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Wir leben in Deutschland in der scheinbar besten aller Welten, doch schon bald werden wir feststellen, dass wir nicht das reiche Land sind, das uns Medien und Politik glauben machen wollen. Denn der Boom der hiesigen Wirtschaft ist nicht unser Verdienst, sondern in erster Linie eine Folge der tiefen Zinsen, des schwachen Euro und des Verschuldungsexzesses im Rest der Welt. Um unseren Wohlstand zu sichern, müssten die regierenden Politiker den aktuellen Aufschwung nutzen, um in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung und somit in die Zukunft des Landes zu investieren. Doch stattdessen werfen sie das Geld für höhere Renten und Sozialausgaben zum Fenster raus. In seinem neuen Buch zeigt Daniel Stelter, einer der klarsten und profiliertesten Denker in Sachen Ökonomie: Wenn wir weitermachen wie bisher, wird nicht nur unsere Wirtschaftskraft in den kommenden Jahren rapide sinken, sondern nachfolgende Generationen werden die finanziellen Lasten, die uns heutige Politiker aufbürden, nicht stemmen können. Es droht der volkswirtschaftliche Kollaps. Doch der Bestsellerautor entlarvt nicht nur das Märchen vom »reichen Land« als eben solches, er zeigt auch konkrete Wege auf, wie wir dem Albtraumszenario entgehen können.
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Seitenzahl: 276
Daniel Stelter
DAS
MÄRCHEN
VOM REICHEN
LAND
Wie die Politik uns ruiniert
FBV
Stimmen zum Buch
»Euro-Rettung, Energiewende, Massenzuwanderung und zukunftsvergessener Ausbau des Sozialstaats – faktenreich analysiert Daniel Stelter die folgenschweren Fehler der Wirtschaftspolitik unter Angela Merkel. Wer wissen will, warum Deutschland bald wieder zum kranken Mann Europas zu werden droht und wie wir dies verhindern können, der sollte dieses Buch lesen.
Bleibt nur zu hoffen, dass das Buch seinen Weg auf den Schreibtisch der Kanzlerin und diese die Zeit findet, es zu lesen. Denn die Zeit drängt.«
MALTE FISCHER, Chefvolkswirt Wirtschafts Woche
»Daniel Stelter reißt dem Leser den Schleier von den Augen und seziert in gewohnter Präzision die Lage: Die Deutschen leben in einer Wohlstandsillusion, die von billigem Geld und der geistigen Monokultur unserer Eliten genährt wird. Der Echoraum der Mainstream-Medien stützt verzweifelt die ökonomische Blase. Diese Willfährigkeit ermöglicht es der Politik, auf dem Pfad schlechter Entscheidungen viel zu lange voranzuschreiten. Doch die Rechnung dafür wird bitter werden.
Politik und Geldpolitik sollen nicht sagen, dass dies alles nicht schon lange ausgesprochen wurde. Sie wurden gewarnt.«
DR. MARKUS KRALL, Risikound Strategieberater, Bestsellerautor
»Das deutsche Erfolgsmodell ist schwer beschädigt: Die Mittelschicht schrumpft, die Gesellschaft ist polarisiert, unsere Reserven werden angegriffen und unsere Zukunftsfähigkeit wird zerstört. Daniel Stelter zeichnet das Punkt für Punkt nach und zerstört dabei die Sandmännchen-Mythen, die von Politik und Medien verbreitet werden. Und er unterbreitet fundierte Vorschläge, was zu ändern ist.
So klar und verständlich, schonungslos und doch ökonomisch nüchtern hat es noch niemand geschrieben. Daniel Selter ist für mich aktuell der Krisenökonom Nummer eins.«
PROF. DR. MAX OTTE, Wirtschaftsund Finanzexperte, Bestsellerautor
»Mit dem Märchen vom reichen Land stellt endlich einmal ein profilierter Ökonom die deutsche Selbstzufriedenheit infrage, die sich immer mehr in Lethargie auszuwachsen droht.«
STEFFEN KLUSMANN, Chefredakteur manager magazin
»Vom Weltmeister zum Verlierer – was wir beim Fußball erleben mussten steht uns in der Wirtschaft bevor. In seinem lesenswerten Buch zeigt Daniel Stelter, wie die in der Ära Merkel aufgelaufenen Politikfehler auf den Gebieten der Eurorettung, Energieversorgung, Migrationssteuerung, Sozialversicherung und Infrastrukturinvestitionen unweigerlich den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands einleiten werden. Eine Korrektur dieser Fehler, wie Stelter sie fordert, dürfte mit dem für die Fehler verantwortlichen politischen Personal nicht mehr möglich sein.«
PROF. DR. THOMAS MAYER, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Instituts
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
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Redaktion: Daniel Bussenius
Korrektorat: Silvia Kinkel
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: franckreporter/iStock
Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
eBook by ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-95972-153-0
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-278-0
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Meinen Kindern
Vorwort
Leider ein Märchen
Kapitel 1
Warum die Deutschen zu den Ärmeren in Europa gehören
Über den Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen
Kapitel 2
Die Einkommensillusion
Warum unser Exporterfolg nicht unser Verdienst ist
Kapitel 3
Sparen ohne anzukommen
Hohe Abgaben, eine schrumpfende Mittelschicht und schlechte Geldanlage der Deutschen
Kapitel 4
Die Milliarden, die wir nicht wiederbekommen
Über das Zusammenspiel von Handelsüberschüssen und Kapitalexport und die schlechte Anlage deutscher Ersparnisse im Ausland
Kapitel 5
Deutschland als Kreditgeber der Eurozone
Über Target2 und die Erpressbarkeit der Deutschen
Kapitel 6
»Schwarze Null« statt nachhaltiger Finanzen
Der Staat spart nicht und schon gar nicht an der rechten Stelle
Zwischenbilanz
Das Märchen vom reichen Land
Kapitel 7
Die Leistungsfähigkeit sinkt
Die alternde Gesellschaft übernimmt sich und sorgt nicht vor
Kapitel 8
Zuwanderung: Quantität statt Qualität
Warum die derzeitige Art der Zuwanderung nur die Staatskassen belastet
Kapitel 9
Euro(pa) um jeden Preis
Ein politisches Projekt gegen jede ökonomische Logik
Kapitel 10
Wie man ein Land ruiniert
Die Politik vernichtet unseren Wohlstand gleich mehrfach
Kapitel 11
So sanieren wir Deutschland
Es genügen keine Reformen, wir brauchen einen grundlegenden Neustart
Nachwort
Zu spät?
Anmerkungen
»Die meisten Menschen spüren gelegentlich, dass sie in einem Netz von Illusionen hinleben. Wenige aber erkennen, wie weit diese Illusionen reichen.«
FRIEDRICH NIETZSCHE
Mit Mitte 50 ist es höchste Zeit, für das Alter vorzusorgen. Da bleiben nur noch wenige Jahre, um Reserven für den Ruhestand anzulegen. Zeit, mehr zu sparen, die Ersparnisse sicher und ertragreich anzulegen und an der eigenen Fitness zu arbeiten. Schließlich will man ja möglichst lange etwas von den Ersparnissen haben.
Was für jeden Einzelnen von uns gilt, gilt auch für das Land. Deutschland altert rapide und der deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung setzt gerade ein. Der geburtenstärkste Jahrgang, der 1964er, hat nur noch 10 bis 15 aktive Jahre vor sich. Jahre, in denen wir das Land fit machen müssen.
Vordergründig steht Deutschland gut da. Die Wirtschaft wächst so schnell wie lange nicht. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einem Rekordtief und die Bundesregierung erwartet schon bald Vollbeschäftigung. Die Exportwirtschaft boomt. Die Politik freut sich und spricht vom »reichen Land«.
