Das Recht der medizinischen Forschung - Georg Sandberger - E-Book

Das Recht der medizinischen Forschung E-Book

Georg Sandberger

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Beschreibung

Dieser kompakte Leitfaden beleuchtet in 15 Kapiteln die rechtlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung in Deutschland. Prof. Dr. Sandberger erklärt die Bedeutung der Forschung für Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten und beschreibt verschiedene Forschungsdisziplinen. Das Buch behandelt das deutsche Rechtssystem, einschließlich Bundesgesetzen und europäischen Regelungen, und erläutert die rechtlichen Anforderungen an klinische Prüfungen, Arzneimittel und Medizinprodukte. Datenschutz, ethische Aspekte und der Schutz geistigen Eigentums werden ebenfalls thematisiert. Der Autor gibt praktische Anleitungen für die Durchführung von Forschungsprojekten sowie die spezifischen rechtlichen Bedingungen bei Studien mit radioaktiven Substanzen, der Nutzung von Biomaterialien, Studien im Bereich genetischer Forschung, Gentherapie sowie Rechtsfragen der Neulandmedizin. Ausführungen zum Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit zur Veröffentlichungspflicht und zur Drittmittelforschung runden das Werk ab. Dabei kommt dem Autor die Erfahrung als juristisches Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums von 2001 bis 2022 zugute. Ein unverzichtbarer Leitfaden für alle, die sich mit den rechtlichen Aspekten der medizinischen Forschung beschäftigen. Es richtet sich an Juristen, Mediziner, Biowissenschaftler und Mitglieder von Ethikkommissionen und Gutachtergremien.

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Das Recht derMedizinischen Forschung

Leitfaden für die Praxis

von

Prof. Dr. jur., Dr. jur. h.c. Georg SandbergerKanzler der Universität Tübingen a. D.,Mitglied der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultätund des Universitätsklinikums der Universität Tübingen 2001–2022

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-045250-3

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-045251-0

epub: ISBN 978-3-17-045252-7

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insb. für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Für den Inhalt abgedruckter und verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Dieser kompakte Leitfaden beleuchtet in 15 Kapiteln die rechtlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung in Deutschland. Prof. Dr. Sandberger erklärt die Bedeutung der Forschung für Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten und beschreibt verschiedene Forschungsdisziplinen.

Das Buch behandelt das deutsche Rechtssystem, einschließlich Bundesgesetzen und europäischen Regelungen, und erläutert die rechtlichen Anforderungen an klinische Prüfungen, Arzneimittel und Medizinprodukte. Datenschutz, ethische Aspekte und der Schutz geistigen Eigentums werden ebenfalls thematisiert.

Der Autor gibt praktische Anleitungen für die Durchführung von Forschungsprojekten sowie die spezifischen rechtlichen Bedingungen bei Studien mit radioaktiven Substanzen, der Nutzung von Biomaterialien, Studien im Bereich genetischer Forschung, Gentherapie sowie Rechtsfragen der Neulandmedizin.

Ausführungen zum Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit zur Veröffentlichungspflicht und zur Drittmittelforschung runden das Werk ab. Dabei kommt dem Autor die Erfahrung als juristisches Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums von 2001 bis 2022 zugute.

Prof. Dr. jur., Dr. jur. h.c. Georg Sandberger, Kanzler der Universität Tübingen a.D., Mitglied der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums der Universität Tübingen 2001 bis 2022.

„Salus et voluntas aegroti suprema lex“

Hippokrates

„Helfen zu graben den Brunnen des Lebens“

Graf Eberhard, Gründer der Universität Tübingen

Vorwort

Gegenstand der medizinischen Forschung ist die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten, der Erhalt und die Wiederherstellung von Gesundheit. Umgesetzt wird dies in vielfältigen Formen und Disziplinen, von der Grundlagenforschung über die präklinische Forschung, die klinische Forschung, bis hin zur Versorgungsforschung und Public Health-Forschung. Medizinische Forschung ist von grundlegender Bedeutung für die Anpassung der Krankenversorgung an den neuesten Wissensstand, für die Entwicklung neuer diagnostischer Verfahren, Behandlungsverfahren, Arzneimittel und Medizinprodukte.1

Im Gegensatz zur Schweiz2 gibt es in Deutschland kein umfassendes Gesetz als Rechtsgrundlage der medizinischen Forschung.

Der Grund dafür liegt in fehlender Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für alle die Forschung betreffenden Regelungsgegenstände.3

Stattdessen besteht ein historisch gewachsenes Regelungsregime, bestehend aus Bundesgesetzen, Standesrecht, Satzungen der Selbstverwaltung der Ärzteschaft mit zunehmender Tendenz der Europäisierung, zunächst durch Richtlinien, neuerdings durch EU-Verordnung.

Das gleiche Bild einer Vielfalt zeigt sich im Gesetzesvollzug: Neben europäischen Behörden wie der EMA liegt dieser z. T. bei Bundesbehörden, z. T. bei Landesbehörden, z. T. bei der Selbstverwaltung der Partner des Gesundheitssystems, den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Daraus entsteht für Beteiligte und für Dritte eine große Unübersichtlichkeit und Unsicherheit.

Bislang fehlt eine zusammenfassende Darstellung. Die führenden Handbücher des Medizinrechts widmen dem Recht der Forschung meist nur relativ kurze Abschnitte.4 Stattdessen sind die Beteiligten und Dritte auf systematische Darstellungen von Teilgebieten und die einschlägigen Kommentare zu den jeweiligen Regelwerken, auf monographische Literatur und Aufsätze in medizinrechtlichen Zeitschriften angewiesen.

Die nachfolgende Darstellung setzt sich daher zum Ziel, einen vor allem für die in medizinischer Forschung Tätigen und auch für Nichtjuristen verständlichen Leitfaden durch das dafür einschlägige Regelwerk anzubieten. Für eine Vertiefung der rechtswissenschaftlichen Fragen wird deshalb auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen.

Die Auswahl und Anordnung der Themen beruht auf einem in Jahrzehnten gewachsenen Erfahrungshintergrund des Verfassers in der Leitungsorganisation der Universität, der Medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum Tübingen, der Mitwirkung in überregionalen Fachgremien, vor allem aber als juristisches Mitglied der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät und des Universitätsklinikums Tübingen.

Schwerpunkte der Darstellung sind neben den verfassungs- und organisationsrechtlichen Grundlagen der Medizinischen Forschung das Recht der klinischen Prüfungen und das Datenschutzrecht.

