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Seitenzahl: 144
Irmgard Keun
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Von Wilhelm Borcherding
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Roman. Berlin: Ullstein 162018.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15525
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-961763-3
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015525-7
www.reclam.de
1. Schnelleinstieg
2. Inhaltsangabe
3. Figuren
4. Form und literarische Technik
5. Quellen und Kontexte
6. Interpretationsansätze
7. Autorin und Zeit
8. Rezeption
9. Wort- und Sacherläuterungen
10. Prüfungsaufgaben mit Lösungshinweisen
11. Literaturhinweise / Medienempfehlungen
12. Zentrale Begriffe und Definitionen
Autorin
Irmgard Keun, geboren am 6. Februar 1905 in Berlin, gestorben am 5. Mai 1982 in Köln. Sie gilt mit ihren Bestsellern Gilgi, eine von uns und Das kunstseidene Mädchen als eine der bedeutendsten und erfolgreichsten Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit.
Erscheinungsjahr
1932
Ort und Zeit der Handlung
Zunächst spielt der Roman in einer mittelgroßen Stadt am Rhein, möglicherweise Köln, im Spätsommer 1931. Danach geht Doris, die Hauptfigur, nach Berlin, wo sie von Herbst bis Weihnachten 1931 versucht, ein »Glanz« (S. 45) zu werden. Silvester 1931 verbringt sie obdachlos im Wartesaal des Bahnhofs Zoo; der Roman endet im Frühling 1932 am Bahnhof Friedrichstraße, wo Doris einen Entschluss fasst.
Epoche
Neue Sachlichkeit
Gattung
Zeitroman, Großstadtroman, Gesellschaftsroman
Tagebuchroman, Moderner Frauenroman
Aufbau
Der Roman besteht aus drei Teilen:Erster Teil: Ende des Sommers und die mittlere StadtZweiter Teil: Später Herbst – und die große StadtDritter Teil: Sehr viel Winter und ein WartesaalJeder Teil ist in eine ungleiche Anzahl von Abschnitten unterteilt, die durch Leerzeilen voneinander getrennt sind.
Im Oktober 1931 erschien der erste Roman Gilgi, eine von uns der bis dahin unbekannten Autorin Irmgard Keun. Sie hatte zwar schon 1929 mit dem Schreiben des Romans begonnen, behauptete aber, ihn in nur fünf Monaten vollendet zu haben. Er wurde zu einem Eine junge Autorin erregt Aufmerksamkeit Bestseller und verhalf der 26-jährigen Autorin schnell zu großem literarischen Ruhm. Noch in seinem Erscheinungsjahr wurden 30 000 Exemplare verkauft; Irmgard Keun war es gelungen, unter anderem den Zeitgeschmack vieler jungen Frauen zu treffen.
Nur wenige Monate später, und noch bevor im selben Jahr die Filmversion von Gilgi, eine von uns in die Kinos kam, erschien im Juni 1932 der zweite Roman der Autorin: Das kunstseidene Mädchen. Auch er erlebte eine Startauflage von 30 000 Exemplaren und stand hinter dem finanziellen und literarischen Erfolg des Debütromans nicht zurück. Wieder identifizierten sich meist junge Leserinnen mit der 18-jährigen Hauptfigur Doris, die ähnlich wie ihre ›Vorgängerin‹ Gilgi davon träumt, sich selbst verwirklichen zu können und berühmt zu werden: Sie will um nahezu jeden Preis eine Künstlerin, ein »Glanz« (S. 45) werden.
Für eine junge Stenotypistin in einer »mittlere[n]« (S. 5) Stadt ist es nicht leicht, ihren großen Vorbildern, den Kinoheldinnen und Künstlerinnen, nachzueifern. Nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit und einem kurzen Engagement am Theater der Stadt wechselt Doris nach Erfolg in Berlin?Berlin. Sie ist fest davon überzeugt, dass die Großstadt die besten Voraussetzungen bietet, ihrem Ziel näherzukommen. Mit der Unterstützung zahlreicher ärmerer und reicherer, jüngerer und älterer Männer bemüht sie sich, ihren Lebensentwurf zu verwirklichen.
Doch ihr Weg führt nicht geradewegs nach oben. Mal mehr, mal weniger erfolgreich, jagt Doris ihrem Glücksanspruch nach. Sie muss immer häufiger erkennen, dass sie ihre Vorstellungen von einer ruhmreichen Karriere und großem öffentlichen Ansehen nicht verwirklichen kann. Völlig mittellos findet sie schließlich vorübergehend Geborgenheit bei einem Mann, der von seiner Frau zuvor verlassen worden ist. Nach einigen Monaten muss sich Doris erneut damit abfinden, dass es wieder nicht zu einer Beziehung reicht und schon gar nicht zu einem ›kleinen Glück‹, wie es die Kinofilme und die unzähligen (Mode-) Zeitschriften vorgaukeln. Sie landet schließlich wieder im Wartesaal des Bahnhofs Friedrichstraße, wo einst ihr Leben in Berlin begonnen hat. Doris gelangt am Ende zu der Einsicht, dass es vielleicht doch gar nicht so erstrebenswert ist, ein »Glanz« (S. 45) zu werden. Sie war nach Berlin gegangen, um das ganz große Glück zu finden; Tag für Tag hat sie jedoch in ihrer Umgebung erfahren, wie die medial vermittelten Träume vieler junger Frauen von einem aufregenden und sorgenfreien Leben in der Großstadt geplatzt sind. Obwohl Doris am Ende völlig desillusioniert ist und nicht so recht weiß, was aus ihrem Leben werden soll, gibt sie sich niemals völlig auf. Sie hält nach wie vor an ihrer Vorstellung fest, auf keinen Fall wieder arbeiten zu gehen, weil Frauen viel zu wenig verdienen, um ihren Lebensunterhalt als Alleinstehende zu sichern. Notfalls will sie lieber auf ihr Lebensglück verzichten.
Auch der große Erfolg des zweiten Romans ließ sich erneut auf Keuns Fähigkeiten zurückführen, das am Ende der Weimarer Republik vorherrschende Lebensgefühl der Weimarer Republik Lebensgefühl der jungen Frauen genau beobachten und beschreiben zu können. Die meisten Kritiker waren von ihrer virtuosen Schreibweise fasziniert, die sich am Stil der Neuen Sachlichkeit orientierte.
Andere Kritiker erhoben Plagiatsvorwürfe Plagiatsvorwürfe gegen die Autorin, weil der Roman Formulierungen aus dem Roman eines Kollegen aufweisen sollte. Es gelang der Autorin nur bedingt, den Verdacht ihrer Kritiker auszuräumen (vgl. hier Kapitel 8).
Ihr blieb nicht viel Zeit dafür. Schon am 30. Januar 1933 gelangten die NS-Zeit Nationalsozialisten unter der Führung Hitlers an die Macht. Die beiden Romane stießen aufgrund der in ihnen beschriebenen Frauenfiguren und deren Lebenswandel auf die Ablehnung der neuen Regierung. So verwundert es nicht, dass am Tag der Bücherverbrennung, am 10. Mai 1933, wohl auch Keuns Romane dem Feuer des nationalsozialistischen ›Säuberungswahns‹ zum Opfer fielen, auf jeden Fall im Oktober 1933 verboten, beschlagnahmt und vernichtet wurden.
Irmgard Keun ging 1936 ins Exil Exil, wo sie noch einige Werke in deutschen Exilverlagen veröffentlichen konnte. 1940 kehrte sie unerkannt nach Nazi-Deutschland zurück und überlebte den Terror. Es gelang ihr jedoch nicht mehr, an die beiden großen Erfolge von 1931 und 1932 anzuknüpfen. Nach 1975 wurde Irmgard Keuns Werk von der feministischen Literaturwissenschaft Späte Rezeption wiederentdeckt, die sich für die emanzipatorischen Züge in den beiden ersten Romanen der Autorin zu interessieren begann. 2017, 35 Jahre nach Irmgard Keuns Tod 1982, kam es zu einer kommentierten Gesamtausgabe ihrer Werke.
Doris ist 18 Jahre alt und lebt im Jahre 1931, also zum Ende der Weimarer Republik, in einer mittleren Industriestadt im Rheinland (es handelt sich vermutlich um Köln, wo die Autorin selbst viele Jahre lebte und wie Doris als Sekretärin arbeitete). Als Kindheit und Jugend Kind kleinbürgerlicher und ärmlicher Eltern ist sie in dieser Stadt aufgewachsen und hat ihre Schulzeit dort verbracht. Im zweiten Teil erzählt sie rückblickend von ihrer Kindheit und Jugend (S. 92 f.): Nach ihrer Geburt ist Doris von ihrem (Stief-)Vater »mit zugeheiratet« (S. 92) worden; wer ihr leiblicher Vater ist, weiß weder sie noch ihre Mutter. Von den Eltern ist sie zwar nie geschlagen worden, eine liebevolle Zuwendung hat sie aber dennoch nicht erfahren.
Seit dem ersten Schultag muss sie Spott und Hohn ertragen. Ihre Schulkameradinnen und -kameraden hänseln sie und lachen sie aus, so dass sie sich als Außenseiterin fühlt. Anlass ist etwa Doris’ ungewöhnliches Kleid, das ihr die Mutter aufgrund der schwierigen materiellen Situation der Familie aus Gardinenstoff genäht hat; es ist weder zeit- noch kindgemäß. Doris leidet sehr unter diesen Erniedrigungen und setzt sich heftig zur Wehr. Die Herabwürdigungen prägen sie so nachhaltig, dass sie beschließt, alles zu unternehmen, um niemals wieder in ihrem Leben solche Diskriminierungen erleben zu müssen. Statt ausgelacht zu werden, will sie selbst auf andere herunterschauen und sich über sie amüsieren. Nach Abschluss der Schulzeit absolviert sie eine Lehre. Da sie aber die deutsche Sprache und die Kommasetzung nicht vollständig beherrscht, findet sie zunächst keine Lehrstelle.
Lebensentwurf Doris arbeitet zu Beginn des Romans mit mehreren Kolleginnen als Stenotypistin in einer Rechtsanwaltskanzlei. Die Tätigkeit führt sie nicht besonders gern aus, weil es ihr bisher nicht gelungen ist, die seit der Schulzeit bestehende Rechtschreibschwäche zu überwinden. Sie spricht zwar keinen Dialekt wie ihre Eltern, aber die Briefe und Schriftsätze, die sie für ihren Chef verfasst, sind häufig fehlerhaft. So bekommt sie des Öfteren Probleme mit ihm. Sie bezweifelt ohnehin, dass er sie noch lange in der Kanzlei beschäftigen wird. Es gelingt ihr für einen gewissen Zeitraum, die Zweifel ihres Arbeitgebers an ihren beruflichen Kompetenzen durch sinnliche Blicke, die sie ihm während der Besprechungen zuwirft, zu zerstreuen und ihn davon abzuhalten, ihr zu kündigen.
Sie will so oder so nicht mehr lange als Stenotypistin für ihn tätig sein, weil sie glaubt, ein »ungewöhnlicher Mensch« (S. 8) zu sein und dass »etwas Großartiges« und »etwas Besonderes« in ihr vorgeht. Sie will eine Künstlerin, ein »Glanz« (S. 45), werden und ein luxuriöses Leben führen, so wie sie es bei den jungen Frauen in den Filmen gesehen hat. Ihr Vorbild ist die amerikanische Schauspielerin Colleen Moore, der sie in gewisser Weise ähnlich sieht.
Abb. 1: Die amerikanische Schauspielerin Colleen Moore, 1920
Deshalb entschließt sie sich, ihr zukünftiges Leben in einem ›Drehbuch‹ zu dokumentieren (»ich will schreiben wie Film«, S. 8). In einem »schwarze[n], dicke[n] Heft« (S. 10) notiert sie ab jetzt ihre Vorstellungen, Träume und Erfahrungen.
Doris kann jedoch das Leben, das sie führen will, nicht mit ihrem Einkommen Finanzielle Situation finanzieren. Sie muss ihre Eltern finanziell unterstützen. Ihr Stiefvater ist arbeitslos und trinkt zudem. Die Mutter verdient als Garderobiere im Theater nicht genug, um davon sich und ihren Mann ernähren zu können. Also gibt Doris von ihren 120 Mark, die sie im Monat verdient, 70 Mark als Haushaltszuschuss und Miete für ihr häusliches Zimmer an ihre Eltern ab. Sie bekundet zwar ihren Aufstiegswillen und betont ihren unbedingten Ehrgeiz, aus eigener Kraft kann sie aber den angestrebten höheren gesellschaftlichen Rang nicht erreichen. Voraussetzung für den Aufstieg ist die Anschaffung neuer Kleidung und des entsprechenden Schmucks. Um ihre Ziele zu erreichen, benötigt sie potentielle Geldgeber. Deshalb geht sie taktisch geschickt immer wieder neue Beziehungen zu Männern ein, die ihr eine neue Garderobe bezahlen oder Schmuckstücke schenken. Trotz ihres jugendlichen Alters durchschaut sie die Wünsche und Begierden ihrer Liebhaber und stellt sich auf sie ein. Sie passt ihr Verhalten bis zu einer von ihr bestimmten Grenze dem Begehren ihrer Liebhaber an, wobei sie Prostitution gänzlich ausschließt. Häufig spielt sie den Männern auch nur vor, die von ihnen geschätzten Eigenschaften zu besitzen. Doris beherrscht diese Täuschungsmanöver mittlerweile so perfekt, dass ihr die Männer nach relativ kurzer Zeit die Wünsche erfüllen. Die Beziehungen, die sie eingeht, halten meistens nicht sehr lange.
Ihre Beziehung zu Hubert Hubert stellt eine Ausnahme dar. Doris war gerade einmal 16 Jahre alt und noch unerfahren, als sie sich dem fast 30-jährigen Doktoranden hingegeben hat. Sie betont, dass die Initiative von ihr ausgegangen sei. Von ihm behauptet sie, dass er der einzige Mann sei, den sie jemals wirklich geliebt habe. Alles, was sie in ihrem ›Drehbuch‹ über Hubert notiert, ihr gesamtes Verhalten ihm gegenüber, deutet darauf hin, dass sie ihn eigentlich noch immer liebt.
Die beiden trennen sich nach einem Jahr wieder. Als er während der Aussprache Doris vorhält, dass sie mit ihm vor der Ehe geschlafen habe, was seinen Vorstellungen widerspreche, gerät sie in Wut und ohrfeigt ihn in der Öffentlichkeit. Doris vergleicht ihre nachfolgenden Liebhaber immer wieder mit ihrer ersten großen Liebe; daraus wird deutlich, dass sie diese Trennung gefühlsmäßig bisher noch nicht vollständig verarbeitet hat.
Doris’ Befürchtung, ihr Chef werde sich nicht ewig mit ihr gedulden, bewahrheitet sich schließlich. Nach vielen »sinnlichen« (S. 9) Blicken und ›versehentlichem‹ Hautkontakt (S. 24) verliert er seine Beherrschung und bedrängt sie sexuell. Doris setzt sich körperlich zur Wehr und beleidigt ihn. Beides führt schließlich zu ihrer Kündigung.
Über verschiedene Kontakte gelingt es der Mutter, Doris als Von der Statistin zum »Glanz«Statistin am Theater unterzubringen. Die Arroganz und Hochnäsigkeit unter den Schauspielerinnen (den »fertigen« [S. 31], den unerfahrenen Absolventinnen der Schauspielschule und den Praktikantinnen) verletzen das Selbstwertgefühl der Statistin. Die Schauspielerinnen treten ihr mit Verachtung gegenüber und belächeln ihre geringe Schulbildung. Doris kann sich jedoch deren Aufmerksamkeit sichern, indem sie die Lüge verbreitet, den Direktor des Theaters, Leo Olmütz, gut zu kennen, mit ihm liiert zu sein und von ihm protegiert zu werden.
Da Doris stets nach Höherem strebt, will sie nicht auf der tiefsten Stufe der Hierarchie verharren, die von den Statisten eingenommen wird. Sie nutzt eine günstige Gelegenheit, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Eine der »fertigen« (S. 31) Schauspielerinnen soll in dem Stück, das gerade einstudiert wird, einen Satz übernehmen. Die Wahl fällt zufällig auf Mila von TrapperMila von Trapper, die sich Doris’ Hass zugezogen hat, weil sie ihr eine mangelnde Allgemeinbildung vorgeworfen hat. Damit hat Mila Doris gezwungen, einmal mehr zu schauspielern, um die Mängel zu verschleiern und den Schein zu wahren. Als die von Trapper vor der Probe die Toilette aufsucht, sperrt Doris sie dort ein, so dass die Schauspielerin die Probe verpasst. Ungefragt springt Doris für sie ein und sichert sich den Auftritt. Zudem erhält sie von der Direktion noch eine kostenlose Schauspielausbildung, so dass sie sich in ihrer Entscheidung bestätigt sieht. Doris’ Zuversicht, dass sie nunmehr akzeptiert wird, wächst. Sie hat die unterste Stufe verlassen und schaut optimistisch in die Zukunft. Zur Premiere erscheinen fast nur ihre ehemaligen Liebhaber, die Doris nach der Aufführung rühmen und behaupten, sie sei eine Attraktion für das Theater. Sie wundert sich über die große Anzahl dieser Männer, sonnt sich aber gern in deren Lob.
Doris fürchtet allerdings, dass ihre Lüge, sie sei mit dem Theaterdirektor liiert, sie in Schwierigkeiten bringen könnte, weil die Kolleginnen und Kollegen über ihr (nur vorgetäuschtes) Verhältnis zum Direktor sprechen.
Vor der nächsten Aufführung kommt Therese, Freundin und ehemalige Bürokollegin, zu Doris ins Theater und verkündet, dass Hubert sie im Anschluss treffen will. Doris macht sich gerade für Hubert zurecht, als der Direktor sie rufen lässt. Sie ahnt, was auf sie zukommt, und wird nervös. Auf der Suche nach ihrer Mutter geht sie durch die Garderobe, wo sie einen wertvollen Doris kommt zu ihrem Pelz Pelz erblickt. Dieser gefällt ihr so sehr, dass sie beschließt, ihn für das Treffen mit Hubert ›auszuborgen‹. Sie nimmt ihn an sich, folgt nicht der Vorladung des Direktors und verlässt das »Drecktheater« (S. 61).
Die Begegnung mit Hubert verläuft enttäuschend. Seine Frau hat ihn verlassen und auch seine beruflichen Aussichten haben sich drastisch verschlechtert. Obwohl sie die Nacht miteinander verbringen, vergrößert sich Doris’ psychische Notlage weiter, weil er nichts weiter als eine materielle Unterstützung von ihr will. Enttäuscht verlässt sie ihn. Den Pelz bringt sie nicht zurück, weil er ihr zur ›zweiten Haut‹ geworden ist: »Der Mantel will mich, und ich will ihn, wir haben uns.« (S. 64)
Mit Therese plant Doris ihr weiteres Vorgehen: Sie wird in die Großstadt Berlin fliehen. In der Metropole hofft sie ihrem Lebenstraum näherzukommen und ihren Lebensentwurf in die Wirklichkeit umsetzen zu können.
Der zweite Abschnitt beginnt mit der Schilderung der ersten Erfahrungen, die sie in der Ankunft in Berlin Stadt gemacht hat. Doris ist ›maßlos‹ beeindruckt. Die Beleuchtung und die Lichtreklame versetzen sie ebenso in Aufregung wie die vielen elegant gekleideten Menschen und die ungeheuerliche Mobilität.
Bei ihrer Ankunft am Bahnhof Friedrichstraße tummelt »sich ungeheures Leben« (S. 71) in der Stadt, weil die französischen Politiker Pierre Laval und Aristide Briand zu politischen Verhandlungen über die Aussetzung der deutschen Reparationszahlungen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft nach Berlin gekommen sind. Durch die Weltwirtschaftskrise war auch Deutschland in finanzielle Not geraten, die durch die Schadensersatzzahlungen (Reparationen) an die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg noch verschärft wurde. Doris wird von der Aufregung mitgerissen und zählt sich sofort zu den Berliner Bürgern. Damit sie die Ereignisse verstehen und einordnen kann, wendet sie sich an einen Passanten, der ihr die Zusammenhänge genauer erklären soll. Er lädt sie in ein Café ein. Doch statt sie aufzuklären, schildert er ihr sein Privatleben und macht ihr schöne Augen. Unter einem Vorwand verlässt sie enttäuscht das Café.
Sie macht sich auf den Weg zu Margretchen Weißbach, einer früheren Freundin Thereses. Dort hofft sie vorübergehend Unterschlupf zu finden. Margrete steht unmittelbar vor der Geburt ihres ersten Kindes. Doris holt eine Hebamme zu Hilfe, und ein Mädchen erblickt das Licht der Welt. Familie Weißbach lebt in ärmlichen Verhältnissen, der Mann ist arbeitslos und Margrete verdient zurzeit kein Geld; Doris kann also dort nicht bleiben.
Margrete verweist sie weiter an Tilli Scherer, in der Doris eine Gleichgesinnte findet. Auch Tilli will ein »Glanz« (S. 45) werden. Doris muss jedoch schon nach kurzer Zeit feststellen, dass die Filmbranche wenig Aussicht auf Erfolg bietet, um ein Star zu werden.
»Es geht etwas vorwärts« (S. 78) in Berlin Gleichwohl stürzt sich Doris in das Großstadtleben, und durch ein paar Männerbekanntschaften kann sie ihr Überleben in der Metropole sichern.
Und da sie den idealen Mann, der ihren Vorstellungen entspricht, noch immer nicht gefunden hat, sucht sie nun mit Hilfe ihres Pelzes, der das Interesse der Männer auf seine Trägerin lenken soll, nach einem geeigneten Liebhaber. Doris geht zu diesem Zeitpunkt noch immer davon aus, dass neben finanziellen Zuwendungen auch etwas Anerkennung und Liebe im Spiel sein soll. Bei einem älteren Schriftsteller unternimmt sie den ersten Versuch. Obwohl sie ihn nicht mag, folgt sie der Einladung in seine Wohnung, wo er ihr aus seinem Buch vorliest, während Doris sich die Seidenhemden seiner abwesenden Frau unter die Bluse steckt und dann verschwindet.