Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Es geht um Deutschlands Zukunft! Die Ära der Krisenkanzlerin Angela Merkel geht zu Ende. Mit einer Krise, die allen alles abverlangt. Doch nicht erst seit Corona steht Deutschland vor unbewältigten Herausforderungen und großen Lasten für die Zukunft. Wie kann es unserem Land gelingen, in den entscheidenden Fragen unserer Zeit endlich voranzukommen? Dieses Buch gibt Wählerinnen und Wählern Orientierung und listet die Aufgaben in den einzelnen Handlungsfeldern auf. Politiker werden zeigen müssen, ob sie erfolgreich die Weichen für eine prosperierende Zukunft unseres Landes stellen können, oder ob es bei einem Kurs des Verzagens bleibt. Top-Ökonom und Vordenker Daniel Stelter skizziert die wichtigsten Punkte, an denen sich jedes Wahlversprechen messen lassen muss. Deutschland muss endlich • professionell und intelligenter gemanagt werden, • den Klimaschutz neu denken, • Digitalisierung und Infrastruktur priorisieren, • die kommende Generation mit einem Bildungspakt absichern, • sein Vermögen besser anlegen, • mehr investieren statt konsumieren und • seine Rolle in der Welt selbstbewusst einnehmen Jetzt nicht nur träumen, sondern handeln!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 458
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Daniel Stelter
EIN TRAUM VON EINEM LAND
Deutschland 2040
Campus VerlagFrankfurt/New York
Über das Buch
Es geht um Deutschlands Zukunft! Die Ära der Krisenkanzlerin Angela Merkel geht zu Ende. Mit einer Krise, die allen alles abverlangt. Doch nicht erst seit Corona steht Deutschlandvor unbewältigten Herausforderungen und großen Lasten für die Zukunft. Wie kann es unserem Land gelingen, in den entscheidenden Fragen unserer Zeit endlich voranzukommen?Dieses Buch gibt Wählerinnen und Wählern Orientierung und listet die Aufgaben in den einzelnen Handlungsfeldern auf. Politiker werden zeigenmüssen, ob sie erfolgreich die Weichen für eine prosperierende Zukunft unseres Landes stellen können, oder ob es bei einem Kurs des Verzagensbleibt.Top-Ökonom und Vordenker Daniel Stelter skizziert in diesem Buch die wichtigsten Punkte, an denen sich jedes Wahlversprechen messen lassenmuss. Deutschland muss endlich• professionell und intelligenter gemanagt werden,• den Klimaschutz neu denken,• Digitalisierung und Infrastruktur priorisieren,• die kommende Generation mit einem Bildungspakt absichern,• sein Vermögen besser anlegen,• mehr investieren statt konsumieren und• seine Rolle in der Welt selbstbewusst einnehmenJetzt nicht nur träumen, sondern handeln!»Warum will ich mit Ihnen träumen? Warum von Deutschland im Jahr 2040? Weil ich Sie auf eine Reise mitnehmen möchte – eine Reise, die vomTräumen hinführt zum Handeln. Der Traum ist schnell formuliert: Deutschland soll auch im Jahr 2040 ein glückliches und wohlhabendes Land sein, in dem sozialer Friede herrscht und der Wohlstand gerecht verteilt wird. Es soll ein Land sein, welches seinen Verpflichtungen in Europa und der Welt nachkommt.Wer würde sich diesem Traum nicht anschließen wollen? Mit dem Träumen ist es nicht getan. Wir müssen prüfen, ob wir heute die Weichen richtigstellen, damit der Traum auch eine Chance hat, Realität zu werden. Diese Prüfung fällt in vielerlei Hinsicht ernüchternd aus. Die Voraussetzungenfehlen oft – und vor allem fehlt die Bereitschaft, heute das zu tun, was erforderlich ist. Noch können wir das ändern, und das sollten wir auch tun.Viel Zeit bleibt nicht mehr. Für viele Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, bleiben nur wenige Jahre Zeit.«Daniel Stelter
Vita
Dr. Daniel Stelter ist Bestseller-Autor und Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums beyond the obvious. Er ist Experte für Wirtschafts- und Finanzkrisen und berät internationale Unternehmen und Investoren zu den Herausforderungen der sich stetig wandelnden globalen Märkte.Dr. Daniel Stelter ist Bestseller-Autor und Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums beyond the obvious. Er ist Experte für Wirtschafts- und Finanzkrisen und berät internationale Unternehmen und Investoren zu den Herausforderungen der sich stetig wandelnden globalen Märkte.
Vom Träumen zum Handeln
Deutschland 2020 – kein glückliches Land
In den 2020er-Jahren kippt die Entwicklung
Politikwende unerlässlich
Was Sie in diesem Buch erwartet
1.Das Ziel: Mehrung des Wohlstands
Auf der Suche nach dem Glück
Wohlstand ist nicht alles
Wohlstand ist kein Zufall
2.Ordentliche Buchführung
Das Märchen von der »schwarzen Null«
Gewinnen wir jeden Monat im Lotto?
Rentenversicherung als Ponzi-Schema
Die Lösung: Erstellen einer Bilanz
Entscheidungen transparent machen
Sauber rechnen
3.Denken in Zusammenhängen
Mietenpolitik zugunsten von Reichen, Besitzenden und Alten
Kohleausstieg – 80 Milliarden Euro für nichts?
Systemisches Denken ist Pflicht
4.Von anderen lernen
Mehr Ikea wagen
Das Beste der Welt nutzen
5.Sauber rechnen – jemand muss es machen
Qualitätsprüfung für Gesetze
Weniger ist mehr
Das Instrumentarium steht fest
6.Das ungenutzte Jahrzehnt
Zehn tolle Jahre
Boom dank externer Faktoren
Die Fitness leidet
Die Strukturkrise ist da
Corona als Brandbeschleuniger
Armes Volk, reicher Staat?
Massive versteckte Lasten
Private Vorsorge gefährdet
Vertane Chancen
7.Mehr Menschen in Arbeit bringen
Deutschlands globaler Abstieg scheint ausgemacht
Die Erwerbsbevölkerung schrumpft
Szenarien für eine größere Erwerbstätigenzahl
2030 machbar – 2040 schwer
8.Der Weg zum Produktivitäts-Champion
Ein Kraftakt
Mehr Investitionen sind unerlässlich
Bereinigung der Corona-Folgen
Staatliche Investitionen
Energieversorgung und Energiekosten
Erhalt der Regionalbanken
Bildung und Qualifikation
Automatisierung als Chance
Mehr Innovationen
Priorität für produktive Sektoren
Wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen
Deutschland – Produktivitäts-Champion
9.Investitionen sind Pflicht
Investitionen statt Konsum
Wie hoch soll die Staatsquote sein?
Prioritäten bei den Staatsausgaben neu ordnen
Es wird Zeit, dass wir ein reiches Land werden
10.Neustart im Klimaschutz
Energie ist eine Grundlage des Wohlstands
Die Bekämpfung des Klimawandels ist teuer
Der spezielle deutsche Weg
Der wirtschaftliche Blick
Wenn Innovation die Lösung ist, warum geben wir so wenig dafür aus?
11.Reform der Europäischen Union
Machen wir uns ehrlich
Schulden- und Transferunion – kein Konzept zur Lösung der Probleme
EU-Zerfall führt zu hohen Kosten
Der Euro muss reformiert werden
Altschuldenfonds und Parallelwährungen
Ein Programm zur Stabilisierung der EU
Deutschland muss auf Wandel dringen
12.Wehrhaft und hilfsbereit
Verteidigung ist auch unsere Aufgabe
Effizient und effektiv in der humanitären Hilfe
13.Mehr Vermögen für alle
Das fehlende Vermögen der Mitte
Ahnung von Geld macht glücklich
Nur 25 Prozent haben Immobilien
Staatsfonds zur Diversifikation des Vermögens
Reiches Volk statt reichem Staat
Target2 mobilisieren
14.Die öffentlichen Aufgaben gerecht finanzieren
Wer trägt den Staat?
CO2-Steuern wirken regressiv
Grundeinkommen mit falschem Anreiz
Chancen- statt Ergebnisgleichheit
Ideen zum Umbau der Staatsfinanzierung
Spielraum zur Abgabensenkung nutzen
Ein Traum, den wir gemeinsam realisieren können – und müssen!
Reformen der Politik
Ein neues Narrativ
Wir Bürgerinnen und Bürger sind gefordert
Anhang
Verzeichnis der Abbildungen
Tabellenverzeichnis
Anmerkungen
Vom Träumen zum Handeln
1.Das Ziel: Mehrung des Wohlstands
2.Ordentliche Buchführung
3.Denken in Zusammenhängen
4.Von anderen lernen
5.Sauber rechnen – jemand muss es machen
6.Das ungenutzte Jahrzehnt
7.Mehr Menschen in Arbeit bringen
8.Der Weg zum Produktivitäts-Champion
9.Investitionen sind Pflicht
10.Neustart im Klimaschutz
11.Reform der Europäischen Union
12.Wehrhaft und hilfsbereit
13.Mehr Vermögen für alle
14.Die öffentlichen Aufgaben gerecht finanzieren
Ein Traum, den wir gemeinsam realisieren können – und müssen!
Register
»Trotz der materiellen Zufriedenheit ist die Generation Mitte durch die weltweiten Krisen, den Verlust an politischer Stabilität in Deutschland und die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas zutiefst verunsichert.«
Renate Köcher, Institut für Demoskopie Allensbach
»Keiner darf für sich den Besitz der Wahrheit beanspruchen, sonst wäre er unfähig zum Kompromiss und überhaupt zum Zusammenleben; er würde kein Mitbürger, sondern ein Tyrann. Wer das Mehrheitsprinzip auflösen und durch die Herrschaft der absoluten Wahrheit ersetzen will, der löst die freiheitliche Demokratie auf.«
Richard von Weizsäcker (1920 bis 2015), von 1984 bis 1994 Bundespräsident Deutschlands
Warum will ich mit Ihnen träumen? Warum von Deutschland im Jahr 2040? Weil ich Sie auf eine Reise mitnehmen möchte – eine Reise, die vom Träumen hinführt zum Handeln.
Der Traum ist schnell formuliert: Deutschland soll auch im Jahr 2040 ein glückliches und wohlhabendes Land sein, in dem sozialer Friede herrscht und der Wohlstand gerecht verteilt wird. Es soll ein Land sein, das seinen Verpflichtungen in Europa und der Welt nachkommt.
Wer würde sich diesem Traum nicht anschließen wollen?
Mit dem Träumen ist es nicht getan. Wir müssen prüfen, ob wir heute die Weichen richtig stellen, damit der Traum auch eine Chance hat, Realität zu werden. Diese Prüfung fällt in vielerlei Hinsicht ernüchternd aus. Die Voraussetzungen fehlen oft – und vor allem fehlt die Bereitschaft, heute das zu tun, was erforderlich ist. Noch können wir das ändern, und das sollten wir auch tun. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Für viele Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, bleiben nur wenige Jahre Zeit.
Nicht erst mit Corona wird immer deutlicher, dass vieles entschieden falsch läuft mit der Wirtschaftspolitik in Deutschland. Die Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung trotz eines fast zehnjährigen Aufschwungs und eines deutlichen Rückgangs der Arbeitslosigkeit war schon 2019 nicht zu übersehen.1 Ein Weiter-so wie vor Corona wird es nicht geben, und es wäre auch grundlegend falsch. Deutschland braucht eine massive Kehrtwende hin zu einer intelligenten Wirtschaftspolitik, denn nur so können wir die Zukunft sichern.
Obwohl Deutschland sich deutlich besser als andere Länder von der Finanz- und Eurokrise erholt hatte, lag das Wachstum auch hierzulande bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie unter dem Vorkrisentrend von 2007. Eine wichtige Ursache dafür ist der deutliche Rückgang der Produktivitätszuwächse. Diese Entwicklung ist nicht allein auf Deutschland beschränkt. Dennoch ist ein Nullwachstum der Produktivität ein schlechtes Omen für ein Land, das vor einem erheblichen Rückgang der Zahl der Menschen zählt, die die Erwerbsbevölkerung bilden.
Zugleich hat Deutschland sich immer abhängiger vom Export gemacht. Während die Binnennachfrage zurückblieb, wurden die Exporte zur entscheidenden Stütze der Wirtschaft. Wesentliche Ursache für die geringe Binnennachfrage sind die seit Jahren langsam steigenden Löhne, die immer höhere Abgaben- und Steuerlast und die unzureichenden Investitionen des Staates in Infrastruktur, Innovation und Digitalisierung.
Die Exportüberschüsse, die wir erzielen, führen bei unseren Handelspartnern – nicht nur in den USA eines Donald Trump – zu zunehmender Unzufriedenheit und dienen als wesentliches Argument, wenn es darum geht, Zahlungen von Deutschland zu fordern, wie zuletzt beim EU-Gipfel im Sommer 2020 zu beobachten war. Leisten wir dann Transfers – allein für den europäischen Wiederaufbaufonds im Umfang von mindestens 80 Milliarden Euro –, dann ist das ökonomisch so, als würden wir beispielsweise unsere Autos verschenken. Das kann man machen, nur muss man dann auch fragen, wer die Lasten dieser Geschenke zu tragen hat und wer davon profitiert. Konkret gesprochen nützen sie den Eigentümern deutscher exportorientierter Firmen; die Kosten hingegen tragen alle Bürgerinnen und Bürger.
Hinzu kommt, dass mit Exportüberschüssen entsprechende Kapitalexporte einhergehen. Studien zeigen indes, dass niemand seine Ersparnisse im Ausland so schlecht anlegt wie die Deutschen. Wo immer es etwas zu verlieren gibt – zum Beispiel am US-Immobilienmarkt –, ist Deutschland ganz vorne mit dabei. Mindestens 400 Milliarden US-Dollar gingen allein dort verloren.
So vollbringen die Deutschen das »Wunder«, gut zu verdienen, zugleich aber über deutlich weniger Vermögen zu verfügen als ihre Nachbarn, vor allem jene in den Ländern, denen Deutschland mit großzügigen Zahlungen hilft. Liegt das Privatvermögen in Deutschland beim 3,8-Fachen des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so freuen sich die Italiener über ein Privatvermögen in Höhe des 5,5-Fachen des BIP. Auch die Rentenansprüche sind in den meisten Nachbarländern deutlich höher als bei uns.
Hinzu kommt, dass die Vermögen in Deutschland besonders ungleich verteilt sind. Dies liegt aber nicht daran, dass die Reichen in Deutschland über mehr verfügen als die Reichen in Italien, Frankreich oder Spanien, sondern dass der deutsche Mittelstand kaum vermögend ist. Da tröstet es wenig, dass die Vermögensverteilung in Deutschland sich dann, wenn man Renten- und Pensionsansprüche berücksichtigt (was man natürlich tun sollte), als deutlich weniger ungleich darstellt.
Derweil gilt der deutsche Staat als »reich«, zumindest im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn. Dies aber nur, weil Deutschland im Kreis der OECD-Staaten die zweithöchste Abgabenlast trägt und weil zugleich die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) erhebliche Mittel, die im privaten Sektor erspart werden, zum Staat umverteilt.
Kurz gefasst: Deutschland ist ein Land mit enttäuschender realer Netto-Einkommensentwicklung, geringen Vermögen, die zudem auch noch ungleich verteilt sind, und einem Staat, der den Bürgerinnen und Bürgern viel Geld abnimmt, das er indes nur unzureichend investiert. Zugleich wird der vermeintliche Reichtum von der Politik ins Feld geführt, um zu begründen, dass das Land sich leisten kann, was politisch gewünscht wird: von einer großzügigen Migrationspolitik über eine teure Energiewende bis hin zur Rolle des europäischen Zahlmeisters.
Bis jetzt ging diese Politik noch einigermaßen gut. Das Wachstum vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie war ausreichend, die sozialen Ausgabenprogramme der Regierung – Mütterrente, Rente mit 63 – stellten die Bürgerinnen und Bürger zufrieden, und die hohen Abgaben hat ja ohnehin nur eine Minderheit der Bevölkerung zu schultern – lebt doch mehr als die Hälfte von Transfers.2
So gilt auch hier der alte Spruch der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, »dass es so lange gut geht, wie einem das Geld anderer Leute nicht ausgeht«. Doch genau vor diesem Punkt steht Deutschland in den kommenden Jahren: dem Punkt der völligen wirtschaftlichen Überforderung. Verschiedene Faktoren kommen dabei zusammen:
Entscheidende Schlüsselindustrien – namentlich die Automobilbranche –, auf denen unser Wohlstand beruht, stehen vor einem existenzbedrohenden Umbruch, und wir können nur hoffen, dass dieser gelingt.
Die Erwerbsbevölkerung beginnt in diesem Jahrzehnt zu schrumpfen, während die Zahl derjenigen, die Renten beziehen, stark steigt.
Die unzureichende Integration der Eingewanderten in den Arbeitsmarkt – oft einer mangelnden Qualifikation geschuldet – wird in einer nicht mehr so stark wachsenden Wirtschaft zu einer zunehmenden Last.
Die unterlassenen Investitionen des Staates werden zu einem Problem. Bei der wichtigsten Infrastruktur des 21. Jahrhunderts, dem Internet und dem Mobilfunk, hinkt Deutschland weit hinterher.
Der Einstieg in eine Transfer- und Schuldenunion, der in Brüssel beschlossen wurde, bedeutet erhebliche Lasten für die hiesigen Steuerpflichtigen. Die Regierungen von Paris, Rom, Madrid und den anderen Empfängerstaaten sehen nun ein neues Instrument, um Geld aus Deutschland zu erhalten, und es ist unzweifelhaft, dass die EU in Zukunft Kredite in Billionenhöhe aufnehmen wird, für deren Tilgung Deutschland mindestens mit seinem Anteil am EU-Haushalt (rund 25 Prozent) haftet – und dies nur unter der Annahme, dass nicht andere Staaten dem britischen Beispiel folgen.
Die Inflation wird infolge der immer offeneren Finanzierung der Staaten und der EU durch die EZB zurückkehren. Dies trifft keine Bevölkerung so hart wie die deutsche, die im Unterschied zu denen der anderen Euroländer einen Großteil ihrer Ersparnisse auf Bankkonten und in Lebensversicherungen hält, die von Inflation besonders hart getroffen werden.
