Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der 3. Fall der Hauptkommissarin Andrea Steiner ist so verwirrend, dass sie nahe daran ist verzweifelt aufzugeben. Die Eigentümerin einer argentinischen Tango-Schule, ein altkatholisches Nonnenkloster und die Besitzerin eines Kosmetik-Ladens bringen sie völlig aus der Fassung. Der singende und kochende, dänische Kollege Erik Ingvardsen sieht natürlich die Situation wesentlich entspannter. Trotzdem ist auch er diesmal bis zum Schluss recht ahnungslos. Dafür versteht er es die Staatsanwältin und seine Kolleginnen mit interessanten Reiseberichten zu faszinieren und sorgt nebenbei auch für ihren ausgeglichenen Hormonhaushalt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 430
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Herwig Riepl
Das Tango-Verwirrspiel
© 2020 Herwig Riepl
Umschlag, Illustration: Herwig Riepl
Lektorat, Korrektorat: Andrea Hoppe, Isabella Essler
Übersetzung: Herwig Riepl
Bilder: Herwig Riepl
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-03921-6
Hardcover:
978-3-347-03922-3
e-Book:
978-3-347-03923-0
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Für Isabella
Personen, Namen und Handlungen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder Personen wäre rein zufällig.
Ausnahmen sind die privaten Erzählungen und Reiseberichte des Hauptkommissars Erik Ingvardsen, welche der Autor auch wirklich selbst erlebt hat.
Herwig Anton Ingvardsen Riepl, wie er mit vollem Namen heißt, wird fast überall Erik genannt und hat noch nie ein Mobil-Telefon besessen. Er zählt sich selbst zu den zehn glücklichsten Menschen der Erde und würde jede Entscheidung seines Lebens wieder so treffen.
Der Autor bemühte sich, in seinem Buch eine interessante Mischung aus Kriminalistik, Erotik und wahren Erlebnissen seiner Reisen darzustellen.
Der Autor Herwig Riepl ist ausgebildeter Tischler und wurde 1964 in Österreich geboren. Im Laufe seines bisherigen Lebens verschlug es ihn, teilweise für mehrere Jahre, in unterschiedliche Länder. Mit 23 Jahren wanderte er nach Dänemark aus und lebte dort die folgenden 10 Jahre. Dabei nahm er auch die dänische Staatsbürgerschaft an. Es folgten 10 Jahre in Deutschland, bevor er gemeinsam mit seiner deutschen Frau 2009 nach Uruguay zog.
Neben dem Schreiben gehören sein Garten, die Natur und Fotografie von Insekten und Vögel zu seinen Hobbys.
In eigener Sache
Jetzt habe ich innerhalb eines Jahres bereits mein 3. Buch als neuer Autor geschrieben. Der Grund dafür ist schnell erklärt. Ich habe ein weiteres Hobby gefunden. Dazu kommt, dass ich unendlich viel Zeit habe, da ich mit 44 Jahren nach Uruguay ausgewandert bin, heute recht zurückgezogen lebe und mein Leben genieße. Ja, es macht mir Spaß zu schreiben. Ich mache es nicht des Geldes wegen, sondern weil es mir gefällt. Ich hätte diese Bücher auch nur für mich alleine geschrieben.
Von Beruf bin ich Tischler, habe nicht studiert, wie sicher die meisten Autoren und schreibe dadurch mit einem ›nur‹ einfachen Wortschatz. Ich glaube aber nicht, dass dadurch ein Buch weniger spannend und interessant ist und ich muss auch niemandem etwas beweisen. Ich spreche und schreibe, wie mir der Schnabel gewachsen ist, mal spanisch, mal deutsch, englisch oder dänisch. Nichts davon perfekt, aber das will ich auch gar nicht. Perfekt wollen nur Menschen sein, die glauben, dass es so etwas wirklich gibt, aber ich bin immer schon Realist gewesen und nie ein Träumer.
Na ja, ich bin sowieso ein bisschen anders als die restliche Menschheit. Jetzt werden sich die Leser wundern, was so viel anders bei mir gelaufen sein soll. Meine einfache Antwort darauf. Viel, sehr viel sogar! Ich habe 19 Arbeitgeber gehabt, bin 16 mal umgezogen, habe in 4 verschiedenen Ländern gewohnt, 79 Länder teils sehr ausgiebig bereist, meine Staatsbürgerschaft gewechselt, mit 43 Jahren aufgehört zu arbeiten und im letzten Jahr drei Bücher geschrieben.
Also … ich kenne niemanden, der so ist. Ich habe nie geträumt, dafür aber, was andere Menschen Träume nennen, einfach in die Tat umgesetzt und mir erfüllt. Glück oder „erfüllte Träume“ bekommt man nicht durch hoffen, beten oder warten. Dafür muss man schon selbst etwas tun. Abgesehen von der Gesundheit habe ich doch alles in eigener Hand. So gesehen bin ich froh, niemals auf andere gehört zu haben, sonst hätte ich nur einen Bruchteil dieses aufregenden Lebens erreicht. Bei 19 Arbeitgebern werden sich viele denken, der wollte nirgendwo arbeiten. Ganz im Gegenteil. Für mich gab es das Wort ›arbeitslos‹ nie. Aber meine akzeptierte Entfernung zu einem Arbeitgeber lag auch nicht bei 20 km, sondern bei 20000. Im Klartext, die ganze Erde zählte dazu. Dafür muss man bereit sein, einen Wohnungswechsel zu akzeptieren, vielleicht auch eine neue Sprache zu lernen und vor allem, nicht nur träumen, sondern diese Ideen umzusetzen. Eines konnte ich aber nicht. Mich mit 6 Wochen Urlaub im Jahr begnügen. Vor allem die Reisen nach Australien, die Südsee und Asien bestanden manchmal bis zu 8 Monaten. Dafür musste ich auch kündigen und anschließend wieder neue Arbeit finden.
Natürlich schreibe ich schon an einem weiteren Buch und so lange es mir Spaß macht, werde ich es auch fortsetzen. Vielleicht haben ja manche Leser Freude daran gefunden, meine Bücher zu lesen und sind schon neugierig, wie es bei den Ermittlern der Mordkommission weiter geht. Soll ich euch etwas sagen … ich bin es auch.
Inhaltsverzeichnis
Der Faschingsumzug
Haben wir einen Fall?
Erotischer Tango-Argentino
Blaue Augenlider-Vergleiche in der Umkleide
Zyankali im ¾-Takt
Kartoffelsuppe und Stangerlfieber
Ja verreck, håts den Gschaftlhuber derbröslt
Miss Bourbon und Mr. Scotch
Erik, wo steckst du?
Aufgebrezelt in København
Lipliner, Lippenstift und Lipgloss
Der kleine Hosenscheißer
Gehänselt und Gegretelt
Escort-Service Mystica
Erik hat alle Hände voll zu tun
Jetzt håb i mei erste Leich
High Heels verführerisch und gefährlich
Katzenhaar-Allergie nach einer Entführung
Heiße Stöhnlaute während des Verhörs
Zwei Jahre früher
Ein Jahr früher
Sechs Monate früher
Eine für alle und alle für eine
Wenn der 2er sauer wird …
Eine unerwartete Mitteilung
Entschärft und gesichert in den Club
Fotos: Herwig Riepl
Iguazú Wasserfälle, Argentinien
Tango-Paar, Buenos Aires, Argentinien
Reisterrassen, Banaue, Philippinen
Yakel Village, Insel Tanna, Vanuatu
Tana Toraja, Insel Sulawesi, Indonesien
Bananenernte, Samoa
Der Faschingsumzug
Erik Ingvardsen schaut in den großen Spiegel, seufzt und sagt fast verzweifelt: »Wie kann man nur so verdammt blöd sein und sich auf so eine unsinnige Wette ernsthaft einlassen?«
Was aktuell sein Spiegelbild zeigt, ist in der Tat recht ungewöhnlich. Der dänische Hauptkommissar rauft sich die wenigen Haare und schüttelt immer wieder leicht verärgert den Kopf. Der Anblick ist für ihn nur schwer zu ertragen, darum wendet er sich schnell ab, um sich nicht länger ansehen zu müssen. Wesentlich lustiger findet es die rothaarige Andrea Steiner, seine 38jährige Kollegin und Chefin der Mordkommission Fürstenfeldbruck. Sie hat seit ein paar Monaten ein Verhältnis mit dem seit einem Jahr in Bayern lebenden Dänen. Beide haben ihre eigene Wohnung, aber sie übernachten auch oft gemeinsam.