Daran angeschlossen sind weitere in der Praxis bedeutsame Rechtfragen der Biobanken, genetischen Untersuchungen und experimentellen Gentherapien, der Grundsätze wissenschaftlicher Redlichkeit, des Weiteren der Schutz des geistigen Eigentums an Forschungsergebnissen, das Veröffentlichungsrecht bzw. die Veröffentlichungspflicht der Forschungsergebnisse, schließlich das Recht der Drittmittelforschung, Gestaltungsfragen bei F&E-Verträge und Verträgen über die Durchführung einer klinischen Prüfung.

Dem Verlag danke ich herzlich dafür, dass er das Buch in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Frau Ass. Jur. Christine Kreitmeier-Heger danke ich für die hervorragende Begleitung während der Drucklegung.

Tübingen, Juni 2024Georg Sandberger

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis/Rechtsquellen

Kapitel 1:Grundlagen

I.Medizinische Forschung im Spannungsfeld zwischen Wissenschaftsfreiheit, Schutz des Lebens, der Gesundheit, der Privatautonomie, der Persönlichkeitsrechte und der Berufsfreiheit.

1.Betroffene Grundrechte

2.Grundrechtsträger

II.Bedeutungsgehalt der Grundrechte – Reichweite und Gewicht

1.Umfang

2.Reichweite

3.Grenzen

III.Forschungsfreiheit

1.Inhalt

2.Immanente Schranken

3.Einschränkungen durch kollidierende Grundrechte der Patienten und Probanden

IV.Art. 2 Abs. 2 GG – Recht auf Leben

1.Kerngehalt

2.Patientenautonomie

V.Maßstab für die ärztliche Berufsausübung – Konsequenzen für das Arzt-Patienten-Verhältnis

1.Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die ärztliche Berufsausübung

2.Konsequenzen für das Arzt-Patienten-Verhältnis bei Behandlung und Forschung

VI.Verantwortung der pharmazeutischen Industrie und Hersteller von Medizinprodukten bei der Entwicklung neuer Produkte

VII.Zum Verhältnis von (Berufs-)Ethik und Recht

1.Berufsethos der Ärzte – Gesetze

2.Grenzen des Berufsrechts

VIII.Rechtliche und berufsethische Regelungen

1.Rechtsquellen und berufsethische/berufsrechtliche Regelungen

2.Gesetzentwurf eines Medizinforschungsgesetzes

3.Verhältnis der Rechtsquellen zum Berufsrecht

Kapitel 2:Klinische Prüfungen

I.Begriff, Abgrenzung zur Behandlung

1.Begriff: Klinische Studie

2.Begriff: Klinische Prüfung

3.Abgrenzung zum Heilversuch

4.Compassionate Use

II.Arten und Phasen der Klinischen Prüfungen

1.Arten klinischer Prüfungen

2.Phasen Klinischer Prüfungen

Kapitel 3:Klinische Prüfungen von Arzneimitteln

I.Allgemeine Voraussetzungen

1.Rechtsquellen

II.Der Prüfplan nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 22 CTR

1.Grundsätzliches

2.Wesentlicher Bestandteil des Prüfplans

III.Sponsor

IV.Prüfer und die Prüfstelle

1.Prüfer

2.Prüfstellen

V.Gegenstand der klinischen Prüfung

VI.Studienpopulation/Prüfungsteilnehmer

1.Bildung von Kontrollgruppen/Randomisierung

2.Feststellung der Ein- und Ausschlusskriterien

3.Klinische Prüfung bei vulnerablen Gruppen

4.Nutzen-Risiko-Bewertung

5.Aufklärung und Einwilligung

VII.Antrags- und Genehmigungsverfahren – Zuständigkeiten der Bundesoberbehörde und Ethik-Kommissionen

1.Überblick

2.Bestimmung der Zuständigkeiten bei multinationalen Prüfungen

3.Bewertungsbericht I

4.Bewertungsbericht II

5.Abschließende Entscheidung

6.Vorgesehene Neuregelung durch das Medizinforschungsgesetz 2024

Kapitel 4:Klinische Bewertung und Klinische Prüfungen mit Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika

I.Begriffsbestimmungen

1.Medizinprodukte

2.Klinische Prüfung

3.Typen klinischer Prüfungen

II.Allgemeine Anforderungen für Klinische Prüfungen, Art. 62 MDR

1.Verfahren

2.Allgemeine Anforderungen an das Konzept der Prüfung

III.Bewertung klinischer Prüfungen nach Art. 62 Abs. 1 MDR durch die Ethik-Kommission und Bundesoberbehörde

IV.Genehmigungsanforderungen, § 37 Abs. 2 Nr. 3, Art. 62 Abs. 4 MDR

1.Sponsor

2.Schutz vulnerabler Gruppen

3.Nutzen-Risiko-Abwägung

4.Einwilligung nach Aufklärung; Art. 63 MDR, §§ 28 ff. MPDG

5.Schutz der körperlichen Integrität, Schutz personenbezogener Daten

6.Minimal Burden – Minimal Risk

7.Anforderungen an Prüfer und Prüfstelle

8.Schutz vor unzulässiger Beeinflussung

V.Neuregelung des Verfahrens durch das Medizinforschungsgesetz 2024

Kapitel 5:Studien mit radioaktiven Substanzen

I.Derzeitige Regelung

II.Neuregelung durch das Medizinforschungsgesetz

Kapitel 6:Berufsordnung (BO)

I.Studien

1.Subsidiarität

2.Beratung vor Studienbeginn

3.Erfasste Forschungsvorhaben

II.Anforderungen an Planung und Durchführung der Forschungsvorhaben

1.Primärer Grundsatz

2.Schutz vulnerabler Gruppen

3.Einwilligung nach Aufklärung

4.Gegenstand der Stellungnahme der Ethik-Kommission

III.Annex zu CTR-MDR und BO-Studien: Haftung und strafrechtliche Verantwortung bei Klinischen Studien

1.Zivilrechtliche Haftung

2.Haftung von Chefarzt und Prüfstelle

3.Haftung des Sponsors

4.Haftpflichtversicherung

5.Strafrechtliche Verantwortung

6.Relevanz eines zustimmenden Votums der Ethik-Kommission

Kapitel 7:Ethik-Kommission

I.Historischer Hintergrund

II.Rechtsgrundlagen

III.Zusammensetzung der Ethik-Kommissionen

IV.Bewertung, Bewertungskriterien

V.Verfahren

VI.Rechtscharakter der Entscheidungen

VII.Haftungsfragen

Kapitel 8:Datenschutz – Schweigepflicht

I.Bedeutung des Datenschutzrechtes für die medizinische Forschung

II.Forschungsfeindliches Datenschutzrecht?

III.Datenverarbeitung für Forschungszwecke – Forschungsprivileg

IV.Garantien für die Rechte der Betroffenen

V.Legitimation der Datenverarbeitung – Einwilligung nach Aufklärung

1.Datenverarbeitung ohne Einwilligung

2.Informationspflichten bei vorausgegangener Datenverarbeitung ohne Einwilligung, Art. 14 DSGVO

VI.Ergänzung durch unionsrechtliche oder mitgliedsstaatrechtliche Bestimmungen

VII.Umfang zulässiger Sekundärnutzung – Bewertung

VIII.Mustertexte für Datenschutzinformationen und Datenschutzeinwilligungen

IX.Schweigepflicht, § 203 StGB

1.Verhältnis von Datenschutz und Arztgeheimnis

2.Rechtskonformer Umgang mit durch das Arztgeheimnis geschützten Daten

3.Überarbeitung des § 203 StGB für Zwecke medizinischer Forschung

X.Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)

Kapitel 9:Biomaterialien, Biobanken

I.Bedeutung von Biomaterialien und Biobanken für Routine und Forschung

II.Rechtseigenschaft von Biomaterialien – Eigentums- und Nutzungsrechte

1.Entstehung des Eigentums – Übergang des Eigentums

2.Nutzungsrechte an Proben

3.Eigentumsrechte bei Tod eines Patienten

4.Anforderungen an die Aufklärung über den Eingriff, Datenerhebung und Datenverwendung

5.Weitergabe von Eigentums- und Nutzungsrechten

6.Probenvernichtung

7.Fazit

III.Trägerschaft von Biobanken – Anforderungen an Organisation und Satzung

1.Trägerschaft

2.Anforderungen an Organisation und Satzung

3.MII Biomaterialien

Kapitel 10:Studien im Bereich genetischer Forschung

I.Der maßgebliche Rechtsrahmen

1.Unterbliebene Regelung im Gendiagnostikgesetz

2.Verfassungsrechtliche Vorgaben – Geltung der allgemeinen Gesetze

II.Klinische Forschung und Datenschutz – § 15 BO, Deklaration von Helsinki, EU-Datenschutz-Grundverordnung, Landesdatenschutzgesetz

1.Grundsatz Einwilligung

2.Aufklärungsanforderungen bei genetischen Untersuchungen

3.Weitere Schutzmaßnahmen

4.Erhebung und Speicherung von Daten zu Forschungszwecken

III.Konsequenzen für genetische Untersuchungen an einwilligungsfähigen Erwachsenen

1.Anforderungen der Deklaration von Helsinki und des Datenschutzes – Mitteilung von Zufallsbefunden

2.Aufnahme der Proben in eine Biobank

3.Nutzung vorhandener Körpersubstanzen zu Forschungszwecken

IV.Konsequenzen für nicht einwilligungsfähige Patienten

1.Dauerhaft nicht einwilligungsfähige Erwachsene

2.Einbeziehung von Minderjährigen

3.Akut nicht einwilligungsfähige Erwachsene

Kapitel 11:Gentherapie

I.Rechtsrahmen der Gentherapie

1.Internationale Regelungen

2.Regelungen der Europäischen Union

3.Rechtslage in Deutschland

4.Zulassungspflicht und Herstellungserlaubnis von Gentherapeutika

II.Voraussetzung gentherapeutischer Behandlungen – Klinische Prüfungen oder individuelle Heilversuche?

III.Verbot der Keimbahntherapie

IV.Verwendung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen

V.Präimplantationsdiagnostik

1.Normative Ausgangslage

2.Wesentliche Gründe der Entscheidung des BGH

3.Erlaubte Präimplantationsdiagnostik

Kapitel 12:Rechtsfragen der Neulandmedizin

I.Definition der Neulandmedizin – Beispiele

1.Einführung

2.Weitere Fragestellungen

3.Definition, Beispiele

II.Normative Grundlagen

1.Neuartige Arzneimittel

2.Heilversuche

3.Abgrenzung Klinische Prüfung – Heilversuch

III.Rechtliche Maßstäbe für die Durchführung von Klinischen Prüfungen und Heilversuchen

1.Klinische Prüfungen

2.Heilversuche

3.Zusammenfassung

IV.Finanzierung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) durch die GKV

1.Überblick

2.Allgemeine Voraussetzungen

3.Abrechnungsfähigkeit

4.Auslegungspraxis des BSG bei Anwendung des § 2 Abs. 1a SGB V

5.Behandlung außerhalb des Qualitätsgebotes nach negativem Ausgang der Erprobungsphase

6.Anforderungen an die Einwilligung Aufklärung bei neuen Behandlungsverfahren

7.Modellversuch Genomsequenzierung – § 64e SGB V ab 1.1.2024

8.Neue Arzneimittel – Off-Label-Use – Finanzierung durch die GKV

V.Verfahren der Zulassung von Medikamenten mit neuen Wirkstoffen

VI.Umsetzung bei der Abrechnung mit den Kassen

1.NUB-Entgelte

2.Abrechnung nach §§ 7, 8, 6 KHEntG

3.Die Rolle des MDK

VII.Bewertung unter dem Aspekt des Zugangs zur Neulandmedizin

VIII.Fazit

1.Zur Begrifflichkeit von Heilversuch und klinischer Prüfung

2.Zu den Beurteilungsmaßstäben

3.Zugang zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

4.Kostenübernahmeerklärungen

5.Unzulängliche Innovationsoffenheit der derzeitigen Regelung

Kapitel 13:Wissenschaftliche Redlichkeit

I.Inhalt und Bedeutung des Gebots wissenschaftlicher Redlichkeit

II.Definition der Tatbestände wissenschaftlicher Redlichkeit

III.Inhalt des DFG-Kodex

IV.Verfassungskonforme Kriterien

V.Sanktionen

VI.Verhältnis zu Sanktionen bei Verletzung des geistigen Eigentums

VII.Sonderregelungen für die Veröffentlichung medizinischer Forschungsvorhaben am Menschen

Kapitel 14:Veröffentlichungsrecht – Veröffentlichungspflicht

I.Urheberechtlicher und patentrechtlicher Schutz von Forschungsergebnissen

1.Urheberrecht

2.Arbeitnehmerurheberrecht – Einschränkungen des Veröffentlichungsrechts

II.Patentrecht

III.Eigentumsschutz von Forschungsdaten nach § 950 BGB

IV.Schutz von Forschungsdaten als sonstiges Recht i. S. v. § 823 Abs. 1 bzw. Art. 5 Abs. 3 GG als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB

V.Datenschutz als Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit

VI.Veröffentlichungspflicht

1.Rechenschaftslegung

2.Verfassungskonformität von Veröffentlichungspflichten

Kapitel 15:Drittmittelforschung – Gestaltungsfragen bei F&E-Verträgen – Verträge über die Durchführung einer klinischen Prüfung

