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In 'Das schwarze Weib: Historischer Roman' von Julius Wolff taucht der Leser ein in die düstere und faszinierende Welt des Mittelalters. Der Roman erzählt die Geschichte einer geheimnisvollen und rätselhaften Frau, die das Leben des jungen Ritters Heinrich von Nürnberg für immer verändert. Wolffs literarischer Stil zeichnet sich durch eine klare und präzise Sprache aus, die die Atmosphäre der damaligen Zeit perfekt einfängt. Der Autor verwebt geschickt historische Ereignisse mit fiktiven Elementen, was dem Leser einen fesselnden Einblick in das Leben im Mittelalter bietet. Durch die detaillierte Beschreibung der Charaktere und Schauplätze wird der Leser in eine Welt voller Intrigen, Leidenschaft und Verrat entführt.
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Wenn man der ungeheuren Bewegung gedenkt, die in den zwanziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts ganz Deutschland ergriff und in der Geschichte unseres Volkes nicht ihresgleichen hat, so reizt ihre gewaltige Erscheinung zu dem Wunsche, sich ihre Ursachen und dauernden Triebkräfte in Kürze klarzumachen.
Der Bauernkrieg war das blutige Ende jener großen Revolution. Was aber war ihr Anfang?
Luthers über alle Maßen kühnes Auftreten und seine völlige Lossagung von Rom war es nicht. Wohl aber gab seine Lehre und sein Walten und Wirken mit Wort und Tat dem in allen Schichten des Volkes bereits gärenden und sich kundgebenden Drängen nach einer anderen Gestaltung der politischen und sozialen Zustände einen neuen, mächtigen Anstoß und fügte dem bisher überwiegenden nationalen Gedanken das die Gemüter noch viel tiefer erregende religiöse Element hinzu.
Nacheinander erprobten erst die Fürsten, dann die Ritter und endlich die Bauern ihre Kraft, an dem zur Zeit Bestehenden zu rütteln und ihre staatsrechtliche Stellung oder ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die anderen beiden Stände, die Geistlichen und die Bürger, wurden nur widerwillig in Mitleidenschaft gezogen. Die wenigsten von ihnen beteiligten sich an dem kriegerischen Werke aus eigenem Antrieb, die bei weitem meisten wurden erst durch die Ereignisse dazu gezwungen. Freilich hatten beide, die Kleriker und die Städter, am wenigsten Ursache, eine Änderung ihrer Lebensverhältnisse zu wünschen. Doch fand der von Luther ausgestreute Same des Evangeliums gerade bei der deutschen Bürgerschaft den empfänglichsten Boden.
Die Fürsten strebten längst nach einer neuen Reichsverfassung, welche die Machtbefugnisse des Kaisers einschränken, die der Fürsten aber beträchtlich erweitern sollte.
Nur zu einem geringen Teile erreichten sie dies mit der Karl dem Fünften aufgedrungenen Wahlkapitulation. Man hatte von dem jungen Herrscher, der eine Macht und einen Reichtum mit auf den Thron brachte wie kein Kaiser vor ihm, viel erwartet. Er aber mit seinem kühlen Herzen und seinem nüchtern rechnenden Verstande war und blieb ein Fremdling im deutschen Volke, und so wenig er dessen Sprache verstand, so wenig oder noch weniger begriff er den nationalen Gedanken und vollends die religiöse Bewegung, die er beide hätte lenken und leiten können, wenn er der Mann dazu gewesen wäre.
Die Ritter erstrebten andere Ziele. Sie gönnten dem Kaiser alle Machtvollkommenheit, wollten aber von den Reichsfürsten unabhängiger sein als sie waren. Sie begehrten nach der vollen Adelsfreiheit alter, längst verklungener Zeiten und wollten sich der weltlichen und geistlichen Territorialherrschaft entledigen.
An ihrer Spitze stand Franz von Sickingen, der mächtige Baron mit dem lebendigen, offenen Sinn für großartige Ideen, und ihm zur Seite mit Schwert und Feder sein kühner Freund Ulrich von Hutten, der poeta laureatus. Aber ihre Macht war zur Erreichung ihrer Zwecke nicht groß genug. Mit manchen anderen fielen auch sämtliche siebenundzwanzig Burgen Sickingens in die Hände der Fürsten. Er selber sank nach heißen Kämpfen und tapferm Widerstande auf seiner Burg Landstuhl, zu Tode getroffen, dahin; Hutten starb im Elend, und so wurde auch der Versuch der Ritterschaft, eine neue Ordnung der Verhältnisse im deutschen Reiche herbeizuführen, zu Boden geschlagen.
Wie die Fürsten gegen den Kaiser und die Ritter gegen die Fürsten, so erhoben sich nun die Bauern gegen ihre Unterdrücker, die Ritter, um ein schier unerträgliches Joch von sich abzuschütteln und sich wieder des Daseins zu freuen, das ihnen jetzt durch grausame Knechtung, harte Fronen und unerschwingliche Abgaben verbittert und verkümmert wurde.
Wie sah die Zeit aus, der Hutten zurief: »O Jahrhundert! es ist eine Lust zu leben!«?
Die Künste entfalteten in Italien und Germanien eine bis dahin unerreichte Meisterschaft und prangten in herrlichster Vollendung. Die ihnen verwandten Handwerke folgten ihnen nach und bereiteten den alten Schönheitsformen des klassischen Hellenentums und der glorreichsten Römerzeit eine Herz und Sinn befreiende und erquickende Wiedergeburt. Die Wissenschaft schlug mit dem Humanismus trotz im Finsteren nebenher schleichendem Teufel-, Hexen- und anderem Aberglauben neue Bahnen ein, und auf allen Gebieten menschlichen Forschens und Erkennens erwachten und regten sich die Geister. Ja, es war eine Lust zu leben für den freien Mann, der nicht mit Not und Drangsal zu kämpfen hatte.
Hochauf blühte der Handel. Und das ward das Unglück der Bauern. Aus der kürzlich entdeckten neuen Welt strömten unermeßliche Schätze auch in die deutschen Lande. Mit dem schnell wachsenden Reichtum aber stieg auch der Luxus in der Lebensführung der vornehmen Stadtgeschlechter, sich in immer weitere Kreise ausdehnend, zu einer ganz erstaunlichen Höhe. Die Fugger, die Welser und andere große Handelsherren gewöhnten sich an eine mehr als fürstliche Pracht und brachten damit das Geld auch unter die Leute, ihre Mitbürger, die ihnen mit ihrer Arbeit und Kunstfertigkeit zu dieser Pracht verhelfen mußten.
