Das Osterman-Wochenende - Robert Ludlum - E-Book

Das Osterman-Wochenende E-Book

Robert Ludlum

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Beschreibung

In einem ruhigen Vorort von New Jersey trifft sich eine geheimnisvolle Gruppe, um eine gigantische Verschwörung vorzubereiten. Das Schicksal Amerikas und der restlichen Welt steht auf dem Spiel.

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Die Originalausgabe THE OSTERMAN WEEKEND erschien 1972 bei World Publishing, New York 

Vollständige deutsche Taschenbuchausgabe 11/2011

Copyright © 1972 by Robert Ludlum

Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock/Olly

ISBN 978-3-641-07116-5V004

www.heyne.de

www.randomhouse.de

DAS BUCH

Saddle Valley ein ruhiger Vorort von New Jersey John und Alice Tanner erwarten für das kommende Wochenende drei befreundete Ehepaare, unter anderem auch Bernie Osterman und seine Frau. Da nimmt der CIA-Agent Fosset mit John Tanner Kontakt auf. Er eröffnet ihm, dass einer oder mehrere seiner Wochenendgäste einer Geheimorganisation namens Omega angehören, die einen folgenschweren Anschlag auf die USA plant.

In den darauffolgenden Tagen erhalten die verschiedenen Teilnehmer dieses >Osterman-Wochenendes< anonyme Mitteilungen, in denen sie indirekt auf mehr oder weniger dunkle Punkte in ihrer Vergangenheit hingewiesen werden. Als das Treffen schließlich stattfindet, herrscht eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens. Die Situation droht zu eskalieren.

Das Osterman-Wochenende ist längst ein Klassiker der Spannungsliteratur. Robert Ludlums wegweisender Thriller wurde bereits erfolgreich verfilmt, eine zweite Filmfassung ist in Vorbereitung.

DER AUTOR

Robert Ludlum (1927-2001) zählt zu den erfolgreichsten Autoren der Welt, seine Thriller faszinieren seit vierzig Jahren ein Millionenpublikum. Seine beispiellose Schriftstellerkarriere nahm im Jahre 1971 seinen Anfang, als sein Debütroman sozusagen aus dem Stand Platz Eins der Bestsellerliste erreichte. Dieser Erfolg erlaubte es Ludlum, sich fortan nur noch dem Schreiben zu widmen. Inzwischen wurden viele seiner Romane, allen voran die Bestseller um den Agenten Jason Bourne, erfolgreich verfilmt. Allein im deutschsprachigen Raum wurden über 7 Millionen seiner Bücher verkauft.

Teil 1

Sonntagnachmittag

1.

Saddle Valley, New Jersey, ist ein Dorf.

Zumindest fanden die Immobilienmakler und Bauträger ein Dorf, als sie Ende der dreißiger Jahre, von Alarmsignalen aus einem zerbröckelnden Manhattan der oberen Mittelklasse aufgeschreckt, in seine bewaldeten Gefilde eindrangen.

Die weiße, wappenförmige Tafel an der Valley Road trägt die Aufschrift

 

SADDLE VALLEY GEGRÜNDET 1862 Willkommen

 

Das >Willkommen< ist kleiner geschrieben als die Worte davor, denn in Wirklichkeit sind in Saddle Valley Fremde gar nicht willkommen, Fremde, wie jene Sonntagsausflügler, die den Dorfbewohnern gerne bei ihren sonntäglichen Vergnügungen zusehen. Am Sonntagnachmittag patrouillieren zwei Polizeiwagen aus Saddle Valley die Straßen.

Man könnte vielleicht noch feststellen, daß das Schild nicht lautet

 

SADDLE VALLEY, NEW JERSEY

 

oder gar

 

SADDLE VALLEY, N.J.

sondern nur

 

SADDLE VALLEY

 

Das Dorf akzeptiert keine höhere Autorität; es ist sein eigener Herr. Isoliert, sicher, unverletzbar.

An einem nicht weit zurückliegenden Sonntagnachmittag im Juli wirkte einer der beiden Streifenwagen aus Saddle Valley besonders gründlich. Der weiße Wagen mit den blauen Streifen rollte ein wenig schneller als gewöhnlich über die Straßen. Er fuhr von einem Ende des Dorfes zum anderen, drang in die Wohngebiete ein, auch hinter die geräumigen, geschmackvoll gestalteten Grundstücke, von denen jedes einen Acre1 groß war.

Dieser Streifenwagen fiel an diesem besonderen Sonntagnachmittag einigen Bewohnern von Saddle Valley auf.

Das sollte er auch.

Das gehörte zu dem Plan.

 

John Tanner, bekleidet mit alten Tennisshorts, dem Hemd von gestern und Turnschuhen ohne Socken, war damit beschäftigt, seine Doppelgarage auszuräumen und hörte dabei mit halbem Ohr auf die Geräusche, die vom Pool herüberdrangen. Sein zwölfjähriger Sohn Raymond hatte Freunde zu Besuch, und Tanner ging immer wieder mal weit genug in die Einfahrt hinein, um am Hinterhof vorbei zum Pool zu sehen und sich zu vergewissern, daß bei den Kindern alles in Ordnung war. Genauer gesagt, er ging nur dann hinaus, wenn das Geschrei auf normale Gesprächslautstärke zurückging – oder wenn es gar eine Weile still war.

Tanners Frau Alice kam mit nervtötender Regelmäßigkeit durch den Hausarbeitsraum in die Garage, um ihrem Mann zu sagen, was er als nächstes wegwerfen sollte. John warf ungern etwas weg, und die daraus folgende Ansammlung von Kram brachte sie zur Verzweiflung. Diesmal deutete sie auf einen zerbrochenen Grassammler, der seit Wochen hinten in der Garage gelegen hatte.

John bemerkte ihre Geste. »Ich könnte ihn ja auf ein Stück Schmiedeeisen montieren und ihn dem Museum of Modern Art verkaufen«, sagte er. »Überreste vergangener Ungerechtigkeiten. Vor-Gärtner-Periode.«

Alice Tanner lachte. Ihr Mann stellte wieder einmal fest, wie er das schon seit so vielen Jahren tat, daß es ein hübsches Lachen war.

»Ich leg’ ihn neben die Einfahrt. Die holen das Zeug montags ab.« Alice griff nach dem Relikt.

»Schon gut. Ich mach’ das schon.«

»Nein, machst du nicht. Du überlegst es dir auf halbem Wege anders.«

Ihr Mann hob das Gerät über einen Briggs-and-Stratton-Rasenmäher, während Alice sich an dem kleinen Triumph vorbeischob, den sie stolz als ihr >Statussymbol< bezeichnete. Als sie anfing, den Grassammler die Einfahrt hinunterzurollen, fiel das rechte Rad ab. Beide lachten.

»Jetzt wär’ der Handel mit dem Museum perfekt. Das Ding ist unwiderstehlich.«

Alice blickte auf und hörte zu lachen auf. Vierzig Meter entfernt vor ihrem Haus rollte langsam der weiße Streifenwagen den Orchard Drive hinunter.

»Heute nachmittag kümmert sich die Polizei aber gründlich um die Bauern«, sagte sie.

»Was?« Tanner hob das Rad auf und warf es in die Abfalltonne.

»Saddle Valleys Stolz ist bei der Arbeit. Das ist jetzt das zweite- oder drittemal, daß die durch den Orchard Drive fahren. « «

Tanner blickte dem Streifenwagen nach. Der Fahrer, Officer Jenkins, erwiderte seinen Blick. Er winkte ihm nicht zu, auch keine Grußgeste. Nichts. Dabei waren sie miteinander bekannt, wenn nicht gar Freunde.

