Der Sachsenspiegel (Historischer Roman - Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit) - Julius Wolff - E-Book

Der Sachsenspiegel (Historischer Roman - Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit) E-Book

Julius Wolff

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Beschreibung

Dieses eBook: "Der Sachsenspiegel (Historischer Roman - Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Etwa drei Pfeilschüsse vom Waldsaum entfernt lag ein einsames Gehöft an der Kreuzung zweier Landstraßen, deren befahrenste mäßig ansteigend in das Harzgebirge hineinführte. Viele von denen, die wegemüd daherkamen, Karrner und Handelsleute, Reiter und Fußgänger, machten hier halt, um sich und ihren Pferden einige Rast und Stärkung zu gönnen oder auch um für die Nacht Herberge zu nehmen. Denn über dem Eingange zu dem zweistöckigen Hauptgebäude aus Holzfachwerk mit vorspringendem Strohdach hing an einem ausgestreckten, schmiedeeisernen Arm ein Fassreif mit einer darin stehenden verrosteten Blechkanne zum Zeichen, dass dies Haus ein Gasthaus sei. Den gepflasterten Hof dahinter umgaben in weitem Viereck Speicher, Schuppen und Stallungen und daran schloss sich ein großer, mit einem Lattenzaun umhegter Garten, in welchem unzählige Apfel- und Birnbäume jetzt mit ihrer vollen Blüte prangten. Von dieser umfangreichen Hofstatt aus hatte man einen freien Blick in die Landschaft, auf eine vieltürmige Stadt mit ragender Kaiserpfalz, auf Dörfer, grüne Getreidefluren und gelbe Rapsfelder und auf Höhen und Hügel mit vereinzelten Warten. Rechts und links zogen sich zackige Klippen in meilenlang ausgedehnter, aber durch Zwischenraume unterbrochener Kette durch die wellige Ebene dahin, und in bläulich dämmernder Ferne erhob der gewaltige Blocksberg seinen sagenumwobenen Gipfel. In dem Baumgarten befanden sich fest eingerammte Tische und Bänke, in deren Platten und Bohlen mancherlei Figuren geritzt waren, gotischen Runen oder alten sächsischen Hausmarken ähnlich, und etliche Schreibkundige hatten ihren Namen oder nur seine Anfangslettern eckig und ungestalt eingeschnitten. Das war das Fremdenbuch des »Gasthauses am Scheidewege«."

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Julius Wolff

Der Sachsenspiegel (Historischer Roman - Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit)

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-7254-2

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Etwa drei Pfeilschüsse vom Waldsaum entfernt lag ein einsames Gehöft an der Kreuzung zweier Landstraßen, deren befahrenste mäßig ansteigend in das Harzgebirge hineinführte. Viele von denen, die wegemüd daherkamen, Karrner und Handelsleute, Reiter und Fußgänger, machten hier halt, um sich und ihren Pferden einige Rast und Stärkung zu gönnen oder auch um für die Nacht Herberge zu nehmen. Denn über dem Eingange zu dem zweistöckigen Hauptgebäude aus Holzfachwerk mit vorspringendem Strohdach hing an einem ausgestreckten, schmiedeeisernen Arm ein Fassreif mit einer darin stehenden verrosteten Blechkanne zum Zeichen, dass dies Haus ein Gasthaus sei. Den gepflasterten Hof dahinter umgaben in weitem Viereck Speicher, Schuppen und Stallungen und daran schloss sich ein großer, mit einem Lattenzaun umhegter Garten, in welchem unzählige Apfel- und Birnbäume jetzt mit ihrer vollen Blüte prangten.

Von dieser umfangreichen Hofstatt aus hatte man einen freien Blick in die Landschaft, auf eine vieltürmige Stadt mit ragender Kaiserpfalz, auf Dörfer, grüne Getreidefluren und gelbe Rapsfelder und auf Höhen und Hügel mit vereinzelten Warten. Rechts und links zogen sich zackige Klippen in meilenlang ausgedehnter, aber durch Zwischenraume unterbrochener Kette durch die wellige Ebene dahin, und in bläulich dämmernder Ferne erhob der gewaltige Blocksberg seinen sagenumwobenen Gipfel.

In dem Baumgarten befanden sich fest eingerammte Tische und Bänke, in deren Platten und Bohlen mancherlei Figuren geritzt waren, gotischen Runen oder alten sächsischen Hausmarken ähnlich, und etliche Schreibkundige hatten ihren Namen oder nur seine Anfangslettern eckig und ungestalt eingeschnitten. Das war das Fremdenbuch des »Gasthauses am Scheidewege«.

Unter den hunderten von Bäumen. fiel ein großer Apfelbaum besonders auf, an dessen rundum breit ausladenden Zweigen sich Blüte dicht an Blüte drängte, einzeln, in Sträußchen und Büscheln, weiß und blassrot von wunderbarer Zartheit und Schönheit, dass es eine wahre Pracht und Augenweide war. Dort boten, abseits von den andern, ein kleinerer Tisch und zwei Schemel mit bunt bemalten Rücklehnen einen bevorzugten Ruheplatz für vornehmeren Besuch als die Fuhrleute, Viehtreiber und Krämer waren, die auf den tannenen Bänken beim Biere schwatzten und lärmten.

An diesem Tische saß bei schon sinkender Sonne ein bespornter, hochgewachsener Mann, dem man trotz seiner schlichten Reisetracht den ritterbürtigen Herrn deutlich genug ansah. Er mochte ungefähr in der Mitte der dreißiger Jahre sein, und seine ernsten, ausdrucksvollen Züge mit der schön gemeißelten Stirn zeigten die Spuren angestrengter Geistesarbeit. Den Ellenbogen aufgestemmt, das Haupt mit der Hand gestützt, starrte er träumerisch vor sich hin und regte zuweilen die Lippen wie in unhörbar geflüstertem Selbstgespräch. Vor ihm auf dem Tische standen ein Steinkrug und zwei Zinnbecher, und abwechselnd tat er einen Trunk bald aus dem einen, bald aus dem andern, vorher mit beiden leise anklingend.

So hatte er lange in fern schweifenden Gedanken gesessen, als er plötzlich, darin gestört, den Kopf zur Seite wandte und horchte. Er hatte auf der Straße herannahendes Getrappel von acht eisenbeschlagenen Pferdehufen vernommen, das vor der Tür des Gasthauses anhielt, sich bald darauf dem Hofe zubewegte und allmählich verhallte. Es mussten also zwei Reiter gekommen und abgestiegen sein. Das war nichts Ungewöhnliches an diesem belebten Kreuzwege und hatte auch für den Einsamen keine Bedeutung, denn er erwartete keinen Gefährten hier. Dennoch hob ein tiefer Atemzug seine Brust, und wehmütig blickte er auf den leeren Platz sich gegenüber.

Nach einer kleinen Weile erschien ein neuer Gast in dem Baumgarten, sah sich nach einem bequemen Sitz um, stutzte und schritt dann schnell auf den Zweibechermann zu, ihn mit den Worten begrüßend:

»Täusche ich mich, oder bist du es wirklich, Eike von Repgow?«

»Graf Hoyer von Falkenstein!« rief der andere aufspringend und dem Ankömmlinge beide Hände entgegenstreckend. »O wie freue ich mich dieses unverhofften Wiedersehens!«

»Du hast Gesellschaft,« sagte der Graf, auf den zweiten Becher weisend.

