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Die Methode der systemischen Aufstellung - von Bert Hellinger ursprünglich für die Familientherapie angewendet - wird mittlerweile verstärkt auch in Unternehmen und Organisationen angewendet. Bei einer systemischen Aufstellung (auch Organisationsaufstellung genannt) versucht man, die Struktur einer Gruppe mittels Stellvertretern abzubilden. Dadurch erhält man Aufschluss über Spannungen, Krisenfelder oder Machtverteilung innerhalb dieser Gruppe - beispielsweise einer Abteilung oder Firma. Menschen, Teams und Unternehmen sind erfolgreich, wenn sie - ähnlich wie beim Fußball - "gut aufgestellt" sind, also an ihrem richtigen Platz stehen und entsprechend ihrer Leistung und Position anerkannt werden. Systemische Stimmigkeit erzeugt Synergie.
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Seitenzahl: 294
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Klaus-Peter Horn / Regine Brick
Systemische Aufstellung inUnternehmen und Organisationen
4. Auflage
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
E-Book-ISBN 978-3-86200-115-6
Lektorat: Dr. Sonja Klug, Bad Honnef
Umschlaggestaltung: + Malsy Kommunikation und
Gestaltung, Bremen
Umschlagmotiv: ZEFA Visual Media, Hamburg
4. Auflage 2010
© 2001 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Alle Rechte Vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
© 2014 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2001 erschienenen Buchtitel „Das verborgene Netzwerk der Macht“ von Klaus-Peter Horn und Regine Brick, ©2001 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
ISBN Buchausgabe: 978-3-89749-122-9
ISBN epub: 978-3-86200-917-6
www.gabal-verlag.de - More success for you!
Vorwortvon Otto Wassermann
Einführung
1. Das Unternehmenssystem – Ihr wichtigstes Betriebskapital
1.1 Das verborgene Führungssystem Ihres Unternehmens
1.2 Das Gewissen als systemischer Kompass
1.3 Die verborgenen Führungsleitlinien
2. Systemische Aufstellung – das Verborgene sichtbar machen
2.1 Entwicklung der Methode
2.2 Zwei Wege, ein Ziel: die Lösung
2.3 Wie funktioniert die systemische Aufstellung?
2.4 Wann ist die systemische Aufstellung für Sie nützlich?
2.5 Welche Kompetenzen braucht ein Aufstellungsleiter?
3. Systemische Aufstellung in der Praxis – Fallbeispiele
3.1 »Uns laufen die besten Leute davon!«
Der Vorstand eines mittelständischen Unternehmens kämpft mit Fluktuation und innerer Kündigung
3.2 »Ich bekomme hier kein Bein auf den Boden!«
Akzeptanzschwierigkeiten eines jungen Geschäftsführers bei seinen Mitarbeitern
3.3 »Was brauchen wir, um zusammenzuwachsen?«
Probleme in der Zusammenarbeit nach einer deutschfranzösischen Firmenfusion
3.4 »Ich möchte den Erfolg erreichen, den wir verdienen.«
Rote Zahlen in der zugekauften Sparte eines mittelständischen Familienunternehmens
3.5 »Wer ist hier der heimliche Chef?«
Eine Beraterin auf Irrwegen
3.6 »Wo geht es für mich lang?«
Eine erfolgreiche Führungskraft am Scheideweg
4. Was bringt Ihnen die systemische Aufstellung? – Fragen und Antworten aus Seminaren
4.1 Den Erfolgsschlüssel umdrehen – vom Problem zur Lösung
4.2 Ressourcen aktivieren – unternehmerisches und persönliches Wachstum
4.3 Viel mehr als nur dabei sein – Nutzen der teilnehmenden Beobachtung
4.4 Eine neue Zauberpille? – Kritische Fragen zur Aufstellungsmethode
4.5 Fragen von Teilnehmern eines Unternehmer-Symposiums
5. Systemisches Coaching – vom Makro- zum Mikrosystem
5.1 Wie Makro- und Mikrosystem ineinander greifen
5.2 Verborgenes Potenzial – die Harmonie der Gegensätze
5.3 Das verborgene Führungssystem Ihrer Persönlichkeit
5.4 Das innere Team managen
5.5 Den inneren Teamleiter trainieren – das bewusste Ich im Alltag
6. So können Sie jetzt beginnen, systemisches Know-how zu nutzen
Anhang
Literaturverzeichnis
Über die Autoren
In unserem Unternehmen wenden wir die in diesem Buch beschriebene Aufstellungsmethode seit Jahren mit Erfolg an.
Als Spezialisten für prozessorientierte Organisation gestalten wir seit mehr als 15 Jahren Abläufe in Industrieunternehmen und Supply Chains mit unserer selbst entwickelten simulationsgestützten Software. Mit WAY simulieren wir die künftigen Auftragsund Materialdurchläufe: Wir tun so, als würde konstruiert, beschafft und produziert.
Durch Simulation Engpässe erkennen
Die Simulation identifiziert dabei die drohenden Engpässe, so dass wir sie beseitigen können, bevor sie zu Rückständen führen, Termine töten und Erträge fressen. Engpassfrei laufen dann Aufträge und Materialien wie auf der grünen Welle durch Unternehmen und Supply Chains.
Eine geniale Lösungsidee – aber so einfach und neu, dass sie häufig auf große Skepsis oder gar Ablehnung stößt! »Simulation ist doch nicht Realität!« »Sie wollen im Ernst unsere komplexen Steuerungsprozesse mit Software abbilden?!« »Das kann doch unmöglich funktionieren!«
Kommunikationsrückstände abbauen
Mit diesen und anderen Reaktionen des Kopfschüttelns werden wir von unseren Neukunden immer wieder konfrontiert. Dr. Horn und sein Team helfen uns seit Jahren in systemisch orientierten Trainings, damit richtig umzugehen. Statt abwehrend »Ja, aber« zu sagen und dagegenzuhalten, befähigt uns die Trainingsarbeit, das Interessensignal in dieser Reaktion zu erkennen. Das Eis ist dann bald gebrochen, und unsere Kunden verstehen nach einiger Zeit selbst nicht mehr, warum sie sich vorher nicht vorstellen konnten, dass es so einfach und gut geht! Auch sie lernen in diesem Prozess, Barrieren und Ängste abzubauen und team- und zielorientiert zusammenzuarbeiten. »Kommunikationsrückstände abbauen« nennen unsere Trainer das.