I.Bedeutung der Drittmittel, Annahme und Bewirtschaftung, Drittmittelpersonal

II.Abgrenzung zur Nebentätigkeit

III.Entwicklungsvorhaben

IV.Kostendeckung bei Forschungsverträgen

V.Gestaltungsfragen bei F&E-Verträgen – Verträge über die Durchführung einer klinischen Prüfung

1.Gestaltungsfragen bei F&E-Verträgen

2.Verträge über die Durchführung einer klinischen Prüfung

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. A.andere Ansichta. a. O.am angegebenen OrtAbs.Absatza. F.alte FassungAGBAllgemeine GeschäftsbedingungenAMGArzneimittelgesetzArbNERfGArbeitnehmererfindungsgesetzBGBBürgerliches GesetzbuchBGHBundesgerichtshofBGHZEntscheidungen des Bundesgerichtshofes in ZivilsachenBOBerufsordnungBT-Drs.Bundestags-DrucksacheBVerfGBundesverfassungsgerichtCTREU-VO Nr. 536/2014 über klinische Prüfungen mit HumanarzneimittelnDFGDeutsche ForschungsgemeinschaftDoHDeklaration von HelsinkiDRGDiagnosis Related Groups (Klassifikationssystem für ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren)DSGVODatenschutz-Grundverordnung (EU)ebda.EbendaEMAEuropäische ArzneimittelagenturEPÜEuropäisches PatentübereinkommenESchGEmbryonenschutzgesetzf., ff.folgende, fort folgendeFDZForschungsdatenzentrum GesundheitF&E-VerträgeForschungs- und EntwicklungsverträgeG-BAGemeinsamer BundesausschussGCP-Verordnung – GCP-VVerordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am MenschenGDNGGesundheitsdatennutzungsgesetzGenDGGendiagnostikgesetzGGGrundgesetzggf.gegebenenfallsGRChGrundrechte-ChartaHeilBKG BWGesetz über das Berufsrecht und die Kammern der Heilberufe(Heilberufe-Kammergesetz – HBKG) in Baden-WürttembergICH-RichtlinienGood Clinical Practice (ICH)- RichtlinienIVDRVerordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der KommissionKGKammergerichtKHEntGKrankenhausentgeltgesetzKKSKKS-Netzwerk e. V. (KKSN); Zusammenschluss der Koordinierungszentren für klinische Studien (KKS) und Zentren für klinische Studien (ZKS) LGLandgerichtLHG BWLandeshochschulgesetz Baden-WürttembergMDGEEntwurf des MedizinforschungsgesetzesMDKMedizinischer Dienst der KrankenkassenMDRMedical Device Regulation – MedizinprodukteverordnungMIIMedizininformatik-InitiativeMPDGMedizinprodukte-DurchführungsgesetzmSvMilli-SievertNr.NummerOLGOberlandesgerichtPIDPräimplantationsdiagnostikPMCFPost-Market Clinical Follow-upRn.RandnummerRz.RandzifferS.SeiteSGB VSozialgesetzbuch, Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherungs. o, s. u.siehe oben, siehe untenStrlSchGStrahlenschutzgesetzStZGStammzellengesetzUKTUniversitätsklinikum Tübingenusw.und so weiterVerordnung (EU) 2017/745Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates VGVerwaltungsgerichtvgl.vergleichez. B.zum BeispielZEKZentrale Ethik-KommissionZESZentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung

Hinweis:Zur besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit dieses Buches wurde auf die explizite Verwendung von männlichen und weiblichen Personenbezeichnungen verzichtet. Alle verwendeten Begriffe gelten gleichermaßen für beide Geschlechter und schließen auch diverse Geschlechtsidentitäten ein.

Literaturverzeichnis/Rechtsquellen

Handbücher

Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. 2014, Springer Verlag, Berlin-Heidelberg

Lenk, Duttge, Fangerau (Hrsg.), Handbuch Ethik und Recht der Forschung am Menschen, 2013, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, C.H.Beck, München

Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 8. Auflage 2021, C.H. Beck, München

Sammelwerke

G. Richter, W. Loh, A. Buyx, S. Graf von Kielmansegg (Hrsg.), Datenreiche Medizin und das Problem der Einwilligung.

Ethische, rechtliche und sozialwissenschaftliche Perspektiven, open Access Springer, 2022, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

Kommentare

Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Auflage 2022, C.H. Beck, München

Rehmann, Arzneimittelgesetz (AMG), 5. Auflage 2020, C.H. Beck, München

Spickhoff, Medizinrecht, 4. Auflage 2022 Spickhoff, C.H. Beck, München

Festschriften

Ch. Katzenmaier (Hrsg.), Festschrift für Dieter Hart, Medizin-Recht-Wissenschaft, 1. Auflage 2020, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg

R. Grinblat (Hrsg.), S. Scholz (Hrsg.), S. Stock (Hrsg.), Festschrift für Ulrich M. Gassner zum 65. Geburtstag, Medizinprodukterecht im Wandel, 2022, Nomos Verlag, Baden-Baden

Gutachten

Dagmar Felix, Untersuchung der Bewertungsverfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf die Grundsatzfrage des Zugangs neuer Methoden und der damit verbundenen Förderung der Innovationsoffenheit, Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa, Band 50, 2018

Ulrich M. Gassner, Gutachten zu dem Thema: „Untersuchung der Bewertungsverfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Hinblick auf die Grundsatzfrage des Zugangs neuer Methoden und der damit verbundenen Förderung der Innovationseinheit“, v. 13.6.2019;

Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu klinischen Studien, 2018, Drs. 7301-18

Wissenschaftsrat, Perspektiven der Universitätsmedizin, 2016, Drs. 5662-2016

Wissenschaftsrat, Digitalisierung und Datennutzung für Gesundheitsforschung und Versorgung, 2022, Drs. 9825-22

Bundestagsdrucksachen

Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Biobanken für die humanmedizinische Forschung und Anwendung v. 16.5.2007, BT-Drs.16/5374

Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Genome Editing am Menschen, v. 22.2.2022, BT-Drs. 20/1650

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages

„Rote Gentechnik“ Rechtslage und Positionen der Parteien 052/17 WD 9 – 3000 – © 2017 Deutscher Bundestag

Fremdnützige genetische Forschung an Nicht-Einwilligungsfähigen – Rechtliche Rahmenbedingungen, WD 7 – 3000 – 146/09, abrufbar unter: WD-7-146-09-pdf-data.pdf (bundestag.de)

