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Dieses Werk beschreibt umfänglich die Eroberung Germaniens durch die Römer in den Jahrzehnten vor und nach Christus und deren Handeln und Wirken während ihrer fast fünfhundertjährigen Herrschaft, sowohl aus militärischer wie auch aus politischer und kultureller Sicht. Es bietet ausführliche Informationen zum Verhältnis der Völker, zu Herrschaft und Verwaltung, Wirtschaft und Handel, zur sozialen Struktur, zum Leben in der Stadt und auf dem Land, zu Berufen und Freizeittätigkeiten, zu Architektur, Kunst und Religion. Ausführliche Glossare, eine Zeittafel, ein Ortsregister, mehrere Karten sowie Informationen zu den wichtigsten Museen und Besichtigungszielen im deutschsprachigen Raum runden dieses mit vielen Illustrationen und Bildern versehene Buch ab, das fundiert und verständlich zugleich ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Einleitung
Römer und Germanen
Die Vorstellungen von Nordeuropa in der Antike
Frühe Beschreibungen der Germanen in römischen Quellen
Das Verhältnis von Gaius Julius Caesar zu den Germanen
Die Germanen bei der Ankunft der Römer
Eroberung und Widerstand
Die Eroberung des linksrheinischen Germaniens durch die Römer
Erste römische Militärlager am Rhein
Die Eroberung der Alpen und des Alpenvorlandes
Die Feldzüge des Drusus und des Tiberius
Römische Militäranlagen und Siedlungen im rechtsrheinischen Germanien
Die Varusschlacht
Die Feldzüge des Germanicus
Die Aufgabe des rechtsrheinischen Germaniens
Germanien bis zur Errichtung zweier germanischer Provinzen
Der Obergermanisch-Raetische Limes
Rom und das rechtsrheinische Germanien nach Gründung der beiden germanischen Provinzen
Herrschaft und Verwaltung
Die römische Herrschafts- und Verwaltungsstruktur
Die Provinz Niedergermanien (Germania Inferior)
Städtische Siedlungen in Niedergermanien
Die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln)
Die Colonia Ulpia Traiana (Xanten)
Die Kleinstädte in Niedergermanien
Die Provinz Obergermanien (Germania Superior)
Städtische Siedlungen in Obergermanien
Kleinstädte in Obergermanien
Die villae rusticae
Militär und Grenzsicherung an Rhein und Donau
Wirtschaft und Handel
Entwicklung von Wirtschaft und Handel in Germanien
Verkehrswesen
Land- und Forstwirtschaft
Bergbau
Handwerk und Gewerbe
Handel
Frauenberufe
Die römisch-germanische Gesellschaft
Soziale Struktur
Arbeit und Freizeit
Kleidung
Essen und Trinken
Medizin und Hygiene
Kunst und Kunsthandwerk
Religion
Totenkult
Das Ende der römischen Herrschaft
Wachsende Einfälle germanischer Stämme in das Römische Reich
Die Völkerwanderung
Alamannen
Burgunden
Franken
Goten
Langobarden
Markomannen
Sachsen
Thüringer
Vandalen
Der Limesausbau
Das gallische Sonderreich
Die Neuorganisation der römischen Grenzsicherung in Germanien
Die Einbindung germanischer Stämme in den römischen Staat
Der Limesfall und die Aufgabe der beiden germanischen Provinzen
Das Ende des Römischen Reiches
Das Burgundenreich
England
Das Frankenreich
Die Gotenreiche
Die Langobarden
Das Reich der Vandalen
Zeittafel
Karten
Bildtafeln
Bildtafel 1
Bildtafel 2
Bildtafel 3
Bildtafel 4
Bildtafel 5
Bildtafel 6
Bildtafel 7
Bildtafel 8
Bildtafel 9
Bildtafel 10
Bildtafel 11
Bildtafel 12
Bildtafel 13
Bildtafel 14
Bildtafel 15
Bildtafel 16
Bildtafel 17
Bildtafel 18
Bildtafel 19
Bildtafel 20
Bildtafel 21
Bildtafel 22
Bildtafel 23
Bildtafel 24
Bildtafel 25
Bildtafel 26
Bildtafel 27
Bildtafel 28
Bildtafel 29
Bildtafel 30
Bildtafel 31
Bildtafel 32
Kleines Personenlexikon
Marcus Vipsanius Agrippa (64/63 bis 12 v. Chr.)
Ariovist (1. Jahrhundert v. Chr.)
Arminius (um 17 v. Chr. bis um 21 n. Chr.)
Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.)
Brennus (4. Jahrhundert v. Chr.)
Gaius Julius Caesar (100 bis 44 v. Chr.)
Nero Claudius Drusus (38 v. Chr. bis 9 v. Chr.)
Nero Claudius Germanicus (15 v. Chr. bis 19 n. Chr.)
Tiberius Claudius Nero (42 v. Chr. bis 37 n. Chr.)
Publius Cornelius Tacitus (58 bis 120 n. Chr.)
Publius Quinctilius Varus (47/46 v. Chr. bis 9 n. Chr.)
Vercingetorix (82 bis 46 v. Chr.)
Kleines Sachlexikon
Auxiliartruppen, -kastell, -lager
Civitas
Colonia
Forum
Insula
Konsul
Magistrat
Municipium
Oppidum
Prinzipat
Provinz
Senat
Terra Sigillata
Via publica
Vicus
Villa rustica
Ortsregister
Museen und Besichtigungsziele
Der Autor
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Die Kenntnisse der Römer über die Gebiete und Menschen nördlich der Alpen waren lange Zeit ungenau und fragmentarisch. Es herrschten vielmehr mythische Vorstellungen von Fabelwesen und sagenhaften und geheimnisvollen Ländern vor. Es war aber nicht nur Unkenntnis, die das Verhältnis der Römer zu den Menschen im Norden bestimmte. Das Vordringen keltischer Stämme im Jahr 387. v. Chr. bis weit nach Italien und sogar bis nach Rom hatte auf römischer Seite zudem ein Misstrauen entstehen lassen, das in den Völkern nördlich der Alpen eine permanente Gefahr sah. Somit war die römische Politik gegenüber den Kelten und Germanen lange Zeit in erster Linie durch Unkenntnis und Misstrauen gekennzeichnet.