Blickt man hinter die Kulissen, erkennt man jedoch schnell, dass es Deutschland ergeht wie einem Mittfünfziger, der seine Hausaufgaben für die Altersvorsorge nicht macht. Wir überschätzen die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes, wir überschätzen die reale Kaufkraft unseres Einkommens, wir überschätzen die Reserven fürs Alter und wir geben zu viel Geld für die falschen Dinge aus.
Unser Einkommen mag zurzeit – begünstigt von tiefen Zinsen und schwachem Euro – vielleicht hoch sein. Unser Vermögen ist es jedoch nicht. Die Ursachen dafür sind vielfältig: zwei verheerende Weltkriege, die Kosten der Wiedervereinigung, die geringe Eigentumsquote an Immobilien und nicht zuletzt, die Wirkungen einer völlig verfehlten Politik, die Sparen in Form von Sparbuch und Lebensversicherungen propagiert hat.
Auch die sichere Rente ist eine Illusion. Während sich die Politik für die »Schwarze Null« feiert, die nur eine Folge der tiefen Zinsen und nicht besonderer Sparanstrengungen ist, explodieren die verdeckten Schulden des Staates förmlich. Berücksichtigt man die ungedeckten Zusagen für künftige Renten-, Pensions- und Gesundheitszahlungen, liegt die deutsche Staatsverschuldung mit 161 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich über der italienischen. Diese Lücke kann nur über höhere Abgaben und Leistungskürzungen geschlossen werden.
So wie Rentner ihre Ersparnisse aufbrauchen für einen vergnüglichen Lebensabend, müssen auch wir als Land unsere angesparten Forderungen gegen das Ausland in Zukunft dazu nutzen, um Waren zu importieren, die wir dann nicht mehr selbst herstellen können. Während Länder wie die Schweiz, Singapur und Norwegen gezielt werthaltige Forderungen und Vermögenswerte kaufen, sind wir bereitwillig die Finanziers von Schuldnern, die uns am Ende im Regen stehen lassen werden. Alleine in der Finanzkrise verloren deutsche Banken und Versicherungen mehr als 400 Milliarden Euro unseres Geldes. Im Zuge der fortschreitenden Krise der Eurozone dürften die Verluste deutlich über einer Billion Euro liegen, wenngleich noch offen ist, auf welche Weise wir diese Verluste realisieren werden.
Versagen wir schon bei der Aufgabe, ordentlich vorzusorgen und unsere hart erarbeiteten Ersparnisse gut anzulegen, sollten wir wenigstens die Grundlage für ein weiterhin hohes Einkommen in der Zukunft legen. Voraussetzungen dafür wären Investitionen in Infrastruktur und Bildung, verbunden mit einer Einwanderungspolitik, die sich an unseren ökonomischen Erfordernissen orientiert. Eine Gesellschaft von Rentnern, deren Ersparnisse gefährdet sind, kann nichts weniger gebrauchen als schlechte Infrastruktur, Unternehmen, denen qualifizierte Mitarbeiter fehlen, und Migranten, die von Transferzahlungen leben.
Doch auch hier versagt unsere Politik eklatant. Straßen verfallen, schnelles Internet kennt man nur aus anderen Ländern und das Bildungsniveau befindet sich im Sturzflug. Migration in die Sozialkassen wird zu einer dauerhaften Belastung, abgesehen von den Folgen für den sozialen Zusammenhalt und die innere Sicherheit.
Damit stehen wir vor enormen Herausforderungen. Unsere Wirtschaftskraft wird, allein bedingt durch die demografische Entwicklung, in den kommenden Jahren sinken. Die finanziellen Lasten durch die alternde Gesellschaft werden steigen, während die Art der Zuwanderung, wie wir sie heute zulassen und befördern, die Belastungen zusätzlich erhöht. Zeitgleich dürften in den kommenden Jahren die Verluste aus Europolitik und einseitiger Exportorientierung nicht nur in der Theorie bestehen, sondern Realität werden.
