Das Tal der Götter - Alexandra Wolfe - E-Book

Das Tal der Götter E-Book

Alexandra Wolfe

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Beschreibung

Die US-Elite tummelte sich lange Jahre an den Ivy-League-Unis der Ostküste. Mittlerweile hat sich der Fokus verlagert. Das Silicon Valley ist der neue Hotspot. Hier werden Kids zu Milliardären. Hier tobt der Kampf um die größten Talente von morgen. Alexandra Wolfe begleitet drei dieser jungen Visionäre, die das College und ihr normales Leben aufgegeben haben, um im Silicon Valley zu leben und zu arbeiten. Ihr Ziel: der nächste Mark Zuckerberg oder Elon Musk zu sein. Peter Thiel, einer der ganz Großen im Silicon Valley, rekrutiert sie mit seinem Förderprogramm. Wolfe war dabei und gewährt exklusive Einblicke.

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VERLAG

DAS TAL DER GÖTTER

Der Silicon-Valley-Lifestyle:So lebt, arbeitet und ticktdie neue US-Elite

ALEXANDRA WOLFE

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Valley of the Gods – a silicon valley story

ISBN 978-1-4767-7894-5

Copyright der Originalausgabe 2017:

German Translation copyright © 2017 by Börsenmedien AG, Kulmbach

Valley of the Gods – a silicon valley story from Proprietor‘s edition of the Work

Copyright © 2017 by Alexandra Wolfe

All rights reserved.

Copyright der deutschen Ausgabe 2017:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Hubert Mania

Gestaltung Cover: Holger Schiffelholz

Gestaltung, Satz und Herstellung: Martina Köhler

Lektorat: Egbert Neumüller

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-489-5

eISBN 978-3-86470-490-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks,der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbankenoder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

Für Mom, Dad und Tommy

Eine gemütliche Hütte mit kleinen Türen und Fenstern –Ein kleiner Schornstein wie ein lustiger kleiner Hut;Ein kleiner Blumengarten für die Bienen, die Honig wollten –Wer hat wohl je ein hübscheres kleines Hausals dieses hier gesehen.

Dixie Willson, Honey Bear

INHALT

Vorbemerkungder Autorin

Vorwort

1. Asperger ist hip

2. Die glutenfreie offene Ehe

3. Abgefahrene Programmiererkommunen

4. Die ewigen Studenten

5. Fleisch bis zum Abwinken

6. Alphamädchen und Betajungen

7. Die Unsterblichen

8. Fünf Minuten Ruhm

9. Das ganz neue Geld

10. Wann bittest du um Vergebung und wann fragst du um Erlaubnis?

11. Ist das die echte Wirklichkeit?

12. Wir werden sein wie Gott

Schluss

Dank

Vorbemerkung der Autorin

ICH BEGEGNETE PETER THIEL, Mitbegründer von PayPal, Geschäftspartner von Founders Fund und Erstinvestor von Facebook, zum ersten Mal 2006 im Empfangszimmer seines Hauses. Er hatte ein paar Freunde eingeladen, um einen Vortrag über Religion, Technologie und Immobilien zu halten. Im Laufe der nächsten Monate und Jahre wurden der Tech-Investor und ich Freunde, wobei er mein Interesse für den Wahnwitz des Silicon Valley weckte. Während dieser Zeit gingen ihm alle möglichen Ideen durch den Kopf, die den meisten Leuten befremdlich vorkamen. So wollte er beispielsweise auf offenem Meer Inseln schaffen, wo libertäre* Prinzipien gelten sollten, in die Langlebigkeitsforschung investieren und, in jüngster Zeit, ein Programm finanzieren, das Studenten ermutigt, das College aufzugeben und eigene Firmen im Silicon Valley zu gründen.

Alle seine Vorstellungen verstießen gegen die politische Korrektheit. Er war ein Nonkonformist und zog daher auch entsprechend außergewöhnliche Freunde an. Durch Thiel entdeckte ich eine ganz neue Welt überwiegend exzentrischer Menschen, deren Ideen offenbar von den gewohnten Prinzipien abwichen oder über das gesellschaftliche Denken hinausgingen.

Es war schließlich sein Antiuniversitätsprogramm, das im Bewusstsein der Öffentlichkeit haften blieb. Vielleicht kam es gerade zur rechten Zeit, als viele Amerikaner an einem Wendepunkt angelangt waren und die Nase voll davon hatten, die Schuldenlast ihrer Studiengebühren abstottern zu müssen, oder weil sie nach der Rezession zwischen 2007 und 2009 trotz akademischer Titel keine Arbeit finden konnten. Wie auch immer, Thiels Programm „20 unter 20“, das 20 Studenten unter 20 Jahren 100.000 Dollar be willigte, um die Schule schmeißen zu können, löste eine neue Bildungsdebatte aus.

Die Stipendiaten des ersten Jahres erwiesen sich als wichtige Vermittler für meine Beschäftigung mit der Elite und den Schattenseiten des Silicon Valley. Durch ihre Augen sah ich einen Lifestyle, der sich ganz und gar von der Ostküstenhierarchie unterschied. Aus Thiels Perspektive erkannte ich Neugier, Intelligenz und einen Idealismus, der auf den ersten Blick der Intuition zuwiderläuft. Und so kam ich immer wieder zur Bucht von San Francisco zurück. Dieses Buch ist der Versuch, etwas von der Kultur einzufangen, die mich und die Stipendiaten an einen Ort zog, der nicht nur die Art und Weise revolutioniert hat, wie Amerika Geschäfte macht, sondern auch das Leben der Menschen dort veränderte. Im Silicon Valley gehören die ausgetretenen Pfade der Ostküstenelite der Vergangenheit an. An ihre Stelle sind ein paar offene Fragen getreten: Welche Industrien erwischt es als nächste und welche kulturellen Arrangements werden die alte Gesellschaft ersetzen. Aus meiner Sicht ist das Silicon Valley mehr als nur ein Versuchsgelände für Start-ups. Es ist ein viel größeres Labor kulturellen Experimentierens, wo das einzig Unmögliche die Vorhersage ist, was als Nächstes passieren wird.

* An extremer individueller Freiheit ausgerichtete Philosophie mit minimaler Einmischung des Staates.

