Das Scarlatti-Erbe - Robert Ludlum - E-Book

Das Scarlatti-Erbe E-Book

Robert Ludlum

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Beschreibung

Ein Erbe mit teuflischen Folgen für die Menschheit

In der Schweiz treffen sich die Finanz- und Industriegiganten Europas und Amerikas, um die Welt vor ihrem genialen, aber unberechenbaren Ulster Stewart Scarlatti zu retten.

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Seitenzahl: 582

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Das Buch

Washington 1944. Heinrich Kroeger, ein enger Vertrauter Hitlers, nimmt Kontakt zur amerikanischen Regierung auf. Der einflussreiche Industrielle will zu den Alliierten überlaufen, im Gepäck geheime Unterlagen der Wehrmacht. Doch er stellt eine Bedingung: Die Verhandlungen sollen über Major Canfield laufen – ausgerechnet den Mann, der ihn vor Jahren zu liquidieren suchte. Geheimagent Canfield ist beunruhigt. Er weiß, wer sich hinter dem Mann verbirgt, der sich Kroeger nennt – und der schon einmal versucht hat, die Weltmacht zu erringen.

Der Autor

Robert Ludlums Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und er gilt als »größter Thrillerautor aller Zeiten« (The New Yorker). Robert Ludlum verstarb im März 2001 in seiner Heimatstadt Naples, Florida. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.

Lieferbare Titel

Der Tristan-Betrug – Die Paris-Option – Das Genessee-Komplott – Das Bourne-Imperium – Das Sigma-Protokoll – Der Gandolfo-Anschlag – Der Janson-Befehl – Der Cassandra-Plan – Die Bourne-Identität – Der Prometheus-Verrat – Der Altman-Code – Der Ikarus-Plan – Das Jesus-Papier – Die Lennox-Falle – Das Bourne-Ultimatum – Das Bourne-Vermächtnis – Die Ambler-Warnung

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDer AutorTEIL EINS
1. - 10. Oktober 1944 – Washington D.C.2.3. - Eine amerikanische Erfolgsstory4. - 2. November 19185.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.21.
TEIL ZWEI
22.23.24.25.26.27.28.29.30.31.32.33.34.35.36.37.38.39.40.
TEIL DREI
41.42.43.44.
TEIL VIER
45.46.
Copyright
The New York Times, 21. Mai 1926(Seite 13)New Yorker verschwunden

 

 

 

New York, 21. Mai – Der Sohn einer schwerreichen amerikanischen Industriellenfamilie, der für besondere Tapferkeit an der Argonne-Front ausgezeichnet worden war, verschwand vor mehr als fünf Wochen aus seinem Haus in Manhattan. Wie unser Reporter in Erfahrung bringen konnte, ist Mr....

The New York Times, 10. Juli 1937(Seite 1)Hoher Beamter Hitlers stört IG-Farben-Konferenz

 

 

 

Berlin, 10. Juli – Während der Konferenz über wechselseitige Handelsbeziehungen zwischen IG-Farben und einigen US-Firmen kam es heute zu einem Eklat. Ein namentlich nicht bekanntes Mitglied von Hitlers Reichswehrministerium erklärte in erregter Form, die bisher erzielten Fortschritte seien in keiner Weise akzeptabel. Er bediente sich dabei der englischen Sprache, die er offenbar, dem Gebrauch seiner Schimpfworte nach zu schließen, perfekt beherrscht. Anschließend entfernte sich der unbekannte Beobachter mit seinen Mitarbeitern.

The New York Times, 18. Februar 1948(Seite 6)Nazibeamter 1944 übergelaufen

 

 

 

Washington D.C., 18. Februar – Eine Episode aus dem Zweiten Weltkrieg, von der nur wenige Leute wußten, wurde heute bekannt. Es stellte sich heraus, daß eine bedeutende Nazipersönlichkeit, die sich des Codenamens >Saxon< bediente, im Oktober 1944 zu den Alliierten übergelaufen war. Ein Unterausschuß des Senates ...

The New York Times, 26. Mai 1951(Seite 58)Kriegsdokument aufgefunden

 

 

 

Kreuzlingen, Schweiz, 26. Mai – Ein in Öltuch eingeschlagenes Päckchen mit Karten und Plänen über Befestigungsanlagen in Berlin und Umgebung ist in der Nähe eines kleinen Gasthauses in Kreuzlingen, einem Schweizer Dorf am Rhein, bei Ausgrabungsarbeiten gefunden worden. Die Gaststätte wird abgerissen, um einem Ausflugshotel Platz zu machen. Irgendwelche Hinweise, die zu einer genaueren Identifizierung führen könnten, wurden nicht entdeckt. Lediglich das Wort >Saxon< auf einem Klebestreifen, mit dem das Paket verschlossen war...

TEIL EINS

1.

10. Oktober 1944 – Washington D.C.

Der Brigadegeneral saß steif auf der Wartebank. Er zog die harten Fichtenbretter dem weichen Leder der Sessel vor. Es war neun Uhr zwanzig am Morgen, und er hatte nicht gut geschlafen, höchstens eine Stunde.

Aber jedesmal, wenn der Glockenschlag der kleinen Uhr auf dem Kaminsims die halbe oder volle Stunde verkündete, hatte er sich zu seiner Überraschung bei dem Wunsch ertappt, die Zeit möge schneller verstreichen.

Um halb zehn sollte er vor dem Außenminister erscheinen, vor Cordell S. Hull.

Jetzt saß er im Vorzimmer des Ministers, gegenüber der großen schwarzen Tür mit den blitzenden Messingbeschlägen, und hielt den weißen Umschlag in den Händen, den er aus der Aktentasche geholt hatte. Wenn es an der Zeit war, den Aktendeckel zu übergeben, sollte kein peinliches Schweigen entstehen, während er die Mappe öffnete, um ihn herauszunehmen. Er wollte ihn dem Außenminister, wenn nötig, selbstsicher übergeben.

Andererseits war es möglich, daß Hull die Akte nicht verlangte. Vielleicht würde er nur eine mündliche Erklärung fordern und dann die Autorität seines Amtes benutzen, um zu erklären, was er da gehört hätte, wäre für ihn nicht akzeptabel. In diesem Fall würde der Brigadier nur protestieren. Schwach protestieren. Die Information in der Akte stellte keinen Beweis dar, nur Daten, die seine Vermutungen stützen konnten oder auch nicht.

Der Brigadegeneral sah auf die Uhr. Es war neun Uhr vierundzwanzig, und er fragte sich, ob der Ruf der Pünktlichkeit, der Hull voranging, sich auch bei dieser Unterredung bestätigen würde. Er hatte sein eigenes Büro um halb acht erreicht, etwa eine halbe Stunde vor seiner normalen Ankunftszeit, an der er unbeirrbar festhielt. Nur in Krisensituationen, wenn er oft die Nacht über im Büro blieb, um neue Informationen abzuwarten, pflegte er am Morgen später zu erscheinen. Diese letzten drei Tage waren jenen Krisenperioden nicht unähnlich, aber auf eine andere Art.

Das Memorandum, das er dem Außenminister geschickt und dem er seinen Termin heute morgen zu verdanken hatte, würde vielleicht eine Belastungsprobe für ihn auslösen. Man konnte Mittel und Wege finden, um ihm jeden Einfluß zu entziehen. Man konnte es sehr wohl so hinstellen, daß er völlig unkompetent erschien. Aber er wußte, daß er recht hatte.

Er schob den Umschlag seiner Akte etwas zurück, gerade so weit, daß er die mit Maschine geschriebene Titelseite lesen konnte. >Canfield, Matthew, Major, US Army-Reserve, Spionageabwehr.

Canfield, Matthew. Matthew Canfield. Das war der Beweis.

Ein Summer auf dem Schreibtisch einer Sekretärin in mittleren Jahren ertönte.

»Brigadegeneral Ellis?« Sie blickte kaum von ihren Papieren auf.

»Zur Stelle.«

»Der Minister kann Sie jetzt empfangen.«

Ellis sah auf seine Armbanduhr. Es war neun Uhr zweiunddreißig.

Er stand auf, ging auf die unheilvoll schwarz lackierte Tür zu und öffnete sie.

»Sie müssen entschuldigen, General Ellis. Ich hatte das Gefühl, daß die besondere Eigenart Ihres Memorandums die Anwesenheit eines Dritten erforderlich macht. Darf ich Ihnen Untersekretär Brayduck vorstellen?«

Der Brigadegeneral staunte. Er hatte nicht mit der Anwesenheit eines Dritten gerechnet. Er hatte ausdrücklich gebeten, der Minister möge ihn allein empfangen.

Untersekretär Brayduck stand etwa drei Meter rechts von Hulls Schreibtisch. Er war ganz offensichtlich einer jener Universitätsabsolventen, die so typisch für die Roosevelt-Administration waren und von denen es im Außenministerium eine ganze Anzahl gab. Selbst seine Kleidung – die helle graue Flanellhose und das locker geschnittene Fischgrätjackett – bildete auf beiläufige, zurückhaltende Art so etwas wie einen Kontrapunkt zur scharfgebügelten Uniform des Brigadegenerals.

»Selbstverständlich –, Mr. Brayduck...« Der Offizier nickte.

Cordell S. Hull saß hinter dem breiten Schreibtisch. Seine vertrauten Züge – die helle Haut, fast weiß, das dünne weiße Haar, der stahlgeränderte Kneifer vor seinen blaugrünen Augen – wirkten überlebensgroß, weil sie ein wohlbekanntes Bild ergaben. Es kam nur selten vor, daß die Zeitungen oder die Wochenschauen keine Fotografien von ihm zeigten. Selbst die Wahlplakate – mit ihrer behäbigen Frage >Wollen Sie mitten im Strom die Pferde wechseln?< – zeigten sein vertrauenerweckendes, intelligentes Gesicht unter dem Roosevelts, in augenfälliger Weise. Manchmal sogar noch augenfälliger als das Konterfei Harry Trumans.

