Das Menschenbild für die Heilpädagogik - Urs Haeberlin - E-Book

Das Menschenbild für die Heilpädagogik E-Book

Urs Haeberlin

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Beschreibung

Dieses Buch befasst sich mit dem Menschenbild, welches den erzieherischen Umgang mit dem behinderten Kind beeinflussen soll. Es ist charakterisiert durch Betroffenheit von Grundfragen des Menschseins und durch weltanschauliches Engagement. Übertrieben einengende Standards von Wissenschaftlichkeit treten in den Hintergrund, ohne dass deswegen wissenschaftstheoretische Begründungen vernachlässigt werden. Der Begriff wird synonym zu Sonderpädagogik und Behindertenpädagogik verwendet, so dass sich die Einführung auch bei dieser Begriffsorientierung eignet. Dieser Band weicht vom gewohnten Lehrbuchstil ab: Im Vordergrund stehen weder die Vermittlung von Wissen noch der Überblick über Standardliteratur. Wesentlich ist die strukturierte Auseinandersetzung mit weltanschaulichen Grundfragen, deren Beantwortung die Basis der Heilpädagogik bildet. Ziel des Buches ist die Hinführung des Lesers zur Entscheidung für die Werte der Würde und der Gleichheit aller Menschen. Damit wird die Suche nach einem Menschenbild nicht in erster Linie zur Suche nach einem Menschenbild für das behinderte Kind, sondern zur Suche nach einem Menschenbild für sich selbst. Heilpädagogik wird zur Bezeichnung für eine weltanschauliche Grundhaltung.

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Seitenzahl: 156

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Urs Haeberlin

Das Menschenbild für die Heilpädagogik

Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik

Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik

Begründer der Reihe: Prof. em. Dr. Urs Haeberlin, Universität Freiburg (CH) Mitherausgeber: Prof. Dr. Gérard Bless und Prof. Dr. Winfried Kronig, Universität Freiburg (CH)

Urs Haeberlin

Das Menschenbild für die Heilpädagogik

6. Auflage

Haupt Verlag

Bern · Stuttgart · Wien

Urs Haeberlin, Prof. Dr. phil., Jahrgang 1937,

Emeritierter Ordinarius für Heilpädagogik an der Universität Freiburg (Schweiz)

1. Auflage: 1985

2. Auflage: 1990

3. Auflage: 1994

4. Auflage: 1998

5. Auflage: 2003

6. Auflage: 2010

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-258-47602-5

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2010 by Haupt Berne

Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig.

Umschlaggestaltung: René Tschirren nach Gestaltung von Pool Design, Zürich

www.haupt.ch

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Vorwort zur 6. Auflage

Es ist mehr als zwanzig Jahre her, seit die erste Auflage dieses Buches erschienen ist. Im heutigen Wissenschaftsbetrieb verkürzt sich die Aktualitätsdauer von manchen Fachbüchern zunehmend. Man wird mich möglicherweise fragen, ob es sinnvoll ist, das vorliegende Buch in unveränderter Form in einer sechsten Auflage erscheinen zu lassen. Ja, das ist es! Denn es handelt sich um ein Buch, das dem Trend zur Kurzlebigkeit und dem Zwang zur Aktualisierung widerstehen darf und muss. Ich habe dieses Buch nie mit der Ambition verbunden, eine Thematik auf dem neuesten Stand der Forschungsliteratur umfassend zu präsentieren und selbstherrlich die gewohnte Rolle des Wissenschaftlers zu spielen. Sondern es war das Ergebnis langer persönlicher Auseinandersetzungen mit Grundfragen des Menschseins. Es sind Sinnfragen, die nicht einfach ihre Aktualität verlieren. Das Buch war und ist nicht mit dem Anspruch verbunden, lehrbuchartig Wissen zu vermitteln. Schon im Vorwort zur ersten Auflage hatte ich betont, dass sich der Inhalt nicht dazu eignet, ihn im Rahmen von Prüfungen abzufragen. Es geht mir um etwas anderes als um das Vermitteln von Lehrbuch- und Prüfungswissen. Ich hoffe, dass einige Leser und Leserinnen von den Grundfragen ähnlich betroffen sein werden, wie ich es immer noch bin. Wer dem ausweicht und das Buch allein nach formalen Wissenschafts- und Lehrbuchkriterien beurteilen will, braucht es nicht zu Ende zu lesen, um zur negativen Kritik zu kommen: ungebührlich kurzes Literaturverzeichnis, Literatur nicht auf neuem Stand, willkürliche Auswahl von Autoren, spekulatives Denken und weitere Verstösse gegen «Standards heutiger Wissenschaftlichkeit». Ich kann diese Art von Meinungsbildung nicht verhindern. Aber ich hoffe gleichwohl auf Leser und Leserinnen, welche meine Negation von Standards als Ergebnis des Ringens um Sinnfindung erkennen und anerkennen. Ich will und kann niemandem vorschreiben, Betroffenheit mit mir zu teilen. Aber ich erbitte mir soviel guten Willen, dass man meine andauernde Betroffenheit von existentiellen Sinnfragen respektiert. Ich bin allen Lesern und Leserinnen dankbar, welche die Lektüre des Buches mit dieser Haltung in Angriff nehmen.

Urs Haeberlin

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Menschenwert

1.  Problemstellung

2.  Heilpädagogik und Menschenbild

2.1   Die Fragestellungen einer heilpädagogischen Anthropologie

2.2   Gefahren von nicht-bewussten Menschenbildern

2.3   Identität als Ziel der menschlichen Entwicklung

2.4   Sozialbestimmte gegen personbestimmte Identität

3.  Konkretisierung der Problematik

3.1   Ein Fallbeispiel

3.2   Verhalten als Ausdruck von Identitätssuche

4.  Identität als Reaktion auf soziale Erwartungen

4.1   Eine sozialpsychologische Identitätstheorie als Beispiel

4.2   Deskriptive und normative Funktion der Theorie

4.3   Bewertung der Theorie als Menschenbild

5.  Identität zwischen sozialer Abhängigkeit und individueller Autonomie

5.1   Darstellung des Widerspruchs an einer sozialphilosophischen Theorie

5.2   Soziale Abhängigkeiten trotz Identitätsbewusstsein

5.3   Bewertung für das Menschenbild in der Heilpädagogik

6.  Identitätsverlust durch die totale Entfremdung

6.1   Der entfremdete Mensch in der kapitalistischen Gesellschaft

6.2   Misslingende Ausbruchversuche

6.3   Der Widerspruch zwischen Realität und Utopie

7.  Entwurf des Menschenbildes für die Heilpädagogik

7.1   Verlust der biologischen Identität als Ausgangspunkt

7.2   Beschreibung und Erklärung des Menschen als gesellschaftliches Wesen

7.2.1  Theoreme eines auf gesellschaftliche Identität reduzierten Menschenbildes

7.2.2  Gesellschaftliche Identität in einer demokratischen Gesellschaft

7.3   Postulat der Vermenschlichung zum sittlich-religiösen Wesen

7.3.1  Wertentscheidungen

7.3.2  Sinnfindung

7.3.3  Gesellschaftliche Bedingungen für Vermenschlichung

7.3.4  Normative Grundannahmen des Menschenbildes

7.4   Das ganzheitliche Menschenbild als Grundlage der Heilpädagogik

8.  Vermenschlichung als ganzheitliche Entwicklung

8.1   Ein normativer Entwicklungsbegriff

8.1.1  Entwicklung zur sittlichen Haltung

8.1.2  Entwicklung zur religiösen Haltung

8.2   Entwicklung zum «Inneren Halt»

8.2.1  Willensstärke

8.2.2  Gefühlstiefe

9.  Ein Menschenbild für den Behinderten?

Abgesang

Literaturverzeichnis

Menschenwert

Der Mensch: nichts und alles.

Von allem Laub, das vorüberging

In Jahrtausendherbsten unendlichen Falles

Ein Blatt, bald verweht, ein geringes Ding.

Sein Herz ein Funke in Myriaden

Die über des Himmels Finsternis gehn,

Von des Ewigen quellender Unrast doch ganz beladen,

An seinem verlorenen Orte tröstlich und schön.

Liebender Wollust und einer Kreissenden Marter,

In Kriegen verschwendet, verworfen und nicht gezählt,

In seinem Inneren jeder von heimlich zarter

Verwundbarkeit und vor Gott erwählt.

Seine Geschichte: Blut, Schandtat, doch für die Blüte

Der Schönheit an Domen und Sinfonien,

Für eines Auges still träumende Menschengüte

Ist ihm in Ewigkeit und von Grund auf verziehn.

Albin Zollinger

1895–1941

1.Problemstellung

Dieses Buch befasst sich mit dem Menschenbild, welches den erzieherischen Umgang des Heilpädagogen mit dem behinderten Kind beeinflussen soll. Ziel ist die gedankliche Hinführung des Lesers zur Entscheidung für die Werte der Würde und der Gleichheit aller Menschen. Das Postulat von heilpädagogischen Grundwerten finden wir schon bei . Wenn wir von seiner zeitbezogenen und oft eigenwilligen Begrifflichkeit absehen, dann kann ich behaupten, dass ich mit der Meinung bin, dass Heilpädagogik nicht einfach eine «Aufpäppelung des Schundes» und des «Abfalls der Menschheit» sei, sondern eine «Aufbauarbeit in der Richtung auf die individuelle und kollektive Menschenwürde» (1958, 550). Betrachteten wir den Behinderten als «Abfall der Menschheit», würden wir uns an einem Menschenbild orientieren, das zwischen eigentlichen Menschen und Untermenschen trennt; diese Auffassung würde unsere Einstellung und unser Verhalten gegenüber dem behinderten Kind entscheidend beeinflussen. Wenn wir hingegen dem Behinderten die gleiche Menschenwürde zusprechen wie uns selbst, dann wird sich diese Auffassung ebenfalls im Verhalten gegenüber dem behinderten Kind niederschlagen. In der vorliegenden Heilpädagogik ist die Entscheidung für die zweite Auffassung unwiderruflich gefallen. Diese Entscheidung bedeutet: Eine heilpädagogische Anthropologie darf sich nicht von einer umfassenden Anthropologie unterscheiden. Anders ausgedrückt: Wir haben uns dafür entschieden, dass für das behinderte Kind das gleiche Menschenbild Gültigkeit haben soll wie für uns selbst. Die Suche nach einem Menschenbild wird also im vorliegenden Rahmen nicht in erster Linie Suche nach einem Menschenbild für das behinderte Kind sein, sondern Suche nach einem Menschenbild, das für uns selbst Gültigkeit hat. Aufgrund der gefällten Entscheidung müssen wir ein für uns gültiges Menschenbild finden, welches im gleichen Sinne Gültigkeit für behinderte, bzw. für alle Menschen haben kann. Die Entscheidung für die gleiche Würde aller Menschen ist nicht rationallogisch begründbar. Es handelt sich um eine Wertentscheidung und ist als solche einer rationalen Begründung nicht zugänglich. Es lässt sich aber zeigen, dass derartige anthropologische Entscheidungen das praktische Handeln der Erzieher, die Erkenntnisse der Wissenschaft und Vorstellungen der Wissenschaft von den der Heilpädagogik angemessenen Erkenntnismethoden beeinflussen. Es spielt keine Rolle, ob wir uns als Praktiker oder ob wir uns als Wissenschaftler mit Heilpädagogik befassen; in beiden Fällen bildet ein Menschenbild die Grundlage unseres Tuns und unseres Erkennens.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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