»Jetzt entspann dich endlich, mein Schokobär!«, sagt sie grinsend. »Setz dich hin, jetzt wirst du von mir kräftig geschminkt.«
Erik greift gleichzeitig zu einer Zigarette, was für ihn zu dieser frühen Tageszeit eigentlich recht ungewöhnlich ist, da er nur Gelegenheitsraucher ist. Doch manchmal gibt es eben Ausnahmen und Situationen, die das befürworten und jetzt ist so ein Fall eingetreten.
»Augen zu und schön ruhig bleiben«, hört er seine Kollegin sagen, die dabei herzlich kichert, was ihn noch mehr aus der Fassung bringt. Dann spürt er bereits, wie ein Pinsel über seine Augenlider fährt, welcher mehrmals bis zu den Augenbrauen hoch und wieder hinunter gleitet. Kurz darauf fühlt er einen Stift an seinen Augen und anschließend einen wesentlich größeren und weicheren Pinsel, der über seine Wangen und Kinn wedelt.
»Zigarette weg und Lippen leicht öffnen«, hört er von Andrea als Anweisung. »Du siehst richtig scharf aus, jetzt noch den Lippenstift. Übrigens, ich habe dieselbe Farbe gewählt, wir gehen heute im Lippen-Partnerlook. Also denk daran, wenn du eine unserer Kolleginnen küsst, ich sehe das.«
Erstmals grinst der Kommissar. Zum Glück sind sich beide einig, dass sie keine eheähnliche Partnerschaft führen. Vorläufig hat keiner der beiden Interesse an einer festen Beziehung. So gesehen ist niemand dem anderen Rechenschaft schuldig und es darf auch mal auswärts genascht werden. Sollte es so sein, gibt es aber auch kein Interesse, dies vom anderen zu erfahren und eher als Stillschweigen zu sehen. Bei Polizeioberkommissarin Lena Müller, der 28jährigen Blondine und High Heels Lady, die fast immer in engen Röhrenjeans zu sehen ist, hat er schon mehrmals Pralinen von ungewöhnlichen Körperstellen genascht.
»Fertig! Jetzt siehst du so aus, wie du mich gerne manchmal erlebst. Als verruchte Edelprostituierte!«
»Bei einer Frau sieht das auch aufregend aus. Erregend, geil, superscharf, egal was man für Wörter verwendet. Aber ich als Mann mit Perücke, in Strapsen und Strümpfen, extrem kurzem Rock und riesigem Busen. Für mich ist das albern«, seufzt der Kollege.
»Entspann dich! Es ist Fasching und heute gibt es den großen Umzug in Olching. Außerdem habt ihr Männer als Team eine ganz normale Wette gegen uns Frauen verloren und müsst diese schließlich jetzt auch einlösen. Übrigens, der große BH von unserer Staatsanwältin Isabella Fröhlich passt dir richtig gut!«
»Na toll! Aber sie sieht damit wesentlich aufregender aus. Na ja, wenigstens muss das Frauenteam der Mordkommission mit ganz tiefen Dekolletés antreten. Der 2er Meier hat gesagt, mindestens 45 Prozent eurer Oberweiten müssen zu sehen sein. Er misst das nach.«
»Wenn der 2er zu nahe an meine Babser kommt, wisch ich ihm eine!«, stellt Andrea gleich klar.
Das dänische Kosewort für ›Busen‹ ist mittlerweile ein fester Bestandteil ihres Wortschatzes geworden. Erik zieht die Bluse an, richtet sich erneut seine künstliche Oberweite und streift schließlich noch eine Jacke darüber.
»Wenigstens scheint heute die Sonne und es werden 14 Grad erwartet«, seufzt er.
Danach folgt der vielleicht schwierigste Teil des Tages. Die zwei Hauptkommissare fahren gemeinsam mit dem Auto von der Schöngeisingerstraße in Fürstenfeldbruck, aus der Wohnung der Chefin ins Präsidium. Dort müssen sie an den anderen Abteilungen vorbei gehen, da sich das Team im Besprechungsraum der Mordkommission treffen will. Offenbar hat sich das mit der Wette noch nicht allzu weit verbreitet, umso größer sind die Pfeifkonzerte und Zurufe der überraschten Kollegen aus den anderen Abteilungen zu hören. Schließlich schaffen die Hauptkommissare es, in die Mordkommission zu kommen. Nur ist dort das Geschrei noch viel größer und lauter. Fünf Männer schauen sich ungläubig an und schütteln gegenseitig den Kopf. Aber auch ein gemeinsames Grinsen ist zu erkennen, schließlich ist die vorgefundene Situation mehr als verrückt.
Neben dem 41 jährigen dänischen Hauptkommissar sind die beiden 34 jährigen Polizeimeister Josef Meier, die wegen ihrer Namensgleichheit der Einfachheit halber nur 1er und 2er genannt werden, anwesend. Des Weiteren, der bärtige 54 jährige Polizeiobermeister Michael Dober, genannt Mike oder Almöhi und ebenfalls dabei, der neue 33jährige Rechtsmediziner mit dem blonden langen Zopf, Herwig Huber aus Klagenfurt in Österreich. Auch er gehört zu den Verlierern des Spiels.
Auf die richtige Kleidung und Einlösung der verlorenen Wette werden die Männer von der schwarzhaarigen 35jährigen Fallanalytikerin Miriam Mösenegger, die seit kurzer Zeit fest zum Team der Mordkommission gehört, kontrolliert. Außerdem von der 59jährigen Polizeihauptmeisterin Erika Schmidinger sowie Lena und Andrea. Zusätzlich sind bei der kreischenden Frauenschar, Gabi, die Chefin der kriminaltechnischen Untersuchung und auch die attraktive, kräftige und äußerst großbusige Staatsanwältin Isabella Fröhlich anwesend und haben bei der spaßigen Wette mitgemacht.
Der 2er Meier ärgert sich natürlich am meisten. Ausgerechnet er hat sich von der High Heels Blondine Lena, die sich beide manchmal recht verbal und aufs übelste bekriegen, auf dieses unsinnige Spiel eingelassen. Sie hatte ein paar Wochen zuvor ein Bustier getragen und wurde darauf vom 2er recht blöd angeredet und musste sich dazu mehrere Blondinen-Witze anhören. Darum hat sie sich diese ungewöhnliche Wette ausgedacht und die Frage an ihren Kollegen gestellt: ›Gibt es einen Unterschied zwischen den Bezeichnungen Korsett, Corsage und Bustier?‹
Aus Solidarität haben auch die restlichen männlichen Kollegen zugestimmt und sich auf das Spiel eingelassen. So gesehen trifft ihn auch nicht die alleinige Schuld. Selbst Erik, der sich mit Dessous eigentlich recht gut auskennt, war etwas ratlos und unsicher. Auch Andrea kannte den genauen Unterschied nicht, hat sie ihrem dänischen Kollegen zugeflüstert.
Jedenfalls soll bei einem Korsett durch die feste Verschnürung im Bereich der Taille eine Sanduhrenfigur geformt werden, während das bei einer Corsage nicht möglich und auch nicht gewollt ist. Eine Corsage liegt eng am Körper an und formt die darunter liegenden Konturen nur nach. Das Bustier dagegen ist etwas kürzer, endet an oder knapp über der Taille, sollte also die Hüften kaum bedecken und hat einen integrierten BH. Dadurch wird die Brust emporgehoben und wirkt deutlich voluminöser.
Der 2er Meier hatte natürlich überhaupt keine Ahnung. Der Däne meinte wenigstens, ein Korsett hat meistens auch Strapse, um Strümpfe daran zu befestigen, was die anderen zwei Arten sicher nicht haben. Aber das war der hübschen Polizeioberkommissarin zu wenig, darum wurde die Wette für die Männer als verloren gewertet.
