Das Stunden-Buch: Vom mönchischen Leben + Von der Pilgerschaft + Von der Armut und vom Tode - Rainer Maria Rilke - E-Book

Das Stunden-Buch: Vom mönchischen Leben + Von der Pilgerschaft + Von der Armut und vom Tode E-Book

Rainer Maria Rilke

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Beschreibung

Dieses eBook: "Das Stunden-Buch: Vom mönchischen Leben + Von der Pilgerschaft + Von der Armut und vom Tode" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Das Stunden-Buch ist der Titel eines Gedichtzyklus von Rainer Maria Rilke. Der Titel des Zyklus geht auf die seit dem Spätmittelalter gebräulichen Stundenbücher zurück und deutet bereits den religiöse Bezug an. Diese Gebets- und Andachtsbücher waren häufig mit Buchmalerei ausgeschmückt und verbanden so die religiöse Erbauung mit der Kunst. Sie enthielten Gebete für unterschiedliche Tageszeiten und sollten durch die regelmäßige Hinwendung zu Gott den Tag strukturieren. Das Werk steht unter dem Einfluss Friedrich Nietzsches und Gedanken der zeitgenössischen Lebensphilosophie und zeigt Rilkes Suche nach einem sinnstiftenden Urgrund des Lebens, den er pantheistisch Gott nannte. Er fand ihn "in allen diesen Dingen / denen ich gut und wie ein Bruder bin" und sprach ihn als "Nachbar Gott" an, den er "manchesmal / in langer Nacht mit hartem Klopfen störe" und von dem ihn nur "eine schmale Wand" trenne. Auf diese Situation reagiert Rilke mit einem unvollendeten Dialog zwischen Ich und Gott und hebt dabei jede (vorläufige) Bestimmung Gottes immer wieder auf, eine Bewegung die beide Seiten betrifft: Nicht nur dissoziiert sich das lyrische Ich, sondern auch der "Gesprächspartner", der in unterschiedlichen Formen beschworen wird und einmal als "der Dunkelste", dann wieder als "der Fürst im Land des Lichts" erscheint. Rainer Maria Rilke (1875-1926) war ein Lyriker deutscher Sprache. Mit seiner in den Neuen Gedichten vollendeten, von der bildenden Kunst beeinflussten Dinglyrik gilt er als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.

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Rainer Maria Rilke

Das Stunden-Buch: Vom mönchischen Leben + Von der Pilgerschaft + Von der Armut und vom Tode

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2334-6

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch: Das Buch vom mönchischen Leben
Zweites Buch: Das Buch von der Pilgerschaft
Drittes Buch: Das Buch von der Armut und vom Tode

enthaltend die drei Bücher

Vom mönchischen Leben Von der Pilgerschaft Von der Armut und vom Tode

*

Erstes Buch: Das Buch vom mönchischen Leben

Inhaltsverzeichnis

(1899)

Da neigt sich die Stunde und rührt mich an mit klarem, metallenem Schlag: mir zittern die Sinne. Ich fühle: ich kann – und ich fasse den plastischen Tag.

Nichts war noch vollendet, eh ich es erschaut, ein jedes Werden stand still. Meine Blicke sind reif, und wie eine Braut kommt jedem das Ding, das er will.

Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem und mal es auf Goldgrund und groß, und halte es hoch, und ich weiß nicht wem löst es die Seele los…

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.

Ich habe viele Brüder in Sutanen im Süden, wo in Klöstern Lorbeer steht. Ich weiß, wie menschlich sie Madonnen planen, und träume oft von jungen Tizianen, durch die der Gott in Gluten geht.

Doch wie ich mich auch in mich selber neige:MeinGott ist dunkel und wie ein Gewebe von hundert Wurzeln, welche schweigsam trinken. Nur, daß ich mich ausseinerWärme hebe, mehr weiß ich nicht, weil alle meine Zweige tief unten ruhn und nur im Winde winken.

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen, du Dämmernde, aus der der Morgen stieg. Wir holen aus den alten Farbenschalen die gleichen Striche und die gleichen Strahlen, mit denen dich der Heilige verschwieg.

Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände; so daß schon tausend Mauern um dich stehn. Denn dich verhüllen unsre frommen Hände, sooft dich unsre Herzen offen sehn.

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden, in welchen meine Sinne sich vertiefen; in ihnen hab ich, wie in alten Briefen, mein täglich Leben schon gelebt gefunden und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.

Und manchmal bin ich wie der Baum, der, reif und rauschend, über einem Grabe den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe (um den sich seine warmen Wurzeln drängen) verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchesmal in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, so ists, weil ich dich selten atmen höre und weiß: Du bist allein im Saal. Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da, um deinem Tasten einen Trank zu reichen: Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen. Ich bin ganz nah.

Nur eine schmale Wand ist zwischen uns, durch Zufall; denn es könnte sein: ein Rufen deines oder meines Munds – und sie bricht ein ganz ohne Lärm und Laut.

Aus deinen Bildern ist sie aufgebaut.

Und deine Bilder stehn vor dir wie Namen. Und wenn einmal das Licht in mir entbrennt, mit welchem meine Tiefe dich erkennt, vergeudet sichs als Glanz auf ihren Rahmen.

Und meine Sinne, welche schnell erlahmen, sind ohne Heimat und von dir getrennt.