Brayduck holte einen Tabaksbeutel aus der Tasche und begann seine Pfeife zu stopfen. Hull schob ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch zurecht und klappte langsam einen Aktendeckel auf, der jenem glich, den der Brigadegeneral in der Hand hielt. Ellis erkannte ihn. Es war das vertrauliche Memorandum, das er dem Außenminister persönlich übergeben hatte.

Brayduck zündete seine Pfeife an, und der Geruch des Tabaks veranlaßte Ellis, den Mann noch einmal zu mustern. Der Geruch deutete auf eine jener fremdartigen Mixturen hin, die von den Universitätsabsolventen für originell gehalten wurden, die aber gewöhnlich auf alle anderen Leute in ihrer Umgebung widerwärtig wirkten. Brigadegeneral Ellis würde erleichtert sein, wenn der Krieg vorbei war. Dann würde Roosevelt verschwinden, ebenso wie die sogenannten Intellektuellen und ihr übelriechender Tabak.

Der Gehirntrust. Alle leicht rosa angehaucht.

Aber zuerst der Krieg.

Hull blickte auf. »Ich brauche wohl gar nicht erst zu sagen, General, daß Ihr Memorandum sehr beunruhigend ist.«

»Die Information hat mich ebenfalls beunruhigt, Sir.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel... Ich frage mich nur, ob Ihre Schlüsse begründet sind. Ich meine, gibt es etwas Konkretes ?«

»Ich denke schon, Sir...« font-weight:bold;

»Wie viele Leute in der Abwehr wissen sonst noch davon, Ellis?« unterbrach Brayduck, wobei dem Brigadier nicht entging, daß er das Wort >General< wegließ.

»Ich habe mit niemandem gesprochen. Um ganz offen zu sein, ich hatte nicht erwartet, heute morgen noch jemanden außer dem Minister hier anzutreffen.« font-weight:bold;

»Mr. Brayduck besitzt mein Vertrauen, General Ellis. Er ist hier, um meiner Bitte zu entsprechen – meiner Anweisung, wenn Sie so wollen.« font-weight:bold;

»Ich verstehe.«

Cordell Hull lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten und hoffe, daß Sie das auch so sehen. Sie senden ein geheimes Memorandum an dieses Büro, übergeben es unter höchster Priorität – an mich persönlich, um es genau zu sagen. Und dabei ist das, was Sie darin behaupten, in höchstem Maße unglaublich.« font-weight:bold;

»Eine lächerliche Anklage, von der Sie selbst zugeben, daß Sie sie nicht beweisen können«, warf Brayduck ein und saugte an seiner Pfeife, während er auf den Schreibtisch zuging.

»Das ist genau der Grund, weshalb wir hier sind.« Hull hatte Brayducks Anwesenheit verlangt, doch er würde sich keine unangemessenen Störungen gefallen lassen, geschweige denn Unverschämtheiten. Aber Brayduck war nicht zu bremsen. »Herr Minister, die Abwehr ist auch nicht über Fehler und Irrtümer erhaben. Diese Erkenntnis hat uns viel gekostet. Mein einziges Interesse ist es zu vermeiden, daß ein weiterer Irrtum, eine Ungenauigkeit, Folgen schlechter Informationen vielleicht, von den politischen Gegnern dieser Administration als Munition benutzt werden. Wir haben in weniger als vier Wochen Wahlen!«

Hull bewegte seinen großen Kopf nur um ein paar Zentimeter. Als er sprach, sah er Brayduck nicht an. »Sie brauchen mich an solche pragmatischen Überlegungen nicht zu erinnern... Aber ich darf vielleicht Sie daran erinnern, daß wir auch noch eine andere Verantwortung haben – eine Verantwortung, die über die praktische Politik hinausgeht. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Selbstverständlich.« Brayduck blieb stehen.

Hull fuhr fort: »So wie ich Ihr Memorandum verstehe, General Ellis, behaupten Sie, daß ein einflußreiches Mitglied des deutschen Hohen Kommandos ein amerikanischer Bürger ist, der unter dem Decknamen – einem uns wohlbekannten Namen – Heinrich Kroeger auftritt.«

»So ist es, Sir. Allerdings habe ich in meiner Feststellung einschränkend gesagt, daß es so sein könnte.«

»Sie deuten ferner an, daß Heinrich Kroeger mit einer Anzahl großer Firmen in diesem Land Kontakt hat – mit Unternehmen, die Waffen an die Regierung liefern.«

»Ja, Herr Minister. Nur muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß das in der Vergangenheit der Fall war, nicht notwendigerweise in der Gegenwart.«

»Bei solchen Anschuldigungen verschwimmen die Zeiten etwas ineinander«, meinte Cordell Hull und nahm den Kneifer ab, um ihn neben den Aktendeckel zu legen. »Besonders im Krieg.« font-weight:bold;

Untersekretär Brayduck zündete ein Streichholz an und meinte zwischen einzelnen Rauchwolken, die aus seiner Pfeife quollen: »Sie erklären auch ganz eindeutig, daß Sie über keine spezifischen Beweise verfügen.«

»Ich verfüge über etwas, das man meiner Ansicht nach als Indizienbeweise ansehen könnte. Und dieses Material ist so beschaffen, daß es mir als Pflichtverletzung erscheinen würde, wenn ich es dem Minister nicht zur Kenntnis brächte.« font-weight:bold;

Der Offizier holte tief Atem, ehe er fortfuhr. Er wußte, wenn er einmal begonnen hatte, würde er festgelegt sein.

»Ich möchte auf einige besonders wichtige Punkte in bezug auf Heinrich Kroeger hinweisen. Zunächst einmal ist seine Akte unvollständig. Er ist von der Partei, im Gegensatz zu den meisten anderen, nicht anerkannt worden. Und dennoch ist er, während andere kamen und gingen, im Zentrum der Macht geblieben. Er hat offensichtlich großen Einfluß auf Hitler.« font-weight:bold;

»Das wissen wir.« Hull mochte es nicht, wenn bekannte Informationen nur deshalb wiederholt wurden, um einen strittigen Punkt zu untermauern.

»Dann der Name selbst, Sir. >Heinrich< ist in Deutschland ebenso weit verbreitet wie >William< oder >John< bei uns. Und Kroeger ist auch nicht ungewöhnlicher als Smith oder Jones in unserem Land.«« font-weight:bold;

»Ach, kommen Sie, General.« Aus Brayducks Pfeife kräuselte sich der Rauch nach oben. »Damit würden Sie die Hälfte unserer kommandierenden Offiziere draußen im Feld verdächtigen.« font-weight:bold;

Ellis wandte sich zu Brayduck, um ihn das ganze Ausmaß seines militärischen Grolls spüren zu lassen. »Ich halte das für relevant, Herr Untersekretär.« font-weight:bold;

Hull begann sich zu fragen, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, Brayduck hinzuzuziehen. »Es bringt uns nicht weiter, wenn Sie sich anfeinden, Gentlemen.«

»Es tut mir leid, wenn Sie das so empfinden, Sir.«

Brayduck schien außerstande, eine Zurechtweisung hinzunehmen. »Ich glaube, meine Funktion heute morgen ist die des Teufelsadvokaten. Keiner von uns, am allerwenigsten Sie, Herr Minister, kann es sich leisten, Zeit zu vergeuden...« font-weight:bold;

Hull blickte zu dem Untersekretär hinüber. »Dann wollen wir zusehen, daß wir Zeit gewinnen. Bitte, fahren Sie fort, General.« font-weight:bold;

»Danke, Sir. Vor einem Monat hat man uns über Lissabon zugetragen, daß Kroeger mit uns Kontakt aufnehmen wollte. Die notwendigen Kanäle wurden bereitgestellt, und wir erwarteten, daß alles auf dem üblichen Weg vonstatten gehen würde... Statt dessen wies Kroeger unser Arrangement zurück, weigerte sich, mit britischen oder französischen Einheiten in Verbindung zu treten, und bestand auf einem direkten Kontakt zu Washington.«

»Sie gestatten?« Brayducks Stimme klang höflich. »Ich bin nicht der Ansicht, daß das eine ungewöhnliche Entscheidung ist. Wir sind schließlich der wichtigste Faktor.«

»Das war ungewöhnlich, Mr. Brayduck. Insofern nämlich, als Kroeger mit keinem anderen als einem Major Canfield in Verbindung treten wollte. Major Matthew Canfield ist oder war ein tüchtiger, untergeordneter Offizier der Abwehr in Washington.« font-weight:bold;

Brayduck hielt seine Pfeife unbewegt in der Hand und sah den Brigadegeneral an. Cordell Hull beugte sich in seinem Sessel vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch.

»Sie haben davon in Ihrem Memorandum nichts erwähnt.« font-weight:bold;

»Das ist mir klar, Sir. Ich habe es für den immerhin vorstellbaren Fall weggelassen, daß das Memorandum von jemand anderem als Ihnen selbst gelesen werden könnte.«

»Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, General.« Das kam von Brayduck und klang ehrlich.

Ellis lächelte, sichtlich erfreut über seinen Sieg.