»Nein, ich bin allein,« gab der Befragte zur Antwort.

»Allein? Ja, was tust du denn hier?«

»Trinken und träumen, Herr Graf! Weiter nichts. Der Stuhl ist frei, der Becher aber nicht.«

Verwundert schaute Graf Hoyer den Jüngeren an und ließ sich, ohne eine Erklärung der ihm unverständlichen Rede zu fordern, auf dem unbesetzten Schemel nieder.

Er war ein Mann von mittelgroßer Gestalt mit grauem Haar und mochte wohl sechzig Jahre oder mehr auf seinen breiten Schultern tragen. Aus seinem durchfurchten Gesicht mit buschigen Brauen über den herrisch blickenden Augen sprach befehlerische Willens kraft.

Die Wirtin brachte einen dritten Becher, den Eike sofort mit Wein aus dem irdenen Kruge füllte, worauf die beiden Herren sich freundlich zutranken.

»Haben uns lange nicht gesehen, Eike!« begann der Ältere.

»Seit etwa zehn Jahren nicht, Herr Graf!« erwiderte der Jüngere.

»Aber ich kenne dich schon aus der Zeit her, da du die Kinderschuhe noch nicht ausgezogen hattest und mir mit dem Scheitel kaum an die Hüfte reichtest,« bemerkte Graf Hoyer. »Das war, als ich meinen lieben Freund, deinen Vater — Gott hab’ ihn selig! einmal in Reppechowe besuchte. Da hab’ ich dich auf meinen Knien reiten lassen. Das rechte war dein Schlachtross, das galoppieren musste, weil du mir das Schienbein weidlich mit den Hacken sporntest, und das linke war dein Reisegaul, auf dem du hin und her schwanktest weil er, wie ich dir weismachte, einen sehr holprigen Feldweg trotten musste. Erinnerst du dich?«

»Gewiss!« bejahte Eike die Frage. »Und nicht lange danach war ich einmal bei auf dem Falkenstein, wohin mein Vater mich mitgenommen hatte. Da zeigtet Ihr mir auf dem Burghofe den Ziehbrunnen mit dem Haspel und dem Eimer an einer eisernen Kette und sagtet mir, dass er über zweihundert Fuß tief wäre und da unten ein Neck hauste, den man zu Zeiten lustig plätschern und singen hörte, was dann immer als Ankündigung von etwas Erfreulichem aufgefasst würde.

Manchmal aber rumorte er auch unwirsch, und dann wäre stets ein Unheil im Anzuge. Ihr. warntet mich auch einen Stein in den Brunnen zu werfen, denn das erboste den Neck und dann würde er tückisch.«

»Stimmt alles,« sagte der Graf, »nur dass ich den Neck niemals singen oder rumoren gehört habe. Es ist ein Märlein wie so viele hier im Harz erzählt werden. Vor allem künde mir eines, Eike!« fuhr er dann fort, »hast du daheim ein liebes Weib?«

»Nein, ich bin Junggesell, Herr Graf. Habe zum Werben und Freien noch keine Zeit gehabt und, offen gestanden, auch wenig Neigung dazu.«

»Schade! Solltest dir doch bald eine Herrin in deinen Burgstall führen. Nun, so berichte mir jetzt von deines Lebens einspänniger Fahrt.«

»Gern, doch erst müssen wir wieder Wein haben, denn in dem Kruge ist kein Tropfen mehr,« sprach Eike und winkte der im Garten waltenden Schenkin.

»Und einen kräftigen Imbiss soll sie uns auch bringen,« fügte Graf Hoyer hinzu. »Mich hat auf dem langen Ritt nicht bloß Durst, sondern auch ein grimmiger Hunger überfallen.«

»Woher kommt Ihr?« fragte Eike.

»Von Wernigerode, wo ich einen Enkel des Grafen Christian über die Taufe gehalten habe. Da wurde wacker gebügelt gestern, denn es waren viel ritterliche Herren aus der Umgegend mit trinkfesten Kehlen dort.«

Nachdem das blitzsaubere Mädchen den frisch gefüllten Krug und ein einfach ländliches Abendbrot aufgetischt hatte, hub Eike von Repgow an:

»Dass ich eine Reihe von Jahren erst als Edelknabe und dann als Knappe beim Markgrafen Dietrich von Meißen war, wo ich höfischen Brauch, Waffenhandwerk und nebenbei noch mancherlei anderes, mehr als mich verlangte, aus dicken Büchern und aus dem Munde umständlich dozierender Magister und Mönche lernen sollte, wisst Ihr wohl.«

»Von deinem Aufenthalt dort weiß ich, und das Übrige kann ich mir denken,« lachte der Graf. »Ging wohl hoch her bei dem künstlerisch angehauchten Markgrafen, dem ehrgeizigen Gönner fahrender Sänger und Spielleute?«

»Hoch ging es nicht her, sondern manchmal sogar ziemlich dürftig. Man nannte ihn nicht umsonst Dietrich den Bedrängten, weil er von seinen nächsten Verwandten viel Anfechtung und Drangsal auszustehen hatte, aber wir junges Volk waren allweg guter Dinge, und ich denke gern an jene Zeit zurück.«

»Na, und dann?«

»Dann blieb ich zu Hause in Reppechowe, wo ich doch wieder die Nase in Bücher und Schriften steckte, die ich mir oft von weiter verschaffte, denn, mir war in Meißen ein schulfüchsiger Wissensdrang angeflogen, der mir keine Ruhe mehr ließ. Diese Bücherschnüffelei trieb ich so lange, bis mich mein Vater auf meinen dringenden Wunsch nach Bologna schickte.«

»Nach Bologna? Was hattest du denn in Bologna zu suchen?«

»Die Rechte zu studieren. Und das kam so. Mein Vater hatte einen Rechtsstreit anhängig gemacht, bei dem er ins Unrecht gesetzt wurde, weil in Reppechowe, das jenseits der Elbe liegt, ein anderes Recht gilt als diesseits, wo der Gegner heimisch war, und doch wohnten beide, Kläger und Beklagter in Anhalt, nur wenige Wegstunden voneinander. Damit uns nun solche Unbill nicht noch einmal widerfahre, wollte ich mich des Studiums der Rechte befleißigen. Außerdem hoffte ich auch, dermaleinst den Schöffenstuhl meines Vaters in Salbke einnehmen zu können, und wollte mich darauf gründlich vorbereiten, um später einmal ein guter Urteilsfinder zu sein.«

»Soso! Das muss ich loben,« sagte der Graf. »Gefiel dir’s in Bologna?«

»Es war die weitaus glücklichste Zeit meines Lebens. Auf der hohen Schule dort waren zu tausenden die Söhne aus aller Herren Ländern. Man sprach des halb immer lateinisch, und die hochgelahrten Herren doctores juris, die judices, wie sie sich nannten, hielten auch die Collegia in Latein, das ich wie meine Muttersprache beherrschte. Wir schwärmten, zechten, fochten — «

»Und liebten, — nicht zu vergessen! Nicht wahr?«

»Ich nicht, ich nahm es ernst mit der Arbeit, so wenig mir auch das dort ausschließlich behandelte römische Recht behagte, an Stelle dessen ich ein allgemeines deutsches Recht für unser Volk ersehnte und…«

Eike brach jählings ab, obwohl ihm offenbar noch etwas auf der Zunge schwebte, was er verschwieg.