Als die fünf Straps-Boys endlich in einer Reihe stehen um sich zu präsentieren, werden natürlich auch zum Leidwesen der Männer viele Bilder gemacht, was nicht zu verhindern ist. Immerhin gibt es auch sehr beeindruckende Hingucker auf sechs hübsche Frauen-Dekolletés. Sie haben zugestimmt, da es Fasching ist und falls die Männer die Wette verlieren sollten, würden sie sich bereit erklären, eine sehr freizügige Ansicht zu zeigen. Andrea trägt ihre Corsage, die sie schon bei der Liedpräsentation zum Geburtstagsauftritt des Präsidenten getragen hat. Aber auch die anderen Frauen sind alles andere als geizig mit ihren Reizen. Während Lena, Andrea und Miriam ihre Oberweite irgendwo in der B Liga angesiedelt ist, sind Gabi, Isabella und Erika im C oder D Bereich. Vor allem Polizeihauptmeisterin Erika verblüfft einmal mehr, die bis vor einem Jahr noch recht konservativ und verschlossen war. Aber seit letztem Sommer, als die Mordkommission einen Dessous-Fetischisten gesucht hat, ist sie verändert und konnte über Schamhaar-Toupets genauso ungeniert sprechen wie über irgendwelche Reizwäschestücke oder Intimrasuren. Heute zeigt sie anhand ihrer Corsage ganz locker die geforderten 45 Prozent Brust.
Damit die Männer mit den Kostümen aufgeheitert werden, schlägt Erika sogar vor, dass jeder Mann eine Kollegin aussuchen kann, der er einen Lippenabdruck auf eine Brust drücken darf. Sofort hellen sich die Männer-Gesichter auf und pressen ihre geschminkten Lippen auf die freizügig sichtbaren Weichteile. Mike darf bei Erika ran, Erik sucht sich dafür den größten Busen aus und hinterlässt bei Staatsanwältin Isabella einen Abdruck, der nur knapp über der verdeckten Brustwarze zu erkennen ist. Als alle mit sich beschäftigt sind, macht sie schnell ihre andere Brustwarze frei und flüstert schmunzelnd: »Hier möchte ich deine Lippen genau über meinem Nippel sehen!«
Der Däne lässt sich natürlich nicht zweimal bitten, öffnet den Mund und setzt seinen Lippenabdruck genau auf die gewünschte Stelle, an der er gleich ein paar Sekunden verweilt. Da eine Frau mehr anwesend ist, darf sich der österreichische Neuzugang und Gerichtsmediziner Herwig, bei Lena und Gabi mit seinen Lippen verewigen. Dann blicken sich alle an. Die Frauen in feschen Kleidern und die Männer in Miniröcken.
Die scharf aussehende Lena grinst wie ein Honigkuchen.
»Na los, der Fürstenfeldbrucker-Schlampen-Club ist jetzt bereit für den Faschingsumzug!«
Ein regelrechtes Pfeifkonzert ist von den anderen Abteilungen zu hören, als die Mordkommission los marschiert und durch die Gänge geht, bis sie am Parkplatz ankommen und auf den Privatbus nach Olching wartet. Zum Glück hält der Wetterbericht, was er versprochen hat. Außerdem sind die Männer froh, dass sie nicht Frauenstrings tragen müssen, sondern auf ihre eigenen Unterhosen zurückgreifen dürften. Obwohl die Wartezeit auf den Bus nur wenige Minuten dauert, fühlt es sich für die Bestrapsten wie Stunden an. Vor allem, weil aus jedem Fenster des Polizeipräsidiums die Kollegen schauen und dabei unzählige Kameras in den Händen halten. Der 1er Meier teilt sofort unter den Männern eine Runde Schnaps aus, um innerlich für ein bisschen Hitze zu sorgen. Endlich kommt aber auch der bestellte Bus und bringt die Faschings-Gruppe nach Olching.
Der Faschingsumzug dieses Ortes ist der größte in Oberbayern. Viele Wagen und Fußgruppen sind angemeldet. Die Stimmung ist wie jedes Jahr prächtig und auch die Männer der Mordkommission Fürstenfeldbruck beginnen sich langsam zu entspannen. Hier kennt man kaum jemanden, der Trubel ist groß und was soll`s, es ist Fasching. Bevor der Umzug losgeht, schaffen es die elf Personen noch, an einem Stand etwas gemeinsam zu trinken. Danach stellen sie sich an eine Straßenseite, um das Spektakel zu verfolgen.
›Olau in Olching‹ schallt es immer wieder. Der eigene Schlachtruf des Ortes, den alle kennen.
Lena steht knapp hinter Erik, da sie den kleinen Dänen mit ihren extrem hohen Stöckelschuhen, auf die sie nur ganz selten verzichtet, überragt und fasst ihm dabei gleichzeitig an sein Hinterteil.
»Du siehst ja so was von scharf aus«, haucht sie in sein Ohr.
»Hat dich Andrea heute schon flachgelegt, ansonsten mache ich das später noch?!«, grinst sie ihn an und gleitet mit der Hand unter seinem Rock. »Ich hätte dir gerne meinen offenen Slip geliehen«, hört er die Polizeioberkommissarin als Andrea von der Seite nur sagt: »Junge Dame, halt die Hände flach, hier sind auch Kinder unterwegs!«
»Aber Frau Hauptkommissarin, bei dem Gedränge sieht sicher niemand, wo meine Hände sind!«, lächelt sie zurück.
»Ich sehe es auch nicht, aber ich kann mir bereits vorstellen, wo sie sind«, antwortet die Chefin überzeugt und verdreht dabei ihre Augen.
Der Däne überlässt anschließend lieber Lena den Platz, da ihre Hände selbst für ihm jetzt zu neugierig werden und stellt sich besser neben sie. Dafür drückt jetzt der kräftige Körper der Staatsanwältin gegen seinen Rücken.
»Ich will auch deine Lippen auf meinen Babser sehen«, sagt die Blondinen-Kollegin Lena, die ebenfalls das dänische Busen-Wort schon lange kennt.
Erik beugt sich hinunter und wird gleich fest zwischen ihren großzügig freien Ausschnitt gepresst. Anschließend gibt es bereits ein Gedränge und Geschiebe, wobei es kaum noch möglich ist, frei zu stehen, darum belässt er es dabei und verfolgt recht eingeklemmt, wie die ersten Wagen an ihnen vorbei fahren.
›Olau, Olau‹ hört man es immer wieder von allen Seiten. Dazu laute Musik, Geschwätz und Gelächter. Die Stimmung ist richtig gut, auch wenn der Däne über die vielen politischen Themen, die man an den Wägen sehen kann, eher negativ erstaunt ist. Er war mehrmals in Südamerika bei deren sogenannten Carnaval und muss zugeben, dass es keinen Vergleich zu diesem Umzug gibt. Natürlich herrscht zu dieser Jahreszeit dort Hochsommer und die leicht bekleideten Personen haben viel temperamentvollere Rhythmen im Blut und äußern diese Lebensfreude in ihren Tänzen. Aber in deren Fasching spielt die Politik und andere aktuelle Themen keine Rolle. Außerdem ist niemand von den Zusehern verkleidet, womit er sich seine Aufmachung gespart hätte.
Hier wird gerade gejubelt, geklatscht, hin und wieder kommt auch eine der mehreren mitgenommenen Flaschen vom 1er vorbei, woraus alle einen kräftigen Schluck nehmen, damit die Stimmung noch ausgelassener wird. Viele Besucher sind ebenfalls verkleidet und haben sich auf diesen Umzug gefreut.
Genau gegenüber auf der anderen Straßenseite stehen ein paar Nonnen. Der Däne ist sich nicht sicher, ob es sich um wirkliche Kirchenhüter und Geistliche handelt oder Kostümierte. Dann fährt schon der nächste Wagen vorbei, wobei sich alle ›Olau‹ zurufen und zuwinken. Danach entsteht eine kleine Lücke, wobei der Kommissar erneut zu den Nonnen schaut und plötzlich sieht, wie einer Frau von einem Clown eine Spritze seitlich in die Nackengegend gestochen wird.
Erik schreit sofort aufgeregt auf: »Schnell! Dort drüben bei den Nonnen passiert was!« und läuft über die Straße, um Schlimmeres zu verhindern.