Hull lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ein bedeutendes Mitglied des Hohen Kommandos der Nazis besteht darauf, nur mit einem obskuren Major in der Abwehr zu verhandeln. Höchst ungewöhnlich!«

»Ungewöhnlich, aber nicht unerhört... Wir alle haben irgendwelche deutschen Staatsbürger gekannt. Wir nahmen einfach an, daß Major Canfield diesen Kroeger vor dem Krieg kennengelernt hatte. In Deutschland.«

Brayduck trat auf den Offizier zu. »Und doch sagen Sie, daß Kroeger vielleicht gar kein Deutscher ist. Offenbar haben Sie zwischen der Forderung Kroegers und der Niederschrift dieses Memorandums Ihre Meinung geändert. Was hat Sie dazu veranlaßt? Die Erwähnung Canfields?«

»Major Canfield ist ein tüchtiger, manchmal sogar ausgezeichneter Abwehrbeamter. Ein erfahrener Mann. Aber seit der Kanal zwischen ihm und Kroeger besteht, scheint er unter einer starken nervlichen Belastung zu stehen. Er wird außergewöhnlich nervös und verhält sich für einen Offizier seiner Herkunft und seiner Erfahrung höchst eigenartig... Außerdem, Herr Minister, hat er mich angewiesen, mit einer höchst ungewöhnlichen Bitte an den Präsidenten der Vereinigten Staaten heranzutreten.« font-weight:bold;

»Was ist das für eine Bitte?«

»Daß eine Geheimakte aus den Archiven des Außenministeriums mit intakten Siegeln an ihn übergeben werden soll, ehe er mit Heinrich Kroeger Kontakt aufnimmt.«

Brayduck nahm die Pfeife aus dem Mund, um einen Einwand vorzubringen.

»Einen Augenblick noch, Mr. Brayduck.« Mag sein, daß Brayduck brillant ist, dachte Hull, aber ob er wohl eine Ahnung hatte, was es für einen Laufbahnoffizier wie Ellis bedeutete, vor ihnen beiden zu stehen und eine Aussage zu machen? Denn seine Aussage lief auf ein Gesuch an das Weiße Haus und das Außenministerium hinaus, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, Canfields Bitte zu erfüllen. Viele Offiziere hätten lieber diesen gesetzwidrigen Vorschlag abgelehnt, als zuzulassen, daß sie in eine solche Position gerieten. So war das Militär eben. »Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie die Freigabe dieser Akte an Major Canfield befürwortet haben?«

»Die Entscheidung würden Sie treffen müssen. Ich weise nur darauf hin, daß Heinrich Kroeger praktisch an jeder wesentlichen Entscheidung der Nazihierarchie seit deren Entstehung teilhatte.«« font-weight:bold;

»Könnte es den Krieg abkürzen, wenn sich Heinrich Kroeger auf unsere Seite schlüge?«

»Ich weiß nicht. Die Möglichkeit, daß es so sein könnte, führt mich in Ihr Büro.«

»Was ist das für eine Akte, die dieser Major Canfield verlangt?« font-weight:bold; Brayduck war sichtlich verstimmt.

»Ich kenne nur die Nummer und die Geheimhaltungsstufe, die mir die Archivabteilung des Außenministeriums genannt hat.«

»Und die lauten?«

Wieder beugte sich Cordell Hull vor.

Ellis zögerte. Es konnte sowohl persönlich als auch beruflich höchst peinlich werden, wenn er Einzelheiten der Akte bekanntgab, ehe er Hull Daten über Canfield geliefert hatte. Er hätte das tun können, wäre Brayduck nicht zugegen gewesen.

Diese verdammten Collegeboys! Ellis fühlte sich in ihrer Gegenwart immer unsicher. Diese Burschen redeten so schnell. Verdammt, dachte er. Dann beschloß er, ganz offen zu sprechen.

»Ehe ich Ihnen Antwort gebe, würde ich Ihnen gern einiges Hintergrundmaterial vortragen, das ich für höchst relevant halte – nicht nur relevant... Es steht mit der Akte in Zusammenhang.« font-weight:bold;

»Ich bitte darum.« Hull wußte nicht recht, ob er verärgert oder fasziniert war.

»Die letzte Mitteilung von Heinrich Kroeger an Major Canfield verlangt ein vorläufiges Treffen mit jemandem, der nur als April Red identifiziert wird. Dieses Zusammentreffen soll in Bern in der Schweiz stattfinden, bevor es zu Verhandlungen zwischen Kroeger und Canfield kommt.«

»Wer ist April Red, General? Ich entnehme Ihrem Tonfall, daß Sie dazu eine Meinung haben.« Brayduck entging nur wenig, und Brigadegeneral Ellis war sich dieser Tatsache schmerzlich bewußt.

»Wir – oder um es genauer zu sagen – ich glaube es zu wissen.« font-weight:bold; Ellis klappte den weißen Aktendeckel auf, den er bisher in der Hand gehalten hatte, und blätterte die erste Seite um. »Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Minister, habe ich folgendes aus Major Canfields Sicherheitsunterlagen entnommen.«

»Selbstverständlich, General.«

»Matthew Canfield – Eintritt in den Regierungsdienst, ins Innenministerium, im März 1917. Ausbildung – ein Jahr Universität in Oklahoma, eineinhalb Jahre Abendkurse in Washington D.C. Als Juniorbuchhalter im Betrugsdezernat des Innenministeriums tätig. 1918 zum Außenprüfer befördert. Der Gruppe Zwanzig beigeordnet, die, wie Sie wissen...« font-weight:bold;

Cordell Hull unterbrach ihn mit ruhiger Stimme. »Eine kleine, hervorragend ausgebildete Einheit, die sich mit Interessenkonflikten, Unregelmäßigkeiten et cetera während des Ersten Weltkrieges zu befassen hatte. Sehr effizient – bis sie, wie es bei solchen Einheiten häufig der Fall ist – anfing, sich selbst zu wichtig zu nehmen. 1929 oder 30 aufgelöst, glaube ich.« font-weight:bold;

»1932, Sir. General Ellis war froh, daß er diese Fakten zur Verfügung hatte. Er blätterte die nächste Seite um und fuhr fort: »Canfield blieb zehn Jahre im Innenministerium und stieg dabei um vier Rangstufen auf. Hervorragende Leistung. Ausgezeichnete Beurteilungen. Im Mai 1927 trat er aus dem Regierungsdienst aus und nahm eine Stelle bei den Scarlatti-Firmen an.«

Als sie den Namen Scarlatti hörten, reagierten Hull und Brayduck, als hätte sie der Blitz getroffen.

»Bei welcher Scarlatti-Gesellschaft hat er gearbeitet?« erkundigte sich der Minister.

»Direktion, 525 Fifth Avenue, New York.«

Cordell Hull spielte mit dem dünnen schwarzen Band, an dem sein Kneifer hing. »Ganz schöner Sprung für unseren Mr. Canfield. Von Abendkursen in Washington in die Direktion von Scarlatti. Er wich dem Blick des Generals aus und starrte auf seinen Schreibtisch.

»Ist Scarlatti eine der Firmen, die Sie in Ihrem Memorandum erwähnen?« fragte Brayduck ungeduldig.

Ehe der Offizier antworten konnte, erhob sich Cordell Hull. Er war groß und imposant. Viel größer als die beiden anderen.

»General Ellis, ich weise Sie hiermit an, keine weiteren Fragen des Untersekretärs zu beantworten.« font-weight:bold;

Brayduck sah aus, als hätte man ihm eine Ohrfeige versetzt. Verblüfft sah er den Minister an. Hull erwiderte seinen Blick und sagte: »Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Brayduck. Ich kann es nicht garantieren, hoffe aber, daß ich Ihnen im Lauf des Tages eine Erklärung geben kann. Würden Sie bis dahin die Liebenswürdigkeit haben, uns allein zu lassen?« font-weight:bold;

»Natürlich.« Brayduck wußte, daß dieser gute, ehrliche alte Mann seine Gründe hatte. »Es bedarf keiner Erklärung.« font-weight:bold;

»Aber Sie verdienen eine.«

»Danke, Sir, Sie können versichert sein, daß ich diese Unterredung vertraulich behandeln werde.«

Hulls Augen folgten Brayduck, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann wanderten sie zu dem sichtlich verwirrten Brigadegeneral zurück. »Brayduck ist ein außergewöhnlicher Beamter. Daß ich ihn jetzt aus dem Zimmer geschickt habe, dürfen Sie nicht als Werturteil bezüglich seines Charakters oder seiner Arbeit auffassen.«

»Ich verstehe, Sir.«

Hull setzte sich langsam und offensichtlich unter einigen Schmerzen wieder in seinen Sessel. »Ich habe Mr. Brayduck gebeten, das Zimmer zu verlassen, weil ich etwas von dem, was Sie jetzt vortragen werden, zu wissen glaube. Wenn das zutrifft, ist es am besten, wenn wir allein sind.«

Der Offizier war verwirrt. Er hielt es für unmöglich, daß Hull etwas wußte.

»Sie brauchen nicht beunruhigt zu sein, General. Ich bin kein Gedankenleser. Ich war in der Zeit, von der Sie sprechen, im Repräsentantenhaus. Ihre Worte erinnerten mich an etwas. Sie erinnerten mich an einen sehr warmen Nachmittag im Haus... Aber vielleicht irre ich mich. Bitte, fahren Sie dort fort, wo ich Sie unterbrochen habe. Ich glaube, unser Major Canfield hatte eine Stelle bei Scarlatti angenommen... Ein höchst ungewöhnlicher Schritt, da werden Sie mir wahrscheinlich recht geben.«

»Es gibt eine logische Erklärung. Canfield hat die Witwe von Ulster Stewart Scarlett geheiratet, sechs Monate nach Scarletts Tod in Zürich im Jahr 1926. Scarlett war der jüngere der zwei überlebenden Söhne von Giovanni und Elizabeth Scarlatti, den Gründern der Scarlatti-Firmen.«

Cordell Hull schloß kurz die Augen. »Fahren Sie bitte fort.«

»Ulster Scarlett und seine Frau Janet Saxon Scarlett hatten einen Sohn, Andrew Roland, der anschließend von Matthew Canfield nach seiner Verehelichung mit Scarletts Witwe adoptiert wurde. Die Adoption besagte aber nicht, daß er am Scarlatti-Erbe keinen Anteil mehr hatte... Canfield war bis 1940 in der Direktion von Scarlatti tätig und kehrte dann in den Regierungsdienst zurück, wo er einen Posten in der Abwehr erhielt.«

General Ellis hielt inne und sah Cordell Hull über den Aktendeckel hinweg an. Er fragte sich, ob Hull anfing zu begreifen, aber das Gesicht des Ministers war ausdruckslos.