Zentrale Ethik-Kommission (ZEKO)

Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission: Die (Weiter-)Verwendung von menschlichen Körpermaterialien für Zwecke medizinischer Forschung (20.2.2003)

Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethik-Kommission) bei der Bundesärztekammer zur Forschung mit Minderjährigen, 2004

Gruppennützige Forschung mit nichteinwilligungsfähigen Personen, 8.2.2019

Bereitstellung und Nutzung von Behandlungsdaten zu Forschungszwecken v. 23.11.2022

Deutsche Gesellschaft für Humangenetik,

Humangenetische Diagnostik und genetische Beratung, 2011

Stellungnahme zur Genetischen Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen v. 1.8.2013

Deutscher Ethikrat

Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, Stellungnahme v. 30.11.2017

Die Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung, Stellungnahme v. 30.4.2013

Arbeitskreis Medizinscher Ethik-Kommissionen (AKEK)

Forschung als Herausforderung für Ethik und Menschenrechte, 50 Jahre Deklaration von Helsinki (1964–2014), Jahrbuch 2014; mit der Dokumentation der 15. Sommertagung des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland am 20.–21.6.2014 in Berlin – Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V., Arbeitskreis „Datenschutz und IT-Sicherheit im Gesundheitswesen“, gmds, Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V., Arbeitskreis „Datenschutz und Datensicherheit im Gesundheits- und Sozialwesen“, gdd, Datenschutz bei Klinischen Studien, 2019; abrufbar unter: https://gesundheitsdatenschutz.org/download/datenschutz_klin-studien.pdf

Nationale Ethik-Kommission im Bereich der Humanmedizin (NEK-H)

Biobanken für die Forschung, Stellungnahme Nr. 24/2015, Bern, Dezember 2015, abrufbar unter: 201537093_NEK_Broschure_D_OK_k9.indd (admin.ch)

Ethik in der Medizin, U. Wiesing (Hrsg.), Ethik in der Medizin, Ein Studienbuch, erweiterte Ausgabe 2020, Reclam-Verlag, Ditzingen

Rechtsquellen

Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG (Text von Bedeutung für den EWR), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0536

Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (Text von Bedeutung für den EWR), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745

Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (Text von Bedeutung für den EWR), abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R0746

Arzneimittelgesetz, in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.3.2024 I Nr. 109, abrufbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/

Klinische Prüfung-Bewertungsverfahren-Verordnung – KPB, abrufbar unter: KPBV – Verordnung über das Verfahren zur Zusammenarbeit der Bundesoberbehörden und der registrierten Ethik-Kommissionen bei der Bewertung von Anträgen auf Genehmigung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (gesetze-im-internet.de)

Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz vom 28.4.2020 (BGBl. I S. 960), zuletzt geändert durch G v. 28.6.2022 I 938, abrufbar unter: MPDG – Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Medizinprodukte (gesetze-im-internet.de)

Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes vom 25.3.2024, abrufbar unter: Entwurf eines Medizinforschungsgesetzes (bundesgesundheitsministerium.de)

Deklaration von Helsinki – Fassung 2013, abrufbar unter: www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/_old-files/downloads/pdf-Ordner/Intern

ICH- Guideline for Good Clinical Practice, „ICH- Consensus Guideline“, https://database.ich.org/sites/default/files/E6_R2_Addendum.pdf; https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory-overview/research-and-development/scientific-guidelines/ich-guidelines/ich-safety

Kapitel 1:Grundlagen

I.Medizinische Forschung im Spannungsfeld1 zwischen Wissenschaftsfreiheit, Schutz des Lebens, der Gesundheit, der Privatautonomie, der Persönlichkeitsrechte und der Berufsfreiheit

1.Betroffene Grundrechte

Im Kern geht es um das Verhältnis der Grundrechte

–  des Art. 5 Abs. 3 GG (Wissenschaftsfreiheit),

–  Art. 1, Art. 2 Abs. 2 GG (Schutz des Lebens und der Gesundheit),

–  Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 2, 4 und Art. 12 GG (Freiheit ärztlichen Handelns, Berufsfreiheit der Leistungserbringer) – dazu korrespondierend

–  der Art. 13, 1, 2, 3, 8 Grundrechte-Charta (GRCh).

Die Grundrechte des GG und der Europäischen Grundrechte-Charta sind inhaltlich in weiten Teilen deckungsgleich. Gerade in den für medizinische Forschung relevanten Feldern des Lebens- Gesundheits- und Datenschutzes weisen die einschlägigen Artikel der GRCh aber einen höheren Konkretisierungsgrad auf. Die Mitgliedstaaten sind an die Unionsgrundrechte gebunden.

Das BVerfG hat sich bisher zum Rangverhältnis des GG und der GRCh nicht definitiv geäußert, räumt aber bei der Prüfung unionsrechtlich vereinheitlichter Regelungen der GRCh den Anwendungsvorrang ein.2

2.Grundrechtsträger

Als Grundrechtsträger sind betroffen Patienten und Probanden, Wissenschaftlich Tätige, behandelnde Ärzte und ihre Institutionen sowie die an der Entwicklung neuer Medikamente, Medizinprodukte und neuer Behandlungsmethoden beteiligten Unternehmen.

II.Bedeutungsgehalt der Grundrechte – Reichweite und Gewicht

1.Umfang

Der Bedeutungsgehalt der Grundrechte umfasst nach dem heutigen Verständnis nicht nur Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, sondern – mit unterschiedlichem und kontextgebundenen Inhalt – auch Schutz-/Gewährleistungspflichten des Staates zugunsten der Grundrechtsträger sowie objektive Wertmaßstäbe für die gesamte Rechtsordnung, einschließlich der Gestaltung privatrechtlicher Rechtsbeziehungen der an der Behandlung und Forschung beteiligten Personen, Institutionen und Unternehmen.

2.Reichweite

Ihre jeweilige Reichweite und ihr Gewicht im Verhältnis zueinander werden zum einen durch die inhaltlichen Schranken und sog. Schrankenvorbehalte der einzelnen Grundrechtsartikel, zum anderen als sog. verfassungsimmanente Schranken durch den Gehalt kollidierender Grundrechte bestimmt, der nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit bei der Prüfung der Verfassungskonformität und Auslegung von Gesetzen zu bestimmen ist.

3.Grenzen

Der Schutz und die Achtung der Menschenwürde, der Schutz des Lebens, der Privatautonomie und der Schutz der Persönlichkeitsrechte begrenzt damit den Handlungsrahmen für die Ausübung des Rechtes auf freie wissenschaftliche Betätigung i. S. d.  Art. 5 Abs. 3 GG. Ärztliche Berufsausübung ist nicht nur an den Schutz des Lebens und der Gesundheit, sondern auch an das Selbstbestimmungsrecht der Patienten gebunden. Wissenschaftsfreiheit verstanden als Kommunikationsgrundrecht, hat den Schutz der Persönlichkeitsrechte, die auch den Schutz personenbezogener Daten umfasst, zu respektieren.