»Vielleicht hat der Hund letzte Nacht zu viel gebellt.«

»Unser Babysitter hat nichts gesagt.«

»Für einen Dollar fünfzig die Stunde kann man auch den Mund halten.«

»Jetzt solltest du das Ding wegstellen, Darling.« Alices Gedanken wandten sich von dem Polizeiwagen ab. »Ohne Rad wird das eine Arbeit für Papi. Ich kümmere mich um die Kinder.«

Tanner zog das klappernde Gerät hinter sich her, bis zum Straßenrand. Ein helles Licht, das etwa sechzig Meter entfernt war, zog seinen Blick auf sich. Der Orchard Drive führte in westlicher Richtung um ein paar Bäume herum. Ein paar hundert Fuß hinter der Biegung wohnten Tanners nächste Nachbarn, die Scanlans.

Das Licht, das ihm aufgefallen war, war der Reflex der Sonne von dem Streifenwagen. Er parkte jetzt am Straßenrand.

Die beiden Polizisten hatten sich in ihren Sitzen umgedreht und starrten zum Heckfenster hinaus, starrten ihn an, da war er ganz sicher. Ein oder zwei Sekunden lang blieb er reglos stehen. Dann setzte er sich langsam auf den Wagen zu in Bewegung. Die beiden Beamten drehten sich um, gaben Gas und rollten davon.

Tanner blickte dem Wagen verblüfft nach und ging dann langsam zu seinem Haus zurück.

Der Saddle-Valley-Polizeiwagen raste zur Peachtree Lane; dort verlangsamte er seine Fahrt und rollte wieder im Schrittempo dahin.

Richard Tremayne saß in seinem klimatisierten Wohnzimmer und sah zu, wie die Mets einen Vorsprung von sechs Runs verpatzten. Die Vorhänge der weiten Erkerfenster waren offen.

Plötzlich erhob sich Tremayne aus seinem Sessel und ging zum Fenster. Da war der Streifenwagen schon wieder. Nur, daß er sich diesmal kaum bewegte.

»Hey, Ginny!« rief er seiner Frau. »Komm mal her.«

Virginia Tremayne ging die drei Stufen ins Wohnzimmer hinunter. »Was ist denn? Du hast mich doch ganz bestimmt nicht gerufen, um mir zu sagen, daß deine Mets oder Jets etwas getroffen haben?«

»Als John und Alice gestern abend hier waren – haben da er und ich – irgend etwas gemacht? Ich meine, wir waren doch nicht zu laut oder so etwas, oder?«

»Ihr wart beide blau. Aber freundlich. Warum?«

»Ich weiß, daß wir betrunken waren. Das war auch eine lausige Woche. Aber wir haben doch nicht irgend etwas Unpassendes getan?«

»Natürlich nicht. Anwälte und Reporter sind Muster an Wohlanständigkeit. Warum fragst du?«

»Der verdammte Polizeiwagen ist jetzt zum fünften Mal vorbeigefahren. «

»Oh. « Virginia spürte, wie sich in ihrem Magen etwas verkrampfte. »Täuschst du dich auch nicht?«

» Den Wagen übersieht man doch am hellichten Tage nicht. «

»Nein, da hast du recht ... Du hast gesagt, es sei eine miese Woche gewesen. Meinst du, daß dieser schreckliche Mann vielleicht ... «

»Großer Gott, nein! Ich hab’ dir doch gesagt, daß du das vergessen sollst. Er ist ein Großmaul. Er hat den Fall zu persönlich genommen.« Tremayne blickte immer noch zum Fenster hinaus. Der Polizeiwagen entfernte sich jetzt.

»Aber er hat dich bedroht. Das hast du gesagt. Er sagte, er hätte Verbindungen...«

Tremayne drehte sich langsam herum und sah seine Frau an. »Wir alle haben Verbindungen, oder? Manche, die bis in die Schweiz reichen.«

»Dick, bitte. Das ist doch absurd.«

»Natürlich ist es das. Der Wagen ist jetzt weg. Wahrscheinlich hat das Ganze nichts zu besagen. Die sollen im Oktober eine Gehaltserhöhung kriegen. Wahrscheinlich sehen sie sich nach Häusern um, die sie kaufen können. Diese Dreckskerle! Die verdienen mehr, als ich fünf Jahre nach dem Studium verdient habe.«

»Ich glaube, du bist jetzt ein wenig gereizt und verkatert.«

»Ich denke, du hast recht.«

Virginia beobachtete ihren Mann. Er starrte immer noch zum Fenster hinaus. »Das Mädchen möchte am Mittwoch frei haben. Da gehen wir zum Essen aus, einverstanden?«

»Sicher.« Er drehte sich nicht um.

Seine Frau ging wieder in den Korridor zurück. Sie sah sich nach ihrem Mann um; jetzt sah er sie an. Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Dabei war es kühl im Zimmer.

 

Der Streifenwagen nahm Kurs nach Osten, auf die Route Five zu, die wichtigste Verbindungsstraße mit dem sechsundzwanzig Meilen entfernten Manhattan. An einer Stelle, von der aus man die Ausfahrt 10A überblicken konnte, hielt er an. Der Streifenpolizist, der rechts vom Fahrer saß, holte einen Feldstecher aus dem Handschuhkasten und begann die Fahrzeuge zu mustern, die von der Ausfahrt kamen. Es war ein Zeiss-Glas.

Nach einigen Minuten tippte er Jenkins, den Fahrer, an, der durch das offene Fenster herübersah. Er ließ sich den Feldstecher geben, hob ihn an die Augen und verfolgte den Wagen, den ihm sein Kollege gezeigt hatte. Dann sagte er nur ein Wort: »Bestätigt.«

Jenkins legte den Gang ein und fuhr in südlicher Richtung. Er nahm den Telefonhörer ab. »Hier ist Wagen zwei. Fahren in südlicher Richtung auf der Register Road. Verfolgen grünen Ford. New Yorker Kennzeichen. Mit Niggers oder P.R.s.«

Über den Lautsprecher hallte es knatternd: »Verstanden, Wagen zwei. Verjagt sie.«

»Wird gemacht. Kein Problem. Ende.«

Der Streifenwagen bog nach links und jagte die lange Rampe zur Route Five hinunter. Sobald sie auf dem Highway waren, trat Jenkins das Gaspedal bis zum Boden durch, und der Wagen kam auf der glatten Straße schnell auf Touren. Binnen sechzig Sekunden zeigte der Tachometer zweiundneunzig Meilen die Stunde an.

Vier Minuten später verlangsamte der Streifenwagen in einer langen Kurve die Fahrt. Ein paar hundert Meter hinter der Kurve standen zwei Telefonzellen, deren Glas das grelle Licht der Julisonne reflektierte.

Der Polizeiwagen kam zum Stillstand, und Jenkins’ Begleiter stieg aus.

»Hast du einen Dime?«

»Ich werd verrückt, McDermott!« Jenkins lachte. »Fünfzehn Jahre bei der Firma und hast noch nicht einmal Kleingeld, um Kontakt herzustellen.«

»Schlaumeier. Ich hab’ Nickel, aber einer hat einen Indianerkopf. «

»Hier.« Jenkins holte eine Münze aus der Tasche und reichte sie McDermott. »Du würdest selbst dann einen Roosevelt-Dime nicht für einen Alarmruf verwenden, wenn irgendwo eine Atomrakete unterwegs wäre.« «

»Weiß ich nicht.« McDermott ging zu der Telefonzelle, schob die ächzende Türe auf und wählte >O<. In der Zelle war es drückend heiß, die Luft in ihr schien völlig stillzustehen. Er hielt deshalb die Tür mit dem Fuß auf.

»Ich fahr’ die Straße hinunter und kehre um«, rief Jenkins vom Wagen. »Ich lass’ dich auf der anderen Seite zusteigen. «

»Okay... Vermittlung. R-Gespräch nach New Hampshire. Vorwahl drei-eins-zwei. Sechs-fünf-vier-null-null. Mr. Leather.«

Er hatte ganz deutlich gesprochen. McDermott hatte ein Gespräch nach New Hampshire bestellt, und das Mädchen in der Vermittlung stellte es auch durch. Was sie nicht wissen konnte, war, daß diese spezielle Nummer nicht dazu führte, daß ein Telefon im Staate New Hampshire klingelte. Vielmehr wurde irgendwo unter der Erde, in einem riesigen Komplex mit Tausenden von Leitungen ein winziges Relais ausgelöst, und eine kleine magnetisierte Stange fiel herunter und stellte eine andere Verbindung her. Diese Verbindung führte dazu, daß ein Telefon, das zweihundertdreiundsechzig Meilen südlich von Saddle Valley, New Jersey, stand, nicht etwa klingelte, sondern leise summte.

Das Telefon befand sich in einem Büro im ersten Stock eines roten Ziegelgebäudes, das von einem zwölf Fuß hohen, mit Strom geladenen Zaun umgeben war. Das Gebäude gehörte zu einer Gruppe von zehn ähnlichen Gebäuden, die alle miteinander verbunden waren und daher einen einzigen Komplex bildeten. Außerhalb der Umfriedung stand dicht belaubter Wald. Es handelte sich um McLean, Virginia. Der Komplex beherbergte die Central Intelligence Agency. Isoliert, sicher, unverletzbar.

Der Mann, der in dem Büro im ersten Stock hinter dem Schreibtisch saß, drückte erleichtert seine Zigarette aus. Er hatte unruhig auf den Anruf gewartet. Er stellte befriedigt fest, daß die kleinen Räder des Aufnahmegerätes sich automatisch zu drehen begannen. Er nahm den Hörer ab.

»Hier spricht Andrews. Ja, ich nehme das R-Gespräch an. «

»Hier Leather«, hallte es an sein Ohr.

»Geht klar. Band läuft, Leather.«

»Bestätige Anwesenheit aller Verdächtigen. Die Cardones sind gerade vom Kennedy Airport eingetroffen.«

»Wir wußten, daß er gelandet ist...«

»Warum zum Teufel mußten wir dann hierher rasen?«

»Die Fünf ist eine ziemlich miese Straße. Er hätte einen Unfall haben können.«

»Am Sonntagnachmittag?«

»Oder zu jeder beliebigen anderen Zeit. Wollen Sie die Unfallstatistiken für diese Strecke?«

»Gehen Sie doch zu Ihren verdammten Computern zurück... «

Andrews zuckte die Achseln. Diese Außendienstler regten sich dauernd über alles mögliche auf. »Wie ich Ihrem Bericht entnehme, sind alle drei Verdächtigten anwesend. Korrekt? «

»Korrekt. Die Tanners, die Tremaynes und die Cardones. Alle anwesend. Alle warten. Die ersten zwei haben wir scharf gemacht. Jetzt kümmern wir uns in ein paar Minuten um Cardone.«

»Sonst noch etwas?«

»Für den Augenblick nicht.«

»Wie geht’s der Frau?«

»Jenkins hat es gut. Der ist Junggeselle. Lillian starrt dauernd diese Häuser an und will eines haben.«

»Nicht bei unserem Gehalt, McDermott.«

»Sag’ ich ihr ja auch immer. Sie will, daß ich abhaue.«

Andrews ging auf McDermotts Witz ein. »Die zahlen noch schlechter, hab’ ich gehört.«

»Unmöglich... Da ist Jenkins. Ich melde mich wieder.«

 

Joseph Cardone steuerte seinen Cadillac in die kreisförmige Einfahrt und parkte vor der Steintreppe, die zu der mächtigen Eichentür hinaufführte. Er schaltete den Motor ab und streckte sich, hob dabei die Ellbogen bis ans Wagendach. Dann seufzte er und weckte seine zwei Jungen, sechs und sieben Jahre alt. Ein drittes Kind, ein vielleicht zehnjähriges Mädchen, las ein Comic-Heft.

Neben Cardone saß seine Frau Betty. Sie blickte zum Fenster hinauf auf das Haus. »Es ist gut, einmal wegzukommen, aber noch besser ist es, wenn man dann wieder zu Hause ist.«

Cardone lachte und legte seiner Frau die große Hand auf die Schulter. »Ich glaube, du meinst das ernst.«

»Tu’ ich auch.«

»Bestimmt. Du sagst das nämlich jedesmal, wenn wir nach Hause kommen. Wort für Wort.«

»Ist auch ein schönes Haus.«

Cardone öffnete die Tür. »Hey, Prinzessin... Du kannst mit deinen Brüdern eurer Mutter mit den kleineren Taschen helfen.« Cardone zog den Schlüssel aus dem Zündschloß. Er ging zum Kofferraum. »Wo ist Louise?«

»Sie kommt wahrscheinlich erst Dienstag. Wir sind ja drei Tage früher gekommen, weißt du. Ich hab’ ihr bis Dienstag freigegeben.«

Cardone zuckte zusammen. Der Gedanke an die Kochkünste seiner Frau war nicht besonders angenehm. »Dann gehen wir auswärts essen.«

»Das müssen wir auch heute. Es dauert zu lange, etwas aufzutauen.« Betty Cardone ging die Steintreppe hinauf und holte den Haustürschlüssel aus der Handtasche.

Joe tat die Bemerkung seiner Frau ab. Er liebte gutes Essen und war mit den kulinarischen Künsten seiner Frau nicht zufrieden. Reiche Debütantinnen aus Chestnut Hill kochten eben nicht so gut wie italienische Mamas von der Südseite von Philadelphia.

Eine Stunde später lief die zentrale Klimaanlage, und die stickige Luft in dem seit fast zwei Wochen ungelüfteten Haus begann langsam wieder erträglich zu werden. Er bemerkte solche Dinge. Er war ein ungewöhnlich erfolgreicher Sportler gewesen – seine Straße zum Erfolg, gesellschaftlich wie finanziell. Er trat auf die vordere Terrasse und blickte auf den Rasen mit der großen Trauerweide, um die die kreisförmige Zufahrt herumführte. Die Gärtner hatten das alles hübsch in Ordnung gehalten. Das konnte man auch erwarten, bei dem Geld, das die verlangen. Nicht, daß es ihm noch darauf ankam.

Und da war er plötzlich wieder. Der Streifenwagen. Das war das drittemal, daß er ihn jetzt sah, seit er den Highway verlassen hatte.

»Hey, Sie da! Stehenbleiben!«

Die beiden Beamten in dem Wagen sahen einander kurz an und schienen davonrasen zu wollen. Aber Cardone war schneller.

»Hey! «

Der Streifenwagen hielt an.

»Ja, Mr. Cardone?«

»Was ist denn los? Hat es hier Ärger gegeben?«

»Nein, Mr. Cardone. Es ist Ferienzeit. Wir überprüfen nur unsere Zeitpläne, wenn die Leute vom Urlaub zurückkehren. Sie sollten heute nachmittag zurückkommen, also wollten wir uns vergewissern, daß das auch Sie waren. Jetzt können wir Ihr Haus von unserer Liste streichen.«

Joe musterte den Polizisten. Er wußte, daß der Beamte log, und der Polizist wußte, daß er das wußte.

»Sie verdienen sich Ihr Geld.«

»Wir geben uns Mühe, Mr. Cardone.«

»Ich wette, daß Sie das tun.«

»Guten Tag, Sir.« Der Streifenwagen jagte davon.

Joe blickte ihm nach. Er hatte erst Mitte der Woche wieder ins Büro gehen wollen, aber das ging jetzt nicht. Er würde morgen nach New York fahren.

 

Zwischen fünf und sechs an Sonntagnachmittagen pflegte Tanner sich in sein Arbeitszimmer einzuschließen, ein mit Nußbaumpaneelen verkleidetes Zimmer mit drei Fernsehgeräten. Er sah sich dann gleichzeitig drei verschiedene Interviewsendungen an.