Erst durch den berühmten gallischen Feldzug von Gaius Julius Caesar in den Jahren zwischen 58 und 50 v. Chr. – bei dem römische Truppen bis an den Rhein und sogar bis nach Britannien vordrangen – verbesserten sich die römischen Kenntnisse über den europäischen Norden. Erstmals gelangten nun genauere Informationen nach Rom, die nicht mehr nur auf vagen Vermutungen beruhten, sondern durch eigene Anschauung untermauert waren. Allerdings handelte es sich bei Caesars Berichten über Gallien keineswegs um sachlich-objektive Schilderungen. Vielmehr prägten sie ein politisch motiviertes Bild, demzufolge die Kelten westlich des Rheins und die Germanen östlich des Rheins leben würden, was aber nicht den historischen Tatsachen entsprach. Tatsächlich lebten germanische Stämme auch westlich des Rheins, so dass von dem Fluss als Grenze zwischen Kelten und Germanen nicht gesprochen werden kann. Vermutlich ging es Caesar dabei vor allem darum, den Rhein als Grenze zu definieren, um so von einer Eroberung Galliens sprechen zu können. Dadurch konnte er seine militärischen Erfolge in ein noch besseres Licht stellen. Das war nötig, da Caesar durch die Eroberung Galliens seine Machtposition innerhalb des Römischen Reiches festigen wollte, was ihm letztendlich auch gelang. Zugleich fachte er durch seine Eroberungsfeldzüge und den damit verbundenen Machtanspruch aber auch den Widerstand seiner Gegner und Feinde an, was schließlich in einem offenen Bürgerkrieg endete. Obwohl es Caesar gelang, den Bürgerkrieg für sich zu entscheiden, fiel er im Jahr 44 v. Chr. einem Komplott seiner Gegner zum Opfer, die ihn während einer Senatssitzung durch zahlreiche Messerstiche ermordeten. Damit waren die inneren Wirren und Bürgerkriege aber nicht beendet – sie sollten noch über zehn Jahre andauern. Unabhängig von den Bürgerkriegen versuchten nach Caesars Tod andere Herrscher und Feldherren den römischen Herrschaftsbereich in Gallien weiter zu festigen und über den Rhein hinaus bis an die Elbe auszudehnen. Dabei war es selbstverständliches Ziel, auch das bis dato freie Germanien zu erobern und dem römischen Herrschaftsbereich einzuverleiben. Die Folge war eine lange Reihe von militärischen Auseinandersetzungen und regelrechten Kriegen zwischen Römern und Germanen. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Auseinandersetzung, der zugleich ein Umdenken in der römischen Politik einleitete, war die berühmte Niederlage des römischen Feldherrn Publius Quinctilius Varus gegen ein germanisches Heer unter Führung des Cheruskerfürsten Arminius. Im Jahr 9. n. Chr. verloren die Römer in einer mehrtägigen Schlacht drei Legionen – insgesamt etwa 20.000 Männer –, was eine der größten militärischen Niederlagen Roms in der Antike darstellte. Der Ort der Schlacht, der lange umstritten war, wird heute in der Nähe von Osnabrück (Fundregion Kalkriese) angenommen. Als Kaiser Augustus von der Niederlage des Varus erfuhr, soll er verzweifelt ausgerufen haben, dass dieser ihm seine Legionen wiedergeben möge. Diese kleine historische Anekdote unterstreicht die historische Bedeutung der römischen Niederlage in der Varusschlacht.
Mit dem Verlust der Legionen ging auch der Verlust aller rechtsrheinischen römischen Stützpunkte einher, die die Römer bis zu diesem Zeitpunkt mühsam aufgebaut hatten. Nur im heutigen Hessen und Baden-Württemberg blieben ihnen einige rechtsrheinische Gebiete erhalten. Obwohl auch nach der Varusschlacht weitere römische Feldzüge in das rechtsrheinische Germanien unternommen wurden, war an eine dauerhafte Eroberung der Gebiete östlich des Rheins bis an die Elbe nach der Varusschlacht nicht mehr zu denken. Dies mussten die Römer nun in einem längeren schmerzhaften Prozess erkennen, für den die Niederlage gegen Arminius den Auftakt bildete. Dabei machten vor allem die verlustreichen Feldzüge des Germanicus deutlich, dass der germanische Widerstand nicht zu brechen war. Die offizielle Aufgabe der vollständigen Eroberung Germaniens erfolgte dann aber erst unter dem römischen Kaiser Tiberius zu Beginn des ersten Jahrhunderts n. Chr. Dennoch gelang es den Römern in der Folgezeit, verschiedene rechtsrheinische Gebiete zu sichern. Insbesondere das sogenannte Dekumatland, das einen großen Teil des heutigen Baden-Württemberg einnahm, entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zu einem dicht besiedelten und agrarisch intensiv genutzten Gebiet.
Nach der Varusschlacht zogen sich die Römer aber zunächst bis an den Rhein und die Donau zurück und verbanden beide Flüsse später durch den Obergermanisch-Raetischen Limes, eine Befestigungsanlage, deren Reste heute Weltkulturerbe sind. Die Aufgabe weiterer Eroberungen in Germanien und die Sicherung der Grenzen ermöglichte den römischen Gebieten an Rhein und Donau eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit, in der die Kultur der einheimischen Bevölkerung und die Kultur der römischen Eroberer miteinander verschmolzen. Für beide Seiten bedeutete dies eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung und insbesondere für die germanische Bevölkerung sogar eine allmähliche Auflösung traditioneller Strukturen. Doch schienen die Errungenschaften der römischen Zivilisation für Kelten und Germanen insgesamt so verlockend gewesen zu sein, dass sogar die mit der römischen Besatzung verbundenen Nachteile in Kauf genommen wurden. Es finden sich zahlreiche interessante Beispiele aus dem Bereich der Kleidung, des Kunsthandwerks und sogar der Religion, die zeigen, dass die Germanen die neue römische Kultur ihrer eigenen anpassten und umgekehrt. Einige dieser Beispiele werden im weiteren Verlauf auch angesprochen und erläutert werden. Aus Römern, Kelten und Germanen entstand mit der Zeit eine Gesellschaft, die Elemente der verschiedenen Kulturen miteinander vereinigte – es entstand die sogenannte gallo-römische Kultur.
Das römische Germanien, um dessen Geschichte und Kultur es im vorliegenden Buch gehen wird, umfasste nur einen kleinen westlichen und südlichen Teil des heutigen Deutschlands, was der Aufgabe der römischen Expansionspläne unter Kaiser Tiberius geschuldet ist. Dafür erstreckte es sich über mehrere Nachbarländer. Es bestand im Wesentlichen aus den beiden Provinzen Nieder- und Obergermanien am Rhein. Die Provinz Niedergermanien (Germania inferior) mit der Hauptstadt Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium) umfasste Teile des heutigen Nordrhein-Westfalen sowie Teile der heutigen Niederlande. Die Provinz Obergermanien (Germania superior) mit der Hauptstadt Mainz (Mogontiacum) erstreckte sich über Teile der heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg sowie auf Teile von Frankreich und der Schweiz. Diese beiden Provinzen waren nicht ausschließlich von germanischen Stämmen bewohnt, sondern auch von Kelten sowie verschiedenen keltisch-germanischen Gruppen. Schließlich natürlich auch von Römern, die fast aus dem gesamten römischen Imperium stammten und an Rhein und Donau heimisch wurden. Die linksrheinischen Gebiete Germaniens blieben unter römischer Herrschaft lange Zeit ein Provisorium, das erst mit der Gründung der beiden germanischen Provinzen Nieder- und Obergermanien im Jahr 85/86 n. Chr. ein Ende fand. Der Grund lag in den bereits angesprochenen anfänglichen Plänen der Römer, nicht nur das linksrheinische, sondern auch das rechtsrheinische Germanien zu erobern. Die römischen Provinzen in Germanien hätten dann einen viel größeren Umfang gehabt. Die Varusschlacht und der hartnäckige germanische Widerstand setzten diesen Plänen schließlich ein Ende.
Während die Römer westlich des Rheins eigene Provinzen errichten konnten, geriet das rechtsrheinische Germanien nicht dauerhaft unter römische Herrschaft, zeitweise allerdings unter römischen Einfluss. In den letzten Jahren wurden östlich des Rheins einige interessante archäologische Funde gemacht, die zeigen, wie weit dieser Einfluss dabei nach Osten reichte. Die Römer schafften es für einige Jahre sogar, Militärlager östlich des Rheins aufzubauen, wie beispielsweise in Holsterhausen oder Haltern. Der rechtsrheinische Teil Germaniens, der nicht dauerhaft unter römische Herrschaft geriet, wurde in der Antike als Germania Magna bezeichnet. Er erstreckte sich grob vom Rhein bis an die Elbe und war von verschiedenen germanischen Stämmen bewohnt, die später in verschiedenen Feldzügen wiederholt über den Rhein auf römisches Siedlungsgebiet vorstießen. Auf der anderen Seite unternahmen die Römer verschiedene Feldzüge nach Germania Magna, was ihnen im Laufe ihrer Herrschaft immer schwerer fiel und schließlich ganz aufgegeben werden musste.
Neben den beiden oben genannten germanischen Provinzen gab es noch weitere römische Gebiete, die ebenfalls Teile des heutigen Deutschlands umfassten. Dabei handelt es sich um die Provinzen Gallia Belgica, Raetien und Noricum. Gallia Belgica mit der Provinzhauptstadt Reims (Durocortorum) umfasste in Deutschland das Einzugsgebiet der Mosel bis an den Rhein. Bis zur Einrichtung der beiden Provinzen Nieder- und Obergermanien war der Statthalter der Provinz Gallia Belgica auch für die Sicherung der Rheingrenze zuständig. Eine der bedeutendsten Städte der Provinz war Trier (Augusta Treverorum), das zeitweise sogar Sitz römischer Kaiser war. Obwohl die Stadt nicht zu den beiden germanischen Provinzen gehörte, war sie mit diesen doch eng verbunden. So saß in Trier beispielsweise der für Nieder- und Obergermanien zuständige Finanzprokurator. Aufgrund dieser Tatsache wird Trier auch im vorliegenden Buch eine Rolle spielen und mehrfach erwähnt werden. Die Provinz Raetien, deren spätere Hauptstadt Augsburg (Augusta Vindelicorum) war, umfasste neben Teilen der Schweiz und Österreichs auch das nördliche Alpenvorland. Nachdem zunächst die Donau die Grenze zu Germanien markierte, konnte diese zeitweise sogar über den Fluss nach Norden vorgeschoben werden. Aufgrund ihrer militärischen Bedeutung war spätestens im 2. Jahrhundert n. Chr. eine römische Legion in Raetien stationiert. Schließlich gehörten Teile des heutigen Bayern zur römischen Provinz Noricum. Die Hauptstadt Virunum, die in der Nähe des heutigen Klagenfurt lag, verfiel ab dem 4. Jahrhundert und wurde später sogar aufgegeben. Die genauen Umstände sind allerdings bis heute nur unzureichend erforscht. Als weitere römische Grenzprovinz litt Noricum durch die Auseinandersetzungen mit den Germanen. Insbesondere die Markomannenkriege im 2. Jahrhundert führten zu großen Zerstörungen und Elend unter der Provinzbevölkerung.
Da die letztgenannten römischen Provinzen eine überwiegend nichtgermanische Bevölkerung besaßen, spielen sie für das vorliegende Buch auch nur am Rande eine Rolle. Stattdessen werden wir uns auf die beiden römischen Provinzen am Rhein konzentrieren, die den Hinweis auf Germanien schon im Namen tragen, die Provinzen Nieder- und Obergermanien. Wir werden die wichtigsten Ereignisse in der etwa 500-jährigen römischen Geschichte dieser beiden Provinzen und der Gebiete an Rhein und Mosel behandeln und von Aufstieg und Fall des Römischen Reiches berichten. Daneben sollen die römische Herrschafts- und Verwaltungsstruktur sowie das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Menschen in den beiden römischen Provinzen Germaniens beschrieben werden. Als Anregung für eine weitere Beschäftigung mit der spannenden und unterhaltsamen römischen Geschichte an Rhein und Mosel dient der umfangreiche Anhang des vorliegenden Buches. Dort sind neben einer Zeittafel, einem Ortsregister und einem Literaturverzeichnis auch Museen und Besichtigungsziele genannt, die einen Besuch lohnen und ein Eintauchen in die längst vergangene Welt der Römer ermöglichen.
Die geografischen und ethnografischen Kenntnisse vom europäischen Norden waren in der griechischen und römischen Antike lange Zeit ungenau und fragmentarisch. Das lag vor allem daran, dass die griechische Geografie zu einem großen Teil nicht auf einer tatsächlichen Erforschung der Welt basierte, sondern stattdessen auf philosophischen Vorstellungen, die von einer geografisch klar geordneten Welt ausgingen. Erst die große griechische Kolonisation, das heißt die Gründung griechischer Städte an den Küsten des Mittelmeers und des Schwarzen Meers in der Zeit zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert v. Chr., und die wachsenden Handelsbeziehungen zu anderen Völkern, führten schließlich dazu, dass die geografischen Kenntnisse der Griechen – zumindest im Mittelmeerraum – deutlich erweitert werden konnten.
Diese wachsenden Kenntnisse schlugen sich in der Erstellung erster Land- und Seekarten nieder. Eine erste Karte wurde um 500 v. Chr. von dem griechischen Geschichtsschreiber und Geografen Hekataios von Milet (um 560 v. Chr. bis um 480 v. Chr.) erstellt, der sich dabei allerdings auf eine ältere Karte stützte, die aber leider nicht erhalten ist. Nach dieser Karte, die das geografische Verständnis der Antike nachhaltig prägte, wurde angenommen, dass es die drei Erdteile Europa, Asien und Afrika gäbe, die zusammen einen Kreis füllen würden. In der Vorstellung der Griechen nahm Europa dabei die obere Hälfte des Kreises ein, während sich Asien und Afrika auf der unteren Hälfte befanden. Die beiden Hälften der Erde waren durch das Mittelmeer und den Arabischen Golf getrennt und von einem großen Meer, dem Oceanus, umgeben.
Insgesamt trug vor allem die Durchführung erster wissenschaftlicher Erkundungsfahrten dazu bei, das geografische und ethnografische Wissen der Antike zu verbessern. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Fahrt des Pytheas von Massalia (um 380 bis um 310 v. Chr.), die ihn im 4. Jahrhundert v. Chr. bis nach Nordeuropa führte. Leider ist der Reisebericht Über den Ozean, den Pytheas über seine Entdeckungsfahrt verfasst hat, nicht erhalten, so dass wir uns heute nur auf die Fragmente der Schrift stützen können, die bei anderen antiken Gelehrten zu finden sind. Neben Eratosthenes von Kyrene ist dies beispielsweise Strabon oder Plinius der Ältere. Einige dieser Gelehrten erachteten Pytheas Reisebericht jedoch für eine reine Erfindung, weil sie seine Reise schlichtweg für unmöglich hielten.
Statue des Pytheas von Auguste Ottin (1811–1890) in Marseilles
Soweit es sich aus den antiken Quellen schließen lässt, lebte Pytheas als Händler in Massalia, dem heutigen Marseilles. Von dort brach er wahrscheinlich um das Jahr 320 v. Chr. nach Nordeuropa auf, wobei der genaue Verlauf der Reise nicht bekannt ist. Über seine Motivation kann ebenfalls nur spekuliert werden. Wenn Forscherdrang nicht in Frage kommt, kann die Reise als Erkundung von Handelswegen und Bezugsquellen für Rohstoffe interpretiert werden. Für Pytheas spielten Zinn und Bernstein offenbar eine gewisse Rolle, da deren Vorkommen mehrfach von ihm beschrieben wurde. Ob Pytheas auf dem See- oder Landweg nach Nordeuropa gelangte, ist bis heute umstritten. Die antiken Quellen lassen beide Deutungsmöglichkeiten zu. Entweder umschiffte Pytheas die iberische Halbinsel, so dass er schließlich per Schiff zu den Britischen Inseln gelangte, oder er durchquerte das heutige Frankreich auf dem Landweg bzw. nutzte die dortigen Flüsse als Transportmöglichkeit. Wie nun Pytheas auch immer zu den Britischen Inseln gelangte, man geht davon aus, dass er diese umrundete. Wie weit er dabei nach Norden gelangte, ist aber wiederum nicht bekannt. Von den Britischen Inseln segelte Pytheas vermutlich entlang der Nordseeküste des heutigen Belgiens, der Niederlande und Deutschlands nach Osten. In seiner Schrift erwähnte Pytheas bereits das Wattenmeer und berichtete von Bernsteinvorkommen. Leider ist es auch nicht bekannt, wie weit er auf seiner Reise nach Osten vorstieß und ob ihm sogar noch die Umschiffung des heutigen Dänemark gelang.
Sammlung antiker römischer Bernsteinobjekte
Eine erste frühe Zusammenfassung des geografischen Wissens der Antike war die Geographie des Eratosthenes von Kyrene (zwischen 276 und 273 bis 194 v. Chr.), die im dritten Jahrhundert v. Chr. verfasst wurde. Der Autor war ein vielseitiger Gelehrter, der fast 50 Jahre lang die berühmte Bibliothek von Alexandria leitete. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Geografie. Zu seinen bedeutendsten Leistungen gehört die erstaunlich genaue Berechnung des Erdumfangs. In seiner Schrift Geographie, die zum Standardwerk der Antike wurde, ließ er nur mathematisch-physikalische Ansätze gelten. Den Dichtern, beispielsweise Homer, sprach er dagegen alle geografischen Kenntnisse ab und bezeichnete die Angaben in deren Schriften als wertlos. Für unseren Zusammenhang ist aber vor allem interessant, dass sich in der Geografie bereits eine relativ genaue Beschreibung von West- und Südeuropa mit Spanien und Italien findet, der Norden des europäischen Kontinents dagegen aber noch relativ ungenau und sehr schematisch dargestellt ist. Damit wird sehr schön deutlich, dass das südliche Europa in dieser Zeit bereits sehr gut bekannt war, es im Hinblick auf den Norden Europas aber noch an praktischen Erkundungen und Entdeckungsreisen fehlte. Die Kenntnisse fremder Länder bezog Eratosthenes von Kyrene aus den Seefahrtsberichten und Länderbeschreibungen, die ihm als Leiter der Bibliothek von Alexandria vorlagen. Für seine Darstellung Nordeuropas stützte er sich aber im Wesentlichen auf die bereits beschriebene Entdeckungsfahrt des Pytheas von Massalia.
Bibliothek von Alexandria in der Vorstellung des 19. Jahrhunderts
Trotz der bemerkenswerten Entdeckungsfahrt des Pytheas von Massalia und der Zusammenfassung des antiken Wissens durch Eratosthenes von Kyrene blieben die antiken Kenntnisse aber nicht nur im Hinblick auf geografische oder kartografische Fragen ungenau. Auch das ethnografische Wissen der Griechen und später dann auch das der Römer basierte mehr auf mythischen Vorstellungen denn auf wissenschaftlicher Erkenntnis. So wurde der Norden Europas nach den Vorstellungen der Griechen im Westen von den Kelten und im Osten von den Skythen bewohnt. Die Grenze zwischen beiden Völkern bildete nach antiker Lehrmeinung der Fluss Tanais, der heutige Don. Erst durch die Entdeckungsfahrt des Pytheas wurden mit den Guionen und Teutonen die ersten Völkernamen dieser Region genannt. Über die Menschen des Nordens machte man sich seltsame Vorstellungen.
