
Vor Entsetzen stand ich starr. All dies gehörte zusammen und bildete ein Wesen – das grässliche Untier! Mit den dreieckigen Füßen, wie ich jetzt erkannte.
Es stand vor mir. Ein Zylinder erschien über dem Containerdeckel und ratterte wild: »Ich bin das Maschinenbauwesen, ich bin das Maschinenbauwesen! Toaster aller Länder, vereinigt euch!« Dann brach es zusammen und fiel auseinander.
Der Grund, wie ich bei der Untersuchung der Einzelteile feststellte, war Schmiermittelmangel. Einige Zahnräder glänzten blutig-rötlich. Es hatte demnach Menschen – wie die ehemals rüstige Rentnerin Tucharsky – geschluckt, um sich zu schmieren. Doch bekanntlich ist die Zusammensetzung von Menschen eine andere als die eines guten Schmiermittel. Das hätte das Maschinenbauwesen eigentlich wissen müssen. Hätte … hätte … Wie leicht hätte es auch eine Tankstelle überfallen können Hätte … hätte …