Das Snob-Buch - William Makepeace Thackeray - E-Book

Das Snob-Buch E-Book

William Makepeace Thackeray

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Beschreibung

Die einzelnen Kapitel, seinerzeit im Satiremagazin "Punch" erschienen, zeugen von der essayistischen Meisterschaft des Autors, der in Deutschland (leider) nur für seine Romane "Vanity Fair" und (vielleicht noch) "Barry Lyndon" bekannt sein dürfte. Ist dieses Buch nun eine Anleitung zum Snob-Sein? Oder gar eine Warnung vor dem Verfall an demselbigen? Oder muss ein Snob letztlich jeden anderen Snob (und auch sich) mit heimlicher Verachtung strafen? Der Autor liefert kleine Häppchen eines Almanachs der höflichen Exzentrik in 46 Kapitel, die Titel tragen wie: "Die Bewunderungssucht der Snobs", "Über Geistliche Snobs" oder "Literarische Snobs". Ein Fazit seiner Anleitung: "Nehmen wir schließlich an, Sie erwecken den Glauben, reicher und vornehmer zu sein, als Sie es in der Tat sind – so sind Sie eben ein Tischgesellschaftgebender Snob. O Gott, ich zittere, wenn ich daran denke, wie viele diese Zeilen nächsten Donnerstag lesen werden!" Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 342

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William Makepeace Thackeray

Das Snob-Buch

William Makepeace Thackeray

Das Snob-Buch

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Heinrich Conrad EV: Paul List Verlag, 1955 1. Auflage, ISBN 978-3-962815-96-7

null-papier.de/648

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Vor­be­mer­kun­gen

Ers­tes Ka­pi­tel – Ei­ni­ge scherz­haf­te An­ek­do­ten über Sn­obs

Zwei­tes Ka­pi­tel – Der Kö­nig­li­che Snob

Drit­tes Ka­pi­tel – Der Ein­fluss des Adels auf die Sn­obs

Vier­tes Ka­pi­tel – Der Hof­be­richt und sein Ein­fluss auf die Sn­obs

Fünf­tes Ka­pi­tel – Die Be­wun­de­rungs­sucht der Sn­obs

Sechs­tes Ka­pi­tel – Han­delt von ei­ni­gen acht­ba­ren Sn­obs

Sie­ben­tes Ka­pi­tel – Han­delt von wei­te­ren acht­ba­ren Sn­obs

Ach­tes Ka­pi­tel – Der Groß-Snob der City

Neun­tes Ka­pi­tel – Han­delt von ei­ni­gen mi­li­tä­ri­schen Sn­obs

Zehn­tes Ka­pi­tel – Mi­li­tä­ri­sche Sn­obs

Elf­tes Ka­pi­tel – Über Geist­li­che Sn­obs

Zwölf­tes Ka­pi­tel – Über Geist­li­che Sn­obs und Snob­tum

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – Über geist­li­che Sn­obs

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – Über Uni­ver­si­täts-Sn­obs

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Über Uni­ver­si­täts-Sn­obs

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Li­te­ra­ri­sche Sn­obs

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Et­was über iri­sche Sn­obs

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Ge­sell­schaf­ten-ge­ben­de Sn­obs

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel – Sn­obs bei Tisch

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Fort­set­zung der Be­trach­tun­gen über Tisch­ge­sell­schaft-ge­ben­de Sn­obs

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ei­ni­ge Fest­land-Sn­obs

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Fort­set­zung der Be­trach­tun­gen über Fest­land-Sn­obs

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Eng­li­sche Sn­obs auf dem Fest­lan­de

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Han­delt von ei­ni­gen Sn­obs auf dem Lan­de

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein Be­such bei ei­ni­gen Sn­obs auf dem Lan­de

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Han­delt wei­ter­hin von Sn­obs auf dem Lan­de

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein Be­such bei ei­ni­gen Sn­obs auf dem Lan­de

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Han­delt von wei­te­ren Sn­obs auf dem Lan­de

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel – Ein Be­such bei ei­ni­gen Sn­obs auf dem Lan­de

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Über wei­te­re Sn­obs auf dem Lan­de

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Noch­mals ein Be­such bei ei­ni­gen Sn­obs auf dem Lan­de

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Nach­le­se über al­ler­lei Snob­tüm­li­ches

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Ehe und Sn­obs

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Ehe und Sn­obs

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Wei­te­res über Sn­obs und Ehe

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Noch­mals Ehe und Sn­obs

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel – Klub-Sn­obs

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Vorbemerkungen

Die Not­wen­dig­keit ei­ner Ab­hand­lung über die Sn­obs an der Hand der Ge­schich­te und durch treff­li­che Bei­spie­le er­läu­tert. Ich bin dazu aus­er­se­hen, ein sol­ches Buch zu schrei­ben. Ver­kün­dung mei­ner Be­ru­fung mit Wor­ten feu­ri­ger Be­red­sam­keit. Ich wei­se nach, dass die Welt all­mäh­lich für die­ses Werk und sei­nen Ver­fas­ser reif ge­wor­den ist. Sn­obs müs­sen stu­diert wer­den wie an­de­re Er­schei­nun­gen in der Na­tur­ge­schich­te auch. Sie bil­den einen Teil des »Schö­nen«. Sie sind in al­len Klas­sen zu fin­den – schla­gen­der Be­weis: Oberst Sno­bley.

*

Wir alle ha­ben wohl schon die Be­haup­tung ge­le­sen, de­ren Echt­heit ich mir aber durch­aus zu be­strei­ten er­lau­be, denn ich möch­te wirk­lich wis­sen, wel­che Grün­de für ihre Rich­tig­keit her­an­ge­zo­gen wer­den könn­ten, wir alle, sage ich, ha­ben be­reits den Vor­zug ge­habt, zu le­sen, dass, wenn die Not der Zeit und der Welt nach ei­nem Mann ver­langt, ein sol­cher auch ge­fun­den wird.

So wur­de zur Zeit der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on (den Le­ser wird es si­cher­lich freu­en, dass ich so bald von ihr an­fan­ge), als es sich als un­ver­meid­lich er­wies, dem Volk ein Ab­führ­mit­tel ein­zu­ge­ben, Ro­be­spi­er­re ge­fun­den, eine al­ler­dings wi­der­li­che und ab­scheu­li­che Mix­tur, die gleich­wohl von dem Kran­ken be­gie­rig und schließ­lich zu sei­nem größ­ten Vor­teil hin­un­ter­ge­schluckt wur­de. So trat, als es nö­tig wur­de, John Bull1 aus Ame­ri­ka her­aus­zu­wer­fen, Wa­shing­ton auf den Schau­platz und ent­le­dig­te sich die­ser Auf­ga­be zu al­ler Bei­fall. So er­schi­en, als der Graf von Ald­bo­rough sich un­päss­lich fühl­te, Pro­fes­sor Hol­lo­way mit sei­nen Pil­len und heil­te, wie es in sei­nen An­zei­gen heißt, sei­ne Lord­schaft usw. usw. … Un­zäh­li­ge Bei­spie­le könn­ten da­für her­an­ge­zo­gen wer­den, dass, wenn ein Volk sich in größ­ter Not be­fin­det, auch die Hil­fe am nächs­ten ist, ge­ra­de wie im Pup­pen­spiel (die­ser Welt im klei­nen), wo dem Hans­wurst, wenn er ir­gend et­was, etwa eine Wärm­fla­sche, einen Pum­pen­schwen­gel, eine Gans oder einen Muff, braucht, im­mer ge­ra­de das Ge­wünsch­te aus den Ku­lis­sen zu­fliegt.

Wei­ter – wenn Men­schen et­was un­ter­neh­men wol­len, so ver­ste­hen sie es stets, ihr Be­gin­nen als eine ab­so­lu­te Welt­not­wen­dig­keit hin­zu­stel­len, die nach Aus­füh­rung schreit. Han­delt es sich zum Bei­spiel um eine neue Bahn, dann wird die Di­rek­ti­on si­cher be­kannt­ge­ben: »Eine en­ge­re Ver­bin­dung zwi­schen Ba­thers­hins und Der­ry­na­ne-Beg ist im In­ter­es­se der Zi­vi­li­sa­ti­on un­be­dingt nö­tig und ent­spricht auch dem stets wie­der­keh­ren­den Ver­lan­gen des großen iri­schen Vol­kes.« Oder es steht die Grün­dung ei­ner Zei­tung in Fra­ge. Da wird die An­kün­di­gung etwa so lau­ten: »Jetzt, wo die Kir­che in Ge­fahr ist, wo wil­der Fa­na­tis­mus und ab­scheu­li­cher Un­glau­ben sie be­droht, wo der Je­sui­tis­mus sie zu un­ter­gra­ben sucht und sie durch Spal­tun­gen im In­ne­ren sich na­he­zu selbst ver­nich­tet, ist ein all­ge­mei­ner Schrei – das ge­quäl­te Volk hat sei­ne sehn­süch­ti­gen Bli­cke nach dem Aus­land ge­rich­tet – nach ei­nem Meis­ter und Füh­rer laut ge­wor­den. Ein Ve­rein, dem Geist­li­che und Bür­ger der Stadt an­ge­hö­ren, hat sich in die­ser Stun­de der Ge­fahr ge­bil­det und hat die Grün­dung ei­nes Blat­tes un­ter dem Na­men ›Der Kir­chen­die­ner‹ be­schlos­sen usw. usw.« Hieraus er­hellt we­nigs­tens das eine un­wi­der­leg­lich: Was das Pub­li­kum ver­langt, er­hält es auch, und um­ge­kehrt: Das Pub­li­kum be­sitzt be­reits et­was, dann hat es auch Ver­lan­gen da­nach.