Man nannte es »Hyperborea«, ein sagenhaftes weit im Norden liegendes Land, über das bereits der griechische Geschichtsschreiber und Geograf Herodot (490/480 v. Chr. bis um 424 v. Chr.) geschrieben hatte. Dieser berichtete, dass im Norden Europas die Hyperboräer lebten, die jedes Jahr sechs Monate schliefen. Diese Aussage basierte vermutlich auf der Tatsache, dass im hohen Norden sechs Monate Tag und sechs Monate Nacht herrschen. Noch der römische Gelehrte Plinius der Ältere (25 bis 79 n. Chr.) beschrieb Hyperborea als Land, in dem die Menschen sehr alt würden, es keine Sorgen und keinen Streit gäbe und das Klima so mild sei, dass keine Häuser nötig seien. Andere antike Gelehrte gingen darüber hinaus von der Existenz seltsamer Fabelwesen im Norden Europas aus. So wurde beispielsweise angenommen, dass dort die pferdefüßigen Hippopoden oder die nur durch ihre riesigen Ohren bekleideten Panuatier leben würden.
Weltkarte von Herodot aus dem 5. Jahrhundert v. Chr.
Unter den verschiedenen Bezeichnungen der Völker des Nordens tauchte die Bezeichnung »Germanen« erst vergleichsweise spät auf. Nach heutigem Wissensstand wurde sie erstmals von dem griechischen Philosophen, Historiker und Gelehrten Poseidonios (135 bis 51 v. Chr.) verwendet. Dieser hatte mehrere ausgedehnte Reisen unternommen, die ihn bis nach Spanien führten. In einem seiner Bücher berichtete er von den Essgewohnheiten der Germanen. Er schrieb dazu, dass diese zur Mittagszeit gebratenes Fleisch äßen. Dazu gäbe es dann Milch und ungemischten Wein. Alles Verhaltensweisen, die bei den Griechen und Römern als im höchsten Maße unzivilisiert galten. Poseidonios war darüber hinaus ein Vertreter der Klimazonentheorie, nach der sich die Völker des Nordens von denen des Südens nur aufgrund des Klimaeinflusses unterschieden. Die Völker des Nordens hätten einen mächtigeren Körper, eine hellere Haut, glattes rötliches Haar, blaue Augen und viel Blut. Sie besäßen zwar einen stumpfen Geist, zeichneten sich jedoch durch einen wegen ihrer Unbedachtheit großen Kampfesmut aus. Demgegenüber wurden die im Süden lebenden Menschen als von kleinem Wuchs, mit brauner Haut, krausem Haar, dunklen Augen, mageren Beinen und wenig Blut charakterisiert. Sie zeichneten sich nach Poseidonios durch einen scharfen Geist, große Findigkeit, aber auch größere Feigheit aus. Diese Ableitung von Charaktereigenschaften aus der menschlicher Physiognomie erfreute sich in der Antike großer Beliebtheit und sollte auch in späteren Jahrhunderten immer wieder aufgegriffen werden.
In den bisherigen Beschreibungen der geografischen und ethnografischen Kenntnisse der Antike war fast ausschließlich von den Griechen die Rede. Diese waren im Gegensatz zu den Römern ein Seefahrervolk, was ihnen aufgrund der mangelhaften Fortbewegungsmöglichkeiten auf dem Land zahlreiche Entdeckungen ermöglichte. Von den Römern sind keine größeren Entdeckungsfahrten bekannt. Sie übernahmen ihre Kenntnisse über den europäischen Norden weitgehend von den Griechen. Erst im Zuge ihrer militärischen Unternehmungen führten die Römer später verschiedene Erkundungsreisen durch bzw. drangen mit ihren Legionen in ihnen bis dato unbekannte Gebiete vor.
Darstellung der Zerstörung Roms durch die Kelten im Jahr 370 v. Chr. und des Abwiegens der Lösesumme
Ein Ereignis, das die konkreten Vorstellungen der Römer von den Menschen des Nordens lange prägen sollte, war der so genannte Keltensturm, bei dem es dem keltischen Stamm der Senonen unter Führung ihres Königs Brennus um das Jahr 387 v. Chr. gelungen war, bis nach Italien vorzudringen und in der Schlacht an der Allia eine 40.000 Mann starke römische Armee zu besiegen. Als Folge gelang es den Senonen, Rom einzunehmen. Dabei wurde die Stadt weitgehend zerstört und wurden die Bewohner zur Zahlung eines Tributs gezwungen. Laut der Legende soll Brennus beim Abwiegen des Goldes betrogen haben. Als ihm dies die Römer vorwarfen, soll er mit den Worten »Wehe den Besiegten« (vae victis) sein Schwert in die Waagschale geworfen haben, so dass diese nun noch mehr bezahlen mussten. Trotz des Tributs und der Zerstörungen war nicht der materielle Schaden das Problem, sondern die Schmach und die Erschütterung des römischen Selbstbewusstseins. Hinzu kam, dass sich die Eroberung Roms durch verschiedene Gruppen aus dem Norden zweihundert Jahre später zu wiederholen drohte. Die Kimbern und andere germanische Stämme verließen ihre Siedlungsräume im Norden und drangen nach Süden bis in den Alpenraum vor, wo sie im Jahr 113 v. Chr. erstmals auf die Römer trafen. In den folgenden etwa 10 Jahren kam es zu verschiedenen militärischen Auseinandersetzungen (Kimbernkriege), die die Germanen zunächst für sich entscheiden konnten. In der Schlacht von Vercellae, die im Jahr 101 v. Chr. stattfand, gelang es den Römern dann aber, die Kimbern zu schlagen. Dabei wurde der Stamm fast völlig vernichtet. Nach dem griechischen Schriftsteller Plutarch (45 bis 125 n. Chr.) sollen dabei 120.000 Kimbern getötet und 60.000 Überlebende in die Sklaverei verkauft worden sein.
Aufgrund des Keltensturms und der Kimbernkriege blieb die Bedrohung Roms durch die Völker aus dem Norden Europas im Bewusstsein der Römer über Jahrhunderte eine permanente Gefahr, die es zu beobachten galt.