Ein paar seiner Kollegen wundern sich, doch Andrea erfasst die Situation am schnellsten und drängt sich ebenfalls durch, um auf die andere Seite zu gelangen. Dann reagieren auch die anderen Kollegen, während der Hauptkommissar versucht, der davon laufenden Person nachzueilen. Aufgeregt ruft er nach den Meier´s, die mittlerweile auch endlich mitbekommen haben, dass irgendetwas passiert sein muss. Doch die Menschenmenge mit den Besuchern ist zu dicht, es gibt leider keine Möglichkeiten, eine Verfolgung aufzunehmen. Alles was der Däne erkennen kann, war ein Clowngesicht. Eine Person mit einer violetten Perücke, einer roten Nase und übergroßer Plastikbrille. Resigniert gibt er auf und geht zu der Nonne zurück, die jetzt am Boden liegt und bereits von Andrea und dem Gerichtsmediziner behandelt wird. Leider herrscht große Verwirrung, die Besucher drängen sich um den Schauplatz, der Umzug geht weiter und selbst die eigenen Kollegen wissen nicht richtig, was passiert ist. Die Hauptkommissarin hat eine Rettung gerufen und Herwig versucht von der am Boden liegenden Person herauszufinden, was genau passiert ist. Mike, Erika und die Meier´s drängen die neugierige Meute zurück, während die Staatsanwältin Isabella versucht, richtige uniformierte Polizisten aufzutreiben.
Natürlich ist das Chaos perfekt, auch, weil Männer in Strapsen, Strümpfen und kurzen Röcken plötzlich versuchen, Polizei zu spielen. Gefühlt dauert es eine Ewigkeit, obwohl es nur wenige Minuten sind, da bei solchen Umzügen natürlich auch Rettung und Polizei vertreten sind. Die Nonne ist nicht bei Bewusstsein und Erik erklärt aufgeregt, dass sie mit ziemlicher Sicherheit eine Injektion im Halsbereich abbekommen hat. Schnell wird die Frau erstversorgt, dann zum Rettungswagen gebracht und weggefahren.
Die Kollegen befragen gleich die gaffenden Umzugsgäste, ob jemand etwas gesehen hat, aber leider sind alle Antworten negativ. Dafür herrscht auch ein zu großes Durcheinander und Gedränge. Gabi, die Chefin der kriminaltechnischen Untersuchung erwähnt sofort, dass es keinen Sinn macht, Spuren zu sichern, die der Mordkommission weiter helfen können. Da auch die Spritze nicht gefunden wird, sehen die Kommissare keinen Grund, den Faschingsumzug jetzt zu unterbrechen oder gar zu beenden. Darum läuft kurz darauf alles wie geplant weiter.
Die Stimmung der Gruppe ist für einen Moment etwas bedrückt, doch dann schauen sie sich den Rest des Umzuges an. Anschließend gehen alle gemeinsam zum Essen, was bei der kompletten Mordkommission äußerst selten vorkommt. Der Vorfall ist vergessen, es wird geredet, gelacht und auch ordentlich getrunken und irgendwann begeben sich alle mit Taxis nach Hause.
Haben wir einen Fall?
Jeden Morgen um 8 Uhr trifft sich das Team der Mordkommission im Besprechungsraum, um über diverse Ergebnisse und den Tagesablauf zu sprechen. Aktuell haben sie es mit keinem Mord zu tun, trotzdem gibt es natürlich Straftaten, denen nachgegangen wird.
Sehr ungewöhnlich ist es, dass der Präsident Josef Moser die Abteilung besucht. Noch dazu, zu so einer morgendlichen Uhrzeit. »Guten Morgn alle mitnand! Na, so frisch schau ma heit aba net aus. Habm ma gestan a bissl viel und lang gfeiat? Was ist da gestan in Olching bei eana passiert? Sagns, Herr Ingvardsen, was ham´s eana dabei nua gedenkt. Muas des wirklich sein?«, fragt er nur und wirft gleichzeitig die aktuelle Tageszeitung auf den Tisch.
Die Meier´s grinsen natürlich gleich in sich hinein, die anderen Kollegen schauen etwas verdutzt und belämmert und der dänische Hauptkommissar kratzt sich etwas verlegen am Kopf. Das Titelblatt zeigt den Ermittler, der sich zu einer verletzten Frau hinunter bückt, wobei sein Hinterteil mit Strümpfen und Strapsen sehr deutlich zu sehen ist. Die Überschrift dazu lautet. ›Die Strapsboys der Polizei Fürstenfeldbruck sind unterwegs«
»Gestern war der letzte Faschingstag. Wir konnten doch nicht ahnen, dass es genau dort zu einem Unglück dieser Art kommt und die Schmierblätter uns gleich fotografieren und lächerlich machen, anstatt uns lieber zu loben, dass wir den Übergriff so schnell gesehen und die notwendigen Rettungsmaßnamen eingeleitet haben«, versucht sich der Däne zu rechtfertigen.
»Mei, mei ,mei, was fällt eana no so alles ein? Damit mach ma uns wirklich net beliebt. Was werdn nur de andern Reviere sagn? Wis ma wenistens scho irgendetwas üba de Frau?«, fragt er nach.
»Sie lebt und wird heute bereits wieder entlassen, haben wir von den Kollegen der Streife erfahren. Die haben sich gestern um alles gekümmert, da ja unsere Männer-Kollegen, na ja, wie hat die Zeitung geschrieben, als ›Strapsboys‹ unterwegs waren. Aber wir gehen der Sache heute sofort nach!«, versucht die Chefin überzeugt zu klingen, um den Präsidenten damit zu beruhigen und milde zu stimmen.
Der nickt nur und meint im hinausgehen: »Velleicht vasuachns nextes Jâhr als Claun zu gegan, damit unsa Polizei net ganz so bled dasteht.«
Als die Türe zu ist, sieht man zuerst nur ein sanftes Grinsen, dann aber ein grölendes Gelächter des gesamten Team´s. Der 2er reißt gleich das Titelblatt aus der Zeitung und heftet es an die Anschlagtafel, dort wo sonst nur Verdächtige und Opfer hängen.
»So a vasauta dänischa Kommisa, was hams eana dabei nua denkt?«, sagt er nuschelnd und versucht dem Präsidenten seinen Dialekt nachzuäffen. »Nächstes Jahr darfst du immerhin als Clown gehen, aber mit Riesen-Titten!«, grinst er übers ganze Gesicht.
»Aus, genug, auch wenn es gestern sehr lustig war, jetzt sollten wir uns wieder um die Arbeit kümmern«, reißt die Chefin das Gespräch schnell an sich. »Wir sollten uns auf jeden Fall im Krankenhaus bei den Ärzten erkundigen, um welches Betäubungsmittel es sich handelt. Kennen wir schon ihren Namen?«
»Die Frau heißt Frauke Schmalzinger, ist 28 Jahre alt und sie ist wirklich Nonne. Das war also kein Kostüm was wir gesehen haben. Sie wird Schwester Anna genannt«, klärt Erika alle Kollegen auf.
»Alles klar. Ich bin mir jetzt nicht sicher, wie wir mit dem Fall umgehen und ob er uns überhaupt betrifft, aber…« In dem Moment klingelt ihr Mobil-Telefon. »Hauptkommissarin Andrea Steiner. Ja, … sind Sie sicher? … danke, wir kommen gleich vorbei.« Dann blickt die Chefin in die Runde und sagt: »Das war ein Mordversuch. Hätte Erik nicht gesehen, dass die Frau eine Injektion bekam, wäre sie kurze Zeit später an dem Serum gestorben. Nur durch das schnelle Handeln hat sie überlebt. Jetzt ist es wirklich unser Fall. Meier´s! ihr beide fahrt nach Olching und schaut euch an der Stelle um, wo die Tat begangen wurde. Vielleicht sucht ihr auch nach eventuellen Kameras vor Geschäften oder Dächern, welche in diese Richtung zeigen. Miriam und Lena, ihr versucht über den lokalen Radiosender und die Zeitungen eine Suchmeldung an Faschingsgäste zu richten, die zufällig Fotos oder Videos von den Nonnen gemacht haben. Vielleicht finden wir den Täter und es gibt ein Bild, worauf etwas zu erkennen ist. Erik und ich fahren jetzt sofort ins Krankenhaus.«
Damit ist die Besprechung zu Ende und die beiden Hauptkommissare gehen zum Auto. Ins Krankenhaus ist es nicht sehr weit und sie finden auch schnell den behandelnden Arzt der Nonne.