Deutschland droht eine massive Altersarmut, nicht nur, weil die individuelle Vorsorge unzureichend ist, sondern weil wir als Land von der Hand in den Mund leben und uns an der irrigen Vorstellung beseelen, reich zu sein. Wir sind es nicht. Es droht ein Albtraumszenario, wenn die demografische Entwicklung mit voller Wucht einsetzt und wir aus unseren Träumen gerissen werden. Mit dem Eintritt in das Rentenalter dürfen wir dann feststellen, dass unsere Ersparnisse verloren sind und wir um die Früchte unserer Arbeit gebracht wurden.
Tritt dies ein, sind politische Verwerfungen in einem Ausmaß denkbar, wie wir sie uns heute nicht vorstellen können. Die CDU dürfte dasselbe Schicksal erleiden wie die Democrazia Cristiana in Italien und die SPD wie die Sozialisten in Frankreich: den völligen Untergang. Sind es doch diese beiden Parteien, CDU und SPD, die uns den Schlamassel, auf den wir zusteuern, im Wesentlichen eingebrockt haben.
Unsere Politiker berauschen sich derweil am Märchen vom reichen Land. Aus dieser Hybris heraus bürden sie uns immer mehr Lasten auf. Statt vorzusorgen, untergraben sie unseren Wohlstand gleich von mehreren Seiten.
Wir brauchen eine neue Politik, die unsere Einkommen nachhaltig stärkt und unsere Ersparnisse sichert. Voraussetzung ist, dass wir uns eingestehen, dass wir einer allzu strahlenden Illusion aufgesessen sind – eben dem Märchen vom reichen Land. Die Realität ist deutlich trister.
Dieses Buch soll einen Beitrag dazu leisten, diese Illusion zu zerstören. Es soll aber auch Anregungen geben, wie wir die Politik noch korrigieren können. Noch können wir umsteuern und handeln. Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr.
»Die meisten Deutschen haben nur ein Gebet: Herr, unsere tägliche Illusion gib uns heute.«
GUSTAV STRESEMANN, deutscher Politiker
Schauen wir uns die Lage in Deutschland genauer an und untersuchen die Einkommen, die wir erzielen. Wie bereits dargestellt, liegt Deutschland beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weltweit und auch in Europa im Spitzenfeld. Besonders in den letzten Jahren verzeichneten wir deutliche Gewinne. Seit 2010 stieg das BIP pro Kopf um 9,8 Prozent, deutlich mehr als in Frankreich (4,7 Prozent), Italien (-1,8 Prozent) und Spanien (5,4 Prozent). Noch beeindruckender ist die Entwicklung seit dem Jahr 2008, vor Ausbruch der Finanzkrise. Während wir 8,6 Prozent über dem Vorkrisenniveau liegen, weist Frankreich nur einen Zuwachs von 2,6 Prozent auf und Spanien liegt nach einem tiefen Einbruch erst seit kurzem wieder auf dem Niveau vor der Krise. In Italien liegt das BIP pro Kopf rund 7 Prozent unter dem Niveau von 2008.1 Ein wesentlicher Grund für die aufgeheizte politische Stimmung im Land – insbesondere Rentner leiden sehr unter staatlichen Budgetkürzungen, und junge Arbeitskräfte haben es immer noch sehr schwer, einen Arbeitsplatz zu finden.
Die gute wirtschaftliche Entwicklung hierzulande verleitet unsere Politiker – die offensichtlich nur auf die Flussgröße blicken und nicht auf unsere künftigen Verpflichtungen – dazu, unsere wirtschaftliche und finanzielle Leistungskraft zu überschätzen und bei jeder Gelegenheit vom »reichen Land« zu sprechen. Dabei steht unser wirtschaftlicher Erfolg auf tönernen Füßen. Wir unterliegen kollektiv einer Einkommensillusion, denn die gute wirtschaftliche Entwicklung ist von Faktoren abhängig, die weder nachhaltig noch gesund sind.