Titelblatt der Ausgabe der Commentarii de Bello Gallico et Civili von 1783
Den Römern fehlte es lange Zeit nicht nur an Kenntnissen über die Lebensweise der nordischen Stämme. Ihnen blieb vor allem die Beweglichkeit und nomadische Lebensweise der Kelten und Germanen fremd, da diese sich von ihrer eigenen staatlichen Ordnung und Zivilisation deutlich unterschied. Außerdem waren das Aussehen und die Lebensweise dieser Völker in den römischen Augen unzivilisiert und barbarisch. Für die Römer galten die nordischen Völker insgesamt als Repräsentanten einer unteren Kulturstufe. Erst durch den römischen Politiker und Feldherrn Gaius Julius Caesar gelangten in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. die ersten genaueren Informationen über die Germanen nach Rom. In seiner Schrift zum Gallischen Krieg (58 bis 50 v. Chr.), den Commentarii de Bello Gallico, lieferte Caesar nicht nur Informationen über das Kriegsgeschehen, sondern ging auch auf die Gesellschaft und die Lebensweise verschiedener gallischer und germanischer Stämme ein. Da wir später noch ausführlich auf diese Schrift und Caesars Verhältnis zu den Germanen eingehen werden, soll an dieser Stelle nur auf einen wichtigen Punkt aus den Commentarii verwiesen werden. Hatte man bisher angenommen, dass nördlich der Alpen im Westen die Kelten und im Osten die Skythen (durch den Fluss Don voneinander getrennt) lebten, so prägte Caesar nun ein völlig anderes Bild. Für ihn lebten im Westen die Gallier, die durch den Rhein von den im Osten lebenden Germanen getrennt würden. Dass dieses Bild aber nicht den Tatsachen entsprach, dürfte allerdings auch schon Caesar klar gewesen sein. Wie er nun aber dazu kam, alle östlich des Rheins lebenden Völkerschaften als Germanen zu bezeichnen, ist umstritten. Eine Erklärung könnte sich aus einem politischen Ziel ergeben, den Rhein als Völkergrenze anzusehen und eine tiefe Kluft zwischen Galliern und Germanen zu beschreiben und so sein Werk als »Eroberung Galliens« darzustellen. Diese Erklärung ist naheliegend, wenn man bedenkt, dass der gallische Feldzug vor allem dazu diente, Caesars Machtstellung zu festigen.
Neben den Commentarii de Bello Gallico gehört die Schrift Germania des römischen Politikers und Historikers Publius Cornelius Tacitus (58 bis 120 n. Chr.) zu den bedeutendsten Quellen über die Germanen. Tacitus verfasste seine Schrift im Jahr 98 n. Chr. und ging, wie zuvor auch schon Caesar, ebenfalls auf die Gesellschaft und Lebensweise der Germanen ein. Außerdem lieferte er Informationen zur Herkunft und Verbreitung des Germanenbegriffes. Laut Tacitus waren die Tungrer, die als die ersten den Rhein Richtung Westen überschritten hätten, von den Galliern als Germanen bezeichnet worden. Diese Bezeichnung sei dann nach und nach auch auf alle anderen rechtsrheinischen Stämme übertragen worden. Die Ausbreitung der Bezeichnung »Germanen« wird heute meist darauf zurückgeführt, dass die Gallier die östlichen Invasoren als Fremde empfanden. Die Römer haben die Bezeichnung dann wahrscheinlich von den Galliern übernommen. Inwieweit diese Erklärung mit der Nennung des Germanenbegriffs bei Poseidonios in Einklang zu bringen ist, bleibt dabei allerdings unklar.
Wie aber bereits gesagt, beschreibt Tacitus in seiner Schrift vor allem die Lebensweise der Germanen. Dabei hebt er die hohe sittliche Lebensweise der Germanen hervor, ihr sittenstrenges Familienleben, ihren treuen und aufrichtigen Charakter sowie ihre Tapferkeit im Krieg sowie ihren Freiheitswillen. Er weist aber auch auf Schwächen hin, wie ihre Trägheit, ihren Hang zu Würfelspiel und übermäßigem Alkoholkonsum. Welche Absichten Tacitus mit seinen Ausführungen verfolgte, ist in der heutigen Forschung umstritten. Viele seiner Beschreibungen finden sich aber auch bei anderen antiken Autoren vor und nach ihm. Über das Aussehen und die körperliche Verfassung der Germanen schreibt Tacitus: »Daher auch die Beschaffenheit der Körper, obgleich in einer so großen Zahl von Menschen, die nämliche bei Allen: trotzig wilde und blaue Augen, röthliche Haare, große Körper und nur zum Anstürmen stark; nicht gleich groß ihre Ausdauer in Mühe und Arbeit, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze; an Kälte und Hunger sind sie durch ihren Himmel oder Boden gewöhnt.«
Weiter schreibt er: »So oft sie nicht in Kriege ziehen, bringen sie keinen großen Theil der Zeit mit Jagden hin, mehr in Nichtsthun, dem Schlafe ergeben und der Speise: die tapfersten und kampfmuthigsten Alle thun gar nichts, die Sorge für Haus, Hausleben und Feld ist den Weibern, Greisen und allen Unkräftigsten der Hausgenossen überlassen. Sie selbst sind starr unthätig, ein wunderbarer Widerspruch der Natur, da die nämlichen Menschen so sehr die Trägheit lieben und die Ruhe hassen. Es ist Sitte in den Staaten, frei und mit Jedes Kräften den Häuptern entweder an Thieren oder an Früchten beizusteuern, was, als Ehrengabe gern empfangen, zugleich den Bedürfnissen nachhilft. Vornehmliche Freude haben sie an Geschenken aus den Nachbarvölkern, nicht bloß von Einzelnen geschickt, sondern vom Staate: erlesene Pferde, große Waffen, Brustschmuck und Halsketten. Bereits auch das Geldannehmen haben wir sie gelehrt.«
Auch blieb der Konsum von Bier nicht unbemerkt und wurde von Tacitus festgehalten. Dort heißt es: »Als Getränk dient eine Flüssigkeit aus Gerste oder Weizen, in eine gewisse Aehnlichkeit mit Wein umgefälscht; die Nächsten im Uferland erhandeln sich auch Wein. Ihre Speisen sind einfach: Feldobst, frisches Wildfleisch, oder geronnene Milch. Ohne künstliche Zubereitung, ohne Leckereien vertreiben sie den Hunger; gegen den Durst nicht dieselbe Mäßigung. Wenn man der Trunkenheit willfährt und herbeischafft so viel sie gierig wünschen, werden sie nicht weniger leicht dem Laster unterliegen, als unsern Waffen.«