Graf Hoyer wartete vergeblich auf den Schluss des Satzes. Dann fragte er:

»Und als du von Bologna heimkehrtest, was tatest du da?«

Eike zögerte auch jetzt mit der Antwort und sagte dann etwas verlegen:

»Ich, ich lernte zuhause fleißig weiter und gab mir, viel im Lande umherreitend, alle Mühe, mich mit den alten sächsischen Gewohnheitsrechten bekannt zu machen, immer im Hinblick auf den mir von ferne winkenden Schöffenstuhl.«

»Nun, Schöffe bist du ja geworden, soviel ich weiß,« sprach der Graf. »Wie stehst du denn in der Heerschildordnung? Hast du nicht irgendwo die Schwertleite erhalten?«

»O ja. Um den mir angeborenen Schild auch durch eine Waffentat in Panzer und Sturmhut zu erwerben, nahm ich als Knappe Kriegsdienst beim Fürsten Heinrich von Anhalt und kämpfte unter ihm und für ihn in seiner blutigen Fehde gegen die aufrührerischen Lehnsleute im Hasgau, nach deren endlicher Besiegung er mich zum Ritter schlug. Ich dachte, er würde mich nun zu seinem Kanzler oder Justitiarius machen, aber daraus wurde nichts, nur als Schöffen hat er mich nach meines Vaters Tode mit Brief und Siegel bestallt.«

Graf Hoyer hob den Becher, trank seinem schöffenbaren jungen Freunde zu und sagte:

»Heil dir, Ritter Eike von Repgow! Aber jetzt erkläre mir: was hat es zu bedeuten, dass du hier einsam und allein aus zwei Bechern trinkst?«

Über Eikes Gesicht flog ein Schatten, und mit schwerem Ton kam es von seinen Lippen:

»Ich trinke hier mit einem Abgeschiedenen, einem Toten.«

»Was?!« rief der Graf, »gibst du dir hier ein Stelldichein mit einem Zechbruder aus jener Welt? Den möcht’ ich sehen, Eike! Kannst du ihn nicht beschwören, dass er erscheint? Mich gelüstet’s, einmal mit einem ritterlichen Spukgespenst nicht die Klingen, aber die Becher zu kreuzen.«

»Er würde meiner Beschwörung nicht Folge leisten,« erwiderte Eike. »In die Wirklichkeit kehrt er niemals wieder, nur in meiner Einbildung sitzt er dort an der Stelle, wo Ihr jetzt sitzt und wo ich früher manche Stunde fröhlich mit ihm becherte.«

»Heraus mit der Geschichte! ich werde nicht lachen und spotten.«

»Gut, so höret! Kurz nach meiner Ankunft in Bologna lernte ich dort einen Altersgenossen kennen, der gleich mir dem Studium der Rechte an der hohen Schule oblag und mit dem ich bald innige Freundschaft schloss. Er hieß Hinrik Warendorp, entstammte einem alten Geschlecht der nunmehr freien Reichsstadt Lübeck und war der Sohn eines hochangesehenen Rats- und Handelsherren. Wir trieben unser Fach fortan gemeinsam, verließen nach dreijährigem Aufenthalt die Hochschule auch an demselben Tage und zogen zusammen nach Deutschland zurück bis hierher, zum Gasthaus am Scheidewege. Dann trennten sich unsere Pfade; er ritt nordwärts zur Trave, ich ostwärts zur Elbe, nachdem wir ausgemacht hatten, uns jedes Jahr zur Apfelblütezeit hier zu treffen und ein paar Tage lang unsere köstlichen Erinnerungen zu pflegen.

Dreimal glückte das, dann blieb er aus. Auf einer Fahrt nach Wisby war sein Schiff in einen furchtbaren Sturm geraten. Eine gewaltige Sturzsee hatte ihn über Bord gerissen, und unrettbar war er in den tobenden Wellen versunken. Und diese Botschaft erhielt ich hier an diesem Tische, an dem ich, nichts ahnend, seiner Ankunft harrte.«

Der Erzähler hielt inne, um erst seines Schmerzes Herr zu werden, ehe er weiter sprechen konnte:

»Nun komme ich alljährlich einmal allein her zum Gedächtnis meines lieben Trautgesellen, sehe ihn hier leibhaftig vor mir, rede mit ihm, stoße mit meinem Becher an den seinigen, als schwänge seine Hand ihn mir zu, und trinke aus beiden.«

Graf Hoyer von Falkenstein saß regungslos still. Dann sagte er:

»Jetzt stoße ich mit dir an zu Ehren des Toten, dem du eine so treue Freundschaft bewahrst. Deine Erzählung hat mich gepackt,« fuhr er nach dem Trunke fort, »und auch ich habe eine Kunde, die dich nicht unberührt lassen wird. Du feierst hier das Angedenken eines, der deinem Herzen nahe stand, aber ganz Germanien hat jetzt einen Größeren zu betrauern.«

»Wen?« fragte Eike schnell, »doch nicht etwa Kaiser Friedrich den Hohenstaufen?«

»Nein, — Herrn Walter von der Vogelweide.«

»Walter von der Vogelweide ist tot?« rief Eike in jähem Schrecken aus und griff sich an die Stirn, als könnt’ er’s nicht fassen.

»In vergangener Woche ist er aus dieser Zeitlichkeit geschieden, und im Kreuzgang des Neumünsters zu Würzburg haben sie ihn begraben.«

»O mein Gott! mein Gott! Und ich Narr, ich blöder Tor habe Jahr auf Jahr die Fahrt zu ihm verschoben, den ich aufsuchen wollte, um mir bei ihm Mut und Rat für ein großes Werk zu holen. Und nun ist es zu spät, nun ist sein weiser, weithin tönender Liedermund, der dem Kaiser und dem Papste die Wahrheit sagte und an dem unser ganzes Volk mit freudiger Bewunderung hing, auf ewig verstummt. — Ich kannte ihn, Graf Hoyer, und er war mir hold und gewogen, der ritterliche Minnesänger.«

»Du hast ihn gekannt?«

»Ja freilich! Er war mondelang in Meißen der hoch willkommene Gast des Markgrafen Dietrich, während ich dort nicht mehr Edelknabe, sondern schon Knappe war. Ich habe sein Antlitz geschaut mit den strahlenden Augen, habe seine Stimme gehört, und meine Hand hat oft in der seinen gelegen. Und wie hab’ ich ihm gelauscht, wenn er von Wien berichtete und dem Herzog Leopoldus gloriosus oder von dem glänzenden Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen und dem großen Sängerkrieg auf der Wartburg!«

»Ich könnte dich darum beneiden, Eike, dass du diesen gottbegnadeten Mann gekannt hast,« sagte der Graf.

Mittlerweile war die Dämmerung immer stärker geworden, in der die vielen Tausende von weißen Blüten an den Fruchtbäumen noch hell schimmerten wie kleine, in die Kronen gehängte Lämpchen. Am Himmelszelt blinkten schon einzelne Sterne, zu denen sich allmählich mehr und mehr gesellten. Ein Knecht des Gasthauses steckte in die Ringe der im Garten aufgestellten Pfähle lange brennende Kienspäne, die im nächsten Umkreise eine spärliche Beleuchtung spendeten. An den Biertafeln war es stiller geworden, denn einer nach dem andern der vorher so lauten Gäste hatte sich sacht davongeschlichen zu dem Strohlager, das ihnen für mehrere gemeinsam in den Schuppen bereitet war.

Eike blickte zu den Sternen empor und sprach:

»Es ist klarer Himmel, wir werden morgen einen guten Tag haben zu unserer Weiterreise.«

»Wie sagtest du?« fragte der Graf mit einem halb unterdrückten Gähnen.

»Es war nur eine Bemerkung über das Wetter,« erwiderte Eike. »Ihr seid müde, Herr Graf; wollt Ihr nicht zur Ruhe gehen? Ich trinke den Krug hier noch aus.«

»Hast recht, Eike; ich bin müde,« musste der Graf zugeben. »Es ist gestern spät geworden bei dem Taufschmause. Der Halberstädter Domherr Konrad von Alvensleben fand, als wir Männer unter uns waren, bis tief in die Nacht hinein kein Ende mit seinen lustigen Geschichten und Schwänken. Nur eines möchte ich noch wissen, ehe ich schlafen gehe. Du erwähntest vorhin ein großes Werk, über das du Walter von der Vogelweide hättest um Rat bitten wollen. Was planst du denn für ein Werk?«

»Herr Graf, heute nichts mehr davon!« entgegnete Eike. »Wir sehen uns wohl morgen noch, bevor wir voneinander scheiden.«

»Doch, sag’ es mir! Sonst grübele ich darüber und schlafe trotz aller Müdigkeit nicht ein.«

»Nun denn, — ich plane ein neues, einheitliches Gesetzbuch für ganz Sachsenland.«

»Eike! Eike! Ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Sachsenland?! Wie meinst du denn das?«

»Morgen, Herr Graf, will ich Euch Rede stehen.«

Damit lehnte Eike jede weitere Auskunft heut’ Abend entschieden ab. Sie erhoben sich beide und schüttelten sich die Hände zur guten Nacht. Der Graf begab sich in das Haus und murmelte vor sich hin:

»Ein Gesetzbuch für ganz Sachsenland! Ein verwegener Gedanke!«

Eike von Repgow saß wieder allein am Tische unter dem blühenden Apfelbaum und trank den Krug langsam aus.

Es reute ihn. fast, seinen Plan dem Falkensteiner verraten zu haben, und er erteilte sich selber, nur leider zu spät, die kluge Mahnung:

»Von einem wichtigen Für nehmen soll man nicht vorher sagen: ich will das tun, sondern nach dem Vollbringen: ich habe es getan. Denkst du nicht auch so, Hinrik Warendorp?«

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Als sich in der Frühe Graf Hoyer und Eike zum Morgenbrot trafen, das sie wieder im Garten an dem selben Tisch einnahmen, an dem sie gestern Abend gesessen hatten, und Eike den Falkensteiner fragte, wie er geruht hätte, erwiderte dieser:

»In der ersten Hälfte der Nacht ganz gut, aber nachher hat mich dein Gesetzbuch doch ein paar Stunden Schlaf gekostet, denn es lag mir schwer wie ein Alp auf der Brust, und ich musste fort und fort daran denken.«

»Nun, ein großer, dickleibiger Foliant wie das corpus juris Justinians wird es nicht werden, Herr Graf,« lächelte Eike. »Ich werde mich kurz fassen, dass es handlich ist und Schöffe, Schultheis und Fronbote es in der Tasche mitnehmen können, wenn sie sich zur Dingstatt begeben.«

»Ich bin sehr neugierig darauf,« gestand der Graf, »und schlage vor, dass wir uns hier beim Frühmahl nicht lange versitzen, sondern bald aufbrechen und du mich ein Stück Weges begleitest. Das Gescheiteste wäre, wenn wir selbander langsam zu Fuß wanderten, wobei du mir dein sonderbares Vorhaben in aller Gemächlichkeit auseinandersetzen könntest. Ich schicke meinen Leibknecht mit den Pferden voran, und dein Ross kann sich derweilen noch ausruhen, denn du hast heute noch einen weiteren Ritt zu deiner Nachtherberge als ich nach dem Selketal und zur Burg hinauf.«

Diesem Vorschlage stimmte Eike gern zu, und als sie ihr Frühstück, bei dem sie von dem Buche nicht sprachen, beendet hatten, machten sich die Herren zu ihrem Gange bereit und traten ihn wohlgemut an.

Alsobald sie auf der Landstraße sanft ansteigend den Saum des Waldes erreicht hatten, blieben sie stehen, wandten sich um und schauten noch einmal zurück.

Da lag in geringer Entfernung das große Gehöft des Gasthauses am Scheideweg in der Maienpracht seiner Blütenbäume so malerisch vor und unter ihnen, dass sie sich von dem fesselnden Anblick kaum trennen konnten. Aus einem Schornstein wirbelte blauer Rauch kerzengerade in die Höhe, denn es regte sich kein Lüftchen, und die Flügel der Windmühle auf dem Hügel da rechts harrten vergeblich der treibenden Kraft. Auf dem Hofe, den man von hier aus übersehen konnte, spannten die Fuhrleute ihre Gäule an die Wagen, und ihr Reden und Rufen hallte durch die Stille deutlich zu den Rastenden herauf. Von den Dörfern in der Umgegend führten die Hirten ihre Herden auf die Weide, und über die lachenden Fluren streckte sich weit und breit der Friede eines gesegneten Wohlstandes.

»Vorwärts!« gebot der Graf, und sie schritten wieder fürbass und in den frühlingsduftigen, taufunkelnden Wald hinein, wo das junge Laub der Sträucher und Bäume, von den Sonnenstrahlen hell durchleuchtet, mit dem frischesten, saftigsten Grün alle Wipfel und Zweige füllte, dass unten auf Gras und Moos scharf begrenzte Lichter und Schatten wechselten. Und nicht lautlos war es in Geäst und Gebüsch. Muntere Vogelstimmen erklangen ringsum.

Amseln flöteten, Pirol und Kuckuck riefen, Finken schlugen, und Grasmücken sangen lockende, werbende Liebeslieder.

Nachdem die Wanderer, mit vollen Zügen die wonnesame Waldluft atmend, eine Zeitlang schweigend nebeneinander hergegangen waren, begann Graf Hoyer:

»Nun sprich, Eike! Aber fang’ von vorn an, wie der Plan des neuen Gesetzbuches in deinem Kopf allmählich gereift ist. Entstanden ist er also, wie du gestern sagtest, infolge des Ungerichtes, das dein Vater einst über sich ergehen lassen musste.«

»Nein, Herr Graf! Der übel verlaufene Rechtshandel meines Vaters war nur der Anstoß zu meinem Besuche der hohen Schule in Bologna,« entgegnete Eike. »Dort erst, je mehr ich mich in das Studium vertiefte, sah ich ein, dass das römische Recht nun und nimmer unserem Volke frommen kann. Aber ich war damals schon alt und gewitzt genug, um auch die großen Schäden und Mängel unserer eigenen Rechtsverhältnisse zu erkennen und dass sie einer gründlichen Wandlung dringend bedürften. ‘Gewalt fährt auf der Straße, und Fried’ und Recht sind sehre wund’, singt Walter von der Vogelweide.