Lan­ge habe ich die Über­zeu­gung mit mir her­um­ge­tra­gen, dass ich ein Werk ver­fas­sen müss­te – ich bit­te, »Werk« groß zu schrei­ben –, dass ich einen Zweck zu er­fül­len hät­te, etwa wie Cur­ti­us, der mit sei­nem Ross in den Ab­grund setz­te, dass ich ein großes so­zia­les Übel zu ent­hül­len und zu hei­len hät­te. Die­se Über­zeu­gung ver­folg­te mich Jah­re hin­durch. Sie pack­te mich mit­ten im Ver­kehr der Stra­ße, sie setz­te sich zu mir in die stil­le Stu­dier­stu­be, sie ließ sich ver­neh­men, wenn ich mein Glas an der Fest­ta­fel er­hob, sie ver­folg­te mich auch im Ge­trie­be von Rot­ten Row, sie folg­te mir so­gar in frem­de Län­der. Am stei­ni­gen Stran­de Brightons und im San­de von Mar­ga­te über­tön­te die Stim­me das Rol­len der See. Sie ver­steck­te sich selbst in mei­ne Nacht­müt­ze und flüs­ter­te mir zu: »Schlä­fer, wa­che auf, dein Werk ist noch im­mer nicht be­gon­nen.« Im vo­ri­gen Jah­re weil­te ich beim Mond­schein im Ko­los­se­um und hör­te wie­der die fei­ne ein­dring­li­che Stim­me spre­chen: »Smith oder Jo­nes, mein bra­ver Jun­ge, das ist ja al­les sehr schön, aber du soll­test ei­gent­lich zu Hau­se sit­zen und an dei­nem großen Werk über die Sn­obs schrei­ben.«

Wenn je­mand einen der­ar­ti­gen Ruf in sei­nem In­ne­ren ver­nimmt, so wäre je­der Ver­such, ihn zu über­hö­ren, eine Ver­kehrt­heit. Er muss zu den Völ­kern spre­chen, er muss sein In­ners­tes um­keh­ren, wie Ja­mes sa­gen wür­de, oder dar­an er­sti­cken und ster­ben.

»Fühlst du denn nicht«, habe ich oft Ihrem er­ge­bens­ten Die­ner in Ge­dan­ken zu­ge­ru­fen, »fühlst du nicht, wie du nach und nach für dei­ne große Ar­beit reif ge­wor­den bist und wie du nun un­wi­der­steh­lich zu ihr hin­ge­zo­gen wirst?« Zu­erst wur­de die Welt ge­schaf­fen, da­nach fol­ge­rich­tig die Sn­obs! Sie wa­ren seit Jahr­tau­sen­den da und blie­ben den­noch eben­so un­ent­deckt wie Ame­ri­ka. Aber auf ein­mal, in­gens pa­te­bat tel­lus, wur­de die Mensch­heit dun­kel ge­wahr, dass ein sol­ches Ge­schlecht wirk­lich exis­tier­te. In­des­sen erst vor un­ge­fähr fünf­und­zwan­zig Jah­ren kam der so be­zeich­nen­de ein­sil­bi­ge Name auf und hat sich mit glei­cher Schnel­lig­keit wie die Ei­sen­bah­nen über ganz Eng­land ver­brei­tet. Heu­te sind Sn­obs ge­kannt und an­er­kannt in un­se­rem Rei­che, in dem, wie ich ge­lernt habe, die Son­ne nie­mals un­ter­geht. Der »Punch«2 er­scheint ge­ra­de zur rech­ten Zeit, um ihre Ge­schich­te auf­zu­zeich­nen, und der ei­gens hier­für prä­des­ti­nier­te Mann ist zur Stel­le, um die­se Ge­schich­te im »Punch« zu schrei­ben.

Ich habe (und zu die­ser Gabe gra­tu­lie­re ich mir selbst aus tiefs­ter, dank­bars­ter See­le), ich habe einen ent­schie­de­nen Blick für Sn­obs. Wenn das Wah­re schön ist, so ist es schön, so­gar das We­sen der Sn­obs zu stu­die­ren, ih­rer Ge­schich­te nach­zu­spü­ren, so wie ge­wis­se klei­ne Hun­de in Hamps­hi­re Trüf­feln auf­stö­bern; so ist es schön, Schäch­te in die Ge­sell­schaft zu boh­ren, um auf rei­che Adern von Snob-Erz zu sto­ßen. Das Snob­tum gleicht dem Tode in dem Ver­se des Horaz, den Sie hof­fent­lich noch nie ge­hört ha­ben und der also lau­tet: »Er pocht glei­cher­wei­se an die Tür der Ar­men, wie er an den Palast­pfor­ten der Kai­ser rüt­telt.« Es wäre ein großer Irr­tum, über Sn­obs ober­fläch­lich ur­tei­len und glau­ben zu wol­len, man trä­fe sie nur un­ter klei­nen Leu­ten an. Ein ge­wal­ti­ger Pro­zent­satz von Sn­obs, da­von las­se ich mich nicht ab­brin­gen, ist in je­der Ge­sell­schafts­klas­se die­ser sterb­li­chen Welt zu fin­den. Ur­tei­len Sie nicht kur­zer­hand oder ge­ring­schät­zig über Sn­obs, Sie be­wei­sen da­mit nur, dass Sie selbst ein Snob sind. Auch ich bin schon da­für ge­hal­ten wor­den.

Als ich mich zur Brun­nen­kur in Ba­g­nig­ge Wells auf­hielt und dort im Ho­tel »Im­pe­ri­al« wohn­te, saß ich beim Früh­stück eine kur­ze Zeit lang ei­nem so un­er­träg­li­chen Snob ge­gen­über, dass ich fühl­te, der Brun­nen wür­de mir nicht be­kom­men, so­lan­ge er dort weil­te. Er hieß Oberst­leut­nant Sno­bley und stand bei ei­nem Dra­gon­er­re­gi­ment. Er trug Lackstie­fel und hat­te einen ge­wichs­ten Schnurr­bart; er lis­pel­te, sprach nach­läs­sig und ließ aus den Wor­ten die R’s aus. Er prahl­te stets und wisch­te sich sei­nen ge­öl­ten Bart mit ei­nem großen rot­sei­de­nen Ta­schen­tuch, wel­ches einen so pe­ne­tran­ten Ge­ruch nach Mo­schus im Zim­mer ver­brei­te­te, dass ich schließ­lich so weit war, mit die­sem Snob den Kampf auf­zu­neh­men, bis er oder ich den Gast­hof ver­ließ. Ich fing zu­erst harm­lo­se Ge­sprä­che mit ihm an, was ihn sehr ir­ri­tier­te, weil er nicht wuss­te, wie er mir ent­geg­nen soll­te, war er es doch nicht im min­des­ten ge­wohnt, dass je­mand es sich her­aus­nahm, ihn zu­erst an­zu­re­den. Dann gab ich ihm eine Zei­tung, und als er auch von die­sem Ent­ge­gen­kom­men kei­ne No­tiz nahm, fi­xier­te ich ihn scharf und be­nutz­te mei­ne Ga­bel als Zahn­sto­cher. Nach­dem ich die­ses zwei Tage hin­ter­ein­an­der durch­ge­führt hat­te, hielt er es nicht län­ger aus und über­ließ mir den Kampf­platz.

Soll­te der Oberst dies zu Ge­sicht be­kom­men, so wird er sich ge­wiss des Herrn er­in­nern, der ihn frag­te, ob er nicht auch Pub­li­ko­la für einen gu­ten Schrift­stel­ler hiel­te, und der es fer­tig brach­te, ihn mit ei­ner vier­zin­ki­gen Ga­bel aus dem Ho­tel zu ver­trei­ben.