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre. Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte und das nachbarliche Lachen, wenn das Geräusch, das meine Sinne machen, mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –:

Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken bis an deinen Rand dich denken und dich besitzen (nur ein Lächeln lang), um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank.

Ich lebe grad, da das Jahrhundert geht. Man fühlt den Wind von einem großen Blatt, das Gott und du und ich beschrieben hat und das sich hoch in fremden Händen dreht.

Man fühlt den Glanz von einer neuen Seite, auf der noch Alles werden kann.

Die stillen Kräfte prüfen ihre Breite und sehn einander dunkel an.

Ich lese es heraus aus deinem Wort, aus der Geschichte der Gebärden, mit welchen deine Hände um das Werden sich rundeten, begrenzend, warm und weise. Du sagtestlebenlaut undsterbenleise und wiederholtest immer wieder:Sein. Doch vor dem ersten Tode kam der Mord. Da ging ein Riß durch deine reifen Kreise und ging ein Schrein und riß die Stimmen fort, die eben erst sich sammelten um dich zu sagen, um dich zu tragen alles Abgrunds Brücke –

Und was sie seither stammelten, sind Stücke deines alten Namens.

Der blasse Abelknabe spricht:

Ich bin nicht. Der Bruder hat mir was getan, was meine Augen nicht sahn. Er hat mir das Licht verhängt. Er hat mein Gesicht verdrängt mit seinem Gesicht. Er ist jetzt allein. Ich denke, er muß noch sein. Denn ihm tut niemand, wie er mir getan. Es gingen alle meine Bahn, kommen alle vor seinen Zorn, gehen alle an ihm verloren.

Ich glaube, mein großer Bruder wacht wie ein Gericht. An mich hat die Nacht gedacht; an ihn nicht.

Du Dunkelheit, aus der ich stamme, ich liebe dich mehr als die Flamme, welche die Welt begrenzt, indem sie glänzt für irgend einen Kreis, aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.

Aber die Dunkelheit hält alles an sich: Gestalten und Flammen, Tiere und mich, wie sie’s errafft, Menschen und Mächte –

Und es kann sein: eine große Kraft rührt sich in meiner Nachbarschaft.

Ich glaube an Nächte.

Ich glaube an Alles noch nie Gesagte. Ich will meine frömmsten Gefühle befrein. Was noch keiner zu wollen wagte, wird mir einmal unwillkürlich sein.

Ist das vermessen, mein Gott, vergib. Aber ich will dir damit nur sagen: Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb, so ohne Zürnen und ohne Zagen; so haben dich ja die Kinder lieb.

Mit diesem Hinfluten, mit diesem Münden in breiten Armen ins offene Meer, mit dieser wachsenden Wiederkehr will ich dich bekennen, will ich dich verkünden wie keiner vorher.

Und ist das Hoffahrt, so laß mich hoffährtig sein für mein Gebet, das so ernst und allein vor deiner wolkigen Stirne steht.

Ich bin auf der Welt zu allein und doch nicht allein genug, um jede Stunde zu weihn. Ich bin auf der Welt zu gering und doch nicht klein genug, um vor dir zu sein wie ein Ding, dunkel und klug. Ich will meinen Willen und will meinen Willen begleiten die Wege zur Tat; und will in stillen, irgendwie zögernden Zeiten, wenn etwas naht, unter den Wissenden sein oder allein.

Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, und will niemals blind sein oder zu alt um dein schweres schwankendes Bild zu halten. Ich will mich entfalten. Nirgends will ich gebogen bleiben, denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin. Und ich will meinen Sinn wahr vor dir. Ich will mich beschreiben wie ein Bild das ich sah, lange und nah, wie ein Wort, das ich begriff, wie meinen täglichen Krug, wie meiner Mutter Gesicht, wie ein Schiff, das mich trug durch den tödlichsten Sturm.

Du siehst, ich will viel. Vielleicht will ich Alles: das Dunkel jedes unendlichen Falles und jedes Steigens lichtzitterndes Spiel.

Es leben so viele und wollen nichts, und sind durch ihres leichten Gerichts glatte Gefühle gefürstet.

Aber du freust dich jedes Gesichts, das dient und dürstet.

Du freust dich Aller, die dich gebrauchen wie ein Gerät.

Noch bist du nicht kalt, und es ist nicht zu spät, in deine werdenden Tiefen zu tauchen, wo sich das Leben ruhig verrät.

Wir bauen an dir mit zitternden Händen und wir türmen Atom auf Atom. Aber wer kann dich vollenden, du Dom.

Was ist Rom ? Es zerfällt. Was ist die Welt? Sie wird zerschlagen eh deine Türme Kuppeln tragen, eh aus Meilen von Mosaik deine strahlende Stirne stieg.

Aber manchmal im Traum kann ich deinen Raum überschaun, tief vom Beginne bis zu des Daches goldenem Grate.

Und ich seh: meine Sinne bilden und baun die letzten Zierate.

Daraus, daß Einer dich einmal gewollt hat, weiß ich, daß wir dich wollen dürfen. Wenn wir auch alle Tiefen verwürfen: wenn ein Gebirge Gold hat und keiner mehr es ergraben mag, trägt es einmal der Fluß zutag, der in die Stille der Steine greift, der vollen.

Auch wenn wir nicht wollen:Gott reift.

Wer seines Lebens viele Widersinne versöhnt und dankbar in ein Sinnbild faßt, der drängt die Lärmenden aus dem Palast, wirdandersfestlich, und du bist der Gast,