Und er hat wahrhaftig Recht; die widerspruchvollsten Satzungen zur Entscheidung über Schuld und Unschuld laufen bei uns durcheinander und gegeneinander wie die kribbelnden Tierlein in einem Ameisenhaufen. Was ist das für ein jämmerlicher Zustand, dass hinter jedem Grenzstein, in jedem Gau und jeder Stadt ein anderes Recht gilt, so, dass zwischen Mann und Frau, die ehelich zusammenhausen, oft weit voneinander abweichende Bestimmungen zur Anwendung kommen, wenn die beiden aus zwei verschiedenen, noch so nahe belegenen Ortschaften gebürtig sind! Unsere Rechtspflege, das Verfahren vor dem Schöffenstuhl auf der Dingstatt, Gerüste und Klage, Eidstabung, Verfestung und Urteilsspruch liegen im Argen und müssen geändert werden. Dem Volke muss das natürliche Rechtsgefühl und damit auch die Rechtssicherheit wiedergegeben werden in einheitlichen und einfältigen Gesetzen, die sich aus den Erscheinungen und Ereignissen des täglichen Lebens selber entwickeln, statt in verknöcherten Institutionen, starren Paragraphen und verzwickten Kautelen, die dem gemeinen Sinn unfassbar und dunkel sind.«

Der Graf hatte dem erregt Sprechenden aufmerksam zugehört, nickte beifällig und fragte nun:

»Und welche Rechtsgebiete hast du dir zur Verbesserung ausersehen?«

»Alle, mit denen Herr und Knecht, Bürger und Bauer in Berührung kommen und die dem höchsten wie dem Geringsten im Reich an Leib oder Seele gehen,« gab Eike stolz zur Antwort. »Land- und Lehnrecht, Hof- und Erbrecht und was sonst noch mit diesen Gruppen irgendwie zusammenhängt.«

»Ein weites Feld, eine gewaltige Aufgabe!« sagte der Graf, »wirst du sie lösen können?«

»Ich hoffe es zuversichtlich, denn ich bin gut gerüstet mit allem für meinen Zweck Wissenswerten.«

Graf Hoyer schwieg nachdenklich. Dann kam aus seinem Munde die Frage:

»Hast du deinen Plan außer mit mir noch mit einem andern Menschen besprochen?«

»Jawohl, mit meinem getreuen Kumpan Hinrik Warendorp, und er hat mir mannigfach dabei geholfen, hat mir, so lange er lebte, eigene Wahrnehmungen und Erfahrungen über alte Volks- und Gewohnheitsrechte in seiner Vaterstadt Lübeck und in Stormarn und Holstein mitgeteilt und mir schriftliche Auszüge aus Urkunden, Handfesten und Verbriefungen gesandt, wie ich mir solche auch selber aus allen Teilen Altsachsens in Menge herbei geschleppt habe.«

»Und sonst hast du niemand eingeweiht?«

»Doch! Noch einen,« erwiderte Eike noch stolzer als vorher, »aber Ihr werdet nicht raten, wen.«

»Nun?«

»Kaiser Friedrich von Hohenstaufen.«

»Mensch! Das hast du gewagt?« rief der Graf erschrocken aus, »dem Kaiser hast du’s offenbart? Du selbst ihm selber?«

»Auge in Auge! Und ich bin froh, dass ich’s getan habe, denn der gewagte Schritt war kein verlorener.«

»Wie bist du nur an ihn herangekommen? Was sagte er zu deinem kühnen Unterfangen? Wie nahm er’s auf?«

»Über alles Erwarten huldvoll und gnädig,« versicherte Eike. »Lasst Euch erzählen. Während meines letzten Studienjahres in Bologna hatte der Kaiser einen Reichstag nach Cremona einberufen, um die sich trutzig gegen ihn auflehnenden Städte des lombardischen Bundes gefügig und unterwürfig zu machen und auch um den Kreuzzug endlich in die Wege zu leiten, den er dem Papste Honorius bei Strafe des Bannes hatte geloben müssen. Da nahm ich die günstige Gelegenheit wahr, ritt von Bologna nach Cremona und trug dem groß denkenden Hohenstaufen meinen schon fest aufgebauten Plan freimütig und ausführlich vor. Er schenkte mir geduldiges Gehör und gab mir unverhohlen seine Zustimmung zu erkennen. Ich sehe ihn noch, wie er ernst und hoheitsvoll mir gegenüberstand und, so lange ich redete, den durchdringenden Blick nicht von mir abließ. ‘Du willst’, hub er an, als ich geendet hatte, ‘mit deinem Buche den Sachsen einen Spiegel des Rechtes vorhalten, eines einheitlichen Rechtes, nach welchem alle Lebenden auf sächsischer Erde ohne Ansehung des Standes und der Geburt mit gleichem Maße gemessen und gerichtet werden sollen. Das gefällt mir, Eike von Repgow! Ich selber habe schon mehr als einmal zu einer solchen Gesetzgebung, wie sie dir im Sinn liegt, den Anlauf genommen, aber bei meinen unaufhörlichen Streitigkeiten mit den Päpsten und den harten Kämpfen hier in der Lombardei und in Apulien gebricht es mir an Zeit zu einer so umfassenden Arbeit. Jetzt hetzen sie von Rom zum Kreuzzuge, um mich aus Italien loszuwerden und nach Belieben hier schalten und walten zu können. Nun schaffe du, was ich als deutscher Kaiser und König nicht vermag. Doch Schutz und Schirm will ich dir gewähren und, soweit mein weltlicher Arm reicht, die Hand über dir halten.

Wenn ich dein Buch, wie ich hoffe, gutheißen kann, will ich ihm allen Vorschub leisten und ihm Kraft und Geltung verleihen in Herzogtümern und Grafschaften, in Stadt und Land. Also Gott befohlen, Eike von Repgow! Geh’ mutig und getrost ans Werk, lass’ dich durch nichts beirren und berufe dich auf mich’. — So, Graf Hoyer,« schloss Eike seinen Bericht, »so sprach der hochsinnige Kaiser zu mir; all mein Lebtag werd’ ich’s nicht vergessen.«

Graf Hoyer war immer langsamer gegangen und hatte seinen Wandergenossen, von dem Gehörten ganz erfüllt oft prüfend und wägend angeschaut. Jetzt sprach er:

»Den Friedrich von Hohenstaufen gesehen und gesprochen zu haben ist für jedermann ein Glück und eine Ehre. Möge dir seine gnädige Verheißung von Nutzen sein! Meine beiden Söhne, Otto und Arnulf, auch längst zu Rittern geschlagen, stehen bei des Kaisers Heer in Apulien und haben ihn vielleicht auch schon zu Gesicht bekommen.

Aber jetzt lass’ uns ein wenig ruhen, Eike,« fügte er im tiefen Walde stehenbleibend und sich verschnaufend hinzu. Damit streckte er sich auf Gras und Kraut in den Schatten einer mächtigen Eiche, und sein junger Gefährte tat das gleiche.

Der Graf schob sich beide Hände unter den Kopf und dehnte mit Behagen die müden Glieder.

