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- Ein völlig neuer Weg der Selbstheilung von innen: mit unseren Mikroorganismen - Wissenschaftlich fundierter Blick auf die Darmflora und ihre immense Bedeutung für die Gesundheit - Wie und warum eine gesunde Darmflora dem Körper hilft, sich gegen Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Wehr zu setzen - Gibt einen Überblick über die Mikrobiome, listet Fragen für den Hausarzt sowie Tipps zur Prävention von Krankheiten und für die Rehabilitation der Gesundheit auf - Mit köstlichen Rezepten wie grünem Apfelkuchensmoothie, Knochenbrühe, Blaubeermuffins und geröstetes Hühnchen mit Honig für eine gesunde, ausgeglichene Verdauung
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Seitenzahl: 387
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Dr. Robynne Chutkan
DAS MIKROBIOM
Heilung für den Darm
Der revolutionäre Weg zu neuer Gesundheit von innen heraus
Dr. Robynne Chutkan
Das Mikrobiom
Heilung für den Darm
Der revolutionäre Weg zu neuer Gesundheit von innen heraus
1. deutsche Auflage 2017
E-Book ISBN: 978-3-946566-57-1
© 2017, Narayana Verlag GmbH
Titel der Originalausgabe:
The Microbiome Solution
A Radical New Way to Heal Your Body from the Inside Out
Copyright © 2015 by Robynne Chutkan
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with Avery, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
Übersetzung aus dem Englischen: Annegret Hunke-Wormser
Coverlayout: Rupa Limbu
Coverabbildungen Vorderseite: Foto Autorin © Michael Benabib, Mikroskop © Vector - shutterstock.com, Hintergrund Umriss © Ianatoma - shutterstock.com, Hintergrund Bakterien © vectorstockstoker - shutterstock.com
Abbildungen Inhalt, shutterstock.com: S. II, 192 © Ianatoma, S. V © Abree, S. 24, 138, 149, 176, 178 © StockSmartStart, S. 33, 126, 170, 187, 190, 203 © WhiteDragon, S. 34 © Prokhorovich, S. 144 © Nikitina Olga, S. 236 © bioraven, S. 241, 258, 279, 286 © Epine, S. 245 © messer16, S. 254 © vectorgirl, S. 257 © mazura1989, S. 259 © Yudina Anna, S. 267 © Natalya Levish, S. 269 © andrey oleynik, S. 273 © Suchkova Anna, S. 291 © cuttlefish84, S. 299 © Vasilyeva Larisa, S. 302 © overkoffeined, S. 309 © white snow, S. 313 © EngravingFactory, S. 314 © Olga Lobareva, S. 323 © Sketch Master
Herausgeber:
Unimedica im Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern
Tel.: +49 7626 974 970-0
E-Mail: [email protected]
www.unimedica.de
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Die Empfehlungen dieses Buches wurden von Autorin und Verlag nach bestem Wissen erarbeitet und überprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Weder die Autorin noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen
Für meine Eltern Winston und Noelle – Danke für eine schmutzige Kindheit!
Iss eine Schippe Dreck, bevor Du stirbst.
Danksagung
Einleitung: „Live Dirty, Eat Clean“
Teil 1: Die Darmbakterien und ihre Aufgaben
KAPITEL 1
Der Zoo in unserem Körper
KAPITEL 2
Mikroben, unsere Arbeiterbienen
Teil 2: Chaos im Mikrobiom
KAPITEL 3
Die Hygiene-Hypothese und die modernen Plagen
KAPITEL 4
Pharmageddon und das Antibiotika-Paradoxon
KAPITEL 5
Leiden Sie an Dysbiose?
KAPITEL 6
Sind unsere Bakterien für unsere Fettleibigkeit verantwortlich?
KAPITEL 7
Moderne Störfaktoren für das Mikrobiom
Teil 3: Zurück zur Natur
KAPITEL 8
Einführung des „Live Dirty, Eat Clean“-Plans
KAPITEL 9
Die „Live Dirty, Eat Clean“-Diät
KAPITEL 10
Die „Live Dirty“-Lebensweise
KAPITEL 11
Renaturierung als Heilungsansatz
KAPITEL 12
Bakterien statt Arzneimittel: Probiotika und andere Nahrungsergänzungsmittel
KAPITEL 13
Was Sie schon immer über Stuhltransplantationen wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
Teil 4: Die Rezepte
KAPITEL 14
Rezepte für die Mikrobiom-Lösung
Stichwortverzeichnis
Über die Autorin/Bezugsquellen
Impressum
Mein besonderer Dank gilt meinen vielen wunderbaren Patienten, die ich behandeln durfte und von denen ich im Laufe der beiden letzten Jahrzehnte so vieles lernen durfte.
Mein Mann Eric und meine Tochter Sydney haben voller Enthusiasmus und Freude an unserem andauerndem „Live Dirty, Eat Clean“-Experiment teilgenommen. Ich bin beiden sehr dankbar dafür.
Und ein herzliches Dankeschön geht an mein tolles Team bei Avery – Lucia Watson, Gigi Campo, Megan Newman, Anne Kosmoski und an Toni Sciarra Poynter und Howard Yoon. Ihr sorgt dafür, dass Bücher schreiben eine Menge Spaß macht.
Mein Mann ist nicht ganz mit meinem Vorhaben einverstanden, unser Haus in der Stadt zu verkaufen, auf einen Bauernhof zu ziehen, unsere eigenen Tiere zu halten und unser Obst und Gemüse selbst anzubauen. Da aber vieles in den Regalen der Supermärkte voller chemischer Substanzen und ohne jegliche echte Nährstoffe ist, scheint es mir eine gute Idee zu sein, unsere gesamte Nahrung selbst zu kontrollieren und sicherzustellen, dass sie aus der Natur und nicht aus der Fabrik kommt. Glücklicherweise leben wir in Washington, D. C., wo es viele Bauernmärkte und die Community Supported Agriculture (CSA) gibt, eine Versorgungsgemeinschaft von Landwirten und Verbrauchern – auf eine echte Farm zu ziehen, mag also etwas übertrieben erscheinen. Der eigentliche Grund aber ist: Ich möchte, dass meine Tochter in einer im wahrsten Sinne des Wortes schmutzigen Umgebung aufwächst – mit wenig Seife und Shampoo, dafür mit vielen dreckigen Aufgaben, die Tiere mit sich bringen. Ich habe über ihre Geschichte und ihr Pech mit Antibiotika in meinem ersten Buch Gutbliss berichtet. Seitdem habe ich Hunderte Patienten mit ähnlichen Geschichten gesehen und bin heute mehr denn je davon überzeugt, dass ein geschädigtes Mikrobiom – die Billionen von Organismen, die unseren Verdauungstrakt besiedeln – die Ursache vieler unserer heutigen gesundheitlichen Probleme ist. Herauszufinden, wie man diesen Schaden beheben kann und wie wir uns „renaturieren“ können, ist zum wichtigsten Anliegen meiner Arbeit als Ärztin und zu einer persönlichen Entdeckungsreise in unserem eigenen Haushalt geworden. Ein wenig „schmutziger“ zu leben und ein wenig „sauberer“ zu essen, ist ohne Frage ein wichtiger Teil der Lösung.
Unsere Vorfahren hatten eine symbiotische Beziehung zu ihren Mikroben, die sich über Millionen von Jahren entwickelt hatten und ihnen gute Dienste leisteten. Sie waren gute Wirte einer großen Zahl mikroskopisch kleiner Kreaturen, darunter Würmer und andere Parasiten, die ihrer Gesundheit zuträglich waren. Für sie ging die größte Bedrohung von Raubtieren und Nahrungsmangel aus, nicht von Hunderten von Krankheiten, die uns heute zu schaffen machen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass wir mit den vielen Anstrengungen, uns und unsere Umgebung zu „entnaturieren“, um gesünder zu werden, im Grunde genommen in einigen wichtigen Punkten sehr viel kränker geworden sind.