Alice wußte, daß ihr Mann das tun mußte. Als Chef der Nachrichtenredaktion von Standard Mutual gehörte es zu seinen Aufgaben, über die Konkurrenz informiert zu sein. Dennoch fand Alice, daß an einem Mann, der alleine in einem schwach beleuchteten Raum saß und gleichzeitig drei Fernsehgeräte beobachtete, etwas Unheimliches war, und sie machte ihm auch oft deshalb Vorhaltungen.

Heute erinnerte Tanner seine Frau daran, daß ihm der nächste Sonntag entgehen würde – Bernie und Leila würden da sein, und nichts und niemand durfte ein Osterman-Weekend stören. Also saß er in dem verdunkelten Raum und wußte nur zu gut, was er sehen würde.

Jeder Chefredakteur eines jeden Senders hatte sein Lieblingsprogramm, das, dem er besondere Aufmerksamkeit widmete. Für Tanner war das die Woodward-Show. Eine halbe Stunde am Sonntagnachmittag, in der der beste Nachrichtenkommentator in der ganzen Branche sich mit einem Thema befaßte, gewöhnlich einer etwas kontroversen Gestalt, die im Augenblick Schlagzeilen machte.

Heute interviewte Charles Woodward einen Ersatzmann, Undersecretary Ralph Ashton vom State Department. Der Secretary selbst hatte wegen dringender Geschäfte absagen müssen, also mußte Ashton einspringen.

Seitens des State Department war das ein eklatanter Fehler. Ashton war ein witzloser, prosaischer ehemaliger Geschäftsmann, dessen Hauptfähigkeit darin bestand, daß er sich darauf verstand, Geld herbeizuschaffen. Daß man ihn auch nur dafür in Betracht zog, die Administration vor der Kamera zu vertreten, war ein großer Fehler. Es sei denn, andere Motive waren dafür maßgeblich.

Woodward würde ihn ans Kreuz schlagen.

Während Tanner sich Ashtons ausweichende, leere Antworten anhörte, war ihm bewußt, daß eine ganze Anzahl Leute in Washington bald anfangen würden, einander anzurufen. Woodwards höfliche Andeutungen konnten die wachsende Abneigung nicht verbergen, die er gegenüber dem Undersecretary empfand. Sein Reporterinstinkt wurde frustriert; bald würde Woodwards Ton eisig werden, und dann würde er Ashton schlachten. Höflich, versteht sich, aber nichtsdestoweniger schlachten.

Tanner war es peinlich, so etwas ansehen zu müssen. Er schaltete die Lautstärke des zweiten Geräts höher. Ein Moderator schilderte gerade mit behäbiger, nasaler Stimme den Hintergrund und die politischen Positionen der Expertenteams, die im Begriff waren, den UN-Delegierten aus Ghana zu befragen. Der schwarze Diplomat sah aus, als sollte er aufs Schafott geführt werden.

Keine Konkurrenz also.

Der dritte Sender war besser, aber auch nicht gut genug. Keine Konkurrenz.

Tanner beschloß, daß er genug hatte. Das Ganze war schon viel zu weit gediehen, als daß es noch Sinn gehabt hätte, sich Sorgen zu machen, und außerdem würde er sich Woodwards Band morgen ansehen. Es war erst zwanzig Minuten nach fünf, und die Sonne schien noch auf den Pool. Er hörte die Schreie seiner Tochter, die vom Country Club zurückkehrte, und den widerstrebenden Abzug von Raymonds Freunden aus dem Hinterhof. Seine Familie hatte sich versammelt. Alle drei saßen jetzt wahrscheinlich draußen und warteten, bis er mit Fernsehen fertig war und das Feuer für die Steaks in Gang setzte.

Er würde sie überraschen.

Er schaltete die Geräte ab und legte Block und Bleistift auf den Schreibtisch. Jetzt war Zeit für einen Drink.

Tanner öffnete die Tür seines Arbeitszimmers und ging in den Wohnraum. Durch die Hinterfenster sah er Alice und die Kinder sich einander über das Sprungbrett und durch den Pool jagen. Sie lachten, waren glücklich und zufrieden.

Alice verdiente das. Herrgott! Und wie sie es verdiente!

Er beobachtete seine Frau. Sie sprang – in vorbildlicher Haltung-ins Wasser und kam sofort wieder an die Oberfläche, um sich zu vergewissern, daß die achtjährige Janet gut abkam.

Bemerkenswert! Nach all den Jahren liebte er seine Frau mehr denn je.

Er erinnerte sich an den Streifenwagen, tat den Gedanken dann aber ab. Die Polizisten würden sich einfach eine abgelegene Stelle suchen, um sich auszuruhen oder sich ungestört das Spiel anzuhören. Er hatte gehört, daß Polizisten in New York so etwas taten. Warum also nicht in Saddle Valley? Saddle Valley war viel sicherer als New York.

Saddle Valley war wahrscheinlich der sicherste Ort auf der Welt. Wenigstens schien es John Tanner an diesem Sonntagnachmittag so.

 

Richard Tremayne schaltete seinen einzigen Fernseher ab, zehn Sekunden nachdem John Tanner seine drei abgeschaltet hatte.

Die Mets hatten also doch gewonnen.

Seine Kopfschmerzen waren verflogen und damit auch seine Gereiztheit. Ginny hatte recht gehabt, dachte er. Er war einfach unruhig, aber das war noch lange kein Grund, das an der Familie auszulassen. Sein Magen fühlte sich jetzt besser. Wenn er eine Kleinigkeit aß, würde alles wieder in Ordnung sein. Vielleicht würde er Johnny und Ali rufen und mit Ginny zu den Tanners hinübergehen, um ein paar Runden im Pool zu schwimmen.

Ginny fragte ihn immer wieder, warum sie nicht auch einen hätten. Ihr Einkommen war weiß Gott höher als das der Tanners. Jeder konnte das sehen. Aber Tremayne wußte warum.

Ein Pool würde genau ein Statussymbol zu viel sein. Zu viel für vierundvierzig. Es reichte schon, daß sie nach Saddle Valley gezogen waren, als er erst achtunddreißig war. Ein Vierundsiebzigtausend-Dollar-Haus mit achtunddreißig Jahren. Mit einer Fünfzigtausend-Dollar-Anzahlung. Ein Pool hatte Zeit bis zu seinem fünfundvierzigsten Geburtstag. Dann würde es gehen.

Woran die Leute – seine Klienten – natürlich nicht dachten, war, daß er sein Examen an der Yale-Universität unter den besten fünf Prozent seiner Klasse gemacht hatte und dann drei Jahre auf der untersten Rangstufe seiner gegenwärtigen Firma tätig gewesen war, ehe er angefangen hatte, Geld zu verdienen. Als er dann freilich anfing, kam es reichlich und schnell.

Tremayne ging hinaus. Ginny und ihre dreizehnjährige Tochter Peg stutzten an einem weißen Spalier Rosen. Sein ganzer Hinterhof, der fast einen halben Acre ausmachte, war gepflegt, ja beinahe manikürt. Überall gab es Blumen. Der Garten war Ginnys Zeitvertreib, Hobby, Vergnügen – neben Sex ihre große Leidenschaft. Gegen Sex kam eben nichts an, dachte ihr Mann und lächelte unbewußt.

»Hier! Laßt euch helfen«, rief Tremayne und ging auf sie zu.

»Du fühlst dich wohl wieder besser«, sagte Virginia und lächelte.

»Schau dir die an, Daddy! Sind die nicht schön?« Seine Tochter hielt ihm einen Bund roter und gelber Rosen hin.

