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In diesen Kunst-Essays setzt sich der Autor mit der Musik, der Literatur und der Malerei auseinander und hinterfragt zusätzlich das Spannungsfeld des Künstlers, zwischen sich Äussern und Schweigen. Aus unterschiedlichsten Blickwickeln nähert er sich dem Wesen der Kunst und schlägt stets den Bogen zur jüngeren Vergangenheit und aktuellen Gegenwart.
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Seitenzahl: 81
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Für Alfred Berghorn meinem Vater 1911 – 1978
In diesen Kunst-Essays setzt sich der Autor mit der Musik, der Literatur und der Malerei auseinander und hinterfragt zusätzlich das Spannungsfeld des Künstlers, zwischen sich äussern und Schweigen. Aus unterschiedlichsten Blickwinkeln nähert er sich dem Wesen der Kunst und schlägt dabei stets den Bogen zur jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.
Paul-Bernhard Berghorn (1957,D) wuchs in einem Musikerhaus auf, sein Vater war Komponist und Dirigent. Erste Veröffentlichungen hatte er während seiner Studienzeit in Köln, übersiedelt dann nach Zürich, wo er in einer neurologischen Klinik arbeitet. Er ist vor allem als Lyriker und Essayist hervorgetreten, veröffentlichte darüber hinaus Erzählungen, Dialoge, Reiseimpressionen sowie Geschichten für Kinder . Er war Präsident der Schweizerischen Lyrischen Gesellschaft PRO LYRICA und ist freier Mitarbeiter bei Literatur-und Kunstzeitschriften in Deutschland, Kanada und der Schweiz. Ebenso verfasste er ein Fachbuch über die Geschichte der Epilepsie und ihre Betroffenen (Gestürzt, Wien 2019).
Über das Schweigen – der Künstler im Spannungsfeld zwischen sich Äussern und Schweigen
Assoziationen über Musik
Spurensuche in Malerei, Musik und Lyrik
Die Wechselbeziehung zwischen Machbarkeit und Masslosigkeit oder, wenn Prometheus und Faust sich treffen
Sage was du sagen willst - morgen
Japanische Weisheit
Ursula Berghorn, Das Schweigen, 1986
Der Künstler im Spannungsfeld zwischen sich Äussern und Schweigen
Ich verstand die Stille des Äthers, Der Menschen Worte verstand ich nie
Friedrich Hölderlin
Ist es nicht ein Widerspruch sich schreibend, vielleicht auch disputierend dem Schweigen zu nähern?
Ja, warum sich mit dem Schweigen beschäftigen im Zeitalter von Mobiltelefonie und Computervernetzung? Ist Schweigen ein Phänomen und ist es einzuordnen in unsere aktuelle Weltvorstellung und Weltsicht?
Ist Schweigen für uns Zeitgenossen überhaupt ein Thema, mit dem es lohnt, sich auseinanderzusetzen, oder ist es in der Epoche von Internet und virtuellen social communities sinnlos geworden? Neudeutsch: obsolet?
Oder eher das Gegenteil, ist es notwendig im digitalen Jahrhundert?
Ist Schweigen die hohe und gelebte Philosophie, die in ihrer Zeitlosigkeit jede Zeit herausfordert? Konkret gefragt: liegt im Schweigen die hohe Kunst der Kontemplation, oder ist Schweigen Ausdruck grenzenloser Resignation, die einzig mögliche Äusserung, den Ekel dieser Welt ertragen zu können?
Eine Fülle von Fragen, die sich aufdrängen, die auch zeigen, dass im Schweigen etwas Spirituelles, geheimnisvolles liegt, und Geheimnisse werden befragt, und in diesem Sinne sollte auf unsere Betrachtungen bezogen uns der Ausspruch des weisen chinesischen Philosoph und Dichter Chuang Tsu (370 – 287 v. Chr.) in Erinnerung kommen, der da sagt:
„Niemand ist weiter von der Wahrheit entfernt als derjenige, der alle Antworten weiss.“
Denn die soeben gestellten Fragen können letztendlich nicht beantwortet werden, da die Funktion des Schweigens und ihre Bedeutung jeweils auch abhängig ist vom kulturellen Raum, in dem das Schweigen gelebt wird. Ich sage absichtlich gelebt, womit deutlich wird, dass Schweigen etwas sehr Lebendiges und damit Aktives darstellt, sowohl auf die geistige wie auch emotionale Grösse dieser Haltung.