Trotzdem ging es mir anfangs ähnlich wie unseren Kunden, als Dr. Horn mir eines Tages sagte, er könne mit einer Art Simulation auch das menschliche Unternehmenssystem so einfach abbilden und harmonisieren, wie wir dies mit dem technischen Unternehmenssystem tun. »Das kann nicht sein!«, antwortete ich ihm. »Es geht um Menschen mit ihrer ganzen Vielschichtigkeit!« Natürlich wertete er das als Interessensignal, und so saßen wir wenig später im Führungskreis zusammen, um diese neue Simulation kennen zu lernen.
Wir konfrontierten Dr. Horn mit einer aus unserer Sicht emotional völlig verfahrenen Kundensituation, die uns schon viele schlaflose Nächte bereitet hatte, und forderten ihn auf: »Nun zeigen Sie mal, ob Sie das auf die Reihe bringen!«
Undurchsichtige Situationen durchschauen
Wir stellten die Situation mit Hilfe von Stellvertretern systemisch auf und waren verblüfft. Glasklar erkannte jeder, was da ablief. Diese völlig undurchsichtige Situation lag plötzlich vor uns wie ein offenes Buch! Jedem Einzelnen in unserem Führungskreis fiel es wie Schuppen von den Augen: Wir sahen, worin das Problem bestand und was die Lösung war. Aber die eigentliche Überraschung wartete noch auf uns: Es dauerte keine drei Monate, bis sich exakt diejenige Lösung, die sich in der Aufstellung gezeigt hatte, tatsächlich realisierte!
Warum Aufstellungen funktionieren, verstehen wir immer noch nicht genau. Auch den systemischen Experten geht es damit nicht anders. Aber dass sie funktionieren und zu Lösungen führen, konnten wir überprüfen.
Heute arbeiten wir mit Dr. Horn und seinen Partnern erfolgreich für unsere Kunden zusammen – als Spezialisten für Unternehmenssysteme, wir auf technischer und sie auf zwischenmenschlicher Ebene.
Damit Sie den größtmöglichen Nutzen aus diesem Buch ziehen, betrachten auch Sie Ihre eigenen Einwände einfach als Interessensignal! Sie werden durch viele wertvolle Anregungen, die Ihnen gelegentlich wie Zauberei erscheinen mögen, reich belohnt.
Otto Wassermann
Vorstandsvorsitzender der Wassermann AG
Kennen Sie die Bedeutung der richtigen Mannschaftsaufstellung im Fußball? Wissen Sie, wie wichtig Netzwerkbeziehungen für den Markterfolg eines Unternehmens sein können? Wenn ja, sind Ihnen bereits einige wichtige Grundprinzipien, um die es in diesem Buch geht, geläufig.
Gut aufgestellt
»Gut aufgestellt« nennt man heute Unternehmen mit starker Marktposition ebenso wie Führungskräfte, die gekonntes Beziehungsmanagement betreiben. Hinter dieser Redensart verbirgt sich mehr als eine Modeerscheinung. Sie spiegelt ein Wissen um die Bedeutung von Netzwerkkonstellationen für den Erfolg oder Misserfolg unseres Handelns wider. Weil dieses Wissen unbewusst ist, wird es bislang allerdings noch wenig genutzt. Damit fehlt ein wichtiges Navigationsinstrument, denn die Konstellationen, in die wir im Wirtschaftsleben eingebunden sind, sind keineswegs zufällig. Vielmehr unterliegen diese zwischenmenschlichen Systeme, die wir als Teams, Abteilungen, Unternehmen und Märkte kennen, bestimmten Gesetzen, von deren Beachtung oder Missachtung ihr Erfolg maßgeblich abhängt.
Mit der systemischen Aufstellungsmethode steht uns jetzt ein Werkzeug zur Verfügung, das komplexe Zusammenhänge und Wechselwirkungen auf einfache Weise abbilden kann. In weit verzweigten Netzwerken ebenso wie in überschaubaren Teams hilft sie darüber hinaus, Verwicklungen zu entwirren und Ressourcen in Hindernissen zu erkennen.
Mehr innere Demokratie
Aber wie jede neue Entwicklung ist auch diese mit einer Zumutung verbunden. Worin besteht sie? Sie verlangt von Ihnen, mehr »innere Demokratie« zu wagen! Um von dieser Methode zu profitieren, müssen Sie Ihren logischen, rationalen Verstand als Alleinherrscher über Erkenntniswege, Problemlösungen und Innovation entthronen. Im Wirtschaftsleben macht der Verzicht auf überlebte Monopole für den Transport von Information und Energie vieles farbiger und attraktiver. Ebenso eröffnet auch der Verzicht auf das Monopol linear-analytischer Methoden in der Unternehmensführung und -beratung neue Wege. Er ergänzt das Potenzial logischen Denkens und digitaler Analyse um das verborgene Wissen und die versteckte Information, die im ganzen Organisationssystem bereits vorhanden sind.
Ähnlich wie das Internet eine Flut von Informationen zu konkreten Fragen enthält, gibt es auch in zwischenmenschlichen Systemen eine Art unsichtbares Informationsfeld. Und ähnlich wie wir die im World Wide Web kursierenden Informationen nur nutzen können, wenn wir uns einwählen, wird auch das Wissen eines Organisationssystems erst durch ein bestimmtes Prozedere zugänglich. Für die »Einwahl« ins zwischenmenschliche System kommt allerdings, hier einmal ganz gegen den Zeittrend, ein analoges Verfahren zum Einsatz: die Sprache symbolischer Bilder.
Um sie zu lesen, benötigen wir einen Hochleistungsprozessor der besonderen Art: die emotionale Intelligenz der rechten Gehirnhälfte. Denn die konzentrierte Information über Unternehmenssysteme ist in unbewussten Bildern gespeichert, die mit einem genial einfachen Verfahren – der Aufstellungsmethode – sichtbar werden. Diese Bilder haben den großen Vorteil, dass jeder sie sofort versteht. Komplexe Situationen und Probleme, die logischanalytisch außerordentlich schwierig und langwierig nachvollziehbar wären, sind quasi im Mausklicktempo klar.
Unternehmenskultur
Das Gut, um das es geht, ist weder zählbar noch beliebig vermehrbar. Aber es entscheidet über Erfolg und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Einige seiner aktuellen Bezeichnungen lauten »Humankapital« und »Unternehmenskultur«. Was macht Unternehmenskultur zu einem solchen Kernthema? Sie ist der Klebstoff, der das ganze komplexe Gefüge zusammenhält. Zugehörigkeitsgefühl und Loyalität der Mitarbeiter sind wichtige Komponenten dieses Klebstoffs. Unter Belastung zeigt sich, ob er bindet oder ob tragende Pfeiler der Struktur wegbrechen.
Wenn eine Unternehmenskultur bindet und trägt, wird das nirgends deutlicher sichtbar als an der Schnittstelle zwischen Organisation und Individuum. Sie ist die Weiche, an der sich entscheidet, ob der Zug weiter zu seinem Ziel durchfahren kann oder ins Abstellgleis umgeleitet wird. Die »weichen Faktoren« werden in ihrer enormen Bedeutung erst in unserem Informationszeitalter erkannt.
So erklärte beispielsweise der Lufthansa Bereichsvorstand Thomas Sattelberger kürzlich »Humankapital« zum »eigentlichen betriebswirtschaftlichen Engpass« (in: Managementberater 1 / 2000, S. 27 ff).
Die Zukunft gehört den Netzwerken, global ebenso wie regional.
Der Erfolg eines Unternehmens hängt davon ab, wie harmonisch sein Organisationssystem arbeitet und welchen Platz es in den komplexen Netzwerken des Marktes findet – und davon, ob die Unternehmensführer die Gesetze menschlicher Systeme verstehen und respektieren.
Denn nicht nur die richtigen Mitarbeiter sind »Humankapital«, sondern auch die richtigen Chefs! Entscheider müssen auf systemischen Ausgleich achten, wenn sie ein stabiles Gleichgewicht erreichen möchten. Das gilt für mittelständische Familienunternehmen ebenso wie für multinationale Konzerne.
Systemisches Aufstellen und Coachen: die neue Problemlösung …
Die hier vorgestellten Verfahren eröffnen einen Zugang zum Netzwerkwissen eines Unternehmens. Deshalb könnten Systemaufstellung und systemisches Coaching sich zu den Problemlösungsmethoden der Zukunft entwickeln. Ausnahmsweise sind sie nicht, wie die meisten Managementmodelle und Trainingsansätze, ein Exportschlager Amerikas. Vielmehr handelt es sich um ein Novum, dessen Wellen sich von Deutschland in die Welt ausbreiten. Erste wissenschaftliche Forschungen bestätigen die positiven Erfahrungen, die verschiedene renommierte Unternehmen bereits mit der Aufstellungsmethode sammeln konnten.*
… für Organisationssysteme in der Wirtschaft
Obwohl die Aufstellungsmethode zunehmend in den Blickpunkt öffentlichen Interesses rückt, mangelt es bisher an Beschreibungen für Anwender im Wirtschaftsleben. Wir möchten mit diesem Buch dazu beitragen, den Nutzen dieses neuen Ansatzes für Unternehmen transparenter zu machen; das Buch ist für die Praxis geschrieben. Sie können von den hier dargestellten Fallbeispielen profitieren, gleich ob es beispielsweise um strategische Unternehmensentscheidungen, Teamentwicklung oder persönliche Ziele geht.
An welcher Stelle im Unternehmen Sie auch stehen – die Anwendung systemischer Prinzipien kann Ihnen zu mehr Einsicht in Probleme oder Entscheidungsfragen verhelfen und neue Perspektiven in der Organisationsentwicklung eröffnen.
Als Trainer und Berater haben wir in den vergangenen 18 Jahren mit unseren Kunden, Unternehmen aller Größen und Branchen sowie mit Einzelpersonen an ihren Fragen, Problemen, Zielen und Visionen gearbeitet. Die innovative Methode der systemischen Aufstellung, um die es in diesem Buch geht, integrieren wir heute als ein wichtiges Werkzeug ins Spektrum unserer Kompetenzen. Mit ihrer Hilfe konnten wir schon vielen Kunden helfen, verzwickte Situationen zu lösen, Ziele zu klären, Perspektiven zu entwickeln und auch dort Lösungen zu finden, wo wir mit den klassischen Werkzeugen von Training und Coaching allein nicht hätten weiterkommen können. Nichts ist so erfolgreich wie eine Methode, deren Zeit gekommen ist! Trotzdem bedarf sie manchmal der Ergänzung durch andere Verfahren, besonders wenn es um die Implementierung von Lösungen im Alltag geht. Auch für diesen erfolgsentscheidenden Transfer vom Makrosystem ins Mikrosystem stellen wir Ihnen in diesem Buch einen wirkungsvollen Ansatz vor. Was erwartet Sie nun in den einzelnen Kapiteln?
Übersicht über den Inhalt des Buches
Im ersten Kapitel erfahren Sie, welche verborgenen Mechanismen ein Unternehmen steuern. Wie sich die Methode der Systemaufstellung entwickelt hat und wie sie konkret funktioniert, lesen Sie im Kapitel 2. Beispiele von Aufstellungen, die wir mit unseren Kunden durchgeführt haben, erlauben Ihnen, in die Praxis hineinzuschnuppern. Sie sind im dritten Kapitel dokumentiert. In unseren Seminaren und Vorträgen werden wir immer wieder mit interessanten Fragen zur systemischen Arbeit konfrontiert. Vielleicht haben Sie sich einige dieser Fragen auch schon gestellt. Eine Auswahl häufiger Fragen samt unseren Antworten können Sie im Kapitel 4 nachlesen. Weil Lösungen nur von einzelnen Menschen praktisch umgesetzt werden können, ist die Schnittstelle zwischen Makrosystem (Unternehmen) und Mikrosystem (Persönlichkeit) von großer Bedeutung. Unseren Ansatz zum systemischen Makro-Mikro-Coaching finden Sie im fünften Kapitel. Den Abschluss bildet in Kapitel 6 eine Checkliste, mit der Sie sofort beginnen können, systemische Prinzipien auf Ihr Unternehmen anzuwenden.
* So die empirische Studie einer Münchener Fachhochschule mit 156 Führungskräften in 16 Industrieunternehmen. Siehe: Franz Ruppert: »Aufstellen von Arbeitsbeziehungen in Wirtschaftsunternehmen. Erfahrungen und Ergebnisse empirischer Untersuchungen.« In: Weber (Hg.), 2000.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Es ist ein großer Irrtum zu glauben, Sie als Unternehmer führten Ihr Unternehmen allein. Auch wenn Sie als Manager oder Mitarbeiter der Meinung sind, Ihr Chef oder der Vorstand gäbe die Richtung vor, übersehen Sie etwas Entscheidendes. Denn tatsächlich führen alle gemeinsam das Unternehmen – allerdings weder nach dem beliebten Unternehmer-Motto »Alle in einem Boot« noch im Sinne eines »volkseigenen Betriebs« der SowjetÄra.
Am Erfolg oder Misserfolg sind nicht nur Unternehmensangehörige beteiligt. Es gehören noch andere dazu – beispielsweise die Kunden, die Aktionäre, die Konsumenten, die Mitbewerber, eventuell ausländische Tochtergesellschaften. Sie bilden netzwerkartig ein mächtiges Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Das Ganze funktioniert als ein lebendiges System, dessen eigene Dynamik konsequent und oft entgegen den Entscheidungen der Unternehmensführer Ergebnisse bewirkt – zum Guten wie zum Schlechten.
Wie kann das sein? Was den einzelnen Menschen angeht, ist uns klar, dass jeder seine blinden Flecken hat, also bisweilen unbewusst agiert und reagiert. Spätestens seit Sigmund Freud ist es eine allgemein akzeptierte Tatsache, dass das Unbewusste unser Handeln, Denken und Fühlen stark mitbestimmt. Manche vergleichen sogar unser bewusstes Handeln und Denken mit einer Nussschale, das Unbewusste aber mit dem Meer. Solange das Meer still ist, glaubt der Nussschalenkapitän, er habe alles unter Kontrolle.
Auch Unternehmen haben ein Unbewusstes
Aber nicht nur einzelne Menschen, sondern auch menschliche Systeme – wie Familien, Organisationen und Unternehmen – sind maßgeblich durch das Unbewusste gesteuert. Diese Erkenntnis veranlasste Martin Buber zu seinem berühmten Ausspruch, das Unbewusste sei nicht in, sondern zwischen den Menschen. Mit diesem zwischenmenschlichen Unbewussten sind nicht nur die massenpsychologischen Phänomene gemeint, die wir immer wieder in Fußballstadien, bei Popkonzerten und auf Wahlkampfveranstaltungen beobachten können. Vielmehr bildet das Unbewusste in unseren Unternehmen, Abteilungen und Teams eine unsichtbare und sehr machtvolle Struktur, die nach eigenen Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien funktioniert. Daher spricht man von einem »System« und seinen »systemischen« Gesetzen.
In einem System sind alle miteinander verbunden
Was ist ein System?
Was ist nun ein »System«? Einfach gesagt, ist ein System eine Anzahl von Elementen, die miteinander in ständiger Wechselbeziehung stehen. Jede Veränderung an einem Element bewirkt gleichzeitig Veränderungen an allen übrigen Elementen. Das gilt zwar nicht für alle technischen Systeme, aber für lebendige Systeme, also auch für Menschen, ihre Organisationen und Unternehmen.
Wenn also in einem Unternehmenssystem alles mit allem in ständiger Wechselbeziehung steht, müssen wir uns von einer lieb gewordenen Gewohnheit lösen: dem Ursache-Wirkung-Denken.
In den Netzwerken lebendiger Systeme erfolgt nicht immer zuerst die Ursache und dann die Wirkung. Es kann auch eine Wirkung eintreten, deren Ursache wir nicht finden.
Denn diese Wirkung kann aus einer Ursache resultieren, die gleichzeitig, aber für uns unsichtbar, an anderer Stelle auftritt und selbst Wirkung einer dritten Ursache ist. Von der guten alten Kausalkette kommen wir also zu einem zirkulären Bild, in dem Ereignisse synchron an verschiedenen Orten auftreten und zu Ergebnissen führen.
Systemische Wechselwirkung
Die Suche nach dem Schuldigen bringt nichts
Die vielerorts immer noch beliebte Suche nach Verantwortlichen oder Schuldigen an einer Misere greift einfach deshalb zu kurz, weil sie das Problem nicht löst. Denn in systemischer Betrachtungsweise muss der »Schuldige« eben durchaus nicht der Verursacher sein, sondern könnte ebenso gut als ein Symptomträger des Systems fungieren. In dem Fall wäre sein »schuldhaftes« Verhalten eine Auswirkung verborgener systemischer Zusammenhänge. Den »Schuldigen« zu feuern wäre also eine »Lösung«, die nach dem Muster funktioniert: »Wenn die rote Öl-Warnlampe während der Fahrt aufleuchtet, bitte die Glühbirne entfernen und weiterfahren!«
Wie systemische Wechselwirkungen funktionieren, veranschaulicht der Organisationsberater Grochowiak am Beispiel eines Froschteichs:
»Denken wir etwa an einen Teich und betrachten die Populationsdichte der dort ansässigen Frösche. Sie wird genau in dem Maße wachsen, in dem für die Frösche ausreichend Nahrung vorhanden ist. Nimmt die Zahl der Frösche nun in Folge des reichen Nahrungsangebotes zu, so verringert sich die zur Verfügung stehende Menge an Nahrung, was in der Folge eine Verringerung der Froschpopulation nach sich zieht. Ist nun die Zahl der Frösche auf ein niedrigeres Niveau gesunken, wird sich das Nahrungsangebot wieder vergrößern, so dass die Zahl der Frösche wieder wachsen kann – und der Kreislauf kann von neuem einsetzen« (Grochowiak/ Castella/ Klein S. 13).
Das Offensichtliche ist am schwersten zu sehen
Es bliebe noch anzumerken, dass Frösche mitunter ein Problem haben, unter dem auch wir Menschen leiden können: Sie erkennen ihre Nahrung nicht immer! So kann ein Frosch eine Fliege nur erkennen und fangen, wenn sie fliegt. Sitzt sie aber still neben ihm, bleibt sie unbehelligt. Daher könnte ein Frosch, umgeben von den schönsten Fliegen, verhungern, wenn diese nur bewegungsfaul genug sind. Wir tun also gut daran, am Beispiel der Frösche zu lernen, die Lösung nicht zu übersehen, die unmittelbar vor unserer Nase sitzt. Genau dies aber fällt bekanntlich besonders schwer: das Offensichtliche zu erkennen!
Systemische Abbildung statt analytischer Beschreibung …
Für die Lösung komplexer systemischer Probleme müssen Unternehmensführer und Berater ihre Wahrnehmungsgewohnheiten ändern und sich von linearen, kausalen Beschreibungen und Erklärungen lösen. Hier hilft die Aufstellungsmethode, klassische Beratungsansätze zu ergänzen, indem sie ein Unternehmen nicht analytisch beschreibt, sondern systemisch abbildet.
Mit ihrer Hilfe können Sie auf einfache Weise einen Überblick über eine Ist-Situation erhalten. Erfolgsblockierende Spannungen, die etwa zwischen Produktion und Vertrieb oder Geschäftsleitung und einer Auslandstochter entstehen, werden sofort sichtbar. Sie erkennen, ob die Positionierung einer Abteilung oder Person im Gesamtunternehmen richtig ist bzw. in welche Richtung sie verändert werden müsste, damit das Ganze besser funktioniert.
… lässt Problemlösungen offensichtlich werden
»So einfach kann es doch nicht sein!«, entgegnen uns manche Kunden, wenn ihnen systemische Zusammenhänge klar werden. »Dann hätten wir ja jahrelang viel Geld und Zeit investiert, ohne das Problem wirklich zu lösen!« Solch eine Erkenntnis ist schmerzhaft und auch in anderen Bereichen bekannt. So sind heute beispielsweise in der Logistiksteuerung einfache, preiswerte Softwarelösungen möglich, wo früher hoher Aufwand mit oft unbefriedigendem Erfolg betrieben wurde. Aber die »Macht der Gewohnheit« bewirkt, dass Unternehmen manchmal jahrelang zögern, eine solche Lösung zu akzeptieren. Oft tun sie das nicht aufgrund wirtschaftlicher oder technischer Bedenken. Vielmehr scheinen auch innovative Manager bisweilen durch eine merkwürdige Scheu vor dem Neuen befangen zu sein.
Warum werden Menschen, die ihre Risikofreude und ihren unternehmerischen Geist vielfach unter Beweis gestellt haben, plötzlich zu Bedenkenträgern? Sie folgen einem Instinkt, einem »Bauchgefühl«, das sich auf die Auswirkungen einer Umstrukturierung im systemischen Ganzen des Unternehmens bezieht. Denn so sehr innovative Software auch technische Abläufe erleichtern mag, so fatal kann die Auswirkung ihrer Einführung auf der zwischenmenschlichen, systemischen Ebene sein. Um solche Turbulenzen zu vermeiden, sollte eine wichtige Restrukturierungsmaßnahme deshalb immer von einem systemischen Check begleitet werden. Befürworter einer neuen Technologie oder verkürzter Entscheidungswege verzweifeln manchmal an der Halbherzigkeit, mit der eine Neuerung eingeführt wird. Weil sie die Situation nur linear und analytisch betrachten, übersehen sie aber die erfolgsentscheidende systemische Ebene.
Die systemische Ebene ist erfolgsentscheidend
Es ist natürlich wichtig, ein Unternehmen technologisch zu optimieren. Die »Musik« aber spielt woanders. Denn auch im IT-Zeitalter sind Unternehmen menschliche Gebilde und funktionieren, wie alle zwischenmenschlichen Systeme, einfach, folgerichtig und konsequent – ähnlich wie ein biologischer Organismus. Auch unsere Körper sind komplexe organische Systeme, die unter anderem bestimmte Arten von Nahrung, ein bestimmtes Maß an Bewegung und eine bestimmte Menge an Flüssigkeit benötigen und auf Zivilisationsgifte, besonders in Verbindung mit Stress, gereizt antworten. Wer die systemischen Gesetze seines Körpers kennt und berücksichtigt, hat es, wie wir alle wissen, bedeutend leichter als jemand, der sich über sie hinwegsetzt. Ähnlich verhält es sich mit unseren zwischenmenschlichen Systemen. Auch hier haben wir eine Wahl: Wir können uns bemühen, ihre Gesetzmäßigkeiten zu verstehen und zu befolgen – oder sie um kurzfristiger Vorteile willen missachten –, und die Folgen später ausbaden.
Menschliche Systeme arbeiten nach machtvollen unbewussten Gesetzen
Auch im »Organismus Unternehmen«, im Unternehmenssystem also, gibt es ein verborgenes Wissen darüber, was nützt und was schadet. Dieses Wissen gehört nicht einem Einzelnen und beruht nicht auf Expertenanalyse. Vielmehr ist es in einer Art Informationsfeld vorhanden. Was dieses Informationsfeld genau ist und wie es funktioniert, ist noch nicht vollständig erforscht. Trotzdem können wir bereits von seinen Wirkungen profitieren. Es ist ähnlich wie beim Internet: Auch wenn Sie nicht wissen, was genau das Internet ist und wie es funktioniert, können Sie es bereits nutzen, wenn Ihnen jemand erklärt, was Sie tun müssen, um sich einzuwählen. Sie können dann eine Flut von Informationen jederzeit, von jedem Ort aus, abrufen.
Mit systemischer Aufstellung zapfen Sie das Informationsfeld Ihres Unternehmenssystems an. Sie wählen sich in das Netzwerk ein, in dem alle relevanten Informationen über das Beziehungsgefüge im Unternehmen fließen.
Wie wirkt nun so ein Informationsfeld praktisch? Es wirkt unbewusst. Weil das Systemwissen inaktiv bleibt, also von den beteiligten Personen nicht bewusst genutzt wird, nehmen sie es meist als »Ahnungen« oder »Bauchgefühle« wahr. So weiß etwa in einem Unternehmen z. B. der Produktionschef nicht, was gerade zwischen dem Vertrieb und einem Kunden abläuft, obwohl es ihn unmittelbar betrifft.