III.Forschungsfreiheit

1.Inhalt

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt die wissenschaftliche Forschung. Das BVerfG hat Forschung als „die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“, definiert. Im Mittelpunkt steht also der wissenschaftliche Erkenntnisgewinnungsprozess. Forschung ist hiernach, „was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist“.3 Umfasst wird z. B.

–  die Methodenwahl,

–  die Erhebung oder Ermittlung von Daten,

–  das Experimentieren,

–  die Nutzung von Archiven oder frei zugänglichen Quellen und

–  die Bewertung der Ergebnisse.

Auch die Überprüfung fremder Forschungsergebnisse mit dem Ziel, diese zu verifizieren oder zu falsifizieren, ist Forschung.4 Soweit diese Voraussetzungen nach Ziel und Inhalt erfüllt sind, handelt es sich um vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG umfasste Tätigkeit, unabhängig ob sie der Grundlagenforschung, angewandten Forschung oder dem Transfer der Ergebnisse zuzuordnen ist.

„Forschung ist nur dann wissenschaftlich, wenn der autonome Erkenntnisprozess offen ist und eine kritische Distanz zum Forschungsgegenstand gewahrt wird. Dies setzt aber einen hinreichenden Grad an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit voraus, insbesondere hinsichtlich der Wahl der Methoden, der Durchführung des Forschungsvorhabens und der notwendigen Bewertung der rohen Forschungsergebnisse. Wer weisungsabhängig beschäftigt ist, kann sich grundsätzlich nur dann und insoweit auf die Wissenschaftsfreiheit berufen, wie Spielräume zur autonomen Beurteilung bzw. Konzeption verbleiben, die sich weder durch Weisung überspielen noch durch eine Entscheidung durch Vorgesetzte ersetzen lassen. Dies wird in der Regel insbesondere dort der Fall sein, wo eine eigene Verantwortung für die Durchführung, Bewertung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnis verbleibt. Namentlich kann gesetzlich Verantwortung zugewiesen sein, weil für die wissenschaftliche Redlichkeit straf- oder verwaltungsrechtlich gehaftet wird (z. B. der verantwortliche Leiter einer Arzneimittelstudie in einem Pharmaunternehmen), die Aufgabenbeschreibung des Arbeitsplatzes eigenverantwortliche Bewertungen erfordert (z. B. im Rahmen der Ressortforschung), die Tätigkeit auch einer wissenschaftlichen Qualifikation (Promotion, Habilitation) dient oder eine wissenschaftliche Publikation der Forschungsergebnisse angestrebt wird, die alle Autorinnen und Autoren gemeinsam zu verantworten haben.“5

In personaler Hinsicht umfasst der Schutzbereich der Forschungsfreiheit nicht nur die staatlichen und privaten Universitäten, außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen gleich welcher Rechtsform, sondern auch privatwirtschaftliche Unternehmen, darüber hinaus jeden privaten Forscher.6

2.Immanente Schranken

Immanente Schranken der Wissenschaftsfreiheit ergeben sich gegenüber Handlungen, die dem Grundsatz ernsthaften und planmäßigen Versuches zur Ermittlung von Wahrheit widersprechen. Sie werden mit der Kategorie des wissenschaftlichen Fehlverhaltens beschrieben. Dazu gehören neben Plagiaten, der Behinderung der Forschungstätigkeit Dritter insbesondere die Fälschung von Forschungsdaten.7 Die Überprüfung der Vorwürfe durch hochschulinterne Kommissionen ist mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar, soweit sich die Prüfungskommission auf die Prüfung der Voraussetzungen dieser Tatbestände beschränkt.8

3.Einschränkungen durch kollidierende Grundrechte der Patienten und Probanden

Die Wissenschaftsfreiheitsgarantie kann, wie Trute die Rechtsentwicklung in seiner Habilitationsschrift und in einem Überblicksaufsatz zusammenfassend dargestellt hat, auch als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht Einschränkungen unterliegen, die durch kollidierendes Verfassungsrecht begründet werden können.9„Diese können in gesetzlichen Regelungen, in Entscheidungen aufgrund gesetzlicher Regelungen, Selbstregulierungen von Forschungseinrichtungen und Verpflichtungen oder Appellen zu Reflexionen mit bestimmten Inhalten liegen. Als Einschränkungen legitimierendes Gegenrecht fungiert hier regelmäßig die staatliche Schutzpflicht, insbesondere die Schutzpflicht für die Rechtsgüter von Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG), aber auch der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) und weiterer Vorschriften. Dabei ist eine praktische Konkordanz anzustreben, die zugleich der Tatsache Rechnung trägt, dass auch die kollidierenden Verfassungsgüter Teil der als Einheit gedachten Rechtsordnung sind.“

IV.Art. 2 Abs. 2 GG – Recht auf Leben

1.Kerngehalt

Die grundrechtliche Verbürgung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) begründet nach der Judikatur des BVerfG neben dem Abwehrrecht auch konkrete staatliche Schutzpflichten. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die abhängig von der jeweiligen Gefährdungslage staatliche Schutzpflichten begründet. Diese beinhalten die staatliche Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen.10 Die subjektiven Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe und die sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflichten unterscheiden sich insofern grundlegend voneinander, als das Abwehrrecht in Zielsetzung und Inhalt ein bestimmtes staatliches Verhalten verbietet, während die Schutzpflicht grundsätzlich unbestimmt ist.

