Das Träumerlein - Lise Gast - E-Book

Das Träumerlein E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Das Träumerlein ist der Name der Puppe der kleinen Gisela. Sie liebt die Puppe über alles. Umso schlimmer ist es auch, als eines Tages der Vater die Puppe völlig verunstaltet in einem Blumenbeet entdeckt. Wie konnte das nur passieren? Gisela hat die Puppe über Nacht draußen vergessen. Nun ist sie dreckig und vom Regen aufgeweicht – eine Schnecke ist über sie hinweggekrochen und hat eine Schleimspur hinterlassen, und der kleine Dackel hat ihr das Gesicht aufgebissen. Gisela ist untröstlich. Aber die Wut des Vaters ist noch viel schlimmer. Er wirft ihr vor, sie sei eine schlechte Puppenmutter! Aber das geht Gisela zu weit, sie ist empört! Der Vater irrt sich. Sie ist eine gute und pflichtbewusste Puppenmutter! Niemals hat sie die Puppe mit Absicht im Garten liegengelassen.Trotzdem kann sie den Zorn des Vaters nicht mildern. Er straft sie hart. Sie darf ein Jahr lang nicht mehr in den Ferien nach Hause kommen und muss in der Stadt bei ihren Großeltern bleiben. Und eine neue Puppe gibt es auch nicht.Zum Glück gibt es die liebe Großmutter, die alles wieder in die richtige Bahn leiten wird...-

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Lise Gast

Das Träumerlein

Saga

Das Träumerlein

German

© 1956 Lise Gast

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711508824

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

„Gi—sel! Gi—se—la!“

Das war Mutters Stimme. Gisela richtete sich auf, schnupfte und wischte sich mit dem Handrücken die Augenwinkel aus. Mutter durfte doch nicht merken, daß sie geweint hatte.

Sie wollte ja auch nicht weinen. Alle Ferien nahmen einmal ein Ende, jedes Kind mußte eines Tages wieder zur Schule. Daß bei ihr die Schule vom Elternhaus aus nicht erreichbar war, daß sie deshalb bei der Großmutter in der Stadt wohnen mußte, das war eben nicht zu ändern. Und sie wollte auch tapfer und vernünftig sein. Andere Kinder hatten es viel schwerer, sie mußten zu fremden Leuten in die Stadt, in Pensionen; mehreren Mädchen aus ihrer Klasse ging es so. Dagegen hatte sie, Gisela, es wirklich gut. Sie besaß die freundlichste und liebevollste Großmutter, die man sich denken konnte, und Großvater war oft wie ein lustiger Kamerad, beim Spazierengehen zum Beispiel oder auch im Winter in der Dämmerstunde, ehe Licht gemacht wurde. O nein, Gisela durfte nicht weinen, es war bitterer Undank und wirkliches Unrecht. Dankbar müßte sie sein, daß sie es so gut hatte ...

Aber da saß ein dicker Kloß in ihrem Hals, sobald sie nur daran dachte, daß übermorgen — —. Ein Tag nur noch, ein einziger, ganzer, letzter Tag zu Hause — ihr war, als bräche bei diesem Gedanken ein Damm in ihrem Herzen, und die Tränen flossen und flossen. Sie konnte nichts dafür.

Gottlob, Mutter rief nicht mehr. Sie glaubte wohl, Gisela sei nicht im Garten. Gisela hob sich auf die Knie und spähte über das halbhohe Gebüsch hinweg zum Hause hinüber. Auf der Veranda war niemand.

Gut, gut so.

Wahrscheinlich war Besuch gekommen. Gisela haßte es, wenn sie „Guten Tag“ sagen mußte, jeder Dame die Hand geben und einen Knicks machen, um immer wieder dasselbe zu hören: „Nein, bist du groß geworden! Ei ei, aber ganz die Mutter!“ Jochen machte das nichts aus. Der brachte seine mehr oder weniger gelungenen Diener an und steckte vergnügt die Schokolade ein, die er bekam. Jochen würde vermutlich auch nicht weinen, wenn er von zu Hause fort müßte, sondern sich auf die Stadt freuen und sich von den Großeltern ebenso verwöhnen lassen wie hier von Mutter.

Jochen war erst fünf Jahre alt. Er konnte noch lange Zeit hier sein, er kam erst nächstes Jahr in die Schule, und auf die Höhere noch lange nicht. Jochen hatte es gut ...

Gisela sah, während sie dies alles dachte, auf ihre Puppe herunter, die sie im Arm hielt. Es war die geliebteste Käthe-Kruse-Puppe, ein Baby, nicht so groß wie die andern Käthe-Kruse-Puppen, aber noch viel, viel entzückender. Ein „Träumerlein“, wie es im Laden hieß. Gisela fand diesen Ausdruck so nett, daß sie der Puppe gar keinen anderen Namen gegeben hatte. Sie war eben ihr Träumerlein, ihr Baby, ihr Jüngstes — sie sah zärtlich darauf hernieder und vergaß für ein paar Atemzüge ihren Kummer. Wie ein wirkliches, winziges Menschenkind sah dieses Puppenbaby aus, einfach entzückend. Gisela erinnerte sich noch ganz schwach daran, wie süß Jochen damals gewesen war, als er noch als winziges Geschöpfchen in dem hellen Korbwagen gelegen hatte. Damals war sie selbst erst sechs Jahre alt gewesen, ach, noch viel zu klein und dumm für die Aufgaben einer großen Schwester. Heute müßte man solch ein Geschwisterchen haben, es selbst baden, an- und ausziehen dürfen, ihm die Flasche geben oder es füttern und im Garten umherfahren ...