VORWORT

EIN DONNERSTAGABEND um kurz nach sechs im kalifornischen San Mateo County in einem relativ neuen, schicken Hotel im kalifornischen Kunsthandwerkerstil namens Rosewood Sand Hill. Von der Veranda aus schaut man auf einen von unten beleuchteten Pool, der Olympianormen erfüllt und von Fuchsien umsäumt ist. Eine Gruppe schlanker blonder Frauen in hellen Strandkleidern und sich bauschenden Blusen hockt auf Sitzkissen im Rancho-Webstil an Tischen, voll besetzt mit Tech-Unternehmern in der legendären Technokluft: enge T-Shirts, Jeans und maßgeschneiderte Blazer. Sie hängen unter UV-Lampen ab, essen scharf gewürztes Popcorn und kleine Sandwiches vom Eichenkohlengrill, heruntergespült mit Wein aus Sancerre.

Doch heute Abend kriegen die jungen Blondinen Konkurrenz. Jeden Donnerstagabend ist Cougar Night, wie es die Stammgäste nennen. Die Cougars* sind Frauen über 30 oder 40 – oder womöglich noch älter? – auf der Pirsch nach genau den appetitlichen Sterblichen, die sie hier vor sich aufgereiht sehen: ein Tisch neben dem anderen und voll besetzt mit jungen Techies, ausschließlich männlich, überwiegend Singles, die Hälfte von ihnen keinen blassen Schimmer von den Waffen einer Frau – und darunter so viele Milliardäre und Männer mit einem Vermögen von Dutzenden oder einigen Hundert Millionen Dollar, dass sie jede beliebige Ansammlung von Investmentbankern und Hegdefondsmanagern vor lauter Minderwertigkeitsgefühlen und Befangenheit wegen des Altersunterschieds zusammenzucken lassen würden.

Sowohl die jungen als auch die auf Botox schwörenden Frauen sind auf die jungen Pioniere scharf, die früh zu Reichtum gelangten, als sich Mitte der 1990er-Jahre ein unüberschaubares, unerschlossenes Terrain namens Internet über die Welt ausbreitete. Nur die Jungen und Ehrgeizigen, die mit dem Computer aufgewachsen waren, erkannten sein künftiges Potenzial. Sie hatten die digitalen Arbeitsabläufe des Computers schon früh in ihrem Leben verinnerlicht. Für sie schien er weniger ein Werkzeug als vielmehr Teil ihres vegetativen Nervensystems zu sein – jenes Element des Zentralen Nervensystems, das Säugetiere atmen lässt, ohne dass sie daran denken müssen. Nur sie konnten die grenzenlosen Möglichkeiten des Webs erahnen. Erstaunlich wenige vor 1970 Geborene haben es jemals kapiert, auch wenn ihre Leistungen in geschäftlichen Dingen oder in der akademischen Welt herausragend sein mochten. Die Old Boys betrachteten das Internet von außen und fragten sich, was daran so aufregend sein sollte. Die Kinder des digitalen Zeitalters mussten es sich nicht anschauen. Sie fühlten es im Bauch. Sie waren visionäre junge Hüpfer, die erkannt hatten, dass das Internet die erste große neue Industrie seit einem halben Jahrhundert werden würde – erschaffen, entwickelt, bedient und – was am wichtigsten war – im Besitz von „Kindern“. Es hatte das Potenzial, Fernsehen und Kernkraft wie Antiquitäten aussehen zu lassen.

Obendrein hatte das Internet Einstiegsmöglichkeiten, von denen man an der Ostküste noch nie gehört hatte. Abgaben leisten im Silicon Valley? Hier zu sein hieß, man fing als Geschäftsführer eines Start-ups an und scheiterte dann. Das also war der erste Schritt: Die Glorifizierung war ein gutes Recht. Man konnte gleich ganz oben als Gründer – und nicht etwa ganz unten in der Poststelle – anfangen, dann dramatisch scheitern und künftig im Lebenslauf damit angeben. Es war eine neue Art zu reüssieren für jene, die keine mustergültige Herkunft hatten. Man konnte von sonstwo her sein, Land oder Abschluss spielten keine Rolle, und es gab auch keine festgelegten Schritte, denen man folgen musste. Wer es schaffte, ganz groß rauszukommen – auch wenn es nur wenige Milliarden-Dollar-Unternehmen gab –, hatte das Gefühl, der Durchschnittsbürger oder der Antinerd schlechthin zu sein. Das war eine hoffnungsfrohe Botschaft, selbst wenn es hauptsächlich die wenigen Glücklichen waren, die am lautesten mit ihrem für unmöglich gehaltenen Aufstieg in die Elite des Silicon Valley prahlten.

Auch ihr Aussehen war bemerkenswert. Zu Hause, woher so ein spindeldürrer Nerd mit starken Brillengläsern, ausgebeulten Jeans und T-Shirt auch immer kommen mochte, hätte er sich bei den Frauen mit ziemlicher Sicherheit einen Korb geholt. Hier aber, zur Cougar Night, wurde genau dieser Typ Mann von Frauen umschmeichelt.

Aber wie konnten die Cougars die Erfolgreichen von den Erfolglosen unterscheiden? Sie sahen doch alle gleich aus, von Risikokapitalgebern bis zu den Stanford-Studenten im achten Semester. Na gut, Erstere mochten vielleicht ihre Haare gefärbt haben.

Die Szene hier im Hotel spiegelte das erste Aufblühen dieser Industrie wider, die die sechseinhalb Kilometer lange Sand Hill Road in ein Ziel verwandelte, das genauso anziehend war wie Manhattan, Londons Mayfair District, die Champs Elysées in Paris, Rio, Hongkong, Las Vegas und die Via Veneto in Rom. Kurz gesagt, es ist das Herz des Silicon Valley, ein geografischer und emotionaler Ort, der auf eine vage definierte, 2.400 Quadratkilometer große Fläche verweist, die 40 Kilometer südlich von San Francisco beginnt, die Halbinsel entlang durch Palo Alto führt und schließlich bei Mountain View in der Nähe von San José endet.

Das war nicht immer so. Das Gelände des protzigen Rosewood Hotels war vor 200 Jahren eine Rinderfarm. Die Sand Hill Road? Ein Kuhpfad. Vor 100 Jahren? In der Gegend, wo jetzt der weitläufige Facebook-Campus etliche Hektar des Stadtgebiets von Menlo Park vereinnahmt, knapp zehn Minuten vom Rosewood entfernt, gab es früher Obstplantagen – und zwar so viele, dass der ganze Landstrich Valley of Heart’s Delight (Tal der Herzenslust) genannt wurde.

