Das Navy-Seal-Handbuch für Führungsstrategien - Jocko Willink - E-Book

Das Navy-Seal-Handbuch für Führungsstrategien E-Book

Jocko Willink

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Beschreibung

Hilfreiches Marschgepäck für alle Führungskräfte Amerikas berühmtester Navy-SEAL-Businesscoach Jocko Willink kennt die effektivsten Führungsprinzipien der Eliteeinheit. Seine Bücher schufen ganz neue Standards für Leadership-Qualitäten. Doch die praktische Anwendung dieser Prinzipien ist oft anspruchsvoller, als es zunächst den Anschein hat. Was ist beispielsweise, wenn man für eine Führungsposition ausgewählt wird, die man nicht will? Wie baut man Vertrauen auf und übt Kritik in der Befehlskette nach oben und nach unten? Willinks praktisches Handbuch hilft dabei, die Grundsätze der Navy SEALs täglich in die Praxis zu übertragen und Taktik in die Tat umzusetzen – das heißt, die Strategie der Navy SEALs zu verstehen und auf pragmatische Weise anzuwenden. Dazu liefert er eine einfache, klar strukturierte Schritt-für-Schritt-Anleitung, um Führungskräften dabei zu helfen, das zu tun, was sie tun sollen: führen.

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JOCKO WILLINK

DAS NAVY-SEAL-HANDBUCH FÜR FÜHRUNGS-STRATEGIEN

JOCKO WILLINK

DAS NAVY-SEAL-HANDBUCH FÜR FÜHRUNGS-STRATEGIEN

Übersetzung aus dem Englischen von Jordan Wegberg

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

2. Auflage 2024

© 2021 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

© der Originalausgabe 2020 by Jocko Command LLC

Die englische Originalausgabe erschien 2020 bei St. Martin‘s Press unter dem Titel Leadership Strategy and Tactics: Field Manual.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Jordan Wegberg

Redaktion: Bärbel Knill

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: Jocko Willink

Satz: Helmut Schaffer, Hofheim a. Ts.

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-800-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-231-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-232-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

DIESES BUCH IST DEN MÄNNERN DES SEAL TEAM THREE GEWIDMET, DER TASK UNIT BRUISER, DIE MICH ZU FÜHREN GELEHRT HABEN, INSBESONDERE:

MARC LEE, DER MICH DEN WERT DES LEBENS GELEHRT HAT.

MIKEY MONSOOR, DER MICH DIE BEDEUTUNG VON OPFERBEREITSCHAFT GELEHRT HAT.

RYAN JOB, DER MICH ECHTE BEHARRLICHKEIT GELEHRT HAT.

CHRIS KYLE, DER MICH PFLICHTBEWUSSTSEIN GELEHRT HAT.

UND SETH STONE, MEINEM BRUDER, DER MICH LOYALITÄT UND FREUNDSCHAFT GELEHRT UND NIE IM STICH GELASSEN HAT.

NIEMALS.

INHALT

EINLEITUNG: FÜHREN LERNEN – DIE WURZELN

TEIL 1: FÜHRUNGSSTRATEGIEN

KAPITEL 1: GRUNDLAGEN

Erster Platoon: Loslösung

Zweiter Platoon: von Arroganz und Demut

Dritter Platoon: die eigenen Grenzen überschreiten

Die Gesetze des Kampfes und die Prinzipien der Führung

Die Macht von Beziehungen

Das Spiel mitspielen

Wann ist Meuterei zulässig?

Woher kommt Führung?

Führung und Manipulation

Zügeln Sie Ihren Stolz

Führungskräfte sagen die Wahrheit

Lernen

KAPITEL 2: ZENTRALE LEHRSÄTZE

Seien Sie tüchtig und bitten Sie um Hilfe

Vertrauen und Beziehungen aufbauen

Einfluss und Respekt gewinnen

Extreme Ownership in allem

Messing aufsammeln

Führung aus dem Hintergrund

Nicht überreagieren

Mir egal!

Jeder ist gleich, jeder ist anders

Überlassen Sie es der Natur

Isolation als Führungskraft

Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden

KAPITEL 3: PRINZIPIEN

Das wichtigste Mitglied des Teams

Wie weit reicht Ihre Kontrolle?

Disziplin ist Fürsorge für Ihre Mitarbeiter

Erzwungene Disziplin

Stolz

Anweisungen erteilen

Jasager

Die Ausnahme von »Es gibt keine schlechten Teams, nur schlechte Vorgesetzte«

TEIL 2: FÜHRUNGSTAKTIK

KAPITEL 4: ZUR FÜHRUNGSKRAFT WERDEN

Als neue Führungskraft erfolgreich sein

Wie man zur Führungskraft ernannt wird

Wenn Sie nicht ausgewählt werden

Das Hochstapler-Syndrom

Ungewissheit als Führungskraft

Vom Teamkollegen zum Anführer

Groll überwinden

Ein neuer Sheriff in der Stadt

Übertreib’s nicht, Rambo

KAPITEL 5: FÜHRUNGSKOMPETENZ

Wann man initiativ werden und führen muss

Nehmen Sie’s nicht persönlich

Verschanzen Sie sich nicht

Entscheidungen schrittweise treffen

Dezentrales Kommando oder Delegieren aus Bequemlichkeit?

Der Problemlöser

Menschen beurteilen

Beeinflussung

Alles ist gut (aber so gut auch wieder nicht)

KAPITEL 6: MANÖVER

Führungskräfte durch die Praxis schulen und aufbauen

Eine negative Haltung korrigieren

Kollegen führen

Misstrauische, entscheidungsunfähige und schwache Vorgesetzte

Wann Mikromanagement angebracht ist

Der Chef heimst alle Lorbeeren ein

Der nahezu untragbare Vorgesetzte

Stressabbau

Bestrafung

Wann man aufgeben sollte

KAPITEL 7: KOMMUNIKATION

Die Leute auf dem Laufenden halten

Gerüchten entgegenwirken

Klare Richtlinien

Weil ich es sage

Die Frage nach dem Warum

Mit Taktgefühl die Wahrheit sagen

Ausgewogenes Lob

Hoffnung

Das Ultimatum als letztes Mittel

Spiegeln und abschwächen

Untergebene anbrüllen

Andere zum Zuhören bringen

Entschuldigungen

Seien Sie nahbar, aber wählen Sie Ihre Worte mit Bedacht

Mit gutem Beispiel vorangehen

ZUM ABSCHLUSS:

Alles hängt von Ihnen ab – aber es geht nicht um Sie

ÜBER DEN AUTOR

EINLEITUNG:FÜHREN LERNEN - DIE WURZELN

Als ich nach dem Abschluss des Basic Underwater Demolition/SEALTrainings (BUD/S) dem SEAL Team One zugeteilt wurde, gab es keinen Leadership-Kurs. Neue SEALs erhielten keine wie auch immer gearteten Lehrbücher oder Materialien zum Thema. Von uns wurde erwartet, dass wir so zu führen lernten, wie SEALs seit Anbeginn ihrer Existenz gelernt hatten - durch OJT - On-the-Job-Training.

Mit Sicherheit hat das OJT einige Vorteile. Es ist von Nutzen, eine erfahrene Führungskraft als Coach und Mentor zu haben, die einen ausbildet, während man die realen Herausforderungen des tatsächlichen Jobs durchmacht. In den SEAL-Teams bedeutet dies, dass ein Vorgesetzter einem sagt, was genau man in verschiedenen Szenarios tun soll, während man sie durchläuft. Falls der Vorgesetzte zufällig eine gute Führungspersönlichkeit ist, dann investiert er gern in einen, und wenn man klug genug ist, aufmerksam zuzuhören, lernt man am Ende etwas über Führung.