Kamen nun die Ritter aus ihren engen, bescheiden eingerichteten Burgen in die reich geschmückten Häuser und zu den üppigen Gastmählern der Patrizier oder zu den städtischen Festlichkeiten im Rathause, so verdroß sie der dort sich breit machende Glanz und Prunk, den sie den Pfeffersäcken nicht gönnten, und die Ritterfrauen blickten mit Neid auf die kostbaren Gewänder und blitzenden Geschmeide der stolzen Kaufmannsfrauen.
Begreiflicherweise trachteten die Ritter danach, es den Bürgern mindestens gleichzutun, und weil ihnen die Mittel dazu fehlten, suchten sie sich diese auf jede Weise zu verschaffen. Da ihnen aber der ewige Landfriede des Kaisers Maximilian das Plündern der Städte und der Städter verbot, setzten sie den Bauern den Fuß auf den Nacken, preßten sie unbarmherzig aus und trieben sie dadurch in Jammer und Elend.
Die Bücher der Geschichte, die Chroniken, Prozeßakten, Urgichten haben haarsträubende Dinge zutage gefördert, in welcher schaudererregenden Weise die Bauern von ihren Herren gedemütigt und getreten wurden, wie ihnen gegen alles Herkommen widerrechtlich und planmäßig unter dem ungeheuren, sich fort und fort steigernden Drucke von Abgaben jeglicher Art, Zehnten, Fronen und Lasten Mark und Blut ausgesogen wurden. Recht fand der Arme nirgend im deutschen Reiche; das alte, volkstümliche war längst verloren gegangen, und auf die Schlangenwindungen des römischen verstand sich der Bauer nicht; darum haßte er die Rechtsverdreher, die doctores juris von ganzem Herzen.
Da, in der höchsten Not und Angst der Verzweiflung erhob sich der gemeine Mann endlich und griff zur ersten besten Waffe, die ihm zur Hand war, um sich seiner Bedrücker zu erwehren und sich vor dem Verhungern zu bewahren.
Und nun kam Martin Luther, vollbrachte die größte Tat seines Lebens mit seiner deutschen Bibelübersetzung und gab damit, nach der Meinung der in ihren Rechten Verkürzten, dem allgemeinen Aufstande Brief und Siegel von oben. Im Christentum liegt ein sozialistischer Zug, denn es lehrt: alle Menschen sind vor Gott gleich. Der Arme, der Mühselige und Beladene legte und legt sich heute noch dieses Wort aus als einen ihm durch göttliche Offenbarung verbürgten Anspruch auf Gleichberechtigung zu allen Ehren und Genüssen des Lebens, während der, aus dessen Munde kommend uns dieses bedeutsame Wort überliefert ist, es doch nur auf das geistige und sittliche Gebiet angewandt wissen wollte, denn er fügte an anderen Orten hinzu: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, und jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott. Und vom Christentum haben sich die Bauern niemals abgewandt. Sie haben sich auf ihren Streifzügen, bei ihren wüsten Plünderungen und Mordbrennereien zu den größten Ziellosigkeiten hinreißen lassen, aber niemals zur Gottlosigkeit. Am Glauben und am christlichen Bekenntnis hielten sie fest und nannten ihre weitverzweigte Verschwörung den »evangelischen Bund« und ihre Streitkräfte das »evangelische Heer«.
Luther aber, ein Feind aller Ausschreitungen und Auflehnungen, rechtfertigte die auf ihn gesetzten Hoffnungen der mit ihrem Lose Unzufriedenen, daß er ihr Anwalt und Führer in dem Kampfe werde, nicht. Er sagte den Bauern ebenso streng und derb seine Meinung, wie er sie unerschrocken den Fürsten und dem Adel deutscher Nation gesagt hatte, und wies sie mit ihren Forderungen ab. Was wäre wohl geschehen, wenn er sich mit der vollen Wucht seiner ganzen Persönlichkeit an die Spitze der mächtig aufflammenden Bewegung gestellt hätte?
Seit langen Jahren schon war sie im stillen vorbereitet, wurden ihr heimlich Anhänger geworben. Verkleidete Sendlinge, nur den schon Eingeweihten kenntlich, durchzogen das Land, verteilten Flugschriften, wühlten und hetzten zum Aufstande. Und endlich im Frühjahr 1525 brach der Sturm los.
In allen Gauen Süddeutschlands rotteten sich die Bauern zusammen, setzten sich Führer, ließen ihr Fähnlein fliegen, stürmten Schlösser und plünderten Klöster. Aus den vielen Tausenden aber, die siegvertrauend in den Kampf um die Freiheit hinein und geschlagen, gefallen, gerichtet in ihm zugrunde gingen, ragt manch ein schlichter Held hervor, dem die Geschichte den ehrenden Nachruf versagt, dem keine Hand den verdienten Lorbeer auf das zerschmetterte Haupt gedrückt hat.
Solch einem Helden, einer Heldin – denn es ist ein weibliches Wesen – sind diese Blätter gewidmet, die nicht den Gang und die Ereignisse des ganzen Krieges, sondern nur das Leben und die Schicksale der wenig bekannten Freiheitskämpferin zur Darstellung bringen sollen.
In der Dämmerung eines dunstigen, naßkalten Frühjahrsabends geschah es, daß sich an schicklich ausgewähltem Orte zahlreiche Scharen von Bauern zu einer allgemeinen, aus weitem Umkreis einberufenen Versammlung einfanden. Von Dorf zu Dorf, von Hütte zu Hütte war es durch Landfahrer und Aufbieter heimlich bestellt, geraunt und geflüstert oder durch Zierholdgeschrei verkündet worden: am Sonntag Lätare stellt euch ein im Schüpfergrund mit Wehr und Waffen! es soll losgehen, und keiner fehle, der gut bäuerisch ist! Da waren sie gekommen zu Tausenden, aus den Dörfern des Odenwaldes, des Neckartales und des Taubertales und lagerten oder standen umher auf den breiten Wiesen des Schüpfergrundes am östlichen Rande des Odenwaldes, wo Pfalzgräfliches, Kurmainzisches, Württembergisches, Deutschherrisches und andere, kleinere Herrschaftsgebiete zusammenstießen, und warteten der Losung, die ihnen die Aufrührer und Führer hier geben wollten.
In Landsmannschaften und einzelnen Dorfschaften hielten sie sich zusammen, die Nachbarn begrüßend mit stummem Nicken oder derbem Handschlag wie mit ungesprochenem Schwur, der eine Verwünschungen, der andere einen Seufzer tiefster Beschwernis auf den blutlosen Lippen.