»Wie gut liegt sich’s hier!« sagte er. »Unter dieser Eiche hat in den sieben Jahrhunderten, auf die ich ihr Alter schätze, gewiss mancher Waidmann bei seinem Pirschgange gerastet, hat den Eschenspeer und den Eibenbogen an den Stamm gelehnt, aus der Dachsfelltasche den spärlichen Imbiss hervorgeholt und ihn mit seinem treuen Stöberhunde redlich geteilt. Und nun liegen wir hier, und auch uns zu Häupten rauscht die Eiche und raunt von längst verklungenen Zeiten, da die Frankenkönige und die Sachsenherzöge das Land durchritten, in allen Gauen selber zu Gericht saßen und mit eigenem Munde über männiglich, über Freie und Hörige Recht sprachen ohne geschriebene Gesetze.«

Er hielt sinnend ein Weilchen inne und fuhr dann fort:

»Wenn ich dich recht verstanden habe, so hast du alles, was du an Schriften und Aufzeichnungen zu deinem Werke gebrauchst, schon hübsch beieinander und kannst nun die Feder ansetzen, um das, was sich als Stoff und Inhalt des Buches drängend und treibend in dir angehäuft hat, zu Papiere zu bringen. Ist es nicht so?«

»Ja, so ist es,« erwiderte Eike, »dies war meine letzte Reise, auf der ich mir noch etwas Fehlendes heranzuschaffen hatte. Jetzt kann’s losgehen mit der Schreiberei.«

»Gut!« sprach der Graf, »und wenn du mir nun eine Freude machen willst, Eike, eine große Freude, so komm’ schnurstracks zu mir und schreibe dein Gesetzbuch bei mir auf Burg Falkenstein!«

»Graf Hoyer!« rief Eike und schnellte aus seiner liegenden Stellung empor, so dass er nun aufrecht saß.

»Das ist ein sehr freundliches Anerbieten von Euch, aber mit allem Danke muss ich die Einladung ablehnen, um Eures Burgfriedens willen.«

»Was schert dich denn mein Burgfriede? für den lass mich sorgen!«

»Ich würde Euch Unrast und Ungelegenheiten schaffen mit allerlei Rücksichten, die Ihr in Eurer Güte meinetwegen vielleicht nehmen zu müssen glaubtet, und mein Einlager würde von langer Dauer sein, wenn ich mein Buch von Anfang bis zu Ende bei Euch —«

»Bleibe so lange du willst und rede nicht von Ungelegenheiten,« unterbrach ihn der Graf. »Davon wirst du nichts spüren, wirst dich wohl fühlen in unsern Bergen und Wäldern, wohler und frischer als in dem staubigen Flachland an der Elbe.«

»Daran zweifle ich nicht, aber es geht nicht.«

»Warum denn nicht? Dein festes Haus in Reppechowe werden sie dir nicht wegtragen, auch wenn du’s nicht selber bewachst.«

»Ach, abkömmlich wäre ich schon; ich habe einen tüchtigen Meier, der mir mein kleines Lehngut bestens verwaltet und in Ordnung hält.«

»Nun also!«

»Es wird mir sehr schwer, nein zu sagen, Herr Graf, aber —«

»So sage doch ja!« lachte der Graf, »wozu denn die Ausflüchte?«

Eike schaute den so herzlich auf ihn Eindringenden überlegsam an. Dann hellten sich seine Züge auf wie nach einem gefassten Entschluss, und völlig überwunden erklärte er: »Nun denn, — in Gottes Namen, ja! Ich komme.«

»Abgemacht!« rief der Graf, und Hand schlug fest in Hand. »Du wirst auf der Burg vollkommene Ruhe zur Arbeit haben, kannst auch, wenn du Lust hast, pirschen gehen und dich überhaupt mit deiner Zeit ganz nach deinem Gefallen einrichten. Die Gräfin und ich werden dir alles zu Liebe tun, was wir wissen und können, sollst Feuer ohne Rauch, ein krachendes Bett und einen immer gefüllten Becher finden, aus dem du so lange trinken kannst, bis du eine Taube auf dem Dache für zwei Krähen ansiehst. Bei der Arbeit sollst du nie gestört werden; vielleicht kann ich dir aber hier und da mit Wink und Weisung an die Hand gehen, denn als Gerichtsherr der Grafschaft bin auch ich des Sachsenrechtes nicht ganz unkundig.«

»Rat und Hilfe werde ich dankbar von Euch annehmen, Herr Graf.«

»Zur Hilfe bei deiner Schreiberei stelle ich dir meinen Secretarius zur Verfügung, einen jungen Menschen aus dem Burggesinde, für den ich ohnehin zu wenig Beschäftigung habe. Geschickt und brauchbar ist er.«

»Auch sicher und zuverlässig?«

»Wenn man ihn kurz und unter strenger Fuchtel hält, ist mit ihm auszukommen, denn er hat nicht zu verachtende Fähigkeiten, aber auch den Kopf voll Schnurren und Flausen,« versetzte der Graf. »Wilfred Bogner heißt er und ist der Sohn meines verstorbenen Wild- und Waffenmeisters, der im Kampfe mit einem von ihm an geschossenen Bären sein Leben einbüßte. Ich nahm mich des gänzlich verwaisten Jungen an und schickte ihn auf die Klosterschule zu Gröningen bei Halberstadt, weil ich den Abt des Benediktinerstiftes kenne. Einige Jahre lang tat der Wilfred dort gut, lernte leicht und fleißig, und es wäre vielleicht noch einmal etwas Ordentliches aus ihm geworden, wenn sie ihn nicht eines dummen Streiches wegen weggejagt hätten.«

»Was hat er denn ausgefressen?«

»Sie hatten im Kloster einen schwarzen Pudel; den hat sich der Bengel aus reinem Übermut eines Tages vorgenommen und ihm heimlich eine regelrechte kreisrunde Tonsur von einem Ohre zum andern geschoren, kahl bis auf den Schädel. Die Patres waren natürlich empört über dieses Sakrileg, das nicht ungerochen hingehen durfte.«

»Aber wie wurde denn der Verbrecher entdeckt?«

»Durch den Pudel selber. Dieser war zu allen im Kloster, Mönchen und Schülern, freundlich und zutulich.

Von Stund’ an aber benahm er sich gegen Wilfred äußerst feindselig und bissig und ließ sich nicht mehr von ihm anfassen. Das fiel auf, und in ein gründliches Verhör genommen, musste der Bösewicht nach hartnäckigem Leugnen seinen Frevel endlich eingestehen. Da wurde er erst so lange in den Karzer gesteckt, bis dem armen Pudel seine geschorene Platte wieder dicht und krauswollig zugewachsen war. und dann von der Klosterschule relegiert. Darauf hat er sich, ich weiß nicht wie lange, als Vagant in der Welt umhergetrieben, bis er plötzlich abgerissen und verlottert auf dem Falkenstein erschien und um Aufnahme bettelte. Ich ließ mich erweichen und nahm den windschaffenen Gesellen in Erinnerung an die treuen Dienste seines Vaters in Gnaden wieder auf, und seitdem hat er sich während der ganzen Zeit hier nichts zuschulden kommen lassen. Den sollst du zum Schreiber haben, Eike, aber pass’ ihm auf die Finger, rat’ ich dir.