»Sie erwähnten die Akte, die Canfield aus den Archiven angefordert hat. Was ist das für eine Akte?«

»Das war meine nächste Überlegung, Sir.« Ellis blätterte eine weitere Seite um. »Für uns ist diese Akte nur eine Nummer, aber aus der Nummer kann man das Jahr entnehmen, in dem sie angelegt wurde. 1926, im vierten Quartal des Jahres 26, um genau zu sein.«

»Und wie ist sie klassifiziert?«

»Oberste Geheimhaltungsstufe. Sie kann nur auf Anweisung des Präsidenten aus Gründen der nationalen Sicherheit freigegeben werden.« font-weight:bold;

»Ich nehme an, daß einer der Signatare – der Zeugen bei der Anlage der Akte – ein Mann war, der damals im Dienst des Innenministeriums stand und den Namen Matthew Canfield trägt.«

Der Offizier war sichtlich erregt, hielt aber den weißen Aktendeckel immer noch mit Daumen und Zeigefinger fest. »Das ist richtig.«

»Und jetzt will er sie wiederhaben. Andernfalls weigert er sich, mit Kroeger Kontakt aufzunehmen.«

»Ja, Sir.«

»Ich bin sicher, daß Sie ihn darauf hingewiesen haben, daß seine Forderung ungesetzlich ist?«

»Ich habe ihm persönlich ein Kriegsgerichtsverfahren angedroht... Seine einzige Antwort darauf war, daß es ja bei uns läge, die Forderung abzulehnen.« font-weight:bold;

»Und dann gibt es keinen Kontakt mit Kroeger?«

»Nein, Sir. Meiner Ansicht nach würde Major Canfield sich eher damit abfinden, den Rest seines Lebens in einem Militärgefängnis zu verbringen, als seine Haltung zu ändern.« font-weight:bold;

Cordell Hull stand auf und sah den General an. »Würden Sie bitte zusammenfassen?«

»Meiner Ansicht nach ist der April Red, den Heinrich Kroeger erwähnt, der junge Andrew Roland. Ich glaube, daß er Kroegers Sohn ist. Die Anfangsbuchstaben sind dieselben. Der Junge ist im April 1926 geboren. Ich glaube, daß Heinrich Kroeger Ulster Scarlett ist.«

»Der ist in Zürich gestorben.« Hull beobachtete den General mit zusammengekniffenen Augen.

»Die Begleitumstände sind verdächtig. Es gibt in den Akten lediglich den Totenschein eines obskuren Gerichts in einem kleinen Dorf, dreißig Meilen außerhalb von Zürich, und nicht auffindbare Bestätigungen durch Zeugen, von denen man vorher oder nachher nie wieder gehört hat.«« font-weight:bold;

Hull sah dem General scharf in die Augen. »Sie sind sich über das, was Sie sagen, im klaren? Scarlatti ist eine der bedeutendsten Firmen dieses Landes.«

»Ja, Sir. Ich behaupte ferner, daß Major Canfield Kroegers Identität kennt und die Absicht hat, die Akte zu vernichten.« font-weight:bold;

»Glauben Sie, daß es sich um eine Verschwörung handelt? Eine Verschwörung, um Kroegers Identität zu verbergen?« font-weight:bold;

»Ich weiß nicht... Ich verstehe mich nicht besonders gut darauf, die Motive einer anderen Person in Worte zu fassen. Aber Major Canfields Reaktionen scheinen so privater Natur zu sein, daß ich zu der Meinung neige, es müßte sich um eine höchst private Angelegenheit handeln.«

Hull lächelte. »Ich finde, daß Sie äußerst wortgewandt sind. Aber glauben Sie, daß die Wahrheit in der Akte zu finden ist? Und wenn ja, warum sollte Canfield uns dann darauf aufmerksam machen? Er weiß doch ganz sicher, daß wir uns diese Akte ansehen werden, wenn wir sie für ihn beschaffen. Wir wären vielleicht nie darauf aufmerksam geworden, wenn er geschwiegen hätte.«

»Wie ich schon sagte, Canfield ist ein erfahrener Mann. Ich bin sicher, daß er von der Voraussetzung ausgeht, daß wir bald Bescheid wissen werden.«

»Wie?«

»Durch Kroeger – und Canfield hat die Bedingung gestellt, daß die Siegel der Akte unversehrt sein müssen. Er ist ein Fachmann, Sir. Er würde es wissen, wenn man sie erbrochen hätte.«

Cordell Hull ging um seinen Schreibtisch herum, an dem Brigadegeneral vorbei. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Seine Haltung war steif, und es war ihm anzusehen, daß seine Gesundheit ihn im Stich zu lassen begann. Brayduck hat recht gehabt, dachte der Außenminister. Wenn auch nur die Andeutung einer Beziehung zwischen den mächtigen amerikanischen Industriellen und dem deutschen Hohen Kommando bekannt würde, gleichgültig, wie entfernt oder wie weit zurückliegend, so könnte dies das Land in Stücke reißen. Besonders während der nationalen Wahlen.

»Wenn wir die Akte Major Canfield aushändigen, würde er dann ein Zusammentreffen zwischen April Red und Kroeger arrangieren?«

»Ich glaube, daß er das tun würde.«

»Warum? Es ist doch grausam, einem achtzehnjährigen Jungen so etwas anzutun.«

Der General zögerte. »Ich bin nicht sicher, daß er eine Alternative hat. Es gibt nichts, was Kroeger daran hindern könnte, andere Schritte zu unternehmen.«

Hull blieb stehen und sah den Offizier an. Er hatte seine Entscheidung getroffen. »Ich werde veranlassen, daß der Präsident einen Befehl unterzeichnet, diese Akte herauszugeben. Jedoch, und ich mache dies offen gesagt zur Bedingung für seine Unterschrift, Ihre Vermutungen bleiben zwischen uns beiden.«

»Uns beiden?«

»Ich werde Präsident Roosevelt über den Inhalt unseres Gesprächs informieren, aber ich werde ihn nicht mit Annahmen belasten, die sich vielleicht als unbegründet erweisen könnten. Ihre Theorie ist möglicherweise nur auf eine Reihe von Zufällen zurückzuführen, die sich leicht erklären lassen.« font-weight:bold;

»Ich verstehe.«

»Aber wenn Sie recht haben, könnte Heinrich Kroeger den Zusammenbruch in Berlin auslösen. Deutschland befindet sich im Todeskampf. Wie Sie schon erwähnten, verfügt er über außergewöhnliches Stehvermögen. Er ist ein Angehöriger der Elitegruppe, die Hitler umgibt. Die Prätorianergarde lehnt sich gegen Cäsar auf. Wenn Sie freilich nicht recht haben sollten, dann müssen wir beide an zwei Leute denken, die bald nach Bern unterwegs sein werden. Und dann möge Gott unseren Seelen gnädig sein.«

Brigadegeneral Ellis schloß den weißen Aktendeckel, hob die Aktentasche auf, die zu seinen Füßen stand, und ging auf die große schwarze Tür zu. Als er sie hinter sich schloß, sah er, daß Hull ihm nachstarrte. Er hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube.

Aber Hull dachte nicht an den General. Er erinnerte sich an jenen warmen Nachmittag vor langer Zeit im Repräsentantenhaus. Ein Mitglied nach dem anderen war aufgestanden und hatte glühendes Lob auf einen tapferen, jungen Amerikaner gehäuft, der für tot gehalten wurde. Alle Angehörigen beider Parteien hatten erwartet, daß er, das ehrenwerte Mitglied des Staates Tennessee, seinen Kommentar hinzufügte. Immer wieder drehten sich die Köpfe zu seinem Pult.

Cordell Hull war das einzige Mitglied des Repräsentantenhauses, der die berühmte Elizabeth Scarlatti, jene Legende ihrer Zeit, mit Vornamen ansprechen durfte, die Mutter des tapferen jungen Mannes, der im Kongreß der Vereinigten Staaten für die Nachwelt verherrlicht wurde.

2.

Die braune Limousine mit den Insignien der US-Streitkräfte auf beiden Türen bog an der 22. Straße nach rechts und fuhr in den Gramercy Square.

Auf dem Rücksitz beugte sich Matthew Canfield nach vorn, nahm die Aktentasche von den Knien und stellte sie auf den Boden. Er zog den rechten Mantelärmel herunter, um die dicke Silberkette zu verbergen, die um sein Handgelenk geschlungen war und es mit dem Metallgriff der Tasche verband.

Er kannte den Inhalt der Aktentasche, oder genauer gesagt, daß er den Inhalt besaß, bedeutete sein Ende. Wenn alles vorbei war und er dann immer noch lebte, würden sie ihn kreuzigen, falls es ihnen gelang, Mittel und Wege zu finden, dabei das Militär von jeder Schuld freizuhalten.

Der Militärwagen bog zweimal nacheinander nach links und hielt am Eingang der Gramercy Arms Apartments. Ein Portier in Uniform ging auf den Wagen zu, und Canfield stieg aus.