John Bull ist eine na­tio­na­le Per­so­ni­fi­ka­ti­on des Kö­nig­reichs Groß­bri­tan­ni­en. John Bull wird nor­ma­ler­wei­se als un­ter­setz­ter Mann in Frack, Knie­bund­ho­sen und ei­ner Uni­on-Jack-Wes­te dar­ge­stellt. John Bull wur­de zur Zeit des Ers­ten Welt­krie­ges auf deut­scher Sei­te ger­ne als Ka­ri­ka­tur des Geg­ners Eng­land ver­wen­det.  <<<

„Punch“ war eine sa­ti­ri­sche Zeit­schrift, die 1841 in Lon­don be­grün­det wur­de. „Punch“ präg­te den Be­griff „Car­toon“ als Be­zeich­nung für eine ko­mi­sche oder sa­ti­ri­sche Zeich­nung. Die Ga­li­ons­fi­gur des Ma­ga­zins war die Hand­pup­pe „Mr. Punch“.  <<<

Erstes Kapitel

Einige scherzhafte Anekdoten über Snobs

Man kann re­la­ti­ve und ab­so­lu­te Sn­obs un­ter­schei­den. Un­ter ab­so­lu­ten Sn­obs ver­ste­he ich sol­che Per­so­nen, die sich über­all in al­len Le­bens­la­gen, Tag und Nacht, von der Wie­ge bis zum Gra­be, als Sn­obs be­tra­gen, weil eben der Sno­bis­mus ihre wah­re Na­tur ist! Die an­de­re Klas­se sind Ge­le­gen­heits-Sn­obs, je nach Lage der Um­stän­de und Ver­hält­nis­se im Le­ben.

Zum Bei­spiel: Ich kann­te je­man­den, der vor mei­nen Au­gen ein ähn­lich ab­schre­cken­des Ge­ba­ren zur Schau trug wie ich, als ich Oberst Sno­bley her­aus­grau­len woll­te: ich mei­ne den Ge­brauch der Ga­bel als Zahn­sto­cher. Also ich kann­te je­man­den, der mit mir zu­sam­men im »Café Eu­ro­pa« (ge­gen­über der Gro­ßen Oper – wie je­der­mann weiß, das ein­zig an­stän­di­ge Spei­se­haus in Nea­pel) das Mit­ta­ges­sen ein­zu­neh­men pfleg­te und Erb­sen mit dem Mes­ser aß. Er war ein Mensch, des­sen Um­gang mir an­fangs das größ­te Ver­gnü­gen mach­te – wir hat­ten uns am Kra­ter­rand des Ve­suv ken­nen­ge­lernt, wa­ren dann in Kala­bri­en von Bri­gan­ten aus­ge­raubt, ge­fan­gen und erst ge­gen Lö­se­geld wie­der frei­ge­ge­ben wor­den, was ei­gent­lich nicht zur Sa­che ge­hört –, er war also ein geist­vol­ler Mann von be­deu­ten­den Ga­ben und viel­sei­ti­ger Bil­dung; aber ich hat­te ihn noch nie Erb­sen es­sen ge­se­hen, und sein Be­neh­men da­bei ver­ur­sach­te mir größ­tes Un­be­ha­gen.

Wenn je­mand sich vor al­ler Welt so be­neh­men konn­te, so blieb mir nur eins zu tun üb­rig – den Ver­kehr mit ihm ab­zu­bre­chen. Ich be­auf­trag­te da­her einen ge­mein­sa­men Freund (den Ehren­wer­ten Poly An­thus), dem Herrn die Sa­che so scho­nend wie mög­lich bei­zu­brin­gen und ihm zu sa­gen, dass un­lieb­sa­me Vor­komm­nis­se, die in kei­ner Wei­se die Ehre des Herrn Mar­rowfat be­rühr­ten oder mei­ner Ach­tung für ihn Ab­bruch tä­ten, mich zwän­gen, den ver­trau­ten Ver­kehr mit ihm auf­zu­ge­ben; den­sel­ben Abend tra­fen wir uns auf ei­nem Ball der Her­zo­gin von Mon­te Fias­co und schnit­ten uns be­reits voll­kom­men.

Alle Welt in Nea­pel wun­der­te sich über die Tren­nung von Da­mon und Py­thi­as – hat­te doch Mar­rowfat mir mehr als ein­mal das Le­ben ge­ret­tet –, aber konn­te ich als Gent­le­man an­ders han­deln?

In die­sem Fall war mein Freund ein re­la­ti­ver Snob. Leu­te von Rang in an­de­ren Län­dern dür­fen ru­hig ihr Mes­ser in der ge­schil­der­ten Art ge­brau­chen, ohne als Sn­obs an­ge­se­hen zu wer­den. Sah ich doch selbst, wie Mon­te Fias­co die Plat­te mit dem Mes­ser ab­putz­te und wie je­der Prin­ci­pe in der Ge­sell­schaft das glei­che tat. Sah ich doch an der Ta­fel Ih­rer Kai­ser­li­chen Ho­heit der Groß­her­zo­gin von Ba­den (die, wenn die­se ehr­furchts­vol­len Zei­len je vor Ihre Kai­ser­li­chen Au­gen kom­men soll­ten, sich ih­res un­ter­tä­nigs­ten Die­ners gnä­dig er­in­nern möge), sah ich doch, sage ich, die Erb­prin­zes­sin von Potz­tau­send Don­ner­wet­ter (die­se klas­sisch schö­ne Dame) ihr Mes­ser als Ga­bel oder Löf­fel ver­wen­den; ich habe sie es, bei Gott, bei­na­he mit ver­schlu­cken se­hen, wie es Ramo Sam­ce, der in­di­sche Gauk­ler, nicht bes­ser ma­chen konn­te. Wur­de ich da­mals blass, oder ver­rin­ger­te sich des­halb mei­ne Ehr­furcht für die Prin­zes­sin? Nein, süße Ama­lie! Wohl die tiefs­te Lei­den­schaft, die ich je für eine Frau heg­te, hat die­se Dame in mei­ner Brust ent­facht. O schöns­tes We­sen! Mö­gest du bis in die ferns­ten Zei­ten mit dem Mes­ser das Es­sen zu dei­nen Lip­pen, den ro­sigs­ten und lieb­lichs­ten der Welt, füh­ren!

Vier Jah­re lang habe ich den wah­ren Grund mei­nes Zwis­tes mit Mar­rowfat kei­ner sterb­li­chen See­le auch nur an­ge­deu­tet. Wir tra­fen uns bei den Emp­fän­gen der Ari­sto­kra­tie – un­se­ren Freun­den und Ver­wand­ten – wei­ter. Wir stie­ßen uns fast beim Tanz und bei der Ta­fel, aber die Ent­frem­dung hielt an und schi­en un­wi­der­ruf­lich, bis der 4. Juni vo­ri­gen Jah­res kam.

Wir tra­fen uns bei Sir Ge­or­ge Goll­oper. Bei Ti­sche saß er rechts, ich links von der ent­zücken­den Lady G. – Erb­sen bil­de­ten einen Teil der Spei­sen­fol­ge – En­ten mit grü­nen Erb­sen. Ich zit­ter­te, als Mar­rowfat da­von an­ge­bo­ten wur­de, und wen­de­te mich vol­ler Un­be­ha­gen ab, fürch­te­te ich doch, wie­der den De­gen in sei­nen schreck­li­chen Kinn­ba­cken ver­schwin­den zu se­hen. Wie groß war mein Er­stau­nen und Ent­zücken, als ich ihn die Ga­bel wie je­der an­de­re Chris­ten­mensch ge­brau­chen sah. Er nahm auch nicht ein ein­zi­ges Mal den kal­ten Stahl zu Hil­fe. Die Erin­ne­rung al­ter Zei­ten über­kam mich, an sei­ne un­ei­gen­nüt­zi­gen Diens­te, als er mich aus der Ge­walt der Bri­gan­ten be­frei­te, an sein rit­ter­li­ches Ver­hal­ten bei der Ge­schich­te mit der Grä­fin Dei Spi­nachi, als er mir mit 1700 Lire aus der Ver­le­gen­heit half. Ich ver­goss bei­na­he Freu­den­trä­nen, mei­ne Stim­me zit­ter­te vor Rüh­rung. »Ge­or­ge, mein al­ter Jun­ge«, rief ich, »Ge­or­ge Mar­rowfat, al­ter Kerl, ein Glas Wein!«

Jäh er­rö­tend in tiefer Be­we­gung, fast eben­so zit­ternd wie ich, er­wi­der­te Ge­or­ge: »Frank, soll es Rhein­wein oder Ma­dei­ra sein?« We­nig fehl­te, und ich hät­te ihn vor der gan­zen Ge­sell­schaft ans Herz ge­drückt. Lady Goll­oper ahn­te schwer­lich, was mich so er­reg­te, dass ich den En­ten­bra­ten, den ich ge­ra­de zer­leg­te, auf ih­ren gräf­li­chen ro­sa­sei­de­nen Schoß fal­len ließ. Die gü­tigs­te al­ler Frau­en ver­zieh mir mei­ne Un­ge­schick­lich­keit, und der La­kai ent­fern­te den Vo­gel.