Die Urbanisierung und die moderne Medizin haben unser Leben zweifellos verbessert, aber sie haben auch neue Praktiken mit sich gebracht – übermäßigen Einsatz von Antibiotika, Chlorung des Trinkwassers, industriell verarbeitete Nahrungsmittel voller chemischer Substanzen und Hormone, Mikroben zerstörende Pestizide, die wachsende Anzahl von Kaiserschnitt-Geburten –, die unser Mikrobiom verwüstet haben, indem die Anzahl der Organismen vermindert wurde – ebenso wie ihre Vielfalt. Die Folge ist eine große Bandbreite moderner Krankheiten, einschließlich Asthma, Allergien, Autoimmunerkrankungen, Diabetes, Fettleibigkeit, Krebs, Reizdarmsyndrom, Angstzustände und Herzerkrankungen. Der Anstieg dieser Krankheiten ist untrennbar mit dem schonungslosen Angriff auf unser Mikrobiom verbunden und eine Folge unserer übermäßig hygienischen Lebensweise.
Wer wusste schon vor zehn Jahren, dass jedes während der Erkältungs- und Grippesaison verordnete Antibiotikum uns einer Morbus-Crohn-Diagnose näher bringen oder dafür sorgen konnte, dass wir dicker werden? Keiner von uns Ärzten, die solche Rezepte ausstellten, war sich bewusst, dass er mit seinem wohlmeinenden Versuch, einen Schnupfen zu heilen, vermutlich den Weg zu einer echten Krankheit ebnete. Die vorherrschende Lehrmeinung war – und ist es teilweise auch heute noch –, dass Keime schlecht sind und wir sie loswerden müssen und dass Antibiotika gut sind und wir sie einnehmen sollten. Und genau das haben wir getan: Ein durchschnittliches US-amerikanisches Kind wird wegen vorwiegend unbedeutender Erkrankungen, die nicht behandelt werden müssten, mehr als ein Dutzend Mal mit Antibiotika behandelt, bevor es ins College kommt. Obwohl umfassende Forschungsarbeiten in den letzten Jahren die Zusammenhänge aufgedeckt haben, beharren viele Ärzte und deren Patienten auf ihrem Standpunkt und machen für jedes Zeichen einer mikrobiellen Störung missliche Umstände oder schlechte Gene verantwortlich, ohne jemals die Grundursache zu hinterfragen oder zu verstehen.
Ich selbst habe es erst verstanden, nachdem meine Tochter bei der Geburt und während der gesamten Kindheit mit Antibiotika behandelt wurde, die eine Reihe von Vorfällen auslösten, die ihre Gesundheit auch heute noch, zehn Jahre später, beeinträchtigen. Ich habe meine Ausbildung in hervorragenden Einrichtungen erhalten und habe an einem führenden Lehrkrankenhaus als Gastroenterologin gearbeitet, hatte aber, wie die meisten Ärzte, keine Vorstellung davon, dass genau die Antibiotika, die ich für so hilfreich hielt, tatsächlich zu Krankheiten führten, indem sie das Mikrobiom meiner Tochter in einer Zeit schwächten, in der es am empfindlichsten war, und sie damit anfälliger für Infektionen und Entzündungen machten. Ich wünschte, ich hätte damals gewusst, was ich heute weiß und Tag für Tag dazulerne: Dass Krankheit häufig die Folge einer zu geringen und nicht einer zu hohen Menge von Bakterien ist und dass weniger oft mehr ist, wenn es um eine medizinische Intervention geht.
In meiner gastroenterologischen Praxis sehe ich täglich Patienten mit Anzeichen eines gestörten Mikrobioms: Völlegefühl, Leaky-Gut-Syndrom, Reizdarm, Glutenunverträglichkeit, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Ekzeme, Schilddrüsenstörungen, Gewichtsprobleme, Müdigkeit und eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit. Dr. Martin Blaser, ein Spezialist für Infektionskrankheiten, beschreibt es als eine regelrechte Epidemie „fehlender Mikroben“. Die Symptome variieren, aber die Geschichte ist immer die gleiche: Die übereifrige Einnahme von Antibiotika, oft begleitet von einer westlichen Ernährung, die aus vielen industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln, aber wenigen unverdaulichen Pflanzenfasern besteht – der bevorzugten Nahrung der Darmbakterien.
Die Neubesiedelung des Mikrobioms kann zu einem schwierigen Unterfangen werden, aber die gute Nachricht ist, dass es den meisten Menschen dann besser geht. Die Mikroben ändern sich und entwickeln sich ständig weiter, und selbst wenn sie durch Arzneimittel, Entzündungen oder die Ernährung schwer geschädigt wurden, kann die Situation enorm verbessert werden, indem man darauf achtet, was man seinem Körper sowohl innen als auch außen zumutet. Ihr Mikrobiom von heute ist nicht das, mit dem Sie geboren wurden, und auch nicht das, das Sie im nächsten Jahr oder in der kommenden Woche haben werden. Es ist hochdynamisch, verändert sich ständig und passt sich an die innere und äußere Umgebung an.
Im Studium habe ich gelernt, wie man Keime ausrottet. Ein Vierteljahrhundert später bringe ich meinen Patienten bei, wie sie ihren eigenen zu neuem Leben verhelfen können: Welche Nahrungsmittel sie essen sollten, wie sie ihren Körper und ihr Zuhause pflegen können, ohne ihre Mikroben zu zerstören, welche Fragen sie stellen sollten, wenn ihr Arzt ihnen Antibiotika empfiehlt, und ob ein Probiotikum oder sogar eine Stuhltransplantation nützlich sein könnten. Dies sind meiner Meinung nach die neuen und unverzichtbaren Überlebenstechniken, um in unserer sauberen Welt gesund zu leben. Sie alle sind in dem „Live Dirty, Eat Clean“-Plan am Ende dieses Buches näher erläutert.
Ich habe meine frühe Kindheit in den Tropen verbracht und gegessen, was auf der Farm meines Großvaters auf fruchtbarem Boden wuchs, der von einer Herde von Ziegen (die wir manchmal auch aßen) statt mit chemischen Substanzen gedüngt wurde. Wir lebten in den Hügeln am Stadtrand, streunten nach der Schule mit unserem Hund herum, erforschten Wassergräben, pflückten Mangos und Orangen von den Bäumen in unserem Garten und zogen uns gelegentlich Madenwürmer zu, weil wir immer barfuß unterwegs waren. Bei uns zu Hause wurde viel Wert auf Schularbeiten und sportliche Aktivitäten gelegt, aber Schuhe, Duschen und Shampoo waren mehr oder weniger freigestellt. Mein Vater war Orthopäde und Chirurg, der große Angst davor hatte, seine Kinder würden sich zu Hypochondern entwickeln. Egal, was uns plagte – von einer Erkältung bis hin zu einem verstauchten Knöchel –, sein medizinischer Rat lautete immer: Leg dich ins Bett, morgen früh wirst du dich besser fühlen. Wir wurden gegen die ernsten Sachen (Polio und Pocken) geimpft, aber nicht gegen die weniger wichtigen (Keuchhusten und Windpocken). Meine Tochter war häufiger beim Arzt, bevor sie in den Kindergarten kam, als ich in meinem ganzen Leben.
Wie also konnte es passieren, dass ich trotz meiner schmutzigen Kindheit mit biologisch angebauter Nahrung, schützenden Parasiten, viel Zeit in der freien Natur und wenig Berührung mit einer übereifrigen medizinischen Versorgung als Erwachsene schließlich nicht nur an einem, sondern gleich an drei Symptomen einer mikrobiellen Störung litt – Ekzeme, Rosazea und Überbesiedelung mit Hefepilzen? Es dauerte eine Weile, bis ich es herausgefunden hatte. Es war mir gelungen, starke mikrobielle Störfaktoren wie die Antibiotika, die mir im College gegen Akne verschrieben wurden, und die Antibabypille über einen Zeitraum von 20 Jahren ohne negative Auswirkungen zu überstehen. Als das Leben dann aber komplizierter wurde, waren unablässiger Stress und die Kekse, Kuchen und Süßigkeiten, die ich konsumierte, um ihn zu bekämpfen, letztendlich mein Verderben. Die westliche zucker- und fettreiche Ernährung fördert das Wachstum der falschen Bakterienstämme im Darm und eine Lebensweise, die keine Zeit lässt, nach draußen zu gehen und den Duft der Rosen wahrzunehmen. Sie kann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, vor allem, wenn zusätzliche Risikofaktoren vorliegen, wie in meinem Fall zahlreiche Antibiotikatherapien.
Meine persönliche Erfahrung, wie mangelhafte Ernährung und Stress die Auswirkungen eines geschädigten Mikrobioms zum Vorschein bringen und zu einer Vielzahl von Symptomen führen können, ist typisch für das, was die meisten meiner Patienten erlebt haben: eine Verschlechterung des allgemeinen Wohlbefindens, gekennzeichnet durch unzusammenhängende Erkrankungen, die aus dem Nichts auftauchen und den Betreffenden ratlos zurücklassen.
Störfaktoren für das Mikrobiom sind überall – in den Speisen, die wir zu uns nehmen, unserem Trinkwasser, den Produkten, die wir verwenden, und den Arzneimitteln, die wir einnehmen – und die klinischen Krankheitsbilder eines gestörten Mikrobioms sind unterschiedlich und treten bei Menschen jeder Altersgruppe und in jeder Lebensphase auf. Vermutlich gibt es auch in Ihrer Familie jemanden mit Asthma, Allergien, Ekzemen, Thyreoiditis, Diabetes, Arthritis oder einer der vielen anderen Störungen, die, wie wir jetzt herausfinden, die gleiche Grundursache haben. Ein gestörtes Mikrobiom ist nicht die einzige Ursache für diese Krankheitsbilder, aber es ist oft ein maßgeblicher Faktor, der mit den genetischen und umweltbedingten Faktoren interagiert und dann einen Krankheitsschub auslöst. Deshalb ist es wichtiger als jemals zuvor zu verstehen, wie komplex und wichtig die Rolle der Bakterien ist, wenn es um unsere Gesundheit geht, damit man, falls und wenn das Mikrobiom gestört ist, anfangen kann sich selbst zu heilen.
Die in diesem Buch vorgestellten Lösungen basieren auf klinischen Tests, die wir bei unseren Patientinnen im Digestive Center for Women durchgeführt haben, auf Daten aus anderen wissenschaftlichen Studien, veröffentlichten Aufsätzen, der Versuch-Irrtum-Methode, Schilderungen von Patienten, die berichtet haben, was bei ihnen gewirkt hat, sowie auf einer seit fast 20 Jahren durchgeführten sorgfältigen Beobachtung von Menschen mit allen Symptomen eines gestörten bakteriellen Gleichgewichts – von schweren Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa bis hin zu Beschwerden wie Blähungen und Völlegefühl. Sie beruhen außerdem auf der Erforschung meiner eigenen gesundheitlichen Probleme und ihrer Heilung.
Das neue Verständnis, Bakterien eher als Freund denn als Feind zu sehen, steht im Zentrum einer revolutionären Entwicklung im Gesundheitswesen, die uns dazu zwingt, unsere Lebensweise, aber auch unsere medizinischen Verfahren mit neuen Augen zu überprüfen und zu bedenken, wie sich unser modernes Leben und unsere täglich getroffenen Entscheidungen auf das Leben unserer Mikroben auswirken – und wie unsere Mikroben ihrerseits uns beeinflussen. Klar geworden ist in jedem Fall, dass die Gesundheit des Einzelnen und die Gesundheit von uns allen davon abhängt. Meine aufrichtige Hoffnung ist, dass dieses Buch Ihnen die Mikrobiom-Lösung an die Hand gibt, die Sie dabei unterstützt, Ihre Gesundheit und Vitalität wiederzuerlangen und den Weg eines schmutzigeren Lebens ohne Krankheiten einzuschlagen.
Bis bald, wir sehen uns auf der Farm!
Die Mikroorganismen in unserem Körper sind an jedem Aspekt unserer Gesundheit beteiligt – sie sorgen nicht nur dafür, dass unserer Verdauung richtig funktioniert, sondern haben auch Einfluss auf eine mögliche Fettleibigkeit sowie auf das Risiko, an Krebs oder Diabetes zu erkranken. Sie spielen sogar eine Rolle, wenn es um die chemischen Vorgänge in unserem Gehirn und unsere geistige Gesundheit geht, weil sie unsere Stimmung, unsere Emotionen und unsere Persönlichkeit beeinflussen. Wir sind, wie es scheint, einzelne Individuen, die aus zahlreichen lebenden, atmenden, beweglichen Teilchen bestehen. Je mehr wir über diese faszinierende Gemeinschaft aus Kleinstlebewesen lernen, desto deutlicher wird, dass unser und ihr Schicksal untrennbar miteinander verbunden sind und dass es deshalb unerlässlich ist, mehr darüber zu erfahren, woher unsere Mikroben kommen, was sie bewirken und warum wir im wahrsten Sinne ohne sie nicht leben können.
Das Mikrobiom bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die in oder auf unserem Körper leben: Alle Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen oder Urtierchen und Helminthen (oder Würmer) sowie die Gesamtheit der Gene dieser Mikroorganismen. Schwindelerregende hundert Billionen Mikroben, die sich aus Tausenden unterschiedlichen Arten zusammensetzen, besiedeln jeden Winkel unseres Körpers – allein in einem Tropfen Dickdarmflüssigkeit lebt mehr als eine Milliarde Bakterien.
Der einzigartige mikrobielle Fußabdruck eines Menschen entwickelt sich im Laufe seines gesamten Lebens und spiegelt alles über ihn wider: Die Gesundheit der Eltern, wie und wo er geboren wurde, wie er sich ernährt hat (auch, ob die ersten Schlucke aus der Brust oder aus dem Fläschchen kamen), wo er gelebt hat, den Beruf, die Körperpflege, Infektionen in der Vergangenheit, Exposition gegenüber Chemikalien und Toxinen, verordnete Medikamente, den Hormonstatus und sogar die Emotionen (Stress kann sich nachhaltig auf das Mikrobiom auswirken). Das Endergebnis ist eine mikrobielle Mischung, die von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ist, dass sie einen Menschen noch genauer kennzeichnet als die DNA.
Das Mikrobiom ist seit den 1600er-Jahren bekannt, als Antoni van Leeuwenhoek erstmals seinen eigenen Zahnbelag unter einem Mikroskop untersuchte und „kleine lebende, hübsch herumtanzende animalcules“ beschrieb. Es hat allerdings einige Jahrhunderte gedauert, bis wir herausgefunden haben, dass diese Weggefährten im Grunde genommen eher hilfreich als hinderlich sein können und einen speziellen Zweck verfolgen, der eng mit unserem eigenen Überleben verbunden ist. Die überwältigende Mehrheit unserer Mikroben sind keine Keime, die Krankheiten verursachen. Ganz im Gegenteil – sie sind ein unerlässlicher Teil unseres Ökosystems und spielen eine entscheidende Rolle beim Erhalt unserer Gesundheit.
Wie werden wir von keimfreien Föten zu lebenden, atmenden Petrischalen, besiedelt von Billionen Bakterien? Wir wollen uns, von der Wiege bis zur Bahre, aus der Nähe ansehen, wie sich unser Mikrobiom allmählich herausbildet und welche entscheidende Rolle es in jedem einzelnen Stadium unserer Entwicklung spielt.
Lange vor der Geburt beginnt das Mikrobiom der Mutter, Vorkehrungen für die Ankunft des Kindes zu treffen. Eine der dramatischsten Veränderungen findet in ihrer Vagina statt. Während der Schwangerschaft erhöhen die Zellen in der Vaginalschleimhaut die Produktion eines Glykogen genannten Kohlenhydrats, versetzen damit Glykogen liebende Milchsäurebakterien in einen Fressrausch und erhöhen so deren Anzahl. Milchsäurebakterien wandeln Laktose und andere Zucker in Milchsäure um und erzeugen auf diese Weise eine saure, unfreundliche Umgebung, die dazu beiträgt, den wachsenden Fötus vor möglichen Eindringlingen zu schützen.
Bakterien schützen uns nicht nur vor unerwünschten Keimen, die über die Vagina in den Körper gelangen können, sie dienen uns auch als Nahrung. Im letzten Drittel der Schwangerschaft steigt die Zahl der Arten der Proteobakterien und Aktinobakterien und zieht einen entsprechenden Anstieg des Blutzuckerspiegels und eine Vergrößerung der Brust der werdenden Mutter nach sich, um ein angemessenes Wachstum und ausreichend Muttermilch für das Baby zu gewährleisten. Darmbakterien von Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel, die auf nicht trächtige Mäuse übertragen werden, haben bei diesen identische Auswirkungen, was bestätigt, dass die Veränderungen durch Darmbakterien und nicht durch Hormone zustande kommen.
Zusätzlich zur Grundausstattung an Bakterien werden schützende Antikörper über die Plazenta der Mutter an den Fötus weitergegeben. Ausgestattet mit diesen Antikörpern und unseren eigenen wenigen, aber beherzten mikrobiellen Kämpfern sind wir für den Eintritt in die Welt bereit. Doch wie wir auf die Welt kommen, ist nicht nur eine Frage der Annehmlichkeit, sondern hat bis ins Erwachsenenalter weitreichende mikrobielle Auswirkungen auf unsere Gesundheit.
Während einer normalen Entbindung dreht sich der Kopf des Kindes in Richtung des Rektums der Mutter, während es den Geburtskanal passiert und dann verlässt. Durch diese Drehung kommen die Nase und der Mund des Kindes mit dem vaginalen und rektalen Inhalt in direkten Kontakt. Gibt es eine bessere Methode, ausreichend Bakterien mit auf den Weg zu bekommen, als direkt aus der Quelle versorgt zu werden? Eine in der medizinischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichte Studie hat aufgezeigt, dass vaginal geborene Babys mit Lactobacillus-Spezies und anderen „guten Bakterien“ besiedelt sind, während Kaiserschnitt-Babys eher „schlechte Keime“ wie Staphylokokken aufweisen, die mit Krankheit und Infektionen assoziiert werden.
Dieser kurze Vorgang der Aufnahme mütterlicher Mikroorganismen während der Geburt ist von immenser Wichtigkeit. Es hat sich herausgestellt, dass der Kontakt mit Bakterien ein entscheidender erster Schritt in der Entwicklung des Immunsystems ist. Kaiserschnitte, bei denen dieser äußerst wichtige Vorgang umgangen wird, werden mit einem höheren Aufkommen von Asthma, Allergien, Fettleibigkeit, Typ-1-Diabetes und anderen Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht.
Ich werde in Kapitel 3 näher auf die Bedeutung des frühen Kontakts mit Bakterien sowie auf die Zivilisationskrankheiten, die daraus resultieren, dass wir nicht genug von ihnen haben, eingehen.
Humane Milch-Oligosaccharide (HMOs) sind der dritthäufigste Inhaltsstoff von Muttermilch, obwohl sie für Säuglinge gänzlich unverdaulich sind. HMOs sind unverdaulich, weil sie nicht dazu da sind, das Baby, sondern dessen Bakterien zu nähren – insbesondere die Bifidobakterien, die bei gestillten Säuglingen in großen Mengen zu finden sind. Bifidobakterien wehren Staphylokokken und andere schädliche Mikroorganismen auf der Brustwarze der Mutter ab, spielen also im mikrobiellen Vorrat des Babys eine wesentliche Rolle. Während Bifidobakterien sich von HMOs ernähren, spalten Laktobazillen im Darm des Neugeborenen Zucker und andere verdauliche Bestandteile der Muttermilch auf – ein unglaublich gelungenes Beispiel für die symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Mikroben.
In den USA haben gestillte Babys eine um erstaunliche 20 Prozent höhere Überlebensrate als ihre mit Säuglingsnahrung gefütterten Altersgenossen. Ich werden auf die besorgniserregende Entwicklung, Säuglingsnahrung der Muttermilch vorzuziehen, in Kapitel 7 näher eingehen, wo ich die mikrobiellen Auswirkungen einiger unserer modernen Praktiken beleuchten werde.
Kleinkinder nehmen alles irgendwann in den Mund. Auf diese Weise interagieren sie mit ihrer Umgebung. Außerdem ist dies einer der Wege, auf denen unsere Umgebung mit unserem Mikrobiom interagiert, indem Bakterien aus unserer Wohnung, von unseren Geschwistern und sogar unseren Haustieren in unseren Darm gelangen und dazu beitragen, unser Immunsystem darauf zu trainieren, Freund von Feind unterscheiden zu können. Faktoren wie die Größe der Familie, die frühkindliche Ernährung und die Qualität unseres Trinkwassers wirken sich tiefgreifend auf unser heranreifendes Mikrobiom aus.
Es ist wenig verwunderlich, dass das Mikrobiom im Kleinkindalter dem der anderen Familienmitglieder, vor allem dem der Mutter, am ähnlichsten ist.
Aber es verändert sich ständig und entwickelt sich weiter, die Bakterien differenzieren sich. Das Mikrobiom reagiert auch auf Fieber, auf eine Ernährungsumstellung, auf eine Behandlung mit Antibiotika. Innerhalb weniger Wochen nach der Geburt beginnen die Bakterien in den verschiedenen Bereichen unseres Körpers aktiv zu werden und sich zu spezialisieren, und innerhalb weniger Monate nimmt die Zahl der Arten allmählich zu. Sie steigt von etwa einhundert im Kleinkindalter bis zu eintausend oder mehr im Erwachsenenalter.
Im Alter von drei Jahren ist unser Mikrobiom fast vollständig ausgebildet und ähnelt in hohem Maße bereits dem eines Erwachsenen, obwohl größere Veränderungen wie die Pubertät, das Einsetzen der Menstruation, eine Schwangerschaft und die Menopause mit immensen mikrobiellen Veränderungen einhergehen. Einige der körperlichen Veränderungen, die mit der Pubertät in Zusammenhang stehen, beispielsweise die erhöhte Fettproduktion, die zu Akne führen kann, oder ein strengerer Körpergeruch in den Achselhöhlen und in der Leistengegend, sind im Grunde genommen die Folge einer Veränderung der Bakterienbesiedlung, da unterschiedliche Arten mehr oder weniger überwiegen.
Als Senioren haben wir einen Großteil unserer bakteriellen Diversität verloren, und unser Mikrobiom ähnelt immer mehr dem der anderen Mitglieder unserer Altersgruppe. Verschiebungen innerhalb unterschiedlicher mikrobieller Populationen finden zwar weiterhin statt, mit zunehmendem Lebensalter wird unser Mikrobiom aber stabiler und kehrt sogar nach Ereignissen wie Infektionen oder Antibiotikatherapien tendenziell zu seiner zuvor aufgebauten Ausgangsbasis zurück.
Wie beginnen unser Leben im Mutterleib ohne jegliche Mikroben, und irgendwann sind es dann Billionen. Was geschieht mit all diesen Mikroben, wenn wir sterben? Interessanterweise werden die Mikroorganismen nicht recycelt. Sie sterben mit uns, und jede nachfolgende Generation durchlebt ihren eigenen Zyklus der mikrobiellen Wiedergeburt. Sie starten bei null und arbeiten sich zu einer unglaublich gut ausgestatteten mikrobiellen Welt hoch, die hervorragend (hoffentlich!) an die Bedürfnisse jeder einzelnen Generation angepasst ist.
Die Artenvielfalt spielt eine wesentliche Rolle, wenn es um den Erhalt eines ausgewogenen Ökosystems in der Außenwelt geht. Sie ist aber ebenso wichtig für die mikroskopische Welt in unserem Körper. Unglücklicherweise ist durch das moderne Leben und die damit einhergehende Zerstörung von Mikroben ein Erbe entstanden, das in jeder nachfolgenden Generation aus immer weniger Vielfalt besteht, die eine Folge unseres Arzneimittelkonsums, unserer industriell verarbeiteten Nahrung und unserer übermäßig keimfreien Lebensweise ist. US-Amerikaner von heute weisen nur etwa zwei Drittel der Bakterienarten auf wie die indigene Bevölkerung am Amazonas, die nicht mit Antibiotika in Kontakt gekommen ist. Im zweiten Teil dieses Buches werden wir erfahren, dass die Wiederherstellung dieser verloren gegangenen Mikroben gezielte Maßnahmen erforderlich macht.
Obwohl es kein perfektes Mikrobiom gibt, sind einige von uns ohne Frage gesünder als andere, trotz unglaublicher Schwankungen auch in diesem Bereich. Im Rahmen des Human Microbiome Project und anderer Forschungsprojekte wird untersucht, wie das „normale“ menschliche Mikrobiom heute aussieht – in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich unsere mikrobielle Flora verändert, ein wichtiges Unterfangen. Firmen wie uBiome ermöglichen es dem interessierten Bürger, seine eigene mikrobielle Flora zu katalogisieren, sie mit anderen zu vergleichen und neu zu bewerten, wenn sich die Ernährung und die Lebensumstände verändert haben.
Das menschliche Mikrobiom könnte gut das nächste große Kapitel in der Medizin werden, das Antworten darauf liefert, warum wir krank werden, und neue Lösungen bietet, uns selbst zu heilen. Im nächsten Kapitel erfahren wir mehr darüber, was Darmbakterien – außer der Erzeugung von Gasen – eigentlich tun, und warum sie für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen so wichtig sind.
Stellen Sie sich Ihren Körper wie eine Fabrik vor. Organe wie die Lunge, die Nieren und die Leber sind die Maschinen, die die Produktion in Gang halten: Sauerstoffaufnahme, Blutfilterung, Ausleitung von Toxinen, Hormonsynthese und all die anderen komplizierten Prozesse, die uns am Leben erhalten. Einige dieser Prozesse sind automatisiert, aber die meisten dieser Produktionslinien bedürfen ständiger Überwachung, Wartung und Regulierung.
Die Maschinen haben wir in uns, aber wer bedient sie? Was geschieht eigentlich bei einem so komplexen Prozess wie beispielsweise der Verdauung? Wer trägt dazu bei, die Nahrung aufzuspalten, und wer entscheidet, was resorbiert und was ausgeschieden wird? Wie wird zwischen einer echten Infektion und einer Besiedlung mit harmlosen Bakterien unterschieden? Wer sagt unserem Immunsystem, wann es die Truppen mobil machen soll und wann es gutartige Eindringlinge, die keine Bedrohung darstellen, ignorieren soll?
Das machen unsere Mikroben! Wir beherbergen seit Millionen von Jahren eine unglaubliche Armee mikrobieller Arbeiterbienen, die gewinnbringend unsere Körperfunktionen unterstützen. Sie produzieren Substanzen, die unser Körper nicht herstellen kann. Sie schlagen die meisten unserer Schlachten für uns. Sie regulieren sogar unsere Gene, indem sie diejenigen aktivieren, die wir benötigen, und die abbauen, die wir nicht brauchen. Als Gegenleistung bieten wir ihnen Kost und Logis.
Da wir ihre Gastgeber sind und ihr Überleben von uns abhängt, werden die meisten unserer Mikroben für unser Wohlergehen tätig, obwohl sie sich unter bestimmten Umständen auch gegen uns wenden und beispielsweise Infektionen oder sogar Krebs verursachen können. Unsere mikroskopisch kleinen Mitbewohner lassen sich in drei Hauptgruppen unterteilen:
1. Kommensale Bakterien, die friedlich mit uns zusammenwohnen.
2. Symbiotische Organismen (auch mutualistisch genannt), die dafür sorgen, dass wir gesund bleiben.
3. Krankheitserreger (auch als opportunistische Flora bezeichnet), die uns schaden können.
Die meisten menschlichen Bakterien lassen sich grob in vier Stämme oder Familien einteilen: Actinobacteria, Firmicutes, Proteobacteria und Bacteroidetes, die sich jeweils aus vielen unterschiedlichen Arten zusammensetzen. In den unterschiedlichen Bereichen des Körpers siedeln je nach Sauerstoffgehalt, Feuchtigkeit und Durchblutung unterschiedliche mikrobielle Gemeinschaften.
Beim Menschen vorherrschende Bakterien
Ort
Bakterien
Haut
Staphylococci, Corynebacteria
Nase
Staphylococci, Corynebacteria
Mund
Streptococci, Lactobacilli
Rachen
Streptococci, Neisseria
Magen
Helicobacter pylori
Dünndarm
Bifidobacteria, Enterococci
Dickdarm
Bacteroides, Enterococci, Clostridia
Urinaltrakt
Staphylococci, Corynebacteria
Vagina
Milchsäurebakterien
Anaerobe Arten, die keinen Sauerstoff benötigen, herrschen im Darm vor. Staphylokokken sind auf der Haut zu finden, und die gleichen Streptokokken, die für Schweizer Käse verwendet werden, leben in der Mundhöhle und in den oberen Atemwegen. Es gibt pathogene (d. h. krankheitserregende) Formen all dieser Bakterien, aber diejenigen, die uns tagtäglich begleiten, sind meistens harmlos, vor allem, wenn sie durch angemessene Mengen ihrer symbiotischen Verwandten in Schach gehalten werden.
Ein Enterotyp ist eine auf dem Ökosystem im Darm basierende Klassifizierung und eine Möglichkeit, Menschen auf der Grundlage der relativen Häufigkeit unterschiedlicher Arten zu klassifizieren. 2011 beschrieb der Forscher Peer Bork drei spezifische Enterotypen beim Menschen: hohe Mengen an Bacteroides charakterisieren Typ 1, während bei Typ 2 wenige Bacteroides, dafür aber viele Prevotella auftreten und bei Typ 3 vorwiegend Ruminococcus vorhanden sind. Die verschiedenen Enterotypen scheinen weder von Alter, Geschlecht oder der Nationalität beeinflusst zu sein, sondern werden vor allem durch die langfristige Ernährung bestimmt. Eine an Eiweiß und tierischem Fett reiche westliche Ernährung wird mit Bacteroides (Typ 1) in Verbindung gebracht, während die Prevotella-Arten (Typ 2) bei jenen dominieren, die mehr Kohlenhydrate, insbesondere Ballaststoffe, konsumieren. Die verschiedenen Enterotypen werden mit einer Prädisposition für bestimmte Krankheiten wie Fettleibigkeit und Entzündungen assoziiert, was bestätigt, dass die Nahrung sich in erheblichem Maße auf den Gesamtgesundheitszustand auswirkt. In der Zukunft wird es vielleicht möglich sein, auf den jeweiligen Enterotypen zugeschnittene Nahrungsmittel und Probiotika zu verordnen, die auf der Grundlage der vielen unterschiedlichen Spezies für eine maximale Wirksamkeit entwickelt wurden.
Symbiotische Organismen – die lebensnotwendigen guten Bakterien – erfüllen viele wichtige Aufgaben. Sie unterstützen bei der Verdauung der Nahrung, sorgen für die Instandhaltung der Darmschleimhaut (Teil der epithelialen Barriere, die den Darminhalt vom Rest des Körpers getrennt hält), verdrängen schädliche Bakterien und trainieren das Immunsystem darauf, Freund von Feind zu unterscheiden. Darüber hinaus konvertieren sie Zucker in kurzkettige Fettsäuren (SCFAs), die von den Darmzellen für die Energiegewinnung genutzt werden, und sie synthetisieren viele der Enzyme, Vitamine und Hormone, die wir nicht selbstständig produzieren können. Ohne diese überaus wichtigen Darmbakterien kann die Nahrung nicht angemessen aufgespalten und die Bestandteile der Nahrung können nicht vollständig resorbiert werden. Das bedeutet, dass man, wenn sie nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind, selbst bei einer sehr gesunden Ernährung eventuell nicht in der Lage ist, alle Vitamine und Nährstoffe in der Nahrung zu resorbieren.
Die Mehrzahl der Bakterien im Darm ist anaerob, sie bewegen sich also in Bereichen mit wenig oder gar keinem Sauerstoff. Die Anzahl der Bakterien nimmt im Verdauungstrakt von oben nach unten zu – im Magen und im Dünndarm sind also viel weniger angesiedelt als im Dickdarm. Einige Bakterienspezies siedeln sich in der Darmschleimhaut an, während andere den Darm nur passieren und sich bisweilen während der Passage reproduzieren, bevor sie mit dem Stuhl ausgeschieden werden.
Die Aufgaben der Darmbakterien
• Umwandlung von Zucker in kurzkettige Fettsäuren (SCFAs) zur Energiegewinnung
• Abwehr von Krankheitserregern
• Verdauung von Nahrung
• Unterstützung bei der Resorption von Nährstoffen wie Kalzium und Eisen
• Aufrechterhaltung des pH-Werts
• Erhaltung der Unversehrtheit der Darmschleimhaut
• Verstoffwechselung von Arzneimitteln
• Modulation von Genen
• Neutralisierung krebserregender Bestandteile
• Produktion von Verdauungsenzymen
• Synthetisieren der B-Komplex-Vitamine (Thiamin, Folsäure, Pyridoxin)
• Synthetisieren fettlöslicher Vitamine (Vitamin K)
• Synthetisieren von Hormonen
• Training des Immunsystems, Freund von Feind zu unterscheiden
Die Verdauung ist nicht der einzige Prozess, der von den Darmbakterien abhängig ist. Die Exposition gegenüber vielen unterschiedlichen Mikroorganismen, sowohl guten als auch schlechten, ist für die Stärkung und das Training des Immunsystems unerlässlich, um später zwischen harmlosen Organismen, die es ignorieren sollte, und gefährlichen Krankheitserregern, auf die es reagieren muss, unterscheiden zu können. In Kapitel 7 werden wir uns näher damit befassen, was passiert, wenn die Umgebung keimfrei gehalten und auf die wichtige frühe Mikrobenexposition verzichtet wird.
Wir haben etwa 23.000 menschliche Gene in uns und 8 Millionen mikrobielle Gene. Ergebnisse groß angelegter Studien zum menschlichen Mikrobiom weisen darauf hin, dass Darmbakteriengene eine wichtige Rolle spielen. Sie liefern Instruktionen für wesentliche Funktionen wie den Kohlenhydratstoffwechsel und die enzymatische Entgiftung – Instruktionen, die beim menschlichen Genom fehlen. Darüber hinaus haben Bakterien Einfluss darauf, welche Krankheiten sich manifestieren werden. Sie reagieren auf das innere Milieu des Körpers, das Einfluss darauf haben kann, ob eine Krankheit, für die eine genetische Prädisposition vorliegt, wirklich zum Ausbruch kommt oder nicht, und sie schalten die verschiedenen menschlichen Gene ein und aus. Genmodulationen durch Bakterien erklären möglicherweise, warum Erbkrankheiten nicht immer alle Familienmitglieder betreffen – nicht einmal bei eineiigen Zwillingen, die zwar die gleichen Gene haben, aber von unterschiedlichen Mikroben besiedelt sind.
Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass einige Menschen nie krank werden, obwohl alle anderen erkältet sind? Sie waren vermutlich dem gleichen ansteckenden Virus ausgesetzt, konnten aber, da sie ein gesünderes Mikrobiom mit einer höheren Anzahl nützlicher Mikroorganismen besitzen, die Krankheitserreger abwehren und gesund bleiben. Durch Antibiotika kann man im Grunde genommen anfälliger für Infektionen werden, weil sie die lebenswichtigen Bakterienspezies, die Viren und gefährliche Bakterien erfolgreich bekämpfen können, dezimieren. Im Zuge einer neueren Studie wurde Mäusen mit einer Rotavirus-Erkrankung – eine Durchfallerkrankung, an der jährlich eine halbe Million Kinder sterben – ein bakterielles Protein injiziert, und die Infektion wurde erfolgreich gestoppt. Das gleiche Protein wirkte auch gegen andere Infektionen, einschließlich Influenza. Dies zeigt, welch wichtige Rolle Bakterien für den Schutz gegen Virusinfektionen spielen.
Die mikrobielle Gesundheit trägt entscheidend dazu bei, wer potenziell tödliche Viren überlebt. Sehr junge Menschen, deren Mikrobiom noch in der Entwicklung begriffen ist, und sehr alte Menschen, die weniger mikrobielle Spezies und eine geringere Artenvielfalt besitzen, sind tendenziell am anfälligsten. Auch die übermäßig häufige Einnahme von Antibiotika stellt einen Risikofaktor dar, weil nicht nur die schlechten, sondern auch die guten Mikroben ausgemerzt werden. Natürlich spielen darüber hinaus zusätzliche Variablen wie weitere gesundheitliche Probleme und der jeweilige Ernährungszustand eine Rolle, aber auch diese Faktoren sind mit der Gesundheit des Mikrobioms verknüpft. Eine ausreichende Menge guter Bakterien ist also von entscheidender Bedeutung für den Schutz gegen akute und chronische Krankheiten.
Allison ist eine meiner Patientinnen, die wegen chronischer Verstopfung und Völlegefühl bei mir in Behandlung ist. Obwohl ihre Verdauungsbeschwerden durch eine ballaststoffreichere Kost gelindert wurden, leidet sie weiterhin an chronischen Nasennebenhöhleninfektionen. Jedes Mal, wenn sie zu mir in die Praxis kommt, nimmt sie entweder gerade ein Antibiotikum oder hat gerade eine Therapie beendet. Je mehr Antibiotika sie einnimmt, desto häufiger scheinen die Infektionen aufzutreten. Wir werden in Kapitel 4, „Pharmageddon und das Antibiotika-Paradoxon“ näher untersuchen, wie die übermäßige Einnahme von Antibiotika das Mikrobiom beeinträchtigen kann.
Das Wissen, dass Infektionen häufig die Folge eines gestörten bakteriellen Gleichgewichts sind, im Gegensatz zu einer Erkrankung durch irgendeinen bestimmten Erreger, hilft, umsichtiger mit Antibiotika umzugehen. Wir alle tragen Organismen in uns, deren Wachstum problematische Ausmaße annehmen kann, falls es nicht kontrolliert wird. Die Lösung ist nicht, sich auf einen antimikrobiellen Vernichtungsfeldzug zu begeben und dabei die wichtigen Bakterien zusammen mit den bösen zu zerstören, sondern liegt eher darin, die Flora neu zu besiedeln und wieder ins Gleichgewicht zu bringen, indem gute Bakterien durch eine Umstellung der Ernährung zugeführt werden, durch mikroorganismen-freundliche Praktiken, präbiotische Nahrungsmittel und ein sorgfältig gewähltes Probiotikum. Mein „Live Dirty, Eat Clean“-Plan enthält genaue Anweisungen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Er lindert gesundheitliche Beschwerden und trägt dazu bei, sich gegen zukünftige Krankheiten zu schützen.
Die verschiedenen anatomischen mikrobiellen Gemeinschaften in unserem Körper haben ihren eigenen unverwechselbaren Geruch, der durch die Nahrung der Bakterien und deren Abfallprodukte zustande kommt. Der Atem am Morgen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich verlagernde Bakterienstämme einen deutlich wahrnehmbaren veränderten Geruch erzeugen. Die meisten Menschen haben im Schlaf den Mund geschlossen und atmen vor allem durch die Nase. Das führt zu weniger Sauerstoff im Rachenraum und über Nacht zu einem Anstieg der anaeroben Bakterien, deren Abfallprodukte unseren Atem säuerlich riechen lassen. Auch bei Menschen mit einer Darmentzündung aufgrund von Morbus Crohn, einer Colitis ulcerosa oder einer akuten Infektion finden erhebliche Verschiebungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien statt – Veränderungen, die ich bei einer Darmspiegelung bereits riechen kann, bevor ich sie sehe.
Die meisten Tiere können Veränderungen im Mikrobiom erkennen. Sie beschnuppern sich gegenseitig, um sich zu erkennen, um herauszufinden, ob ein Weibchen brünftig ist, und um herauszufinden, ob ihre Beute Angst hat. Würden wir uns dazu herablassen, auf den Geruch zu achten, würden wir viele Dinge bewusster wahrnehmen – wer Schweißfüße hat, wer viel Fleisch isst oder wer gestresst ist – all das spiegelt sich in unserem Mikrobiom wider. Ich nehme den Geruch meiner Tochter wahr (sehr zu ihrem Missfallen) und bemerke jetzt, wo sie bald in die Pubertät kommt, dass er sich stark verändert. Aber meistens ist es nur ihr ureigener Geruch, dieses besondere Aroma, das nur sie verströmt und das ich, so bilde ich gern mir ein, überall erkennen könnte.
Wie bereits erwähnt, ist die mikrobielle Flora von Mensch zu Mensch so unglaublich unterschiedlich, dass es schwierig ist zu bestimmen, wie ein ideales Mikrobion aussehen (oder riechen) sollte. Wichtig für unsere Gesundheit ist das richtige Gleichgewicht. Das heißt, dass keine Spezies unnatürlich dominierend oder zu gering vertreten sein darf und dass die wichtigen Bakterien in ausreichender Menge vorhanden sind.
Darmbakterien unterliegen dem Einfluss aller bereits erwähnten Faktoren: Alter, Geschlecht, Beruf, wo man lebt und ob man als Säugling gestillt wurde. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Nahrung der einflussreichste Faktor ist, da die Bakterien der Nahrung folgen. Also ist es sinnvoll, sich weniger darauf konzentrieren, was man essen sollte, um abzunehmen, den Cholesterinspiegel zu senken oder Diabetes zu verhindern, sondern sich die Frage zu stellen, was auf den Tisch kommen sollte, um einen gepflegten Darmgarten anzulegen, weil Krankheiten seltener kommen, wenn verschiedenartige Darmbakterien ausgewogen und in reichlicher Menge vorhanden sind.
Der nächste wichtige Schritt besteht darin zu erkennen, was das Gedeihen im Darmgarten bedroht. Es ist entscheidend zu wissen, welche Eindringlinge und welche Umstände den gut gepflegten Garten zu einem überwucherten, verwilderten Stück Land werden lassen. In den folgenden Kapiteln werden wir genau untersuchen, wie das Mikrobiom außer Kontrolle gerät, und was man tun kann, um dies zu verhindern.
Viele von uns wurden in dem Glauben erzogen, dass es besser ist sauber zu sein als schmutzig. Aber immer mehr wissenschaftliche Belege zeigen, dass wir mit dieser Prämisse auf das falsche Ziel zusteuern, wenn es um die Gesundheit des Menschen geht. Die mikrobiellen Gemeinschaften, die bei der Geburt, im Säuglingsalter und in der frühen Kindheit gebildet werden, formen unsere Gesundheit während des Wachstums und tragen entscheidend dazu bei, ob wir krank werden oder gesund bleiben. Die Verwilderung der körpereigenen Landschaft hat zu ungeahnten gesundheitlichen Bedrohungen und zur Entstehung neuer Krankheiten geführt.
1932 veröffentlichten der Gastroenterologe Dr. Burrill Crohn und seine Kollegen am Mount Sinai Hospital eine Abhandlung, in der sie über 14 Patienten berichteten, bei denen eine Operation am Dünndarm merkwürdige Befunde zutage förderte, die in dieser Form noch nie vorgekommen waren. Da die Anomalien im letzten Stück des Dünndarms auftraten – dem sogenannten Ileum – nannte man die neue Krankheit, die schließlich als Morbus Crohn bekannt wurde, Ileitis.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und die mit ihm verwandte Colitis ulcerosa sind Beispiele für Autoimmunerkrankungen. Sie repräsentieren eine neue Art von Krankheiten, die bisweilen auch als Zivilisationskrankheiten bezeichnet werden und im vergangenen Jahrhundert entstanden sind. Zu ihnen gehören zum Beispiel die Hashimoto-Thyreoiditis, Typ-1-Diabetes, Lupus, multiple Sklerose (MS), rheumatoide Arthritis und Ekzeme. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist ungeachtet des Organs, das in Mitleidenschaft gezogen ist, dass das Immunsystem Krieg gegen das gesunde körpereigene Gewebe führt, was chronische Entzündungen nach sich zieht.
Es gibt fast hundert verschiedene Autoimmunerkrankungen. Wahrscheinlich leiden Sie oder ein Mitglied Ihrer Familie bereits an einer dieser Krankheiten, da allein in den USA mehr als 50 Millionen Menschen betroffen sind. Da ein und dieselbe Person häufig an unterschiedlichen Autoimmunerkrankungen leidet, liegt die Vermutung nahe, dass eher eine gemeinsame Ursache mit verschiedenen Erscheinungsformen vorliegt als mehrere unterschiedliche Erkrankungen. Die entscheidende Frage nach der gemeinsamen Ursache ist nun: Reagiert ein normales Immunsystem auf einen anormalen Reiz oder überreagiert ein anormales Immunsystem auf einen normalen Reiz?
Häufige Autoimmunerkrankungen
• Nebennierenrindeninsuffizienz
• Alopecia areata (Haarausfall)
• Morbus Bechterew
• Zöliakie
• Morbus Crohn
• Dermatomyositis
• Diabetes (Typ 1)
• Ekzeme
• Eosinophile Ösophagitis
• Basedow-Krankheit
• Hashimoto-Thyreoiditis
• Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP)
• Interstitielle Zystitis
• Juvenile idiopathische Arthritis
• Lupus (SLE)
• Multiple Sklerose (MS)
• Myasthenia gravis
• Polymyositis
• Primär biliäre Zirrhose
• Primär sklerosierende Cholangitis
• Psoriasis
• Psoriasisarthritis
• Raynaud-Syndrom
• Rheumatoide Arthritis
• Sarkoidose
• Sklerodermie
• Sjögren-Syndrom
• Colitis ulcerosa
• Urtikaria
• Vaskulitis
• Vitiligo
Es ist immens wichtig, die Beziehung zwischen unserem Immunsystem, unserer mikrobiellen Umwelt und unseren Genen zu verstehen, wenn man herausfinden will, warum Menschen an diesen Krankheiten leiden und wie man sie heilen kann. Da die Mehrzahl der Bakterien und mehr als die Hälfte des Immunsystems im Darm angesiedelt sind, könnte die nähere Betrachtung von Morbus Crohn in Verbindung mit dem Mikrobiom einige aufschlussreiche Antworten liefern.