»Reizend sind sie, Liebes.«

»Dick, habe ich dir das schon gesagt? Bernie und Leila kommen nächste Woche nach Osten. Sie sind Freitag hier.«

»Johnny hat es mir gesagt... Ein Osterman-Weekend. Ich muß sehen, daß ich noch in Form komme.«

»Ich dachte, du hättest gestern abend geübt.«

Tremayne lachte. Er entschuldigte sich nie dafür, wenn er sich einmal betrunken hatte; es geschah zu selten, und er war dann auch nicht unangenehm. Außerdem hatte er es gestern abend verdient. Es war wirklich eine scheußliche Woche gewesen. Sie gingen zu dritt zum Haus zurück. Virginia schob ihre Hand unter seinen Arm. Wie groß Peggy geworden ist, dachte ihr Vater und lächelte. Das Telefon auf der Terrasse klingelte.

»Ich geh’ schon hin!« Peg rannte los.

»Warum auch nicht?« fragte ihr Vater gespielt verzweifelt. »Es ist ja doch nie für uns!«

»Wir müssen ihr einfach ein eigenes Telefon besorgen.«

Virginia Tremayne kniff ihren Mann verspielt in den Arm.

»Ihr treibt mich noch ins Armenhaus.«

»Es ist für dich, Mutter. Mrs. Cardone.« Plötzlich legte Peggy die Hand über die Sprechmuschel. » Bitte sprich nicht so lang, Mutter. Carol Brown hat gesagt, sie würde mich anrufen, wenn sie zu Hause ist. Du weißt doch, ich hab’ es dir gesagt. Der Choate-Junge.«

Virginia Tremayne lächelte wissend und warf ihrer Tochter einen verschwörerischen Blick zu. »Carol wird schon nicht von zu Hause ausreißen, ohne es dir zu sagen, Darling. Wahrscheinlich braucht sie mehr als das Taschengeld für eine Woche dazu.«

»Oh, Mutter!« Richard beobachtete die beiden amüsiert. All das tat ihm ungemein gut. Seine Frau leistete wirklich prima Arbeit mit ihrem Kind. Niemand konnte da etwas sagen. Er wußte, daß es Leute gab, die Ginny kritisierten, die sagten, sie kleide sich ein wenig auffällig. Er hatte das schon ein paarmal gehört und wußte, daß es da noch eine versteckte Nebenbedeutung gab. Aber die Kinder. Die Kinder umschwärmten Ginny förmlich. Das war heutzutage sehr wichtig. Vielleicht wußte seine Frau etwas, das die meisten anderen Frauen nicht wußten.

Die Dinge liefen gut, dachte Tremayne.

Selbst was die äußere Sicherheit betraf, wenn man Bernie Osterman glauben durfte.

Es war ein gutes Leben.

Er würde mit Joe telefonieren, wenn Ginny und Betty ihr Gespräch je beendeten. Dann würde er John und Ali anrufen. Nachdem Johnnys Fernsehshows vorüber waren. Vielleicht konnten sie alle sechs in den Club fahren, dort gab es sonntags immer ein Buffet.

Und dann fiel ihm plötzlich wieder der Streifenwagen ein... Er tat den Gedanken gleich wieder ab. Er war nervös gewesen, gereizt, verkatert. Eigentlich war das doch ganz normal, dachte er. Schließlich war es Sonntagnachmittag und der Stadtrat hatte darauf bestanden, daß die Polizei die Wohngebiete an den Sonntagnachmittagen besonders gründlich überprüfte.

Komisch, überlegte er. Er hatte gar nicht gedacht, daß die Cardones schon so bald wieder zurückkommen würden. Vielleicht hatte Joe einen Anruf von seinem Büro bekommen, am Montag dort zu sein. Die Börse spielte zur Zeit verrückt. Besonders bei den Termingeschäften, die Joes Spezialität waren.

 

Betty nickte am Telefon und beantwortete damit Joes Frage. Das löste das Problem mit dem Abendessen. Das Buffet war nicht schlecht, auch wenn man im Club das Geheimnis eines guten Antipasto immer noch nicht gelernt hatte. Joe sagte dem Geschäftsführer immer wieder, daß man Genueser Salami verwenden mußte, nicht Pastrami, aber der Küchenchef hatte eben mit einem geschickten Lieferanten einen Abschluß gemacht, was konnte da ein ganz gewöhnliches Clubmitglied schon ausrichten? Selbst Joe nicht, der wahrscheinlich der reichste von ihnen allen war. Andererseits war er Italiener — zwar nicht katholisch, aber immerhin Italiener –, und der Saddly Valley Country Club gestattete Italienern erst seit zehn Jahren den Zutritt. Eines Tages würden sie sogar Juden hineinlassen – das würde dann eine große Feier geben.

Diese stillschweigende Intoleranz – denn ausgesprochen wurde das nie – war es, die die Cardones, die Tanners und die Tremaynes veranlaßte, Bernie und Leila Osterman im Club auffällig herzuzeigen, wenn sie nach Osten kamen. Eines mußte man ihnen allen sechs lassen – Spießer waren sie keine. Seltsam, dachte Cardone, als er den Hörer auflegte und in den kleinen Gymnastikraum neben seinem Haus ging, seltsam, daß die Tanners sie zusammengebracht hatten. John und Ali Tanner hatten die Ostermans in Los Angeles gekannt, als Tanner gerade in seinem Beruf anfing. Jetzt fragte sich Joe, ob John und Ali wirklich verstanden, welche Bindung zwischen Bernie Osterman und ihm und Dick Tremayne bestand. Es war eine Beziehung, über die man mit Außenstehenden nicht redete.

Am Ende lief es auf die Art von Unabhängigkeit hinaus, die jedermann suchte und um die vielleicht jeder besorgte Bürger betete; es gab Gefahren, Risiken, aber für ihn und Betty war das gut. Auch für die Tremaynes und die Ostermans. Sie hatten untereinander darüber gesprochen, es analysiert, es gründlich durchdacht, und waren gemeinsam zu ihrem Entschluß gekommen.

Für die Tanners wäre es vielleicht auch richtig gewesen. Aber Joe, Dick und Bernie waren übereingekommen, daß das erste Signal von Joe selbst kommen mußte. Das war entscheidend wichtig. Es hatte genügend Andeutungen gegeben, und Tanner hatte nicht reagiert.

Joe schloß die schwere gepolsterte Tür seiner privaten Turnhalle, drehte die Dampfhähne auf und zog sich aus. Er zog Trainingshosen und einen Trainingspullover an, den er von dem Regal aus rostfreiem Stahl nahm. Er lächelte, als er die gestickten Initialen auf dem Flanell sah. Nur ein Mädchen aus Chestnut Hill würde ein Monogramm auf eine Trainingsanzug-Jacke nähen lassen.

J.A.C.

Joseph Ambruzzio Cardone.

Guiseppe Ambruzzio Cardione. Zweites von acht Kindern, die der Ehe von Angela und Umberto Cardione entstammten, ehemals Sizilien und später South Philadelphia. Zu guter Letzt amerikanische Staatsbürger. Amerikanische Fahnen neben zahllosen kosmetikgeschönten Bildern der Jungfrau Maria, die ein engelhaftes Christkind mit blauen Augen und roten Lippen hielt.

Guiseppe Ambruzzio Cardione wuchs zu einem breitschultrigen, ungeheuer starken jungen Mann heran, der so ziemlich der beste Athlet war, den die South Philadelphia High je gesehen hatte. Er war Präsident seiner Seniorenklasse und wurde zweimal in den Städtischen Studentenrat gewählt.

Von den vielen Collegestipendien, die ihm angeboten wurden, wählte er das mit dem größten Prestige aus, Princeton, das auch am nächsten bei Philadelphia lag. Als Princeton-Verteidiger schaffte er für seine Alma Mater das scheinbar Unmögliche. Er wurde zum All-American gewählt, der erste Princeton-Footbal-Spieler seit vielen Jahren, dem diese Ehre zuteil wurde.