»Alleine durch Ihre Aufmerksamkeit hat die Frau überlebt. Hätten wir sie bewusstlos gefunden, ohne dass wir die Information bekommen haben, was passiert ist, wäre sie uns an dem schnell wirkenden Gift mit großer Wahrscheinlichkeit gestorben. Da hatten Sie eine sehr gute Beobachtungsgabe. Frau Schmalzinger wird übrigens jetzt gleich entlassen und musste in diesem Fall nur zur Vorsorge eine Nacht hier bleiben. Wir konnten die richtigen Gegenmaßnahmen einleiten, welche auch sofort wirkten.«
»Vielen Dank Herr Doktor. Dann wollen wir Sie nicht länger aufhalten und werden gleich mit ihrer Patientin sprechen«, sagt Andrea.
Kurz darauf treffen die Ermittler auf die Frau, die gerade beim Empfang steht und ihre Entlassungspapiere entgegen nimmt.
»Frau Schmalzinger, Polizei Fürstenfeldbruck. Ich bin Erik Ingvardsen, meine Kollegin Hauptkommissarin Andrea Steiner. Dürfen wir Sie kurz sprechen, wir haben ein paar Fragen an Sie?«, fragt der Däne.
»Ich bin Schwester Anna, natürlich. Also … richtig heiße ich eigentlich Frauke Schmalzinger. Sind Sie der Kommissar, der mich gerettet hat?«
»Nein. Gerettet wurden Sie von den Ärzten, wir haben nur die Rettung gerufen«, bekommt sie als Antwort.
»O nein, ich weiß was Sie für mich getan haben. Ohne Sie wäre ich jetzt nicht mehr hier. Ich danke Ihnen unendlich und nehme sie in mein Gebet auf«, worauf sie Erik´s Hand nimmt und diese küsst, dass es dem Kommissar fast peinlich ist.
»Es freut uns, dass es dir wieder besser geht«, verfällt der Däne bereits wieder ins Du, was er grundsätzlich bei gleichaltrigen oder jüngeren Personen macht. »Aber wir haben ein paar Fragen an dich. Hast du eine Idee, warum dir jemand so etwas antun wollte?«
»Sie meinen, das war kein Zufall?«, fragt sie erstaunt und etwas verwundert.
»Das wissen wir noch nicht. Aber mein Gefühl sagt mir, jemanden eine Spritze in den Hals zu stechen, ist Absicht. Bleibt die Frage, bist du eine zufällig ausgesuchte Person oder wollte jemand genau dich treffen? Und das müssen wir jetzt rausfinden. Darum nochmals die Frage. Gibt es Feinde, jemanden, mit dem du Probleme hast oder der dir in letzter Zeit vielleicht sogar gedroht hat?«
»Nicht dass ich wüsste. Mir fällt niemand ein. Weder privat noch in unserer Gemeinschaft. Ich habe keine Feinde«, meint sie schließlich sehr überzeugt.
»Sind Sie hier im Kloster Fürstenfeld tätig?«, will die Kommissarin wissen.
»Nein, wir haben einen etwas anderen Glauben und dadurch unsere eigene kleine Glaubensgemeinschaft und nichts mit dem Kloster hier zu tun. Unser Domizil liegt bei Germering. Wir nennen es selbst ›Klösterle Magdalena‹. Wir wohnen dort in einem großen Haus, zusammen in einer Gemeinschaft, haben Gebetsräume, einen Speisesaal, eine große Küche sowie einen Obst- und Gemüsegarten. Vielleicht recht ähnlich, wie es in einem, wie Sie es wohl nennen, ›richtigen‹ Kloster ist. Nur, alles etwas kleiner gehalten.«
»Na gut Frau Schmalzinger … oder wie möchten Sie angesprochen werden?«, fragt Andrea.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre mir Schwester Anna natürlich lieber, aber ich kann auch verstehen, dass dieser Name für die Polizei vielleicht nicht offiziell ist.«
»Das geht schon in Ordnung. Vorerst haben wir keine weiteren Fragen. Aber wir werden uns mit Sicherheit nochmals melden. Und wenn Ihnen doch etwas dazu einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
Darauf zieht Andrea eine Visitenkarte aus der Tasche, gibt sie ihr und die Kommissare verabschieden sich.
Im Präsidium angekommen erfahren sie, dass die Radiosender und Zeitungen der Bitte der Mordkommission Fürstenfeldbruck nachkommen und nach Personen suchen, die Bilder von den Nonnen am Olchinger Faschingsumzug zur Tatzeit um etwa 15 Uhr gemacht haben. Von den Meier´s erfahren die Ermittler, dass es leider keine Kameras gibt, die den Tatort aufnehmen hätten können.
»Was machen wir? Wo fangen wir an?«, fragt die Chefin ein bisschen skeptisch ihre Kollegen.
»Überhaupt nichts machen wir. Wen sollen wir den suchen? Was versprichst du dir ernsthaft von einem Foto? Ein Clown mit Perücke, roter Nase und großer Brille. Erik hat nicht einmal erkannt, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Außerdem ist niemand gestorben, also auch nicht unser Fall«, sagt der 2er ganz selbstsicher.
»Bei dir muss es wohl immer gleich Mord sein, damit es unser Fall wird«, kontert Lena schnippisch.
»Ah Blondie, sei doch froh, dass es ruhig ist, da kannst du die roten Stöckelschuhe und deinen fetten Arsch ganz entspannt rumtragen.«
»Ich glaube du spinnst wohl. Ich bin die Schlankeste hier und habe nicht mal halb so viel Arsch wie du an fetten Wams vor dir rumträgst!«, wird er sofort angefaucht. »Und wenn du mir weiter blöd kommst, siehst du dich morgen als Schwuchtel mit Strapsen im facebook wieder.«
»Das wagst du nicht, sonst« … »jetzt reicht´s aber, komm wieder runter!«, fährt ihn die Fallanalytikerin Miriam an.
»Von dir lass ich mir schon gar nichts sagen« … »aber von mir. Wir haben einen klaren Mordversuch, damit ist es unser Fall«, sagt die Chefin der Abteilung ganz ruhig aber betont und schaut den muffigen 2er Meier lange an. Da er aber nicht reagiert meint sie weiter. »Wenn es dir überhaupt nicht passen soll, kannst du natürlich gerne auch wieder den Verkehr regeln gehen!«
»Und Knöllchen schreiben, wegen hupender Autofahrer, in hupfreien Zonen!«, grinst Lena.
»Für deine kleinen Hupen hast du ein ganz schön großes Maul! Da wäre ich lieber ein bisschen leiser«, grinst er bereits wieder zurück und zeigt mit der Hand an, wie groß er ihre Oberweite schätzt.
»Lena! Jetzt langt´s aber auch bei dir!«, sagt die Chefin recht scharf.
Damit ist für Ruhe im Raum gesorgt und das Team kann endlich weiter machen. Die Hauptkommissarin blickt sich um.
»Wenn sich jetzt endlich alle wieder beruhigt haben, stelle ich die Frage erneut. Wo und wie fangen wir an?«
»Ich kann nur spekulieren, aber wenn das Serum in kürzester Zeit zum Tod führt, war das ein gezielter Anschlag und nicht ein nur zufällig ausgesuchtes Opfer. Das heißt, es geht um die Nonne Anna. Wir müssen alles über sie erfahren. Vor allem, wer etwas gegen sie hat und zu so einer Tat greift«, ist sich Erik recht sicher.
Die Fallanalytikerin nickt nur und gibt ihrem Kollegen recht.