Nehmen wir an, der Vertrieb habe einem wichtigen Kunden soeben eine größere Lieferung innerhalb von vier Wochen zugesagt, obwohl die Produktion nach ihrer Planung dafür zwei Monate benötigte. Zwar ist das Geschäft ohne Wissen und außerhalb der Sichtweite des Produktionsleiters abgeschlossen worden, aber er »weiß« trotzdem davon. Ihn beschleicht ein ungutes Gefühl, wenn er in seinen Produktionsplan schaut, und er nimmt sich vor, noch heute mit dem Vertriebsleiter die Planung für das Quartal durchzusprechen. Das ist zwischen den beiden ein heikles Thema, da sich der Produktionschef von seinem Vertriebskollegen ständig übergangen fühlt und deshalb dagegen wehrt, die Folgen seiner Schnellschüsse ausbaden zu müssen.
Bei inaktivem Systemwissen bleiben nur vage Ahnungen
Auch in dieser Situation hat seine »Ahnung« den Produktionsleiter nicht getrogen. Er erlebt zum wiederholten Male, wie der Vertrieb sich einfach über seine Vorgaben hinwegsetzt. Der Vertriebsmann dagegen ist empört, dass er für diesen Spitzenauftrag keine Anerkennung, sondern nur »Nörgelei« erntet. Es kracht wieder einmal zwischen den beiden. Der Konflikt verschärft sich zu einer Dauerspannung, die klare Kommunikation und gute Lösungen erschwert. Mit moderierten Klärungsgesprächen kamen Produktionschef und Vertriebschef bislang nicht weiter. Hier könnte die Aufstellungsmethode helfen, die systemische Dynamik ans Licht zu bringen, den Konflikt zu lösen und das Spannungsfeld für die Zukunft zu harmonisieren. In einer Aufstellung wird das Systemwissen bewusst aktiviert. Im zweiten Kapitel erfahren Sie, wie diese Methode funktioniert.
Was nützt es Ihnen nun konkret, das Informationsfeld in Ihrem Unternehmen bewusst zu machen?
Ebenso wie der Einblick ins eigene Unbewusste Menschen von manchem Ungemach befreien kann, fördert auch die Erkenntnis systemischer Barrieren in einem Unternehmen die Entwicklung neuer Lösungen. Verschüttete Ressourcen werden freigesetzt und die tägliche Zusammenarbeit wird erleichtert.
Wenn die systemischen Prinzipien nicht befolgt werden, die Unternehmen reibungslos funktionieren lassen, können Probleme entstehen. Würde man einen Formel 1-Rennwagen mit Diesel betanken, wären selbst für den besten Fahrer aus der Poleposition die Siegeschancen gleich null. Er scheiterte nicht an seinem Können, sondern an den notwendigen Folgen einer Übertretung technischer Gesetze.
Systemgesetze sind einfach und sinnvoll
Bei Naturgesetzen und Systemgesetzen gilt, wie in manchen Strafgesetzbüchern auch, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Nun wissen wir zwar alle über den richtigen Kraftstoff für unser Fahrzeug Bescheid, betanken aber die eigene biologische Hochleistungsmaschine, unseren Körper, oft nicht mit Super, sondern mit Diesel. Natürlich wissen wir, wenn wir unsere kleinen Ernährungssünden begehen, um die kombinierte Wirkung von Cholesterin, Stress und Bewegungsmangel. Wissen allein genügt aber offensichtlich nicht, um zielführend zu handeln. Wir lernen folglich entweder durch Einsicht oder durch Leiden. Wenn die Einsicht nicht zu Konsequenzen führt, lässt uns spätestens die Konfrontation mit akuten Folgen anhalten und nach Lösungen suchen.
Beim einzelnen Menschen wie in Organisationen führt eine besondere Kraft zum Ziel oder auf Abwege: das Gewissen. So, wie wir es hier verstehen, hat es mit moralischen Prinzipien oder hehren Idealen wenig zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Art Kompass, der uns sagt, ob wir uns auf dem richtigen Kurs befinden. Mit unserem systemischen Gewissen verfügen wir über eine Art sozialen Orientierungssinn, der uns nicht über »gut« und »böse« im moralischen Sinne informiert, sondern darüber, ob wir uns in unserem Umfeld auf dem richtigen Kurs befinden.*
Das Gewissen zeigt uns, wo es langgeht – völlig moralinfrei
Dieser innere Kompass zeigt ganz sachlich und amoralisch stets genau nach Norden. Was aber »Norden« ist, wo es also entlanggeht in einem Unternehmenssystem, kann sich von anderen, ähnlichen Systemen radikal unterscheiden. In einem traditionsreichen, mittelständischen deutschen Familienunternehmen können z. B. Pünktlichkeit, Genauigkeit und engagierte Leistungsbereitschaft im »Norden« liegen, also die gemeinsame Orientierung für alle Systemmitglieder darstellen. Werte wie Pünktlichkeit und Genauigkeit, dazu Normen wie freiwillige, unbezahlte Mehrarbeit geben in diesem System das »Was« und das »Wie« an. Also: »Was wollen wir erreichen? Exakt gefertigte Produkte pünktlich an den Kunden ausliefern. Wie wollen wir es erreichen? Mit hohem individuellen Einsatz.«
Ob nun extrem hoher Einsatz auch effektiv ist und wirtschaftlichen Erfolg bringt, ist zumindestens fraglich. Aber darum geht es nicht. Denn »Effektivität« liegt nicht im »Norden« dieses Unternehmens. Keine Frage also, dass alle Unternehmensangehörigen, vom jüngsten Azubi bis zum Chef, auf systemeigene Weise »eingenordet« sind. Jedes Mitglied dieses Systems hat ein gutes Gewissen, wenn es voll engagiert in den Abend und ins Wochenende hinein arbeitet, und ein schlechtes, wenn es sich einmal eine längere Pause gönnt. So weit durchaus nichts Ungewöhnliches, denn die beschriebene Orientierung ist bei uns gesellschaftlich, also in einem größeren systemischen Zusammenhang, akzeptiert und sehr verbreitet.
Die amoralische (nicht unmoralische) Qualität des systemischen Gewissens wird deutlich, wenn wir uns jetzt im Kontrast zu obigem Beispiel einer Mafiaorganisation zuwenden. Dieses Gewissen arbeitet keinen Deut anders. Ein Angehöriger dieser kriminellen Vereinigung hat ein völlig reines Gewissen, wenn er beispielsweise von den Restaurantbesitzern seines Reviers ein hohes Schutzgeld erpresst. Sowohl das »Was« als auch das »Wie« liegen exakt im »Norden« seines Systems. Er wird von seinen Kollegen und Vorgesetzten neben seinem Anteil ein anerkennendes Schulterklopfen ernten, das ihm sagt: »Du machst es richtig. Du gehörst zu uns!«
Dazugehören – koste es, was es wolle
Zugehörigkeit zum eigenen System bedeutet Überleben. Dieses Erbe bringen wir aus dem Tierreich mit, dessen verschiedene Evolutionsstadien in unseren Verhaltensprogrammen gespeichert sind. Für unsere nächsten Verwandten, die Säugetiere, ist die Zugehörigkeit zum Rudel oder zur Herde lebensentscheidend. Das verirrte Schaf ist ebenso verloren wie der ausgestoßene Junglöwe.
Da wir die denkbar stärkste Motivation besitzen, zu unserem jeweiligen sozialen System zu gehören, ist es enorm schwierig, kontraproduktives Verhalten, das im gesamten Unternehmen auftritt, zu verändern!
Wenn z. B. hochwertige, präzise mechanische Fertigung im Gegensatz zur gefragten Schnelligkeit und Kostengünstigkeit steht, gibt es Probleme. Was nützen perfekte, hochwertige Produkte, wenn niemand sie kauft, weil der Kunde mit schnell lieferbarer und zudem billigerer Elektronik sein Ziel auch erreicht? Es wäre höchste Zeit zur Umorientierung! Dazu müssten die Unternehmensführer und Mitarbeiter jedoch gegen ihr systemisches Gewissen verstoßen.
Beispiel Maschinenbau
Die Krise des deutschen Maschinenbaus hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass sie genau das nicht tun, selbst wenn der Untergang die unausweichliche Folge ist. Lieber zahlen Mitglieder eines zwischenmenschlichen Systems diesen Preis, als gegen ihr systemisches Gewissen zu verstoßen. Verstärkt wurde diese Haltung im deutschen Maschinenbau mit einer in den Jahren des Erfolgs aufgebauten überheblichen Überzeugung, dass gute deutsche Wertarbeit durch Elektronik nicht zu ersetzen sei – schon gar nicht durch asiatische. Wäre zu Beginn der Maschinenbaukrise eine systemische Simulation mittels Aufstellung erfolgt, hätte man sehen können, welche Wirkung die Einstellung der deutschen Industrie zu elektronischen Neuerungen und zur asiatischen Konkurrenz auslösen musste. Ein klarer Blick auf zukünftige Folgen hätte rechtzeitiges Gegensteuern ermöglicht.
Systemgesetze wirken im Verborgenen
Wer oder was bestimmt eigentlich Ihre Unternehmensstrategien? Betriebswirtschaftliche Berechnungen allein sind es wohl kaum. Im letzten Jahrzehnt haben wir einen Boom von »weichen« Faktoren erlebt. Corporate Identity, Unternehmensphilosophie und Visionsentwicklung sind in aller Munde. Aus den USA importieren wir jetzt den Trend, im »Humankapital« den eigentlichen betriebswirtschaftlichen Engpass zu erkennen. Wie auch immer Sie Ihre Ziele definieren und Ihre Strategien ableiten: Ihr Unternehmen arbeitet nicht nur nach selbst gestellten Aufgaben und Zielen. Es ist auch von unsichtbaren Gesetzen bestimmt, die im Verborgenen äußerst kraftvoll wirken – zum Guten wie zum Schlechten.
Weil sie im Verborgenen wirken, sind diese Gesetze den Menschen in Unternehmen meist nicht bewusst. Wie spüren Sie dann ihre Wirkung? Nun, woran merken Sie, dass Sie, beispielsweise auf einer Silvesterfeier, bestimmte biologische Gesetze Ihres eigenen Körpers übertreten haben? An einer Kater-Rückmeldung am Neujahrsmorgen! Wenn Sie die biologischen Grenzen und Gesetze respektieren, fühlen Sie sich wohl in Ihrer Haut. Ebenso fühlen Sie sich als Mitglied eines zwischenmenschlichen Systems unterstützt und gestärkt, wenn Sie dessen Gesetze einhalten, aber persönlich geschwächt, wenn Sie sie missachten.
Im Unternehmen sind typische Symptome für die Missachtung von Systemgesetzen plötzlich kündigende Mitarbeiter und Kunden, interne Machtkämpfe, Sabotage, massive Umsatzeinbrüche oder lähmende Stagnation.
Ohne systemische Einbindung steht Sanierung auf schwachen Füßen
Diese Alarmzeichen werden bisher meist missdeutet. Was tun Unternehmensführer, wenn es hakt und bremst, wenn Motivation, Marktanteile und Umsätze sinken und die Fluktuation steigt? Sie rufen nach Sanierern und Kostendrückern! Doch deren Erfolg ist fraglich – wie manche »Star«-Sanierer öffentlich bewiesen haben. Denn erstens sind nicht alle Probleme durch Controlling in den Griff zu bekommen. Und zweitens verschlimmern viele Sanierer trotz bester Absichten in Unkenntnis ihrer systemischen Wirkung die Situation. Das System reagiert wie auf Eindringlinge und verbraucht so kontraproduktiv seine letzten Kräfte. Ähnlich einem menschlichen Immunsystem wehrt es sich mit Warnsymptomen gegen den Angriff.
Menschliche Systeme – Familien ebenso wie Unternehmen und Organisationen – wollen überleben und schützen deshalb sich und ihre Mitglieder gegen Angriffe von außen. Wird eines ihrer systemerhaltenden Prinzipien massiv verletzt, folgen daher unbewusste Ausgleichsbewegungen mit unkontrollierbaren Wirkungen. Woran liegt das?
Ein Unternehmen funktioniert wie ein Netzwerk aus Menschen, Informationen und Technologien und ist mit anderen Netzwerken (Kunden, Markt) eng verbunden. Jede Handlung hat eine Auswirkung auf alle Beteiligten. Deshalb gibt es im Netzwerk ein unausgesprochenes Wissen darüber, was gut ist, was stört und was das Ganze schwächt oder stärkt. Wenn Teile des Netzwerks gegeneinander arbeiten oder sich aus dem Ganzen lösen, funktioniert das System schlecht. Ein Problem bildet sich dann häufig wie ein Warnsymptom und weist auf ein »überzogenes Konto« hin.
In der praktischen Arbeit mit Unternehmen, Abteilungen, Teams und anderen Organisationen haben sich immer wieder bestimmte Ordnungsprinzipien oder »Gesetze« gezeigt, nach denen diese systemisch funktionieren. Unabhängig von Art oder Größe der Organisation beobachten Forscher und Berater, wie Menschen in solchen Systemen mit schon fast schlafwandlerischer Sicherheit auf das Respektieren oder Missachten dieser Prinzipien reagieren. Sie erleben ihre Arbeitsumgebung als harmonisch, wenn sie beachtet werden, und reagieren irritiert, wenn sie verletzt werden. Im Folgenden finden Sie wichtige Systemgesetze oder systemerhaltende Prinzipien in einer Übersicht mit beispielhafter Erklärung ihrer Grundlagen.*
Systemerhaltende Prinzipien
Anerkennen der Wirklichkeit eröffnet Lösungsperspektiven
Was bedeutet »Was ist, muss sein dürfen«? Zunächst einmal ist damit gemeint:
Die Wirklichkeit darf nicht geleugnet werden! Um handlungsfähig zu sein, müssen die Systemmitglieder anerkennen und würdigen, was ist.
So einfach, wie das klingt, ist es in der Praxis leider nicht. Zu oft werden kritische Entwicklungen in Unternehmen schöngeredet. Immer wieder kommt es vor, dass Führungskräfte sich selbst einen Abwärtstrend nicht eingestehen. Folgerichtig verschweigen sie auch ihren Kollegen und Mitarbeitern den wahren Ist-Zustand. Alle spüren aber ganz genau, dass etwas nicht stimmt. In manchen Fällen ist das Ausmaß einer Krise im ganzen Unternehmen genauestens bekannt, aber niemand spricht es aus.
Zuweilen gipfelt diese Verleugnung sogar in einem kollektiven Wahn: »Bald werden wir einen Riesenauftrag bekommen, der die Firma wieder ganz nach vorn bringt.« In Familien gibt es eine ähnliche Verleugnungspraxis, wenn z. B. alle wissen, dass der Vater unheilbar krank ist, diese Tatsache aber voreinander verheimlichen. Gelingt es, die Verleugnung fallen zu lassen und der Wirklichkeit ins Auge zu schauen, hat dieses gemeinsame Würdigen der realen Gegebenheiten etwas Befreiendes und öffnet das System für Lösungen. Denn nun schauen die Beteiligten der Wirklichkeit in ihrer ganzen, oft schmerzhaften Wucht unverstellt und mutig ins Auge. Erst jetzt sind sie handlungsbereit und entscheidungsfähig.
Auch eine andere Form der Würdigung ist Ihnen vielleicht aus Ihrem beruflichen Alltag bekannt: aktives Anerkennen des Gegebenen. In Situationen von Unsicherheit oder Zweifel über die jeweilige Erwartung oder Aufgabe kann es klärend wirken, wenn die zugrunde liegende systemische Realität bekräftigt wird. Rein rational betrachtet macht es wenig Sinn, etwas auszusprechen, das der andere schon weiß. Trotzdem hat es eine stärkende Wirkung, wenn sinngemäß gesagt wird: »Sie sind der Chefin dieser Abteilung, und ich bin Ihr Mitarbeiter.« »Sie sind mein Kunde, und Ihre Zufriedenheit ist für mich ausschlaggebend.« »Sie sind schon seit 12 Jahren in der Firma, und ich bin jetzt neu dazugekommen.« Auf diese Weise kommuniziert der Sprecher, dass er den eigenen Platz im System und den des Gesprächspartners kennt, anerkennt und bestätigt.
»Schonzeit« für neue Mitarbeiter
Kennen Sie auch eines dieser Teams, in denen der Löwenanteil der Arbeit von einigen Mitgliedern erledigt wird? Das Ungleichgewicht eines solchen Arrangements ist für Außenstehende offensichtlich – für die Teammitglieder selbst bezeichnenderweise selten. Manchmal sind die Mitgetragenen neue, unerfahrene Kollegen, die sich erst noch einarbeiten müssen. Ein Ausgleich ist leicht möglich und geschieht oft auch ganz natürlich, indem die Neuen spontan würdigen, was sie bekommen. Sie können das zum Ausdruck bringen, indem sie helfen, wo sie können, selbst wenn manche Arbeiten nicht ihrer Qualifikation entsprechen. Wenn aber langjährige Teamkollegen sich bequem zurücklehnen, während andere die Arbeit erledigen, sind sie wohl eher vom »Stamme Nimm«.
Teamerfolg kann sich erst einstellen, wenn solche Schieflagen korrigiert sind. Ist mehr Gleichgewicht erreicht, stellt sich eine neue Herausforderung: Sind die bisherigen Leistungsträger bereit, die Arbeitslast gerechter aufzuteilen? Auch das ist keinesfalls selbstverständlich! Denn dazu brauchen sie die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und Hilfe von anderen anzunehmen. Das verlangt aber ein gewisses Maß an Vertrauen, das gerade handlungsstarken Menschen schwerer fallen kann, als alles selbst zu tun.
Geben ist nicht immer seliger als Nehmen
Vielleicht kennen Sie Situationen, in denen gefährliche Schieflagen deshalb entstanden, weil eine Führungskraft sich weigerte, Unterstützung und Mitarbeit anzunehmen und damit auch anderen Entwicklungschancen zu geben. Stattdessen ist solch ein Chef immer für seine Mitarbeiter da, hilft ihnen fraglos, nimmt ihnen schwierige Aufgaben ab und löst sogar Probleme für sie. Die Kehrseite solcher Hilfsbereitschaft ist, dass wirkliche Zusammenarbeit nicht entstehen kann. Die Kluft zwischen seiner Kompetenz und der Abhängigkeit der Mitarbeiter ist schwer überbrückbar. Da die Mitarbeiter auf diese Weise keine Chance bekommen, selbst etwas zu leisten, fühlen sie sich bald nutzlos, verlassen das Unternehmen oder kündigen innerlich. Das Motto »Geben ist seliger als Nehmen« mag im religiösen Kontext ebenso Sinn machen wie im Boxring – systemisch führt es auf Abwege.
Bei Fusionen ist das Gleichgewicht erfolgsentscheidend