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Seit den Anfängen des Horrorfilms bahnen sich Monster blutige Schneisen durch weibliche Körper. Egal ob mit Fangzähnen, Schraubenziehern oder motorisierten Kettensägen: Die Werkzeuge sind variabel, ihr Wirken identisch. Das weibliche Geschlecht scheint als Leinwand für Grausamkeiten herhalten zu müssen. Doch ist der Horrorfilm tatsächlich bloß ein blutiges Körperspektakel mit eindeutiger Rollenverteilung? Wird im Horrorfilm die Frau unweigerlich degradiert? Oder ist die Figur des Monsters mehr als ein reiner Verteidiger des Patriarchats? Wie konstituiert sich überhaupt der Horrorfilm und warum übt er eine solche Faszination auf uns aus? In "Das Monster im Blick" diskutiert Moritz Rosenthal diese Fragen von Genre und Gender, fasst gängige Theorien anschaulich zusammen - und wendet sie beispielhaft auf Peter Jacksons Kultfilm "Braindead" an. Damit kann dieser Band auch als Einführung in die Thesen von Laura Mulvey, Linda Williams, Carol J. Clover, Julia Kristeva und Barbara Creed dienen.
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Seitenzahl: 100
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Moritz Rosenthal
Das Monster im Blick
Die Repräsentation des Femininen im Horrorfilm
© 2014 Mühlbeyer-Verlag, Frankenstraße 21a, 67227 Frankenthal, Inh. Harald Mühlbeyer
www.mühlbeyer-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile.
Umschlagbild: PHANTOM OF THE OPERA (1925), © absolut MEDIEN GmbH (www.absolut-medien.de)
Umschlaggestaltung: Steven Löttgers, Birkenheide (www.loettgers-design.de)
Lektorat, Gestaltung und Produktion: Harald Mühlbeyer, Mühlbeyer-Verlag
ISBN:
978-3-945378-03-8 (Epub)
978-3-945378-04-5 (Mobipocket)
978-3-945378-10-6 (PDF)
978-3-945378-05-2 (Print)
Inhalt
Buchtitel
Impressum
Einleitung
Einführung zum Horrorfilm
Problematik und Definition von »Genre«
Definition von »Horror«
Warum der Horrorfilm? Das Affektkino der »Body Genres«
Feminismus und Horrorfilm: Zentrale Positionen und Thesen
Laura Mulvey: The Male Gaze – »Visual Pleasure and Narrative Cinema«
Linda Williams: When the Woman Looks
Carol J. Clover: Gender in Modern Horror Film
Exkurs: Julia Kristevas Abjekttheorie
Barbara Creed: The Monstrous-Feminine
Einzelanalyse
Inhalt – BRAINDEAD (1992)
»The Monstrous-Feminine« in Peter Jacksons BRAINDEAD
Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
Zitierte Literatur
Genutzte Filme
Bildnachweis
Anmerkungen
Einleitung
»A glimpse into the world proves that horror is nothing other than reality.«
Alfred Hitchcock
Für einen Cineasten gibt es nur wenige Wege, den Einstieg in eine wissenschaftliche Arbeit zu wagen, die sich mit dem Themenfeld des Horrorfilms beschäftigt. Die meisten Wege führen über Alfred Hitchcock. Hitchcock ist einer der stilistisch einflussreichsten Regisseure der Filmgeschichte und gilt als das Aushängeschild des Autorenfilms. Seine Schaffenskraft, die er vor allem im Genre des Thrillers und Horrorfilms ausgelebt hat, wird Regisseure und die Motive des Genres noch über Generationen beeinflussen. Daher erstaunt es nicht, dass der Altmeister die Essenz – und zugleich die Faszination, die von »Horror« ausgeht – so treffend in einem einzigen Satz zusammengefasst hat. Ein Aspekt dieser Arbeit wird es sein, die Wirkrichtung seiner Aussage zu überprüfen und zu hinterfragen, ob ein Umkehrschluss vom Horrorfilm auf die Realität möglich ist. Genügt ein flüchtiger – oder auch ausführlicher – Blick (Laura Mulvey würde den Begriff »Gaze« verwenden[1]) in den Horrorfilm, um Rückschlüsse auf die Realität samt ihrer komplexen sozialen, politischen, kulturellen, religiösen etc. Strukturen zu ziehen?
Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Arbeit wird sich mit der Herausarbeitung des filmischen Monsters beschäftigen. Das Motiv des Monsters ist kulturübergreifend und so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst[2]. Jedem in der westlichen Kultur sozialisierten Menschen ist der reiche Sagenschatz der antiken Römer und Griechen bekannt, der eine Fülle von monströsen Sagengestalten bietet. Aber auch aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis sind uns z. B. in Form der Geschichten aus »Tausendundeiner Nacht«, die wiederum ihre Wurzeln in der indischen Kultur haben, zahlreiche Geister, Dschinns und andere Erscheinungsbilder des »Monsters« überliefert. Die Behauptung, dass das »Monster« in allen gesellschaftlichen Kulturen auftaucht, ist daher nicht gewagt, sondern evident. Ein wacher Verstand und die jüngere feministische Forschung offenbaren ein interessantes Phänomen – die Verschränkung von Weiblichkeit und dem Monströsen[3]. In der griechisch-römischen Mythologie zeigt sich diese Verbindung beispielhaft an zahlreichen fantastischen Wesen: Sirenen, die ahnungslose Seefahrer betören, Amazonen, die mit ihrer (aggressiven) Erotik Männer in Fallen locken, die verschiedenen Formen der Medusa, deren reiner Anblick ausreicht, um Männer in Stein zu verwandeln. Die Psychoanalytikerin Barbara Creed, deren Thesen in Bezug auf den Horrorfilm in einem eigenen Kapitel vorgestellt werden und die einen zentralen Teil der Arbeit ausmachen, greift in ihrem einflussreichen Buch The Monstrous-Feminine solche »gendered monster« auf, um anhand dieser weiterführende Aspekte geschlechtlicher Monstrosität zu erläutern. Ähnlich alt wie das Monster selbst ist die menschliche Angewohnheit, das Unbekannte, Unerklärliche, Monströse in Narration zu verpacken, eine kulturelle Funktion, die sich in der Person des Geschichtenerzählers manifestiert, die wiederum viele Gesichter besitzen kann: Vom Dorfschamanen über den Gothic Novel-Autor bis hin zum Horrorfilmregisseur und natürlich seinem Produkt, dem Horrorfilm.
Die zentrale Frage der Arbeit ist es, auf welche Art und Weise Aspekte des Femininen im Horrorfilm repräsentiert werden. Adorno und Horkheimer haben in ihren Arbeiten zur Kulturindustrie die kritische These aufgestellt – auf pragmatische Art ausgedrückt –, dass die einzelnen Phänomene der Massen- bzw. Popkultur dazu beitragen, eingefahrene, statische, konservative, patriarchalische und somit auch zu kritisierende Strukturen zu manifestieren[4]. Geht man von der Prämisse aus, dass Horrorfilme ein Bestandteil der Popkultur sind, stellt sich in Hinblick auf das Thema der Arbeit die Frage: Tragen Horrorfilme dazu bei, patriarchalische, anti-feministische Strukturen zu verfestigen oder besitzen Horrorfilme vielleicht sogar progressive Ebenen, die dabei helfen, die Stellung der Frau in der (westlichen) Gesellschaft zu verbessern?
Körper in Horrorfilmen bewegen sich auffallend oft entlang der Grenzen großer Dichotomien, die sie häufig zu beugen oder gar zu brechen wissen[5]. Besonders offensichtlich ist diese Eigenschaft am Körper des »Monsters«, das fast immer als Grenzwesen in Erscheinung tritt. Der Werwolf bewegt sich entlang der Dichotomie Mensch/Tier, ein Zombie ist weder lebendig noch tot und das »klassische Monster« oft androgyn. Die Feministin Donna Haraway hat für derartige Dichotomien den Begriff »The Great Devides« geprägt[6]. Neben der Dichotomie Mensch/Tier fallen darunter auch die Gegensatzpaare Natur/Kultur, organisch/technisch und letztendlich natürlich Mann/Frau, das wiederum mit aktiv/passiv konnotiert ist; ein Aspekt, der sehr wichtig für den Horrorfilm und die vorliegende Untersuchung ist. Laut Derrida wohnen solchen binären Gegensatzpaaren oder Dichotomien generell eine Machtbeziehung inne, die eine der beiden Seiten als die dominante determiniert[7]. Überträgt man sein philosophisches Konzept auf den Filmdiskurs, ergibt sich daraus ein interessanter Umstand: Obwohl die weiblichen Protagonistinnen des Horrorfilms oftmals als passiver Spielball männlicher Gewalt inszeniert werden und damit die schwache Hälfte der Dichotomie einnehmen, haben jüngere Marktforschungen[8]und qualitative Studien[9] ergeben, dass Frauen trotzdem einen nicht zu marginalisierenden Teil des Publikums von Horrorfilmen stellen. Worin besteht also die Faszination für Frauen, sich Horrorfilmen auszusetzen, obwohl das eigene Geschlecht – auf den ersten Blick – gar nicht gut in diesem Genre wegkommt? Vor allem in 3.3 und 3.5 soll versucht werden, den progressiven Elementen des Horrorfilms nachzuspüren.