Das Aussehen und das Verhalten der Germanen wurden von Tacitus und in anderen überlieferten Schriften römischer Autoren häufig auf deren Leben im kalten und feuchten nordeuropäischen Klima zurückgeführt. Eine Theorie, die – wie bereits geschildert – schon der griechische Gelehrte Poseidonios (135 v. Chr. bis 51 v. Chr.) im 1. Jahrhundert v. Chr. geäußert hatte. Der römische Architekt und Ingenieur Vitruv (zwischen 80 und 70 bis 15 v. Chr.) schrieb dazu beispielsweise: »Die Völker, die im Norden leben, sind mit ungeheuer großen Körpern, heller Farbe, geraden und rötlichen Haaren, blauen Augen und viel Blut gebildet infolge der Fülle der Feuchtigkeit und des kalten Klimas. Die aber zunächst dem Südpol und unter der Sonnenbahn wohnen, werden infolge der starken Sonnenbestrahlung mit kürzeren Leibern, dunkler Farbe, krausem Haar, schwarzen Augen, schwachen Beinen und mit wenig Blut geschaffen. Daher sind sie auch, weil sie wenig Blut haben, ängstlicher, dem Eisen Widerstand zu leisten, aber Hitze und Fieber ertragen sie ohne Furcht, weil ihre Glieder mit der Hitze aufgewachsen sind. Daher fürchten die Körper, die im Norden geboren werden, das Fieber mehr und sind anfällig; infolge ihrer Blutfülle aber leisten sie dem Eisen ohne Furcht Widerstand.«
Im Gegensatz zu den Griechen sind von den Römern keine Landkarten bekannt, die den europäischen Norden abgebildet hätten. Eine der wenigen überlieferten kartografischen Darstellungen der Römer ist die Tabula Peutingeriana, die in schematisierter Form das Straßennetz des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert n. Chr. darstellt. Die Karte wurde zwar erst im 12. Jahrhundert angefertigt, ging allerdings auf eine antike Vorlage zurück. Da das rechtsrheinische Germanien und die weiter nördlich gelegenen Gebiete aber nicht Teil des Römischen Reiches waren, sind sie auf der Tabula Peutingeriana auch nicht verzeichnet. Da die Karte aber wichtige Informationen über das römische Straßennetz enthält, werden wir in einem späteren Kapitel noch einmal auf sie zurückkommen.
Eroberung eines römischen Adlers durch einen germanischen Krieger
Obwohl die Römer die Vorgänge im Norden mit Misstrauen und Besorgnis betrachteten, nahmen sie keine passive Rolle ein. Im Laufe der Zeit rückten verschiedene ehrgeizige römische Heerführer wiederholt gegen keltische und germanische Stämme jenseits der Nordgrenzen vor. Ein Beispiel ist der römische Konsul Gnaeus Papirius Carbo (135 bis 82 v. Chr.), der im Jahr 113 v. Chr. in Erwartung eines ruhmreichen Sieges gegen die Kimbern in den Krieg zog. Entgegen aller Erwartungen kam es dabei aber zu einer vernichtenden Niederlage der Römer und einem jahrelangen Krieg gegen einen nur scheinbar schnell zu besiegenden Feind. Das bekannteste Beispiel für den Ehrgeiz römischer Politiker und Feldherren ist aber sicherlich Gaius Julius Caesar. Dieser hatte sich während seines Konsulats Feinde gemacht und durch die Verabschiedung verschiedener Gesetze großen Unmut zugezogen. Um seine eigene Stellung zu festigen, benötigte er ein erfolgreiches militärisches Kommando, das sich im Jahr 58 v. Chr. anbot. Caesar war zu dieser Zeit römischer Statthalter in der Provinz Gallia Narbonensis. Als die keltischen Helvetier unter den Druck der germanischen Sueben gerieten und nach Gallien abwandern wollten, ging Caesar militärisch gegen diese vor und zwang sie zur Umkehr in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete. Um im freien Gallien intervenieren zu können, brauchte er aber einen wichtigeren Grund. Dieser bot sich, als sich der Stamm der Sequaner unter ihrem Anführer Ariovist im heutigen Elsass auf gallischem Gebiet niederlassen wollte. Daraufhin baten die Gallier die Römer um militärische Unterstützung, die ihnen durch Caesar auch gerne gewährt wurde. In der Folgezeit nutzte Caesar ähnliche Anlässe, um wiederholt in Gallien zu intervenieren und es schließlich vollständig unter römische Kontrolle zu bringen.
Entscheidungs-schlacht zwischen Kimbern und Römern auf den Raudischen Feldern, die mit einem Sieg der Römer endete, Gemälde von Giovanni Battista Tiepolo (1696–1770)
Wie bereits erwähnt, gelangten erst durch Caesar genauere Kenntnisse über das Leben der Germanen nach Rom. In seinen Commentarii de Bello Gallico beschrieb er das Staatswesen der Gallier und Germanen und verglich beide miteinander. Darüber hinaus ging er auf die Gesellschaft, die Verfassung und das Rechtswesen der Germanen ein und berichtete über ihre Religion, Bräuche und Lebensweise. Außerdem beschrieb er die naturräumlichen Besonderheiten und das Klima. Obwohl das Werk sehr stark vom Eigeninteresse Caesars geprägt ist, stellt es doch die zentrale Quelle zu Caesars Feldzügen in Gallien und Germanien dar und gilt daher bis heute als Werk von großer historischer Bedeutung. Über die Lebensweise der Germanen schrieb Caesar beispielsweise: »Von diesen Sitten weichen die Germanen in vielen Stücken ab. Man findet bei ihnen keine Priester wie die Druiden und auch keinen besonderen Hang zum Opferdienst. Als Götter verehren sie nur Sonne, Vulkan (d. h. Feuer) und Mond, die sie sehen und deren offenbaren Einfluss sie wahrnehmen. Die übrigen Götter kennen Sie auch nicht dem Namen nach. Ihr ganzes Leben bewegt sich zwischen Jagd und Kriegsbeschäftigung; von Jugend auf gewöhnen sie sich an Mühe und Abhärtung. Lange unverheiratet zu bleiben bringt bei ihnen großes Lob; denn dadurch, glauben Sie, werde Körpergröße, werde die Kraft gemehrt und die Nerven gestärkt. Dagegen gilt es für höchst schimpflich, vor dem 20. Lebensjahr eine Frau erkanntzu haben. Und doch machen sie aus der Verschiedenheit der Geschlechter kein Geheimnis; denn beide Geschlechter baden sich gemeinschaftlich und tragen einen großen Teil ihres Körpers bloß, da ihre Bedeckung nur aus Fellen und kleinen Pelzen besteht.«
Außerdem beschrieb Caesar die wirtschaftliche Grundlage der germanischen Gesellschaft: »Mit dem Ackerbau beschäftigen sie sich nicht eifrig; der größere Teil ihrer Nahrung besteht aus Milch, Käse und Fleisch. Auch besitzt niemand bei ihnen ein bestimmt abgemessenes Feld oder ein eigenes Gebiet. Nur ganze Stämme, Geschlechter und Verbände bekommen alljährlich von ihren Obrigkeiten und Häuptlingen, so viel und wo diese es für gut finden, Feld angewiesen, müssen aber im folgenden Jahr anderswohin ziehen. Dafür führt man viele Ursachen an: damit die Leute nicht durch ununterbrochene Wohnung und Bebauung derselben Gegend verlockt werden, die Lust zum Krieg mit dem Ackerbau zu vertauschen; damit sie nicht nach ausgedehntem Landbesitz trachten und die Mächtigeren die Schwächeren aus ihren Besitzungen verdrängen; damit sie nicht, um Kälte und Hitze zu vermeiden, gemächlichere Wohnungen bauen; ferner, um keine Geldgier aufkommen zu lassen, woraus Parteienzwist entsteht; endlich, um die Zufriedenheit des gemeinen Mannes zu erhalten, wenn er sieht, dass sein Besitz selbst dem der Mächtigsten gleichkommt.«
Caesar beschrieb nicht nur die Gesellschaft der Gallier und Germanen, sondern vermittelte in seiner Schrift vor allem die Vorstellung zweier ethnischer Gruppen, die durch den Rhein geografisch streng geteilt seien. Er behauptete, dass der Norden im Westen von den Galliern und im Osten von den Germanen bewohnt sei. Allerdings fanden sich bei Ihm selbst Aussagen, die dieses Bild widerlegten – und auch die heutige Archäologie kann der Annahme einer strengen Rheingrenze zwischen beiden Kulturen nicht folgen. Nach dem heutigen Wissensstand geht man vielmehr von einer von Süden nach Norden verlaufenden Abfolge verschiedener Kulturen aus, die sich dann jeweils links und rechts des Rheins erstreckten. Diese Tatsache dürfte auch Caesar bekannt gewesen sein. Für Caesar war diese Behauptung nützlich, weil er seine Eroberungen damit rechtfertigen konnte und zugleich deutlich machte, warum er nicht auch jenseits des Rheins militärisch intervenierte.
Leider liegen uns über die Lebensweise der Germanen keine germanischen Zeugnisse vor. Die historische Rekonstruktion der germanischen Gesellschaft wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die römischen Texte ein undifferenziertes und zumindest teilweise voreingenommenes Bild von den Germanen liefern. Trotzdem wurden verschiedene Aussagen und Beschreibungen aus diesen Texten von der historischen Wissenschaft anerkannt. Auf diesen und den bisherigen archäologischen Erkenntnissen beruht unser heutiges Wissen über die Lebensweise der Germanen.
Das wesentliche Element der politischen und gesellschaftlichen Ordnung auf germanischem Gebiet waren die verschiedenen Stämme. Diese verfügten dabei als Siedlungsgemeinschaften über ein bestimmtes Siedlungsgebiet, auf dem aber auch Angehörige anderer ethnischer Gruppierungen leben konnten. Jeder Stamm besaß eine einheitliche politische Führung und stellte eine eigene Rechtegemeinschaft dar. Es gab eine gemeinsame Sprache mit verschiedenen Dialekten sowie religiöse Riten und ein stammesbezogenes Identitätsbewusstsein, dessen deutlichster Ausdruck ein Mythos der gemeinsamen Abstammung war. Tatsächlich waren jedoch auch die Stämme keine einheitlichen und stabilen Gebilde, sondern veränderten sich in ihrer Zusammensetzung beispielsweise durch die Aufnahme neuer Gruppen.
Die folgende Auflistung nennt die wichtigsten germanischen Stämme, wie sie zur Zeit der römischen Okkupation in Mitteleuropa lebten:
Nordseegermanen: Angeln, Chauken, Friesen, Warnen.Rhein-Weser-Germanen: Angrivarier, Bataver, Brukterer, Chamaven, Chatten, Chattuarier, Cherusker, Sigambrer, Sugambrer, Tenkterer, Ubier, Usipeter.Elbgermanischen Gruppen: Hermunduren, Langobarden, Markomannen, Quaden, Semnonen und evtl. Bastarnen.Nordgermanen bzw. Ostseegermanen: Ästier und Suionen. Einen Übergangsbereich zu den Nordseegermanen bilden die Angeln und die Jüten.Oder-Warthe-Germanen: Burgunden, Lugier, Vandalen.Weichselgermanen: Bastarnen, Gepiden, Gotonen, Rugier, Skiren.Die größten Veränderungen innerhalb der germanischen Stammesstruktur ergaben sich im Verlauf des 3. Jahrhunderts n. Chr. durch die Bildung von Großstämmen. Aus den am Rhein ansässigen Stämmen ging dabei der Großstamm der Franken hervor. Die Stämme an der Weser, wie beispielsweise die Angrivarier oder die Cherusker, schlossen sich dagegen den Sachsen an. Aus den Bastarnen ging der Großstamm der Alemannen hervor, während die Markomannen mit anderen Stämmen und Volksgruppen den Großstamm der Bajuwaren bildeten. Aus den Hermunduren wurden die Thüringer. Ein Teil der Sueben überquerte zusammen mit den Alanen und Vandalen im Jahr 406 n. Chr. den Rhein und wanderte mit diesen im Jahr 409 n. Chr. nach Hispanien ein. Dort bildeten sie im Nordwesten das Reich der Sueben, das die Keimzelle des späteren Staates Portugal bildete. Die Langobarden, nach denen die Lombardei benannt ist, nahmen ebenfalls andere germanische Gruppen in ihren Stamm auf und gründeten zuerst in Pannonien und nach 568 n. Chr. in Italien ein eigenes Reich. Die Veränderungen innerhalb der germanischen Stammesstruktur, die nicht zuletzt den Druck auf die römischen Grenzen erhöhten, sollen an dieser Stelle aber nur kurz angedeutet werden. Darauf werden wir aber in einem späteren Kapitel noch ausführlicher zu sprechen kommen.