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Unterhaltsamer Aufstieg und tiefer Fall eines Gentleman-Gauners
Mit Barry Lyndon schuf William Thackeray den wohl charmantesten Gentleman-Gauner, den unverfrorensten Lügner und Draufgänger der englischen Literatur. Sein wechselvoller Lebenslauf führt den mittellosen jungen Mann in die höchsten Kreise Europas und bis an den Rand des Abgrunds. In seinen «Memoiren» enthüllt er schonungslos Pomp und Dekadenz des 18. Jahrhunderts.
«Ich wusste, dass ich dazu geboren war, eine glänzende Stellung in dieser Welt zu bekleiden.» Bescheidenheit ist seine Sache nicht, und so fasst Redmond Barry, als Halbwaise aufgewachsener Sohn aus irischem Landadel, bereits früh den Entschluss, sich einen bedeutenden Platz in der Gesellschaft zu erobern. Erst Soldat, dann professioneller Spieler, ist der Heißsporn bald gerngesehener Gast an den Fürstenhöfen Europas und insbesondere Deutschlands. Redmond eilt von Abenteuer zu Abenteuer, betört die Herzen der Frauen und macht sich mit seinem losen Mundwerk nicht nur Freunde. Das Ergattern von Baronin Lyndon, ihrem Vermögen und Titel, scheint Barrys größter Coup – doch da verlässt ihn ganz plötzlich das Glück…
Mit «Die Memoiren des Barry Lyndon» gelang der berühmten viktorianischen Lästerzunge William Makepeace Thackeray (1811–1863) ein Glanzstück der Romankunst. Die vorliegende, reich kommentierte Neuübersetzung befreit die Lebensbeichte von allen falschen Schnörkeln. Der kurzweilige Schelmenroman entlarvt neben dem Intrigenreichtum bei Hof auch das monströse Selbstbewusstsein eines gesellschaftlichen Aufsteigers.
«Barry Lyndon» wurde 1975 von Stanley Kubrick verfilmt und mit vier Oscars ausgezeichnet.
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Seitenzahl: 699
Seit den Tagen Adams gab es auf dieser Welt kaum einen Unfug, dessen Anlass nicht eine Frau gewesen wäre. Seit unsere Familie besteht (und das muss ganz kurz nach Adams Zeit gewesen sein, so alt, edel und berühmt sind die Barrys, wie jedermann weiß), haben Frauen für die Geschicke unserer Sippe eine bedeutende Rolle gespielt.
Ich setze voraus, dass es in Europa keinen Gentleman gibt, der nicht vom Hause Barry aus Barryogue1 im Königreich Irland gehört hätte; ein ruhmreicherer Name ist ja bei Gwillim oder D’Hozier2 nicht zu finden; und wiewohl ich als Mann von Welt gelernt habe, die Ansprüche gewisser Leute von ganzem Herzen zu verachten, welche behaupten, edler Geburt zu sein, obgleich sie keine bedeutendere Ahnenreihe haben als der Lakai, der meine Stiefel putzt, und wiewohl ich der Prahlerei vieler meiner Landsleute hohnlache, welche sämtlich von irischen Königen abzustammen behaupten und von Gütern, die kaum ein Schwein zu nähren vermöchten, als von Fürstentümern sprechen, so zwingt mich die Wahrheitsliebe doch zu der Feststellung, dass meine Familie die edelste der Insel und vielleicht gar der ganzen Welt war. Ihre Besitzungen – heute unbedeutend und uns durch Krieg, Heimtücke, Schwund im Lauf der Zeiten, ahnherrliche Schwelgerei sowie Anhänglichkeit gegenüber dem alten Glauben und dem alten Monarchen3 entrissen – hatten einst wundersame Größe und umfassten viele Grafschaften zu einer Zeit, da Irland weit wohlhabender war als heute. Ich erhöbe gar Anspruch auf die irische Krone an höchster Stelle in meinem Wappen, gäbe es nicht so viele alberne Prätendenten auf diese Auszeichnung, welche sie zur Schau tragen und dadurch gewöhnlich machen.
Wäre da nicht dieser Fehler einer Frau gewesen, wer weiß, ob ich sie nicht heute trüge? Sie fahren ungläubig zusammen. Ich sage: warum nicht? Wären meine Landsleute von einem kühnen Feldherrn angeführt worden statt von winselnden Schuften, die vor König Richard II. die Knie beugten,4 so könnten sie jetzt freie Männer sein; wäre dem Schurken und Mordbrenner Oliver Cromwell5 ein entschlossener Anführer entgegengetreten, so hätten wir die Engländer für immer abgeschüttelt. Doch stand gegen den Usurpator kein Barry im Feld; ganz im Gegenteil – mein Ahnherr Simon de Bary kam mit dem erwähnten Monarchen ins Land, heiratete die Tochter des damaligen Königs von Munster6 und tötete dessen Söhne gnadenlos im Kampf.
Zu Olivers Zeit war es zu spät, als dass ein Führer namens Barry seinen Kriegsschrei gegen den des mörderischen Brauers7 hätte erheben können. Wir waren keine Landesfürsten mehr; unsere unselige Sippe hatte ein Jahrhundert zuvor ihre Besitzungen verloren, und zwar durch allerschändlichsten Verrat. Ich weiß, dass dies eine Tatsache ist, denn meine Mutter hat mir die Geschichte oft erzählt und sie auch in einen wollenen Stammbaum eingearbeitet, der im gelben Salon unseres Hauses zu Barryville hing.
Ebenjenes Gut, das nun den Lyndons in Irland gehört, war einst Eigentum meiner Familie. Zur Zeit Elisabeths8 besaß es Rory Barry von Barryogue und halb Munster dazu. Damals befand sich der Barry in Dauerfehde mit den O’Mahonys; und so trug es sich zu, dass ein gewisser englischer Oberst mit einer Schar Soldaten an ebenjenem Tag Barrys Land durchquerte, da die O’Mahonys unsere Ländereien überfallen und eine gewaltige Menge unserer Rinder und Schafe erbeutet hatten, die sie nun als Plündergut mitnahmen.
Jener junge Engländer – namens Roger Lyndon, Linden oder Lyndaine – war von dem Barry sehr gastlich empfangen worden, und als er sah, dass dieser Vorbereitungen für einen Überfall auf das Land der O’Mahonys traf, bot er ihm seine Hilfe und die seiner Lanzen an und leistete wohl so prächtige Arbeit, dass die O’Mahonys völlig überwältigt wurden und die Barrys ihren ganzen Besitz zurückerhielten sowie, der alten Chronik zufolge, das Doppelte an Gütern und Vieh von den O’Mahonys.
Dies geschah zu Beginn des Winters. Der junge Soldat wurde von dem Barry gedrängt, sein Haus zu Barryogue nicht zu verlassen, und weilte einige Monate dort; seine Leute wurden Mann für Mann mit Barrys Kriegern in den umliegenden Katen einquartiert. Sie benahmen sich den Iren gegenüber, ihrer Gewohnheit entsprechend, derart unerträglich und unverschämt, dass das Kämpfen und Morden kein Ende nahm und die Leute schworen, sie alle umzubringen.
Der Sohn des Barry (von dem ich abstamme) war den Engländern so feindlich gesinnt wie jedermann auf seinem Besitz; und da sie trotz aller Aufforderungen nicht abreisen wollten, berieten er und seine Freunde sich und beschlossen, die Engländer bis zum letzten Mann zu vernichten.
Aber sie hatten eine Frau in den Plan eingeweiht, und zwar die Tochter des Barry. Sie war in den Engländer Lyndon verliebt und verriet ihm das Geheimnis; der schurkische Engländer verhütete daraufhin das gerechte Massaker, indem er seinerseits über die Iren herfiel und meinen Vorfahren Phaudrig9 Barry und viele Hunderte seiner Mannen umbrachte. Das abscheuliche Gemetzel trug sich zu am Kreuz zu Barrycross nahe Carrignadihioul.
Lyndon heiratete Roderick Barrys Tochter und forderte dessen hinterlassenen Besitz; und obgleich Phaudrigs Nachkommen noch am Leben waren – tatsächlich ja in meiner Person bis heute sinda –, wurde der Besitz, da man sich an die englischen Gerichte wandte, dem Engländer zugesprochen, wie dies immer geschah, wenn Engländer und Iren betroffen waren.
So wäre ich denn ohne die Schwäche einer Frau von Geburt an im Besitz jener Güter gewesen, die ich mir später durch Verdienst erwarb, wie Sie noch hören werden. Aber fahren wir zunächst in meiner Familiengeschichte fort.
Mein Vater war in den besten Kreisen dieses Königreichs, wie in jenen Irlands, wohlbekannt unter dem Namen Roaring10 Harry Barry. Wie so viele jüngere Söhne vornehmer Familien wurde er zur Ausübung der Jurisprudenz erzogen und bei einem berühmten Advokaten aus der Sackville Street11 in der Stadt Dublin in die Lehre gegeben; ob seiner großartigen Geistesgaben und Befähigung zur Gelehrsamkeit wäre er ohne Zweifel zu einer vortrefflichen Zierde seines Berufsstands geworden, hätten ihn nicht seine gesellschaftlichen Talente, seine Liebe zu sportlicher Betätigung und die ungewöhnliche Anmut seiner Umgangsformen für eine höhere Sphäre bestimmt. Schon als Angestellter eines Advokaten hielt er sich sieben Rennpferde und nahm regelmäßig an den Jagden in Kildare und Wicklow teil; auf seinem Grauschimmel Endymion ritt er das berühmte Rennen gegen Hauptmann Punter,12 an das sich die Sportliebhaber noch heute erinnern und zu dessen Andenken ich ein prächtiges Gemälde anfertigen und über den Kaminsims meines Speisesaals auf Schloss Lyndon hängen ließ. Ein Jahr später hatte er die Ehre, auf nämlichem Pferd Endymion unter den Augen Seiner Majestät des – inzwischen verblichenen – Königs Georg II.13 in Newmarket14 das Rennen und damit den Pokal und die Aufmerksamkeit des erhabenen Herrschers zu gewinnen.
Mein lieber Vater war zwar nur der zweite Sohn der Familie,15 doch gelangte er auf natürliche Weise in den Besitz unseres Gutes (nunmehr auf erbärmliche vierhundert Pfund pro Jahr geschrumpft), denn meines Großvaters ältester Sohn Cornelius Barry (wegen einer in Deutschland erlittenen Verwundung Chevalier Borgne genannt) blieb dem alten Glauben treu, in dem unsere Familie erzogen war, und leistete ausgezeichneten Kriegsdienst nicht nur in der Fremde, sondern auch während der unseligen schottischen Wirren anno ’45 gegen Seine Geheiligte Majestät Georg II. Von dem Chevalier werden wir später noch mehr erfahren.
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