Doch diese Methode, Führen zu unterrichten, hat ein paar entscheidende Mängel. Zunächst einmal sind nicht alle Führungskräfte gute Führungskräfte und die SEAL-Teams bilden da keine Ausnahme. Es war das Jahr 1991, als ich in die SEAL-Teams kam. Es gab keinen Krieg. Der erste Golfkrieg war soeben beendet worden, aber die Bodenkämpfe hatten lediglich zweiundsiebzig Stunden gedauert. SEALs führten nur eine geringe Anzahl von Operationen durch und diese waren relativ leicht. Fast alle anderen Einsätze in den annähernd zwanzig Jahren davor waren Friedenseinsätze gewesen. Die Hauptaufgabe der SEALs hatte darin bestanden, das Militär anderer Länder auszubilden. Die Teilnahme an Kampfhandlungen war für mich und die meisten anderen Militärangehörigen nur ein ferner Traum. In Wirklichkeit waren die SEAL-Teams – und das restliche US-Militär – seit dem Ende des Vietnam-Kriegs im Friedensmodus. Das bedeutete, dass Führungskräfte eigentlich nicht auf die Probe gestellt wurden. Ein guter Vorgesetzter in den SEAL-Teams hatte mehr oder weniger dieselben Aufgaben und stieg ebenso schnell auf wie ein schlechter Vorgesetzter.

Es gab keine Garantie, dass ein Zugführer, der junge SEALs betreuen sollte, die Art von Führungskraft war, der man hätte nacheifern müssen. Zudem streben nicht alle Vorgesetzten danach, ihre Untergebenen zu fördern. Außerdem können selbst die besten Führungskräfte ihre Zeit und ihr Wissen nur in ein paar wenige von ihren Leuten investieren. Selbst in Friedenszeiten gibt es jede Menge administrativer Arbeiten zu erledigen, weshalb Führungscoaching und Mentoring oft den Zeitplan sprengen.

Es blieb den jungen SEALs überlassen, achtsam zu sein. Doch es gab auch jede Menge Ablenkungen. Manchmal war es für ein neues Teammitglied schwer zu begreifen, dass er nicht immer der Neue bleiben würde – sondern dass er eines Tages Führer eines SEAL-Zugs sein würde und so viel wie möglich lernen musste, um dafür bereit zu sein.

Ich hatte Glück. Ich hatte ein paar wirklich hervorragende Vorgesetzte, die in mich investierten. Sie nahmen sich die Zeit, mir Dinge zu erklären. Sie sprachen mit mir über Strategie und Taktik. Einige der Vietnam­SEALs erzählten Geschichten, die wichtige Lektionen über taktische Führung vermittelten. Ich hörte zu. Diese Geschichten und Lektionen prägten sich mir ein. Schließlich konnte ich die erlernten Führungstheorien auf die ultimative Probe stellen – im Kampf. Danach erstellte ich eine Liste dieser Lektionen und gab sie weiter an die jungen SEALs, die in den Dienst eintraten. Ich versuchte, ihnen das Führen beizubringen.

Das Ziel des Führens erscheint simpel: Menschen dazu zu bringen, das Notwendige zu tun, um die Mission und das Team zu unterstützen. Aber die Führungspraxis ist für jeden anders. Es gibt Führungsnuancen, die jeder für sich selbst finden muss. Führungskräfte sind unterschiedlich. Gefolgsleute sind unterschiedlich. Kollegen sind unterschiedlich. Jeder hat seine eigenen individuellen Merkmale, Persönlichkeitsmuster und Perspektiven. Was das Führen so schwierig macht, sage ich Führungskräften häufig, ist der Umgang mit Menschen, denn Menschen sind verrückt. Und der Verrückteste, mit dem ein Vorgesetzter es zu tun hat, ist er selbst. Ungeachtet dessen hat selbst die Verrücktheit ein Muster; das menschliche Verhalten folgt Mustern. Wenn man die Muster erkennt, kann man voraussagen, wie die Dinge sich wahrscheinlich entwickeln werden, und Einfluss darauf nehmen.

Nachdem ich beim Militär meinen Abschied genommen hatte, unterrichtete ich zivile Führungskräfte nach den Prinzipien des Führens in Gefechten. Schließlich schloss ich mich mit meinem früheren SEALKameraden Leif Babin zusammen und rief eine Führungsberatungsfirma namens »Echelon Front« ins Leben. Die Grundsätze des Schlachtfelds passten auf jede Führungssituation. Was wir in kriegerischen Auseinandersetzungen gelernt hatten, beschrieben wir in zwei Büchern, die unsere Erfahrungen als Gefechtsführer wiedergaben, und schilderten die Anwendung der Kampfführung auf Geschäfts- und Privatleben. Die Bücher Extreme Ownership und Die zwei Seiten der Führung erläutern die Prinzipien auf verständliche Weise und illustrieren sie anhand von Geschichten aus dem Gefecht und aus der Geschäftswelt. Die Rückmeldungen von Führungskräften aus aller Welt waren unglaublich positiv, denn sie wendeten die in den Büchern beschriebenen Prinzipien auf ihr Umfeld an.

Doch die Anwendung der Prinzipien kann anspruchsvoller sein, als es den Anschein hat. Zwar ist es recht leicht, das Konzept zu verstehen, aber manchmal braucht es mehr als das. Ein Vorgesetzter muss die Strategie und Taktik begreifen, die zur tatsächlichen Umsetzung dieser Prinzipien notwendig ist – wie die Prinzipien auf pragmatische Weise zur Anwendung gebracht werden. Er muss die strategischen Grundlagen verstehen, auf denen die Prinzipien aufbauen, ebenso wie die zentralen Dogmen, die ihnen zugrunde liegen. Dann muss er die taktischen Fähigkeiten, die strategischen Manöver und die Kommunikationstechniken verstehen, die zum Einsatz dieser Führungsprinzipien verwendet werden. Und darum geht es in diesem Buch.

Wie in den anderen von mir verfassten Büchern beschreibe ich die Erfahrungen aus dem Gedächtnis und das ist nicht perfekt; die Zitate sind keine wortwörtlichen Wiedergaben, sondern Annährungen, um die thematisierten Ideen zu vermitteln. Einige Details wurden abgeändert, um die Identität der betroffenen Personen oder sensible Informationen zu schützen.

Dieses Buch muss nicht unbedingt der Reihe nach von vorne bis hinten gelesen werden. Es ist als Nachschlagewerk geschrieben und konzipiert, damit Führungskräfte rasch die für ihre Situation relevanten Strategien und Taktiken verstehen und umsetzen können. Das Navy-Seal-Handbuch für Führungsstrategien ist ein Praxishandbuch, um Führungskräften dabei zu helfen, das zu tun, was sie tun sollen: führen.

Wer bin ich, dass ich versuche, Führungskräften das Führen beizubringen? Wo habe ich Führung gelernt? Ein Großteil meiner Führungsausbildung war Glück. Ich nenne es Glück, weil es eine Reihe von glücklichen Umständen gab, die mir die richtige Grundeinstellung, die richtigen Lehrer und die richtigen Gelegenheiten verschafften, um zu lernen.

Einer dieser glücklichen Umstände, der meinen Fokus auf das Thema Führung lenkte, war die Tatsache, dass ich eigentlich über keinerlei spezielle natürliche Begabung verfüge. Als Kind war ich nie der Schnellste, der Stärkste oder der Klügste. Ich konnte nicht besonders gut Körbe werfen, Tore schießen oder Baseball spielen. Ich gewann keine Wettläufe und hatte kein Regal mit Pokalen und Medaillen. Auch meine Zeugnisse waren nichts Besonderes. Vielleicht hätte ich mehr leisten können, wenn der Unterrichtsstoff mich interessiert hätte, aber das tat er meistens nicht, und meine Noten spiegelten das wider. Ich war in jeder Hinsicht durchschnittlich.

Dennoch wollte ich im tiefsten Inneren gern gut sein. Ich wollte andere beeindrucken. Ich wollte ein Zeichen setzen, aber meine sportlichen und kognitiven Fähigkeiten ließen das nicht immer zu. Deshalb musste ich schon in jungen Jahren andere mit mehr Talent und mehr Kompetenz dazu bringen, das zu tun, was ich für notwendig hielt. Ich musste führen.

Natürlich betrachtete ich das nicht als Führung. Ich fand, dass ich einfach etwas ins Rollen brachte und meinen Beitrag leistete, indem ich Menschen dazu brachte, zusammenzuarbeiten und einander zu unterstützen, während wir uns einer gemeinsamen Mission widmeten. So eine Mission konnte darin bestehen, ein Lager im Wald zu bauen oder einen Angriff mit Wasserpistolen auf eine Gruppe von befreundeten Jungen zu planen. Was immer es war, im Allgemeinen gab ich denjenigen Anweisungen, die stärker, schneller oder sonst wie fähiger waren als ich. Das schien das zu sein, womit ich am besten helfen konnte, und es war der Bereich, in dem ich einen höheren Grad an Kompetenz aufwies.

Ich hatte auch immer einen Hang zur Rebellion. Vielleicht war das für mich wieder eine Methode, um mich hervorzutun; ich passte mich nicht dem an, was die anderen Kinder taten. Ich verhielt mich anders, hörte Hardcore und Heavy Metal und hatte eine Hardcore-Lebenseinstellung. Diese Haltung hob mich von der Masse ab. Nachdem ich nicht mehr zu den »normalen« Jugendlichen gehörte, war ich ein Außenseiter. Also beobachtete ich. Mit dem Blick von außen nach innen gewann ich ein tieferes Verständnis für die Menschen, die ich beobachtete. Ich betrachtete aus einer unbeteiligten Position heraus ihre Emotionen, ihre Cliquen und ihre Dramen. Ich lernte.

Meine Rebellion erreichte ihren Höhepunkt, als ich beschloss, zur Navy zu gehen. Viele der Jugendlichen aus meinem kleinen Städtchen in New England kifften, tranken Alkohol und hörten Hippiemusik. Nach der Highschool gingen etliche von ihnen ans College oder fingen an, mit irgendetwas zu handeln. Der Militärdienst war eines der radikalsten Dinge, die ein Jugendlicher aus meinem Heimatort tun konnte. Ich trieb es auf die Spitze und bewarb mich für die SEALs.

Ende der Achtziger- und Anfang der Neunziger-Jahre kannte sich niemand mit den SEALs besonders gut aus. Mein Musterungsoffizier von der Navy hatte eine schlechte Kopie des SEAL-Anwerbungsvideos mit dem Titel Be Someone Special dabei. Nach heutigen Maßstäben war es zwar total kitschig, aber es eröffnete mir eine Perspektive auf die SEALs: Maschinengewehre, Scharfschützen, Sprengstoff und Hochgeschwindigkeitsoperationen. Ein Traum schien wahr zu werden. Ich bewarb mich. Als ich meinem Vater erzählte, dass ich zur Navy gehen würde, sagte er: »Du wirst es hassen.«

»Warum?«, fragte ich.

»Weil du ein Problem mit Autorität hast und keine Leute magst, die dir sagen, was du tun sollst.«

»Aber Dad«, erwiderte ich zuversichtlich, »das heißt doch SEALTeams. Wir sind ein Team. Wir nehmen keine Befehle entgegen. Wir arbeiten zusammen.«

Was für ein naiver Bengel ich war. Genaugenommen war ich einfach dumm. Ich dachte, die SEAL-Teams wären einfach ein paar Jungs, die als Gruppe zusammenarbeiten, flache Hierarchien, in denen keiner so richtig die Verantwortung trug. Nicht mal ansatzweise. Ich hatte auch gehört, dass die Verlustrate bei den SEALs 50 Prozent betrug und fast keiner es zur Verabschiedung nach zwanzig Jahren schaffte, weil die meisten SEALs irgendwann verwundet oder getötet wurden. Wohlgemerkt, das war 1989, aber mit Ausnahme der Invasion von Panama, wo die Kampfhandlungen nur ungefähr anderthalb Monate dauerten, waren wir nicht im Krieg. Rückblickend bin ich sicher, der Mythos von der 50-prozentigen Verlustrate hatte seinen Ursprung darin, dass die Vorgänger der SEAL-Teams – die Naval Combat Demolition Units oder NCDUs – während der D-Day-Invasion in der Normandie eine Verlustrate von 50 Prozent erlitten hatten. Das wusste ich aber damals nicht. Ich dachte, alle SEALs hätten eine Verlustrate von 50 Prozent, und ich glaubte daran. Das stachelte mich noch mehr an, Teil der SEAL-Teams zu werden. Wie gesagt, ich war dumm. Zäh, aber dumm.

Aber zur Navy zu gehen war trotzdem das Beste, was ich tun konnte. Das war wie ein kompletter Neustart und zeigte mir eine klare Richtung auf. Niemanden bei der Navy kümmerte es, dass ich in der Highschool nicht die besten Noten erzielt hatte. Es spielte keine Rolle, dass ich nicht der beste Sportler war. Keinen interessierte es, woher ich kam, was meine Eltern machten oder was sonst noch zu meinem Hintergrund gehören mochte. Sie schoren mir den Kopf, gaben mir eine Uniform und sagten mir, was ich tun musste, um erfolgreich zu sein. Mach dein Bett so, falte deine Unterwäsche so, polier deine Stiefel, bis du dich darin spiegeln kannst. Wenn man den Regeln folgte und tat, was man tun sollte, bekam man eine Führungsposition. Ich befolgte die Regeln, ich tat, was ich tun sollte, und es zahlte sich aus. Ich wurde Squad-Führer in einem Bootcamp. Was bedeutet das? Rein technisch nicht besonders viel, aber für mich eine Menge. Ich war erfolgreich. Aber was noch wichtiger war: Ich hatte ein Zuhause gefunden.

BUD/S (ein Trainingskurs für Navy-SEALS über 24 Wochen, Anm. d. Red.) war dasselbe für mich. Ich war immer noch in nichts besonders gut. Nicht der beste Läufer oder Schwimmer. Nicht herausragend beim Hürdenlauf. Aber ich konnte tun, was mir gesagt wurde. Ich konnte das Spiel mitspielen. Und ich würde nicht aufgeben. Manche Leute sagen, dass während BUD/S jeder irgendwann übers Aufgeben nachdenkt. Ich tat das nie. Nicht eine Sekunde lang. Der Gedanke kam mir überhaupt nicht. Die Höllenwoche, ein fünf Tage dauernder Block mit permanentem körperlichem Training fast ohne Schlaf, der die höchsten Ausstiegszahlen aufweist, war geradezu entspannend für mich, denn während der Höllenwoche gibt es keine zeitlichen Vorgaben. Fast alle anderen Aspekte von BUD/S erfolgen in festen Zeitfenstern. Zeitlich festgelegtes Laufen, Schwimmen und Hürdenlaufen findet tagtäglich statt. Wenn man die Vorgabe nicht einhält und durchfällt, kommt man »in die Blase«. Fällt man noch mal durch, fliegt man raus. Das war stressig. Aber in der Höllenwoche gab es keine Zeitfenster. Man musste einfach nur weitermachen. Man durfte einfach nur nicht aussteigen. Für mich war das die leichteste Übung.

Als ich mit BUD/S fertig war, kam ich in SEAL Team One. Ich war total heiß darauf, wie wir alle, die wir in diese geheiligte Riege von Kriegshelden und Legenden aufgenommen wurden. Wir waren stolz, dass wir BUD/S bestanden hatten, und bereit für ein Leben als SEALs. Es gab nur ein Problem: Wir waren noch keine SEALs. Und wie wir bald herausfinden sollten, hatten wir auch keinen Grund, stolz zu sein.

Der Master Chief des Kommandos, der höchstrangige SEAL im Team One, begrüßte uns an Bord. »Es interessiert hier keinen, dass ihr BUD/S geschafft habt. Das haben wir alle. Es bedeutet hier gar nichts. Ihr müsst euch beweisen, um euch euren Dreizack zu verdienen. Also haltet den Mund und sperrt die Ohren auf, vergesst nichts und seid pünktlich. Noch Fragen?« Der »Dreizack« war das goldene Abzeichen, das auf der Uniform getragen wurde und einen als SEAL auswies. Um es zu erhalten, mussten wir eine sechsmonatige Probezeit durchlaufen und uns dann von den Höchstrangigen des Teams schriftlich und mündlich prüfen lassen. Davor hatten wir alle Angst und der Master Chief bot uns keinerlei Trost.

Keiner von uns hatte noch Fragen an den Master Chief. Es war ein demütigender Augenblick. Obwohl wir die BUD/S-Ausbildung geschafft hatten und obwohl man uns sagte, dass sie »elitär« und »besonders« sei, erkannten wir sehr schnell, dass wir das nicht waren. Die anderen neuen Jungs und ich hatten noch eine Menge zu beweisen, aber irgendwie wusste ich, dass ich das konnte. Das ist eins der Grundthemen der SEAL-Kultur: Ruh dich niemals auf dem aus, was du in der Vergangenheit erreicht hast. Du musst immer noch besser werden.

Als ich in den frühen Neunziger-Jahren ins SEAL Team One kam, war der Ausbildungsverlauf noch ein anderer als heute. Wenn man damals ins Team aufgenommen wurde, wurde man irgendwann einem SEALPlatoon zugewiesen. Dort würde man lernen, ein richtiger SEAL zu sein.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Ausbildung nicht taktisch. Bei BUD/S lernt man nicht allzu viel über die tatsächlichen Aufgaben eines SEALs. Man lernt, durchgefroren, nass, müde und elend zu sein und sich nicht darüber zu beklagen. Aber man lernt keine der beruflichen Fertigkeiten, die einen zu einem professionellen Kampfsoldaten machen. Diese Fertigkeiten werden einem vermittelt, wenn man in einem SEAL-Platoon ist. Dort stürzten die Erkenntnisse nur so auf einen ein. Es gab so viel Wissen, das man sich aneignen musste, so viele Fähigkeiten, die es zu entwickeln galt, so viele Taktiken, die es zu verstehen galt, und man hatte das Gefühl, sich das alles niemals merken zu können. Aber genau wie die anderen Neuen hörte ich zu und lernte. Tag für Tag.

In meinen ersten drei Platoons lernte ich ein paar Grundkonzepte, die mir während meiner gesamten restlichen Laufbahn im Gedächtnis blieben. Sie waren das Fundament für die Prinzipien, die ich irgendwann den anderen SEALs vermittelte, und schließlich auch Unternehmen und Organisationen auf der ganzen Welt. Das sind Beispiele für die glücklichen Umstände, von denen ich weiter oben sprach. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte die richtige innere Einstellung, um das zu lernen, was ich lernte. Dann hatte ich das Glück, weitere Erfahrungen zu sammeln, um das Gelernte zu festigen, und ich begann langsam und unterbewusst, ein Führungssystem zu formulieren. Ich hatte auch das Glück, dieses System dann in einem der anspruchsvollsten Kampfgebiete der Welt anwenden zu können – in der Schlacht von Ramadi im Sommer 2006. Als ich aus diesem Einsatz zurückkehrte, übernahm ich die Ausbildung der West Coast SEALs, wo ich das Erlernte in eine Form brachte, ihm eine Struktur gab und es niederschrieb. Doch die Wurzeln all dessen, was ich am Ende niederschrieb, lagen in einer nicht gerade traditionellen und dennoch hocheffektiven Lernumgebung: im SEAL-Platoon.

Teil 1:FÜHRUNGSSTRATEGIEN

KAPITEL 1GRUNDLAGEN

Erster Platoon: Loslösung

In meinem ersten Platoon lernte ich die Stärke kennen, die darin liegt, sich von dem vor einem liegenden Chaos und Durcheinander loslösen zu können und aus einer gewissen Distanz zu betrachten, was eigentlich geschieht. Es war mein Glück, dass es so geschah, wie es geschah.

Wir übten den Angriff auf Ölbohrinseln im offenen Meer. Im Persischen Golf konnten Ölbohrplattformen aus unterschiedlichen Gründen durch feindliche Soldaten geentert werden, und wir mussten in der Lage sein, sie zurückzuerobern. SEALs hatten seit den Achtziger-Jahren an Einsätzen gegen iranische Bohrinseln in der Region teilgenommen, und es gab Mutmaßungen, dass wir dies erneut würden tun müssen. Also übten wir und bereiteten uns auf die Durchführung dieser sehr spezifischen Mission vor.

Wir verbrachten Zeit auf kommerziellen Bohrinseln an den verschiedensten Orten, um Trainingseinheiten und Übungseinsätze durchzuführen. Es war eine gute Übung, vor allem weil Ölplattformen unglaublich komplexe und gefährliche Bauwerke sind. Viele Teile einer Bohrinsel sind hoch entzündlich und stehen unter erheblicher Druckbelastung, also mussten wir lernen, worauf wir im Falle einer tatsächlichen Mission auf einer Ölbohrinsel achten mussten. Bei einem echten Einsatz mit scharfer Munition und Sprengstoff zum Öffnen von Türen musste uns natürlich bewusst sein, welche Gefahren damit verbunden waren.

Doch was eine Ölplattform wirklich zu einem herausfordernden Ziel macht, ist die Komplexität des Bauwerks selbst. Es ist ein Labyrinth aus Treppen, Fluren, Räumen und offenen Bereichen voller Ausrüstungsgegenstände. Und im Gegensatz zu anderen Zielen, mit denen SEALs zu tun bekommen, ist es ein echtes dreidimensionales Problem, weil viele der Böden aus schweren Metallgittern angefertigt sind, durch die man hindurchsehen kann. Es ist also sehr schwer, die eigenen Bewegungen zu verbergen, und die feindliche Bedrohung ist groß, weil der Feind einen schon aus großer Entfernung sehen kann – er kann schließlich auch durch die Böden sehen.

Als Neuer tat ich mein Bestes, die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zu tun, auf die taktischen Kommandos der Vorgesetzten zu hören und diesen Befehlen Folge zu leisten. An diesem Punkt unseres Trainingszyklus vor dem Einsatz hatte der Platoon schon eine Menge zusammen durchgemacht. Wir hatten eine vollständige Bodenkriegsübung durchlaufen, intensive Nahkampfübungen, Übungen in Stadtgebieten, Aufklärungsübungen und diverse Luft- und Seeübungen ausgeführt. Ich war also zwar immer noch ein Neuer, aber die meisten anderen Neuen und ich hatten sicherlich angefangen, die Taktiken zu begreifen, die man uns beibrachte. Wie bei mir üblich waren meine individuellen Fähigkeiten nichts Besonderes. Ich war nicht der beste Schütze, lud nicht am schnellsten meine Waffe nach und stellte definitiv keine Rekorde beim Kampfschwimmer-Übungstauchen auf. Aber ich hatte ein ganz gutes Gespür für die Taktiken, die uns gezeigt wurden, wie sie funktionierten und wie man sie einsetzte. Ich achtete sorgfältig auf meine Zugführung, sah zu, welche taktischen Entscheidungen man dort traf, und versuchte zu verstehen, warum man sich so und nicht anders entschied.

Trotzdem war ich immer noch ein Neuer. Es war für mich ganz gewiss nicht angebracht, taktische Entscheidungen zu treffen oder den Leuten zu sagen, was sie tun sollten.

Während einer Übung auf der Ölbohrplattform geschah dann etwas, das es zuvor nicht gegeben hatte.

Der gesamte Platoon arbeitete sich durch das Gebäude vor. Sie kamen auf eine weitläufige Ebene der Plattform – und waren schlagartig überfordert. Der Bereich war voller mechanischer Geräte und Ausrüstungsgegenstände, die zahlreiche Versteckmöglichkeiten für den Feind bot und ein komplexes taktisches Problem darstellte. Da stand der gesamte Platoon, Seite an Seite, und alle starrten am Lauf ihrer Waffen entlang auf die potenzielle feindliche Bedrohung wie eine altmodische Schützenkette.

Ich stand da wie der Rest des Platoons, suchte nach Zielen und versuchte, gefährliche Hochdruck- oder entzündliche Bereiche ausfindig zu machen, während ich auf eine Entscheidung wartete, die uns Anweisungen zum weiteren Vorgehen lieferte.

Ich wartete noch ein bisschen, hielt immer noch Ausschau und dachte, dass jetzt jemand mal eine Entscheidung treffen müsste, damit wir wussten, was wir als Nächstes machen sollten.

Ich wartete weiter. Immer noch nichts. Aus dem Augenwinkel sah ich die Jungs links und rechts von mir, die alle dasselbe machten wie ich: Die Waffen im Anschlag, hielten sie nach Zielen Ausschau und warteten auf den Befehl.

Aber der kam und kam nicht. Ich wartete noch etwas ab, aber schließlich reichte es mir. Ich hob meine Waffe in die »High-Port«-Position, das heißt, ich richtete sie auf einen sicheren Punkt himmelwärts und von den Gefahren weg. Dann trat ich einen halben Schritt aus der Gefechtskette zurück und sah nach links und nach rechts. Es war deutlich zu sehen: Jeder Einzelne im Platoon – auch der Platoon Commander, der Platoon Chief, der Assistant Platoon Commander und der Leading Petty Officer – richtete seine Waffe auf die Bedrohung und suchte nach Zielen. Aber keiner sah woandershin. Sie konnten nur das sehen, was im Sichtfeld vor dem Lauf ihrer Waffen lag; keiner nahm in dieser Situation irgendetwas anderes wahr. Doch selbst als unbedeutender Neuling konnte ich die gesamte Situation mit vollständiger Klarheit erfassen. Wenn ich an meiner Waffe entlangschaute, sah ich nur das, was direkt in meiner Schusslinie lag. Jetzt, wo ich einen Schritt nach hinten gemacht und mich umgesehen hatte, konnte ich die gesamte Ebene mit all ihren Hindernissen sehen und die einfachste Art, sie zu sichern. Durch den Schritt rückwärts hatte ich mich mental und physisch vom unmittelbaren Problem losgelöst, und nun war es mir ein Leichtes, die Lösung zu sehen, klarer als sogar die erfahreneren SEALs in meinem Platoon.

Ich atmete tief durch und hielt noch eine Sekunde inne, um sicherzugehen, dass kein anderer sich bewegte, sich umschaute oder ein Kommando gab. Niemand rührte sich. Der Platoon war wie erstarrt. Ich musste etwas tun.

»Links halten, rechts vorwärts!«, bellte ich im autoritärsten Tonfall, den ich aufbringen konnte. Noch während ich es aussprach, rechnete ich halb damit, dass jemand hersehen, mich – einen Neuling, der versuchte, ein Kommando zu erteilen – sehen und mich anweisen würde, die Klappe zu halten.

Doch stattdessen taten alle Mitglieder des Platoons das, was zu tun uns immer eingeprägt wird, wenn wir ein verbales Kommando hören – sie gaben es weiter. »Links halten, rechts vorwärts!« – »Links halten, rechts vorwärts!«, wurde die Reihe entlang wiederholt. Während der Befehl weitergegeben wurde, wurde er auch schon in Aktion umgesetzt. Die Leute auf der linken Seite der Ebene hielten ihre Position, suchten nach Zielobjekten und deckten damit die Leute auf der rechten Seite, die voranstürmten und den Bereich von der rechten Flanke her zu sichern begannen. Das war kein komplexes taktisches Kommando; es war ein normales Vorgehen nach dem Prinzip Deckung-und-Bewegung, das wir unzählige Male praktiziert und geübt hatten. Und sobald die Jungs es hörten, führten sie es auch schon aus.

Während sie den Vorgang ausführten, wurde mir etwas bewusst, das von zentraler Bedeutung ist. Ich erkannte, dass ich durch das Aufwärtsrichten meiner Waffe, durch das Zurücktreten von der Gefechtslinie und durch das Herumschauen – durch die physische Loslösung, wenn auch nur um ein paar Zentimeter, und, was noch wichtiger war, durch die mentale Loslösung von dem vor uns liegenden Problem – in der Lage war, unendlich viel mehr zu sehen als alle anderen in meinem Platoon. Und da ich in der Lage war, alles zu sehen, konnte ich auch eine gute Entscheidung treffen, die es mir, dem Neuen und Rangniedrigsten im Platoon, erlaubte, die Führung zu übernehmen. Bald war die Kellerebene gesichert und wir arbeiteten uns weiter in der Ölbohrplattform voran und sicherten die restlichen Ebenen. Niemand hatte Beschwerden oder Einwände gegen meine Entscheidung, und nachdem wir den Durchlauf beendet hatten, sagte mir einer der Rangoberen, ich hätte einen guten Befehl gegeben.

Die Reaktion meines Platoons bekräftigte diese Idee des Loslösens und ich fing an, das so oft einzusetzen, wie ich konnte. Es war nicht einfach. Manchmal gelang es mir nicht, meinen Fokus von den unmittelbar vor mir liegenden Dingen zu lösen. Aber wenigstens wurde ich mir dessen bewusst. Dann setzte ich mir zum Ziel, mich niemals vollständig von den untergeordneten taktischen Aspekten eines Problems absorbieren zu lassen; mein Ziel war eine mental und physisch erhöhte Position, um mehr sehen zu können. Genau wie auf der Bohrinsel funktionierte die Loslösung auch im Bodengefecht, im Nahkampf und in den urbanen Trainingsbereichen. Sie funktionierte in jeder simulierten Gefechtsumgebung, der wir ausgesetzt wurden. Je öfter ich mich loslöste, desto leichter wurde es, das taktische Gesamtbild zu sehen und zu verstehen, und desto besser wurde ich darin.

Als ich älter wurde, im Rang aufstieg und tatsächlich in Führungspositionen eingesetzt wurde, entwickelte sich diese Loslösung zu einer der Grundlagen meines Führungsstils. Schließlich erkannte ich, dass dieses Loslösen nicht nur in taktischen Szenarien funktionierte, sondern auch im Leben. Wenn ich mich mit jemandem unterhielt, erkannte ich, dass ich losgelöst seine Emotionen und Reaktionen besser entschlüsseln konnte. Mir wurde auch bewusst, dass ich so meine eigenen Emotionen und Reaktionen besser einschätzen und kontrollieren konnte. Als ich zum Assistant Platoon Commander, zum Platoon Commander und schließlich zum Task Unit Commander aufstieg, lernte ich, mich aus dem Missionsplanungsprozess herauszuziehen, um mich nicht mit Details zu verzetteln, sondern stattdessen das große Ganze sehen zu können und als das taktische Genie auftreten zu können, das alle Antworten kannte.

Die Loslösung ist eines der mächtigsten Tools, über das eine Führungskraft verfügen kann. Die Frage ist nur, wie geht man das rein pragmatisch an?

Schritt eins ist die Achtsamkeit. Achten Sie auf sich selbst und auf das, was um Sie herum geschieht. Setzen Sie sich das Ziel, in keiner Situation völlig von den kleinen Details in Beschlag genommen zu werden. Lassen Sie das nicht zu. Wenn Sie achtsam bleiben und sich selbst kontrollieren, lässt sich der Tunnelblick mit höherer Wahrscheinlichkeit vermeiden.

Achten Sie auf Hinweise wie Ihre Atmung, Ihre Stimme. Atmen Sie rasch? Heben Sie die Stimme? Achten Sie auf Ihren Körper. Pressen Sie die Kiefer zusammen? Ballen Sie die Fäuste?

All diese Reaktionen sind Anzeichen für eine emotionale Reaktion auf die Situation. Wenn sie auftreten oder wenn eine Situation chaotisch wird, treten Sie einen Schritt zurück. Im physischen Sinne. Heben Sie das Kinn, das erweitert Ihr Sichtfeld und zwingt Sie dazu, sich umzusehen. Sobald Sie physisch von der Situation Abstand gewonnen haben, tun Sie dasselbe auch mental. Atmen Sie tief ein und aus. Schauen Sie methodisch von links nach rechts und wieder zurück. Das ist ein weiterer Hinweis Ihres Körpers an Ihren Geist, sich zu entspannen, sich umzuschauen, das Gesehene aufzunehmen, die Emotionen loszulassen und eine leidenschaftslose und präzise Einschätzung der Lage vorzunehmen, sodass Sie eine gute Entscheidung fällen können.

Wenn Sie anfangen, diese Schritte zu befolgen und sich loszulösen, werden Sie sehen, dass es sich hier um eines der mächtigsten Tools handelt, das eine Führungskraft besitzen kann.

Natürlich hat die Loslösung zwei Seiten, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Sie können es übertreiben; Sie können so distanziert werden, dass Sie die Verbindung zum Geschehen verlieren. Das ist ungewöhnlich, aber wenn es passiert – wenn Sie anfangen, den Kontakt zu Ihrem Szenario zu verlieren –, geraten Sie nicht in Panik. Machen Sie einfach wieder einen Schritt vorwärts, nähern Sie sich dem Problem ein bisschen und gehen Sie es an.

Zweiter Platoon: von Arroganz und Demut

Wenn Ihr erster Einsatz als Neuling erst mal erledigt ist, sind Sie kein Neuling mehr. Werden Sie Ihrem zweiten Platoon zugewiesen, so steigen Sie auf vom »Neuen« zur »Eintagsfliege«, das heißt, Sie sind vielleicht kein Neuling mehr, aber Sie wissen noch längst nicht alles – auch wenn Sie das womöglich glauben.

Es gab eine beträchtliche Zahl an Eintagsfliegen in meinem zweiten Platoon beim SEAL Team One. Das Team hatte einige von uns aus unserem vorherigen Platoon zusammengelassen und dann einige der anderen Eintagsfliegen aus anderen Platoons hinzugefügt. Unser Platoon Chief war allerdings ein sehr kluger und erfahrener Senior Chief, ebenso unser Leading Petty Officer (LPO). Zudem hatten wir einen unglaublich talentierten Vorgesetzten als Assistant Platoon Commander, den Rekord-Quarterback der Navy Midshipmen Alton Lee Grizzard. Er besaß nicht nur eine enorme natürliche Führungskompetenz, sondern hatte auch an echten Einsätzen in Somalia teilgenommen.

Die Platoon-Führung war also sehr stark. Alle bis auf den Platoon Commander selbst. Er hatte als Quereinsteiger aus einem anderen Spezialbereich in der Navy zu den SEALs gewechselt. Das heißt, obwohl er ein Senior Lieutenant war, hatte er sehr wenig Erfahrung bei den SEALs. Er hatte noch an keiner SEAL-Übung und an keinem Einsatz teilgenommen.

Er verfügte nicht über die Erfahrung, die ein Platoon Commander normalerweise hatte. Und doch war er für den Platoon verantwortlich.

Das ist an sich keine große Sache; das Militär ist darauf eingerichtet, auf diese Weise zu funktionieren. Ein unerfahrener Offizier ist von erprobtem, erfahrenem Mannschaftspersonal umgeben, das dem Offizier taktische Hinweise gibt und dafür sorgt, dass alles reibungslos läuft. So sollte es zumindest sein. Aber in diesem Platoon funktionierte das überhaupt nicht.

In diesem speziellen Fall wollte der Platoon Commander weder auf die Ratschläge seiner erfahrenen Mannschaftsführung noch auf irgendeinen von uns hören. Obwohl er abgesehen von den Neulingen derjenige mit der geringsten Erfahrung im Platoon war, wollte er sämtliche Entscheidungen allein treffen. Alle Pläne waren seine Pläne. Alle Entscheidungen waren seine Entscheidungen. Er wollte niemandem zuhören.

Man muss nicht eigens erwähnen, dass das nicht besonders gut ankam. Es ging nicht nur den Mannschaftsführern gegen den Strich, sondern machte auch uns restliche Truppenmitglieder nervös, als wir erkannten, dass er keinerlei Rat von der Mannschaftsführung annahm. Wenn er die Ratschläge der erfahrensten Männer im Platoon in den Wind schlug, ließ uns das an seinen Plänen zweifeln. Und wir sollten recht behalten. Die Pläne, die der Platoon Commander entwickelte und uns auferlegte, waren nicht gut, und das zeigte sich ziemlich schnell. Wir hatten Probleme im Feld. Wir erfüllten unsere Übungsmissionen nicht auf dem erforderlichen Niveau.

Doch unsere mangelhafte Leistung änderte die Einstellung des Platoon Commanders nicht. Als wir bei einer Übungsmission scheiterten, schob er anderen die Schuld zu. Niemals erkannte er oder gestand er ein, dass sein Plan vielleicht nicht der beste gewesen war oder dass die Entscheidungen, die er im Feld getroffen hatte, falsch waren.

Im Rückblick ist offensichtlich, dass dieser Offizier seine fehlende Erfahrung durch ein enormes Ego kompensierte. Damals war mir das nicht ganz klar; ich hatte einfach noch nicht genügend Erfahrung, um zu erkennen, was vor sich ging. Aber jetzt ist mir klar, dass er zu keinerlei Selbstkritik imstande war.