Im zweiten Kapitel meiner Arbeit möchte ich in zwei Unterkapiteln einen Überblick sowie eine kurze Definition über die beiden elementaren Begriffe »Genre« und »Horror« geben, um überhaupt ein Gefühl dafür zu vermitteln, was man unter einem Horrorfilm zu verstehen hat und wo seine (durchaus porösen) Grenzen liegen. Obwohl das »Genre« nach anfänglicher Vernachlässigung mittlerweile kontrovers diskutiert wird, gibt es in der Literatur bisher keine konsenstragende Definition. Daher werden hier nur die populärsten Definitionen umrissen. Ein weiteres Unterkapitel über das Affektpotential des Horrorfilmsdient dazu, die herausragende Stellung des Horrorfilms zu erläutern. Dabei wird der von Linda Williams geprägte Begriff der »Body Genres« eine wichtige Rolle spielen, der Filmgenres beschreibt, die auf den Körper des Rezipienten eine besonders hohe somatische Affektwirkung ausüben. Eine Besonderheit dieser von der Literatur mittlerweile vermehrt untersuchten Genres besteht darin, dass die Frau bzw. das Feminine in ihnen eine zentrale Rolle einnimmt. Der Oberbegriff der Body Genres soll daher also als Brückenschlag zur Annäherung an den Horrorfilm und die zentrale Fragestellung der Arbeit dienen.
Anschließend folgt der Hauptteil der Arbeit, in dem ich die zentralen Positionen und Thesen der feministischen Filmforschung in Hinblick auf das Horrorgenre vorstelle. Da es mittlerweile eine überraschend große Fülle an Untersuchungen gibt, konzentriere ich mich auf die vier wichtigsten Theoretikerinnen, die als Vorreiterinnen gelten und deren Arbeiten am häufigsten von anderen Autoren referenziert werden[10]: Laura Mulvey, Linda Williams, Carol J. Clover und Barbara Creed. Die Abfolge der Sub-Kapitel zu diesen Autorinnen ist nicht chronologisch strukturiert, sondern orientiert sich an der Regressivität und Progressivität der jeweiligen vertretenen Positionen. Während Laura Mulvey in ihrem ursprünglichen Essay Visual pleasure and narrative cinema dem Horrorfilm unter feministischen Gesichtspunkten noch ein sehr negatives Zeugnis ausstellt, sieht Barbara Creed die Situation in The Monstrous-Feminine bereits deutlich positiver. Natürlich darf man nicht übersehen, dass sich die einzelnen Thesen zum Teil überschneiden und aufeinander Bezug nehmen. Als Hilfskonzept wird in einem Exkurs Julia Kristevas Abjekttheorie umrissen, die für das Verständnis der Thesen Barbara Creeds elementar ist. Im Anschluss an die Vorstellung dieser Gendertheorien werden Creeds Thesen auf ein Filmbeispiel angewendet. Aus der Gesamtheit der vorgestellten Positionen ergibt sich im Rahmen des Umfangs dieser Arbeit ein Überblick über den aktuellen Stand der Forschung.