Einige dankbare alte Herren verschafften ihm den Zugang zur Wall Street. Er kürzte seinen Namen zu Cardone ab, wobei der letzte Vokal nur ganz schwach betont wurde. Das klang irgendwie majestätisch, dachte er. Wie Cardozo. Aber natürlich ließ sich davon niemand täuschen, und bald war es ihm gleichgültig. Der Markt expandierte, explodierte förmlich, bis praktisch jedermann Obligationen kaufte. Zuerst war er einfach nur ein guter Kundenberater. Ein Italienerjunge, der es zu etwas gebracht hatte, ein junger Mann, der mit den Neureichen reden konnte, die genügend Geld hatten, um es auszugeben; so reden, daß die Neureichen, die in bezug auf Investitionen noch nervös waren, es auch begriffen.

Und es kam, wie es kommen mußte.

Italiener sind feinfühlige Leute. Sie fühlen sich wohler, wenn sie mit ihresgleichen Geschäfte machen. Eine Anzahl der Leute aus dem Baugewerbe, die Castelanos, die Latronas, die Battellas – die mit Industriebauten Vermögen verdient hatten, wanderten zu Cardone. Cardone mit nur zwei Silben. »Joey Cardone«, riefen sie ihn. Und Joey fand steuerbegünstigte Anlagen für sie, Joey besorgte ihnen Wachstumswerte, Joey fand Sicherheit für sie.

Das Geld strömte herein. Der Umsatz der Maklerfirma verdoppelte sich dank Joeys Freunden fast. Worthington und Bennett, Mitglieder der New Yorker Börse, wurden zu Worthington, Bennett und Cardone. Und von da war es nur ein kurzer Schritt zu Bennett-Cardone, Ltd.

Cardone war seinen Compares dankbar. Aber der Grund für seine Dankbarkeit war zugleich auch der Grund, warum er ein bißchen zusammenzuckte, wenn ein Streifenwagen zu häufig in der Nähe seines Hauses auftauchte. Denn einige wenige seiner Compares,vielleicht sogar mehr als einige wenige, standen am Rande – vielleicht sogar nicht mehr ganz am Rande – der Unterwelt.

Er beendete seine Arbeit mit den Gewichten und stieg auf seine Rudermaschine. Der Schweiß quoll ihm aus den Poren, er fühlte sich jetzt wohler. Die Bedrohung des Streifenwagens begann zu schwinden. Schließlich kehrten neunundneunzig Prozent der Saddle-Valley-Familien am Sonntag aus den Ferien zurück. Wer hatte je von jungen Leuten gehört, die an einem Mittwoch aus den Ferien zurückkehrten? Selbst wenn es so auf der Liste in der Polizeistation stand, war es durchaus möglich, daß ein gewissenhafter diensthabender Sergeant das für einen Fehler hielt und Sonntag daraus machte. Niemand kehrte am Mittwoch zurück. Mittwoch war ein Arbeitstag.

Und wer würde je ernsthaft glauben, Joseph Cardone könnte etwas mit der Cosa Nostra zu tun haben? Er war der Fleisch gewordene Beweis der Arbeitsethik. Die amerikanische Erfolgsgeschichte. Ein Princeton-All-American.

Joe zog seinen Trainingsanzug aus und ging in die Dampfkammer, die jetzt mit Dampf angefüllt war. Er setzte sich auf die Bank und atmete tief. Der Dampf wirkte reinigend. Nach fast zwei Wochen franko-kanadischer Küche bedurfte sein Körper der Reinigung.

Er lachte lauthals in seiner Dampfkammer. Es war gut, wieder zu Hause zu sein, in dem Punkt hatte seine Frau recht. Und Tremayne hatte ihm gesagt, daß die Ostermans am Freitagmorgen kommen würden. Es würde gut sein, Bernie und Leila wiederzusehen. Es waren fast vier Monate vergangen, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Aber sie waren in Verbindung geblieben.

 

Zweihundertfünfzig Meilen südlich von Saddle Valley, New Jersey, liegt jener Teil der Hauptstadt der Nation, den man als Georgetown kennt. In Georgetown ändert sich der Lebensrhythmus jeden Nachmittag um halb sechs. Vorher ist er langsam, aristokratisch, ja delikat. Nachher beschleunigt er sich — nicht plötzlich, aber zunehmend. Die Einwohner von Georgetown, größtenteils Männer und Frauen von Macht und Wohlstand, und beidem verpflichtet, widmen sich mit großer Hingabe der Ausbreitung ihres Einflusses.

Nach halb sechs beginnen die Spiele.

Nach halb sechs ist in Georgetown die Zeit für strategische Schachzüge.

Wer ist wo? Und warum?

Mit Ausnahme des Sonntagnachmittags, wenn die Makler der Macht ihre Kreationen der vergangenen Woche überblicken und sich die Zeit nehmen, um ihre Kräfte für die nächsten sechs Tage des strategischen Spiels neu zu formieren.

Es werde Licht und es ward Licht. Es werde Ruhe und es ward Ruhe.

Nur mit der Ausnahme, daß das nicht für alle gilt.

So zum Beispiel nicht für Alexander Danforth, Berater des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ein Berater ohne Portefeuille und ohne genau definierte Aufgaben.

Danforth war der Verbindungsmann zwischen der Sicherheits-Kommunikationszentrale in den unteren Stockwerken des Weißen Hauses und der Central Intelligence Agency in McLean, Virginia. Er war ein Makler der Macht par excellence, weil er nie sichtbar war und doch seine Entscheidungen zu den wichtigsten in Washington zählten. Unabhängig von den Administrationen hörten alle auf seine leise Stimme. So war das seit Jahren.

An diesem Sonntagnachmittag saß Danforth mit dem stellvertretenden Administrator der Central Intelligence Agency, George Grover, unter dem Bougainvilleabaum, der Danforths kleinen Hinterhof beschattete, vor dem Fernseher. Die beiden Männer waren zu demselben Schluß wie John Tanner zweihundertfünfzig Meilen nördlich von ihnen gelangt: Charles Woodward würde morgen früh Schlagzeilen machen.

»Das Außenministerium wird einen Monatsvorrat an Toilettenpapier verbrauchen«, sagte Danforth.

»Geschieht ihnen recht. Wer nur Ashton hingeschickt hat? Er ist nicht nur dumm, er sieht sogar dumm aus. Dumm und glatt. John Tanner ist für dieses Programm verantwortlich, oder?«

»Ja.«

»Raffinierter Hund. Es wäre nett, wenn man sicher wüßte, daß er auf unserer Seite steht«, sagte Grover.

»Fassett sagt ja.« Die beiden Männer tauschten Blicke. »Nun, Sie haben ja die Akte gesehen. Sind Sie nicht auch der Meinung?«

»Ja. Doch. Fassett hat recht.«

»Das hat er meistens.«

Auf dem mit Keramikplatten belegten Tisch vor Danforth standen zwei Telefone. Das eine war schwarz und mit einer Steckdose am Boden verstöpselt. Das andere war rot, und ein rotes Kabel führte ins Haus hinein. Das rote Telefon summte – es klingelte nicht. Danforth nahm ab.

»Ja... Ja, Andrews. Gut... Sehr gut. Rufen Sie Fassett an und sagen Sie ihm, daß er herüberkommen soll. Hat Los Angeles die Ostermans bestätigt? Keine Veränderung? Ausgezeichnet. Alles läuft planmäßig.«

 

Bernard Osterman, Absolvent des Jahrgangs 1946 der C.C.N.Y., zog das Blatt aus seiner Schreibmaschine und sah es an. Dann legte er es auf einen dünnen Stapel beschriebener Blätter und stand auf. Er ging um seinen nierenförmigen Pool herum und reichte das Manuskript seiner Frau Leila, die nackt in ihrem Liegestuhl saß.

Osterman war ebenfalls nackt.