An dieser Stelle muss ich meinen Senior Chief und meinen Leading Petty Officer lobend erwähnen. Wir jungen Mannschaftsleute sahen, dass unsere Mannschaftsführer sich alle Mühe gaben, ihn zu beraten, auf ihn einzureden, ihn zu beeinflussen und zu fördern. Sie nahmen sich eigens Zeit, um ihm zu erklären, wie alles funktionierte. Sie versuchten ihn dazu zu bringen, sein Ego unter Kontrolle zu halten und einigen von ihnen ein paar der taktischen Entscheidungen zu überlassen.

Leider schafften sie es nicht, ihn zu ändern. Die Monate vergingen und das Verhalten des Platoon Commanders besserte sich nicht. Eines späten Abends nach einer anstrengenden Übung in der Wüste hatte unser LPO, der vom Rang her Zweithöchste im Platoon, schließlich genug. Er stimmte dem Plan des Platoon Commanders nicht zu und das sagte er ihm auch. Diese Unstimmigkeit eskalierte zum Streit, dann zum gegenseitigen Anbrüllen, und schließlich holte der Platoon Commander aus und verpasste dem LPO einen Schlag. Wir sprangen alle ein und trennten die beiden, aber es war eine üble Szene.

Man muss dazu wissen, dass es in einem gesunden SEAL-Platoon immer wieder kleinere freundschaftliche Auseinandersetzungen gibt. Verbale Rangeleien führen oft zu dem einen oder anderen gutartigen Schlagabtausch oder vielleicht zu leichten Rangeleien. Aber das hier war etwas anderes. Es war nichts Spielerisches daran. Und was noch schlimmer war: Ein Offizier hatte die Hand gegen ein Mannschaftsmitglied erhoben.

In den nächsten Tagen herrschte im Platoon düstere Stimmung. Uns wurde klar, dass wir ein echtes Problem hatten. Unser Offizier war arrogant und hörte auf niemanden. Das war schon schlimm genug. Aber jetzt hatte er auch noch versucht, unseren LPO zu schlagen. Das war inakzeptabel. Wir konnten das nicht durchgehen lassen. Das Murren über die Situation wurde zum Sturm der Entrüstung und unsere vereinzelten Beschwerden wurden systematisch gesammelt. Wir mussten etwas unternehmen.

Die Mannschaftskameraden hielten ein paar Besprechungen hinter verschlossenen Türen ab. Wir konsultierten unseren Senior Chief und den LPO und schließlich beschlossen wir, unseren Commanding Officer aufzusuchen und ihm zu sagen, dass wir nicht mehr unter unserem Platoon Commander dienen wollten. Wir wollten, dass er abgesetzt wurde. Es war eine Meuterei.

Ich will das Ganze nicht dramatischer klingen lassen, als es war, aber alle Militärangehörigen müssen sich den rechtlichen Regeln des Einheitlichen Militärstrafgesetzbuches fügen: »Wer der versuchten Meuterei, der Meuterei oder der Aufwiegelei für schuldig befunden wird oder es versäumt, eine Meuterei oder Aufwiegelung zu melden, wird mit dem Tod bestraft.« Und genau das taten wir – wir revoltierten gegen unseren Vorgesetzten. Natürlich geschah das in Friedenszeiten und es drohte keinerlei Gefahr, dass die Situation in eine kriminelle Meuterei ausartete, für die man uns vor das Kriegsgericht stellen würde, aber es war eine ernste Lage, wenn untere Mannschaftsgrade darum baten, dass ihr Platoon Commander abgesetzt wurde.

Ein paar Tage später kehrten wir von einer Wüstenübung zum Team zurück. Unser Senior Chief sprach mit dem Master Chief of the Command, dem ranghöchsten Offizier im SEAL Team One, und erläuterte die Situation. Er konnte uns eine Besprechung mit dem Commanding Officer von SEAL Team One vereinbaren.

Unser Commanding Officer war als Vorgesetzter äußerst angesehen. Er war bodenständig und charismatisch und genoss den Ruf, ein sehr guter Taktiker zu sein – was unter erfahrenen Offizieren selten war.

Zum vorgesehenen Termin sprachen die Mannschaftkameraden unseres Platoons im Büro des Commanding Officers vor. Er bat uns herein und forderte jeden Einzelnen von uns auf, die Situation aus seiner Sicht zu erläutern. Einer nach dem anderen erzählten wir ihm unsere Versionen dessen, was wir an dem Abend erlebt hatten, als der Platoon Commander versuchte, unseren LPO zu schlagen, und wir beschrieben auch die allgemeine Stimmung im Platoon. »Der Platoon Commander hört wirklich auf niemanden«, berichtete ich ihm. »Es geht ausschließlich nach seinen Vorstellungen.«

Der Commanding Officer hörte aufmerksam zu. Ich dachte, unsere Worte hätten ihn überzeugt, doch nachdem der letzte Mann geredet hatte, sah er von einem zum anderen und sagte: »Hört mal, Jungs. Ich verstehe schon, dass die Situation nicht ideal ist. Hört sich an, als gäbe es da ein paar persönliche Konflikte. Aber es hört sich auch nach einer Meuterei an. Und Meutereien dulden wir in der Navy nicht. Also hört auf damit. Kehrt zurück zu eurem Platoon. Führt euren Dienst aus. Und kommt damit klar. Verstanden?«

»Ja, Sir«, erwiderten wir alle.

Das ergab Sinn. Wir hatten uns ausgesprochen und wir hatten die Anweisung erhalten, uns zu fügen. Das taten wir. Weil wir so viel Respekt vor dem Commanding Officer hatten, stellten wir seine Worte nicht infrage. Er hatte gesagt, wir sollten uns fügen, und wir taten es. Wir kehrten zu unserem Platoon zurück und nahmen wieder unseren Dienst auf.

Der Commanding Officer hatte unsere Rebellion niedergeschlagen. Er hatte recht; Meutereien werden in der Navy nicht geduldet und er wollte in seinem SEAL-Team auch keine solche haben.

Doch wie sich zeigte, wollte er auch keinen schlechten Platoon Commander. Während der folgenden Tage beriet sich der Commanding Officer mit dem Command Master Chief, führte weitere Gespräche mit unserem Platoon Senior Chief, nahm eine gründliche Einschätzung der Führungsmängel des Platoon Commanders vor und bestellte auf der Grundlage dieser Einschätzung unseren Platoon Commander ins Büro des Commanding Officers, um ihn von seinen Pflichten als Platoon Commander zu entbinden. Das war keine Meuterei der Truppe; es war eine Entscheidung des Commanding Officers. Der Platoon Commander wurde seines Amtes enthoben und aus dem SEAL Team One entfernt.

Schon das allein hätte für mich als jungen SEAL eine gute Führungslektion sein können: Es funktioniert nicht, arrogant zu sein und sich allein auf seinen Rang zu berufen. Doch ich bin sicher, hätte ich diese Lektion wirklich begriffen, dann wäre das Nachfolgende nicht passiert.

Nachdem der alte Platoon Commander gefeuert worden war, bekamen wir einen neuen, und er war das komplette Gegenteil seines Vorgängers. Alle im SEAL-Team hatten schon von unserem neuen Platoon Commander gehört. Er wurde bei seinen Initialen genannt, nach dem Fliegeralphabet: Delta Charlie.

Delta Charlie hatte einen unglaublichen Ruf als Offizier und Mannschaftskamerad. Er hatte seine Laufbahn als einfacher Soldat begonnen und alle Ränge bis hinauf zum Senior Chief durchlaufen, dem zweithöchsten Mannschaftsgrad in der Navy, gleich nach dem Master Chief. Dann hatte er das Offizierspatent erlangt. Im Laufe seiner Karriere war ihm jede Aufgabe zugeteilt worden, die ein SEAL nur haben konnte.

Anfangs war er beim Underwater Demolition Team gewesen, ehe es in SEAL-Teams umgewandelt wurde. In Richard Marcinkos SEAL-Team war er Plank Owner (Mitglied der ersten Crew, die auf einem Schiff eingesetzt wird, Anm. d. Red.) gewesen. Er war bei einem regulären SEALTeam, dem Special Boat Team, stationiert gewesen, hatte als Ausbilder bei BUD/S gearbeitet und sogar im SEAL Delivery Vehicle Team, dem Stützpunkt der Mini-U-Boote des Naval Special Warfare Command. Obendrein hatte er Kampferfahrung. Er hatte an der Invasion von Grenada teilgenommen mit der Aufgabe, den Hauptsendemast des Landes unter seine Kontrolle zu bringen. Wir wussten nicht viel über diesen Einsatz, aber eines wussten wir: Es war ein echter Einsatz gewesen und keiner von uns hatte bisher je an einem echten Einsatz teilgenommen.

Als ich hörte, dass Delta Charlie übernehmen würde, war ich aufgeregt, aber auch ein bisschen eingeschüchtert. Klar, als Eintagsfliege glaubte ich, über gewisse Kenntnisse zu verfügen, aber ich hatte nicht gedacht, dass diese Kenntnisse sich mit denen eines Delta Charlie würden messen lassen müssen, der unendlich viel mehr Erfahrung hatte als ich oder sonst irgendwer im Platoon. Zudem stellte ich mir vor, dass Delta Charlie diesem Platoon zugewiesen worden war, um uns wieder ins Glied zu bringen, um sicherzustellen, dass dieser Haufen junger Meuterer in seine Schranken verwiesen wurde. Ich nahm an, wir würden nach unserer Rebellion eine ziemlich strenge Führung und strikte Kontrolle erhalten. Ich machte mich auf einiges gefasst.

Dann begegnete ich Delta Charlie zum ersten Mal. Er war nicht im Geringsten so, wie ich es erwartet hatte. Er war kleiner, als ich gedacht hatte, ungefähr eins siebzig, und von recht schlanker Statur mit einem Gewicht von schätzungsweise fünfundsiebzig Kilo.

Außerdem wirkte er entspannt. Er schien sehr gelassen und hatte meistens ein Lächeln auf den Lippen. Als er das erste Mal mit uns sprach, sagte er: »Ich freue mich darauf, mit euch allen zusammenzuarbeiten.«

Das war der erste Hinweis darauf, was für eine Art von Vorgesetzter Delta Charlie sein würde. Nur ein subtiler, aber ich bemerkte ihn. Er sagte nicht: »Ich freue mich darauf, euch zu führen«, oder: »Ich freue mich, diesen Platoon zu übernehmen«, oder: »Ich hab den Laden im Griff«, oder auch: »Es ist mir eine Ehre, als euer Commander zu übernehmen.« Stattdessen sagte er, er freue sich darauf, mit uns allen zusammenzuarbeiten – seine Verwendung des Wortes mit bildete einen starken Kontrast zu dem, was wir von unserem alten Platoon Commander zu hören bekommen hatten, der sich in seinen verbalen Äußerungen immer von uns absetzte. Aber Delta Charlie war anders; er deutete nicht an, dass er über uns stand oder sich von uns unterschied, sondern dass er einer von uns war.

Die Unterschiede zwischen Delta Charlie und seinem Vorgänger gingen allerdings noch weit darüber hinaus. Diese beiden Männer waren in jeder nur denkbaren Hinsicht diametrale Gegensätze und das war ein Glück für mich, denn der Kontrast zwischen den beiden Führungspersönlichkeiten war so groß, dass er starken Eindruck auf mich machte und mein Handeln als Führungskraft für den Rest meines Lebens beeinflussen sollte.

Einer der größten Unterschiede zwischen Delta Charlie und seinem Vorgänger war, dass Delta Charlie enorm viel Erfahrung hatte, während der ehemalige Platoon Commander praktisch keine hatte, genau wie die anderen Neuen. Delta Charlie hatte alles schon mal gemacht; der ehemalige Platoon Commander nichts. Da Delta Charlie über so viel Erfahrung verfügte, erwartete ich, dass er uns genau sagen würde, wie was zu machen war. Schließlich hatte der alte Platoon Commander das ungeachtet seiner fehlenden Erfahrungen und Kenntnisse auch getan. Er hatte immer seine eigenen Pläne geschmiedet, uns gesagt, wie wir sie umsetzen sollten, und dann von uns erwartet, dass wir sie anhand dieser konkreten Befehle ausführten.

Daher fand ich es recht schockierend, genau wie die übrigen Mannschaftskameraden im Platoon, dass Delta Charlie uns überhaupt nicht herumkommandierte. Er hatte nicht für alles einen eigenen Plan. Er sagte uns nicht, wie wir etwas machen sollten. Er praktizierte das klassische Dezentrale Kommando: Er sagte uns, was erledigt werden musste, und dann wies er uns an herauszufinden, wie wir das schaffen wollten. Und wenn ich sage uns, meine ich nicht nur die vorgesetzten Mannschaftsgrade, sondern ebenso uns untere Ränge. Er sagte mir oder ein paar der anderen einfachen Soldaten: »Hey, das ist die Mission für heute. Überlegt mal, wie wir das machen sollten, und sagt mir dann Bescheid.«

Das machte uns zwar etwas unsicher, aber gleichzeitig auch begeistert. Wir wollten gute Arbeit leisten und wir gaben uns die allergrößte Mühe, einen taktisch klugen Plan auszutüfteln. Als wir den hatten, stellten wir ihn Delta Charlie vor. Unweigerlich fand er ein paar Fehler darin, die er uns erklärte. Ich war immer beeindruckt, dass wir vier oder fünf Stunden über dem mutmaßlichen Einsatz brüten, Landkarten anstarren, diskutieren und Schwachstellen in unseren Ideen ausfindig machen konnten, und wenn wir dann endlich Delta Charlie unseren Plan vorlegten, nahm er eine rasche Einschätzung vor und wies auf ein paar Probleme hin. Das war bewundernswert. Er kam mir vor wie ein taktisches Genie. Aber später erkannte ich, dass er vom Planungsprozess losgelöst war, deshalb konnte er die Sache aus einer höheren Perspektive betrachten und mühelos erkennen, wo die Schwächen lagen.

Das ist das genaue Gegenteil dessen, was passiert war, wenn unser früherer Platoon Commander auf eigene Faust einen Plan entwickelt und ihn uns aufgezwungen hatte. Dann waren wir diejenigen, die die Schwachstellen in seinem Plan erkannten, und wir konnten uns absolut nicht erklären, wie er auf so einen Blödsinn gekommen war.

Wenn Delta Charlie uns erlaubte, den Plan zu entwickeln, hatten wir außerdem die komplette Verantwortung dafür. Natürlich hatten wir die; es war ja unser Plan. Er musste uns nicht erst davon überzeugen; wir waren bereits überzeugt. Und wenn wir ins Feld zogen, um den Plan umzusetzen, waren wir, da es eben unser Plan war, fest entschlossen, ihn zu einem Erfolg zu machen. Wenn uns ein Hindernis begegnete, fanden wir einen Weg, es zu umgehen, zu überwinden oder zu beseitigen. Nichts konnte uns davon abhalten, den Plan umzusetzen und die Mission zu erfüllen.