Seit­dem wa­ren wir die dicks­ten Freun­de, und na­tür­lich ver­fiel Ge­or­ge nie wie­der in die­se ab­scheu­li­che An­ge­wohn­heit. Er hat­te sie sich auf der Schu­le ei­nes Dor­fes an­ge­eig­net, wo Erb­sen ge­zo­gen und nur zwei­zin­ki­ge Ga­beln ge­braucht wur­den. Erst auf dem Kon­ti­nent, wo all­ge­mein vier­zin­ki­ge Ga­beln Mode sind, leg­te er die­se schreck­li­che Un­sit­te ab.

In die­ser Hin­sicht, aber nur in die­ser, bin ich ein An­hän­ger der­je­ni­gen, die für sil­ber­ne Ga­beln Schu­le ma­chen, und wenn die­se Er­zäh­lung auch nur einen Le­ser des »Punch« zum Nach­den­ken ver­an­las­sen soll­te, sich fei­er­lich zu fra­gen: »Esse ich Erb­sen mit dem Mes­ser oder nicht?«, dann wird er be­grei­fen, in wel­chen Ab­grund er ge­ra­ten wür­de, wenn er bei die­ser Übung be­harr­te, oder sei­ne Fa­mi­lie, falls sie sei­nem Bei­spiel folg­te; dann wer­den die­se Zei­len nicht um­sonst ge­schrie­ben sein. Und nun noch eins: was an­de­re Schrift­stel­ler sich auch dün­ken mö­gen, die über die­sen Ge­gen­stand ge­schrie­ben ha­ben, das eine darf ich we­nigs­tens für mich in An­spruch neh­men, dass ich die Sa­che als ein Mann von Moral be­leuch­tet habe.

Da man­che mei­ner Le­ser et­was lang­sam be­grei­fen, ist es viel­leicht ganz gut, wenn ich hier schon selbst die Moral mei­ner Ge­schich­te er­zäh­le. Sie ist näm­lich die: die Ge­sell­schaft hat ihre un­ge­schrie­be­nen Ge­set­ze; wer zu ihr ge­hö­ren will, muss ihre Sit­ten be­fol­gen und ih­ren harm­lo­sen Vor­schrif­ten sich an­pas­sen.

An­ge­nom­men, ich gin­ge auf das »Bri­tish and For­eign In­sti­tu­te« (und der Him­mel möge mich da­vor be­wah­ren, dass ich es un­ter ir­gend­ei­nem Vor­wand oder in ir­gend­ei­nem An­zü­ge tue), oder ich gin­ge zu ei­ner Tee­ge­sell­schaft in Schlaf­rock und Pan­tof­feln und nicht in dem für einen Gent­le­man vor­ge­schrie­be­nen An­zug, näm­lich in Knie­ho­sen, wei­ßer Wes­te mit gol­de­nen Lit­zen, Zy­lin­der­hut, Spit­zen­man­schet­ten und wei­ßer Hals­bin­de, so wür­de ich da­mit die Ge­sell­schaft be­lei­di­gen oder mit an­de­ren Wor­ten … »Erb­sen mit dem Mes­ser es­sen«. Eine Per­son, die einen der­ar­ti­gen Ver­stoß ge­gen die all­ge­mei­ne Sit­te voll­führt, soll­te als­bald durch den Por­tier des In­sti­tu­tes an die fri­sche Luft be­för­dert wer­den. Ein sol­cher Mis­se­tä­ter ist in den Au­gen der Ge­sell­schaft ein höchst wi­der­haa­ri­ger Snob. Die Ge­sell­schaft hat ih­ren Ko­dex und ihre Po­li­zei so gut wie die Re­gie­rung, und wer in ihr ein be­hag­li­ches Le­ben füh­ren will, muss sich ih­ren zum all­ge­mei­nen Bes­ten ge­ge­be­nen Vor­schrif­ten fü­gen.

Ich bin na­tür­lich ein Feind der Selbst­sucht und has­se Ei­gen­lob im Grun­de mei­ner See­le; aber ich kann nicht an­ders und muss hier ein Be­geb­nis er­zäh­len, das mein The­ma er­läu­tert und bei dem ich mich, wie ich glau­be, mit be­trächt­li­cher Klug­heit ver­hal­ten habe.

Vor ei­ni­gen Jah­ren war ich in kniff­li­cher Mis­si­on in Kon­stan­ti­no­pel; die Rus­sen spiel­ten da­mals – ganz un­ter uns – ein dop­pel­tes Spiel, und es wur­de für uns nö­tig, eine Son­der­ge­sandt­schaft hin­zu­schi­cken. Zu der Zeit gab Lecker­biss-Pa­scha von Ru­me­li­en, da­mals der Ober­ga­leo­te der Pfor­te, ein di­plo­ma­ti­sches Di­ner in sei­nem Som­mer­pa­last in Bu­juk­de­re. Ich saß zur Lin­ken des Pa­scha und der rus­si­sche Ge­schäfts­trä­ger, Graf von Didd­loff, auf sei­ner rech­ten Sei­te. Didd­loff ist ein Hans­narr, der so tut, als ob er beim Duft ei­ner Rose vor Won­ne ver­ge­hen soll­te. Da­bei hat­te er im Ver­lauf der Ver­hand­lun­gen drei­mal den Ver­such ge­macht, mich mor­den zu las­sen. Vor der Welt aber wa­ren wir na­tür­lich die bes­ten Freun­de und be­grüß­ten uns in der lie­bens­wür­digs­ten und herz­lichs­ten Wei­se.

Der Pa­scha ist – nein, lei­der war, denn die sei­de­ne Schnur hat seit­dem das ih­ri­ge ge­tan – ein recht­schaf­fe­ner An­hän­ger der alt­tür­ki­schen Di­plo­ma­ten­schu­le. Wir aßen mit den Fin­gern und be­nutz­ten Brot­schei­ben als Tel­ler. Die ein­zi­ge Neue­rung, die er ge­stat­te­te, war der Ge­nuss von eu­ro­päi­schen Schnäp­sen, die er mit größ­ter Won­ne hin­ter die Bin­de goss. Dazu schlug er eine ge­wal­ti­ge Klin­ge. Un­ter den vie­len Ge­rich­ten, die auf­ge­tra­gen wur­den, be­fand sich auch ein Lamm, das in sei­nem Fell ge­bra­ten und mit Pflau­men, Knob­lauch, Teu­fels­dreck, spa­ni­schem Pfef­fer und an­de­ren Ge­wür­zen ge­füllt war. Es war je­den­falls das scheuß­lichs­te Sam­mel­su­ri­um, das je ein Sterb­li­cher ge­ro­chen oder ge­kos­tet hat­te. Der Pa­scha aß un­glaub­li­che Men­gen da­von, und den Sit­ten des Ori­ents ge­mäß leg­te er sei­nen Gast­freun­den zur Rech­ten und Lin­ken selbst vor. Kam aber ein be­son­ders aro­ma­ti­scher Bis­sen ihm un­ter die Fin­ger, so schob er ihn höchst ei­gen­hän­dig in den Mund sei­ner Gäs­te.

Nie­mals wer­de ich das Ge­sicht des ar­men Didd­loff ver­ges­sen, als Sei­ne Ex­zel­lenz eine ziem­lich große Ku­gel aus der Fül­lung form­te und sie mit dem Ruf: »Buck, Buck« (das ist sehr gut) Didd­loff zwi­schen die Lip­pen prak­ti­zier­te. Die Au­gen des Rus­sen roll­ten schreck­lich, als er die­sen Lecker­bis­sen er­hielt; er würg­te ihn in­des­sen un­ter Gri­mas­sen mit To­des­ver­ach­tung her­un­ter, griff dann schleu­nigst nach der nächs­ten Fla­sche, die er für Sau­ter­ne hielt, die aber in Wirk­lich­keit nichts an­de­res als Ko­gnak war, und spül­te ziem­lich einen hal­b­en Li­ter da­von hin­ter­her, ehe er sei­nen Irr­tum be­merk­te. Das gab ihm den Rest, er wur­de halb­tot aus dem Spei­se­saal nach ei­ner küh­len Lau­be am Bos­po­rus ge­tra­gen.

Als ich an die Rei­he kam, nahm ich das Ge­meng­sel freund­lich lä­chelnd ent­ge­gen, sag­te »Bis­mil­lah« und leck­te mir die Lip­pen vol­ler Be­ha­gen. Bei dem nächs­ten Ge­richt dreh­te ich dann mei­ner­seits mit großem Ge­schick eine Ku­gel und stopf­te sie dem al­ten Pa­scha mit so viel Gra­zie in den Mund, dass ich mir das Herz des al­ten Herrn voll­stän­dig er­ober­te. Russ­land war da­mit er­le­digt, und der Ver­trag von Ka­bo­ba­no­pel wur­de un­ter­zeich­net. Mit Didd­loff war es aus, er wur­de nach Pe­ters­burg zu­rück­be­ru­fen, und Sir Ro­de­rich Murchi­son sah ihn spä­ter als Nr. 3967 in den Berg­wer­ken des Ural ar­bei­ten.

Die Moral von die­ser Ge­schich­te habe ich kaum nö­tig zu er­klä­ren; sie lehrt, dass man in der Ge­sell­schaft viel Un­an­ge­neh­mes mit lä­cheln­der Mie­ne hin­un­ter­schlu­cken muss.