Ihre Kleidung war so bunt gemischt wie die Gestalten selber aus allen Altersstufen vom bartlosen jungen Burschen bis zum fast gebrechlichen Greise. Dünne, zerfetzte Bauernkittel trugen sie, geflickte Lodenwämser mit verschossenen Zattelkragen, manche wohl ein speckglänzendes Lederkoller, einzelne sogar einen beuligen Küraß. Nicht alle waren mit plumpen Nagelschuhen versehen, die mit Riemen um Knöchel und Bein gebunden waren und daher Bundschuhe hießen, viele waren barfuß gekommen, weil sie kein Schuhzeug mehr hatten. Zwischen all den lappigen grauen Filzhüten und verwitterten Gogeln blinkte hier und da eine eiserne Sturmhaube. Die Waffen waren meistens kurze Spieße, verrostete Schwerter und lange Messer, auch alte Morgensterne, Heugabeln und Dreschflegel, doch fehlte es auch nicht an Schießgewehren, mit denen ihre Besitzer wohl umzugehen verstanden.
Ihre Gesichtszüge waren teils wettergebräunt, teils bleich und abgezehrt von Hunger und Elend. Die einen zeigten eine finstere Entschlossenheit, die anderen eine verzweifelte Ratlosigkeit oder ein dumpfes, stumpfes Vorsichhinstarren, gleichgültig gegen Leben und Sterben. Manche trugen ein Brandmal auf der Stirn, auf Befehl eines Ritters ihnen aufgedrückt, weil sie sich eines Frondienstes geweigert hatten. Etliche waren verstümmelt. Diesem fehlte ein Ohr, jenem eine Hand, auf Befehl eines Ritters ihm abgehauen, weil er ein Wild getötet hatte, das ihm sein Stückchen Ackerland verwüstete. Andere hatten nur noch ein Auge, denn das zweite war ihnen wegen irgendeines Vergehens gegen die Gebote ihrer Herrschaft ausgestochen worden. Und das alles war ohne Richterspruch und Urteil geschehen, nur aus eigener, willkürlicher Gewalt ihrer Zwingherren, die mit so grausamen Strafen von jedem Ungehorsam abschrecken wollten.
Aus den nächsten Ortschaften waren auch Frauen mitgekommen, von Neugier getrieben, was die Männer hier beschließen würden. Einige von ihnen trugen ein blasses Kind auf dem Arm, in Lumpen gehüllt, manches weinend oder hüstelnd, andere fröstelnd und stumm mit großen, tiefliegenden Augen verwundert um sich schauend.
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen; von den Wiesen stiegen Nebel auf, an den Ästen der Bäume am Waldessaum, an denen schon die Blattknospen schwollen, hingen Tropfen, und an den Stämmen sickerte Feuchtigkeit nieder.
Hie und da hatte man ein Feuer angezündet, dessen Glut sich bald mit gedämpftem, bald wieder hoch aufsteigendem Schein im Nebel spiegelte. Um diese Feuer standen die Bauern dicht gedrängt zu Haufen herum, erzählten sich ihre Erlebnisse und sprachen von ihrer Not. Einer klagte, daß man ihnen nimmer Rast und Ruhe gönnte. Am Feiertage mitten in der Ernte müßten sie für ihre Gräfin Schneckenhäuslein suchen, Garn darauf zu wickeln, und Erdbeeren und Schlehen sammeln. Bei gutem Wetter müßten sie für ihre Herren scharwerken mit Spann- und Frondiensten, nur die Tage des Unwetters ließe man ihnen, und das Gejaid und die Hunde liefen ihnen durch die Saaten ohne einige Achtung des angerichteten Schadens. Ein anderer vermeldete, daß Graf Helfenstein auf Weinsberg ein Bäuerlein hätte greifen und ihm den Kopf abschlagen lassen, weil der Arme sich in einem Bache ein paar Krebse gefangen hatte. Schreie des Unwillens und der Entrüstung wurden laut über die Grausamkeit des verhaßten Grafen, von dem nun noch andere, fast ebenso entsetzliche Geschichten im Kreise hier erzählt wurden. »Wißt ihr denn,« sprach darauf ein Bauer, »was geschehen ist, als die Ritter das Dorf Thayingen verbrannten und alles, was ihnen begegnete, niederstachen? Dreißig Bauern verschanzten sich in der Kirche, aber die Ritter legten Feuer an, daß die dadrinnen erstickten. Ein Bauer, sein Kind auf dem Arm, flüchtete sich auf den Turm, und als die Flammen auch da hinaufschlugen, warf er sich vom Kranze hinab mit seinem Kinde. Die Ritter streckten ihm ihre Speere entgegen und spießten den Bauer im Sturze; das Kind aber kam ohne Schaden davon.«
So ging das von Mund zu Mund. Der eine wußte immer noch Schlimmeres zu berichten als der andere, und wie die Nebel von den Wiesen, so stiegen Grimm und Erbitterung in den Gemütern derer empor, die sich hier die Zeit des Wartens in so grauenhafter Weise vertrieben.
Nahe dem Walde erhob sich ein Hügel; da brannte das größte Feuer, und daneben war eine Stange in den Boden gepflanzt, auf deren Spitze ein Bundschuh steckte, das Wahrzeichen des evangelischen Bundes. Das war die Stelle, von der die Redner zu dem versammelten Volke sprechen sollten.
Aber nicht nur Wort und Weisung der Führer und Hauptleute verlangte man zu hören, man erwartete auch einen Prädikanten und seine Feldpredigt hier unter Gottes freiem Himmel. Viele von den Anwesenden waren der Meinung, Thomas Münzer, der große Apostel und Verteidiger der unterdrückten Menschenrechte, der Mann mit der Feuerzunge, das Schwert Gideons, wie er sich nannte, würde selber kommen, um ihnen das Evangelium der Freiheit und Gleichheit zu verkünden und ihnen, wie er es anderswo getan hatte, mit flammender Begeisterung zurufen: »Lasset euer Schwert nicht kalt werden vom Blut, schmiedet Pinkepank auf dem Amboß Nimrod, werft den Turm zu Boden, weil ihr Tag habt!« Aber der Prophet ließ lange auf sich warten, die Bauern fingen an ungeduldig zu werden, weil ihnen noch immer niemand sagte, was geschehen sollte, und gar mancher dachte schon daran, wie er mit Fug von dannen käme.
Einer der Führer und zwar der, der den größten Haufen zur Stelle gebracht hatte, war Georg Metzler, ein Gastwirt aus dem Städtchen Ballenberg in der Nähe von Krautheim an der Jaxt. Er war ein Mann von vierschrötigem Körperbau und rücksichtslosem Auftreten, hatte in Saus und Braus gelebt, besaß aber im ganzen Odenwald gute Bekanntschaft und genoß viel Vertrauen. In seinem Wirtshause waren schon öfter Bauernversammlungen abgehalten worden, und auch der geistige Leiter der Verschwörung, Wendel Hippler, hatte sich manchmal mit den in seine Pläne am tiefsten Eingeweihten zu geheimer Beratung bei ihm eingefunden. Ihm ordneten sich daher die anderen Führer hier willig unter und wählten ihn zum obersten Hauptmann. Aber auch er geriet durch das Ausbleiben des Prädikanten den Bauern gegenüber in Verlegenheit, denn er selber war weit mehr ein Mann der Tat als des Wortes. Ging die Versammlung hier ratlos und beschlußlos auseinander, so wurde dem Aufstande ein schwer wieder gutzumachender Schaden zugefügt. Der Prädikant sollte ja den bewaffneten Tausenden hier keine Verhaltungsmaßregeln vorschreiben, ihnen keinen Kriegsplan entwickeln, er sollte sie durch seine Rede nur zum Handeln begeistern und aufstacheln; dann, einmal in Feuer und Flammen gebracht, ließen sie sich leicht lenken und bewegen, wohin Georg Metzler sie haben wollte.
Er harrte und hoffte noch auf einen anderen, einen jüngeren Gesinnungsgenossen, der sein Erscheinen bestimmt zugesagt, freilich auch den weitesten Weg hatte. Vielleicht brachte der den Prädikanten, den wortgewandten Priester Veltelin von Massenbach, mit, dessen Predigt den kriegerischen Beschlüssen und Befehlen Metzlers vorausgehen sollte.
Aber den Bauern ward allmählich Zeit und Weile lang, der Mißmut unter ihnen griff immer weiter um sich. Sie wollten sich nicht narren lassen, murrten sie.
»Was meinst du, Melchior?« sprach ein Ohrenbacher zum anderen, »die Hohenloheschen wollen abziehen; laß uns mitgehen und einen Unterschlupf suchen für die Nacht! ich halt' es nimmer aus hier. Daheim ist des Schindens und Schabens kein Ende, und hier stehen und stehen und warten, auf was? Von der Nässe faulen einem die paar Lumpen am Leibe; komm, laß uns fort!«
»Nein, Hans, wir bleiben,« erwiderte der Angeredete. »Wir haben den Brüdern Verspruch und Gelübde getan, und Jörg Metzler wird schon wissen, was er mit uns vorhat. Nur Geduld! er wartet noch auf Zuzug, und die Hohenloheschen wird man auch nicht fortlassen.«
»Bei Sankt Velten, ich kann den Zorn nicht verdrucken! wozu haben sie uns herbestellt?« grollte der andere und stieß seinen Speer ärgerlich in den feuchten Boden hinein.
Auf dem einen Flügel des Lagers, nach Unterschüpf zu, ward es immer lauter. Man schien dort zu streiten und zu unterhandeln zwischen den Haufen der einzelnen Landsmannschaften. Die einen wollten fort, die anderen suchten sie zum Bleiben zu bereden, und die Führer hatten Mühe, die Mißvergnügten zu beschwichtigen. Dies schien auch zu gelingen, denn es ward wieder ruhiger dort, kein Schimpfen und Schreien ward mehr laut, sondern nur das dumpfe Brausen einer großen, mehr oder minder erregten Volksmenge hallte in der breiten, flachen Talmulde der von Wald umsäumten Wiesen.
Eine desto geräuschvollere Bewegung entstand mit einemmal auf der entgegengesetzten Seite, nach Eppingen zu. Es ließ sich in der Mitte des Lagers, wo Metzler mit anderen Anführern stand, nicht unterscheiden, ob es Unwillen und Zank oder laute Freude war, was sich plötzlich dort kundgab. Aus dem allgemeinen Lärm wurden jetzt einzelne Rufe vernehmbar, die sich gegenseitig zu beantworten schienen, bald näher, bald ferner, als wenn neue Ankömmlinge dem Lager zuströmten.
Georg Metzler schuf sich Raum durch das Gedränge und eilte dorthin, wo der Tumult, statt sich zu legen, noch zu wachsen schien. Da kam ihm raschen Schrittes ein junger, kräftiger Mann entgegen, mit einem wild trotzigen Ausdruck in den grobgeschnittenen Zügen, aber gut gekleidet und gut bewehrt, der ihm die Hand hinstreckte und ihm lebhaft zurief: »Da bin ich, Jörg! konnte nicht früher eintreffen, denn meine Lieben alle wollten in Osterburken erst einmal trinken, und ehe die Fässer nicht leer waren, die sie erwischt hatten, kriegt' ich sie nicht von der Stelle. Jetzt hat die Feuchtigkeit von außen die innere niedergeschlagen; sie sind beinahe ganz nüchtern wieder.«
»Muß denn immer erst gesoffen sein, auch wenn es gilt, der Losung zu folgen?« sagte Metzler halb zornig, halb erfreut über die endliche Ankunft des längst Erwarteten. »Bringst du den Veltelin mit?«
»Nein! der Teufel mag wissen, wo er steckt! vermutlich in Würzburg.«
»Da schlag' ein Donnerwetter drein!«
»Nun, wir werden auch ohne ihn fertig. Hast du die Artikel verlesen lassen?«
»Nein! ist auch nicht nötig, sie kennen sie alle.«
»Hättest es immerhin tun können; es steckt eine Kraft darin, die mehr eint und bindet als alles Prädikantengewäsch.«
Der so mit Metzler sprach, war Jäcklein Rohrbach, ein Weinwirt aus dem Dorfe Böckingen bei Heilbronn, der sich im Neckartal eines weit verbreiteten Rufes erfreute, denn er war ein gescheiter, anschlägiger Kopf, vor keinem Wagnis zurückschreckend und wegen mancher bösen Händel berüchtigt. Er hatte im ganzen Neckartale Mahnbriefe ausgeschrieben, alle, die eine Waffe tragen könnten, sollten ohne Verzug zu ihm stoßen und ihm helfen, das Evangelium zu handhaben. Sonst würde er kommen und sie mit Gewalt holen und ihnen alles nehmen und verbrennen, was sie hätten. Da waren sie zu Hunderten ihm zugeströmt, und er brachte einen großen Haufen Bauern und verdorbener Leute mit, die er gut im Zügel hatte, weil er ihnen manchmal alle Freiheit ließ, wenn sie plündern oder schlemmen und demmen wollten, die er aber auch straff zusammenzuhalten wußte, wenn es ihm darauf ankam, denn sie kannten den Gewalttätigen, Jähzornigen und fürchteten ihn. Auch mit Barmitteln war er reichlich versehen, denn er hatte sich von den Stiftsherren zu Wimpfen seinen Besuch bei ihnen mit schwerem Gelde abkaufen lassen.
»Kommst eben recht,« sagte Metzler, »sie wollen auseinander, wollen auf und davon, des Wartens überdrüssig.«
»Oho! das fehlte gerade!« rief Jäcklein, »laß die Artikel verlesen! bist doch der Hauptmann hier?«
»Sie haben mich gewählt,« erwiderte Metzler, »wenn du einverstanden bist.«
»Wie sollt' ich nicht? Du bist der ältere; brauche dein Ansehen, daß sie bleiben!«
»Sprich du zu ihnen, Jäcklein! Dort, wo der Bundschuh steckt neben dem Feuer, ist die Stelle zum Reden.«
»Reden, reden! ich mache nicht gern viel Worte; aber eines wüßt' ich, das sie bannen würde. Welches ist die nächste Ritterburg von hier?«
»Die nächste Ritterburg? – der Boxberg, das feste Schloß der Junker von Rosenberg, ganz nahe hierbei,« sagte Metzler.
»Das ist zu fest für uns, das kriegen wir nicht ohne Karthaunen.«
»Nun, dann Giebelstadt.«
»Giebelstadt?« sprach Jäcklein, »richtig, Giebelstadt! und da sitzt ja –« doch ehe er weiterreden konnte, fühlte er sich am Ärmel gezupft, und als er sich umwandte, stand hinter ihm in der tiefen Dämmerung eine dunkle, gänzlich verhüllte Gestalt.
»Laß mich zu ihnen reden!« kam es erregt von bebenden Lippen.
»Judika, du!?« sprach Jäcklein verwundert.
»Ja, ich! ich halte sie, – verlaß dich drauf!« entgegnete die Vermummte, und ein durchdringender Blick flammte unter der Kaputze ihres Mantels hervor, die sie über den Kopf gezogen hatte.
»Was meinst du, Jörg?« fragte Jäcklein, »was Dummes sagt sie nicht, dafür steh' ich dir ein.«
»Weiberzungen!« brummte Metzler nach einem forschenden Blick auf die geheimnisvolle Erscheinung, »aber meinetwegen, wenn sie ihrer Sache so sicher ist.«
»Komm!« sprach Jäcklein und schritt voran, dem Hügel zu, sich Bahn brechend und beiseite schiebend und stoßend, wer ihm im Wege stand. Die Bauern murrten über diese Behandlung, die sie wohl von ihren Herren, aber nicht von ihresgleichen gewohnt waren, doch der ungestüm vorwärts Drängende achtete der Äußerungen ihres Unwillens nicht.
Die tief Verhüllte folgte ihrem Führer und Beschützer auf dem Fuße, und bald standen die beiden, allem Volke sichtbar, auf der Kuppe des Hügels. Die sie dort erblickten, glaubten, der im Mantel und Kapuze wäre ein Prädikant in langem, geistlichem Gewande und der kriegerisch Gekleidete neben ihm einer der Führer, der dem Sprecher zum Worte verhelfen wollte.
Jäcklein Rohrbach zog das Schwert, hielt es hoch empor, daß es im Widerschein des Feuers blinkte, und gebot der tausendköpfigen Versammlung Ruhe für den Redner. Das laute Stimmengewirr ward gedämpfter, alles drängte näher an den Hügel heran, um besser hören zu können, und dann ward es ringsum still. Jäcklein trat zurück in den Schatten.
Der vermeintliche Prädikant begann mit kräftiger, klangvoller Stimme: »Bauern, Brüder und Freunde!«
Die Bauern stutzten, – was ist das? ist das eines Mannes Stimme? Einer rief: »Wer spricht zu uns? Mann oder Weib?«
Mit einem schnellen Ruck warf der auf dem Hügel die Kapuze vom Haupte. Ein bleiches, edelgeformtes, von üppigem, kohlschwarzem Haar umwalltes Frauenantlitz zeigte sich, vom Feuer beleuchtet, auf der hochgewachsenen Gestalt, und die Nächststehenden erkannten auch den strengen, stolzen Blick der großen, dunklen Augen, die von schwarzen Brauen überschattet waren. Mutig, fast herausfordernd klang auch die Antwort auf die Frage, ob Mann oder Weib: »Ein Weib spricht zu euch, weil unter euch allen kein einziger Mann ist, der des Wortes begehrt hat oder seiner mächtig ist. Wollt ihr mich hören?«
»Nein! nein! ja! nein! was da! Weiber haben hier nicht mitzureden! Warum nicht? laßt sie reden! nein! herunter vom Platze! wo ist der Prädikant? Ruhe!« So schrie alles wild und wüst durcheinander, während die Umstrittene regungslos auf das Toben hinabsah.
Jäcklein Rohrbach trat wiederum vor, packte die aufgepflanzte Stange und rüttelte daran, daß der Bundschuh oben an ihrer Spitze herumwirbelte, und rief: »Ruhe verlange ich bei diesem Zeichen hier!«
Auch auf die, denen die Worte bei dem allgemeinen Lärm nicht verständlich geworden waren, machte das Schwenken des Bundessymbols Eindruck, so daß sich das Tosen legte und Jäcklein nun fortfahren konnte: »Die hier neben mir steht, ist die Jungfrau Judika Hofmännin aus Böckingen, sie spricht zu euch im Namen und im Auftrag eurer Hauptleute. Darum schweigt und hört, was sie euch zu sagen hat!« Tiefe Stille ward, und Jäcklein trat wieder zurück.
»Brüder!« fing nun Judika von neuem an, »wißt ihr denn nicht, was uns vor allen Dingen am meisten Not tut? – Eintracht! Einigkeit! Wenn der eine ja sagt und der andere nein, wenn der eine bleiben und der andere abziehen will, wo es gilt, fest zusammzuhalten wie ein Sack voll verrosteter und verbogener Nägel, – ja dann ist unsere Sache von vornherein eine verlorene, dann könnt ihr zu Hause bleiben und euch weiterschinden und weiterducken, wie ihr es bisher getan habt. Ihr seid Tausende hier, aber ihr müßt ein Ohr sein, das rechte Wort zu hören, ein Mund, das rechte Wort zu sprechen, ein Wille, ein Geist muß in euch leben und weben. Ihr habt vorher gemurrt, habt gefragt, wozu ihr herbestellt wäret, was ihr hier solltet. Ja, ich frage euch: was wollt ihr? was verlangt ihr?«
Sie machte eine Pause, als wartete sie auf Antwort, und durch die atemlose Stille drangen aus der Menge zwei vereinzelte Rufe: »Brot! – Freiheit!« Und – Brot! Freiheit! kam es im Widerhall von der Berglehne zurück, daß es fast schauerlich klang.
»Freiheit wollt ihr?« sprach Judika weiter, »ja, schafft sie euch doch! glaubt ihr, daß ihr sie geschenkt kriegt oder euch kaufen könnt? womit denn? Habt ihr noch irgend etwas, womit ihr außer den Gülten und Beden noch etwas zahlen könntet? Nehmen sie euch denn nicht alles, alles, was ihr mit saurem Schweiß und blutender Hand erringt? Sie nehmen euch den Zehnten und mehr als den Zehnten von der kümmerlichen Frucht eures Ackers, das beste Gewand beim Todfall, das letzte Stück Vieh aus dem Stalle, sie nehmen euch das Mark aus euren Knochen für die Frondienste, die ihr euren Unterdrückern leisten müßt, sie nehmen euch die Zeit, in der ihr für euch selber schaffen könntet, wenn ihr nicht für eure Tyrannen roboten müßtet, ja, sie nehmen euch die rechte Hand zum Arbeiten, weil ihr euch erfrechtet, euer gutes Recht zu schützen, euer altes Herkommen zu wahren. Das Auge im Kopfe ist nicht sicher vor dem glühenden Eisen, und von Sonnenaufgang bis Untergang tönt es euch fort und fort ins Ohr: gib! gib! O es ist erbärmlich, davon zu reden! Was ist euch denn geblieben, um die Freiheit zu erlangen, die ihr begehrt? Nichts, als die harte, schwielige Bauernfaust und Schwert und Spieß und was ihr sonst noch an Waffen habt oder euch nehmt, wo ihr sie findet. Also braucht die Kraft, die in euch liegt, wenn ihr einig seid und zu Hunderttausenden aufsteht, alle für einen, einer für alle! Ihr müßt reine Bahn machen mit Gewalt, müßt draufgehen mit Knütteln und Keulen und den Junkern solche Ritterschläge geben, daß sie davon zu Tod geschlagen werden; es muß Menschenblut fließen wie Wasser auf der Erde; nur das ist eure Rettung, die letzte, die einzige!« –
Jauchzender Zuruf stieg von unten tausendstimmig zu ihr empor. »Gottes Fleisch! sie hat recht; nieder mit den Schelmen und Bösewichtern! wir müssen Köpfe haben!« Und dann wieder: »Ruhe! Ruhe! weiter, weiter, Hofmännin!«
»Gott hat es mir im Schlafe gegeben, was ich euch zu sagen habe, und es steckt mir im Herzen,« fuhr Judika fort. »Ihr seid ein arm, erschrocken, ganz zaghaft, einfältig Volk; wo wollt ihr euer Recht finden, wenn ihr es euch nicht selber nehmt? Bei den doctores juris? o die drehen euch aus jedem Wort eine Schlinge um den Hals, daß wahrlich das Lachen darum teuer ist. Nichts als bestochene Richter seht ihr auf den Stühlen sitzen, denn es ist heutzutage kein Amt so klein, daß es nicht hängenswert wäre. Nein, Brüder, ihr müßt euch selber helfen, müßt euch mit handgebender Treue geloben, einander männiglich beizustehen bei euren Briefen und Rechten und dem alten Herkommen, und wenn die Glocken gehen, so soll ein Nachbar dem anderen klopfen und mit ihm ausziehen zu bequemer Malstatt, und wenn die Dörfer so leer würden, daß nur die Goggelhahnen darin blieben, den Tag anzukrähen. Wer aber nicht mittun und helfen will, daß die Gerechtigkeit einen Fürgang gewinne, den müßt ihr einen Pfahl vors Haus setzen oder einen Galgen ankreiden und ihn brandmarken vor aller Welt. Denn was wollt ihr denn? nichts denn die Gerechtigkeit Gottes! Und wo findet ihr die? wie sind die Gaben verteilt auf Erden, die doch allen Kindern Gottes gemeinsam sein sollen? Wie leben die Ritter und Pfaffen? und wie lebt ihr? Seht sie euch an! Scharlachwämser tragen sie oder seidne, mit silbernen Knöpfen besät und mit dicken Straußenfedern am zottlichen Hut. An brechenden Tafeln schmausen und schwelgen sie Tag für Tag in Üppigkeit und Überfluß und nehmen's hin ohne Dank und Segen, als wenn's so sein müßte. Und ihr? Nicht einmal euer eigen Brot essen dürft ihr, während jene vom Schweiße der Armen sich mästen. Ihr seid preisgegeben gleich den Feldgänsen, zu denen man des Jahres zweimal ein gutes Ansehen hat: einmal am Sankt Johannistag, wo man sie soll bis auf die Haut berupfen, und einmal am Sankt Martinstag, wo man sie gar soll braten; dazwischen wagt man sie auf die Weide zu den Füchsen und Wölfen. Ihr aber werdet von euren Peinigern tagtäglich berupft, so lange es an euch noch was zu rupfen gibt.
Denkt an eure Frauen daheim! was ist ihr Schicksal? Ein noch traurigeres als das eure. Sie haben nicht Zeit, für ihr bißchen Häuslichkeit zu sorgen, die Kinder zu pflegen und dem Manne, wenn er abends todmüde heimkommt, im reinlichen Stübchen und am Herde, dem noch so bescheidenen, dürftigen Herde eine wohlige Stätte der Ruhe und des Friedens zu bereiten. Denn sie müssen sich gleich euch mit schwerer Arbeit plagen und werden zu Diensten entwürdigt, die nicht ihres Amtes sind und über ihre Kräfte gehen. Das bohrt sich tiefer und schmerzlicher in das Gemüt der Frauen als in das der Männer, die ihr zum Schaffen und Erwerben geboren seid und euren Groll austoben könnt, wäre es auch nur mit dem fühllosen Werkzeug, mit dem ihr für eure Herren ackern und roden, säen und ernten müßt. Die Frau duldet und schweigt, wenn sie nicht weint, und geht vor euren Augen zugrunde an körperlicher und seelischer Qual. O daß sie nicht schweigen wollten, eure Frauen, sondern euch Tag und Nacht aufwiegeln, das Joch abzuschütteln, und euch bohren und stacheln und hetzen wie ich!
Seht euch eure Kinder an! verwahrlost, verkümmert und verhungert sind sie, und ein noch schlimmeres Los steht ihnen bevor, als ihr jetzt zu tragen habt, wenn ein schlimmeres überhaupt noch denkbar ist. Das ist das einzige Erbe, das ihr ihnen hinterlaßt. O es ist ein Jammer, kläglich zu beweinen, daß sich ein frommer Heid', geschweige denn ein Christenmensch, in sein Herz hinein schämt. Da müßt ihr einmal dreinstoßen, mein' ich, sterben muß alles, was nach einem Rittersporn schmeckt, und ihr braucht euch darum kein Absoluz vom Ablaßkrämer zu kaufen. Nehmt den Spieß auf die Achsel und laßt die Bundesfahne fliegen, – nichts denn die Gerechtigkeit Gottes!«
»Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes! die Hellebard in die Rippen! es muß Köpfe regnen! nichts denn die Gerechtigkeit Gottes!« so brüllten die Massen und schwenkten die Hüte und rasselten mit Schwertern und Spießen. »Weiter, weiter, Hofmännin! Du sagst uns das Rechte, dir wollen wir folgen!«
»Nicht aus den Bauern kommt der Pfeil und das mordliche Verderben,« fuhr Judika fort. »Freiheit und Wahrheit sind zu den Menschen herabgekommen, damit Knechtschaft und Irrtum ein Ende haben und alles frei wird, was Gott der Allmächtige gefreiet hat in Christo, seinem eingeborenen Sohn. Im Evangelium steht es geschrieben und verbrieft: alle Menschen sind gleich im Leben, wie sie es im Tode sind, und keiner soll vor dem anderen etwas voraus haben. Aber die Pfaffen wollen es nicht Wort haben; sie belügen und betrügen uns und wollen uns die heilige Schrift vorenthalten, die uns der große, gottbegnadete Mann, Doktor Martin Luther, gegeben hat, daß wir erlöst werden von allem Jammer und Elend, die zum Himmel schreien! Darum fort auch mit den Pfaffen! Wenn ein Mönch kommt und einen Käse fordert, so werft ihm einen vierpfündigen Stein an den Kopf und fegt ihn selber mit einem Besen über die Schwelle. Schickt die Schlösser in Feuer und Flammen gen Himmel und die Klöster hinterdrein, und wer euch daran hindern will, dessen Dank laßt ein warmes Blei sein! Wir sind die Bauern, die den Adel strafen und die Sünden des Volkes an den Sünden der Priester und Prälaten rächen wollen, und wenn der Papst sich zu seinen drei Kronen noch eine vierte auf den Kopf setzte!
Nun, hoff' ich, wißt ihr, was ihr zu tun habt. Zündet Kreitfeuer auf den Höhen an, und beim Glockenstreich rottet euch zusammen zu Tausenden und aber und aber Tausenden, schafft euch Kartaunen und Schlangen und Falkonetlein, fordert Pulver und Blei von den Junkern, womit ihr ihnen die Zwingburgen niederlegt! Und welche Stadt euch die Tore nicht öffnen will, der fliegt wie Kraniche über die Mauern und schreibt der wohlweisen Ehrbarkeit und der Gemeinheit euren Willen vor! Und welcher Junker sich nicht auf die zwölf Artikel in den Bund schwört, den laßt über die Klinge springen oder schickt ihn durch die Gasse und rennt ihm den Spieß in die Rippen! Denn der Teufel des Übermutes, der in den Junkern steckt, ist nicht zu bannen ohne den Henker, und wenn ihr das Übel nicht an der Wurzel heilt, so werdet ihr niemals wieder für euren sauer erworbenen Pfennig ein geschmalztes Brot zu essen kriegen.
Was ihr aber auch tut, liebe Brüder, im Glauben dürft ihr nicht baufällig werden. Haltet fest am Wort Gottes und seinem heiligen Evangelium, das uns die Freiheit und Gleichheit aller Menschen auf Erden verkündet. Verpflichtet euch mit schweren Eiden zu heimlichen Anschlägen, und dann zieht herum wie die Krähen in der Luft, wohin der Geist und die Notdurft euch weisen, zur Rache, zur Rache und noch einmal zur Rache! Legt Feuer auf die Büsche und schwingt die Brandfackel, bis es im Reiche keine anderen Häuser mehr gibt als Bauernhäuser auf dem Lande und Bürgerhäuser in den Städten. Ziehet hin mit großer Furie und mit der Losung: Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes! denn Gottes Wort bleibet in Ewigkeit!«
Damit schloß die Rednerin und ihre Worte hatten gezündet. Endloser, stürmischer Jubel scholl ihr aus dem ganzen Lager brausend und donnernd, die Luft erschütternd entgegen. Die Tausende alle waren in wildester Erregung; sie schüttelten sich die Hände, schlugen sich derb auf die Schulter und riefen wie berauscht einander zu: »Die kann's! die hat's uns gesagt, wie's einem ums Herz ist. Nieder mit den Rittern und Junkern, den Schlössern und Klöstern! Die Hofmännin soll uns führen, sie soll uns die Bundesfahne vortragen auf dem Wege zur Freiheit, und Blut soll fließen wie Wasser auf der Erde, Blut, Blut, Blut!!«
So tobten sie fort und fort, als Judikas schwarze Gestalt schon nicht mehr sichtbar war im Scheine des Feuers auf dem Hügel. Sie war einige Schritte zurückgetreten; ihre Brust wogte, und ein tiefes Beben ging durch ihren Körper vom Scheitel bis zur Sohle. Jäcklein Rohrbach reichte ihr die Hand und nickte ihr zu: »Hast's gut gemacht, Judika! Thomas Münzer hätt' es nicht besser machen können, wie du das Eisen geschmiedet hast auf dem Amboß der Not und der Rache. Jetzt gehen sie mit dir durch dick und dünn, gehen durchs Feuer für dich, und allen voran einer, – du weißt, wer!« Und er sah sie prüfend an, umschlang ihre ganze Gestalt mit einem glühenden Blicke. Sie antwortete ihm nicht, bei seinen letzten Worten und dem begehrlichen Blicke runzelte sie die schwarzen Brauen, und zwischen ihnen zeigte sich eine tiefe Falte auf der Stirn. Als sich der Lärm auf den Wiesen noch immer nicht legte, schaute sie auf die durcheinander wirbelnde Menge da unten ein Weilchen sinnend hinab. In ihren Augen lag jetzt etwas Schwärmerisches und auf ihren sonst so ernsten Zügen eine stolze Anmut, die ihnen für gewöhnlich fehlte und ihre eigentümliche Schönheit noch erhöhte.
Plötzlich sprang aus dem Gedränge ein Bauer auf die Stelle, wo eben noch Judika gestanden hatte. Es war ein riesenhafter, nicht mehr junger Mensch in zerlumpter Kleidung und von einem verzweifelt wüsten Ausdruck im Gesicht und in den blutdürstig flackernden Augen. Er schwang eine wuchtige Keule über dem von zerzaustem Haar und Bart umflatterten Kopfe und schrie mit gewaltiger, weithin dröhnender Stimme: »Brüder! hört mich! Was uns das schwarze Weib da gesagt hat, das geht zu Herzen, das ist die wahre Losung. Jetzt sind wir einig. Hand hoch, wer sich zuschwört zum Dreinstoßen, zum Brennen und Niederreißen, zur Rache bis aufs Blut!«
Alle hoben sie die Hände hoch und die Waffen und brüllten: »Ja, ja! wir sind einig! Rache bis aufs Blut! Hurrah das schwarze Weib! hurrah! hurrah!«
Da hatte Judika Hofmann einen neuen Namen erhalten, sie hieß fortan im ganzen Bauernheere »das schwarze Weib«.
Georg Metzler war mit den meisten anderen Führern in die Nähe des Hügels gekommen, wo sich Jäcklein und Judika befanden, um mit ihnen zu beraten, was nun geschehen sollte. Die Verlesung der zwölf Artikel war jetzt nicht mehr möglich; dazu waren die Massen viel zu erregt. Es ward daher beschlossen, die Versammlung bei der späten Stunde aufzuheben. Jeder sollte suchen, wo er für die Nacht ein Unterkommen fände. In den nächsten Wochen sollten die einzelnen Landsmannschaften auf eigene Faust und Willkür hausen und umherziehen, um Waffen und Mundvorrat zu erbeuten, vor allem aber bemüht sein, sich durch Zuzug zu verstärken und soviel wie möglich Ritter und Städte durch Schwören auf die zwölf Artikel zum Eintritt in den Bund zu bewegen. Wer sich des weigerte, mit dem sollte kurzer Prozeß gemacht werden. Zum nächsten Vollmond aber – bis dahin waren noch zwölf Tage – sollten sich alle in dem reichen Cisterzienserkloster Schöntal an der Jaxt zu einer gemeinsamen großen Aktion wieder zusammenfinden und einen kriegserfahrenen obersten Feldhauptmann wählen.
Die Führer der größeren Haufen, denen sich kleinere anschlossen, einigten sich über die Gebiete, die sie, um sich nicht gegenseitig zu behindern, getrennt voneinander, aber durch Boten und Kundschafter in Verbindung bleibend, durchziehen wollten, und teilten ihren Landsleuten den Beschluß mit. Darauf begann der allgemeine Aufbruch. Einzelne Haufen machten sich, manche schweigend, andere lärmend, singend und johlend, auf den Weg zu benachbarten Dörfern, um ein Obdach für die Nacht zu finden. Andere suchten Schutz unter den Bäumen des Waldes oder blieben um die Feuer gelagert, diese aufs neue anschürend, um sich an ihnen zu wärmen.
An Judika trat eine Frau, ihr Kind auf dem Arm, mit ihrem Mann heran und sagte schlicht und treuherzig: »Du hast auch für unsere armen Kinder gesprochen; komm mit zu uns und schlafe bei uns! wir wohnen in Unterschüpf, und eine Lagerstatt findet sich schon noch für dich in unserer Armut, wenn du auch aussiehst, als hättest du schon besser, viel besser geruht.« Judika nickte still vor sich hin und unterdrückte einen aufsteigenden Seufzer in ihrer Brust. Dann nahm sie das Anerbieten dankend an und ging mit dem Paare. Jäcklein Rohrbach sah ihnen mit finsterem Blicke nach, wie sie im Dunkel verschwanden. Dann rief er die Seinigen alle zu einem weiten Kreise um sich her und gebot ihnen kurz und streng: »Wir bleiben zusammen, niemand trennt sich vom Haufen, morgen ziehen wir weiter.«
Auf den Wiesen des Schüpfergrundes ward es allmählich still. Die Feuer loderten hell oder schwelten im Verlöschen, wenn sie niemand mehr mit frischem Reisig nährte. Von dem einen tönte deutliches Schnarchen, von dem anderen halblautes Gespräch durch die Nacht hin. Das Feuer auf dem Hügel aber, wo Judika gestanden und geredet hatte, blieb einsam und erstarb in verglimmenden Kohlen und zerstiebender Asche.
Es war ein ärmliches Lager, das Judika von ihrer gutmütigen Wirtin in einem engen Raume bereitet wurde, wo ein kleiner Herd stand, eine Küche konnte man's nicht nennen, denn außer einem schwarzberußten Kessel, der über dem Herde hing, war fast kein anderes Gerät darin zu sehen. Die Frau legte ihrem Gast einen spärlich gefüllten Strohsack auf den Lehmboden, gab ihr den alten Mantel ihres Mannes als Decke, wünschte ihr gute Nacht und ließ sie allein.
Judika streckte sich auf dem Strohsack aus, wickelte sich in ihren eigenen Mantel ein und breitete sich den des Bauern über die Füße, aber trotz der körperlichen Müdigkeit konnte sie nicht schlafen vor seelischer Erregung. Im Rauchfang über dem Herde summte der Wind, doch es war nicht das jubelnde Sturmlied des nahenden Frühlings, sondern eine langgezogene. schwermütige Weise, die manchmal wie das Weinen eines Kindes, manchmal wie das Stöhnen und Schluchzen eines Weibes klang, Töne, die zu der Stimmung der unwillkürlich Lauschenden besser paßten, als Lerchentriller und Nachtigallensang. Kalt zog es durch den Raum, daß es die auf dem harten Lager Ruhende fröstelte. Ach ja! sie hatte schon besser geruht, viel besser; aber daran mochte sie jetzt nicht denken, wie gut sie es bis zu ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahre gehabt hatte; sie grübelte auch nicht darüber, wie es jetzt mit ihr bestellt war, wo sie ganz allein in der Welt stand, ohne Vater und Mutter, ohne Freundschaft und Verwandtschaft, fast ohne Heimat. Ihr heiß klopfendes Herz durchstürmten ganz andere Gedanken und Gefühle.
Der heutige Tag hatte sie mit einem Schlage mitten in den mächtig anschwellenden Strom der Volksbewegung geworfen und sie hier im Schüpfergrunde auf einen erhöhten, weit sichtbaren Platz gestellt, wo all die Tausende dort auf sie geschaut, ihren Worten gelauscht hatten und nun etwas von ihr erwarteten, das mehr war, als Worte. Fühlte sie Beruf und Kraft genug in sich, das zu leisten? Sollte sie, das alleinstehende, jungfräuliche Weib, den um ihr Recht, ihre Freiheit und ihr Leben kämpfenden Scharen die Fahne des Aufruhrs vorantragen? Konnte sie mit dem Hauch ihres Mundes, nein, ihrer Seele wie mit Sturmesgewalt die Flammen zum ungeheuren Brande der Empörung anblasen, daß er sich, alles verheerend, das unterste zu oberst, das oberste zu unterst kehrend, von einem Ende des Reiches zum anderen wälzte? Ihr war zumute, als stünde, wie aus dem Boden getaucht, ihr künftiges Schicksal vor ihr als eine schwarz verhüllte Gestalt, wie sie selber gewesen war, ehe sie zu reden begann, und aus der Vermummung bohrte sich durch die Augenlöcher ein glühender, drohender Blick des unbekannten, geheimnisvollen Wesens in ihr Antlitz, daß sie innerlich davor erschauerte. Wie eine Eingebung von oben war es plötzlich über sie gekommen, zu dem versammelten Volke zu reden von dem, wovon ihr längst das Herz randvoll war, denn sie kannte die Not und das Elend, die Schmach und Schande des Volkes besser, als alle anderen, hatte beides nicht nur bei den Unterdrückten, sondern auch bei den Unterdrückern selber gesehen und erfahren.
Was war ihre Vergangenheit? wie hatte sich ihr Leben bisher gestaltet?