Die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen.11 Das BVerfG kann die Verletzung einer solchen Schutzpflicht nur feststellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.12

2.Patientenautonomie

Schon vor 50 Jahren hat der BGH die Grundlagen und den Inhalt der Patientenautonomie wie folgt umschrieben:

„Das in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit fordert Berücksichtigung auch bei einem Menschen, der es ablehnt, seine körperliche Unversehrtheit selbst dann Preis zu geben, wenn er dadurch von einem lebensgefährlichen Leiden befreit wird. Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftiger Weise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um wieder gesund zu werden.“

Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich. Zwar ist es sein vornehmstes Recht und seine vornehmste Pflicht, den kranken Menschen von seinem Leiden zu befreien. Dieses Recht und diese Pflicht finden aber in dem grundsätzlich freien Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper seine Grenze.“13

Im Jahre 1979 hat dem das Bundesverfassungsgericht zugefügt: „Verfehlt wäre es, dem Kranken oder Gebrechlichen, weil seine Gesundheit oder sein Körper bereits versehrt seien, nur ein gemindertes Maß an Selbstbestimmungsrecht zuzusprechen und deshalb Eingriffe zum Zwecke der Diagnose, Vorbeugung, Linderung, Besserung oder Behebung eines Leidens dem Erfordernis der Einwilligung zu entziehen oder nur geringere Anforderungen an die Einwilligung und das in ihrem Rahmen gebotene Maß an Aufklärung zu stellen“.14

V.Maßstab für die ärztliche Berufsausübung – Konsequenzen für das Arzt-Patienten-Verhältnis

1.Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die ärztliche Berufsausübung

Der Schutz des Lebens, der Gesundheit und Patientenautonomie bestimmt auch die Schranken der auf Art. 12 und 4 GG gestützten Freiheit des ärztlichen Handelns. Im Sinne des Art. 12 GG sind diese Grundrechte Regelungen der Berufsausübung. Die Therapiefreiheit wird nach Art. 2 Abs. 1 GG explizit durch Rechte anderer, also auch der Grundrechte der Patienten und Probanden und das Sittengesetz beschränkt. Zu diesem zählen auch die berufsethischen Grundsätze ärztlichen Handelns, insbesondere der Hippokratische Eid. Damit in Einklang stehen § 1 BOÄ und das ärztliche Standesrecht.15

2.Konsequenzen für das Arzt-Patienten-Verhältnis bei Behandlung und Forschung

Auf die Schutzpflicht des Staates gegenüber den Grundrechten auf Leben, Gesundheit, Patientenautonomie und Persönlichkeitsrecht gründen sich zum einen die im Arztvertragsrecht und den von der BÄK berufsethisch kodifizierten Standards der Behandlung von Patienten, zum anderen die für die Forschung am Menschen kodifizierten Anforderungen an die Genehmigung klinischer Prüfungen und Überwachung durch Aufsichtsbehörden und Ethik-Kommissionen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Abwägung der Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für die betroffenen Patienten oder Probanden und der voraussichtlichen Bedeutung für die Heilkunde. Danach sind die Risiken der Forschung nur gerechtfertigt, wenn sie nicht unangemessen hoch für die geschützten Rechtsgüter sind. Für vulnerable Gruppen (Minderjährige, nicht einwilligungsfähige Erwachsene) gelten für die Risikobewertung noch strengere Maßstäbe (minimal risk, minimal burden).16

VI.Verantwortung der pharmazeutischen Industrie und Hersteller von Medizinprodukten bei der Entwicklung neuer Produkte

Die Schutzpflicht des Staates für Leben, Gesundheit, Selbstbestimmung und die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Patienten und Probanden, Anwender und Dritter bestimmt auch die Verantwortung der Hersteller der Arzneimittel- und Medizinprodukte bei der Durchführung der für die Marktzulassung notwendigen klinischen Prüfungen, bei der Herstellung, Vermarktung und Überwachung.17

VII.Zum Verhältnis von (Berufs-)Ethik und Recht

Das für die medizinische Forschung maßgebliche Regelungsregime besteht aus einem Bündel berufsethischer Verhaltenskodizes18 der internationalen und nationalen Ärzteorganisationen als komplementäre Ordnung zu den einschlägigen europäischen und nationalen Rechtsvorschriften.

1.Berufsethos der Ärzte – Gesetze

Seit jeher nimmt das Berufsethos der Ärzte im Hinblick auf das elementare Schutzbedürfnis der Gesundheit, des Lebens, des Vertrauensverhältnisses von Arzt und Patienten, damit verbunden den Schutz des Arztgeheimnisses, eine besondere Stellung ein. Der den Kern bildende Hippokratische Eid bleibt bis heute, wenn auch in inzwischen modifizierter Form, in Kraft. Vor dem Hintergrund von Gräueltaten in Forschung und medizinischer Versorgung entstanden nach dem 2. Weltkrieg der Nürnberger Kodex, das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes von 1948 und die Deklaration von Helsinki.

Berufsethos und Gesetze beinhalten Verhaltensnormen, die sachgerechtes ärztliches Handeln im Umgang mit Patienten und Probanden gewährleisten sollen. Ihre begriffliche und inhaltliche Abgrenzung wird vielfach mit den von Kant entwickelten Kriterien des Bestimmungsgrades des Handelns aus Moralität und aus Legalität unternommen. Danach soll das Handeln gemäß der Legalität von äußerem Zwang bestimmt sein, während das Handeln aus Moralität aus inneren Gründen als sittlich richtig erkannt und vollzogen wird.

Diese Trennung wird weder den Inhalten noch den Bestimmungsgründen normgerechten Verhaltens berufsethischer und berufsregelnder Gesetzesnormen gerecht. Beide Regelungsansätze haben für den präventiven Schutz der Patienten große Bedeutung. Die Feststellung, dass dem Berufsrecht gegenüber dem Gesetzesrecht größere Wirkung bei der Vermeidung von Schäden für den Patienten zukommt, beruht auf der Hypothese, dass standesrechtliche Verhaltenspflichten gegenüber Rechtspflichten durch die Ärzteschaft besser internalisiert werden; sie ist schwierig zu belegen.

Dem Vorschlag, für das das ärztliche Standesrecht ein Stufenmodell der Verbindlichkeit einzuführen, um der Gefahr einer misslungenen Ethisierung des Rechts vorzubeugen,19 ist deshalb ein am Maßstab des Grundrechts auf Schutz des Lebens und der Gesundheit ausgerichtetes Zusammenwirken berufsethischer und rechtlicher Normen entgegenzusetzen, das auch der Judikatur des BVerfG entspricht.

„Ärztliche Standesethik steht, so das BVerfG, nicht isoliert neben dem Recht, sie wirkt allenthalben und ständig in die Beziehungen des Arztes und Patienten ein. Was die Standesethik vom Arzt fordert, übernimmt das Recht weitgehend als rechtliche Pflicht. Mehr als in anderen Berufen fließt das Ethische und das Rechtliche zusammen.“20

Diese Feststellung wird zum einen durch die Bindung des Grundrechts der Handlungsfreiheit an das Sittengesetz (Art. 2 Abs. 1 GG), zum anderen auch durch einen Abgleich rechtlicher und berufsrechtlicher Regelungen im Arzthaftungsrecht bestätigt. Von einer überschießenden Regelungsdichte des Gesetzgebers kann im Arzthaftungsrecht keine Rede sein. Vielmehr nimmt das Gesetz bei der Definition des Behandlungsfehlers in § 630a Abs. 2 BGB auf die allgemeinen fachlichen Standards im Zeitpunkt der Behandlung Bezug. Die Aufklärungspflichten nach §§ 630c Abs. 2 und § 630e BGB decken sich im Kern mit § 8 der Berufsordnung (BO). Gleiches gilt für die Aufklärung über die Behandlungskosten nach § 630c Abs. 2 BGB, § 12 BO und die Dokumentationspflichten nach § 630f BGB, 10 BO. Die gesetzliche Regelung sorgt vor allem in Form von Beweislastregelungen und Verschuldensvermutungen bei objektiv feststehenden Verletzungen der Behandlungs-, Aufklärungs- und Dokumentations-Standards ergänzend für einen angemessenen Rechtsschutz der Patienten.