»Also gut. Erika und Michael. Ihr versucht über ihren richtigen Namen rauszufinden, wer sie ist. Lebenslauf. Auch über die Eltern und Geschwister.«
Das Gespräch der Chefin wird vom Klingelton ihres Mobil-Telefons unterbrochen. »Steiner, richtig. Waaaas? Danke, wir kommen sofort!« Andrea schaut plötzlich entgeistert auf ihre Kollegen. »Frauke Schmalzinger, unsere Nonne ist soeben kurz vor deren Anwesen überfallen und niedergeschlagen worden. Auf geht´s!«
Bis alle bei den Autos angekommen sind, schafft der 2er es trotzdem noch, der Polizeioberkommissarin zu sagen: »Warum dürfen Blondinen keine Mittagspause machen? Weil sie danach wieder frisch angelernt werden müssen.«
Dabei grinsen die Meier´s fast auf Kommando während Lena nur kontert. »Euch bringt das Anlernen auch nichts, ihr kapiert es sowieso nie.«
Im hohen Tempo fährt der Däne mit Lena, Miriam und Andrea, seinem Dreimäderlhaus wie er sie wenn sie privat essen gehen oft nennt, Richtung Germering. Direkt davor fahren mit Folgetonhorn und Blaulicht die beiden Meier´s in deren Polizeiauto. »Jetzt sagt mir mal, was hat eigentlich der 2er mit den kleinen Hupen vorhin gemeint? Ist das wirklich ein Wort für den Busen der Frau?«, will der Däne wissen.
»Manche Provinzler wie der Meier verwenden für das hübsche Wort Babser so unsinnige Wörter wie ›Hupen‹«, klärt ihn Andrea auf.
Da grinst der Kommissar. So etwas Ähnliches hat er sich bereits gedacht. »Aber so klein sind sie nicht, da liegt er daneben!«, fügt er noch an und sieht gleichzeitig eine strahlende Blondie im Rückspiegel, die ihm mit ihrem Schmollmund einen Kuss zuwirft.
Als die beiden Autos in die gesuchte Straße einbiegen, sehen sie schon von weitem die Rettung und ein Polizeiauto stehen. Schnell springen alle aus ihren Wägen und erkundigen sich, was vorgefallen ist und wie es der Frau gerade geht, während die Meier´s die Arbeit der Verkehrspolizei-Kollegen übernehmen.
»Sie hat sehr großes Glück gehabt«, sagt der anwesende Arzt. Jemand hat sie niedergeschlagen und wollte ihr eine Spritze in den Hals stechen, wobei die Nadel aber abgebrochen ist, da die Nonne ihren Kragen der Lederjacke nach oben gesteckt hat. Die Nadel ist dabei genau auf eine Metallöse gestoßen, welche dadurch nicht eindringen konnte.«
Dabei zeigt er auf eine bereits in einer Plastiktüte befindliche Spritze. Lena nimmt die Tüte, um sie später der kriminaltechnischen Untersuchung zu bringen.
»Frau Schmalzinger, ich meine Schwester Anna. Wir müssen mit Ihnen reden. Zwei sehr ähnliche Anschläge auf Sie, das sind sicher keine Zufälle mehr. Wollen Sie mit der Rettung mitfahren oder bleiben Sie hier?«
»Mir geht es gut. Danke. Ich bleibe hier. Kommen Sie, hier vorne ist gleich unser Klösterle«, sagt jetzt die doch etwas aufgeregtere Frau.
Darauf bedanken sich alle bei den Rettungsleuten und gehen mit ihr mit. Von außen erkennt man gar nicht die Größe des Grundstücks und hat auch keine Ahnung, dass sich dahinter gleich mehrere Gebäude befinden. Ein paar Nonnen kommen bereits aufgeregt gelaufen und bringen alle in den Aufenthaltsraum. Dann wird zuerst Tee und Kuchen serviert, bevor die Ermittler mit der betroffenen Frau endlich alleine sind.
»Sind Sie jetzt immer noch sicher, dass Sie keine Feinde haben?«, beginnt die Hauptkommissarin gleich mit der ersten Frage.
»Die Frau zuckt mit den Schultern: »Aber ich wüsste wirklich nicht wer das sein soll.«
»Erzähle uns mal, was ihr hier genau macht, wovon ihr lebt, wem das Gebäude gehört und wer hier alles wohnt«, beginnt der Kommissar ganz ruhig.
»Oh, das sind ja eine ganze Menge Fragen! Das Grundstück gehört unserer Gemeinschaft, also allen zusammen und wird immer weiter vererbt. Also nicht einer einzelnen Person, sondern der Glaubensgemeinschaft. Wir sind zurzeit 15 Personen, die permanent hier wohnen. Keine Männer, aber es kommen tagsüber immer wieder ein paar Mönche zu uns. Wir beten gemeinsam und bauen auf dem Grundstück sehr viel Obst und Gemüse an, welches auch von uns auf dem Markt verkauft wird. Für uns ist es wichtig, ungespritztes Obst und Gemüse an die Kunden zu verkaufen. Außerdem wird hier natürlich gekocht, geputzt, Wäsche gewaschen, es gibt genug Arbeit. Fünf von uns Schwestern sind nebenbei bei verschiedenen Firmen angestellt und gehen einer Arbeit in diversen Büros nach. Dadurch kommt Geld rein, außerdem bekommen wir auch immer wieder diverse Spenden. Und zwei Zimmer werden an Gäste vermietet, die unser Leben als Nonne kennen lernen wollen. Unser Glauben weicht ein bisschen von dem christlichen Glauben ab, aber das genau zu erklären, dauert jetzt zu lange, was ich aber gerne ein anderes Mal nachholen kann.«
»Jetzt denk mal scharf nach! Irgendjemand muss doch etwas gegen dich haben. Du bist jetzt zweimal angegriffen worden, das ist ja kein Zufall. Du musst uns helfen, du bist gefährdet. Wir können heute hier ein Polizeiauto zur Sicherheit abstellen, zwei Kollegen werden die ganze Nacht das Haus beobachten. Aber … wir können das nicht auf Dauer machen«, informiert Erik die Nonne.
»Danke! Es tut mir so leid, aber ich kenne niemanden, der mir Böses antun will.«
»Wie sieht es mit Ihrer Familie aus? Geschwister, Eltern, gibt es jemanden, der gegen Ihre Arbeit als Nonne etwas haben könnte?«, fragt Lena.
»Das glaube ich nicht. Ich bin ein Adoptivkind, wurde in Tschechien gezeugt und sofort zur Adoption frei gegeben. Ich kenne meine wirklichen Eltern nicht und kam bereits als Säugling zu meinen jetzigen Eltern, der Familie Schmalzinger in München. Sie haben noch eine Tochter Samantha, sie ist 30 Jahre, also zwei Jahre älter als ich. Ich habe mit den Adoptiveltern noch immer regelmäßigen Kontakt und keine Probleme.«
»Und mit deiner „Schwester“?«
»Weniger. Eigentlich gar keinen mehr.«
»Gab es Probleme zwischen euch Geschwistern?«, fragt Erik.
»Nein, nicht richtig.«
»Und unrichtig?«, fragt der Däne lächelnd, weil er weiß, dass bei so einer Antwort die Wahrheit immer ein bisschen verschwiegen wird.
»Na ja, das übliche halt. Wie es manchmal zwischen Geschwistern abläuft. Vielleicht war sie auch ein bisschen in mich verliebt. Als sie 18 war, kam sie einmal zu mir in die Dusche und hat mich gleich angefasst. Ich wollte das nicht und habe ihr eine geknallt. Da war sie natürlich sauer. Noch mehr verärgert war sie aber, als ich mich religiös orientierte und Interesse an einer Glaubensgemeinschaft bekundete. Danach konnte ich mit ihr überhaupt nicht mehr diskutieren, da sie der Meinung war, alle Nonnen bei uns müssen im Zölibat leben und sind sexuell frustriert. Sie dagegen hatte dann die Phase, dass sie alles ausprobieren wollte und sich wie eine Nutte benommen hat. Frauen, Männer, Gruppensex, das ganze Programm.«
»Gibt es noch Kontakt zur Schwester?«
»Nein. Wir haben uns leider nichts mehr zu sagen seit ich im Klösterle lebe. Ein paar Mal sind wir uns in Fürstenfeldbruck über den Weg gelaufen, ohne richtig miteinander zu sprechen. Ich glaube sie ignoriert mich einfach.«
»Als was arbeitet ihre Schwester heute?«
Die Nonne schmunzelt, dann sagt sie: »Sie werden es nicht glauben, aber auch meine „Schwester“ ist zwei Jahre später Nonne geworden. Aber nicht hier bei uns sondern in München.«
Dabei lächeln auch die Ermittler. »Ich befürchte, wir müssen trotzdem mit allen sprechen, auch mit Ihren Eltern und mit Samantha«, sagt die Hauptkommissarin zu ihr.