Dr. Crohn war überzeugt davon, dass diese neue Krankheit, die zu Entzündungen, Gewichtsverlust und Durchfall führte, die Folge einer bakteriellen Infektion war, obwohl nicht alle seine Ansicht teilten. Damals wurde Morbus Crohn meistens bei Menschen jüdischer Herkunft diagnostiziert, und die vorherrschende Lehrmeinung war, Morbus Crohn sei eher eine genetische als eine infektiöse Erkrankung. Bei dem fraglichen Bakterium handelte es sich um das Mycobacterium avium subspecies paratuberculosis (MAP). Es war bekannt, dass es auch bei Rindern und anderen Wiederkäuern zu einer Infektion des Ileums und ähnlich wie bei Morbus Crohn zu einer schwächenden Durchfallerkrankung führte, der sogenannten Johneschen Krankheit (benannt nach dem deutschen Tierarzt, der sie 1905 erstmals beschrieb).
Zusätzlich zu den Ähnlichkeiten in Bezug auf den Sitz der Krankheit und die Symptome gab es zwei weitere zwingende Belege, die Dr. Crohns Theorie einer bakteriellen Infektion als Ursache von Morbus Crohn stützten. Der erste war, dass MAP in viel höheren Mengen im Darm von Patienten mit Morbus Crohn gefunden wurde als bei der breiten Bevölkerung. Der zweite war, dass MAP aufgrund seiner Fähigkeit, die Pasteurisierung zu überstehen, in verschiedenen Milchprodukten nachgewiesen werden konnte und somit plausibel erklärt werden konnte, wie es von den Rindern auf Menschen übertragen wurde. Ganz und gar nicht in dieses Konzept passte allerdings die Tatsache, dass nicht bei jedem, der an Morbus Crohn erkrankt war, auch MAP nachgewiesen werden konnte. Die Mehrzahl der Morbus-Crohn-Patienten wurde sogar negativ auf MAP getestet. Da auch zusätzliche Studien keine klare Ursache und Wirkung nachweisen konnten, trat die Idee, Morbus Crohn sei die Folge einer bakteriellen Infektion, zunehmend in den Hintergrund.
Fast ein Jahrhundert später wissen wir immer noch nicht, welche Ursachen Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn zugrunde liegen, obwohl viel spekuliert wurde – von Infektionen wie Masern, E. coli und Enteroviren über Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Stress bis hin zu üblichen harmlosen Verhaltensweisen wie der Verwendung von Zahnpasta und Kühlschränken. In Übereinstimmung mit Dr. Crohns ursprünglicher Theorie mehren sich die Belege, dass Bakterien in der Tat eine wichtige Rolle spielen, dass aber vermutlich eher ihre Abwesenheit als ihr Vorhandensein zu der Diagnose führt.
In den späten 1950er-Jahren nahm Professor David Strachan, der als Dozent an der London School of Hygiene and Tropical Medicine tätig war, eine epidemiologische Studie zu Heuschnupfen und Ekzemen bei britischen Kindern in Angriff. Die Zahl dieser Erkrankungen war seit der Jahrhundertwende, als viele Menschen vom Land in die Städte zogen, stetig gestiegen. Die Ergebnisse der Studie, die 17.000 Kinder von der Geburt bis zum Erwachsenenalter begleitete, brachten einen aufsehenerregenden und unerwarteten Zusammenhang ans Licht: Beide Krankheitsbilder kamen sehr viel seltener in großen Familien vor, in denen durch das Zusammenleben mit Geschwistern viele Kinderkrankheiten aufgetreten waren. Die höchsten Krankheitsraten wurden in kleineren Familien mit weniger Bakterien verteilenden Kindern mit laufender Nase und in wohlhabenden Haushalten mit höheren Standards in Bezug auf die Körperhygiene beobachtet. Dieses Ergebnis widersprach allem, was man bis dahin über Keime zu wissen glaubte. Könnte die Belastung durch Keime wirklich besser für uns sein? Und könnte eine auf Sauberkeit ausgerichtete Lebensweise uns kränker machen?
Strachans erste Abhandlung, die 1989 mit dem Titel „Hay Fever, Hygiene and Household Size“ („Heuschnupfen, Hygiene und Haushaltsgröße“) im British Medical Journal erschien, legte den Grundstein für die „Hygiene-Hypothese“, die die Vorstellung infrage stellte, Keime müssten in jedem Fall vermieden werden, und die die Bedeutung der frühen mikrobiellen Exposition zur Vorbeugung vor Krankheiten im Erwachsenenalter hervorhob. 2003 führte Dr. Graham Rook, ein emeritierter Professor für medizinische Mikrobiologie und Immunologie am University College London, dieses Konzept mit seiner Hypothese der „alten Freunde“ weiter aus. Diese Hypothese legt nahe, dass der fehlende Kontakt mit sehr alten Organismen wie beispielsweise Parasiten, die sich koevolutionär mit unseren Vorfahren entwickelten, und nicht nur das Fehlen relativ neuer Keime (z. B. das Influenza-Bakterium) für das Auftreten dieser modernen Krankheiten verantwortlich war.
Sieht man sich heute eine Weltkarte an, stellt man sehr erstaunt fest, dass Krankheiten wie Morbus Crohn in entwickelten Ländern weit verbreitet, in weniger entwickelten dagegen seltener sind. Die Hygiene-Hypothese erklärt diese ungleiche Verteilung mit dem Hinweis, weniger Kontakt mit Bakterien und Parasiten während der Kindheit in wohlhabenden Gesellschaften wie in den Vereinigten Staaten und Europa erhöhe im Grunde genommen die Anfälligkeit für Krankheiten, weil damit die natürliche Entwicklung des Immunsystem unterdrückt werde.
Dieses Konzept wurde außerdem mit dem Anstieg vieler moderner Erkrankungen assoziiert: Epidemisch auftretende Fettleibigkeit, tödliche Krankheiten wie metabolisches Syndrom und Herzerkrankungen, psychiatrische Krankheitsbilder wie Depression, wenig verstandene Leiden wie Autismus und sogar einige Krebsarten – einige Studien haben bei all diesen Krankheiten erhebliche Störungen im Mikrobiom nachgewiesen. Wir verwenden enorm viel Zeit darauf, auf Sauberkeit zu achten – wir schrubben unseren Körper mit aggressiven Seifen, desinfizieren unsere Hände und unsere Umgebung mit chemischen Stoffen und eliminieren jede Spur von Schmutz aus unserem Haus und unserem Leben –, da jedoch Forschungsergebnisse bestätigen, dass Keime vermutlich sogar von wesentlicher Bedeutung für unserer Wohlergehen sind, ist es vielleicht an der Zeit, unser Konzept von Sauberkeit und Hygiene zu überdenken.
Wir sind auf den Kontakt mit Schmutz und Keimen angewiesen, um unser Immunsystem zu trainieren, angemessen auf Stimuli in unserer Umwelt reagieren zu können – worauf es reagieren muss und was es ignorieren kann. Ein Immunsystem, das nicht früh genug und nah genug mit ausreichend Keimen in Kontakt kommt, ist wie ein Kind mit übertrieben fürsorglichen Eltern schlecht gerüstet für Probleme, die unvermeidbar auftreten werden. Ein unzureichender Kontakt führt zu einer geschädigten Immuntoleranz und einem angriffslustigen Zustand erhöhter Aktivität, in dem wichtige Bakterien, Proteine in der Nahrung und sogar Bereiche des Körpers (im Fall von entzündlichen Darmerkrankungen der Verdauungstrakt) wie ein Feind behandelt und angegriffen werden.