Das Schweigen in Indien und China hat eine grundlegend andere Bedeutung als etwa in den USA – die doch wohl eher eine Gesellschaft des Nicht-Schweigen-Könnens darstellt. Dies ist nicht als Wertung, sondern als real existierender Kulturunterschied zu verstehen, den uns „Welt-Ökonomen“ und „Global-Prediger“ so gern als untergeordnet bis nicht existent „verkaufen“ wollen.
Und es ist durchaus nachdenkenswert, warum eine Gesellschaft nicht schweigen kann und eine andere sehr gut, ja es zur hohen kulturellen Errungenschaft und zur kulturellen Identität zählt, wie dies etwa auch im modernen Japan nach wie vor der Fall ist.
Der westliche Mensch, der immer noch von sich selbst überzeugt ist und meint, er sei ein aufgeklärter Mensch und daher folglich ein vernünftiges Wesen – was natürlich ein gigantischer Irrtum ist, die ungezählten Kriege in der westlichen Welt sprechen eindrücklich und blutig für die Unvernunft des im Westen lebenden Menschen! – der westliche Mensch also stellt im Zusammenhang mit dem Schweigen meist und ultimativ die ethisch-moralische Komponente des Schweigens in den Vordergrund.
Aber ist dies denn der Kern des Schweigens?
Ja, ist es sinnvoll, sich beim Nachdenken über das Schweigen von einer ethisch-moralischen Komponente, in unserem Fall westlicher Prägung, leiten zu lassen?
Moral und Ethik wandeln sich, aber das Schweigen als Schweigen bleibt. Nur das Umfeld, in dem es stattfindet, unterliegt einer Veränderung. Schweigen wird so – wie die Kunst – zur zeitlosen Grösse innerhalb der menschlichen Evolution.
Schweigen ist demnach wohl viel mehr als nur ein simples sich nicht Äussern (wollen).
Denn das sich Nicht-Äussern beinhaltet noch nicht die Fähigkeit der Reflektion und Wortlosigkeit, auch Fassungslosigkeit ist nicht Schweigen. Reflektion, dies scheint mir ein Weg zu sein, um dem Geheimnis des Schweigens näher zu kommen. Um aber dem Geheimnis des Schweigens näher kommen zu wollen, ist es von Vorteil, die Polarität zwischen Schweigen und Nicht-Schweigen, dem sich Äussern, kurz zu beleuchten.
Diese Polarität drückt sich sehr komprimiert und in beeindruckender Universalität in der japanischen Weisheit aus: „Sage was du willst – morgen.“
Sie drückt die Gefahr des sich Äussern, des Sprechens aus, und weist auf das Positive des Nicht-Sagens hin.
Sprache ist bekanntlich nur eine Form der Kommunikation und sich Äussern führt auch zu Missverständnissen, kann gefährlich sein, ja grausam, verletzend, tötend.
„Das Wort ist ein Pfeil“ heisst es in Japan.
Sprache kann sich selbst umbringen, kann sich zu Sprachlosigkeit gestalten, kann die völlige Inhaltslosigkeit und Öde menschlicher Kommunikation gleich einem Makeup übertünchen, kann sie kurzfristig überdecken, wird aber mit der Zeit porös, blättert ab, und Sprache, ohne zwingende Inhalte, verkommt zu Lauten, zum Stammeln.
Es kommt nicht von ungefähr, dass sich die Gattung des Comics deren Kommunikationsmittel das Bild und die Sprechblase und meist eine völlige Simplifikation der mitzuteilenden Sprache, die vielfach aus Lauten besteht, sich einer so breiten und wachsenden Beliebtheit erfreut.
Es wird quasi nicht die Kommunikation, sondern das Nicht-Reden bildlich illustriert und gerinnt somit zur grenzenlosen Austauschbarkeit.
Austauschbarkeit ist vielleicht das Phänomen oder besser eine grundlegende Lebenshaltung, die in den 60gerJahren und mit dem rasanten Ausbreiten der Mobiltechnologie begann und ungebrochen anhält.
Ein illustrierendes Beispiel, bezüglich der Austauschbarkeit sind die Diskotheken oder Clubs wie es nun heisst.
Ob ich eine Diskothek in New York, Rio de Janeiro, Hong Kong, Kairo, Sydney, Kapstadt, Rom oder Reykjavik besuche, die Musik hat fast immer der gleiche Stil, man nennt das verkaufsträchtig „Worldmusic“, Dekor, und Lichteffekte sind von gleicher Struktur, ja, auch die Verhaltensweisen der Besucher sind weitestgehend dieselben, natürlich mit den mentalen Eigenschaften eines Landes oder Region gefärbt, nicht unbedingt zwingend von der Kultur eines Landes.