Damals war der reichste Mann im Tal ebenfalls ein Unternehmer, allerdings auf einem entschieden weniger technischen Gebiet. Er hieß James Lick, war Klavierfabrikant und brachte im 19. Jahrhundert 600 Pfund Ghirardelli-Schokolade nach San Francisco. Auf seinen Rat kam die Firma in die Vereinigten Staaten und gründete die Ghirardelli Chocolate Company. Lick kaufte auch Land. Leland Stanford, der Eisenbahnmagnat und Gründer der Stanford University, war ebenfalls eine Gottheit in jener Ära des Valley of the Gods. Der Stanford University gelang es, Fred Terman davon zu überzeugen, das MIT (Massachusetts Institute of Technology) zu verlassen und nach Palo Alto zurückzukehren, wo er seinen Bachelorabschluss und seinen Master gemacht hatte. Er sollte dort zu einem Zeitpunkt Ingenieurwissenschaften lehren, als die meisten von der Universität angesprochenen Ostküstenprofessoren die Idee verwarfen, an einen Ort überzusiedeln, der sich schon bald als die Eliteschmiede für eine noch wenig bekannte aufstrebende Institution im ganzen Land erweisen sollte – das „Start-up“.

Sie konnten nicht wissen, wie viele weitere Start-ups noch aus dieser Universität der Emporkömmlinge hervorgehen sollten. Bill Hewlett und Dave Packard studierten dort, bevor sie das Unternehmen gründeten, das Hewlett-Packard heißt. Bekanntlich wurde es in ihrer kleinen Garage gegründet – ein Ort, der im Silicon Valley einem antiken Tempel am nächsten kommt. Zuerst übernahmen sie Lohnarbeiten und entwarfen beispielsweise einen Motorantrieb für das Teleskop am Lick-Observatorium, benannt nach James Lick. Schließlich verkauften sie 1938 ihren Tonfrequenzgenerator, mit dem man Beschallungsanlagen testen konnte und der rund 55 Dollar kostete, an die Walt Disney Company für deren geplanten Zeichentrickfilm Fantasia. Disney war ihr erster echter Kunde. Sie gaben die Lohnarbeit auf und wurden stattdessen Fabrikanten.

Es war die erste große studentische Erfolgsgeschichte im Silicon Valley und die erste von vielen Firmen, die mittlerweile routinemäßig – und zu diesem Zeitpunkt fast schon aus Jux – in winzigen Garagen gegründet wurden. So war beispielsweise Halcyon Molecular, ein heute nicht mehr existierendes Start-up für Genomsequenzierung, schwer in diesen „Garagenmythos“ verliebt. Obwohl Risikokapitalgeber großzügige Büroräume und viele Hunderttausend Dollar Kapital zur Verfügung stellten, beschlossen die Gründer dennoch, in einer Garage zu arbeiten.

Das Silicon Valley, wie wir es kennen, bekam seinen Namen erst 1971, als der kalifornische Unternehmer Ralph Vaerst den Landstrich nach den Siliziumchip-Herstellern benannte, die hierher gezogen waren. Heute ragen legendäre und landschaftsprägende Bauwerke aus diesem Tal heraus – nicht nur Garagen, wo große Unternehmen ihren Anfang nahmen, sondern auch die Einrichtungen, in denen die Ideen ausgebrütet wurden. Heute haben neben den Internetfirmen ganze Industrien dauerhafte Stützpunkte hier, etwa Lockheed Martin und die Nationale Aeronautik- und Raumfahrtbehörde, besser bekannt als NASA. 1972 etablierte sich Kleiner Perkins (heute Kleiner, Perkins, Caufield and Byers oder KPCB) als erste Risikokapitalfirma an der Sand Hill Road. Inzwischen sind hier praktisch alle wichtigen Risikokapitalgesellschaften präsent.

In diesem sagenumwobenen Land gibt es eine der weltweit größten Ansammlungen von Milliardären. Obendrein sind diese Reichen ein ziemlich seltsamer Haufen. Auf einen gestandenen Mann müssen sie wie eine Horde in die Jahre gekommener Jungs wirken.

Von Anfang an gab es im Rosewood Hotel mit dem besonderen Silicon-Flair Veranstaltungen mit Staraufgebot, die man normalerweise nur aus Los Angeles und New York kannte. 2011 organisierte das Hotel in seinem Restaurant namens Madera eine Benefizgala mit 500 Gästen für das Lucille-Packard-Kinderkrankenhaus. Stars des Abends waren Steve Carell und Dana Carvey. Serviert wurden Sushi, gefüllt mit Erdnussbutter und Marmelade, sowie Makkaroni und Käse, während sich die beiden Komiker unter die tonangebenden Philanthropen im Land mischten, darunter die Vorsitzenden Anne Lawler und Elizabeth Dunlevie, Ehefrauen prominenter Risikokapitalgeber. Wenige Wochen zuvor erst hatten Präsident Barack Obama, Katy Perry und Snoop Dogg Wert darauf gelegt, nach Palo Alto zu kommen und den jungenhaften Vorständen des Silicon Valley ihre Aufwartung zu machen.

Noch vor wenigen Jahren hätten solche abwechslungsreichen Starauftritte im Silicon Valley als Widerspruch in sich gegolten. Zwanglosigkeit war König und Technik Kaiser. Heutzutage fällt es schwer, das Geld herauszuhalten. Jetzt gibt es Tech-Barone wie zum Beispiel Mark Zuckerberg – 32 Jahre alt und 35 Milliarden Dollar schwer, nachdem er mit Facebook an die Börse ging; Jeremy Stoppelman von Yelp; Dustin Moskovitz von Asana; Charlie Cheever von Quora; Reid Hoffman, als Mitbegründer von LinkedIn und mit 49 uralt für einen Gründer; Sergey Brin, der in Russland geborene Unternehmer, der 1998 im Alter von 25 Jahren Google mitbegründete, und vor allem Peter Thiel, der im selben Jahr mit 31 eine Firma mit ins Leben rief, die sich zu PayPal entwickeln sollte. Die meisten von ihnen sind Stammgäste im Madera. PayPal war die erste Bank des Internets. Sie bescherte dem Onlinehandel die dringend benötigte Präzision sowie klare Regeln. Als eBay 2002 PayPal kaufte, steckte Thiel seinen Anteil des Geldes in einen Hedgefonds. Dann investierte er in Facebook und trug dazu bei, es in eine richtige Firma zu verwandeln, als es noch nichts weiter war als Zuckerbergs vielversprechender Jux.