»Ich brauche Sie in einer halben Stunde wieder«, sagte er zu seinem Fahrer. »Nicht später.«

Der blasse Sergeant, der sich offensichtlich den Gewohnheiten seines Vorgesetzten angepaßt hatte, antwortete: »Ich werde in zwanzig Minuten wieder hier sein, Sir.«

Der Major nickte, drehte sich um und betrat das Gebäude. Als er im Aufzug nach oben fuhr, wurde ihm bewußt, wie müde er war. Jede Ziffer schien länger als normal beleuchtet zu bleiben. Die Zeit zwischen den Stockwerken kam ihm endlos vor. Und doch hatte er keine Eile. Überhaupt keine Eile.

Achtzehn Jahre. Das Ende der Lüge, aber nicht das Ende der Furcht. Das würde erst kommen, wenn Kroeger tot war. Was dann noch übrig sein würde, war Schuld. Er konnte mit der Schuld leben, denn sie würde ganz allein die seine sein und nicht die des Jungen oder die Janets.

Und es würde auch sein Tod sein, nicht der Janets, nicht der Andrews. Wenn der Tod erforderlich war, dann würde es der seine sein. Er würde dafür sorgen.

Er würde Bern nicht verlassen, solange Kroeger nicht tot war.

Kroeger oder er.

Höchstwahrscheinlich alle beide.

Er verließ die Aufzugskabine, bog nach links und ging den kurzen Korridor entlang zu einer Tür. Er schloß sie auf und betrat ein großes, komfortables Wohnzimmer, das im italienischen Provinzstil eingerichtet war. Zwei große Erkerfenster boten einen freien Blick auf den Park, und verschiedene Türen führten in die Schlafzimmer, das Speisezimmer, die Küche und die Bibliothek. Canfield stand einen Augenblick lang reglos da und gab sich dem unvermeidbaren Gedanken hin, daß dies alles achtzehn Jahre zurückführte.

Die Tür zur Bibliothek öffnete sich, und ein junger Mann kam herein. Er nickte Canfield ohne große Begeisterung zu. »Hallo, Dad.«

Canfield starrte den Jungen an. Es kostete ihn große Kraft, nicht auf seinen Sohn zuzulaufen und ihn an sich zu drücken.

Sein Sohn.

Und doch nicht sein Sohn.

Er wußte, wenn er eine solche Geste versuchte, würde sie zurückgewiesen werden. Der Junge war jetzt vorsichtig und hatte Angst, wenn er sich auch Mühe gab, es nicht zu zeigen.

»Hallo«, sagte der Major. »Hilfst du mir damit?« Er blickte auf die Kette an seinem Handgelenk.

Der junge Mann trat zu ihm und murmelte: »Aber sicher.« font-weight:bold;

Sie öffneten gemeinsam das Hauptschloß der Kette, und dann hielt der junge Mann die Aktentasche so, daß Canfield das zweite Kombinationsschloß betätigen konnte, das an seinem Handgelenk befestigt war. Jetzt konnten sie die Tasche entfernen. Canfield zog Hut, Mantel und Uniformjacke aus und warf sie auf einen Sessel. Der Junge hielt immer noch die Tasche in der Hand und stand reglos vor dem Major. Er sah außergewöhnlich gut aus. Er hatte hellblaue Augen unter sehr dunklen Brauen, eine gerade, aber etwas aufgestülpte Nase und schwarzes Haar, das sorgfältig nach hinten gekämmt war. Seine Hautfarbe war dunkel, als wäre er von der Sonne gebräunt. Er war knapp über sechs Fuß groß und trug graue Flanellhosen, ein blaues Hemd und eine Tweedjacke.

»Wie fühlst du dich?« fragte Canfield.

Der junge Mann zögerte einen Augenblick lang und erwiderte dann mit weicher Stimme: »Nun, an meinem zwölften Geburtstag habt ihr mir ein neues Segelboot gekauft, du und Mutter. Das hat mir besser gefallen.«

Der ältere Mann erwiderte das Lächeln des Jüngeren. »Ja, das kann ich mir denken.«

»Ist es das?« Der Junge stellte die Aktentasche auf den Tisch und strich mit dem Finger darüber.

»Alles.«

»Jetzt sollte ich mir wohl sehr privilegiert vorkommen.«

»Der Präsident mußte persönlich eine Anweisung unterzeichnen, um die Akte aus dem Außenministerium herauszubekommen.« font-weight:bold;

»Wirklich?« Der Junge blickte auf.

»Keine Sorge. Ich bezweifle, daß er weiß, was sie enthält.« font-weight:bold;

»Wieso?«

»Eine Vereinbarung.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wenn du die Akte gelesen hast, wirst du es glauben. Höchstens zehn Leute haben sie ganz gesehen, und die meisten davon sind tot. Als wir das letzte Viertel der Akte zusammentrugen, taten wir das stückweise – damals, 1938. Es steckt in dem separaten Aktendeckel mit den Bleisiegeln. Die Seiten sind nicht in der richtigen Reihenfolge und müssen geordnet werden. Der Schlüssel ist auf der ersten Seite.«

Der Major lockerte seine Krawatte mit einer schnellen Handbewegung und fing an, sein Hemd aufzuknöpfen.

»War das alles notwendig?«

»O ja. Soweit ich mich erinnere, haben wir die Schreibkräfte immer wieder ausgewechselt.« Der Major ging auf eine Schlafzimmertür zu. »Ich schlage vor, daß du die Seiten ordnest, ehe du mit dem letzten Aktendeckel anfängst.«

Er ging ins Schlafzimmer, schlüpfte hastig aus seinem Hemd und band seine Schuhe auf. Der junge Mann folgte ihm und blieb in der Tür stehen.

»Wann reisen wir?« fragte der Junge.

»Donnerstag.« font-weight:bold;

»Wie?«

»Bomberkommando. Mit der Luftwaffe nach Neufundland, Island, Grönland und dann nach Irland. Von Irland mit einer neutralen Maschine geradewegs nach Lissabon.«

»Lissabon?«

»Die Schweizer Botschaft übernimmt dort alles Weitere. Die bringen uns nach Bern. Wir genießen vollen Schutz.«

Canfield hatte inzwischen die Hosen ausgezogen, nahm eine hellgraue Flanellhose aus dem Schrank und zog sie an.

»Was wird man Mutter sagen?« fragte der junge Mann.

Canfield ging ins Badezimmer, ohne zu antworten. Er füllte das Waschbecken mit heißem Wasser und begann sich das Gesicht einzuseifen.

Die Augen des Jungen folgten ihm, aber er bewegte sich nicht, brach auch das Schweigen nicht. Er fühlte, daß der ältere Mann viel erregter war, als er es zeigen wollte.

»Hol mir bitte ein frisches Hemd aus der zweiten Schublade dort drüben. Leg es aufs Bett.«

»Ja, natürlich.« Er wählte ein weißes Hemd mit breitem Kragen aus dem Hemdenstapel in der Schublade.

Während Canfield sich rasierte, sagte er: »Heute ist Montag. Wir haben also drei Tage. Ich werde noch alles erledigen, und du hast inzwischen Zeit, dich mit der Akte zu befassen. Du wirst Fragen haben, und ich brauche dir nicht zu sagen, daß du mich fragen mußt. Ich befürchte zwar nicht, daß du mit jemandem sprechen würdest, der dir Antwort geben könnte. Aber nur für alle Fälle – wenn du plötzlich das Bedürfnis hast, zum Telefon zu greifen, tu es nicht.«

»Verstanden.« font-weight:bold;

»Übrigens, du sollst nicht das Gefühl haben, daß du dir irgend etwas einprägen müßtest, das ist nicht wichtig. Ich weiß einfach, daß du es verstehen mußt.«

War er ehrlich zu dem Jungen? War es wirklich notwendig, ihn das Gewicht der offiziellen Wahrheit fühlen zu lassen? Canfield hatte sich selbst überzeugt, daß das der Fall war, denn trotz der Jahre, trotz der Zuneigung, die zwischen ihnen bestand, war Andrew ein Scarlett. In wenigen Jahren würde er eines der größten Vermögen der Welt erben. Man mußte solchen Menschen die Verantwortung dann aufbürden, wenn es notwendig war – nicht, wenn es bequem war.

Aber mußte man das wirklich?

Oder wählte Canfield damit einfach den Weg, der für ihn der leichteste war? Sollte doch ein anderer für ihn sprechen...

Er trocknete sein Gesicht mit einem Handtuch ab, rieb sich etwas Pinaud ins Gesicht und begann sein Hemd anzuziehen.

»Falls es dich interessiert, du hast deinen Bart zum größten Teil stehenlassen.«

»Interessiert mich nicht.« Er nahm eine Krawatte von der Stange an der Innenseite der Schranktür und zog einen dunkelblauen Blazer vom Bügel. »Wenn ich gegangen bin, kannst du zu lesen anfangen. Wenn du zum Abendessen ausgehst, kannst du die Aktentasche in den Schrank rechts von der Bibliothekstür stellen. Sperr ihn ab. Hier ist der Schlüssel.« Er löste einen kleinen Schlüssel vom Ring.

Die zwei Männer verließen das Schlafzimmer, und Canfield ging auf die Halle zu.

»Entweder hast du mich nicht gehört, oder du willst keine Antwort geben – aber was ist mit Mutter?«

»Ich habe dich gehört.« Canfield drehte sich zu dem jungen Mann herum. »Janet soll nichts wissen.«

»Warum nicht? Und wenn etwas passiert?«

Canfield war sichtlich erregt. »Ich habe entschieden, daß sie nichts erfahren soll.«

»Ich bin nicht deiner Ansicht.« Der junge Mann blieb ruhig.

»Das interessiert mich nicht!«

»Vielleicht sollte es das. Ich bin jetzt ziemlich wichtig für dich. Das war nicht mein Wunsch, Dad.«

»Und du glaubst, das gibt dir das Recht, Befehle zu erteilen?« font-weight:bold;

»Ich glaube, ich habe das Recht, gehört zu werden. Ich weiß, daß du erregt bist – aber sie ist meine Mutter.«

»Und meine Frau. Vergiß das nicht, Andy.« Der Major ging ein paar Schritte auf den jungen Mann zu, aber Andrew Scarlett wandte sich ab und trat an den Tisch, wo die schwarze Ledertasche neben der Lampe lag.

»Du hast mir nie gezeigt, wie man deine Tasche öffnet.« font-weight:bold;

»Sie ist aufgeschlossen. Ich habe sie im Wagen aufgeschlossen. Man öffnet sie wie jede andere Mappe auch.«

Der junge Scarlett betastete die Schließen, und sie klappten auf.

»Ich habe dir gestern abend nicht geglaubt, weißt du«, sagte er leise, während er die Klappe der Tasche öffnete.

»Das überrascht mich nicht.«

»Nein, nicht was ihn betrifft. Das glaube ich, weil es mir eine Menge Fragen, die dich betreffen, beantwortet hat.« Er drehte sich um und musterte den Älteren. »Nun, eigentlich waren es keine Fragen, weil ich immer schon zu wissen glaubte, warum du dich so verhalten hast. Ich dachte, du könntest einfach die Scarletts nicht leiden. Nicht mich, die Scarletts. Onkel Chancellor, Tante Allison, all die Kinder. Du und Mama, ihr habt immer über sie gelacht. Ich auch. Ich kann mich noch gut erinnern, wie schmerzhaft es für dich war, als du mir sagtest, warum mein Nachname nicht derselbe wie der deine sein konnte. Erinnerst du dich?«

»Ja, es war nicht gerade angenehm.« Canfield lächelte leicht.

»Aber die letzten paar Jahre – da hast du dich verändert. Du wurdest ziemlich böse, wenn es um die Scarletts ging. Du warst immer richtig ärgerlich, wenn jemand die Scarlatti-Firmen erwähnte. Und du gingst die Wände hoch, wenn die Scarlatti-Anwälte erklärten, daß sie mit dir und Mama über mich sprechen wollten. Mama ärgerte sich über dich und sagte, du wärst unvernünftig. Sie hatte unrecht. Ich verstehe es jetzt. Du siehst also, ich bin darauf vorbereitet, das zu glauben, was diese Mappe enthält.« Er klappte sie wieder zu.

»Es wird nicht leicht für dich sein.«

»Es ist schon jetzt nicht leicht, und ich bin gerade dabei, über den ersten Schock hinwegzukommen.« Er grinste gezwungen. »Jedenfalls werde ich lernen, damit zu leben, denke ich... Ich habe ihn nie gekannt. Er hat mir nie etwas bedeutet. Ich habe nie sonderlich auf Onkel Chancellors Geschichten geachtet. Weißt du, ich wollte gar nichts wissen. Weißt du, warum?«

Der Major musterte den jungen Mann scharf. »Nein, das weiß ich nicht.«

»Weil ich nie zu jemand anderem als dir – und Janet gehören wollte.«

O Gott in deinem schützenden Himmel, dachte Canfield. »Ich muß jetzt gehen.« Er wandte sich wieder zur Tür.

»Bleib noch. Wir haben noch nicht alles erledigt.«

»Es gibt nichts zu erledigen.«

»Ich will dir sagen, was ich gestern abend nicht glaubte.« font-weight:bold;

Canfield drehte sich um, die Hand am Türknopf. »Was?«

»Daß Mutter – nichts von ihm weiß.«

Canfield zog die Hand vom Türknopf und blieb neben der Tür stehen. Als er sprach, war seine Stimme leise und kontrolliert. »Ich hatte gehofft, das bis später hinausschieben zu können. Bis du alles gelesen hattest.«

»Es muß jetzt sein, sonst will ich die Akte nicht haben. Falls ihr irgend etwas vorenthalten werden soll, möchte ich den Grund wissen, ehe ich das alles lese.«

Der Major kehrte ins Zimmer zurück. »Was soll ich dir sagen? Daß es sie umbringen würde, wenn sie es erführe?« font-weight:bold;

»Würde es das?«

»Wahrscheinlich nicht. Aber ich wage es nicht, die Probe aufs Exempel zu machen.«

»Seit wann weißt du es?«

Canfield trat vors Fenster. Die Kinder hatten den Park verlassen. Das Tor war jetzt geschlossen.

»Am 12. Juni 1936 habe ich eine positive Identifizierung durchgeführt. Ich habe die Akte eineinhalb Jahre später vervollständigt, am 2. Januar 1938.«

»Jesus Christus.«

»Ja, Jesus Christus.«« font-weight:bold;

»Und du hast es ihr nie gesagt?«

»Nein.«

»Dad, warum nicht?«

»Ich könnte dir zwanzig, dreißig eindrucksvolle Gründe nennen«, entgegnete Canfield und blickte immer noch auf den Gramercy Park hinunter. »Aber drei davon sind in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Zum ersten – er hat ihr schon genug angetan, er war die Hölle für sie. Zum zweiten – seit deine Großmutter tot ist, gibt es sonst keinen lebenden Menschen mehr, der ihn identifizieren könnte. Der dritte Grund – ich sagte deiner Mutter, daß ich ihn getötet hatte.« font-weight:bold;

»Du?«

Der Major wandte sich vom Fenster ab. »Ja. Ich – ich glaubte, ich hätte ihn getötet – glaubte es hinreichend, um zweiundzwanzig Zeugen zu zwingen, Erklärungen zu unterschreiben, daß er tot war. Ein korrupter Richter in einem Dorf außerhalb von Zürich ließ sich von mir dazu bestechen, einen Totenschein auszustellen. Alles ganz legal. An jenem Junimorgen im Jahr 1936, als ich die Wahrheit erfuhr, waren wir in dem Haus an der Bucht, und ich saß auf der Terrasse und trank Kaffee. Du und deine Mutter, ihr habt gerade ein Boot abgespritzt und nach mir gerufen, weil ich euch helfen sollte, es ins Wasser zu bringen. Du hast sie die ganze Zeit mit dem Schlauch angespritzt, und sie lachte und kreischte und rannte um das Boot herum, und du liefst hinterher. Sie war so glücklich. Ich sagte es ihr nicht. Ich bin nicht stolz auf mich, aber so war es.«

Der junge Mann setzte sich auf den Stuhl neben dem Tisch. Er wollte etwas sagen, aber er fand keine Worte.

Canfield fragte, leise: »Bist du ganz sicher, daß du zu mir gehören willst?«

Der Junge blickte auf. »Du mußt sie sehr geliebt haben.« font-weight:bold;

»Ich liebe sie immer noch.«

»Dann – möchte ich immer noch zu dir gehören.«

Canfield hatte das Gefühl, als säße ihm ein Kloß in der Kehle. Aber er hatte beschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, ganz gleich, was geschehen würde.

»Ich danke dir dafür.«

Er wandte sich wieder dem Fenster zu. Die Straßenlaternen waren eingeschaltet worden – nur jede zweite, wie um die Leute daran zu erinnern, daß es auch hier passieren konnte, aber wahrscheinlich nicht passieren würde, damit sie sich entspannen konnten.

»Dad?«

»Ja?«

»Warum bist du zurückgekehrt und hast die Akte abgeändert?« font-weight:bold;

Canfield schwieg eine Weile, ehe er antwortete. »Weil ich es tun mußte. Jetzt klingt das seltsam – >weil ich es tun mußte<. Ich brauchte achtzehn Monate, um diese Entscheidung zu treffen. Als es schließlich soweit war, brauchte ich weniger als fünf Minuten dazu, mich selbst zu überzeugen.« Er hielt inne und dachte einen Augenblick lang darüber nach, ob es notwendig war, es dem Jungen zu sagen. Aber warum nicht? »Am Neujahrstag 1938 hat mir deine Mutter einen neuen Packard Roadster gekauft. Zwölf Zylinder. Ein wunderschönes Automobil. Ich fuhr damit auf die Southampton Straße. Ich weiß nicht genau, was passierte – ich glaube, das Steuerrad blockierte. Es gab einen Unfall. Der Wagen überschlug sich zweimal, ehe ich hinausgeschleudert wurde. Er war völlig zerstört, aber mir war nichts passiert. Abgesehen von ein paar Schürfwunden fehlte mir nichts. Aber ich sagte mir, daß ich hätte tot sein können.«

»Ich erinnere mich. Du hast von irgendwo aus angerufen, und Mama und ich fuhren hinüber und holten dich ab. Du sahst schrecklich aus.«

»Stimmt. Damals entschloß ich mich, nach Washington zu fahren und die Akte zu ergänzen.«

»Ich verstehe nicht.«

Canfield setzte sich auf den Sessel vor dem Fenster. »Wenn mir irgend etwas passiert wäre, hätte Scarlett-Kroeger irgendeine Horrorgeschichte erfinden und damit seinen Zweck erreichen können. Janet war gefährdet, weil sie nichts wußte. Also mußte irgendwo die Wahrheit festgehalten werden, aber auf eine Art und Weise, daß keine der beiden Regierungen eine andere Alternative haben konnte, als Kroeger eliminieren zu lassen – sofort. Um für dieses Land zu sprechen – Kroeger hat eine Menge prominenter Männer zum Narren gehalten. Einige dieser distinguierten Herren sind heute für unsere Politik verantwortlich. Andere fabrizieren Flugzeuge, Panzer und Schiffe. Indem wir Kroeger als Scarlett identifizieren, werfen wir eine Menge neuer Fragen auf. Fragen, von denen unsere Regierung im Augenblick nichts wissen will. Oder vielleicht will sie nie mehr was davon wissen.« font-weight:bold;

Er knöpfte langsam seinen Tweedmantel auf, wollte ihn aber nicht mehr ablegen.

»Die Scarlatti-Anwälte haben einen Brief, der nach meinem Tod oder Verschwinden an das einflußreichste Kabinettsmitglied übergeben werden soll, oder welche Administration auch immer zu der Zeit in Washington an der Macht ist. Die Scarlatti-Anwälte verstehen sich auf solche Dinge. Ich wußte, daß es Krieg geben würde. Alle wußten das. Ich erinnere daran, daß es 1938 war. Der Brief führt die betreffende Person zu der Akte und damit zur Wahrheit.«

Canfield holte tief Atem und blickte zur Decke.

»Wie du sehen wirst, legte ich eine ganz bestimmte Verhaltensweise für den Fall fest, daß wir uns im Krieg befanden, und eine Variation für den Fall, daß wir uns nicht im Krieg befanden. Deine Mutter sollte nur im äußersten Notfall etwas erfahren.«

»Aber warum sollte jemand, nach dem, was du getan hast, auf dich hören?«

Andrew Scarlett konnte solche Zusammenhänge schnell erfassen. Das gefiel Canfield.

»Es gibt Zeiten, wenn Länder – selbst Länder im Kriegszustand, dieselben Ziele haben. Für solche Zwecke werden immer die Verbindungslinien offengehalten. Heinrich Kroeger ist einer dieser Fälle. Er repräsentiert zu viel Peinliches für beide Seiten, das geht klar aus der Akte hervor.«

»Ich finde das sehr zynisch.«

»Das ist es auch. Ich habe festgelegt, daß binnen achtundvierzig Stunden nach meinem Tod jemand an das Hohe Kommando des Dritten Reiches herantreten und dort erklären soll, daß einige Spitzenbeamte in der militärischen Abwehr schon lange den Argwohn hatten, Heinrich Kroeger sei ein amerikanischer Bürger.«

Andrew Scarlett beugte sich auf seinem Stuhl vor. Canfield fuhr fort, ohne die wachsende Unruhe des Jungen zu bemerken.

»Da Kroeger regelmäßige Geheimkontakte zu einer Anzahl von Amerikanern hat, nimmt man an, daß dieser Argwohn bestätigt werden wird. Aber infolge des...« Canfield hielt inne, um sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. »Infolge des >Todes eines gewissen Matthew Canfield, eines ehemaligen Kollegen des Mannes, der jetzt als Heinrich Kroeger bekannt ist<, besitzt unsere Regierung Dokumente, die unzweideutig besagen, daß Heinrich Kroeger geistesgestört ist. Wir wollen nichts mit ihm zu tun haben. Weder in seiner Eigenschaft als ehemaliger Bürger noch als Überläufer.« font-weight:bold;

Der junge Mann erhob sich aus seinem Stuhl und starrte seinen Stiefvater an. »Ist das wahr?«

»Es wäre ausreichend gewesen, und das ist wichtiger. Die Verbindung reicht aus, um eine schnelle Exekution zu garantieren. Ein Verräter und gleichzeitig ein Wahnsinniger.«

»Danach habe ich dich nicht gefragt.«

»Die Akte enthält sämtliche Informationen.«

»Ich möchte es jetzt wissen. Ist es wahr? Ist er – war er wahnsinnig? Oder ist das ein Trick?«

Canfield erhob sich. Seine Antwort war nicht lauter als ein Flüstern. »Deshalb wollte ich warten. Du willst eine einfache Antwort, und eine solche gibt es nicht.«

»Ich möchte wissen, ob mein – Vater geistesgestört war.« font-weight:bold;

»Wenn du meinst, ob wir beglaubigte ärztliche Aussagen besitzen, daß er nicht bei Verstand war... Nein, das haben wir nicht. Andererseits waren in Zürich zehn Männer zurückgeblieben, mächtige Männer – sechs leben immer noch –, die allen Anlaß hatten, Kroeger, so wie sie ihn kannten, als geistesgestört hinzustellen. Das war für sie der einzige Ausweg. Und deshalb wird der Heinrich Kroeger, auf den sich die ursprüngliche Akte bezieht, von allen zehn als Wahnsinniger bezeichnet. Ein schizophrener Verrückter. Diese gemeinsame Bemühung ließ keine Zweifel aufkommen. Sie hatten keine Wahl. Aber wenn du mich fragst ... Kroeger war der geistig gesündeste Mann, den man sich vorstellen kann. Und der grausamste. Auch das wirst du lesen.«

»Warum gebrauchst du nicht seinen richtigen Namen?« font-weight:bold;

Plötzlich drehte sich Canfield ruckartig herum, als wäre die Belastung unerträglich geworden.

Andrew sah dem zornigen Mann mit dem ärgerlich geröteten Gesicht zu, wie er durch das Zimmer auf ihn zukam. Er hatte ihn stets geliebt, weil er ein Mann war, den man lieben mußte. Positiv eingestellt, tüchtig, stets zu Späßen aufgelegt und – wie war das Wort, das sein Stiefvater gebraucht hatte? - verletzbar. »Du hast nicht nur Mutter beschützt, nicht wahr? Du hast mich geschützt. Du hast getan, was in deinen Kräften stand, um mich auch zu schützen... Wenn er je zurückkäme, wäre ich für mein restliches Leben so etwas wie ein Monstrum.«

Canfield drehte sich langsam um und sah seinen Stiefsohn an. »Nicht nur du. Von der Sorte würde es dann eine ganze Menge geben. Das hatte ich miteinkalkuliert.«

»Aber für diese anderen wäre es nicht dasselbe gewesen.« Der junge Scarlett ging zu der Aktentasche zurück.

»Das stimmt. Nicht dasselbe.« Er folgte dem Jungen und stellte sich hinter ihn. »Ich hätte alles darum gegeben, es dir nicht sagen zu müssen – ich denke, das weißt du. Ich hatte keine Wahl. Indem er dich in seine Bedingungen hineinzog, ließ Kroeger mir keine andere Wahl, als dir die Wahrheit zu sagen. Das konnte ich nicht vertuschen. Er glaubt, daß du, sobald du die Wahrheit kennst, erschrecken wirst und daß ich alles tun würde, um dich davon abzuhalten, in Panik zu geraten – alles, solange ich dich nur nicht zu töten brauchte, und vielleicht sogar das. In dieser Akte befinden sich Informationen, die deine Mutter vernichten. Die mich ins Gefängnis bringen könnten. Wahrscheinlich sogar für den Rest meines Lebens. Oh, Kroeger hat sich das alles überlegt. Aber er hat sich in einem Punkt verrechnet. Er hat dich nicht gekannt.« font-weight:bold;

»Mußt du ihn wirklich sehen – mit ihm sprechen?«

»Ich werde mit dir im Zimmer sein. Dort wird der Handel abgeschlossen.«

Andrew Scarlett blickte entsetzt auf. »Dann wirst du Geschäfte mit ihm machen.«

»Wir müssen wissen, was er liefern kann. Sobald er sich überzeugt hat, daß ich meinen Teil des Handels erfüllt und ein Treffen mit dir arrangiert habe, werden wir wissen, was er anbietet. Und wofür.«

»Dann ist es überflüssig, daß ich das hier lese, nicht wahr...« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Ich muß nur dort sein. Okay, ich werde dort sein!«

»Du wirst es lesen, weil ich es dir befehle!«

»Schon gut, schon gut, Dad. Ich werde es lesen.«

»Danke ... Tut mir leid, daß ich in diesem Ton mit dir reden mußte.« Er begann seinen Mantel wieder zuzuknöpfen.

»Das habe ich verdient. Übrigens, was ist, wenn Mutter auf die Idee kommt, mich in der Schule anzurufen? Das tut sie gelegentlich, weißt du.«

»Seit heute morgen ist deine Leitung angezapft. Es funktioniert einwandfrei. Du hast einen neuen Freund namens Tom Ahrens.«

»Wer ist das?«

»Ein Lieutenant im CIC. In Boston stationiert. Er hat deinen Vorlesungsplan und wird das Telefon überwachen. Er weiß, was er sagen muß. Du bist auf ein langes Wochenende nach Smith gefahren.«

»Du denkst wirklich an alles.«

»Meistens schon.« Canfield hatte die Tür erreicht. »Vielleicht komme ich heute abend nicht zurück.«

»Wohin gehst du?«

»Ich habe zu tun. Es wäre mir lieber, wenn du nicht ausgehen würdest, aber wenn du es tust, dann denk an den Schrank. Schließ alles weg.« Er öffnete die Tür.

»Ich werde nirgends hingehen.«

»Gut. Und, Andy – dir steht eine ungeheuere Verantwortung bevor. Ich hoffe, wir haben dich so erzogen, daß du damit fertig wirst. Ich glaube, daß du es schaffen wirst.« Canfield schloß die Tür hinter sich.

Der junge Mann wußte, daß sein Stiefvater die falschen Worte gewählt hatte. Er hatte versucht, etwas anderes zu sagen. Der Junge starrte die Tür an und wußte plötzlich, was dieses andere war.

Matthew Canfield würde nicht zurückkehren.

Was hatte er gesagt? Im äußersten Notfall mußte Janet informiert werden. Seine Mutter mußte die Wahrheit erfahren. Und jetzt gab es niemand anderen, der sie ihr sagen konnte.

Andrew Scarlett sah die Aktentasche an, die auf dem Tisch lag.

Der Sohn und der Stiefvater würden nach Bern fahren, aber nur der Sohn würde zurückkehren.

Matthew Canfield würde in den Tod gehen.

 

Canfield schloß die Wohnungstür und lehnte sich gegen die Wand. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und das rhythmische Pochen in seiner Brust war so laut, daß er dachte, man könnte es in der Wohnung hören.

Er sah auf die Uhr. Er hatte weniger als eine Stunde gebraucht, und er war bemerkenswert ruhig geblieben. Jetzt erfüllte ihn der Wunsch, sich so weit wie möglich zu entfernen. Er wußte, daß er nach allem, was Mut, Moral oder Verantwortung forderten, bei dem Jungen bleiben sollte. Aber solche Forderungen konnte man jetzt nicht an ihn stellen. Eines nach dem anderen, sonst würde er den Verstand verlieren. Es galt, einen Punkt abzuhaken und sich dann den nächsten vorzunehmen.

Was war der nächste Punkt?

Morgen.

Der Kurier nach Lissabon mit den detaillierten Vorsichtsmaßregeln. Ein Fehler, und alles konnte explodieren. Der Kurier würde erst um sieben Uhr abends abreisen.

Er konnte die Nacht und den größten Teil des Tages mit Janet verbringen. Er redete sich ein, daß er das tun mußte. Wenn Andy zusammenbrach, würde er als erstes versuchen, seine Mutter zu erreichen. Weil er es nicht ertragen konnte, bei ihm zu bleiben, mußte er bei ihr sein.

Zum Teufel mit seinem Amt! Zur Hölle mit der Army! Zur Hölle mit der Regierung der Vereinigten Staaten!

Angesichts seiner bevorstehenden Abreise unterlag er einer vierundzwanzigstündigen freiwilligen Überwachung. Der Teufel sollte sie holen!

Sie erwarteten, daß er in der Nähe des Fernschreibers blieb und ihn in spätestens zehn Minuten erreichen konnte.

Nun, genau das würde er tun.

Er würde jede noch mögliche Minute zusammen mit Janet verbringen. Sie war dabei, ihr Haus an der Oyster Bay für den Winter zu schließen. Sie würden allein sein, vielleicht sogar das letzte Mal.

Achtzehn Jahre, und die Scharade näherte sich ihrem Ende.

Zum Glück für seinen Zustand kam der Aufzug schnell. Weil er es jetzt eilig hatte. Er wollte zu Janet.

Der Sergeant hielt ihm die Wagentür auf und salutierte, so zackig er konnte. Unter normalen Umständen hätte der Major

3.

Eine amerikanische Erfolgsstory

Am 24. August 1892 wurde die gesellschaftliche Welt von Chicago und von Evanston, Illinois, in ihren Grundfesten erschüttert, die allerdings nicht übermäßig fest waren. An diesem Tag nämlich heiratete Elizabeth Royce Wyckham, die siebenundzwanzigjährige Tochter des Industriellen Albert O. Wyckham, einen verarmten sizilianischen Einwanderer namens Giovanni Merighi Scarlatti.

Elizabeth Wyckham war ein hochgewachsenes, aristokratisches Mädchen, das für ihre Eltern eine beständige Quelle der Sorgen gewesen war. Um mit Albert O. Wyckham und seiner Frau zu sprechen, hatte die alternde Elizabeth jede goldene Heiratschance in den Wind geschlagen, die sich ein Mädchen in Chicago, Illinois, wünschen konnte. Ihre Antwort war stets dieselbe gewesen: »Narrengold, Papa!«

So hatten sie mit ihr eine große Reise durch den Kontinent gemacht und viel Geld in Hoffnungen investiert. Nach vier Monaten, in denen sie die besten Partien aus England, Frankreich und Deutschland inspiziert hatten, war ihre Antwort stets dieselbe gewesen: »Narrengold, Papa. Da würde ich schon eine Reihe von Liebhabern vorziehen!«

Ihr Vater hatte die Tochter schallend geohrfeigt.

Worauf’sie ihm ihrerseits einen Tritt gegen das Schienbein versetzt hatte.

Zum erstenmal sah Elizabeth ihren zukünftigen Ehemann bei einem jener Picknickausflüge, die man jährlich für verdienstvolle Mitarbeiter ihres Vaters und ihre Familien veranstaltete. Man hatte ihn ihr vorgestellt, so wie man vielleicht einen Leibeigenen der Tochter eines Barons hätte vorstellen können.

Er war ein hünenhaft wirkender Mann mit massiven und doch irgendwie zarten Händen und scharf geschnittenen italienischen Zügen. Das Englisch, das er sprach, war fast unverständlich. Aber anstatt seine gebrochene Rede mit peinlicher Unterwürfigkeit zu begleiten, strahlte er Selbstvertrauen aus und entschuldigte sich nicht. Elizabeth mochte ihn sofort. Obwohl der junge Scarlatti weder ein Büroangestellter war noch eine Familie besaß, hatte er die Direktoren von Wyckham mit seinen Kenntnissen in bezug auf Maschinen beeindruckt und sogar die Konstruktion einer Maschine vorgelegt, mit deren Hilfe man die Herstellungskosten einer Papierrolle um vielleicht sechzehn Prozent reduzieren würde. Man hatte ihn zu dem Picknick eingeladen.

Elizabeths Neugier auf den jungen Mann war bereits durch die Erzählungen ihres Vaters geweckt worden. Der Italiener verstand sich auf den Umgang mit Maschinen – absolut unglaublich. Er hatte in wenigen Wochen zwei Maschinen entdeckt, bei denen das Hinzufügen einiger weniger Hebel die Anwesenheit der jeweils zweiten Bedienungsperson überflüssig machte. Da es von jeder dieser Maschinen acht Exemplare gab, konnte die Wyckham-Gesellschaft sechzehn Männer entlassen, die offenbar keinen Wert mehr für sie hatten. Außerdem hatte Wyckham die Voraussicht besessen, einen Italiener der zweiten Generation aus Chicagos Klein-Italien einzustellen, der Giovanni Scarlatti durch die Fabrik begleiten mußte und als sein Dolmetscher auftrat. Der alte Wyckham war zwar von den acht Dollar pro Woche nicht erbaut, die er dem sprachkundigen Italiener bezahlte, rechtfertigte aber das Gehalt mit der Erwartung, daß Giovanni weitere Verbesserungen einführen würde. Hoffentlich würde er das tun. Wyckham zahlte ihm vierzehn Dollar in der Woche.

Einige Wochen nach dem Picknick verkündete Elizabeths Vater beim Abendbrot voll Schadenfreude, daß sein großer italienischer Einfaltspinsel sich die Erlaubnis erbeten hatte, sonntags in den Betrieb zu gehen. Nicht, weil er dafür zusätzliche Bezahlung erwartete, ganz gewiß nicht – einfach, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Natürlich hatte Wyckham mit seinem Wachmann entsprechende Vorkehrungen getroffen. Schließlich war es seine Christenpflicht, einen solchen Burschen zu beschäftigen und damit von all dem Wein und Bier fernzuhalten, nach dem Italiener süchtig waren.

Am zweiten Sonntag hatte Elizabeth einen Vorwand benutzt, um ihr elegantes Haus in der Vorstadt Evanston zu verlassen und nach Chicago und dort zur Fabrik fahren zu können. Dort fand sie Giovanni, freilich nicht im Maschinensaal, sondern in einem der Rechnungsbüros. Er schrieb emsig Zahlen aus einer Akte ab, die deutlich mit der Aufschrift >vertraulich< bezeichnet war. Die Schublade eines stählernen Aktenschrankes an der linken Bürowand stand offen. Aus dem kleinen Schloß hing immer noch ein langer, dünner Drahtfaden. Offensichtlich war das Schloß geschickt überlistet worden.

In diesem Augenblick, als sie in der Tür stand und ihm zusah, lächelte Elizabeth. Dieser große, schwarzhaarige italienische Einfaltspinsel war viel komplizierter, als ihr Vater dachte. Und dabei übersah sie keineswegs, daß er höchst attraktiv war.

Erschrocken blickte Giovanni auf. Im Bruchteil einer Sekunde veränderte sich seine Haltung, wurde abwehrend.

»Okay, Miß Lisbeth! Sagen Sie es Ihrem Papa! Ich will hier nicht mehr arbeiten!«

Und da bat Elizabeth liebevoll: »Holen Sie mir einen Stuhl, Mr. Scarlatti. Ich will Ihnen helfen – dann geht es schneller.« font-weight:bold;

Es ging tatsächlich schneller.

Die nächsten paar Wochen wurden damit verbracht, Giovanni mit den juristischen und sonstigen Gegebenheiten der amerikanischen Industrieorganisation vertraut zu machen. Nur mit den Fakten, ohne jede Theorie, denn Giovanni hatte seine eigene Philosophie. Dieses Land der grenzenlosen Chancen brachte nur den Leuten Glück, die eine Spur schneller waren als die anderen Opportunisten. Die Periode, in der sie lebten, war von einem ungeheuren wirtschaftlichen Wachstum geprägt, und Giovanni begriff, daß seine Position die eines Dieners sein würde, nicht die eines Mannes, dem man diente, sofern seine Maschinen ihm nicht die Möglichkeit verschafften, an jenem Wachstum teilzuhaben. Und er war ehrgeizig.

Giovanni ging mit Elizabeths Hilfe an die Arbeit. Er konstruierte ein Gerät, das Albert Wyckham und seine Direktoren für eine revolutionäre Presse hielten, die mit phänomenaler Geschwindigkeit Wellpappteile herstellen konnte, zu Kosten, die vielleicht dreißig Prozent unter denen des alten Verfahrens lagen. Wyckham war entzückt und erhöhte Giovannis Gehalt um zehn Dollar.