Die Diskothek, der Club, ist quasi der gesellschaftliche Kulminationspunkt der Unverbindlichkeit. Und somit auch Ausdruck von Mobilität.
Wir leben im Zeitalter des „fast-food“, nicht nur das Essen muss dem Anspruch der Schnelligkeit genügen, womit es seine Individualität verliert und somit austauschbar wir, ob Big Mac oder Hamburger, es schmeckt alles gleich, wir haben die fast-food Beziehungen (die Ausdruck der Unverbindlichkeit sind), die sogenannten „Lebensabschnittspartner“, die fast-food Philosophie, das fast-food Leben, das schnelle Leben, das pseudoindividualistisch aber doch ins krankhaft gesteigerte, narzisstische Sein. Und die Orte des narzisstischen Seins sind z.B. die Diskotheken oder Fitness-Center.
Und die Frage muss gestellt werden, warum eigentlich muss in unsere Gesellschaft in der angeblich zivilisierten Welt, alles fast, alles schnell sein?
Unser Innenleben – so scheint es – ist schneller geworden.
Die Erfindung des Computers ist auch eine Bewegung zur inneren Vernetzung, zur Abrufbarkeit. Ein „klick“ auf der Maus, auf der Tastatur des PCs und schon ist die gewünschte Welt vorhanden, nicht aus Fleisch und Blut, mit Gerüchen und Akustik, sondern elektronisch, clean, (die Verführbarkeit einen „sauberen“ Krieg zu führen, steigt ins angeblich Machbare, Kuweit 1990 lässt uns schaudernd erinnern) und mit einem zweiten „klick“ ist die „Welt“ genauso schnell wieder verschwunden, hat man sich ihrer entledigt, so wie man durch das Flugzeug Distanzen fast auf das Hier und Jetzt verschmelzen lässt.
Aber Schnelligkeit steht dem Schweigen diametral gegenüber.
Der moderne Mensch, der heute ein Mensch des Computers geworden ist, muss sich aber wahrlich davor hüten, das zu werden, was der Computer ist und was der englische Schriftsteller James Osborne bezeichnet hat als
„die Weiterentwicklung der Intelligenz – ohne Gefühl“.
Der Computer ist aber auch das ideale Instrument der inneren Unrast, er wird Stück für Stück das Auto als Instrument der Flucht, der Bewegung ersetzen.
Auch die Sprache macht hier keine Ausnahme, sie ist „fastfood“ geworden, leicht und schnell verdaulich, die Nachrichtenmoderation von Gräueltaten und Kriegen wirken erstaunlich leicht und flockig, fast selbstverständlich, es ist eine Sprache ohne Splitter, ohne Knochen.
Und Literaten, die es wagen – anders darf man es wohl gar nicht formulieren – die es also wagen eine Sprache mit ihren Kanten und Ecken, ihren Knochen und Splittern zu schreiben, werden mental und bildlich zerrissen. Günter Grass hat das mit seinem Roman Ein weites Feld auf eine geradezu erschreckende und angsteinflössende Art erfahren müssen. (Wie gefährlich sind nun die Herren Literaturkritiker und Feuilletonredakteure im schwarzen Pullover und feinem Doppelreiher?).
Und da Inhalte in unserem neuen Jahrhundert – und dies ist interessanterweise in der westlichen Kultur am deutlichsten zu beobachten – nicht mehr durch Sprache weitergegeben werden, entsteht – logischerweise – bei jungen Menschen eine neue Form der Inhaltsübertragung. Dies war in den 50ger Jahren der Rock`n Roll, in den 60ger als Kristallisationspunkt die Beatles und ist heute die Musik- und Lebensrichtung „Techno“.
Hier ist es eine gesanglose Musik, die weitgehend auf die menschliche Stimme verzichtet – bemerken wir den Gegensatz zur Musik der Beatles, wo das Wort noch eine grosse Rolle spielte? – eine Musik, die zerstückelt, synthetisiert, konstruiert wird, und die in ihrem Rhythmus 34 Mal schneller ist als der menschliche Herzschlag.
Hier haben wir es wieder: das fast, die Schnelligkeit.
Es ist also eine Inhaltsübertragung, eine Kommunikation über den Tanz und, ebenfalls sehr wichtig bei den „Ravern“ (so werden die Anhänger dieses Musikstils genannt), die Kleidung.