Zweites Kapitel

Der Königliche Snob

Lan­ge Zeit ist es her, beim Re­gie­rungs­an­tritt un­se­rer jet­zi­gen gnä­di­gen Kö­ni­gin, da be­gab es sich an ei­nem schö­nen Som­mer­abend, wie Ja­mes sa­gen wür­de, dass ei­ni­ge jun­ge Edel­leu­te nach Tisch beim Wein in der von Frau An­der­son in dem kö­nig­li­chen Dor­fe Ken­sing­ton ge­führ­ten Wirt­schaft zum »Kö­nigs­wap­pen« sa­ßen. Es war ein herr­li­cher Abend, und die Aus­flüg­ler schau­ten auf ein lieb­li­ches Land­schafts­bild. Die ho­hen Ul­men des al­ten Gar­tens stan­den in vol­lem Laub, und zahl­lo­se Ka­ros­sen des eng­li­schen Adels roll­ten vor dem be­nach­bar­ten Palais vor, wo der Prinz von Sus­sex (des­sen Ein­kom­men ihm neu­er­dings nur er­laubt, Ta­ges­ge­sell­schaf­ten zu ge­ben) aus An­lass der An­we­sen­heit sei­ner kö­nig­li­chen Nich­te ein Hof­fest ver­an­stal­te­te. Als die Equi­pa­gen des Adels ihre In­sas­sen vor der Fest­hal­le ab­ge­setzt hat­ten, be­ga­ben sich die Kut­scher und Die­ner in den be­nach­bar­ten Gar­ten des »Kö­nigs­wap­pens«, um dort eine Fla­sche nuss­brau­nen Ales zu trin­ken. Wir be­ob­ach­te­ten die­se Bur­schen von un­se­rem Fens­ter aus, und, beim hei­li­gen Bo­ni­fa­ti­us, das war ein köst­li­cher An­blick.

Die Tul­pen in Myn­heer van Duncks Gär­ten konn­ten nicht far­ben­präch­ti­ger sein als die Li­vreen die­ser bunt ge­klei­de­ten Man­nen. Alle Blu­men des Fel­des blüh­ten an ih­rer in Fal­ten ab­ge­näh­ten Brust, und alle Far­ben des Re­gen­bo­gens leuch­te­ten aus ih­ren Plüsch­plu­der­ho­sen, als sie mit ih­ren lan­gen Stö­cken den Gar­ten in gra­vi­tä­ti­scher Fei­er­lich­keit auf und ab spa­zier­ten un­ter je­nem er­götz­li­chen Be­ben der Wa­den, das auf uns stets einen so be­rücken­den Zau­ber aus­übt. Der Weg schi­en nicht breit ge­nug, um alle die un­ge­schlach­ten Ker­le in ka­na­ri­en­gelb, kar­moi­sin­rot und licht­blau leuch­ten­den Far­ben ein­her­stol­zie­ren zu las­sen.

Da plötz­lich, als sie sich in ih­rer gan­zen Pracht sonn­ten, er­tön­te eine klei­ne Glo­cke, und durch eine Sei­ten­pfor­te tra­ten, nach­dem sie ihre kö­nig­li­che Her­rin ab­ge­setzt hat­ten, Ih­rer Ma­je­stät höchstei­ge­ne Kar­moi­sin­la­kai­en mit Epau­let­ten und schwar­zen Plüsch­ho­sen.

Es war ein kläg­li­cher An­blick, bei ih­rer An­kunft die an­de­ren ar­men Jo­hanns sich fort­schlei­chen zu se­hen. Nicht ei­ner der bra­ven Pri­vat­plüsch­ho­sen konn­te vor den kö­nig­li­chen Be­dien­ten be­ste­hen. Sie ver­lie­ßen den Weg und schlüpf­ten in dunkle Ecken, wo sie still ihr Bier aus­tran­ken. Der kö­nig­li­che Plüsch nahm Be­sitz von dem Gar­ten, bis für sie das kö­nig­li­che Plüsch­di­ner an­ge­rich­tet war, dann zo­gen sie sich zu­rück, und wir hör­ten aus dem Pa­vil­lon, in dem sie speis­ten, staats­er­hal­ten­de Hochs, Re­den und fre­ne­ti­sche Hur­ras. Die an­de­ren Be­dien­ten wur­den nicht mehr ge­se­hen.

Mei­ne lie­ben Be­dien­ten­see­len, die ihr in ei­nem Au­gen­blick so un­glaub­lich ein­ge­bil­det und im nächs­ten so klein­mü­tig wä­ret, ihr seid mir nur die Ab­bil­der eu­rer Her­ren. Merkt euch: wer Nied­ri­ges in nied­ri­ger Wei­se be­staunt, ist ein Snob. – Vi­el­leicht ist dies die tref­fends­te Be­stim­mung des gan­zen Be­griffs.

Da­rum habe ich auch, mit größ­tem Re­spekt na­tür­lich, den kö­nig­li­chen Snob an die Spit­ze mei­ner Lis­te ge­setzt, was zur Fol­ge hat, dass ihm der Vor­tritt vor den an­de­ren Sn­obs ge­las­sen wer­den muss, so wie es die Be­dien­ten vor ih­ren kö­nig­li­chen Kol­le­gen im Ken­sing­ton­gar­ten mach­ten. Wenn ich von dem oder je­nem all­er­gnä­digs­ten Lan­des­her­ren sage, er sei ein Snob, so sage ich von Sei­ner Ma­je­stät nichts an­de­res, als dass er ein Mensch ist. Kö­ni­ge sind eben auch Men­schen und Sn­obs. In ei­nem Lan­de, wo die Mehr­zahl der Be­woh­ner Sn­obs sind, kann der her­vor­ra­gends­te un­ter ih­nen si­cher­lich nicht un­taug­lich zur Re­gie­rung sein. Be­weis: ihre be­wun­derns­wür­di­gen Er­fol­ge bei uns.

Zum Bei­spiel war Ja­kob I. ein Snob, und zu­dem ein schot­ti­scher Snob, also das denk­bar an­stö­ßigs­te Ge­schöpf auf die­ser Welt. Er scheint kei­ne ein­zi­ge Man­nes­tu­gend be­ses­sen zu ha­ben, we­der Tap­fer­keit noch Edel­mut, noch Ehre, noch Ver­stand; aber le­sen wir ein­mal nach, was die großen Geist­li­chen und Ge­lehr­ten Eng­lands über ihn ge­sagt ha­ben!

Sein En­kel Karl II. war ein Schuft, aber kein Snob; wäh­rend Lud­wig XIV., sein quer­köp­fi­ger Zeit­ge­nos­se, der große Perückenan­be­ter, mir stets und zwei­fels­frei als kö­nig­li­cher Snob vor­ge­kom­men ist.

Ich will in­des­sen wei­te­re Bei­spie­le von kö­nig­li­chen Sn­obs nicht aus der Ge­schich­te mei­ner Hei­mat neh­men, son­dern von ei­nem be­nach­bar­ten Kö­nig­reich »Brent­ford« und sei­nem Mon­ar­chen, dem großen und viel­be­wein­ten Ge­or­gi­us IV., be­rich­ten. Mit der­sel­ben De­mut, mit der sich die La­kai­en im »Kö­nigs­wap­pen« vor dem kö­nig­li­chen Plüsch zu­rück­zo­gen, kroch der hohe Adel der Brent­for­der Na­ti­on vor Ge­or­gi­us zu Kreuz und er­klär­te ihn für den ers­ten Gent­le­man Eu­ro­pas. Muss man sich da nicht voll Ver­wun­de­rung fra­gen, was denn nach der An­sicht des Adels einen Gent­le­man aus­macht, wenn er Ge­or­gi­us einen der­ar­ti­gen Ehren­ti­tel gab?