Wann wirst du dich einfinden?«

»Ich denke, in einigen Tagen, Herr Graf,« versprach Eike. »Ich muss zuvörderst mein Haus bestellen und meine Schriften ordnen. Dann komme ich mit Sack und Pack bei Euch eingeritten.«

»Bist allstunds willkommen, aber jetzt muss ich weiter. Hilf mir auf!«

Eike unterstützte den Grafen mit seiner jungen Kraft. Als dieser aber auf den Füßen stand, drückte er die Hand aufs Herz und sagte:

»Ich kann nicht länger gehen, ich muss in den Sattel. Vor vierzehn Jahren traf mich auf einem Turnier in Frankfurt ein Lanzenstoß, der das Herz streifte und die Lunge berührte. Davon ist mir eine Herzschwäche zurückgeblieben, die sich mit dem zunehmenden Alter immer häufiger und stärker fühlbar macht. Lange Zeit hat sie mich verschont gelassen, aber heut’ ist sie wieder im Anzuge, wahrscheinlich veranlasst durch das andauernde Trinkgelage in Wernigerode. — Ich habe mein Hifthorn nicht bei mir; kannst du auf dem Finger pfeifen, Eike?«

»Versteht sich. Herr Graf!«

Ein gellender Pfiff Eikes durchdrang die Stille des Waldes, und sofort ertönte von fern auch die Antwort in derselben Weise.

»Das ist Folkmar, der auf uns wartet,« sprach der Graf.

Bald hörten sie Hufschlag und sahen den Reitenden mit den Pferden nahen.

Als er bei ihnen anhielt und abgestiegen war, schwang sich Graf Hoyer in die Bügel, was trotz seiner Atemnot ganz leidlich vonstattenging.

»Also auf Wiedersehen auf dem Faltenstein!« rief er, Eike vom Sattel aus die Hand reichend.

»Auf Wiedersehen! Und ich bitte. der Frau Gräfin meinen ehrerbietigen Gruß zu bestellen.«

Der Graf nickte, gab aber keine Antwort darauf und ritt mit seinem Dienstmannen langsam davon.

Eike von Repgow blickte den Reitern sinnend nach, solange er sie sehen konnte.

»Auf dem Falkenstein, der waldumrauschten Bergfeste, soll ich mein Buch schreiben; einen herrlicheren Schreibsitz kann ich mir nicht wünschen,« sprach er zu sich selber. »Nun mit aller Kraft freudig ans Werk, und Schaffenslust soll mit die Gedanken beflügeln!«

Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

In einem unbeschwerlichen Ritt, meist auf schattigen Waldwegen, langte Graf Hoyer nach mehrtägiger Abwesenheit spät nachmittags auf seiner einen hohen Berg krönenden, alle Wipfel überragenden Burg Falkenstein an. Von seiner Gemahlin begrüßt und nach seinen Erlebnissen befragt, berichtete er ihr, sowie er vom Pferde gestiegen war, zunächst von der Taufe in Wernigerode, welche anderen Gäste er dort getroffen und welchen Verlauf das glänzende Fest genommen hatte. Dann erzählte er ihr von seiner zufälligen Begegnung mit dem Sohn eines lieben, alten Freundes, dem Ritter Eike von Repgow, den er in einem einsamen Gasthause beim Weine sitzend vorgefunden hätte. Da hätten sie ein freudiges Wiedersehen gefeiert, auch beide in der Herberge genächtigt und heute Morgen eine sehr erfrischende Fußwanderung durch den Wald miteinander gemacht, soweit ihn sein junger Gefährte, den er von Kindesbeinen an kennte, hätte begleiten können. Dann rückte er damit heraus, dass er den Anhaltiner, der in der Gegend von Aken, aber jenseits der Elbe, auf seinem Lehngute hauste, zu einem längeren Besuch auf dem Falkenstein eingeladen hätte, damit der Gast ein von ihm geplantes, groß angelegtes Werk, ein neues Gesetzbuch über das Sachsenrecht schriebe.

»Ein Gesetzbuch?« sprach die Gräfin verwundert. »Ist er denn ein Rechtsgelehrter? Du nanntest ihn doch Ritter.«

»Er ist beides,« bestätigte der Graf, hat auf der hohen Schule zu Bologna die Rechte studiert und fühlt nun als schöffenbar freier Mann den unüberwindlichen Drang, seine erworbenen Kenntnisse zum Wohle unseres Sachsenvolkes zu verwerten, dessen sehr verwickelte Rechtszustände nach seiner und meiner Ansicht einer durchgreifenden Änderung bedürfen. Aber du magst das alles aus seinem eigenen Munde hören, denn in einigen Tagen wird er hier eintreffen.

Die Gräfin schwieg, und ihrem unfrohen Gesichtsausdrucke nach schien ihr die Ankündigung wenig Freude zu bereiten. Ein trockener, langweiliger Gelehrter, dachte sie, der, statt als Ritter mit Schwert und Lanze kampfliche Abenteuer zu bestehen, sich als Gesetzgeber aufspielen will und sich dünkelhaft vermisst, nach seinen verschrobenen Begriffen das Volk zu beglücken und die Welt zu verbessern.

»Ist er verheiratet und bringt er seine Frau etwa mit?« fragte sie spitz.

»Nein,« entgegnete der Graf, »er ist noch ledig. Du darfst dir also seine Huldigungen ruhig gefallen lassen.«

»Mich verlangt nicht nach seinen Huldigungen.«

»O, er weiß, was sich edlen Frauen gegenüber schickt und ihnen nach höfischer Sitte gebührt, Gerlinde!«

»Wo sollte er denn das gelernt haben? Etwa in Bologna?«

»Nein, aber beim Markgrafen Dietrich von Meißen und beim Fürsten Heinrich von Anhalt, der ihn für rühmliche Waffentaten zum Ritter geschlagen hat,« bedeutete sie der Graf in verweisendem Tone.

Darauf gab Gräfin Gerlinde keine Antwort. Sie war verstimmt in der ihr unliebsamen Aussicht auf die dauernde Gesellschaft eines ihr völlig Unbekannten, zu dessen Art und Wesen sie nach der erhaltenen Mitteilung kein rechtes Vertrauen zu fassen vermochte. Eine dunkle Ahnung stieg in ihr auf, dass der Besuch allerhand Störungen und Misshelligkeiten veranlassen könnte, und sie nahm sich vor, sehr zurückhaltend zu sein gegen diesen halb Ritter, halb Gelehrten, den ihr Gemahl von der Landstraße aufgelesen und flugs zu sich eingeladen hatte, nur weil er der Sohn eines alten Freundes war, dessen der Graf ihr gegenüber niemals Erwähnung getan hatte.

Schweigend hörte sie auch sein Ersuchen an, für den Gast ein behagliches Zimmer mit einem großen Schreibtisch und mit Büchergestellen sowie ein bequemes Schlafgemach herrichten zu lassen, aber bei der Ausführung dieses Auftrages, die sie selbst leitete, kamen ihr andere Gedanken.

Der Besuch, auf den sie schon neugierig zu werden anfing, war doch immerhin eine Abwechslung in der Eintönigkeit ihres Lebens, und möglicherweise war der Herr — wie hieß er? Eike von Repgow, Eike, ein merkwürdiger Name! — ein Mensch, an dessen Gegenwart man sich gewöhnen konnte, zumal wenn man musste.