Thiel verdiente fast zwei Milliarden Dollar, als Facebook zehn Jahre später beim Börsengang mehr als 100 Milliarden Dollar Erlös erzielte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits in mehr als ein Dutzend weitere Start-ups investiert und einen eigenen Hedgefonds aufgelegt, den er Clarium Capital Management nannte. Außerdem hatte er angefangen, darüber nachzudenken, was die neue Branche und die Informationstechnologie im Allgemeinen für eine Gesellschaft tun könnten. Er war ihr erster Philosoph. Mittlerweile ist er bekannt als der Pate der PayPal-Mafia, zu der Hoffman und Stoppelman gehören, die eine sensationelle Tech-Firma nach der anderen im Silicon Valley ins Leben riefen.

Die Übernerds von heute ähneln den Raubrittern der industriellen Revolution, deren Leistungsvermögen in den Bereichen Stahl und Automobile ganze Branchen neu gestaltete.* Aber statt gewaltige Fabriken und Hütten in Gang zu setzen, machen sie es mit kleinen Knöpfen. In Wirklichkeit wären Knöpfe noch eine Übertreibung. Sie benutzen nur noch ihre Fingerspitzen. Mit einem einzigen Antippen der Uber-App haben Millionen Nutzer die Transportindustrie in Amerika revolutioniert. Ein Taxi anzuhalten ist mittlerweile ein Anachronismus. Genauso gut könnte man in einem Planwagen kutschieren. Will man Essen gehen, machen in immer mehr Städten weltweit Apps und Websites wie OpenTable und Yelp die Suche nach neuen Restaurants – oder deren Entdeckung in Werbeanzeigen – passé.

Zum ersten Mal sind Tech-Titanen selbst Prominente und ihr Leben fasziniert die Menschen. Der Technikboom hat nicht nur neue Medien ins Spiel gebracht, sondern auch eine neue gesellschaftliche Ordnung geschaffen, zu der eine Anti-„Gesellschaftsästhetik“ mit einzigartigem Stil gehört. Hier sind mehr als fünf Prozent der Bewohner Millionäre. Zusammen tragen sie dazu bei, das reichste eine Prozent des Landes auszumachen. Seit 2010 hat das Wiederaufleben der Technik dieser Gegend 200.000 neue Jobs beschert. Im letzten Jahr stieg der Preis für ein durchschnittliches Einfamilienhaus in Palo Alto – Heimat von acht frisch gebackenen Milliardären, einschließlich Zuckerberg und Sergey Brin – auf 2,5 Millionen Dollar an. Viele dieser Häuser wurden mit Profiten von Gewinnauszahlungen des ersten Booms gekauft. Mit dabei sind frühere Angestellte von Google und der Technologiefirma Oracle. Zwanzig weitere Milliardäre leben in den umliegenden Städten. Ihre Erfolge jenseits von Gut und Böse waren für einen Landstrich der Extreme bestimmend: extreme Gesundheit, extremer Komfort und natürlich extremer Reichtum.

Das letztgenannte Extrem – Reichtum – ist rein äußerlich nicht wahrnehmbar, eine Tatsache, die der Schlüssel zum Stil des Silicon Valley ist. „Die reichste Person im Zimmer trägt häufig Flipflops und einen Hoodie“, sagt der Unternehmer David Llorens. Der Hoodie wird zum Symbol für Mark Zuckerberg, dem reichsten Mann der neuen Spezies. Er ist 32 und sieht aus wie 20. Jugendlichkeit ist ein Muss für die neue Klasse; sie tut alles Erdenkliche, um jung auszusehen. An der traditionell gediegenen Gesellschaft von New York, Boston oder Philadelphia haben diese Leute keinerlei Interesse – nicht einmal an der Gesellschaft von San Francisco in gut 60 Kilometern Entfernung. Man hat den Eindruck, als existiere San Francisco überhaupt nicht. Der Transistor, der Mikrochip und das Internet wurden von Leuten aus dem mittleren Westen und aus dem Westen erschaffen. Den Pionieren und Erfindern William Shockley und Robert Noyce kamen die Methoden der Ostküste dekadent vor.

Sobald das Valley erwacht, beginnt der Tag ähnlich wie für die Studenten auf dem nahegelegenen Stanford-Campus. Die wenigsten wohlhabenden Tech-Gründer stehen unter sechs Meter hohen Decken auf und schlurfen in Badezimmer aus Marmor mit hohen Fenstern und Blick auf die Bucht, um ihre Zähne zu putzen. Im Gegensatz zu den mehrstöckigen Villen von Greenwich, Connecticut und Long Island ist die architektonische Pracht der Häuser im Silicon Valley oftmals umso geringer, je später die Eigentümer ihr Vermögen gemacht haben. Während ältere Milliardäre wie der Oracle-Gründer Larry Ellison auf umzäunten Grundstücken entlang der Mountain Home Road von Woodside oder in der Park Lane von Atherton leben, bleiben jüngere Unternehmer, von denen viele ihre Firmen bereits für mehrere Hundert Millionen Dollar verkauft haben, zunehmend in ihrem ersten Apartment oder in derselben mit Sentimentalitäten behafteten Start-up-Garage, in die sie nach ihrem Stanford-Studium zogen. Sie wurden aus erster Hand Zeugen der Immobilienblase, sind häufig Singles und ziehen es vor, in Unternehmen zu investieren.

Sie sehen vielleicht so aus, als lebten sie in Studentenwohnheimen, aber sie wohnen in Häusern, die vor zehn Jahren 35.000 Dollar kosteten und inzwischen für zwei Millionen Dollar verkauft werden. In den 1850er-Jahren existierten Rinderfarmen und Obstplantagen an der Straße zwischen Cupertino und dem Stadtzentrum von San José. Viehweiden und Obstbäume sind inzwischen verschwunden, dafür gibt es jetzt überall Frozen Yogurt und Müsliriegel. Hier wird gerade hektarweise Land in Studentenwohnheime umgewandelt. Ironischerweise scheinen viele der Anwohner das College unwichtig zu finden.

Tatsächlich war es Google, das zuerst die soziale Identität definierte, die ein Unternehmen seinen Angestellten vermittelt. Ingenieure bilden sich bei Google und Facebook weiter und werden so zu ewigen Studenten. Sie tragen weiterhin ihre Studentenklamotten und gründen häufig Unternehmen mit ihren Freunden vom College. Von den Picknickbänken entlang der University Avenue von Palo Alto bis zu den Grillpartys in den Hinterhöfen der einstöckigen Reihenhäuser von Unternehmern in Sunnyvale ist das Silicon Valley eine Bühne für nie aussterbende Erstsemesterhorden.

Während der Wohlstand in der Gegend wächst, nehmen auch die Bemühungen der Unternehmer zu, ihn zu verbergen. „Beverly Hills ist großartig, aber das sind nicht wir“, sagt Sid Espinosa, der ehemalige Bürgermeister von Palo Alto. „Wir sind weder protzig noch glamourös – und wir legen auch keinen Wert darauf, es zu werden. Genau genommen steht das im Gegensatz zu unserer Kultur.“ Katharina Garnett, die flotte 43-jährige frühere Tech-Managerin, sagt, sie habe einen Anstieg an Anträgen auf Baugenehmigungen beobachtet, die Verkleinerungen statt Vergrößerungen betreffen. Die Zahl anspruchsvoller Kellerausbauten ist in den letzten Jahren durch die Decke gegangen. Wenn ein so erfolgreicher Mann wie Reid Hoffman beschließt, in demselben Apartment mit einem Schlafzimmer zu bleiben, nachdem er in einer einzigen Woche drei Milliarden Dollar verdient hat, dann ist das ein Statement gegen die Großkotzigkeit.

Morgens gehen die Unternehmer durch die von Eichen gesäumten Straßen Palo Altos zu ihren über Läden und Restaurants eingerichteten Büros, oder sie fahren mit ihrem Prius zu Cafés wie dem Fraîche, um handgefilterten Blue-Bottle-Kaffee zu trinken und selbst zubereiteten Haferbrei und frischen Joghurt von Clover mit karamellisierten Walnüssen und Beeren zu genießen. Auf der University Avenue sieht man viele Radfahrer: Pendler oder ganze Firmen-Fahrradteams, die einheitliche Jacken in Neonfarben tragen.

Weiter außerhalb von Palo Alto, wo die Sand Hill Road in die Portola Road mündet, rasen frühmorgendliche Radfahrer durch das Portola Valley, während ihre Ehefrauen auf dem umliegenden Gelände ausreiten. Der populärste Fitnessexperte hier ist CrossFit, dessen Trainer die Techies auf der sich nach oben windenden Old La Honda Road begleiten. Ein Highlight der Tour ist das ehemalige Haus des verstorbenen Ken Kesey, Autor von Einer flog über das Kuckucksnest und Anführer der psychedelischen Bewegung zu Zeiten der ersten Hippies. Aber es ist nicht nur ein Tour-Highlight. 1964 gründete Kesey in seinem Haus eine Kommune namens Merry Pranksters (etwa: Die abgefahrenen Spaßvögel). Dann ging er gemeinsam mit ihnen in einem 1939er-Schulbus von International Harvester kreuz und quer durchs ganze Land auf Tour, um ihre von LSD inspirierte Religion zu verkünden (und um den Verkauf seines bald erscheinenden neuen Buches Manchmal ein großes Verlangen anzukurbeln).

Aus dem Stegreif ist ein größerer Gegensatz zwischen zwei Typen gebildeter junger Männer kaum vorstellbar. Die einzig wahre Besessenheit der Techies ist ihre Arbeit. Der einzig wahre Spleen der Pranksters war es, nicht zu arbeiten – was Kesey „sich vom toten Punkt fortzubewegen“ nannte – und Halluzinogene einzuwerfen, bis man sie, wie er es formulierte, „hinten raus wieder loswird“. Heute heizen die Techies mit ihren Elektro-Sportwagen von Tesla über den El Camino Real zur Arbeit, die Durchgangsstraße, die alle Städte im Silicon Valley miteinander verbindet: Atherton, Woodside, Mountain View und Palo Alto. Arbeitende Frauen machen Pausen zwischen Konferenzgesprächen, um in den Edelboutiquen des Stanford Shopping Center einzukaufen. Als Mittagessen bevorzugen die linksliberalen Westküstenladys die Energieriegel von Clif Bar, während sie den Dish entlangspazieren, den beliebten Wanderweg auf Stanford-Grundbesitz, benannt nach der Schüssel eines Radioteleskops, das die Landschaft prägt – und „Ladys“ sind in diesem Fall Frauen über 29. An einem Ort, wo die Mode der Funktion folgt und gekünsteltes Verhalten Effizienz bedeutet, taugt der neue Lifestyle im Silicon Valley nicht für untätige Menschen.

Salonlöwinnen hat das Silicon Valley nicht zu bieten, stattdessen Technofrauen. Der Modus operandi eines aufstrebenden weiblichen Wesens ist weit von dem Wunsch entfernt, etwa die Vorsitzende der Wohltätigkeitsgala zu werden. Sie verknüpft ihr Hobby mit PayPal, verkauft Schmuck, bestickte Hundebetten oder Gürtel in Pastellfarben online, hebt eine Website aus der Taufe und salbt sich dann selbst zum CEO. Sie trägt, wie die weiblichen Führungskräfte, die dezente Uniform aus Ballerinaschuhen von Lanvin, Majestic-T-Shirts, James-Jeans und kuschelige Kaschmirpullis. Das Stanford Shopping Center mit seinen palmengesäumten Fußwegen erinnert bereits an das City Center von West Palm Beach. Es erzeugt eine entspannte Waldatmosphäre, während Abzweigungen zu „Gourmetcafés“ führen, einem Stilmix aus Bauernmarktstand und Lebensmittelregalen.

In der Dorfkneipe in Woodside verdrücken Tech-Bosse üppige Pub Burger mit Pommes frites und Enten-Linsen-Salat. Sie essen so schnell, dass sie es in weniger als einer Stunde wieder zurück zu ihrem Prius schaffen. An einem solchen Ort sind Geselligkeit und Networking austauschbar, und der beste Nachweis für den sozialen Aufstieg ist Zeitmangel. „Der soziale Aspekt ist für uns kein Vehikel, um irgendwo hinzugelangen“, sagt Katharina Garnett, die Initiatorin von My Little Swans, einer Onlineplattform für Luxusreisen. „Hier geht es nur darum, Geld und keine Zeit zu haben“, erklärt sie. Garnett ist eine zierliche blonde Frau, Investorin und ehemalige Softwareentwicklerin. „Wenn irgendwer über sein Golf-Handicap schwatzt, schaust du ihn nur an und sagst ‚In Sie würde ich nie investieren, weil Sie zu viel Zeit auf dem Golfplatz verbringen‘“. Stattdessen herrschen weniger zeitraubende Leidenschaften vor wie etwa das Sammeln von Kunst und Wein. Garnett sagt, sie und ihr Ehemann erwerben Kunstwerke, weil das nicht so viel Zeit verschlingt wie zum Beispiel die Arbeit am Golf-Handicap. Was Autos betrifft: „Ob wir alle Ferraris haben? Na klar“, sagt Garnett. „Aber würden wir mit denen etwa auf dem Parkplatz eines Start-ups aufkreuzen? Nein“, lacht sie. „Stattdessen setzten wir uns in den Prius und lassen den Ferrari in der Garage.“

In San Francisco gehen die meisten Kinder von Elitefamilien auf ein paar handverlesene Privatschulen, aber im Silicon Valley schicken die meisten Tech-Eltern, übrigens auch Riskokapitalist Vinod Khosla, ihre Kinder auf die alternative Nueva School (was auch der verstorbene Steve Jobs vorzog). Dort konzentrieren sich die Schüler thematisch jeweils ein Semester lang zum Beispiel auf die alten Griechen oder auf amerikanische Geschichte statt auf traditionelle Schulfachkategorien.

Arbeitende Frauen haben ebenfalls ihre Kraftzentren: von den Frauensalons der Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg bis zu den Speakeasy-Kellerpartys, die Risikokapitalistin Ailleen Lee veranstaltet.

Wenn die erste Welle der Milliardenfirmen wie Google und Facebook eine neue soziale Identität gestiftet hat, dann sind es die Milliardäre selbst, die eine Bewegung ins Leben gerufen haben. Vom Tesla-Vorstandsvorsitzenden Elon Musk bis zu Peter Thiel haben die Tech-Titanen am Ruder dieser Unternehmen eine auf sozialen Aufstieg bedachte Kultur optimistischer junger Hochschulabsolventen geschaffen, die nicht nur Geld verdienen, sondern auch die Welt verändern wollen. Im Gegensatz zu den Möchtegern-Arbeitsbienen der Wall Street, die, nachdem sie an der Penn Station in Manhattan ausgestiegen sind, als Erstes die Hemdenläden von Thomas Pink und Charles Tyrwhitt stürmen, danach bei Tourneau eine Uhr kaufen und schließlich bei Tiffany eine Gürtelschnalle mit ihrem Monogramm erwerben, sind die einzigen äußerlichen Hinweise auf einen erfolgreichen Techie Notebooks und Ideen. Die Milliardäre selbst kleiden sich so, dass man sie nicht von Stanford-Studenten unterscheiden kann. Sie fahren in Jeans und Fleecejacken durch die Gegend. Na gut, ihre Autos sind vielleicht etwas schneller. Das andere durch ihre einzigartige Fantasie heraufbeschworene Unterscheidungsmerkmal – mehr noch als der typische Westküstentagtraum, Produzent oder Regisseur in Hollywood zu sein – ist Freiheit. Als Tech-Unternehmer muss man keinem Studioboss Bericht erstatten, es gibt keinen Investmentbankvorstand und keine Aktionäre, es sei denn, die Firma geht an die Börse – was dann im Prinzip Ruhestand bedeutet, Abschied zumindest von diesem speziellen Projekt.

Es ist ein Leben ohne Fesseln, das sich in Palo Alto ausgebreitet hat und in jeder Straße sichtbar ist. Coffeeshops wie das Coupa Café in Palo Alto und Hobee’s in Sunnyvale bewirten Besucher und ihre Notebooks normalerweise stundenlang. Sie alle sind bemüht, das nächste Facebook zu erfinden, und glauben ernsthaft, dass sie es schaffen. Das sind Orte, wo Risikoscheu nicht existiert. Auch wenn das Silicon Valley kein aufregendes Nachtleben zu bieten hat, so macht es das mit dem Nervenkitzel der täglichen Arbeit wieder wett, wobei es überwiegend darum geht, jeden Tag aufs Neue darauf zu wetten, was die nächste große Idee sein könnte.

Die neue Technologie ist stets gegenwärtig. So ersetzen mittlerweile immer mehr Restaurants von Palo Alto bis zum internationalen Flughafen in San Francisco ihre Bedienungen durch iPads.

Programmieren, Essen, Fitnesstraining: Nach einem langen Tag geht der Abend früh zu Ende. Nach zehn ist es dunkel in Palo Alto, mit Ausnahme einiger Reihen erleuchteter Fenster, hinter denen die Ingenieure gut und gerne bis zum frühen Morgen arbeiten. Für die meisten heißt es jedoch: Energie sparen für das kommende Wochenende. Google, Airbnb und Twitter bieten Fitness- und Yogakurse an. In Palo Alto sind zwischen den Ladenschaufenstern immer mehr Geschäftsfassaden von Fitnesscentern zu sehen, geleitet von den Ehefrauen erfolgreicher Kapitalgeber für die Region. In Dianne Giancarlos „The 3rd Door“ beispielsweise, einem mittlerweile wieder geschlossenen privaten Trainingsclub, konnten Kunden halbstündige „body slams“ buchen, die dem Terminplan des Start-ups angepasst waren.

Die Exzesse, die in so wenig Freizeit gestopft werden, sind häufig erlebnisorientiert. So kauft zum Beispiel Aaron Patzer, der Gründer von Mint, keine großen Häuser, sondern unternimmt stattdessen „denkwürdige“ Trips. Über die Einladungs-App Ping.com hätten er und 30 andere Unternehmer, darunter seine Freunde, der AdBrite-Gründer Phil Kaplan und Teslas Elon Musk, eine Kletteraktion organisiert, erzählt Patzer, zwei Stunden Fahrt vom Valley in Richtung Norden, zu der alle ihr eigenes Equipment mitbrachten, inklusive Seilrutschen zum Abseilen.