»Weißt du, eine ausgezogene Frau wirkt in der Sonne nicht besonders attraktiv.«

»Du hältst dich wohl für einen Adonis? Gib her!« Sie nahm ihm die Blätter ab und griff nach ihrer großen Sonnenbrille. »Ist das der Schluß?«

Bernie nickte. »Wann kommen denn die Kinder nach Hause?«

»Die rufen vom Strand aus an, ehe sie nach Hause fahren. Ich habe Marie gesagt, sie sollte unbedingt anrufen. Ich möchte nicht, daß Merwyn schon in seinem Alter etwas von nackten Mädchen in der Sonne erfährt. In dieser Stadt gibt es dagegen schon genügend Aversionen.«

»Da hast du recht. Lies!« Bernie sprang in den Pool. Er schwamm drei Minuten lang schnell auf und ab, bis er außer Atem war. Er war ein guter Schwimmer. In seiner Militärzeit hatte man ihn in Fort Dix zum Schwimmlehrer gemacht. Den >schnellen Juden< hatten sie ihn genannt. Aber nur hinter seinem Rücken. Er war ein drahtiger Mann, ungeheuer zäh. Wenn die C.C.N.Y. ein Football-Team gehabt hätte, wäre er sicher ihr Kapitän gewesen. Joe Cardone hatte Bernie gesagt, er hätte ihn gut in Princeton gebrauchen können.

Bernie hatte gelacht, als Joe ihm das sagte. Trotz der scheinbaren Demokratisierung, die er beim Militär erlebt hatte – und die ging nicht sehr tief –, war es Bernard Osterman, aus der Bronx, New York, Tremont Avenue, nie in den Sinn gekommen, ehrwürdige Barrieren zu überspringen und der Ivy League beizutreten. Vielleicht wäre es sogar möglich gewesen, er war intelligent und clever, und es gab immerhin die G.I.-Stipendien, aber es kam ihm überhaupt nie in den Sinn.

Er hätte sich damals dort nicht wohl gefühlt – 1946. Jetzt schon; die Dinge hatten sich verändert.

Osterman stieg die Leiter hinauf. Es war gut, daß er und Leila an die Ostküste reisten, zurück nach Saddle Valley, wo sie ein paar Tage verbringen würden. Irgendwie kam es einem immer vor wie ein kurzer, konzentrierter Kurs im angenehmen Leben. Alle sagten immer, das Leben im Osten wäre hektisch und die Leute stünden alle unter ewigem Druck – in viel stärkerem Maße, als das in Los Angeles der Fall war; aber das stimmte nicht. Das schien nur so, weil dort alles viel beengter war.

Los Angeles, sein Los Angeles, und das bedeutete Burbank, Hollywood, Beverly Hills, war da, wo man den wirklichen Wahnsinn praktizierte. Männer und Frauen, die wie verrückt zwischen den Regalen eines von Palmen gesäumten Drugstores auf und ab rannten. Und alles stand zum Verkauf, alles trug ein Etikett, und alle konkurrierten in ihren psychedelischen Hemden und orangefarbenen Hosen.

Manchmal gab es Zeiten, da Bernie sich nichts sehnlicher wünschte, als jemanden in einem grauen Nadelstreifen-Anzug und einem weißen Hemd mit Krawatte zu sehen. Eigentlich hatte es nichts zu bedeuten, es kam wirklich nicht darauf an; es war ihm schnurzegal, welche Kostüme die Stämme von Los Angeles trugen. Vielleicht war es einfach nur dieser übertriebene ewige Angriff auf seinen Gesichtssinn.

Oder sein Pendel war gerade einmal wieder im Begriff, nach unten zu schwingen. Das Ganze machte ihn einfach müde.

Und das war unfair. Der von Palmen gesäumte Drugstore hatte ihn sehr gut behandelt.

»Wie ist es?« fragte er seine Frau.

»Recht gut. Vielleicht bekommst du sogar ein Problem damit. «

»Was?« Bernie schnappte sich ein Handtuch vom Tisch. »Was für ein Problem?«

»Vielleicht legst du damit zu viele Schichten frei. Vielleicht ist es zu schmerzhaft. « Leila legte eine Seite um, während ihr Mann ihr zulächelte. »Sei noch eine Minute still und laß mich zu Ende lesen. Vielleicht kommst du wieder heraus.«

Bernie Osterman setzte sich auf einen Liegestuhl und ließ die warme kalifornische Sonne seinen Körper erwärmen. Er hatte immer noch ein Lächeln um die Lippen; er wußte, was seine Frau meinte, und es tat ihm gut. Die Jahre des formelhaften Schreibens hatten seine Fähigkeit nicht beeinträchtigt, Dinge freizulegen, auf den Kern zu stoßen – wenn er das wollte.

Und es gab Zeiten, da war ihm nichts wichtiger, als das zu wollen. Sich selbst zu beweisen, daß er immer noch dazu imstande war. So wie er das früher getan hatte, als sie noch in New York lebten.

Das waren gute Tage. Provozierend, erregend, angefüllt mit Sinn und einer Aufgabe. Nur, daß da nie etwas anderes war – nur eine Aufgabe, nur Sinn. Ein paar schmeichelhafte Rezensionen, die andere intensive, junge Schriftsteller schrieben. Man hatte ihn damals eindringlich genannt; sensitiv, einschneidend. Einmal sogar außergewöhnlich.

Das war nicht genug gewesen. Und so waren er und Leila an die Westküste gezogen, in den palmengesäumten Drugstore, und hatten bereitwillig und glücklich ihre Talente der förmlich aus ihren Nähten platzenden Welt des Fernsehens gewidmet.

Aber eines Tages ... Eines Tages, dachte Bernard Osterman, würde es wieder dazu kommen. Zu dem Luxus, sich einfach hinzusetzen und alle Zeit der Welt zu haben, um es wirklich zu tun. Um einen großen Fehler zu machen, wenn er das mußte. Es war wichtig, so denken zu können.

»Bernie?«

»Ja,?«

Leila deckte sich mit einem Handtuch zu und betätigte den Knopf an der Armlehne ihres Liegestuhls, so daß das Rückenteil sich hob. »Es ist wirklich schön, Süßer. Ich meine, wirklich sehr schön, und ich glaube, du weißt auch, daß es nicht funktionieren wird.« «

»Es funktioniert!«

»Die werden das nicht zulassen.«

»Dann können die mich mal!«

»Man zahlt uns dreißigtausend für eine Stunde ganz gewöhnlichen Fernsehspiels Bernie. Nicht für einen zweistündigen Exorzismus, der in einer Begräbnisanstalt endet.«

»Das ist nicht Exorzismus. Das ist zufälligerweise eine traurige Geschichte, die auf dem wahren Leben beruht, und die Zustände im Leben ändern sich nicht. Willst du ins Barrio hinunter fahren und es dir ansehen.«

»Die nehmen dir das nicht ab. Die werden verlangen, daß du es umschreibst.«

»Das mache ich nicht!«

»Die haben doch noch die zweite Rate. Wir kriegen noch fünfzehntausend. «

»Scheiße! «

»Du weißt, daß ich recht habe.«

»Alles Gerede! Verdammtes Geschwätz! In dieser Saison wollen wir einmal etwas Sinnvolles haben! Etwas Kontroverses! Geschwätz!«

»Die schauen sich bloß die Zahlen an. Auch wenn die Times begeistert ist, verkauft das noch lange kein Deodorant in Kansas.«

»Die können mich mal.«

»Beruhige dich. Geh noch mal schwimmen. Der Pool ist groß.«

Leila Ostermann sah ihren Mann an. Er wußte, was dieser Blick bedeutete, und mußte unwillkürlich lächeln. Etwas traurig.

»Okay, dann flick es zusammen.«

Leila griff nach dem Bleistift und dem gelben Block, der neben ihrem Stuhl auf dem Tisch lag. Bernie stand auf und trat an den Poolrand.