»So mag er denn kommen, der Weltverbesserer! Die Burgfrau wird dem gelehrten Gaste eine sorgliche Wirtin sein, und die Dame wird sich auch mit dem verschrobensten Ritter leidlich abzufinden wissen.« —

Beinah eine Woche später als Graf Hoyer ritt Eike von Repgow das Selketal entlang und hatte seine Freude an dem herrlichen Eichen- und Buchenwalde, der nirgends im Harze schöner und üppiger zu sehen ist als an den Berghalden zu beiden Seiten dieses Tales, das jetzt schon zum größten Teil im Schatten lag, während der Rücken des Höhenzuges und seine hie und da aufragenden Kuppen noch von der Sonne beschienen wurden. Der Wald reichte bis unmittelbar an die Umwallung des Falkensteins heran, dessen trutziger Bergfried dem Nahenden in rosig schimmernder Beleuchtung winkte und in ihm die Erinnerung an seine Reise hierher als Knabe mit dem Vater weckte.

Unweit einer klappernden Mühle bog der Weg zur Burg von der Talstraße ab, und Eike musste der Steilheit wegen bald absitzen und sein Pferd am Zügel führen, denn dieses hatte einen großen, mit Kleidern und noch mehr mit Schriftstücken vollgepfropften Mantelsack zu tragen.

Es dauerte wohl eine Stunde, ehe er sein Ziel er reichte, doch eine kleine Strecke vor dem Burggraben hielt er noch einmal an, weil er hoch über sich in einer alten Buche, deren Aste bis tief hinab dem mächtigen Stamm entwuchsen, Töne vernahm, wie aus einer Vogel kehle herausgeschmettert. Aber ein Vogel konnte es nicht sein, denn zu so weit vorgerückter Tageszeit sang kein Vogel mehr außer Nachtigall und Amsel, und so süß berückend klang die Musika doch nicht. Es musste ein Mensch sein, der, dem Spähenden nicht sichtbar, im Gezweige des Baumes hockte und auf einem Instrumente blies, von dem sich Eike keine klare Vorstellung machen konnte.

»Heda! Du floitierender Buchfink,« rief er hinauf, »komm’ mal heruntergeflattert aus deinem dichten Laubzelt, ich möchte den Schnabel sehen, der so verlockend trillern kann.«

Da ward es still in der Buchenkrone. Dann hörte Eike, wie jemand an Stamm und Zweigen herabrutschte, und bald sprang ein schlanker junger Mensch ihm gerade vor die Füße, der ihm eine ungelenke Verbeugung machte und ihn mit blinzelnden Augen dreist anstarrte.

Zwischen den Nesteln seines Wamses steckte ein mit Löchern zum Blasen versehener Stängel Schilfrohr. Das war also die Schalmei, auf welcher der im Grünen Versteckte gedudelt hatte.

»Hat man auf dem Falkenstein so viel freie Zeit, dass man wie ein Affe auf die Bäume klettert und wie ein Starmatz zwitschert?« redete ihn Eike an.

»O, ich hätte nichts dagegen einzuwenden, Herr, wenn ich noch mehr Freiheit hätte, um zu tun, was mir beliebt,« erwiderte der andere keck und unverfroren.

»So bist du gewiss der Wilfred Bogner,« sagte Eike, worauf der richtig Erkannte zustimmend nickte. »Nun, ich kann dir von deinem Überfluss an Muße ein Erkleckliches abnehmen, ich habe Arbeit für dich.«

»Ach du lieber Gott! Da seid Ihr wohl gar der Ritter Eike von Repgow?« fragte der erst so Fürwitzige nun erschrocken.

»Du lieber Gott! Ja, der bin ich, wenn du’s mir zugutehalten willst,« sprach Eike belustigt.

»Darum hat auch der Neck im Ziehbrunnen vor drei Tagen so grausam rumort, und nun ist —«

»Und nun ist das Unheil da, willst du sagen; danke für den freundlichen prospectus!« lachte Eike. »Der Herr Graf hat mich wohl dem Herrn Sekretarius schon angekündigt?« .

»Ja freilich, Herr! Ich weiß Bescheid, schreiben soll ich,« gab Wilfred kleinlaut zur Antwort.

»Richtig! Jetzt komm’ mit und geleite mich durch Umwallung und Tor zu deinem gnädigen Burgherrn,« gebot Eike.

Er schwang sich in den Sattel, denn er wollte nicht wie ein Säumer mit seinem Packtier, sondern ritterlich hoch zu Ross in die Burg einziehen.

Wilfred schlich de und wehmütig wie ein geprügelter Hund hinter dem Reiter her. Sie mussten über die Zugbrücke und dann mehrere Tore durchschreiten. Gleich hinter dem ersten enteilte einer der Burgmannen, wahrscheinlich, um die Ankunft des Gastes zu melden.

Im Burghofe wies Eike zum Brunnen hin und sagte:

»Nun horche mal hinab, ob der Neck da unten nicht singt vor Freude, dass ich gekommen bin.«

Wilfred beugte sich über den Rand des Brunnengemäuers und tat so, als ob er dem Befehle Folge leistete.

»Ich höre nichts,« sprach er mit einem boshaften Grinsen.

Eike sprang aus den Bügeln, ein Knecht nahm ihm das Pferd ab und schnallte den Mantelsack los. Als Eike sich umwandte, trat ihm aus einer Tür Graf Hoyer mit ausgestreckten Armen entgegen.

»Bist du endlich da, Eike?« rief er freudig, »mit welcher Ungeduld haben wir deiner geharrt! Komm’, die Gräfin erwartet dich oben.«

Als Eike sah, dass der Knecht sein Pferd in den Stall brachte, fragte er:

»Auf welche Weise kann ich den Braunen morgen nach Hause schicken?«

»Den lass’ nur hier,« erwiderte der Graf. »Er soll bis an den Bauch im Stroh und bis über die Naslöcher im Hafer stehen. Ein tüchtiger Reiseklepper!« fügte er hinzu, das starkknochige Tier musternd.

»Ich habe viele Meilen zwischen Rhein und Elbe mit ihm zurückgelegt,« sprach Eike, »bin bei Schöffen, Schultheißen und Bauermeistern mit ihm gewesen, und er hat bei mancher Unterredung aus dem Stegreif über Land und Lehnrecht die Ohren gespitzt.«

Sie stiegen eine steinerne Wendeltreppe hinan. Oben führte der Graf den Freund in ein reich ausgestattetes Empfangsgemach, und Eike stand, betroffen, sprachlos vor Staunen, einer schönen, jungen Frau gegenüber.

»Auch die Burgfrau heißt den Gast ihres Gatten will kommen,« sagte sie, nicht steif und hoffärtig, aber doch etwas gemessen und sichtlich selber überrascht über die stattliche, fast jugendliche Erscheinung des Ankömmlings, den sie sich ganz anders gedacht hatte.

Eike konnte ihr nur mit einigen kurzen, verbindlichen Worten danken, auf die sie erwiderte:

»Ich möchte Euch, ehe Ihr hier Platz nehmt, Euer Losament zeigen, Herr Ritter von Repgow. Bitte, folgt mir.«

Sie schritten alle drei, die Gräfin voran, durch einen langen, schmalen, mittels zahlreicher Luken erhellten Gang, den Fräuleingang geheißen, wie der Graf erklärte, zu dem nach seinen Angaben höchst behaglich eingerichteten Zimmer. die Gräfin öffnete die Tür und lud mit einer Handbewegung den Gast zur Besitznahme ein.

Eike, sich darin umschauend und dann an eines der drei Fenster tretend, rief aus: