Das Maultier und andere Niederlagen - Stephan Kinkele - E-Book

Das Maultier und andere Niederlagen E-Book

Stephan Kinkele

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Beschreibung

Herzlich willkommen zu Wanderungen durch das Leben eines Tourguides! Heldentaten sind nicht zu erwarten, aber lustige Begegnungen mit netten Menschen, seltsamen Tieren und schrägen Vögeln.

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Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Erfahrung ist nicht das, was einem zustößt. Erfahrung ist das, was man aus dem macht, was einem zustößt.

Aldous Huxley

Stephan Kinkele

Das Maultier und andere Niederlagen

Heiteres aus dem Leben eines Reiseleiters

© 2020 Stephan Kinkele

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Redaktionelle Bearbeitung: Christian Schramm

Cover Design: Petra Krönner

ISBN

Paperback:      978-3-347-05543-8

e-Book:            978-3-347-05544-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Dieses Buch erzählt von den Abenteuern eines Reiseleiters, der in den vergangenen dreißig Jahren mit etwa fünftausend Menschen einmal um die Welt gewandert ist.

Ehrlich. Alle Kilometer, die ich in meinem Leben als Natur- und Kulturführer gelaufen bin, ergeben zusammen 42.000. Das ist mehr als der Erdumfang. Können Sie nachschlagen.

Heldentaten sind auf diesem Wege allerdings nicht entstanden, eher Erschöpfung, Senkfüße und Rückenprobleme - nette Menschen und jede Menge Begegnungen der besonderen Art inbegriffen.

Gerade deshalb habe ich Reiseleitung immer als Herausforderung empfunden, oft als Geschenk. Man gerät in die seltsamsten Situationen und entdeckt die Welt.

Moral der Geschichte? Nicht zögern! Reisen und Wandern öffnen den Blick für das Mögliche.

Niederlagen gehören dazu.

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt

Eigentlich wollte ich Lehrer werden. Lehrer reden gerne, Lehrer hören gerne zu und Lehrer schätzen eine gute Performance. Also kein böses Wort über Lehrer! Ich habe immer viel Spaß mit ihnen gehabt. Aber dazu später.

Das Schicksal wollte mir den Lehrerwunsch nicht erfüllen. Das Letzte, was die Schulbehörde „zu meiner Zeit“ suchte, waren Fachvertreter für Deutsch- und Philosophie. Also folgte ich einer frischen Idee und studierte Völkerkunde und Volkskunde.

Eine ethnologische Feldforschung führte mich nach Griechenland, wo ich mein Herz verlor. Ein Jahr lang auf einer griechischen Insel und eine Liebe in Athen. Wichtigere Grundlagen gab es nicht.

Einige Jahre später reichte mir meine Frau die Anzeige eines Abenteuer-Reiseveranstalters, der Wanderreisen auf der ganzen Welt anbot. Mein Herz schlug schneller. Vor einiger Zeit war ich mit drei Maultieren und einem australischen Fotografen von der albanischen Grenze über das gesamte Pindus-Gebirge gewandert. Ein Jahr mit Wandern und Maultieren in Griechenland lag hinter mir. Das Inserat kam gerade recht. In der Villa des kleinen Veranstalters stellte sich heraus, dass eine Tätigkeit als Subunternehmer weitaus lukrativer war als das Honorar einer Reiseleitung. Doch auf einem Test meiner Fähigkeiten bestand der Chef.

Gesagt, getan. In der nächsten Saison ging ich zum ersten Mal für den Veranstalter in Griechenland auf Tour und erhielt bereits auf dieser ersten Reise eine deftige Lektion.

Bereits am zweiten Tag der Reise erfuhr ich, dass der Busfahrer Jannis - fünfzig Jahre alt und gut aussehend - ein System entwickelt hatte, mit dem er die Herzen einzelner Teilnehmerinnen schrittweise eroberte, bis sie in der Stadt Nafplion „reif sind“, wie er mir erklärte. Er hatte bereits eine Teilnehmerin im Auge und für mich die ältere Freundin seiner jungen Auserwählten.

Mit so einem Start in mein neues Arbeitsleben hatte ich nicht gerechnet. Schon am Abend zuvor war ich als Letzter im Speisesaal des Hotels erschienen und fand den einzigen freien Platz am Tisch des Busfahrers, an dem auch die beiden von ihm auserwählten Teilnehmerinnen saßen. Wir drei kannten uns bereits flüchtig durch die Vorstellungsrunde am Nachmittag.

Nachdem ich nun vom unseligen Plan des Busfahrers wusste, betrat ich am folgenden Abend als Erster den Saal, um mich anderen Gästen zu widmen. Doch kurz darauf tauchten wieder die beiden Teilnehmerinnen mit Jannis im Schlepptau auf und setzten sich zu mir. Die beiden Frauen gingen während des Essens begeistert auf sein Angebot ein, anschließend mit der ganzen Gruppe ein Bouzouki zu besuchen, ein typisch griechisches Lokal. Die Kneipe hatte die Größe eines Zimmers und bestand hauptsächlich aus einer Tanzfläche. Auf den Bänken rundherum konnte man sich ausruhen. Rembetiko dröhnte aus den Lautsprechen. Griechischer Blues.

Mit uns vierundzwanzig Gästen war die Bude vom ersten Augenblick an voll und Körperkontakt in alkoholisierter Stimmung unausweichlich. Später am Abend fiel mir die Angebetete des Busfahrers lachend um den Hals und suchte mein Ohr: „Du, der Jannis schiebt mich hier von Wand zu Wand und flüstert mir immer zu, ich sei die Schönste der Welt und er habe ein Leben lang auf mich gewartet.“

Allmählich begriff ich, was vor sich ging: Die ältere Freundin, die Jannis mir zugedacht hatte, zeigte große Interesse an ihm, während seine Angebetete offensichtlich begann, einen Blick auf mich zu werfen.

Nun, all das geschah, während ich die Pflichten eines Reiseleiters durchaus erfüllte. Die Tour führte auf klassischer Strecke von Korfu nach Athen. Die Gäste schienen meine Abenteuer und Erzählungen aus dem griechischen Leben gerne zu folgen, lachten oft und klatschten. Doch das Mikrofon hielt meistens die griechische Fremdenführerin Eleni in der Hand, die gekonnt aus der Antike berichtete und uns stundenlang durch die archäologischen Stätten führte. Da wir beide Frühaufsteher waren, trafen wir uns jeden Morgen im leeren Frühstücksraum des jeweiligen Hotels, sobald der Kaffee zu holen war. Leider hatte sie keine Zeit für mich, denn vor ihr lagen jede Menge handbeschriebener Zettel, mit deren Studium sie offensichtlich voll beschäftigt war. Während ich den Tag über von dem berichtete, was ich erlebt und studiert hatte, bereitete sie jeden Morgen jeden ihrer Vorträge eine gute Stunde lang vor und glänzte so an den antiken Stätten mit lockerem Vortrag in ansprechender und frei gehaltener Rede, mit historischen Details und Zahlen.

Diese Sorgfalt beeindruckte mich, denn die gefühlvollen Vorträge, die sie mit lebhafter Mimik und Gesten anreicherte, basierten offensichtlich auf der intensiven täglichen Vorbereitung.

Eleni kannte den Busfahrer Jannis schon länger und konnte ihn nicht ausstehen. Kurz vor Athen bekam sie zufällig ein Gespräch zwischen mehreren Frauen im Bus mit und ließ in feinstem Deutsch den Satz los: „Liebe Teilnehmerinnen, der Ruf der griechischen Männer als gute Liebhaber ist nichts als ein abgegriffener Mythos, die Realität ist langweilig und ernüchternd.“

Ich konnte sehen, wie Jannis wütend den Kopf einzog. Er war an diesem Tag sowieso übel gelaunt. Sein Plan lief nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Während einer Mittagspause erklärte er mir, er würde die beiden Tage in Athen bei seiner Frau verbringen und fügte hinzu, ich solle ihm bloß nicht in die Quere kommen. Die weitere Strecke über die Peloponnes war die entscheidende.

Mir war sein Verhalten inzwischen egal. Ich hatte klare Verhältnisse geschaffen und mich mit den beiden Teilnehmerinnen darauf geeinigt, weder ihn noch die absurde Situation allzu ernst zu nehmen. Doch dieses Gleichgewicht wurde in Athen auf die Probe gestellt.

Die Ursache lag in dem Abendprogramm, mit dem die Agentur uns Athen bei Nacht zeigen wollte. Ich konnte es kaum glauben: Da schickte man uns in eine billige Touristenkneipe, wo kleine Japaner genötigt wurden, als griechische Hirten verkleidet auf der Bühne auf Stühle zu steigen, um große blonde Schwedinnen zu küssen. Als wir reinkamen, verließen gerade fünfzig Japaner geschlossen das Lokal. So fanden wir Platz an den Tischen in der ersten Reihe vor der Bühne. Evzonen tanzten im Kreis. Die Palastwächter schwitzten in warmen Wollstrumpfhosen, weißen Röckchen und gefilzten Westen. Wir teilten den billigen Wein, der im Preis inbegriffen war. Genau in diesem Augenblick tanzte ein dicker Evzone schräg oben an uns vorbei. Seine Schweißtropfen flogen in unsere Gläser und erzeugten kleine Wellen. Er hatte offenbar keine Ahnung von dem fünfmarkstückgroßen Loch im Zenit seiner Strumpfhose, durch das er uns während seines Beinhebens großzügige Einblicke gewährte.

Endlich draußen aus der Spelunke verspürte ich den unstillbaren Drang, den Gästen das wirkliche Athen bei Nacht zu zeigen. Doch kaum hatte ich dieses Angebot ausgesprochen, winkte die Gruppe ab. Es war ein langer Tag gewesen und Griechisch hatten sie jetzt auch genug.

Nur die beiden netten Teilnehmerinnen waren andrer Meinung. „Oh, das ist großartig!“, rief die Jüngere, während die Ältere freudig zustimmte. So landeten wir drei unter Weinreben auf einer Dachterrasse in Monasteraki mit Blick auf die erleuchtete Akropolis und die Sterne am Nachthimmel. Wir lachten, tranken Ouzo und führten gute Gespräche. Irgendwann fragten wir uns, wie es wohl Jannis erging und lachten noch mehr.

Bei mir waren es elf Ouzos. Mir ist diese Zahl irgendwie in Erinnerung geblieben. Meine beiden Mitstreiterinnen hatten bestimmt auch gemeinsam ein Dutzend intus.

Als wir in den frühen Morgenstunden durch die Altstadt schwankten und ein Taxi suchten, fiel mir ein, dass mich im Hotel ein Problem erwartete. Ich teilte mein halbes Doppelzimmer mit einem Gast und es gab nur einen Schlüssel. Wenn die Tür zugeschnappt war, kam ich nicht in mein Bett und musste meinen Zimmerpartner aufwecken. „Oh Mann, Mist“, entfuhr es mir.

„Was ist denn los?“, fragte die Jüngere.

Als ich meinen Gedanken mitteilte, hakten die beiden Frauen sich bei mir unter. „Och, da fällt uns schon was ein“, sagte die Ältere und beide lachten.

Als wir am nächsten Tag mit Jannis, dem Busfahrer, weiter nach Nafplion fuhren, fragte er mich in einer Pause: „Na, wie war’s am Wochenende?“

„Po, Po, Po“, antwortete ich mit der dazugehörigen kreisenden Handbewegung, die unter griechischen Männern keiner weiteren Erklärung bedurfte.

Natürlich war nichts geschehen. Mein Zimmergenosse hatte die Tür offengelassen. Wir drei verstanden uns nur gut, und diese Stimmung wirkte den Rest der Reise. Selbst mein nächtlicher Einsatz im Hotel in Patras, bei dem ich Jannis nach einem Notruf der Älteren von ihrer Zimmertür vertreiben musste, trübte diesen Eindruck nicht. Sie hatte ihn im Fahrstuhl „abgebusselt“ und dann vor ihrer Tür Gute Nacht gesagt. Oh, Mann, dachte ich, was man bei dem Job alles erledigen muss…

Nun, am Ende der Reise ereilte mich dann doch noch die besagte Lektion. Mit der Ankunft der Fähre in Korfu Stadt galt es Abschied zu nehmen. Die Fremdenführerin Eleni und ich stiegen aus. Als wir winkten, sprangen die beiden Teilnehmerinnen noch mal zu uns raus und verabschiedeten sich von mir. Dabei ergriffen beide meine Hand und küssten mich auf die Wangen. Eleni stand neben mir und erstarrte. Im Bus verfolgte die gesamte Gruppe das Schauspiel. Mir wurde heiß und kalt zugleich und ich begriff: Alle glaubten, ich hätte eine Affäre mit den beiden gehabt. Dieser Abschied war für die gesamte Gruppe der sichtbare Beweis.

Eleni sagte kein einziges Wort mehr. Mit verkniffenem Gesicht begleitete sie mich zur Agentur, in deren Büro unsere Begegnung endete. Für sie war ich einer wie Jannis und keiner weiteren Beachtung mehr wert.

***

    Wo sind die Maultiere?

Auf der Rückfahrt mit dem Auto nach Deutschland schaffte ich es gerade noch durch Slowenien, bevor der Balkankrieg ausbrach. Hinter mir gingen die Schranken runter. Es war eine gespenstische 32-Stunden Fahrt an diesem 24. und 25. Juni 1991, an Panzern vorbei. Während ich in Serbien Militärkolonnen überholte, ging mir die Niederlage meiner ersten Reiseleitung nicht aus dem Kopf. Was hatte ich falsch gemacht, dass mich eine Kollegin wie Eleni, die ich so bewunderte, mit Verachtung strafte?

Erst als ich in München eintraf, war mir der Fehler klar: Ich hatte mich unprofessionell verhalten. Bei diesem Job gehörst du allen, dachte ich. Vergiss das nie! Du bist nicht privat auf Reisen, sondern beruflich. Es ist Arbeit und kein Privatvergnügen. Vor allem sei dir immer bewusst darüber, was du gerade tust. Reiseleitung funktioniert nicht so einfach nebenbei, sie erfordert dein ganzes Können und Wollen.

Mit dieser Erkenntnis kehrte ich nach Hause zurück und bereitete mich auf die erste Tour als Subunternehmer vor, die bald stattfinden sollte. Wandern und Trekking in klassischer Landschaft hieß sie und führte über die Peloponnes. Das Projekt war wichtig für mich. Ich hatte einige Niederlagen einstecken müssen und setzte meine ganze Hoffnung auf eine Zukunft in Griechenland. Ein verfallenes Haus auf der Insel Kythera hatten meine Frau und ich bereits gekauft.

Grund dieser neuen Lebensperspektive war das Ergebnis der Tour mit dem australischen Photographen und den drei Maultieren zwei Jahre zuvor. Ursprünglich hatte der Plan darin bestanden, mit einem videografischen Film beim Fernsehen als Ethnologe den Auftrag zu ergattern und das Projekt unter dem Titel Auf dem Maultier durch Griechenland professionell zu wiederholen. Wir wollten die Geschichte der Vláchi, der Wallachen, erzählen. Doch sowohl ein Cappuccino als auch die Folgen der Wende 1989 kamen dazwischen.

Ein Jahr zuvor hatte ich zu diesem Thema einen Termin beim Chef vom NDR- International in Hamburg. Leider verlief die Begegnung anders als geplant. Da ich am Tag des entscheidenden Treffens eine halbe Stunde zu früh vor dem Studiohaus stand, beschloss ich noch einen Kaffee zu trinken und setzte mich bei einem Italiener in der Nähe in den Vorgarten. Es hatte über Nacht geregnet und in meiner Aufregung übersah ich die Pfütze auf dem Stuhl. Pures Entsetzen packte mich, als mein Hintern innerhalb einer Sekunde klatschnass war. Nur noch fünfzehn Minuten bis zum Termin! Ich sprang auf und rannte zur Toilette. Mit dem Hinterteil unter dem Händetrockner blieben mir zehn Minuten. Ich wusste, dass das nicht reichte, um erstens meine Hose zu trocknen und zweitens rechtzeitig im Büro des NDR-Chefs zu erscheinen, um mein großartiges Projekt vorzustellen.

Mit klopfendem Herzen packte ich den Aktenkoffer und marschierte zum Studiohaus. Das Büro des Chefs lag am Ende eines riesigen Großraumbüros. Mir war klar, dass es für alle Mitarbeiter an den Schreibtischen aussah, als hätte ich mir gerade in die Hose gepinkelt oder Schlimmeres. In meiner Verzweiflung hielt ich den Aktenkoffer hinter das Gesäß und hoffte, niemand würde meinen nassen Hintern bemerken.

Ich hatte mich schick gemacht für diesen Termin: grüne Hose, weiße Schuhe, ein balinesisches Hemd und ein passendes Jackett dazu. Auf meiner Krawatte prangte ein Saxophonspieler. Ich fand das „cool“.

Kaum hatte ich die Tür zum Chefbüro geöffnet, sah ich den Chef hinter dem gläsernen Schreibtisch in seinen Sessel gelehnt. Er blickte ernst, trug Nickelbrille, Jeans und einen Rollkragenpullover.

Mein nasser Hintern spielte plötzlich keine Rolle mehr. Ich kam mir vor wie ein Clown. Der Chef nahm sich eine viertel Stunde Zeit für mich, schaute durch meine Referenzen und Fotos der Tour und sagte am Ende: „Nordgriechenland, wen interessiert denn das? Die deutsche Grenze ist offen. Hamse nich wat aus‘m Osten?“

In diesem Augenblick platzte der Traum. Später begriff ich, dass man – abgesehen von den geschichtlichen Umwälzungen, die gerade geschahen - als Außenstehender in einer Institution oder Firma nur eine Chance hat, wenn man bereits Erfolge vorweisen kann. Ist man in einer Firma oder Institution bereits verankert, kommen die Chancen von ganz allein.

Damals wollte ich „mein Ding“ machen, frei sein und mich nicht unterordnen. Ein Leben als Angestellter schien mir ein Gefängnis zu sein und Einkommen war gottseidank nicht das Problem. Meine beiden Brüder und ich besaßen eine Firma. Gemeinsam mit einem Freund hatten wir eine kunsthandwerkliche Technik aus farbigem Sand, Glas und Licht erfunden, die uns zwei Patente einbrachte und ernährte. Doch mein Traum bestand nicht darin, auf Fachhandelsmessen der Verkäufer eigener Produkte zu sein. Ich wollte in die Welt hinaus und Abenteuer erleben.

Aus diesem Grund war das aktuelle Angebot verlockend, als Subunternehmer drei Reisen im Jahr in Griechenland durchzuführen. Meine Frau und ich hatten uns ausgerechnet, dass der Gewinn dieser drei Reisen mit dem Einkommen aus der Firma ausreichte, um in unserem Haus auf Kythera zu leben. So ließen wir Deutschland hinter uns und zogen im Sommer 1991 mit Sack und Pack nach Kythera.

Von dort aus lief die Tour mit dem Wandern und Trekking im ersten Jahr erstaunlich gut. Alle Termine waren ausgebucht. Einnahmen flossen. In der Bankfiliale unserer Insel grüßte man mich äußerst freundlich, nachdem ich mehrmals 1,2 Millionen Drachmen in bar für die Reisekasse abgehoben hatte. Es waren ziemlich viele Geldbündel aus Fünftausendern. Die Scheine passten kaum in meinen Rucksack. Man hielt mich für reich. Niemand dort wusste, dass der Umsatz im Tourismus stark ist und der Gewinn winzig. Zudem das Risiko. Man muss klug wirtschaften. Deshalb arbeitete ich bei dieser ersten Tour nur mit Partnern, mit denen mich eine geschäftliche Freundschaft verband. Auf die konnte ich mich verlassen.

Adonis, mein neuer Busfahrer, war ein solcher Partner und Freund; ein gut erhaltener Fünfziger von gedrungener, aber angenehmer Gestalt. Typ Bärchen mit Bart. Er konnte wunderbar tanzen und singen, alle Strophen der Lieder, mit denen er als Zwanzigjähriger gegen die Junta angesungen hatte. Von ihm habe ich gelernt, wie man in den Bergen Arkadiens mit dem Saft der Wolfsmilch Forellen fängt und einen anständigen Tsamiko tanzt. Er war Eigentümer eines Busses und sein einziger Fahrer, ein Kleinstunternehmer. Gemeinsam rumpelten wir über die Peloponnes, brachten unseren Gästen griechische Tänze bei und feierten in abgelegenen Bergdörfern mit Bauern und Hirten wilde Nächte. Abenteuer stand über allem. In dieser Zeit veränderte sich Griechenland rasant. Deshalb suchte ich nach dem Alten, Echten und Authentischen und fand es im Taygetos, in Lakonien und auf der Mani. Mir wurde schnell klar, dass im unmittelbaren Erleben einer fremden Welt das Besondere für die Gäste liegt. Reisen an sich ist ein archaischer Vorgang, vor allem zu Fuß. Bereits vor dreihunderttausend Jahren sind Menschen durch die Welt gezogen. Auf Wanderungen dringen wir noch heute in einen unbekannten Raum vor, den wir uns mit unseren Sinnen, Gefühlen und schließlich mit