»Meinst du, daß Tanner sich uns anschließen möchte? Meinst du, ich könnte vielleicht an ihn herantreten?«

Seine Frau legte den Bleistift weg und blickte zu ihrem Mann auf. »Ich weiß nicht. Johnny ist anders als wir...«

»Anders als Joe und Betty? Dick und Ginny? Ich finde nicht, daß er so völlig anders ist.«

»Ich würde ihn nicht erschrecken. Er ist immer noch ein Nachrichten-Mann. Geier haben die ihn einmal genannt, erinnerst du dich? Der Geier von San Diego. Er hat ein Rückgrat. Ich möchte das nicht biegen wollen. Es könnte zurückschnappen. «

»Er denkt genau wie wir. Er denkt wie Joe und Dick. Wie wir. «

»Noch einmal — du solltest ihn nicht überfallen. Meinetwegen nennst du das die vielgerühmte weibliche Intuition, aber erschrecke ihn nicht... Das könnte Ärger geben.«

Osterman sprang in den Pool und schwamm die sechsunddreißig Fuß bis zum anderen Ende unter Wasser. Leila hatte nur teilweise recht, dachte er. Tanner war in der Tat ein kompromißloser Nachrichten-Mann, aber außerdem war er auch ein sensibles und sensitives menschliches Wesen. Tanner war kein Narr, er sah, was um ihn herum geschah – überall. Das war unvermeidbar.

Das Ganze lief auf das Überleben des Individuums hinaus.

Es lief darauf hinaus, daß man das tun konnte, was man tun wollte. Einen >Exorzismus< schreiben, wenn man dazu imstande war. Ohne sich den Kopf über den Absatz von Deodorants im Staate Kansas zu zerbrechen.

Bernie tauchte auf und hielt sich tief atmend am Poolrand fest. Dann stieß er sich ab und schwamm in langsamen Zügen zu seiner Frau zurück.

»Habe ich dich in die Ecke geboxt?«

»Das konntest du nie.« Leila sprach, ohne von ihrem Block aufzublicken. »Es hat einmal eine Zeit in meinem Leben gegeben, da dachte ich, dreißigtausend Dollar wären alles Geld der Welt. Das Haus Weintraub in Brooklyn war nicht gerade der größte Kunde der Chase Manhattan Bank.« Sie riß die oberste Seite ab und sicherte sie mit einer Pepsi-Cola-Flasche.

»Das Problem hatte ich nie«, sagte Bernie und trat Wasser. »Die Ostermans sind in Wirklichkeit eine unbekannte Nebenlinie der Rothschilds.«

»Ich weiß. Deine Rennfarben sind dunkelbraun und kürbisorange. «

»Hey!« Bernie klammerte sich plötzlich am Beckenrand fest und sah seine Frau erregt an. »Habe ich dir das erzählt? Der Trainer hat heute morgen aus Palm Springs angerufen. Dieser Zweijährige, den wir gekauft haben, ist die sechshundert Meter in einundvierzig Sekunden gelaufen!« Leila Osterman ließ den Block auf ihren Schoß fallen und lachte. »Weißt du, wir sind schon unmöglich! Und du willst Dostojewski spielen! Ich verstehe, worauf du hinaus willst ... Nun, eines Tages.«

»Sicher. Und unterdessen solltest du ein Auge auf Kansas, und das andere auf deine albernen Pferdchen haben.«

Osterman lachte und schwamm zur anderen Seite des Pools. Er dachte wieder über die Tanners nach. John und Ali Tanner. Er hatte sich in der Schweiz nach ihnen erkundigt. Zürich war begeistert.

Bernard Osterman hatte seine Entscheidung getroffen. Irgendwie würde er seine Frau überzeugen.

Er würde am nächsten Wochenende ernsthaft mit John Tanner reden.

 

Danforth ging durch den engen vorderen Korridor seines Hauses in Georgetown und öffnete die Tür. Laurence Fassett von der Central Intelligence Agency lächelte und streckte ihm die Hand hin.

»Guten Abend, Mr. Danforth. Andrews hat mich aus McLean angerufen. Wir sind uns erst einmal begegnet – Sie erinnern sich bestimmt nicht. Ist mir eine große Ehre, Sir. «

Danforth sah diesen ungewöhnlichen Mann an und erwiderte das Lächeln. In der CIA-Akte stand, daß Fassett siebenundvierzig war, aber Danforth kam er viel jünger vor. Die breiten Schultern, der muskulöse Nacken, das faltenlose Gesicht unter dem kurz-gestutzten blonden Haar: alles das erinnerte Danforth an seinen herannahenden siebzigsten Geburtstag.

»Natürlich erinnere ich mich. Bitte kommen Sie doch herein. «

Als Fassett in den Flur trat, fiel sein Blick auf einige Degas-Aquarelle an der Wand. Er trat einen Schritt näher. »Sind die schön.«

»Ja, das sind sie. Sind Sie Fachmann, Mr. Fassett?«

»O nein. Nur ein begeisterter Amateur... Meine Frau war Künstlerin. Wir waren viel im Louvre.«

Danforth wußte, daß er besser nicht über Fassetts Frau redete. Sie war Deutsche gewesen – mit Bindungen nach Ost-Berlin. Sie war in Ost-Berlin getötet worden.

»Ja, ja natürlich. Bitte kommen Sie. Grover sitzt draußen. Wir haben uns das Woodward-Programm auf der Terrasse angesehen.«

Die beiden Männer traten auf die mit Ziegeln und Naturstein bedeckte hintere Terrasse. George Grover erhob sich aus seinem Stuhl.

»Hello, Larry. Jetzt geraten die Dinge langsam in Bewegung. «

»Sieht so aus. Mir kann es nicht schnell genug gehen.«

»Das gilt, glaube ich, für uns alle«, sagte Danforth. »Nehmen Sie einen Drink?«

»Nein, danke, Sir. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich das so schnell wie möglich hinter mich bringen.«

Die drei Männer nahmen an dem mit Keramikplatten belegten Tisch Platz. »Dann wollen wir doch gleich anfangen«, sagte Danforth. »Wie ist der Plan?«

Fassett blickte verblüfft auf. »Ich dachte, Sie hätten das alles genehmigt.«

»Oh, ich habe die Berichte gelesen. Ich möchte die Information nur aus erster Hand vom zuständigen Mann.«

»In Ordnung, Sir. Phase eins ist abgeschlossen. Die Tanners, die Tremaynes, die Cardones sind alle in Saddle Valley. Für den Augenblick sind keine Reisen geplant. Sie werden alle die ganze kommende Woche dort sein. Diese Information wird von allen unseren Gewährsleuten bestätigt. In der Stadt sind dreizehn Agenten, und die drei Familien werden alle rund um die Uhr überwacht. Sämtliche Telefone sind angezapft. So, daß man es nicht feststellen kann.

Los Angeles teilt mit, daß die Ostermans am Freitag mit Flug Nummer 509 kommen und um vier Uhr fünfzig in Kennedy Airport eintreffen. Normalerweise nehmen sie dann ein Taxi. Man wird dem Wagen natürlich folgen...«

»Falls sie sich bis dahin noch normal verhalten«, unterbrach Grover.

»Wenn nicht, dann werden sie nicht in dieser Maschine sein... Morgen bringen wir Tanner nach Washington.«

»Er hat im Augenblick noch keine Ahnung, oder?« fragte Danforth.

»Überhaupt keine – abgesehen von dem Streifenwagen, den wir einsetzen werden, wenn er morgen früh Schwierigkeiten macht.«

»Wie wird er es denn Ihrer Meinung nach aufnehmen?« Grover lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne.

»Ich denke, daß er an seinem Verstand zweifeln wird.«

»Vielleicht lehnt er ab«, sagte Danforth.

»Das ist unwahrscheinlich. Wenn ich es richtig anpacke, hat er keine Wahl.«

Danforth musterte den eindringlich wirkenden, muskulösen Mann, der so selbstbewußt sprach. »Für Sie ist es sehr wichtig, daß wir Erfolg haben, nicht wahr? Das ist Ihnen ein persönliches Anliegen.«

Teil 2

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2.

Montag — 10.15 Uhr