Die Frau nickt nur und holt eine Liste auf der alle Namen stehen, die im Klösterle gemeldet sind und ständig hier wohnen. Außerdem sind die männlichen Besucher gelistet so wie die Adresse der Eltern und der „Schwester“.
»Samantha nennt sich heute Schwester Reinhilde«, sagt sie erläuternd, damit niemand bei den ganzen Namen durcheinander kommt.
»Wann wollen Sie hier mit der Befragung beginnen?«, will die Nonne wissen und bekommt ein »Jetzt sofort« von allen vier Ermittlern zu hören.
Zwei Stunden später gibt es zwar viele Aufzeichnungen und Notizen, aber wirklich neue und hilfreiche Erkenntnisse haben sie leider nicht erhalten. Außerdem haben auch einige Bewohner gefehlt, die zu einem späteren Zeitpunkt befragt werden müssen. Als die vier anschließend zurück fahren und die Meier´s von Polizeioberkommissarin Lena die Anweisung bekommen, über die Nacht hier zu bleiben um das Haus zu beobachten, sind die zwei Kollegen recht verärgert. Einmal mehr bekommt sie zu hören, dass es auch ihr gut tun würde, ihren fetten Arsch zu bewegen und hier ein bisschen auf und ab zu laufen. Leider müssen die Meier´s der Anordnung von Lena nachkommen, da sie rangmäßig höher steht.
Bei der Rückfahrt ins Präsidium meint Miriam: »Die zwei Pausenclowns, vor allem aber der 2er, haben sich ja richtig auf dich eingeschossen. Ob blond oder Hinterteil, denen kannst du es nicht recht machen. Und das mit deiner super Figur und dem Knackarsch. Dagegen haben ja Andrea und ich Hängeärsche«, grinst die Fallanalytikerin.
»Also, mir gefallen eure spannenden Frauengespräche immer wieder! Schade, dass wir gleich da sind oder soll ich doch noch eine extra Runde fahren, um euch weiter zuhören zu können?«, kichert Erik.
»Was heißt eigentlich ›Arsch‹ auf Dänisch?«, will Lena doch noch schnell wissen.
»Røv«, antwortet er.
»Was! Schon wieder nur so ein kurzes Wort!?«, staunt jetzt auch Andrea, die wie Lena schon einige Wörter vom dänischen Kollegen gelernt hat. »Røv, Pik, Jul, Øl, Tak, Kys, Ø, Å«, sagt sie wissend.
»Arsch, Schwanz, Weihnachten, Bier, Danke, Kuss, Insel, Fluss«, übersetzt Lena korrekt und meint, »dagegen ist ja das Busenwort Babser fast schon ein langer Zungenbrecher.«
»Hast du noch andere kurze Wörter auf Lager?«, fragt Miriam.
»B0f og ost. Das heißt Fleisch und Käse.«
Das Dreimäderlhaus lacht über den Ost für den Käse. Dann wird es wieder ernster.
»Miriam und Lena, ihr fahrt jetzt noch nach München um die Eltern der Nonne zu befragen«, gibt die Hauptkommissarin als Anweisung weiter.
Lena schaut auf die Uhr, rümpft die Nase und meint: »Aber hoffentlich nicht mehr heute. Sonst wird es recht spät. Ich melde mich bei den Eltern für morgen Früh an«, sagt sie ganz selbstbewusst.
»Na gut, aber lass das lieber nicht die beiden Meier´s wissen. Sonst hagelt es in den nächsten Tagen Wörter, die weit unter der Gürtellinie liegen«, grinst die Chefin.
Bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee unterhalten sich alle über den Fall und fragen sich zugleich, ob es überhaupt möglich sein wird, einen Clown zu finden.
»Ganz Unrecht hat der 2er ja nicht. Wir suchen ein Phantom. Aussichtsloser könnte die Situation gar nicht sein. Wenn man nicht weiß, wen man suchen soll, Mann oder Frau, jung oder alt, dann stellt sich schon die Frage. Ist das überhaupt ein Fall?«, stellt der Däne bekümmert fest.
»Ich wäre jetzt am liebsten ganz weit weg. So weit weg wie überhaupt möglich! Weg von dem mistigen Wetter, weg von den Meier´s, na ja … Erik, dich hätte ich aber schon gerne dabei!«, sagt Lena schmunzelnd.
»Du willst nur wieder mal unseren Dansk Mand flach legen«, sagen die beiden anderen Frauen.
»Wie könnt ihr verdorbenen Weiber nur immer so sexistisch denken? Ich habe jetzt an einen erfahrenen Reise-Guide gedacht. Erik, ich glaube es ist nicht gut, dass du so oft bei unserer Chefin übernachtest. Die vögelt sich bei dir noch die Gehirnzellen weg und denkt nur noch an Sex.«
Andrea kann fast nicht glauben was sie zu hören bekommt, aber Lena spricht einfach weiter und fragt: »Wie heißt das Land, welches am weitesten von hier entfernt ist?«
Der vielgereiste Däne überlegt kurz und meint: »Wenn wir von einem größeren Land sprechen, ist es sicher Aotearoa. Keine Ahnung, ob eine kleine Insel im Südpazifik kilometermäßig noch weiter weg wäre.«
Da das Dreimäderlhaus nur entgeistert und verwundert dasteht, sagt er: »Ich spreche von New Zealand. Die Ureinwohner, die Maories nennen das Land so.«
»Und warst du schon einmal dort?«, will sie wissen.
»Sogar zweimal. Das Land ist wirklich sehr schön, vor allem landschaftlich hat es sehr viel zu bieten. Ich vergleiche es ein bisschen mit Norwegen oder Chile. Es ist auf jeden Fall sehr abwechslungsreich. Diese Länder haben hübsche kleine Städte, wobei ich Bergen und Ålesund in Norwegen, Puerto Montt in Chile und Queenstown in New Zealand als die schönsten Städte der Erde bezeichnen würde. Es gibt Gletscher, Berge, Strände, Vulkane, Wasserfälle, Fjorde, Geysire, alle drei Länder liegen nicht nur am Meer sondern haben tausende Kilometer Küste, sind von der Form eher schmal und lang und auch recht dünn besiedelt. Und sie liegen recht nahe zu den beiden Polen. Also Nord- und Südpol«, erklärt der Däne. »Außerdem gefallen mir die Lieder der Maories.«
»Oh ja, genau das möchte ich!«, schwärmt Lena. »Zusammen mit dir. Und jede von unseren beiden Freundinnen bekommt eine hübsche Ansichtskarte von mir geschickt. Darauf schreibe ich: ›Wenn ich ein Vöglein wär, flög ich zu dir, da ich kein Vöglein bin‹ …« In dem Moment läutet das Telefon von Andrea und sie meldet sich Gedanken verloren mit: »Vögle ich hier … äh, Mist, Hauptkommissarin Steiner.«
Etwas verlegen hört sie nur kurz zu, während die anderen drei über das ganze Gesicht grinsen, dann sagt sie: »Danke, wir kommen sofort!« und legt auf. »… Ich habe keine Ahnung, was hier gerade los ist, aber eine Tangolehrerin im RÍOPLATENESE ist offenbar soeben mit einer Spritze attackiert worden. Da derselbe Notarzt vor Ort ist, der auch bei der Nonne schon erste Hilfe geleistet hat, sieht er gewisse Gemeinsamkeiten. Also gut, Miriam und Lena, ihr könnt Feierabend machen. Komm mein Schokobär, wir schauen uns an, was dort vorgefallen ist und gehen Tango tanzen. Ah … und nur zur Information. Für die Zukunft verbiete ich jegliche Art von sexuellen Gesprächen während der Arbeitszeit. Peinlich genug, wie ich mich jetzt gemeldet habe.«
»Ich habe nicht von Sex gesprochen aber du hast offenbar eine neue Art gefunden, dich zu melden. Frau „Vögle ich hier“«, kichert Lena. »Tanzt aber nicht zu wild«, sagt sie noch und stolziert auf ihren roten High Heels los.
Erotischer Tango-Argentino
Die Tangoschule liegt mitten in Fürstenfeldbruck und bietet viele verschiedene Kurse an. Für Neulinge genauso wie für Fortgeschrittene und Profis. TANGO-ARGENTINO steht groß über dem Eingang geschrieben. Daneben etwas kleiner. TANGO-RIOPLATENESE.
Erik schmunzelt: »Kannst du dich noch erinnern, was ich dir damals auf der Fähre von Buenos Aires nach Colonia del Sacramento in Uruguay erzählt habe. Der Fluss, den wir überquert haben, heißt Rio de la Plata. Davon ist das Wort RÍOPLATENESE abgeleitet. Da der Tango gewissermaßen auf beiden Seiten entstanden ist, in Montevideo wie auch Buenos Aires, ist dadurch diese Bezeichnung entstanden.«
Andrea weiß jetzt zwar, was es mit diesem Wort auf sich hat, doch leider ist die für sie so wichtige Geschäftsführerin nicht da, da sie zur Vorsorge über Nacht ins Krankenhaus eingeliefert wurde, werden sie von einer Putzfrau informiert. Darum fahren die Ermittler ein zweites Mal an diesem Tag in die Klinik. Zuerst sprechen sie mit einem Arzt und bekommen die genau gleichen Worte zu hören, die sie bei Schwester Anna gehört haben. Danach begeben sich die Ermittler zur Patientin ins Krankenzimmer.
»Frau Roswitha Steinberg? Polizei Fürstenfeldbruck. Ich bin Hauptkommissarin Andrea Steiner, mein Kollege Hauptkommissar Erik Ingvardsen. Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten?«
»Natürlich! Fragen Sie nur.«
»Haben Sie die Person erkannt, als es zu diesem Vorfall kam?«
»Leider nein. Die Person kam von hinten auf mich zu, ich habe nichts gesehen, nur einen Stich gespürt. Zum Glück war noch ein Schüler hier, der genau in dem Moment aus der Umkleide kam, als ich attackiert wurde. Er hat auch ganz schnell die Rettung gerufen, sonst wäre ich jetzt vermutlich nicht mehr hier«, seufzt sie leicht aufgebracht.
»Hast du Feinde oder eine Ahnung, wer zu so einer Tat fähig ist?«, fragt Erik.
»Überhaupt nicht. Ich habe weder Probleme mit jemandem, noch wüsste ich, warum man mir so etwas antut. Für mich ist das ein vollkommenes Rätsel.«
»Denken Sie nach, wer etwas gegen Sie haben könnte! Kann es jemand von den Tänzern sein? Wir brauchen unbedingt Informationen von Ihnen! Gestern gab es einen sehr ähnlichen Anschlag auf eine Nonne. Vielleicht gibt es sogar einen Zusammenhang?«
»Ich kann Ihnen morgen natürlich gerne eine Liste der Schüler geben, aber ich glaube nicht, dass sie dabei wirklich fündig werden.«
»Also gut. Wir kommen morgen bei Ihnen vorbei. Vielleicht fällt Ihnen ja bis dahin noch etwas ein. Wiedersehen und alles Gute! Ah noch eine letzte Frage. Wie heißt der Schüler, der den Vorfall gesehen hat?«
»Herbert Sänger. Er wohnt gleich im ersten Haus links von der Tanzschule.«
Daraufhin fahren die Kommissare los, um die besagte Person zu befragen.
»Wie nichts?«, ärgert sich der Däne über die kurze Antwort, die er auf seine Frage bekommt, was der Schüler genau gesehen hat. »Du musst doch wenigstens irgendetwas gesehen haben. Frau Roswitha Steinberg hat uns erzählt, der Täter hat sie von hinten angegriffen, wurde durch dich gestört und ist schnell davon gelaufen.«
»Genau so war es. Aber ich kann nicht mehr sagen. Auch ich habe die Person nur von hinten gesehen. Mit Turnschuhen, Jeans und einem Kapuzen-Shirt. Da die Kapuze über den Kopf gezogen war, kann ich nicht mal sagen, ob es eine Frau oder ein Mann war. Aber zumindest als sportlich und schnell würde ich die Person beschreiben.«
»Mist!«, seufzt der Ermittler und verabschiedet sich.
Auf der Rückfahrt kaufen sie sich ein Grillhendl mit Semmel und Kartoffelsalat und beenden zu Hause bei Erik mit dem gekauften Essen ihren Arbeitstag.
»Magst du einen Wein?«, fragt er.
»Mir wäre zu diesem Essen eigentlich lieber ein Øl«, meint die Kollegin, worauf der Däne gleich zwei Bier aus dem Kühlschrank nimmt.
»Was war das nur für ein merkwürdiger Tag. Und niemand hat den Täter richtig gesehen. Das wirklich einzig Positive an der Sache ist, dass wir keine Leiche haben. Aber so planlos und verwirrt war ich auch schon lange nicht mehr«, seufzt er.
»Da hast du wohl recht. Mir geht es nicht anders. Es wirkt alles ein bisschen zerfahren. Ich habe auch keine Ahnung, was ich davon halten soll. Übrigens, apropos keine Leichen. Hast du eigentlich bei deinen viele Reisen schon mal irgendwo so ein Ritual oder eine Zeremonie mit Toten erlebt? Ich meine, etwas, das ganz anders ist, als es bei uns hier abläuft?«, will Andrea plötzlich wissen.
»Ja, so etwas habe ich wirklich erlebt und gesehen. Sogar gleich mehrmals. Einmal in Indien oder um es genauer zu sagen, Vārānasi ist sehr bekannt für seine Totenverbrennungen. Viele Hindus glauben, dem Kreislauf der Wiedergeburt nur in der heiligen Stadt Vārānasi zu entkommen. Wer dort stirbt, dessen Asche wird in den heiligen Fluss Ganges geworfen. Direkt am Fluss gibt es sogenannte Sterbehäuser, wo Menschen auf ihren Tod warten. Daneben türmen sich riesige Holzstapel und ein paar Meter weiter werden die Leichen auf Scheiterhaufen verbrannt.«
»Und das kann man sich als Tourist einfach so ansehen?«, unterbricht die Kollegin jetzt doch leicht angespannt und etwas schockiert.
»Die Leichen sind natürlich in ein Tuch gehüllt und liegen auf gestapelten Holzgerüsten. Aber ja, man kann trotzdem alles sehen und als Tourist zwischen den toten Körpern umherlaufen. Das Tuch ist natürlich relativ schnell verbrannt, dann raucht es aus dem Körper und Kopfhöhlen. Es ist nichts für Personen mit schwachem Magen. Die Leichenbestatter haben dort einen recht traurigen und schweren 24 Stunden Job und arbeiten sogar im Schichtbetrieb. Oft müssen Angehörige lange warten, bis sie an die Reihe kommen. Zehntausende Menschen kommen jedes Jahr nach Vārānasi, um dort zu sterben und es werden jedes Jahr mehr. Es ist für die Leichenbestatter ein leider endloser Job. Ich wurde von einer alten, sterbenden Frau gefragt, ob ich ihr ein bisschen Geld gebe, damit sie Holz für ihre Verbrennung kaufen kann. Das ist schon fast makaber, aber leider die absolute Realität. Für den Scheiterhaufen müssen die alten Leute selbst sorgen und aufkommen, sonst gibt es keine Verbrennung für diese Personen.«
»Wie grausam das nur klingt!«, seufzt Andrea jetzt doch recht bekümmert.
»Denk doch mal nach, bei der Erdüberbevölkerung heute ist das kein Wunder. Im Jahre 2020 kommen alleine in Indien über 17 Millionen neugeborene Menschen dazu, was die gesamte Einwohnerzahl von über 1,4 Milliarden Menschen in diesem Land bedeutet. Und die Tendenz ist natürlich jedes Jahr steigend.«
Die Kommissarin schüttelt nur den Kopf und Erik spricht weiter: »Übrigens, eine ganz andere Form von Begräbnissen habe ich in Indonesien erlebt. Genau genommen war das in der Bergregion Tana Toraja auf der Insel Sulawesi. Ich war so sehr