Einführung zum Horrorfilm
Problematik und Definition von »Genre«
Der Begriff Genre, der mittlerweile Einzug in die Rhetorik, Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft und Linguistik gehalten hat, entstand aus dem französischen Wort für »Art« oder »Klasse«. Zunächst wurde der Begriff dazu benutzt, literarische Werke zu klassifizieren. Seit klassisch-antiker Zeit nutzt man die grobe Unterteilung von Schriftkunst in Lyrik, Epik und Drama, auf die wiederum zahlreiche Sub-Genres folgen[11]. Dieses Klassifikationsmodell, das sich bei näherer Betrachtung natürlich noch in feinere Bezeichnungen wie z. B. Gattung, Stil, Epoche aufgliedert, wird in allen Ausprägungen der Kunst genutzt. Dem britischen Semiotiker Daniel Chandler[12] zufolge neigen zeitgenössische Mediengenres dazu, »sich mehr auf bestimmtere Formen zu beziehen und weniger auf Universalien wie Tragödie und Komödie«[13]. Für das Medium Film bedeutet dies, dass eine unüberschaubare Vielzahl an Genres und Sub-Genres vorherrscht, von der nur ein Teil aus wissenschaftlicher Reflexion heraus entstanden ist. Manche Genres existieren sogar nur als »stumme« Konstruktion im Kopfe des Rezipienten, was bedeutet, dass zwar die Vorstellung einer bestimmten Art der Narration, Mise-en-scène, Kameranutzung oder sonstiger Konventionen existiert, für die aber bisher keine Genre-Bezeichnung generiert wurde[14]. Einen Grund für diesen hohen Grad der Ausdifferenzierung sehen Chandler und andere Theoretiker unter anderem in der heutigen Komplexität einer modernen Mediengesellschaft. Die Anzahl an Genres in einer Gesellschaft hängt von ihrer Komplexität und Ausdifferenzierung ab[15]. Auf einer Metaebene betrachtet, werden mit Hilfe des Begriffs »Genre« also Kunstgattungen unter Berücksichtigung verschiedenster stilistischer, räumlicher und zeitlicher Ausprägungen klassifiziert. In der Literatur werden Filmgenres häufig als »Ordnungs- und Orientierungsprogramme« bezeichnet, die im Austausch zwischen Produktions- und Rezeptionsseite entstehen – eine relativ schwammige Definition, die ausreichend Raum zur Interpretation offen lässt[16]. Trotz des Definitionsspielraums hat sich der Genrebegriff als unerlässliches Hilfsmittel erwiesen: Durch Filmgenres können tendenziell grundlegende Gesetzmäßigkeiten (z. B. schauspielerische oder künstlerische Muster) klassifiziert werden, die es dem Rezipienten ermöglichen, bereits vorab Rückschlüsse auf Inhalt und Struktur des Films zu ziehen[17]. Ohne diesen Mechanismus wären z. B. kostspielige Filmproduktionen wie die sogenannten »Blockbuster« gar nicht möglich, da das Produktionsstudio die Reichweite des Films nicht abschätzen und somit kostendeckend kalkulieren könnte.
Bei der Erstellung einer hierarchischen und einheitlichen Taxonomie von Genres ergeben sich verschiedene Probleme. Laut Chandler gibt es grundlegende theoretische Uneinigkeiten über die Definition bestimmter Genres, eine »neutrale« oder »objektive« Klassifizierung kann per se nicht stattfinden[18]. Das erste Problem stellt sich in der uneinheitlichen Verwendung des Überbegriffs »Genre«.
»Was für den einen Theoretiker ein Genre ist, mag für den nächsten ein Untergenre oder sogar ein Übergenre sein (und sogar: was für den einen Theoretiker Technik, Stil, Modus, Formel oder thematische Gruppierung ist, wird von einem anderen als Genre angesehen)«[19].
Es ist schwierig, ein einheitliches Inventar an Bedingungen und Kategorien zu entwickeln, um Filme hinreichend zu klassifizieren. Es bietet sich eine Vielzahl an Kriterien und Bedingungen, nach denen eine Gruppierung erfolgen kann: Inhalt des Themas, Stil (z. B. deutscher Expressionismus), Reihe (z. B. »James Bond«), Struktur (Narration), Land, Zeit, Drehbuchautor, Regisseur, technisches Verfahren (z. B. CinemaScope-Filme) etc.[20] Die diskursführenden Theoretiker gewichten die genannten Kriterien dabei sehr unterschiedlich und stehen sich in Aspekten ihrer Theoriekonstrukte nicht selten konträr gegenüber. Der amerikanische Filmwissenschaftler David Bordwell zieht in Hinblick auf dieses Problem das Fazit, dass man sagen kann, »dass keine Anordnung zwingender und hinreichender Bedingungen ein Genre derart klar von Gruppierung anderer Art so abgrenzen kann, dass alle Experten oder das gewöhnliche Filmpublikum dem zustimmen können«[21].
Im Hinblick auf den Horrorfilm lässt sich diese Problematik wohl am besten beispielhaft am Regisseur Alfred Hitchcock veranschaulichen. Einerseits lassen sich die meisten seiner Filme im Genre des Thrillers oder Horrorfilms ansiedeln, andererseits hat es sich aufgrund seines Genies und seiner stilistischen Eigenheiten etabliert, vom »Hitchcockfilm« zu reden. Es stellt sich also erneut die Frage, welches der möglichen Kriterien das Schwerwiegendere ist, eine Frage, die vor allem in Hinblick auf den Autorenfilm kontrovers diskutiert wird.