Da ist zunächst die Feststellung, dass der deutsche Export direkt und indirekt immer mehr von der Entwicklung in China abhängt. 2008 exportierten wir Waren im Wert von 34 Milliarden Euro in die Volksrepublik, 2017 waren es 86 Milliarden.2 Die Volksrepublik ist damit der drittwichtigste Absatzmarkt für deutsche Produkte, nach den USA und Frankreich und vor den Niederlanden und Großbritannien.
Die indirekte Wirkung Chinas auf die deutschen Exporte dürfte mindestens ebenso groß sein. Der Rohstoffhunger des Landes hat weltweit zu einem Aufschwung geführt, der wiederum zu steigenden Einkommen in anderen Ländern geführt hat, die dann ebenfalls mehr Autos und Maschinen bei uns einkaufen.
Problematisch ist, dass der Aufschwung in China mit einer massiven Verschuldung einhergeht, was die Nachhaltigkeit dieses Aufschwungs infrage stellt. Immerhin die Hälfte der weltweiten Schulden wurde in den letzten zehn Jahren in China gemacht. Der Anteil Chinas am weltweiten Schuldenberg legte im gleichen Zeitraum von 5 auf fast 25 Prozent zu. Die Schulden von Industrie und Privathaushalten wuchsen von 3 Billionen US-Dollar im Jahre 2005 auf 22 Billionen heute.3 Allein 2016 stiegen die Schulden um 4,5 Billionen Dollar. Die Bilanzsumme4 des Bankensystems versechsfachte sich und liegt heute bei rund 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Zum Vergleich: Italien 166 Prozent, Deutschland 230 Prozent, Frankreich 318 Prozent, Großbritannien 446 Prozent). Dabei nimmt der realwirtschaftliche Impuls der neuen Schulden immer mehr ab. Im letzten Jahr wuchsen die Schulden mit drei Billionen Dollar etwa doppelt so schnell wie die Wirtschaft.
Zu schnelles Kreditwachstum hat historisch bisher stets zu Rezessionen oder zumindest einer längeren Phase geringen Wachstums geführt. Das war in Japan nach dem Platzen der Schuldenblase im Jahre 1990 so, das war so in Korea nach der Asienkrise 1997/98 und so ist es heute in den Krisenländern der Eurozone.
Die Volkswirte messen die Krisengefahr mit dem sogenannten »credit-to-GDP gap«. Dieser vergleicht den Trend des Schuldenwachstums mit dem aktuellen Schuldenniveau. Sind die Schulden in kurzer Zeit deutlich schneller gestiegen als der langfristige Trend erwarten ließe, ist das ein deutliches Warnsignal für eine kommende Krise. In China liegt aktuell das Kreditvolumen immerhin
30 Prozent über dem (steilen) Trend, was besorgniserregend ist.
Die Ursache für Krisen nach erheblichem Schuldenwachstum liegt in der Verwendung der Mittel. Statt in produktive Bereiche zu fließen, dienen sie oft der Spekulation oder heizen die Bauwirtschaft an. In China hat vor allem der Unternehmenssektor die Verschuldung deutlich ausgeweitet, was nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht ist. Viele dieser, vor allem staatlichen Unternehmen haben erhebliche Überkapazitäten geschaffen, die nun die Weltmärkte mit ihrem Angebot fluten. Als Beispiel sei nur die Stahlindustrie genannt.
Aber die Chinesen exportieren nicht nur viel, sie importieren auch in erheblichem Umfang. Käme es zu einer Rezession in China, würde das die exportorientierte deutsche Industrie erheblich treffen. Nicht nur die Importnachfrage aus China ginge zurück, sondern das Weltwirtschaftswachstum insgesamt.
Optimisten verweisen auf die chinesischen Staatsreserven sowie die (bisher) erfolgreiche Politik und erwarten eine Fortsetzung des Aufschwungs. Doch auch ohne Rezession wird das Land ein immer schwierigerer Handelspartner. Es ist erklärtes Ziel der chinesischen Regierung, eigene Industrien aufzubauen und selbst zum Exporteur von Technologie zu werden. Wohin das führt, haben wir nicht nur im Bahnsektor beobachtet, wo China von Firmen wie Siemens gelernt hat und nun selbst auf dem Weltmarkt mit Hochtechnologieprodukten agiert. So gesehen sind auch die Aufkäufe deutscher Unternehmen durch chinesische Investoren ein Warnsignal. Es besteht die ernste Gefahr, dass Technologie und Arbeitsplätze hierzulande verloren gehen.