2.Grenzen des Berufsrechts

Der Bereich berufsrechtlicher Regelung überlassener Räume findet, wie das Beispiel des Arzthaftungsrechts zeigt, dann seine Grenzen und bedarf rechtlicher Ergänzung, wenn die Regeln der Selbstverwaltung der Ärzteschaft keine mit Sanktionen verbundene ausreichende Verbindlichkeit für alle Beteiligten, vor allem, aber wenn sie keinen angemessenen Schutz grundrechtlich verbürgter Rechte Dritter, insbesondere der Patienten gewährleisten können.21

Wie das Arzthaftungsrecht haben die Regelungen der ärztlichen Verantwortung für die Forschung am Menschen die Funktion, die Verantwortung der Ärzte für den Schutz der Patienten und Probanden mit dem Erkenntnisinteresse der Forschung und den Interessen der Sponsoren in Einklang zu bringen. Dabei befinden sich – wie noch zu zeigen sein wird – die Maßstäbe der ärztlichen Ethik und des Rechts in weitgehender Übereinstimmung.

Zugleich trägt eine gesetzliche Ausgestaltung des Arzthaftungsrechts und der klinischen Prüfungen den Anforderungen des Grundgesetzes Rechnung, die Regelung wesentlicher grundrechtsrelevanter Entscheidungen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu überlassen.22 Diese Grundsätze gelten zwar primär für das Verhältnis von Staat und Bürger;23 aus ihnen folgt im Rahmen staatlicher Schutzpflichten für das Leben und die Gesundheit jedoch auch die Pflicht zur normativen Umsetzung des Schutzkonzeptes in der Rechtsbeziehung von Ärzten, Patienten/Probanden und den Sponsoren. Dabei hat der Gesetzgeber nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum, in welchem Umfang er den Schutz dieser Rechtsgüter berufsethischen und berufsrechtlichen Regelungen überlässt. Entscheidungskriterium dafür ist das Ausmaß der Gefährdung von Leben und Gesundheit durch klinische Prüfungen und die hinreichende Eignung berufsethischer Regelungen für den Schutz der Patienten und Probanden.

VIII.Rechtliche und berufsethische Regelungen

Die im Folgenden zu behandelnde Übersicht folgt dem beschriebenen Pfad eines Zusammenwirkens legislatorischer und berufsethischer Ansätze zur Regelung der medizinischen Forschung am Menschen.

Auf berufsethischer Ebene dominieren schon seit einiger Zeit Verhaltenskodizes der internationalen Ärzteorganisationen, insbesondere des Weltärztebundes.

Auf legislatorischer Ebene haben nach einer vorausgehenden Rechtsharmonisierung nationalen Rechts durch europäische Richtlinien im Bereich der klinischen Prüfungen von Arzneimitteln, Medizinprodukten und des Datenschutzes EU- Verordnungen die bisherigen Regelungen des Arzneimittelgesetzes, Medizinproduktegesetzes, des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Länderdatenschutzgesetze abgelöst. Lediglich sonstige von keiner gesetzlichen Regelung erfasste klinische Prüfungen unterliegen weiter den Vorschriften der von der Selbstverwaltung erlassenen Berufsordnungen, die die in der Deklaration von Helsinki niedergelegten Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen inkorporieren.

Zusammenfassend ergibt sich folgender Bestand an Rechtsquellen und berufsethischen Regelungen:

1.Rechtsquellen und berufsethische/berufsrechtliche Regelungen24

–  EU-Verordnung über Klinische Prüfungen (CTR) ab 1.2.2022. Für die CTR bestand noch eine Überganszeit bis 31.1.23 (Antrag), 31.1.25 (Antrag und Genehmigung), Art. 98 Abs. 2 CTR. In diesem zeitlichen Rahmen erfolgten die Genehmigung und Durchführung noch nach AMG §§ 40 ff. a. F.

–  Das AMG gilt weiter für Herstellung und Zulassung der Prüfsubstanzen, ergänzend zur EU-VO für klinische Prüfungen. Die Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen für die Bundesoberbehörden und Ethik-Kommissionen sind in §§ 40 ff. AMG 2022 i. V. m. der Medizinprodukte-Klinische PrüfungsVO geregelt.

–  Die EU-VO über Medizinprodukte (MPR) gilt seit 26.5.21. Die EU-VO über In-vitro-Diagnostika ab Zuständigkeit und Verfahren regelt das Medizinproduktrecht-Durchführungsgesetz (MPDG).

–  Für Forschung unter Einsatz ionisierender Strahlen gelten §§ 31 ff., Strahlenschutzgesetz 2018 und Strahlenschutz-VO, §§ 133 ff. Sie ersetzen die Regelungen der RöntgenVO, §§ 28a–g und der Strahlenschutz-VO §§ 23, 24, 87, 88, 92.

–  Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Patienten- und Probandendaten regelt die EU-Datenschutz-Grundverordnung. Für den Bereich wissenschaftlicher Forschung wird diese durch das LDSG BW bzw. BDSG ergänzt.

–  Medizinische Forschung, bei der in die persönliche oder körperliche Integrität eingegriffen, Körpermaterialien oder personenbezogene Daten verwendet werden, regeln die jeweiligen Berufsordnungen der Ärztekammern in durch § 15 Musterberufsordnung harmonisierten Bestimmungen. Diese sind gegenüber dem Anwendungsbereich der CTR/AMG bzw. MDR/MPDG subsidiär. Ergänzt werden sie durch landesrechtliche Gesetze über Heilberufe-Kammern, die vor allem die Einrichtung und Zusammensetzung von Ethik-Kommissionen regeln.

–  Über die Verweisung in den maßgeblichen Gesetzen und standesrechtlichen Berufsordnungen erfährt die vom Weltärztebund für die Forschung am Menschen verabschiedete Deklaration von Helsinki, derzeit i. d. F. von 2013, Rechtsgeltung.

–  Gleiches gilt die für klinische Studien maßgeblichen Good Clinical Practice (ICH)- Richtlinien.25