Was heißt es ei­gent­lich, ein Gent­le­man zu sein? Soll er nicht ehr­bar, tap­fer, edel­mü­tig, mu­tig, klug sein? Und wenn er alle die­se Ei­gen­schaf­ten be­sitzt, soll er sie dann nicht vor al­ler Welt in an­mu­ti­ger Wei­se zur Schau tra­gen? Soll ein Gent­le­man nicht ein gu­ter Sohn, ein treu­er Gat­te, ein sorg­sa­mer Va­ter sein? Soll nicht sein Le­bens­wan­del un­ta­de­lig sein, soll er nicht sei­ne Schul­den be­zah­len, soll nicht sein Ge­schmack ent­wi­ckelt und ele­gant, sol­len nicht sei­ne Lieb­ha­be­rei­en er­ha­ben und vor­nehm sein? Mit ei­nem Wort, soll­te nicht der Le­bens­wan­del des ers­ten Gent­le­man von Eu­ro­pa der­art sein, dass sei­ne Bio­gra­fie in hö­he­ren Töchter­schu­len und Un­ter­richts­an­stal­ten jun­ger Leu­te zu al­ler Nut­zen ge­le­sen wer­den könn­te? Ich rich­te die­se Fra­ge an alle Ju­gen­der­zie­her – an Mrs. El­lis und an die eng­li­schen Frau­en; an alle Schul­vor­ste­her von Dok­tor Haw­trey ab­wärts bis zu Mr. Squeers. Ich be­ru­fe da­mit einen er­ha­be­nen Ge­richts­hof von Ju­gend und Un­schuld, ge­lei­tet von ih­ren ehr­wür­di­gen Leh­rern (gleich den zehn­tau­send rot­wan­gi­gen Ar­men­schü­lern in der St. Pauls­kir­che), und auf der An­kla­ge­bank sitzt Ge­or­gi­us, der sich ver­tei­di­gen muss. »Hin­aus mit ihm aus dem Saal, hin­aus aus dem Saal, di­cker, al­ter Flo­ri­zel! Ge­richts­die­ner, führt die­sen auf­ge­schwemm­ten Mann mit den vie­len Pi­ckeln im Ant­litz hin­aus!« – Wenn Ge­or­gi­us ein Stand­bild in dem neu­en Palast, den die Brent­for­der bau­en wol­len, er­hal­ten soll, so soll­te es im La­kai­en­haus er­rich­tet wer­den. Man soll­te ihn dar­stel­len, wie er ein Ge­wand zu­schnei­det, in wel­cher Kunst er es ja, wie es heißt, zur Vollen­dung ge­bracht hat. Er hat auch den Ma­ra­schi­no-Punsch und eine Schuh­schnal­le er­fun­den (das ge­sch­ah in der Voll­kraft sei­ner Ju­gend und der Blü­te sei­ner Er­fin­dungs­ga­be) und einen chi­ne­si­schen Pa­vil­lon, das scheuß­lichs­te Bau­werk der Welt. Er konn­te ein Vier­ge­spann fast eben­so gut len­ken wie der Post­kut­scher von Brighton,1 focht ele­gant und war an­geb­lich ein gu­ter Vio­lin­spie­ler. Und er lä­chel­te so un­wi­der­steh­lich, dass je­der, der in sei­ne er­ha­be­ne Nähe kam, ihm mit Leib und See­le zum Op­fer fiel, so wie ein Ka­nin­chen die Beu­te ei­ner großen Boa con­stric­tor wird.

Ich möch­te wet­ten, dass, wenn Mr. Wid­di­comb durch eine Re­vo­lu­ti­on auf den Thron von Brent­ford käme, das Volk ganz in der glei­chen Wei­se von sei­nem un­wi­der­steh­li­chen, ma­je­stä­ti­schen Lä­cheln be­zau­bert sein und dass es eben­so zit­tern und nie­der­kni­en wür­de, um ihm die Hand zu küs­sen. Wenn er nach Dub­lin käme, so wür­de man an der Stel­le, an der er zum ers­ten Male lan­de­te, einen Obe­lis­ken er­rich­ten, wie es die Pad­dy­län­der ta­ten, als Ge­or­gi­us sie be­such­te. Wir ha­ben alle mit Ver­gnü­gen die Ge­schich­te der Rei­se des Kö­nigs nach Hag­gis­land ge­le­sen, wo sei­ne An­we­sen­heit un­ge­heu­re Be­geis­te­rung ent­fach­te, wo der be­rühm­tes­te Mann des Lan­des – der Baron von Brad­war­di­ne –, als er an Bord der Kö­nigs­jacht kam, ein Glas aus­fin­dig mach­te, aus dem Ge­or­gi­us ge­trun­ken hat­te, und es in sei­ner Rock­ta­sche als un­schätz­ba­res An­den­ken ver­schwin­den ließ. Aber bei der Rück­fahrt an Land setz­te sich der Herr Baron auf das Glas, so­dass es zer­brach und sei­ne Rock­schö­ße zer­schnitt. So ging die un­schätz­ba­re Re­li­quie der Welt auf im­mer ver­lo­ren!

O ed­ler Brad­war­di­ne! Wie konn­te ein so ver­al­te­ter Aber­glau­be dich zur An­be­tung ei­nes der­ar­ti­gen Idols hin­rei­ßen?

Wenn man Lust hat, über den Wech­sel al­les Ir­di­schen zu phi­lo­so­phie­ren, so muss man sich die Fi­gur von Ge­or­gi­us in sei­nen be­glau­bigt ech­ten Klei­dern im Pan­op­ti­kum an­se­hen. Ein­tritt einen Schil­ling. Kin­der und La­kai­en zah­len die Hälf­te. Ich sage euch, geht ja hin und zahlt eu­ern hal­b­en Schil­ling!

be­rühm­tes eng­li­sches See­bad, 81 Ki­lo­me­ter von Lon­don ent­fernt  <<<

Drittes Kapitel

Der Einfluss des Adels auf die Snobs

Letz­ten Sonn­tag vor ei­ner Wo­che war ich in der Stadt­kir­che, und nach Schluss des Got­tes­diens­tes hör­te ich, wie zwei Sn­obs sich über den Pfar­rer un­ter­hiel­ten. Der eine frag­te den an­de­ren über die Per­son des Geist­li­chen aus. »Er heißt Sound­so und ist Haus­kaplan bei dem Gra­fen Wie­heiß­ter­doch­gleich!« – »Oh, wirk­lich!« sag­te der ers­te Snob mit dem Aus­druck un­be­schreib­li­cher Be­frie­di­gung. Für den Geist die­ses Snob wa­ren da­mit die Recht­gläu­big­keit und die Per­sön­lich­keit des Pfar­rers un­zwei­fel­haft fest­ge­stellt. Er wuss­te über den Gra­fen nicht mehr als über sei­nen Ka­plan, aber aus dem An­se­hen des ers­te­ren schloss er auf den Cha­rak­ter des letz­te­ren; und äu­ßerst be­frie­digt von Hoch­wür­den ging er nach Hau­se – die­ser klei­ne ser­vi­le Snob.

Die­ses Er­leb­nis gab mir mehr An­lass zum Nach­den­ken als die Pre­digt, und ich staun­te über die Ver­brei­tung und Aus­deh­nung des Göt­zen­diens­tes, der bei uns zu­lan­de mit ei­nem ho­hen Adel ge­trie­ben wird. Was konn­te es dem Snob be­deu­ten, ob Hoch­wür­den bei Sei­ner Er­laucht Ka­plan war oder nicht? Was ha­ben wir doch für eine Ver­göt­te­rung der Pairs­wür­de in un­se­rem frei­en Lan­de! Wie sind wir doch alle da­mit be­haf­tet und lie­gen mehr oder min­der auf dem Bau­che vor ihr! – Und bei der Be­deu­tung die­ser Fra­ge ste­he ich nicht an zu er­klä­ren, dass der Ein­fluss der Pairs auf das Snob­tum grö­ßer ist als auf ir­gend­ei­ne an­de­re Ein­rich­tung. Das Blü­hen, Wach­sen und Ge­dei­hen der Sn­obs ge­hört, wie Lord John Rus­sel sagt, zu den »un­schätz­ba­ren Ver­diens­ten«, die wir dem Adel ver­dan­ken. Es kann ja auch gar nicht an­ders sein. Je­mand wird bei­spiels­wei­se sehr reich oder ar­bei­tet mit Er­folg als rech­te Hand ei­nes Mi­nis­ters oder ge­winnt eine große Schlacht oder schließt einen vor­teil­haf­ten Ver­trag ab oder ist ein ge­schick­ter An­walt, der hohe Ho­no­ra­re und schließ­lich einen Sitz auf der Rich­ter­bank er­hält, so be­lohnt ihn das Land si­cher­lich für alle Zei­ten durch eine gol­de­ne Kro­ne (mit mehr oder we­ni­ger Ku­geln und Laub), durch einen Ti­tel und die Stel­lung als Ge­setz­ge­ber. »Euer Ver­dienst ist so groß«, sagt die Na­ti­on, »dass auch eure Kin­der in ir­gend­ei­ner Form uns re­gie­ren sol­len. Es ist ganz gleich­gül­tig, dass euer äl­tes­ter Sohn schwach­sin­nig ist. Wir hal­ten eure Ver­diens­te für so her­vor­ra­gend, dass die von euch be­klei­de­ten Ehren­stel­len den­noch auf ihn über­ge­hen sol­len, wenn der Tod euch eure er­ha­be­nen Schu­he aus­zieht. Seid ihr arm, so wol­len wir euch und den Erst­ge­bo­re­nen eu­res Stam­mes für alle Zei­ten so stel­len, dass ihr in Glanz und Won­ne le­ben könnt. Es ist un­ser Wunsch, dass in un­se­rem glück­li­chen Va­ter­lan­de eine Son­der­klas­se le­ben soll, wel­che die ers­te Stel­le ein­nimmt und vor al­len an­de­ren be­ru­fen ist, alle Re­gie­rungs­äm­ter und Pa­tro­na­te zu be­set­zen. Wir kön­nen nicht alle eure teu­ren Kin­der zu Pairs ma­chen, das wür­de der Pairs­wür­de Ab­bruch tun, das Haus der Lords über­fül­len und un­ge­müt­lich ma­chen, aber die jün­ge­ren Mit­glie­der eu­rer Fa­mi­li­en sol­len al­les er­hal­ten, was die Re­gie­rung ih­nen sonst zu ge­ben ver­mag. Sie sol­len sich die Pos­ten aus­su­chen dür­fen, sie sol­len mit neun­zehn Jah­ren Ka­pi­tä­ne und Oberst­leut­nants wer­den, wäh­rend al­ters­graue Leut­nants drei­ßig Jah­re hin­durch ex­er­zie­ren las­sen müs­sen. Sie sol­len mit vier­und­zwan­zig Jah­ren das Kom­man­do über ein Schiff und über alt­ge­dien­te Sol­da­ten ha­ben, die schon im Fel­de stan­den, ehe jene ge­bo­ren wur­den. Und da wir ein so her­vor­ra­gend frei­es Volk sind und alle Leu­te in ih­rem Stre­ben er­mu­ti­gen, so sa­gen wir je­dem Mann von nur ei­ni­gem Rang: be­rei­che­re dich, so sehr du kannst, nimm als Rechts­an­walt die ko­los­sals­ten Ge­büh­ren, hal­te große Re­den, zeich­ne dich aus oder ge­win­ne Schlach­ten, und du – auch du wirst in die aus­er­wähl­te Klas­se kom­men, und dann wer­den na­tür­lich auch dei­ne Nach­kom­men über die uns­ri­gen herr­schen.«