„Gisela! Wo steckst du denn?“

Es half nichts, sie mußte jetzt antworten. Vielleicht sah man nun auch nicht mehr, daß sie geweint hatte. Sie legte die Puppe in ihrem kleinen Steckkissen sorgsam auf den Rasen, halb unter das Stachelbeergebüsch, das schon anfing, winzige Blättchen zu treiben — wenn sie sich entfalteten, war man nicht mehr hier. Der Gedanke gab ihrem Herz einen schmerzhaften Stoß. Dann stand sie auf. Los Gisela, Haare aus dem Gesicht, noch einmal aufgeschnupft und dann geantwortet!

„Hier, Mutter! Ich komm schon.“

Natürlich, es war wieder Besuch da. Eine Tante, aber gottlob! eine weiße. Gisela teilte alle Tanten in weiße und schwarze ein. Weiße waren jung und lustig, sie schüttelten einem kameradschaftlich die Hand und erwarteten keinen Knicks, der doch nie tief genug ausfiel. Sie kamen mit einem Auto zu Besuch, manche ritten, und wenn Gesellschaft war, trugen sie wundervolle Abendkleider und silberne Schuhe und tanzten so leicht und schön, daß man vom Türspalt nicht wieder wegfand. Schwarze Tanten dagegen fanden alles nicht mehr so gut wie früher, weder das Kleid, das man trug — ‚viel zu kurz für solch ein großes Mädchen!‘ — noch die Trainingshose im Winter — ‚Mädchen in Hosen, aber nein!‘ — und sie waren erst zufrieden, wenn man ihnen die Hand küßte. Gisela hatte für die schwarzen Tanten neuerdings die Bezeichnung „alte Eulen“ eingeführt, die sie einmal von einem ihrer Vettern, vom Nachbargut, gehört hatte. Sie hatte diesen Ausdruck natürlich niemals in Gegenwart von Erwachsenen verwendet. Heute war aber eine weiße Tante zu Besuch gekommen, ein Glück wenigstens. „Na also, da ist sie ja schon“, sagte sie und lachte Gisela an, „guten Tag, Gisela! Deine Mutter dachte schon, du wärst verloren gegangen.“

Gisela lächelte. Man konnte nicht anders als fröhlich werden, wenn man Tante Christina ansah. Alles an ihr strahlte und lachte. Sie trug ein hellgraues Kostüm mit weißer Bluse, und ihr blondes Haar ringelte sich auf den strengen Herrenkragen herab. Gisela dachte manchmal, solch eine große Schwester müßte man haben, das wäre schön.

„Wie fein, daß ich dich noch sehe! Ich war so lange nicht hier, eine Schande!“ sagte Tante Christina. „Und bald werde ich singen: Nun ade, du mein lieb Heimatland. Da geht es fort, weit, weit fort — manchmal habe ich schon im voraus Heimweh nach euch allen und nach dem Land hier und den Bergen und Wäldern. Ob Hans mir das wird ersetzen können?“

„Er muß“, sagte Vater und reichte ihr die Zigarettenpackung hinüber. Als Tante Christina hineingriff, sah Gisela ihren Ring funkeln.

Sie hatte sich also verlobt. Alle weißen Tanten verlobten sich früher oder später, und manche blieben sogar weiß, auch wenn sie verheiratet waren und selbst Kinder hatten. Die meisten Tanten mit Kindern waren oder wurden jedoch schwarz; sie bekrittelten und erzogen einen dauernd und stellten Vergleiche an mit ihren eigenen, unvergleichlich gescheiteren und artigeren Sprößlingen. Tante Christina aber würde weiß bleiben, das wußte Gisela schon jetzt.

„Hier sind Streichhölzer, Tante Christina“, sagte sie. Wenn ich einmal groß bin, möchte ich so werden wie sie ist, dachte sie bei sich.

„Hör mal, Gisela, wir haben uns so lange nicht gesehen“, sagte die junge Tante jetzt, „ich mach dir einen Vorschlag. Du trinkst jetzt eine Tasse Tee mit uns — natürlich trinkt sie Tee, du wirst doch dieser jungen Dame keinen Becher Milch anbieten wollen — und dann fährst du mit mir hinüber nach Zipkow. Ich bin mit dem Dogcart hier. Hans bringt euch Gisela später mit dem Wagen zurück. Es darf ein bißchen spät werden, ja? Oder fährt sie morgen schon ganz früh? Ich hab gehört, daß heute dein letzter Ferientag ist, Gisela.“

„Der vorletzte, Tante Christina“, berichtigte Gisela und nahm die Tasse, die Mutter ihr reichte. Der Tee duftete so herrlich stark, und es war schön, hier bei den Großen sitzen zu dürfen.

„Umso besser! Dann kann Hans sie also noch sehen. Ich hab ihm immer gesagt, solche Kinder wie die Großendorfer