Patzer verbrachte seine freien Tage vor dem Ausstieg bei Intuit mit der Arbeit an seinem Pilotenschein. Am Wochenende zuvor waren er und Barney Pell, Gründer der semantischen Suchmaschine Powerset, in Pells neuem Luftschiff unterwegs gewesen, um dessen Mondlanderadar zu testen. Der Kerl machte keine Witze. Falls die frisch gebackenen Millionäre des Silicon Valley ihre Geschwindigkeit beibehalten, werden sie in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren tatsächlich auf dem Mond landen. Palo Alto ist zum Gelobten Land geworden, und noch mehr als zu Keseys Glanzzeit gilt verrückt zu sein als Kompliment.

Im Silicon Valley ist eine Ankunft ohne mustergültige Herkunft kein Stigma. Im Jahr 2014 trafen dort täglich viele Hundert Menschen von der Ostküste, aus Europa und Asien ein, die alle das beste neue Unternehmen kreieren – oder zumindest Geld in einer solchen Firma verdienen – wollten. Sie werden von den Bereichen angezogen, die ihren speziellen oder grundlegenden Fähigkeiten entsprechen. Maschinenbauer und Firmen für Unternehmenssoftware gehören zum harten Kern und sind hauptsächlich im südlichen Abschnitt des Tals ansässig, etwa in Cupertino und Mountain View. Zwischen Mountain View und Menlo Park ist Biotechnologie vertreten. Internet-Unternehmen für Endverbraucher beherrschen inzwischen bestimmte Bezirke San Franciscos wie beispielsweise den boomenden Mission District, wo Twitter ganze Straßenzüge einkassiert hat. Die schäbigen Häuserblocks von Manhattan sind die längste Zeit Heimat der amerikanischen Geschäftselite gewesen.

Heutzutage zu dem Ort zu gehören, wo völlig neue Industrien alte Branchen umgekrempelt haben – ausgelöst durch ehrgeizige junge Leute – ist viel zu verführerisch, um es sich entgehen zu lassen. Die einzige Frage lautet: Wenn du schon mal im Gelobten Land angekommen bist, wie wirst du dort erfolgreich?

* Deutsch: Kuguar, weiblicher Puma oder Silberlöwin. Das silberne Fell ist eine Anspielung auf die silberhaarigen Frauen.

* „Robber Barons and Silicon Sultans“, The Economist, 3. Januar 2015.

EINS

Asperger ist hip

JOHN BURNHAM WOLLTE Rohstoffe auf Asteroiden abbauen. Er war schon immer ein wenig neben der Spur gewesen. Statt seine Nase in die Schulbücher zu stecken oder sich der Sommerleseliste zu widmen, las er lieber Plato, Aristoteles und die Schriften eines „neoreaktionären“ Denkers von heute mit dem Pseudonym Mencius Moldbug. Burnham bezeichnet sich selbst als Liberalisten und Anhänger des „selbstbestimmten Lernens.“ Da er also motiviert war, auf eigene Faust zu studieren, hatte er das Gefühl, keine Lehrer mehr zu brauchen, die ihm vorschreiben, was er tun sollte. Er war ein furchtbar renitenter Schüler.

2011, im Frühlingssemester seines Abschlussjahres an der Highschool, war er von allen zehn Colleges, für die er sich beworben hatte, abgelehnt oder auf die Warteliste gesetzt worden, mit Ausnahme der University of Massachusetts, rund 15 Kilometer von seinem Wohnort Newton entfernt. Aber eigentlich war es ihm egal, weil die Vorstellung, weitere vier Jahre langweiliger Vorlesungen und öder Tests über sich ergehen lassen zu müssen, nicht gerade berauschend war. So etwas lenkte ihn von den Plänen ab, die er seit jeher verwirklichen wollte: ins Weltall aufzubrechen – und mit den wertvollen Mineralien, die es auf Asteroiden gab, viele Milliarden Dollar einzusacken.

Burnham hatte keinesfalls Wahnvorstellungen. Er wusste, wovon er sprach. Während die meisten seiner Klassenkameraden Tess von den d’Urbervilles und Der große Gatsby lasen, machte er sich über Nickel, Kobalt und Platin auf silikatreichen S-Typ-Asteroiden schlau. Mit hellblauen Augen, blondem Haar und einem scheinbar permanenten Grinsen im Gesicht, war er bei den Mädchen beliebt und vergnügte sich an der Highschool mit kurzen Techtelmechteln. Trotzdem hatte John noch reichlich Zeit für seine hochfliegenden Interessen. Während er die Hausaufgaben als sinnlos empfand und immer wieder aufschob, streifte er durchs Netz und stolperte über Blogger, deren Ideen zumindest interessanter waren als die seiner augenblicklichen Lehrer.

Sein Lieblingstext hieß Unqualified Reservations – Unqualifizierte Bedenken – geschrieben von dem reaktionären Blogger Mencius Moldbug, der in Wirklichkeit Curtis Yarvin heißt. Yarvin lebt als Ingenieur im Silicon Valley und beschrieb sich selbst im Blog-Menüpunkt „Über mich“ mit den Worten „eigensinnig und respektlos.“ Burnham war begeistert.

Als John eines Abends Patri Friedmans Blog las, entdeckte er ein neues Posting, das zur Bewerbung um ein Stipendium aufrief. Es nannte sich 20 unter 20. Finanziert von der Thiel Foundation, bot es 20 Studenten unter 20 Jahren 100.000 Dollar an, um aus der Schule auszuscheiden, für die Dauer des Stipendiums aufs College zu verzichten und ihre eigenen Unternehmen zu gründen. Die Schule schmeißen? Burnham musste nicht erst überredet werden. Ihm war nicht klar, was seine Mutter als Pfarrerin der Kongregationalistischen Kirche und sein Vater als Finanzinvestor von dieser Idee halten würden, doch seine Neugier war angestachelt und er wollte mehr darüber erfahren.

Die Thiel Foundation erwies sich als der gemeinnützige Arm eines Imperiums, das Peter Thiel gehörte, Gründer und Vorsitzender des Founders Fund, einer bedeutenden Risikokapitalfirma im Silicon Valley, die in Unternehmen wie den Musikstreaming-Dienst Spotify und in den Fahrgemeinschaftsservice Lyft investiert hatte. Burnham klickte sich von Artikel zu Artikel: von einem Text im Magazin Forbes, das Thiels Chefkoch und Butler beschrieb, bis zu dem Fortune-Artikel, der ihn einen der besten Investoren im Land nannte.

Im Jahr 2011 war Thiel jugendliche 43 Jahre alt. Im Herbst 2010 hatte er auf einer Konferenz namens Tech-CrunchDisrupt das Stipendium angekündigt. Die Konferenz wurde von TechCrunch unterstützt, einer Website, die Neuigkeiten und Klatsch über das Valley verbreitete und nebenbei als Verzeichnis für Tech-Firmen diente, indem sie Gründer, Investoren und Finanzierungsrunden auflistete. Anfangs betrachtete Thiel seine Ankündigung als eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit auf die Ausbildung am College zu lenken, die er für bloße Zeit- und Geldverschwendung hielt. Obendrein wetterte er gegen die politische Korrektheit, die die Universitäten seiner Meinung nach propagierten. Also suchte er eine Gruppe von Highschool-Schülern aus, die sonst vier Jahre lang an einem solchen Bildungsinstitut studiert hätten. Ihr Berufsleben sollte früh beginnen und Thiel hoffte, damit zu beweisen, dass das College-Modell ausgedient hatte. Als er seinen Hedgefonds Clarion betrieb und mit dem Founders Fund Tag für Tag Start-ups im Silicon Valley gründete, entwickelte er eine Vorliebe, originelle Beweggründe weiterzuverfolgen, wie verrückt sie auch klingen mochten.

Ein Projekt war das Seasteading Institute, das einen libertären Staat auf hoher See gründen wollte, wo Menschen eine künstliche Insel kaufen und sich selbst regieren konnten. Leiter des Seasteading Institute war der damals 34-jährige ehemalige Google-Ingenieur Patri Friedman, Enkel des Wirtschaftswissenschaftlers Milton Friedman. Patris Ideen tauchten regelmäßig in Moldbugs Blog auf und umgekehrt. Burnham las häufig Friedmans libertäre Gedankenspiele, und als er auch auf dieser Website Anzeigen für das Stipendium entdeckte, wusste der 17-Jährige, dass er sich bewerben musste.

In den Bewerbungsunterlagen standen Fragen wie „Welche Überzeugung teilst du mit niemand anderem?“ Burnham hatte sofort eine Antwort parat: So ziemlich jede. Während er oberflächlich betrachtet ein typischer Oberstufenschüler mit beschwingtem Auftreten und einer extrovertierten Persönlichkeit war, hatte es den Anschein, als lebte er auf einer anderen Ebene, die über allen anderen in seinem Alter schwebte. In Gedanken lebte er im Weltraum.

Wie Burnham es sah, war die Bewerbung nicht nur seine Eintrittskarte ins Silicon Valley, sondern auch die Möglichkeit, eine weiter entfernte Grenze zu erreichen, nämlich den Weltraum. Wenn jemand ihm helfen konnte, dorthin zu gelangen, dann war es dieser Thiel mit den großartigen Ideen, der nonkonformistischen Einstellung und der Bereitschaft, verrückte Konzepte abzusichern. Gewänne er das Stipendium, könnte er es vermeiden, noch mehr Jahre einen Bildungskanon verinnerlichen zu müssen, der ihm noch nie sinnvoll erschienen war. Außerdem böte sich ihm die Gelegenheit, sich hauptberuflich auf diese viel umfassenderen Probleme zu konzentrieren, die bald schon überall im Valley mit dem wiederkehrenden Motiv „Lasst uns die Welt verändern“ auf den Punkt gebracht wurden. John wollte nicht nur ein Thiel-Stipendiat sein. Er musste einer werden. Sonst bliebe ihm nur noch, mit dem Rucksack quer durch Europa zu reisen.

Im Silicon Valley, so glaubte er, würden die Leute womöglich ernst nehmen, was seine Freunde und Lehrer in Boston ins Lächerliche zogen. Dort hielten sie es vielleicht auch für möglich, eines Tages auf dem Mars zu leben. Draußen im Westen, im Gelobten Land, würden sie ihn nicht anstarren wie einen Verrückten, wenn er darüber sprach, wie viel Geld man mit Bodenschätzen auf Asteroiden verdienen könnte.

Also fing er an, seine Antworten aufzuschreiben. Warum sollten wir in den Weltraum gehen? „Im Erdkern ist ein unglaublicher Schatz schwerer Elemente verborgen“, erklärte er. Das Problem sei, an ihn heranzukommen. „Dichte Elemente sind im Laufe der Erdzeitalter in die Tiefen der Erde gesunken.“ Seit Langem schon wollte Burnham eine Methode finden, zumindest einiges davon ans Licht zu holen. Er konnte gar nicht verstehen, warum es bisher noch niemand getan hatte.

Noch mehr beschäftigte ihn die erste Frage des Bewerbungsbogens. Die meisten Menschen waren ohnehin nicht der Meinung, dass wir dringend den Weltraum erobern müssten, und obendrein hingen sie einer Reihe grundlegender Überzeugungen an, die er nicht mit ihnen teilte. Demokratie zum Beispiel. Warum, so fragte er sich, glauben nur alle so blind daran? Stattdessen, dachte John, war Demokratie in Wirklichkeit eine Oligarchie: Die Herrschaft weniger Auserwählter. Er hatte diese Vorstellung aus Moldbugs Blog übernommen und fand anschließend dasselbe Konzept bei Plato. „Plato ist umwerfend“, sagte er nüchtern.

Manche seiner politischen Ansichten waren von der Lektüre der Geschichte der Französischen Revolution und der Bücher Edmund Burkes geprägt, eines im 18. Jahrhundert in Irland geborenen politischen Denkers und Mitglied des Britischen Parlaments. Burnham beschäftigte sich mit der Vorstellung, wie ähnlich sich Monarchie und Demokratie sind und inwiefern beide Staatsformen die Herrschaft der Wenigen über die Masse bedeuten.

Er fragte sich, warum keiner seiner Freunde sich diese Fragen stellte und warum ihm die Lehrer ständig vorhielten, seine Einwände würden nerven. Er glaubte, dass er nicht so viel anders war als die Autoren, die er las, aber sich schon von den Leuten unterschied, denen er begegnete. Und war denn nicht auch er selbst von diesen Blogs beeinflusst, also durch die Meinungen anderer Menschen, fragte er sich.

Über die nächste Frage, so schien es Burnham, dachte er schon seit ewigen Zeiten nach. „Wie würdest du die Welt verändern?“