Wie kön­nen wir das Snob­tum ver­hin­dern bei solch ei­ner her­vor­ra­gen­den na­tio­na­len Ein­rich­tung, die wie zur An­be­tung ge­schaf­fen ist? Wie kön­nen wir das Krie­chen vor den Lords ab­wen­den? Fleisch und Blut kön­nen nicht an­ders. Wie kann ein Mensch die­ser großen Ver­su­chung wi­der­ste­hen? Be­seelt von dem, was man ed­len Wett­ei­fer nennt, ja­gen vie­le den Ehren­stel­len nach und er­hal­ten sie auch schließ­lich. An­de­re, die zu schwach oder zu mit­tel­mä­ßig sind, be­wun­dern und krie­chen blind­lings vor de­nen, die wel­che er­run­gen ha­ben. An­de­re wie­der, die nicht fä­hig wa­ren, sie zu er­rei­chen, has­sen, be­schimp­fen und be­nei­den jene Glück­li­chen auf das wü­tends­te. Es gibt nur we­ni­ge nüch­ter­ne und vor­ur­teils­lo­se Phi­lo­so­phen, die das We­sen der Ge­sell­schaft, näm­lich die aus­ge­mach­te Spei­chel­le­cke­rei, die ge­mei­ne und da­bei vom Ge­setz be­güns­tig­te An­be­tung der Hö­her­ste­hen­den und des Mam­mons, mit ei­nem Wort das ver­ewig­te Snob­tum, er­fasst ha­ben und die­ses Fak­tum nun kühl re­gis­trie­ren. Und doch, gibt es selbst un­ter die­sen küh­len Mora­lis­ten auch wohl nur einen, des­sen Herz nicht vor Freu­de hö­her schlü­ge, wenn man ihn Arm in Arm mit Her­zö­gen die Pall Mall1 auf und ab pro­me­nie­ren se­hen könn­te? Nein, un­ter den bei uns nun ein­mal herr­schen­den Ge­sell­schafts­zu­stän­den ist es un­mög­lich, nicht bis­wei­len selbst ein Snob zu sein.

Die­se Zu­stän­de er­mu­ti­gen ei­ner­seits den Bür­ger, sich snob­haft un­ter­wür­fig, und an­de­rer­seits den Edel­mann, sich snob­haft an­ma­ßend zu be­tra­gen. Wenn eine edle Mar­qui­se in ih­rer Rei­se­be­schrei­bung Be­trach­tun­gen dar­über an­stellt, wie sehr die Pas­sa­gie­re auf den Damp­fern dar­un­ter zu lei­den ha­ben, dass sie mit al­lem mög­li­chen Volk in Berüh­rung kom­men, und da­mit zu ver­ste­hen gibt, dass es für die gnä­di­ge Frau pein­lich sei, mit ei­ner An­zahl gött­li­cher Ge­schöp­fe, über de­nen sie zu ste­hen meint, zu­sam­men­zu­kom­men, wenn, sage ich, die Mar­qui­se von X so et­was zu schrei­ben fer­tig­bringt, so müs­sen wir uns ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass kei­ne Frau aus ih­rem na­tür­li­chen Emp­fin­den her­aus eine sol­che Mei­nung sich bil­den wür­de, dass aber die Ge­wohn­heit des Die­nerns und Krie­chens, wel­che die gan­ze Um­ge­bung im Ver­kehr mit die­ser schö­nen und mäch­ti­gen Dame, die­ser Be­sit­ze­rin so vie­ler schwar­zer und an­de­rer Dia­man­ten, an­ge­nom­men hat, ihr die Über­zeu­gung bei­brin­gen muss­te, dass sie im All­ge­mei­nen hoch über ih­ren Mit­menschen steht und dass ihr des­halb die Mas­se des Vol­kes in re­spekt­vol­ler Ent­fer­nung vom Lei­be ge­hal­ten wer­den muss. Ich er­in­ne­re mich, dass ich ein­mal ge­ra­de in Kai­ro war, als ein Prinz aus eu­ro­päi­schem Kö­nigs­hau­se auf der Durch­rei­se nach In­di­en gleich­falls dort weil­te. Ei­nes Abends herrsch­te im Ho­tel große Auf­re­gung, weil ein Mann sich im Brun­nen ganz in der Nähe er­tränkt hat­te. Die Gäs­te des Ho­tels eil­ten nach der Stel­le, und un­ter ih­nen be­fand sich auch Ihr er­ge­be­ner Die­ner, der einen ne­ben ihm ste­hen­den jun­gen Mann nach dem Grun­de des Auf­laufs frag­te. Wie konn­te ich wis­sen, dass der jun­ge Herr ein Prinz war? Er trug we­der Kro­ne noch Zep­ter, son­dern einen wei­ßen An­zug und Filz­hut, aber er war sehr er­staunt dar­über, dass ihn je­mand an­sprach, und ant­wor­te­te mit ir­gend­ei­nem un­ver­ständ­li­chen Wor­te, dann wink­te er sei­nen Ad­ju­tan­ten her­an, der mit mir spre­chen soll­te.

Es ist un­se­re Schuld und nicht die der Gro­ßen, wenn sie sich so hoch über uns ste­hend dün­ken. Wenn Ihr Euch selbst un­ter die Rä­der werft, so wird »Jug­ger­naut, der Herr der Welt« Euch see­len­ru­hig über­fah­ren, dar­auf könnt Ihr Euch ver­las­sen. Und wenn vor Euch, lie­ber Freund, und vor mir täg­lich Ko­tau ge­macht wür­de und wenn, wo wir uns auch bli­cken lie­ßen, das Volk in skla­vi­scher An­be­tung vor uns auf den Kni­en läge, so kämen wir uns na­tür­lich wie hö­he­re We­sen vor und wür­den die Er­ha­ben­heit an­neh­men, die das Volk uns be­harr­lich an­dich­tet.

Hier ein Bei­spiel aus den Rei­se­schil­de­run­gen Lord L.s, aus de­nen er­hellt, in wel­cher ru­hi­gen, wohl­wol­len­den und selbst­ver­ständ­li­chen Wei­se ein großer Mann die Hul­di­gung un­ter ihm Ste­hen­der ent­ge­gen­nimmt. Nach­dem er ei­ni­ge tief­sin­ni­ge und ge­nia­le Be­mer­kun­gen über Brüs­sel ge­macht, sagt Sei­ne Herr­lich­keit wört­lich: »Ich wohn­te ei­ni­ge Tage im Ho­tel ›Bel­le­vue‹, ei­nem sehr über­schätz­ten Hau­se, das nicht an­nä­hernd so vor­nehm wie das ›Hôtel de Fran­ce‹ ist, und mach­te die Be­kannt­schaft des Dr. L., des Arz­tes der Mis­si­ons­an­stalt. Er war glück­lich, mir die Hon­neurs im Ho­tel er­wei­sen zu dür­fen, lud mich zu ei­nem ›dî­ner en gour­man­d‹ im Re­stau­rant ein und be­haup­te­te, dass man hier bes­ser äße als bei Ro­cher in Pa­ris. Wir wa­ren un­ser sechs oder acht Teil­neh­mer und wa­ren uns alle dar­über ei­nig, dass das Ge­bo­te­ne nicht im ent­fern­tes­ten an Pa­ris her­an­reich­te und zu­dem viel teu­rer war.« So­weit die Er­zäh­lung.

Und nun noch ein Wort über den Herrn, der das Di­ner gab. Dr. L., »glück­lich, Sei­ner Herr­lich­keit die Hon­neurs im Ho­tel er­wei­sen zu dür­fen«, fei­ert ihn mit den aus­er­le­sens­ten Ge­rich­ten, die man für Geld ha­ben kann; und Myl­ord fin­det das Es­sen teu­er und schlecht. Teu­er! Ihn kos­tet es doch nichts. Schlecht! Aber Herr L. tat doch sein Bes­tes, um die­sen ed­len Gau­men zu be­frie­di­gen, und Myl­ord nimmt das Mahl gnä­digst ent­ge­gen und ver­ab­schie­det den Gast­ge­ber mit ei­ner Zu­recht­wei­sung. Er be­nimmt sich wie ein Pa­scha von drei Ross­schwei­fen, der über ein un­ge­nü­gen­des Bak­schisch brummt.

Aber wie soll­te es auch an­ders sein in ei­nem Lan­de, wo die Lor­dan­be­tung ein Teil un­se­res Glau­bens­be­kennt­nis­ses ist und wo es den Kin­dern schon ein­ge­impft wird, den Adels­ka­len­der als eine zwei­te Bi­bel der Eng­län­der zu ver­eh­ren.

Pall Mall ist eine Stra­ße im Stadt­teil „Ci­ty of West­mins­ter“ in Lon­don. Be­kannt ist Pall Mall als Hei­mat zahl­rei­cher Gent­le­men’s clubs, die dort im 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert ge­baut wur­den.  <<<

Viertes Kapitel

Der Hofbericht und sein Einfluss auf die Snobs

Ein Bei­spiel ist das bes­te Lehr­mit­tel. So wol­len wir denn mit ei­ner als wahr ver­bürg­ten Ge­schich­te be­gin­nen, die be­weist, wie jun­ge ari­sto­kra­ti­sche Sn­obs ge­züch­tet wer­den und wie ihr Snob­tum zur Blü­te ge­bracht wird. Eine schö­ne und vor­neh­me Dame (ich bit­te die gnä­di­ge Frau um Ver­zei­hung, dass ich ihre Ge­schich­te der Öf­fent­lich­keit preis­ge­be, aber sie ist so mo­ra­lisch, dass die gan­ze Welt sie ken­nen­ler­nen muss) er­zähl­te mir, dass sie in frü­her Ju­gend eine klei­ne Freun­din hat­te, wel­che jetzt eben­falls eine schö­ne und vor­neh­me Dame ist. Es han­delt sich um Miss Snob­ky, die Toch­ter von Sir Snob­by Snob­ky, de­ren Vor­stel­lung bei Hof am vo­ri­gen Don­ners­tag so großes Auf­se­hen er­reg­te; habe ich nö­tig, noch mehr zu sa­gen?

Als Miss Snob­ky noch so jung war, dass sie sich in Wär­te­rin­nen­krei­sen be­weg­te und früh­mor­gens im St. Ja­mes Park un­ter dem Schut­ze ei­ner fran­zö­si­schen Gou­ver­nan­te und ge­folgt von ei­nem großen bär­ti­gen La­kai­en in der ka­na­ri­en­gel­ben Li­vree der Snob­kys spa­zie­ren ge­führt wur­de, pfleg­te sie bei die­sen Ge­le­gen­hei­ten den jun­gen Lord Clau­de Lol­li­pop, den jün­ge­ren Sohn des Mar­quis von Sil­la­bub, zu tref­fen. In der Hoch­sai­son be­schlos­sen plötz­lich die Snob­kys aus ir­gend­ei­nem un­auf­ge­klär­ten Grun­de, die Stadt zu ver­las­sen. Als Miss Snob­ky dies hör­te, frag­te das zart­sin­ni­ge Kind ihre Freun­din und Ver­trau­te: »Was wird nur der arme klei­ne Lol­li­pop sa­gen, wenn er mei­ne Abrei­se er­fährt?«

»Oh, viel­leicht er­fährt er es gar nicht«, ant­wor­te­te die Ver­trau­te. »Mei­ne Lie­be, er wird es in der Zei­tung le­sen«, er­wi­der­te die süße klei­ne sie­ben­jäh­ri­ge Krab­be. Sie war sich schon ih­rer Wich­tig­keit be­wusst und wuss­te auch, wie alle Ein­woh­ner Eng­lands, wie alle als vor­nehm gel­ten­wol­len­den Leu­te, wie alle An­be­ter von sil­ber­nen Ga­beln, alle Neu­ig­keits­krä­mer, alle La­den­in­ha­be­rin­nen und Schnei­de­rin­nen, An­walts- und Kauf­manns­frau­en und die Leu­te, die am Cla­pham und Bruns­wick Squa­re woh­nen und nicht mehr Ge­le­gen­heit ha­ben, mit ei­nem Snob­ky ein­ge­la­den zu wer­den als mein lie­ber Le­ser hat, mit dem Kai­ser von Chi­na zu di­nie­ren, an den Be­ge­ben­hei­ten bei den Snob­kys An­teil neh­men und glück­lich sind zu er­fah­ren, ob sie in Lon­don an­ge­kom­men sind oder es ver­las­sen ha­ben.

Hier folgt der Be­richt über die Toi­let­te von Miss Snob­ky und ih­rer Mut­ter, der Lady Snob­ky, aus den Zei­tun­gen vom vo­ri­gen Frei­tag.

Miss Snob­ky

»Prin­zeß­hän­ger­chen aus gel­ber imi­tier­ter Nan­kings­ei­de über ei­nem Un­ter­kleid von erb­sen­grü­nem Rips, gar­niert mit Ran­ken und Bu­ketts aus Brüs­se­ler Spit­zen. Das Mie­der und die Är­mel wa­ren rei­zend mit Samt und mit Gir­lan­den be­näht. Der Kopf­putz be­stand aus Mohr­rü­ben und Schlei­fen.«

La­dy Snob­ky

»Prin­zeß­kleid, ge­fer­tigt aus den schöns­ten Pe­kin­ger Ta­schen­tü­chern und auf das ele­gan­tes­te be­setzt mit Füt­tern, Stan­ni­ol und ro­ten Bän­dern. Die Cor­sa­ge und das Un­ter­kleid wa­ren aus him­melblau­em Vel­vet, gar­niert mit Per­len und Quas­ten von Klin­gel­zü­gen. Der Um­hang war ein Eier­ku­chen. Der Kopf­putz be­stand aus ei­nem Vo­gel­nest mit ei­nem Pa­ra­dies­vo­gel dar­in, das über ei­ner mes­sing­nen Tür­klin­ke ›en fer­ron­nière‹ an­ge­bracht war. Die­ses präch­ti­ge Ko­stüm stammt aus dem Ate­lier von Ma­da­me Cri­no­li­ne, Re­gent Street, und bil­de­te den Ge­gen­stand all­ge­mei­ner Be­wun­de­rung.«

Solch ein Zeug lest ihr! Oh, Miss El­lis! Oh, eng­li­sche Müt­ter, Töch­ter, Tan­ten, Groß­müt­ter, so ist eure Zei­tungs­lek­tü­re be­schaf­fen, die ihr nicht an­ders ha­ben wollt. Wie könnt ihr et­was an­de­res als Müt­ter, Töch­ter usw. von Sn­obs sein, so­lan­ge euch solch ein Quatsch vor­ge­setzt wird?

Man zwängt den ro­si­gen, klei­nen Fuß ei­ner jun­gen Chi­ne­sin in einen Schuh, der nicht grö­ßer als ein Salz­fass ist, hält die ar­men, klei­nen Ze­hen dar­in ge­fan­gen und um­wi­ckelt, so lan­ge, bis die er­streb­te Win­zig­keit un­re­pa­rier­bar ge­wor­den ist. Spä­ter­hin kann der Fuß sich nicht mehr zur na­tür­li­chen Grö­ße ent­wi­ckeln, selbst wenn man ihm an­stel­le von Schu­hen Wasch­kü­bel an­zie­hen woll­te. Sie muss eben ihr gan­zes Le­ben hin­durch ih­ren klei­nen Fuß be­hal­ten und bleibt ein Krüp­pel … Oh, mei­ne lie­be Miss Wigg­ins, dan­ken Sie es Ihrem gu­ten Stern, dass Ihre hüb­schen klei­nen Füße, die ich für so klein er­klä­re, dass man sie beim Ge­hen kaum wahr­nimmt – dan­ken Sie es Ihrem gu­ten Stern, dass Ihre Mit­menschen an Ih­nen nicht so ge­han­delt ha­ben, aber hal­ten Sie ein­mal Um­schau un­ter Ihren Freun­din­nen in den höchs­ten Krei­sen, und Sie wer­den fin­den, wie vie­len ihr Ge­hirn vor­zei­tig ein­ge­zwängt und ver­krüp­pelt wor­den ist.