Der Exportboom nach China ist teuer erkauft und mag heute zu höheren Einkommen führen, nicht aber zu einer nachhaltigen Sicherung des künftigen Wohlstands bei uns. Es ist eine Party, die wir genießen sollten, solange sie andauert. Darauf setzen, dass es ewig so weiter geht, dürfen wir nicht. Und damit auch nicht auf die Einkommen, die wir damit erzielen.
Nicht nur mit China betreiben wir schwungvollen Handel. Der Exportanteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt liegt bei 46 Prozent, weit über den Werten anderer Länder wie Frankreich und Italien (beide bei rund 30 Prozent).5
Natürlich importieren wir auch in erheblichem Umfang, im Falle Chinas sogar deutlich mehr als wir in das Land exportieren. Meistens erzielen wir jedoch einen Überschuss im Außenhandel, was uns den Titel des »Exportweltmeisters« eingebracht hat. 2017 war der Überschuss mit umgerechnet 287 Milliarden US-Dollar mehr als doppelt so groß wie der von China. Auch für 2018 dürfte uns der Titel sicher sein.
Ein Titel, der uns nicht beliebt macht. Seit Jahren nehmen die Spannungen wegen der enormen Handelsüberschüsse zu. Ausgehend von den USA unter Donald Trump wird der Druck immer größer, unser Wirtschaftsmodell anzupassen. Weniger laut, aber ebenso bestimmt, wächst die Kritik in der EU. Italien und Frankreich sehen sich schon seit Langem als Opfer einer »merkantilistischen« deutschen Politik, die über Lohnzurückhaltung einen Vorteil für die eigene Wirtschaft anstrebt. Der Internationale Währungsfonds sieht in den deutschen Überschüssen gar eine Gefahr für die Stabilität der Weltwirtschaft.
Natürlich können wir argumentieren, dass unsere Arbeitnehmer besonders hart und gründlich arbeiten und unsere Produkte sehr gut sind. Natürlich können wir argumentieren, dass nicht wir, sondern die EZB Schuld am tiefen Eurokurs ist, der unsere Exporte begünstigt. Tatsache bleibt jedoch, dass unser Überschuss anderen Ländern Kaufkraft und Arbeitsplätze entzieht.6 Da sich die westliche Welt erst mühsam von den Folgen der Finanzkrise erholt, ist es für Politiker verlockend, die Überschussländer für die eigenen wirtschaftlichen Probleme verantwortlich zu machen. Schon seit Jahren – nicht erst seit Donald Trump – ist der Protektionismus weltweit auf dem Vormarsch.
Es ist abzusehen, dass die Forderungen an Deutschland, die Überschüsse abzubauen, weiter zunehmen werden. Kommen wir dieser Forderung nicht freiwillig nach, ist die Gefahr von protektionistischen Maßnahmen erheblich und die Folgen wären fatal. Der Brüsseler Think Tank Bruegel hat ausgerechnet, wie sich ein US-Importzoll von 35 Prozent für europäische Autos auswirken würde. Wenig überraschend würde es die deutsche Automobilindustrie massiv treffen. Bis zu 17 Milliarden Euro Exportumsatz wären demnach gefährdet.7 Dies unterstreicht, auf welch schwachem Fundament der deutsche Boom basiert.
Kommt es zu diesen Zöllen in den USA – zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Buches sah es sehr danach aus – und zusätzlich zu einem harten Brexit, also einem Austritt Großbritanniens aus der EU ohne weiteren Zugang zum EU-Binnenmarkt, würden zwei der wichtigsten Absatzmärkte für die deutsche Automobilindustrie stark schrumpfen. Eine schwere Rezession in Deutschland wäre die unvermeidliche Folge. Schuld daran trüge durchaus auch die deutsche Politik, die jahrelang die berechtigte Kritik an den deutschen Leistungsbilanzüberschüssen zurückgewiesen und die Warnungen nicht ernst genommen hat.
Doch auch so sind die Risiken erheblich. Die Importnachfrage der Welt basiert auf einem historisch einmaligen Verschuldungsboom. Nicht nur China hat sich in den letzten Jahren massiv verschuldet, wie wir diskutiert haben. Die ganze Welt hat es getan. So wuchs die Verschuldung von 2007 bis 2017 um 68 Billionen US-Dollar von 276 Prozent des Welt-BIP auf heute über 327 Prozent. Dieser Verschuldungsanstieg steht hinter der konjunkturellen Erholung von der Finanz- und Schuldenkrise und wurde von den Notenbanken der Welt mit ihrer Geldpolitik befeuert.
Nicht nur die weltweit steigende Verschuldung und der auf Pump basierende Boom in China stehen hinter unserem Erfolg. Einen weitaus größeren Anteil dürfte der Euro haben, der viel schwächer ist, als es die Deutsche Mark wäre, und damit die Exporte erleichtert.
Stimmt es, dass Deutschland der große Gewinner des Euro ist? Die Antwort der Politik ist immer positiv. Schließlich würden wir entsprechend mehr in die Eurozone exportieren und hätten damit einen erheblichen wirtschaftlichen Gewinn. In Wahrheit ist es nicht so einfach.
Zunächst ist der Euro ein Subventionsprogramm für die exportorientierte Industrie in Deutschland. Es profitieren vor allem die Aktionäre und (weniger) die Mitarbeiter dieser Branchen. Demgegenüber gibt es erhebliche Wohlstandsverluste für andere. Der »Mann auf der Straße« gehört nicht zu den Gewinnern des Euro. Wo immer man genauer hinblickt, muss man erkennen, dass der Euro zu einer Verringerung des deutschen Wohlstandes und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit geführt hat, nicht zu einer Verbesserung:
1. Zu Zeiten der Mark stand die deutsche Wirtschaft unter konstantem Aufwertungsdruck. Die Währungen der Haupthandelspartner, der französische Franc, die italienische Lira, aber auch der US-Dollar, werteten in schöner Regelmäßigkeit gegenüber der Mark ab. In der Folge war die deutsche Wirtschaft zu anhaltenden Produktivitätszuwächsen gezwungen. So wuchs die Produktivität in den Jahren vor der Euroeinführung deutlich schneller als in der Zeit danach. Seit dem Jahr 2000 liegt die Entwicklung der Produktivität hinter den Fortschritten in den meisten Industrieländern, inklusive der heutigen europäischen Krisenländer wie beispielsweise Spanien. Der schwache Euro und das wegen der Rettungspolitik der EZB tiefe Zinsniveau haben den Wettbewerbsdruck für die deutsche Wirtschaft signifikant gesenkt. In der Folge wurde weniger investiert, die Qualität der Arbeitskräfte hat sich verschlechtert, es gab weniger technischen Fortschritt und zusätzlich sind wir besonders in den weniger produktiven Bereichen gewachsen. Schleichend erodiert so unsere Wettbewerbsfähigkeit, was mittelfristig zu einem Rückgang des Wachstums in Deutschland führen wird.8
2. So wuchs das BIP pro Kopf – der entscheidende Indikator für die Entwicklung des Wohlstands – ebenfalls langsamer als vor der Einführung des Euro. Lief die Entwicklung bis zum Jahr 2000 noch halbwegs parallel zur Schweiz – wenn auch auf tieferem Niveau – so ist Deutschland in den letzten Jahren deutlich zurückgefallen. Wir haben uns mehr darauf konzentriert, billiger zu produzieren – statt besser. Dies wird nachhaltig die Entwicklung der deutschen Wirtschaft belasten.