Vor diesen Herausforderungen hätte Deutschland auch ohne Corona gestanden. Nun droht zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert eine nachhaltige Verlangsamung des weltweiten Wirtschaftswachstums. Bereits seit 2009 gelingt es der westlichen Welt nicht, zum Vorkrisentrend zurückzukehren. Corona dürfte nach neuesten Studien ähnlich wirken. Das weltweite Wachstum wird noch geringer ausfallen. Dies trifft gerade Deutschland mit seiner exportabhängigen Wirtschaft besonders und macht die Anpassung noch schwerer.
Gut möglich, dass wir mit dem Ende der Corona-Krise zunächst einen kleinen Boom erleben werden. Optimisten sprechen gar von den neuen »goldenen 20er-Jahren«. Ursächlich für einen solchen Boom könnten die Maßnahmen von Staaten und Notenbanken zur Belebung der Wirtschaft sein. Konjunkturprogramme, Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, flankiert von einer großzügigen Finanzierung durch die Notenbanken, werden schon seit Jahren von Organisationen wie dem Internationen Währungsfonds (IWF) und der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) gefordert, um die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden. Der Corona-Schock hilft auch hier, wie beim Einstieg in die Schulden- und Transferunion auf europäischer Ebene, Widerstände zu überwinden. War die offene Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken bislang tabu, so wird sie nun schnell zur Regel.
Gerade der von der Politik verschärfte Kampf gegen den Klimawandel wird zunächst wie ein Konjunkturprogramm wirken. Die Ausgaben der Staaten werden deutlich steigen, die Klimaauflagen werden die privaten Haushalte und die Unternehmen dazu veranlassen, neue Technologien anzuschaffen, und die Notenbanken werden diese Maßnahmen finanziell begleiten. Die Wirtschaft könnte dann durchaus ein paar Jahre lang kräftig wachsen.
So erfreulich dies wäre, so gefährlich wäre es für Deutschland. Zum einen wachsen damit, wie angesprochen, die Inflationsrisiken – Inflation ist sogar ausdrücklich erwünscht. Zum anderen würde es die Erosion der Wirtschaftskraft Deutschlands weiter kaschieren. Die vordergründig gute Entwicklung würde von der Politik als Beweis dafür genommen werden, dass Reformen nicht notwendig sind und man weitermachen kann wie bisher. Mit dem unweigerlichen Ende des künstlich erzeugten Booms käme dann das schmerzliche Erwachen.
Dann wäre es zu spät zum Gegensteuern. Handeln müssen wir jetzt. Die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen und die ich in diesem Buch umreiße, unterscheiden sich grundlegend von jenen der Agenda 2010. Damals ging es darum, die Lohnkosten in Deutschland zu drücken, um die infolge der Euroeinführung verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Das war nicht populär, aber aus ökonomischer Sicht simpel. Die Herausforderungen, vor denen Deutschland in den kommenden 20 Jahren steht, verlangen nach differenzierteren Antworten.
Deutschland braucht eine komplette Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik. Und dies ab jetzt. Nach den Reformen der Agenda 2010 – und sicherlich nicht unverständlich angesichts ihrer politischen Folgen – haben die Regierungen der letzten Jahre als unpopulär eingestufte Themen ausgeklammert. Man konzentrierte sich auf die Verwaltung des Status quo und den Ausbau des Sozialstaats.
Damit nicht genug. Zunehmend gebärden sich Politiker als die Manager der Wirtschaft. Sie beschränken sich nicht darauf, so wie in den Jahrzehnten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg Rahmenbedingungen zu schaffen und Leitplanken zu setzen. Stattdessen nimmt die Intensität der Eingriffe immer mehr zu. Die Politik findet ständig weitere Themen und Projekte, bei denen sie glaubt, durch Vorgaben, Regulierung und Planung gewünschte Ergebnisse erreichen zu können. Sie begnügt sich nicht damit, Ziele zu setzen. Nein, sie glaubt außerdem zu wissen, wie sich diese Ziele am besten erreichen lassen. Offensichtliches Versagen – vom Bau von Flughäfen bis zur Digitalisierung – wirkt indes nicht abschreckend. Im Gegenteil: Es sieht so aus, als würde die Politik sich immer weiter von der Lebensrealität entfernen und – getragen von lautstarken gesellschaftlichen Gruppen, die nicht unbedingt die Mehrheit der Gesellschaft repräsentieren – immer mehr auf staatliche Lenkung setzen.
Corona hat hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Getragen von der unstrittigen Notwendigkeit staatlicher Notmaßnahmen zur Verhinderung eines Zusammenbruchs der Wirtschaft, leitet die Politik daraus eine Legitimation für noch mehr staatliche Eingriffe ab. Dies, obwohl es offensichtlich ist, dass sie keineswegs das Geld »des Staates« ausgibt, sondern dasjenige seiner Bürgerinnen und Bürger. Und das, obwohl die Corona-Krise eine gesundheitliche Krise ist, die keineswegs als Beweis dafür taugt, dass staatliche Lenkung besser ist als privatwirtschaftliche Initiative.
In diesem Buch zeige ich an vielen Beispielen, dass der Staat in Deutschland dort handelt, wo er nicht handeln sollte, und dort versagt, wo er handeln sollte. Hier müssen wir die Weichen neu stellen, indem wir der Politik einen neuen Rahmen geben: klare Ziele, neue Instrumente und Aufgaben, die zu erfüllen sind, um unser Wohlergehen auch im Jahr 2040 zu sichern.
Wir können nicht davon ausgehen, dass die Politik ihre Agenda von allein ändert. Wir müssen sie dazu drängen. Das Wahljahr 2021 bietet die Chance dazu. Wir müssen sie nutzen, denn die entscheidenden Weichenstellungen müssen in den nächsten vier Jahren erfolgen.
Das Buch orientiert sich an vier Grundideen.
Zunächst geht es um die Frage, wie wir unser Land professioneller managen können. In den Kapiteln 1 bis 5 stehen die Instrumente im Vordergrund, mit denen es besser als bisher gelingen kann, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es geht um klarere Zielsetzungen, mehr Transparenz über die Folgen politischen Handelns und eine saubere Buchführung. Ich bin überzeugt, dass nur so die richtigen Weichenstellungen überhaupt möglich sind.
Nach einer Standortbestimmung in Kapitel 6 wende ich mich in den Kapiteln 7 bis 9 der langen, keineswegs vollständigen Liste an Maßnahmen zu, die die Politik in Deutschland ergreifen sollte, um ein reiches Land zu sein und zu bleiben. Dabei geht es um eine Antwort auf den absehbaren Rückgang der Zahlen der Erwerbsbevölkerung in den kommenden Jahren und der daraus erwachsenden Herausforderung, die Lasten einer alternden Gesellschaft zu schultern. Die schlechte Nachricht ist, dass dies erheblicher Anstrengungen bedarf – die gute demgegenüber, dass es genügend Ansatzpunkte gibt, um zu handeln.
Nicht nur der Erhalt von Wohlstand wird definieren, ob Deutschland im Jahr 2040 ein glückliches Land sein wird. Ebenso wichtig ist es, dass wir unseren Wohlstand intelligent nutzen, um unserer Verantwortung in der Welt nachzukommen. In Kapitel 10 diskutiere ich die Notwendigkeit, auch im Klimaschutz die Grundsätze von Effizienz und Effektivität zu beachten. Thema des elften Kapitels ist die Notwendigkeit, die Europäische Union und den Euro zu reformieren, und in Kapitel 12 erinnere ich an Deutschlands Rolle in der Welt.
Natürlich dreht sich dieses Buch nicht allein um die Wahrung und Verwendung von Wohlstand, sondern auch um dessen Verteilung. Neben der Frage der Finanzierung des Staates (Kapitel 14) geht es in Kapitel 13 vor allem auch um die Frage, wie wir die Vermögensbildung in Deutschland fördern und Vermögen breiter verteilen können. Vermögen trägt schließlich zum Wohlbefinden und damit zum Wohlstand eines Landes entscheidend bei.
Immer wieder werden die Kernaussagen als »Hausaufgaben« für die Politik definiert. Sie sind gedacht als Zusammenfassungen der jeweils wichtigsten Punkte der vorangegangenen Ausführungen, aber auch als Instrumentarium und Gedankenstütze, wenn es um das Spiegeln der politischen Vorschläge der Parteien im Wahlkampf 2021 geht.
Eilige Leserinnen und Leser mögen sich auf diese Aufgaben konzentrieren, sollten sich aber durchaus die Zeit nehmen, deren Herleitungen und Begründungen nachzuvollziehen – vor allem auch dann, wenn sie den Vorschlägen und Forderungen kritisch gegenüberstehen. Letzteres dürfte an vielen Stellen der Fall sein. Auch das ist allerdings ein Ziel dieses Buches: zum Widerspruch anzuregen, denn letztlich gilt es, die Zusammenhänge zu ergründen, anstatt sich vorschnelle Meinungen zu bilden.
»Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.«
Amtseid deutscher Minister
»Life, liberty and the pursuit of Happiness«
Unabhängigkeitserklärung der USA
»Wenn die Regierung kein Glück für ihr Volk schaffen kann, dann gibt es keinen Grund für die Existenz der Regierung.«
Bhutan
Ziel jeglichen politischen Handels sollte es sein, den Wohlstand zu mehren. Deutsche Minister und Bundeskanzler schwören bei ihrem Amtseid nicht zufällig, dass sie danach trachten werden, den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Das ist nicht ungewöhnlich. In anderen Ländern der Welt werden ähnliche Amtseide abgelegt.
»Wohlstand« ist dabei viel mehr als nur der materielle Wohlstand. Es geht nicht nur um möglichst hohe Einkommen oder um möglichst viel Konsum. Es geht auch um eine intakte Umwelt, ein soziales Gleichgewicht und um innere wie äußere Sicherheit. Es geht auch darum, für künftige Generationen vorzusorgen und ihnen das Land und die Welt besser zu übergeben, als wir sie übernommen haben. »Wohlstand« ist also ein sehr weiter Begriff, weshalb in der Ökonomie auch von »Wohlfahrt« gesprochen wird. Es ist ein Zustand, der ein Balancieren von Interessen erfordert. Interessen im Hier und Jetzt – Verteilung von Einkommen beispielsweise – und Interessen zwischen dem Heute und der Zukunft – also Konsum jetzt versus Investitionen für eine bessere Welt morgen. Es ist ein ständiger Interessenausgleich, den die Politik vorzunehmen hat, bei dem sie allerdings – wie ich zeigen werde – bewusst oder unbewusst mit unzureichenden Instrumentarien und fehlender Transparenz agiert, kurzfristigen Nutzen tendenziell deutlich über den mittel- und langfristigen Nutzen stellt – und damit auch versagt.
Ein anderer Begriff für diesen Wohlstand ist »Glück«. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung spricht ausdrücklich vom Recht der Bürgerinnen und Bürger, nach Glück zu streben (»pursuit of happiness«). Das kleine Königreich Bhutan hat das Glück des Volkes zum Staatsziel erklärt und gilt seitdem für viele Menschen auf der Suche nach dem Glück als Sehnsuchtsort schlechthin. Was zu der Frage führt, ob das Land am Ende wirklich das Glück der Menschen, die es bewohnen, wird mehren können.1
Glück ist sicherlich schwer zu messen. Wissen wir doch aus eigener Erfahrung, dass das Glücksgefühl schwankt – im Verlauf des Tages, über längere Zeiträume und auch mit dem Alter. Modelle zeigen, dass das Glücksgefühl mit dem Eintritt in die Arbeitswelt kontinuierlich sinkt und im Alter von rund 55 Jahren den Tiefpunkt erreicht, bis es wieder nach oben geht.2 Glück hat viel mit dem Umfeld zu tun, mit den eigenen Erwartungen an das Leben und individuellen Erlebnissen. Wie medizinische Studien zeigen, spielen neben psychischen Faktoren auch Hormone eine Rolle. Glück ist also kompliziert.
Es gibt neben dem individuellen Glücksgefühl auch das kollektive Glück einer Nation. Studien belegen beispielsweise, dass der Erfolg bei den Olympischen Spielen oder bei Fußballweltmeisterschaften eine deutliche Wirkung auf die Stimmung – also das Glücksgefühl – einer Nation hat und die Wirtschaft daraufhin schneller wächst.3 Politiker freuen sich sehr über solche Erfolge, steigen doch ihre Wiederwahlchancen deutlich. Denn je glücklicher die Menschen sind, desto größer die Unterstützung für die Regierenden, unabhängig davon, ob diese etwas für das Glücksgefühl getan haben oder nicht.
Kein Wunder also, dass es Untersuchungen gibt, die versuchen, das kollektive Glücksgefühl von Nationen zu messen. Ein einfaches Unterfangen ist das sicherlich nicht, denn schließlich gibt es zwischen den Nationen auch strukturelle Unterschiede: die kollektive Psyche, zu verstehen als Summe der Charaktereigenschaften und der Historie einer Nation.
Diese Einschränkungen vorausgeschickt, sollten wir uns an dem orientieren, was verfügbar ist – etwa an den Studien, die regelmäßig messen, wie glücklich die Menschen in verschiedenen Nationen sind. Diese Studien zeigen für Deutschland ein gemischtes Bild. Laut World Happiness Report (Weltglücksreport) geht es den Menschen in den nordeuropäischen Ländern am besten. Finnland belegt Platz 1 vor Dänemark, Norwegen und Island. Deutschland belegt einen guten 17. Platz vor den USA (Platz 19). Am unglücklichsten sind Menschen im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und in Afghanistan.
Doch was steht hinter diesem »Glück«? Die Menschen werden gefragt, wie glücklich sie sich selbst fühlen. Außerdem werden Faktoren wie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, die Lebenserwartung sowie das Maß der Korruption in Regierung und Wirtschaft berücksichtigt.4 Neben den Ergebnissen von Umfragen fließen also durchaus auch »harte« Fakten in die Berechnung des Glücksgefühls der Bevölkerungen ein. Dies leuchtet ein. Denn wo Krieg und Armut herrschen, dürften nur die wenigsten glücklich sein.
Deshalb finden sich auch Korrelationen wie die folgende leicht: Die Menschen sind umso glücklicher, je größer ihr Wohlstand ist – gemessen am BIP pro Kopf. Die einfache Korrelation zwischen der in Umfragen geäußerten Zufriedenheit und dem BIP pro Kopf legt nahe, dass eine Verdoppelung des Wohlstands die Zufriedenheit um 0,7 Punkte steigert.
Doch ganz so einfach ist es nicht. So stieg das BIP pro Kopf in den USA zwischen 1946 und 1970 um 65 Prozent – ohne jegliche Wirkung auf das Glücksgefühl. In anderen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen. Umgekehrt zeigen die Daten für Deutschland beispielsweise eine gleichläufige Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren bis Corona: Die Deutschen erwirtschafteten pro Kopf mehr und wurden damit zugleich glücklicher.5 Anders erging es den Menschen in Venezuela. Einst das fünftglücklichste Land der Welt, führten Misswirtschaft, Korruption und ökonomischer Niedergang zu einem starken Rückgang des Glücksgefühls der Bevölkerung. Kein Wunder, dass viele Menschen aus Venezuela vor den Folgen sozialistischer Politik flüchten; ihre Zahl ist größer als die der Menschen aus Syrien, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind.
Der Economist, den ich hier zitiere, hat 125 Länder untersucht und darunter kein einziges gefunden, in dem ein sinkendes BIP pro Kopf mit einem steigenden Glücksgefühl einherging. In zwei Dritteln der Fälle wuchs das Glück mit dem BIP pro Kopf, in den übrigen blieb es auf unverändert hohem Niveau.6 Für die Zwecke der Politik ist die Schlussfolgerung klar: Es geht nicht allein darum, das Einkommen pro Kopf zu maximieren, um das Glück der Deutschen zu mehren. Höhere Einkommen wären vielmehr hilfreich, und die Einkommen sollten keinesfalls sinken.
Über die weiteren Faktoren, die das Glücksgefühl beeinflussen, lässt sich viel spekulieren. Ein Blick auf die Top 10 lässt zumindest einige Vermutungen zu:
Finnland
Dänemark
Norwegen
Island
Niederlande
Schweiz
Schweden
Neuseeland
Kanada
Österreich
Alle diese zehn Länder haben ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, einen ausgebauten Sozialstaat, innere und äußere Sicherheit – Indikatoren für das Ziel, das wir setzen sollten.
Bhutan misst Glück übrigens an den folgenden acht Kriterien:7
Lebensstandard – gemessen an Einkommen, finanzieller Sicherheit, Wohnen und Besitz von Vermögenswerten;
körperliche und geistige Gesundheit;
Bildungsniveau;
Wahrnehmung des ökologischen Umfelds;
Work-Life-Balance beziehungsweise Aufteilung der Zeit auf Arbeit, Freizeit und Schlaf;
psychologisches Wohlgefühl, Zufriedenheit und Spiritualität;
Verankerung in kulturellen Traditionen;
Verankerung in der Gesellschaft, sozialer Zusammenhalt und gemeinnütziges Engagement.
Ein Blick auf diese Liste legt den Verdacht nahe, dass es genau diese Faktoren sind, die auch die zehn Länder an der Spitze dieser Liste kennzeichnen. Und man kann erahnen, woran es in Deutschland mangelt – wenngleich es mit Platz 17 nicht so schlecht rangiert. Die Herausforderung besteht darin, dieses Niveau zu halten und – so es in einem schwierigeren Umfeld möglich ist – zu verbessern.
Geld allein macht nicht glücklich. Das hat sich gezeigt. Dennoch ist klar, dass weniger Geld weniger glücklich macht. Deshalb möchte ich, bevor ich später in diesem Buch die Verteilung von Wohlstand thematisiere, seine Schaffung betrachten. Ohne finanzielle Leistungsfähigkeit kann ein Land nicht genug für die anderen wichtigen Themen tun, die im bhutanischen Glücksindex vertreten sind, weder für Bildung noch für Gesundheit und schon gar nicht für die Umwelt. Schauen wir uns also an, wie gut Deutschland sich beim Thema »Wohlstand« schlägt.
Gemessen am BIP pro Kopf liegt Deutschland stabil weltweit auf einem der vorderen Ränge. Nicht zu verwechseln mit »Spitze«. Gelingt es doch einer Reihe anderer Länder, ein noch höheres BIP pro Kopf zu erwirtschaften – unter anderem den USA, die trotz stabil höherem BIP pro Kopf gemessen am Glücksindex hinter Deutschland liegen.
Nach Daten des IWF betrug das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland 52 559 US-Dollar. Vor Deutschland lagen neben einigen Ölförderländern unter anderem Singapur (100 345 US-Dollar), Irland (78 785 US-Dollar), Norwegen (74 356 US-Dollar), die Schweiz (64 645 US-Dollar) und die USA (62 606 US-Dollar). Von den zehn Ländern, die an der Spitze des Glücksrankings lagen, hatten nur Finnland, Österreich, Kanada und Neuseeland ein geringeres Pro-Kopf-Einkommen als Deutschland. Nimmt man das unbereinigte BIP pro Kopf, so schrumpft dieser Kreis sogar auf Kanada und Neuseeland.8 Dies spricht ebenfalls für die These, dass das Einkommen dabei hilft, Glück zu empfinden.
Doch Einkommen ist – wie gesagt – nicht alles. Auch das Vermögen eines Landes dürfte eine erhebliche Rolle spielen, wenn es um dauerhaftes Glück geht. Verhilft es doch, wie auch im Falle Bhutans definiert, zu finanzieller Sicherheit. Wie ich immer wieder aufgezeigt habe,9 ist Deutschland hinsichtlich des Vermögens nicht gut aufgestellt. Da sind zunächst die Zahlen des französischen Reichtumsforschers Thomas Piketty, der mit umfangreichem Datenmaterial der Entwicklung der Volksvermögen im Lauf der Zeit nachgegangen ist. Demnach lag die Vermögensquote – also das Vermögen relativ zum Volkseinkommen – im Jahr 201510
in Spanien bei 659 Prozent (2014),
in Frankreich bei 591 Prozent,
in Italien bei 587 Prozent,
in Holland bei 530 Prozent (2014),
in Griechenland bei 499 Prozent und
in Deutschland bei 446 Prozent.
Schauen wir uns noch eine weitere Quelle zu den Vermögen im Euroraum an. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhebt regelmäßig Daten zum Medianvermögen im Euroraum. Das Ergebnis deckt sich mit den Daten Pikettys und zeigt, dass die Deutschen, obwohl sie viel verdienen, lediglich über ein geringes Vermögen verfügen.11
Sieht man von den Ländern ab, die infolge der EU-Erweiterung hinzugekommen sind, so bildet Deutschland zusammen mit den Niederlanden und Griechenland das Schlusslicht. Die privaten Haushalte in Portugal, Spanien, Italien und Frankreich liegen deutlich vor denen in Deutschland. Natürlich sind die Deutschen im weltweiten Maßstab »reich«. Im Umfeld der EU und der Eurozone kann man diese Aussage so allerdings nicht treffen. Wir schaffen das Wunder, hart zu arbeiten und gut zu verdienen und dennoch weniger Vermögen zu besitzen
Dass die Privatvermögen in Deutschland relativ zum BIP deutlich geringer sind, liegt vor allem daran, dass die Bevölkerung in Deutschland in der unteren Hälfte der Vermögensskala über deutlich weniger Vermögen verfügt als in den anderen Ländern der EU. Während die Reichen hierzulande mit den Nachbarn mithalten können, sieht es im Rest der Bevölkerung anders aus. So besitzen die ärmsten 20 Prozent der Deutschen nach Daten der EZB weniger als 4 000 Euro, weit weniger als in Spanien (48 800 Euro), Italien (34 000 Euro) und Frankreich (11 500 Euro). Hier offenbart sich ein Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Wohlfahrt im Land, der später in diesem Buch genauer in den Blick genommen wird.
Land
Medianvermögen pro Einwohner, in Euro
Luxemburg
498 500
Malta
236 100
Belgien
212 500
Zypern
195 900
Irland
185 000
Italien
132 300
Spanien
119 100
Frankreich
117 600
Finnland
107 200
Eurozone
99 400
Österreich
82 700
Portugal
74 800
Deutschland
70 800
Niederlande
67 400
Kroatien
61 500
Polen
60 500
Griechenland
60 000
Estland
47 700
Litauen
45 900
Ungarn
35 900
Lettland
20 500
Tabelle 1: Vermögen im Euroraum
Quelle: EZB, Umfrage zu Finanzen und Konsum der privaten Haushalte Seite 56, abrufbar unter: https://www.ecb.europa.eu/home/pdf/research/hfcn/HFCS_Statistical_Tables_Wave_2017.pdf?906e702b7b7dd3eb0f28ab558247efc5 S. 56
Was mich zum folgenden Fazit führt: Wohlstand ist mehr als materieller Wohlstand. Aber ohne materiellen Wohlstand ist es schwer, auf den anderen Gebieten, die zum Glücksgefühl der Gesellschaft beitragen, das Nötige und Wünschenswerte zu leisten. Deshalb ist es maßgebend, bei allen heutigen Entscheidungen auf ihre Wirkung bezüglich der Fähigkeit zur künftigen Wohlstandserzeugung zu achten.
Aufgaben für die nächste Bundesregierung
Erstellung eines Index zur Messung von Glück und Wohlstand in Deutschland
Verpflichtung der Politik, die Maximierung dieses Ziels als oberste Priorität zu verfolgen
Kommunikation und Beteiligung der Bevölkerung zur Erläuterung der Ziele im Sinne von »Was wir jetzt anders machen werden«
»Ich ging soeben unsere Bücher durch, und bei der Leichtigkeit, wie sich der Zustand unseres Vermögens übersehen lässt, bewundere ich aufs Neue die großen Vorteile, welche die doppelte Buchhaltung dem Kaufmann gewährt. Es ist eine der schönsten Erfindungen des menschlichen Geistes, und ein jeder guter Haushalt sollte sie in seiner Wirtschaft einführen. Die Ordnung und Leichtigkeit, alles vor sich zu haben, vermehrt die Lust zu sparen und zu erwerben, und wie ein Mensch, der übel haushält, sich in der Dunkelheit am besten befindet und die Summen nicht gerne zusammenrechnen mag, die er alle schuldig ist, so wird dagegen einem guten Wirt nichts angenehmer, als wenn er sich alle Tage das Fazit seines wachsenden Glücks ziehen kann.«
Johann Wolfgang von Goethe (Wilhelm Meisters Lehrjahre)
»Die Rente ist sicher.«
Dr. Norbert Blüm (1935 bis 20209), CDU, ehemaliger Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, 1986
Lassen Sie mich also mit dem Projekt Wohlstandsmehrung für Deutschland beginnen. Grundvoraussetzung ist, wie im vorangegangenen Kapitel bereits angedeutet, korrektes Rechnen. Erst dies ermöglicht Erkenntnisse darüber, wie sich der künftige Wohlstand durch heutige Entscheidungen verändert. Es setzt voraus, dass der Staat beginnt, die Grundsätze Goethes zu beherzigen. Heute handelt die Politik in Deutschland »wie ein Mensch, der übel haushält, sich in der Dunkelheit am besten befindet und die Summen nicht gerne zusammenrechnen mag, die er alle schuldig ist …«. Zwei Beispiele sollen den Zusammenhang verdeutlichen, bevor eine Lösung aufgezeigt wird.
Die »schwarze Null« war das ganz große Ding der deutschen Politik. Vorbild wollte man sein für die anderen Länder in der EU und der Eurozone. Vorsorgen wollte man für kommende Generationen. Populär wollte man sein, sind die Deutschen doch scheinbar von der Politik der »Sparsamkeit« überzeugt: In Umfragen sprachen sich rund 50 Prozent für die »schwarze Null« aus und nur 26 Prozent für mehr Schulden des Staates.1
Schauen wir uns die »schwarze Null« genauer an. Zunächst ist festzustellen, dass das Erreichen einer »schwarzen Null« keine Leistung der Politik ist. Der Grund dafür liegt vor allem bei der EZB. So berechnet die Bundesbank, dass der deutsche Staat von 2008 bis Ende 2019 Zinsaufwendungen im Umfang von 436 Milliarden Euro gespart hat. Allein im Jahr 2019 summierte sich die Ersparnis auf rund 58 Milliarden Euro.2 In Form entgangener Zinsen bezahlt haben das die Kreditgeber, überwiegend also die Deutschen mit ihren Ersparnissen (direkt und indirekt, zum Beispiel über Lebensversicherungen).
Betrachtet man den Bundeshaushalt und analysiert man die Mehr- oder Minderausgaben und -einnahmen auf Bundesebene in der Zeit von 2009 bis 2018, so gelangt man zu einem ernüchternden Ergebnis. In den genannten zehn Jahren hat der Bund insgesamt
rund 280 Milliarden Euro zusätzlich ausgegeben,
rund 136 Milliarden Euro weniger für Zinsen aufgewendet und
rund 46 Milliarden Euro weniger für die Versorgung von Arbeitslosen aufgewendet.
In der Summe hatte die Politik in diesen zehn Jahren also eine »Verteilungsmasse« von rund 462 Milliarden Euro. Während von »Sparen« die Rede war, wurden die Ausgaben deutlich gesteigert. Im selben Zeitraum sank die Verschuldung des Bundes um rund 70 Milliarden Euro. 390 Milliarden Euro wurden also nicht gespart, sondern für anderes verwendet.3
Vor allem lag die Zinsersparnis im betrachteten Zeitraum mit 136 Milliarden Euro deutlich über der Schuldentilgung. Geht man vom Höhepunkt der Bundesschulden im Jahr 2014 aus (1 289 Milliarden Euro), so kommt man zu einer Reduktion der Schulden um 78 Milliarden Euro. Im selben Zeitraum betrugen die Zinsersparnis 36 Milliarden Euro (also 46 Prozent der Tilgung) und die Steuermehreinnahmen 148 Milliarden Euro. Wer tatsächlich spart, der hätte also weitaus mehr tilgen können.
Die »schwarze Null« hätte es ohne den viel gescholtenen Mario Draghi und die Zinspolitik der EZB nicht gegeben. Es gibt Berechnungen, denen zufolge die Deutschen 250 Milliarden Euro (oder mehr) an Zinsen auf ihr Erspartes verloren haben. Spätestens jetzt können sie nachvollziehen, wo das Geld geblieben ist. Zu einem guten Teil ist es beim Staat gelandet, der damit alles Mögliche finanziert hat, während den Steuerzahlerinnen und -zahlern das Märchen von der soliden Finanzpolitik erzählt wurde. Hier wird deutlich, welche Heuchelei es ist, wenn Politiker die EZB kritisieren.
Aus der Sicht des Wohlstands des Landes war es nur eine Umverteilung – weg von den privaten Sparkonten, hin zur Staatskasse. Die Politik konnte, ohne im eigentlichen Sinne eines ausgeglichenen Haushalts gehandelt zu haben, das Märchen von der »schwarzen Null« als Leistung ausgeben – und damit an Zustimmung gewinnen, weil die Deutschen stets vorzugsweise sparen. Leider wissen sie nicht, was sie mit ihrem Ersparten anfangen sollen, und legen es deshalb zu bestenfalls extrem niedrigen Zinsen an. Konto, Sparbuch und Lebensversicherung sind der Deutschen liebste Sparformen. Das ist neben der zu hohen Abgabenbelastung der wesentliche Grund dafür, dass sie, obwohl sie deutlich mehr sparen als ihre Nachbarn, in Europa zu den Ärmsten gehören.
Doch was hat die Politik mit dem vielen Geld getan? Nun, einer Antwort vorangeschickt sei die Feststellung dessen, was sie damit nicht gemacht hat: investieren. Von den 462 Milliarden Euro Verfügungsmasse im Bundeshaushalt flossen nur 50 Milliarden in Investitionen und nur 4 Milliarden in die Bundeswehr. Schätzungen gehen davon aus, dass der deutsche Staat sofort jeweils 120 bis 140 Milliarden Euro in Infrastruktur und Bundeswehr investieren müsste, um die Versäumnisse der vergangenen Jahre zu korrigieren.
Außerdem wären die laufenden Ausgaben zu erhöhen. Im OECD-Durchschnitt belaufen sich die Infrastrukturinvestitionen auf einen Wert entsprechend 3,2 Prozent des BIP. Für ein Industrieland wie Deutschland bedeutet diese Marke eher das Minimum. Ausgehend davon muss Deutschland seine laufenden Ausgaben um 1 Prozentpunkt des BIP steigern, was rund 33 Milliarden Euro pro Jahr entspricht. In Bezug auf die Bundeswehr wird Deutschland die Ausgaben auf den geforderten NATO-Durchschnitt von 2 Prozent erhöhen müssen, was pro Jahr 0,8 Prozent des BIP beziehungsweise 26 Milliarden Euro zusätzlich bedeutet.
Die genannten Zahlen geben einen Hinweis auf die »Dunkelheit« der deutschen Politik – um mit Goethe zu sprechen. Deutschland gibt vor, zu sparen, doch in Wirklichkeit verfallen seine Infrastruktur und seine Wehrfähigkeit. Indes sind beide Größen Determinanten künftigen Wohlstands.
Die Situation entspricht jener eines Menschen, der das große Los gezogen hat: Wir haben auf einen Schlag viel Geld zur Verfügung, wissen jedoch, dass die entsprechende Situation nicht ewig andauern kann. Wenn man 1 000 Euro gewinnt, gönnt man sich etwas, spart vielleicht, zahlt womöglich Schulden zurück. Keinesfalls jedoch zieht man in eine neue Wohnung um, die 1 000 Euro pro Monat mehr kostet. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Eine solche neue Wohnung könnte man sich nur dann leisten, wenn man weiterhin jeden Monat 1 000 Euro im Lotto gewinnen würde.
In der Politik scheint man demgegenüber zu denken, Deutschland würde immer wieder von Neuem im Lotto gewinnen. Und zwar in allen kommenden Jahrzehnten! Denn so wurden die rund 462 Milliarden Euro verwendet:
Immerhin rund 100 Milliarden Euro wurden zusätzlich an die Rentenkasse überwiesen. Eine weitere Steigerung der Zuschüsse ist angesichts der Rentenbeschlüsse der Großen Koalition unvermeidlich.
Wenig thematisiert werden die deutlich anwachsenden Zuschüsse zur gesetzlichen Krankenversicherung. In der Summe wurden hier ebenfalls rund 100 Milliarden Euro zusätzlich aufgewendet, vor allem, um sogenannte versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren.
Gestiegene Leistungen für Familien mit kumuliert rund 15 Milliarden Euro fallen da kaum noch ins Gewicht.
Den größten Zuwachs weisen mit über 117 Milliarden Euro die restlichen Ausgaben auf. Dahinter verstecken sich Zuweisungen und Zuschüsse an Sondervermögen, die zum Beispiel künftige Ausgaben in den Bereichen Klimaschutz, Kinderbetreuung und Integration von Migrantinnen und Migranten decken sollen. Allein 2017 wurden für die Aufnahme und Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen einschließlich der Fluchtursachenbekämpfung 20,8 Milliarden Euro ausgegeben.
Die verbleibenden Mehrausgaben in der Zeit seit 2008 entfallen auf Investitionen (50 Milliarden Euro), Personal (26 Milliarden Euro), den Europäischen Rettungsfonds ESM (22 Milliarden Euro) und neue Ausrüstung für die Bundeswehr (4 Milliarden Euro).
Die dargelegten zusätzlichen Ausgaben sind überwiegend keine Einmalzahlungen, sondern in Gesetze gegossene nachhaltige Verpflichtungen. Während die Grundlagen für unseren künftigen Wohlstand erodieren – Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung –, berauschen sich die Politiker und die Medien am Märchen vom reichen Land, das sich alles leisten kann.
Im Jahr 1920 entwickelte Charles Ponzi, ein in die USA ausgewanderter Italiener, das Schneeballsystem, das auf Englisch bis heute seinen Namen trägt (»Ponzi Scheme«): Er kaufte in Italien sogenannte Postantwortscheine auf und tauschte sie in den USA gegen Briefmarken. Die beträchtlichen Preisunterschiede aufgrund der hohen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg versprachen immense Gewinne. (In der Ökonomie spricht man in Fällen wie diesen von Arbitragegewinnen.)
Ponzi überzeugte Anleger mit dem Versprechen traumhafter Renditen, sein Geschäft zu finanzieren. Statt jedoch das ihm zugeflossene Geld in den Kauf von Antwortscheinen zu investieren und diese gegen Briefmarken einzutauschen, finanzierte er mit den Mitteln, die ihm vonseiten der neuen Anleger zuflossen, Ausschüttungen an die Altanleger. Die Erträge der Altanleger wurden somit nicht mit den Gewinnen des Arbitragegeschäfts bezahlt, sondern mit dem Geld, das neue Anleger einbrachten.
Angesichts der außerordentlich hohen Renditen, die er versprach – 50 Prozent innerhalb von 45 Tagen –, wurden Ponzi beträchtliche Beträge anvertraut, die er zur Zahlung der ersten »Gewinn«-Ausschüttungen und zur Finanzierung seines aufwendigen Lebensstils nutzte. Als der Betrug aufflog, verloren die Anleger 20 Millionen US-Dollar (was heute rund 250 Millionen US-Dollar entspricht). Seither werden solche Systeme als »Ponzi Schemes« bezeichnet: Neuanleger werden angelockt, damit Altanlegern die versprochenen Renditen ausgezahlt beziehungsweise Einlagen zurückerstattet werden können und damit der Betrüger, der das gesamte Schneeballsystem ins Leben gerufen hat, einen Gewinn erzielt.
Ein Ponzi-Schema funktioniert gut, solange die Einzahlungen höher sind als die Auszahlungen. Nur dann erhalten die Altinvestoren ihr Geld, und die Neuinvestoren vertrauen dem System und zahlen weiter ein. Genauso wie heute in der Rentenversicherung.
Die von Otto von Bismarck 1889 eingeführte deutsche Rentenversicherung war ursprünglich als kapitalgedeckte Versicherung konzipiert. Seit der Zeit Konrad Adenauers, der das Demografierisiko mit dem Kommentar »Kinder bekommen die Leute immer« beiseiteschob, ist sie nichts anderes als ein groß angelegtes Ponzi-Schema. Solange mehr Leute mehr Geld einzahlen, als auf der anderen Seite Geld entnehmen, funktioniert das System.
Tatsächlich funktioniert es schon seit Langem nicht mehr, nimmt doch der Bundeszuschuss seit Jahren zu. Er kaschiert die Defizite – und auch die Tatsache, dass die Rentenversicherung immer mehr Leistungen übernommen hat, die mit einer Versicherung nichts zu tun haben. Schon bald dürfte der jährliche Zuschuss die 100-Milliarden-Euro-Grenze durchbrechen. 100 Milliarden Euro, das sind immerhin rund 30 Prozent des Bundeshaushalts und 65 Prozent des Budgets für Soziales.
Damit ist nicht nur die Rentenversicherung ein riesiges Ponzi-Schema, sondern die gesamten Staatsfinanzen sind es. Haben doch die Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten die Ausschüttungen und Leistungsversprechen erhöht. Hinzu kommen die absehbar steigenden Defizite im Gesundheitswesen und die Beamtenpensionen, für die ebenfalls keine Rücklagen gebildet wurden.
Am schönsten ist es für alle Beteiligten, solange die Ponzi-Illusion funktioniert:
Diejenigen, die die Ausschüttungen empfangen, freuen sich über das Geld.
Diejenigen, die einzahlen, freuen sich über die Ansprüche, die sie erwerben, und sehen an den Empfängern, wie gut es ihnen eines Tages gehen wird.
Die Organisatoren des Ponzi-Schemas können sich allseitiger Beliebtheit erfreuen.
Der Nobelpreisträger Milton Friedman brachte es auf den Punkt: Politiker sind Menschen, die fremder Leute Geld für fremde Leute ausgeben. Je häufiger sie dies tun, desto größerer Beliebtheit dürfen sie sich erfreuen und damit in ihren Ämtern verbleiben. Kein Wunder also, dass das Sozialministerium, abgesehen von seltenen Zeiten, in denen man »sparen« soll, äußerst beliebt ist. Man kann die Wählerinnen und Wähler mit immer neuen Leistungen beglücken.
Der Sozialminister ist der Charles Ponzi der Politik. Als solcher muss er oder sie sicherstellen, dass das System möglichst lange am Laufen bleibt. Deshalb das Vertuschen der wahren Kosten durch Verlagern in den Bundeshaushalt und Kleinreden der Verpflichtungen.
Das Problem ist offensichtlich: Jedes Ponzi-Schema verliert seine Funktionsfähigkeit, sobald die Auszahlungen die Einzahlungen übersteigen. Auf das Sozialsystem in Deutschland bezogen bedeutet dies, dass spätestens in 10 bis 15 Jahren der Offenbarungseid bevorsteht. Dann wechselt der geburtenstärkste Jahrgang seit der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die 1964 Geborenen, aus der Rolle des Finanziers in die des Empfängers. Der unweigerliche Zusammenbruch des Systems lässt sich anschließend durch immer drastischere Eingriffe und massive Umverteilung zwar aufschieben, jedoch nicht verhindern. Sinnvoller wären die folgenden Handlungsleitlinien:
Für künftig höhere Einnahmen sorgen, indem die Produktivität und somit das Einkommen pro Kopf der erwerbstätigen Bevölkerung erhöht wird. Dazu muss Deutschland in Bildung, Innovation und den Kapitalstock investieren. (Die Politik in Berlin tut das Gegenteil.)
Die Belastung derjenigen, die Beiträge zahlen, ansonsten so gering wie möglich halten. (Auch hier geschieht das Gegenteil. Man denke an die Energiewende, die bereits zu den höchsten Strompreisen in Europa geführt hat und nun mit dem Kohleausstieg noch teurer wird.)
Für mehr Menschen sorgen, die Beiträge zahlen, indem qualifizierte Zuwanderungswillige angelockt werden, die im Durchschnitt mindestens so viel verdienen wie die bereits heute in Deutschland lebende Bevölkerung. (Dies gelingt derzeit nicht.)
Für weniger Menschen sorgen, die Sozialleistungen empfangen, indem die Zuwanderung in das Sozialsystem konsequent verhindert wird. (Hier praktiziert die Politik in Deutschland das genaue Gegenteil.)
Die Bezugsdauer der Leistungen reduzieren und die Beitragszahlungen erhöhen, indem das Renteneintrittsalter angehoben wird. (Genau das Gegenteil wurde in den vergangenen Jahren getan.)
Das Problem mit dem letzten Punkt ist für die Betreiber des Ponzi-Schemas offensichtlich. Nicht nur entfällt der Hauptnutzen – nämlich die Beliebtheit des Betreibers zu erhöhen –, sondern es droht auch der Verlust des Vertrauens in das Gesamtsystem. Der ohnehin einsetzenden Flucht der Beitragspflichtigen muss dann mit immer mehr Eingriffen – beispielsweise mit Änderungen der Beitragsbemessungsgrenze, dem Einbezug Selbstständiger oder noch weitergehender Steuerfinanzierung – begegnet werden.
Den Kollaps des Ponzi-Schemas beschleunigt man, indem man die Ausgaben erhöht und die Beiträge senkt. Das entspricht genau dem, was die Bundesregierungen seit Jahren tun. Noch funktioniert die Illusion perfekt, weil es bei Steigerungen der Auszahlungen immer wieder gelingt, deren Finanzierung im Ungewissen zu lassen. Da ist abstrakt von »Steuerfinanzierung« die Rede, von einer Einbeziehung weiterer Beitragszahler in das System und generell höheren Steuern für Reiche und Erben.
Nicht nur das Rentensystem gleicht einem Ponzi-Schema. Schlimmer sieht es bei den Pensionsverpflichtungen des Staates aus. Für die 1,3 Millionen Pensionäre fallen pro Jahr 46,5 Milliarden Euro an, verglichen mit 277 Milliarden Euro für rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Das sind 38 000 Euro pro Kopf und Jahr, verglichen mit knapp 13 200 Euro.4 Dieser Unterschied ist erheblich und die Folge politischer Entscheidungen, die Jahrzehnte zuvor getroffen wurden. Damals wurde – nicht zuletzt mit dem Ziel, die laufenden Ausgaben zu senken – auf Verbeamtung als Instrument gesetzt. Dass diese Einsparungen in keiner Relation zu den erheblichen künftigen Lasten standen, wurde bewusst verdrängt. Jetzt steht Deutschland vor einer wahren Kostenexplosion: Schon in den letzten 20 Jahren ist die Zahl derjenigen, die eine Pension beziehen, um 56 Prozent gestiegen, und höhere Zuwächse stehen noch bevor. Allein die Zahl der pensionierten Lehrkräfte hat sich seit dem Jahr 2000 vervierfacht. Das schlägt finanziell besonders durch, weil Lehrkräfte überdurchschnittlich gut verdienen. Im bundesweiten Durchschnitt erhalten ehemalige Lehrkräfte 3 220 Euro im Monat. Angesichts der erheblich gestiegenen Lebenserwartung bedeutet dies eine dauerhafte Belastung der Staatsfinanzen.
Offensichtlich müssen wir die Verdunkelung der Fakten durch die Politik beenden. Der Staat ist mit seiner Art der Rechnungslegung allein. Man spricht von Kameralistik, will heißen:5
»In einem ersten Schritt werden auf einem der Budgetstruktur folgenden Kontensystem (Haushaltssoll) die Ansätze des Haushaltsplans und deren eventuelle Änderungen im laufenden Haushaltsjahr erfasst. Sodann werden die im Rahmen der Haushaltsansätze erfolgten Aufträge, die Zahlungsanordnungen und die tatsächlich erfolgten Zahlungen verbucht. Darauffolgend werden im Rahmen der Haushaltsüberwachung Soll-Ist-Vergleiche vorgenommen und abschließend die Jahresabschlüsse ermittelt. Wichtigstes Rechnungsziel ist der Nachweis der Einhaltung des Haushaltsrechts und -plans sowie der tatsächlich erreichten Deckung der wirklichen Ausgaben (Überschuss- und Fehlbetragsermittlung).«
Übersetzt heißt dies, dass der Staat nur zwei Fragen stellt: ob er mehr oder weniger eingenommen und ausgegeben hat, als er geplant hatte, und ob sich, bezogen auf den Abrechnungszeitraum – faktisch also das Jahr –, ein Überschuss oder ein Defizit ergibt. Was hingegen fehlt, ist eine Betrachtung der Auswirkungen heutiger Entscheidungen auf die Zukunft. Deshalb sprechen Politiker auch immer von den erwarteten Kosten pro Jahr. Wenn zum Beispiel von der Grundrente die Rede ist, werden Ausgaben von so oder so vielen Milliarden Euro genannt. Das sind aber nur die Ausgaben eines Jahres. Ob und wie sich diese Ausgaben in Zukunft entwickeln, wird gerne verdrängt.
Das hält auch das Gabler Wirtschaftslexikon fest:6
»Da die Kameralistik in ihrer heute üblichen Form grundsätzlich nur fällige Ansprüche auf Zahlungen und erfolgte Einzahlungen sowie fällige Verpflichtungen zu Zahlungen und erfolgte Auszahlungen erfasst (Geldverbrauchskonzept), bestehen systematische Schwierigkeiten bei der vollständigen Erfassung des Ressourcenverbrauchs. Eine fehlende vollständige Vermögensrechnung sowie Schwierigkeiten bei der Konsolidierung von Kernhaushalten mit ausgegliederten rechtlich selbstständigen, privatrechtlichen Organisationsformen sind zwei weitere wesentliche Argumente, die von den Befürwortern einer Abschaffung der Kameralistik angeführt werden.«
Was im Klartext nichts anderes heißt, als dass ein Staat trotz »schwarzer Null« arm sein kann.
Die Alternative ist die doppelte Buchführung, auch Doppik genannt. Neben der Einnahmen- und Ausgabenrechnung, die der Kameralistik entspricht, gibt es als wesentliche Ergänzung eine Vermögensrechnung, die mit der Bilanz von Unternehmen vergleichbar ist und damit Auskunft über die Vermögenslage und die Kapitalherkunft gibt. Auf der Aktivseite stehen die Vermögenswerte des Staates, auf der Passivseite die Verbindlichkeiten, beispielsweise für Pensionen.7
Ein Beispiel soll das verdeutlichen. Investiert ein Unternehmen in eine neue Maschine für 100 000 Euro und plant, diese zehn Jahre lang zu nutzen, so werden jedes Jahr 10 000 Euro abgeschrieben. Um diesen Betrag sinken der Wert der Maschine in der Bilanz ebenso wie der jährlich ausgewiesene Gewinn. Die Führung des Unternehmens weiß also sofort, ob es genug abwirft, um auch in Zukunft wieder eine Maschine kaufen zu können. Idealerweise legt sie auch entsprechend Geld zurück.
Kein Wunder, dass das Handelsgesetzbuch Unternehmen verpflichtet, drei externe Rechnungslegungen wie folgt zu erstellen:
eine auf das Jahr bezogene Gewinn-und-Verlust-Rechnung,
eine den kameralistischen Prinzipien entsprechende Kapitalflussrechnung (faktisch die Erklärung der Veränderung des Kassenbestands) sowie
eine Bilanz, die Auskunft über das Vermögen, die Verbindlichkeiten und die Eigenmittel des Unternehmens gibt.
Es leuchtet nicht ein, weshalb das, was für Unternehmen sinnvoll ist, nicht auch für Staaten und ganze Volkswirtschaften gelten sollte. Genauso wie Manager und Aktionäre würden auch die Politik und die Bürgerinnen und Bürger von dieser Transparenz profitieren. Die Politik vermutlich weniger, weil sie mit mehr Widerstand bei ihren Projekten rechnen müsste.
International gibt es bereits anerkannte Regeln für die staatliche Rechnungslegung. Das »International Public Sector Accounting System« (IPSAS) und das europäische Pendant EPSAS bestimmen, wie staatliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu bewerten sind. Und zwar so, wie seit dem 13. Jahrhundert üblich in Form einer Periodenrechnung mit Gewinn-und-Verlust-Rechnung und Bilanz.8
Wie wichtig und dringend eine solche Umstellung der Bilanzierung wäre, unterstreicht die Aussage der Bundesbank, die schon 2018 erklärte, dass es mit den vorhandenen Daten unmöglich sei, den genauen Schuldenstand des Staates zu ermitteln.
Es ist nicht so, dass die deutsche Politik davon noch nichts gehört hätte. In allen Bundesländern außer Schleswig-Holstein, Thüringen und Bayern ist es für Kommunen verpflichtend, bei der Rechnungslegung nach dem Verfahren der Doppik vorzugehen. Bremen, Hamburg und Hessen sind bisher die einzigen Bundesländer, die eine Bilanz erstellt haben.9 Der Bund hat eine unvollständige Vermögensrechnung, in der beispielsweise das Immobilienvermögen fehlt.
In den Vermögensrechnungen werden die Aktiva – also Beteiligungen an Unternehmen, Maschinen, Anlagen – den Verbindlichkeiten – zum Beispiel Schulden oder Pensionsverpflichtungen – gegenübergestellt, und es wird ein Eigenkapital ausgewiesen. Im Beispiel Bremens wies die erste Bilanz ein negatives Eigenkapital von rund 13 Milliarden Euro aus.
Das unterstreicht den Vorteil der kaufmännischen Buchführung. Gewinne und Verluste werden sichtbar, sobald sie verursacht wurden – also im Moment der politischen Entscheidung und nicht erst Jahre später. Ein Beispiel mag das verdeutlichen.
Die Personalkosten sind im Fall von beamteten Staatsbediensteten auf den ersten Blick geringer als jene im Fall von angestellten. Bei Letzteren fallen schon in der aktiven Zeit die Beiträge für die Altersversorgung an. Beamtenpensionen werden im Rahmen der Kameralistik erst dann erfasst, wenn sie ausgezahlt werden. In der Bilanz muss man jedes Jahr Rückstellungen bilden – so führen dann mehr Beamte auch zu höheren Rückstellungen. Was das bedeutet, zeigt die Eröffnungsbilanz Hessens. Mit 38 Milliarden Euro war die Pensionsrückstellung der größte Posten auf der Passivseite. Bei Passiva von insgesamt 88 Milliarden Euro und einem Vermögen von 38 Milliarden Euro wies das Land ein negatives Eigenkapital von 58 Milliarden Euro aus. Das bedeutet nichts anderes als eine latente Last für all die Menschen im Land, die künftig Steuern zahlen werden.
Es ist offensichtlich, dass nicht nur die Kommunen und ausgewählte Länder auf eine ordentliche Buchführung umstellen müssen, sondern auch der Bund. So würde sofort deutlich, dass die Politik der »schwarzen Null« nicht zu mehr, sondern zu weniger Eigenkapital geführt hat: Die Infrastruktur hat sich in den vergangenen Jahren deutlich entwertet – Stichwort Autobahnbrücken –, und gleichzeitig sind die Versprechen für die Zukunft vermehrt worden.
Dabei schlägt sich vieles von dem, was die Politik entscheidet, in anderen Haushalten nieder. Auch ein solcher Effekt muss ausgeschlossen werden. Wenn beispielsweise die Politik Beschlüsse fasst, die das Rentenniveau beeinflussen, dann hat auch dies weitreichende Vermögensfolgen. Senkt man das Rentenalter auf 63 Jahre, so entspricht dies einer deutlichen Erhöhung der Verbindlichkeiten. Gleiches gilt für die Mütterrente und die Grundrente. Da spielt es keine Rolle, dass diese Kosten im Haushalt der Rentenversicherung anfallen werden. Die Politik muss so oder so die Finanzierung beibringen, entweder indem sie andere Beitragssätze beschließt und/oder den Steuerzuschuss anpasst. Wie gesehen, machen diese Zuschüsse schon heute die größte Position des Bundeshaushalts aus. Die Sozialversicherungen, in denen die größte Bombe lauert, müssten dringend ihre wahren Verpflichtungen offenlegen – die nichts anderes sind alsr Gegenwert zu künftigen Steuern und Abgaben.
Die Politik drückt sich davor, sauber zu bilanzieren. Sie weigert sich sogar, das EPSAS, wie von der EU gefordert, bis 2025 einzuführen. So sind wir bis jetzt auf Schätzungen von Experten angewiesen, wenn es darum geht, die Dimensionen zu erfassen.
Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen erstellt regelmäßig eine Bilanz für die Bundesrepublik Deutschland. Dabei berücksichtigt er nicht nur die offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung, sondern auch die Lasten, die sich aus allen staatlichen Leistungsversprechen ergeben und noch nicht durch das heutige Steuer- und Abgabenniveau gedeckt sind – also all das, was über das hinausgeht, was wir heute schon bezahlen, zum Beispiel weil in Zukunft mehr Menschen in Rente sind und damit die Ausgaben für Renten steigen. Für das Jahr 2020 schätzt der Experte den ungedeckten Betrag dieser Versprechen auf rund 9 800 Milliarden Euro. Dies muss man zur offiziellen Staatsverschuldung von 2 100 Milliarden Euro hinzurechnen, was zu einer Gesamtschuldenlast von 11 900 Milliarden Euro führt.10 Diese 11 900 Milliarden wären auf der Passivseite der Bilanz auszuweisen, und es wäre sofort klar, dass diesen Verbindlichkeiten nur wenige Vermögenswerte entgegenstehen.
Ab sofort müssten wir je nach Szenario – also mehr oder weniger Zuwanderung, höhere oder geringere Erwerbsbeteiligung – zwischen 36 und 115 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich sparen, um die finanziellen Folgen der demografischen Entwicklung – steigende Gesundheits-, Pflege- und Rentenkosten bei gleichzeitig sinkender Zahl der Beitragspflichtigen – aufzufangen, rechnet selbst das Bundesfinanzministerium im offiziellen Nachhaltigkeitsbericht vor.11
Die EU-Kommission kommt in einer Studie über die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu keinem besseren Ergebnis. Zwar steht Deutschland besser da als die meisten anderen Mitgliedsländer der EU, aber auch hier wird eine Lücke von mindestens 58 Milliarden Euro ausgewiesen, die ab sofort jährlich zusätzlich gespart werden müsste, um die Versprechen zu erfüllen und die Beitragsbelastung stabil zu halten.12
Offensichtlich steht es um die Bundesrepublik Deutschland erheblich schlechter, als die Politik den Bürgerinnen und Bürgern erzählt. Dies zeigt auch eine Analyse von Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF), die in einem aufwendigen Verfahren die tatsächlichen Staatsbilanzen für 31 Volkswirtschaften ermittelt haben.13
Abbildung 1: